Trug und Weltgeschäft: Der Bierersatz Hopkos

Um 1900 konnte man mit alkoholfreien Getränken eine schnelle Mark machen. Kohlensäure, Essenzen und Aromastoffe ermöglichten neuartige Angebote, die neben Wasser, tradiertem Fruchtsirup, die Heilwässer und Heißgetränke traten. Seit 1896 entstanden zudem alkoholholfreie Weine und auch alkoholfreie Biere. Sie waren teils Werbefiktionen, entsprachen vor allem geschmacklich nur selten den alkoholhaltigen Originalen. Doch Alkoholika wurden damals verstärkt in Frage gestellt, Mäßige und Abstinente forderten eine Nüchternheitswende – und der Markt, viele Tüftler und Geschäftsleute lieferten. Sie agierten in einem gestalterischen Möglichkeitsraum, denn die uns geläufigen Produktkategorien waren noch nicht definiert und staatlich reguliert. Die Nichtalkoholika spiegelten und materialisierten denn auch die tiefgreifenden wirtschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen und technologischen Brüche der Jahrhundertwende, des Fin de Siècle.

Die soziale Frage dominierte die Politik, der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital überwölbte und verdrängte die autoritäre Ordnung der ständischen Gesellschaft. Die Ernährungswissenschaften hatten tradierte Vorstellungen über richtiges Essen (und Trinken) in Frage gestellt. Das Wissen um chemische Stoffe und den Stoffwechsel in Pflanzen, Tieren und Menschen erlaubte überzeugende, „gesunde“ Alternativen. Neu entwickelte Maschinen ermöglichten Eingriffe in das Innere der nun gewerblich umgestaltbaren Natur. Seit den 1860er Jahren nahm die Zahl neuartiger Lebensmittel rasch zu, Rübenzucker und Säuglingskost, Margarine und Suppenpräparate sind nur plakative Beispiele für eine große und wachsende Palette immer neuer Angebote. Auch die Getränke veränderten sich: Seit den 1820er Jahren kam der Kartoffelschnaps, der „Branntwein“ auf, und das tradierte Bier veränderte sich seit den 1870er Jahren zu einem zuvor kaum denkbaren standardisierten Produkt. Auch Nichtalkoholika blieben vom Malstrom der Umgestaltung nicht unberührt: Die zunehmend separierte, gefilterte, auf hohen Fettgehalt optimierte und teils auch pasteurisierte Milch unterschied sich deutlich vom Melkertrag früherer Zeiten. Ähnliches galt für die „künstlichen“, mit Kohlensäure prickelnd gehaltenen Mineralwässer, die gegenüber ihren „natürlichen“ Namensvettern Geschmacks- und Haltbarkeitsvorteile hatten. Während aber in Großbritannien und den USA auch „Soft Drinks“, also kunstfertige Mischungen aus Wasser, Kohlensäure, Kräuterextrakten, Aromen, Zucker und Süßstoffen entstanden – Tonic Water und Coca-Cola sind bekannte Beispiele –, blieb dieses Marktsegment in Mitteleuropa unterentwickelt. Teurer Zucker, das Hausbrauen, ein weniger strikt agitierender Protestantismus und die vermeintlich „schwache“ Natur dieser Getränke bieten Erklärungen.

Der Aufschwung der alkoholfreien Getränke um die Jahrhundertwende war demnach eine nachholende Entwicklung. Sie verlief entsprechend stürmisch, schuf zugleich Wildwuchs und Marktverwerfungen. In dem neuen Marktsegment wurden nicht einfach Getränke entwickelt und verkauft, sondern zugleich Träume von Gesundheit und Nüchternheit. Das lockte Investoren, Techniker und Wissenschaftler: Hier war Neuland zu gewinnen, Vermögen anzuhäufen, ein späteres ehrsames Leben als wohlsituierter Erfinder und Unternehmer möglich.

Hopkos war eines der bekanntesten Beispiele dieser ersten Welle alkoholfreier kohlensäurehaltiger Getränke, die langfristig die hiesigen Trinkgewohnheiten tiefgreifend umgestalten und neue Probleme schaffen sollten. Doch Hopkos verkörperte erst einmal Fortschritt, zielte auf ein neues besseres Leben. Es wurde als Bierersatz vermarktet, gar als alkoholfreies Bier, schließlich bestand es – so die lockende Werbeaussage – aus Hopfen und Malz. Wohlschmeckend und alkoholfrei war es, die Tage des alten, alkoholhaltigen Bieres schienen gezählt. Doch Hopkos verschwand nach ein, zwei Jahren wieder vom Markt, wurde ersetzt durch andere, ähnliche Getränke. Die schnelle Mark machten nur wenige, denn trotz einer modernen „amerikanischen“ Werbung verloren die meisten Investoren Geld. Es ist besonders reizvoll, ein solches Scheitern historisch zu analysieren, denn gängige Lohnschreiber präsentieren vorrangig Erfolgsgeschichten. Das Beispiel Hopkos steht zugleich beispielhaft für die große Zahl von Lebensmittel-„Hypes“, die bis heute immer wieder aufköcheln, von Werbung und (nicht nur käuflichen) Medien unterstützt und forciert. Um 1900 klangen die hoffnungsfrohen Aussagen von Wandel, Reform und Transformation vielfach ähnlich wie heutzutage, die „wir“ immer noch um Antworten angesichts von Alkoholmissbrauch, globaler Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung ringen. Wir sind nur neue Hamster im alten Rad.

Dieser Beitrag ist der zweite von insgesamt vier Artikeln, in denen ich der Geschichte des alkoholfreien Bieres empirisch fundiert untersuche. Am Anfang stand eine Arbeit zum „Original alkoholfreien Bier“ des sächsisch-fränkischen Brauers Valentin Lapp (1856-1908). Damit wurde in der Tat Neuland betreten, auch wenn dieses kräftig schäumende und fast alkoholfreie Produkt nur von 1896 bis 1905 verkauft wurde. Der Ihnen vorliegende Artikel wird sich am Beispiel von Hopkos mit den nichtalkoholischen Kunstgetränken beschäftigen, die das Idealbild eines wirklichen Bierersatzes nutzten, um hochverarbeitete Markenartikel anzubieten, die einzig Trugbilder eines solchen Substituts waren. Im dritten Artikel wird es um das alkoholfreie Bier Trinkmit der Bochumer Schlegel-Brauerei gehen, um neuartige Marktchancen, die auch Alkoholproduzenten durch die Verbreiterung des Getränkemarktes erhielten. Viertens schließlich werden diese drei Beispiele in den breiten Kontext der Neugestaltung der deutschen Trinkkultur um die Jahrhundertwende gestellt werden, die ein treffliches Spiegelbild der laufenden Versuche sind, „unsere“ heutige Ernährung fundamental umzugestalten.

Britische Ursprünge – Hopkos und Gingerbeer

Der Begriff „Hopkos“ führt erst einmal ins England der 1890er Jahre. John Abbey, Sekretär der Church of England Temperence Society in Norwich, hatte in den späten 1880er Jahren in zahlreichen Pamphleten mannhaft gegen die Trunksucht der Arbeiter, insbesondere aber der Landarbeiter agitiert. Wohlbegründet verwies er auf den durch Alkohol bewirkten körperlichen und geistigen Verfall, auf die Gefahren für das Familien- und Berufsleben, auf die persönlichen und volkswirtschaftlichen Kosten (John Abbey, Thoughts for Working Men, London 1889). Doch er wusste offenkundig um die begrenzte Wirksamkeit moralischer Appelle. 1891 bot er daher auch praktische Anregungen, präsentierte Rezepte von drei griffig benannten alkoholfreien Sommergetränken: Stokos wurde aus Haferflocken, Zucker und geschnittenen Zitronen zubereitet, Cokos war ein Mischgetränk aus Haferflocken, Kakao und Zucker. Hopkos schließlich bestand aus Hopfen, Ingwer und Zucker, der namensgebende Hopfen konnte auch durch getrockneten Andorn ersetzt werden. Abbey verwies stolz darauf, dass das alkoholfreie Trio “quite popular with the crop-gatherers of 1892” geworden sei (Three Temperance Beverages, Journal of the American Medical Association 23, 1892, 677). Die Anglikaner griffen den Vorschlag auf, popularisierten ihn, Mitglieder berichteten von einer schmackhaften und erfrischenden Alternative zum schweren Porter, zum dunklen Ale: „‚That is good!‘ ‚This is better than ale!’ ‘This is something to work upon!’ ‘I should like a recipe of this!’” (C.E.T.S Work at the Rotts. Agricultural Show, Southwell Diocesan Magazine 6, 1893, 107-108, hier 108). Auch Spottgedichte über die neuen alkoholfreien Billiggetränke wurden geschrieben, auch sie halfen Stokos, Cokos und Hopkos weiter zu popularisieren.

Spottgedicht auf die Mäßigkeitsgetränke – Hopkos war billig und wirksam (Fun 53, 1891, 250)

Die Rezepte verbreiteten sich rasch über England hinaus, fanden sich in den USA, im britischen Empire (Items of Interest 15, 1893, 561; American Analyst 9, 1893, 157; Hawaiian Gazette 1893, Nr. 43 v. 24. Oktober, 4; The Cultivator & Country Gentleman 58, 1893, 661; The War Cry 4, 1898, Nr. 2, 12; Hildagonda J. Duckitt, Hilda’s Diary of a Cape Housekeeper, London 1902, 234 (Südafrika); Pearsons’ Weekly 1904, Nr. 735 v. 18. August, 118; ebd. 1905, Nr. 784 v. 27. Juli, 62; W.H. Simmonds, The Practical Grocer, Bd. 4, London 1909, 190; Everything a Lady should know, 26. Aufl., hg. v. George B. Philip & Son, Sydney s.a. [1923-24], 69 (Australien)). Stokos, Cokos und Hopkos etablierten sich, wurden die Rezepte doch immer wieder in Zeitungen und Zeitschriften reproduziert, fanden ihren Platz in gängigen Kochbüchern. Auch in Europa gab es beträchtlichen Widerhall; die Sommergetränke ließen sich zudem in den „Tropen“, also den europäischen Kolonien, häuslich zubereiten (De Baanbreker 10, 1911, Ausg. v. 12. August, 4).

Die drei Nichtalkoholika fanden auch rasch den Weg nach Österreich-Ungarn und ins Deutsche Reich, wo der Anteil der Landarbeiter deutlich höher lag als im Stammland der Industrialisierung (Englische Sommergetränke, Neueste Erfindungen und Erfahrungen 18, 1891, 514-515; dass., Die Fundgrube 19, 1892, 577). Dort versuche man zeitgleich, den paraguayischen Mate-Tee einzuführen (Maté als Getränk für Landarbeiter, Das Land 3, 1894/95, 313-314). Die neuen englischen Rezepte boten ergänzende Optionen, forderten aber angesichts der noch holz- und kohlenbefeuerten Herde Hausfrauen, Köchinnen und Dienstbotinnen: „Hopkos: 25 g Hopfen und 15 g gepulverter Ingwer werden 25 Minuten hindurch in 6,75 l Wasser gekocht, dann setzt man zur Flüssigkeit 500 g Rohrzucker, kocht weitere 10 Minuten, seiht das Getränke [sic!] durch ein sauberes leinenes Tuch und füllt den Hopkos auf die Flasche“ (Josef Bersch, Chemisch-technisches Lexikon, Wien, Pest und Leipzig 1893/94, 251).

Stokos, Cokos und Hopkos standen Anfang der 1890er Jahre für eine große Zahl in den deutschen Landen bekannten und vornehmlich im Norden auch getrunkenen „englischen“ Getränken, von denen das Ginger Beer, das Ingwerbier, sicherlich das bekannteste war. Ähnlich wie Hopkos wurde es lange häuslich hergestellt. Dazu mischte und verkochte man Ingwer etwa mit Zucker, Limonensaft und Eiweiß, mengte Honig und Zitronenöl hinzu, füllte die Masse dann nach vier Tagen Lagerung ab (Die Reform 1863, Nr. 102 v. 26. August, 2). In Großbritannien, vornehmlich in Nordengland und Schottland gab es schon längst ein breit gefächertes Angebot, mehr als tausend Markennamen zeugten von einem beträchtlichen kommerziellen Erfolg. Die Hausbrauerei wurde parallel von vorgefertigten Extrakten aus Hopfen, Kräutern, zunehmend aber auch Essenzen, ätherischen Ölen, Aromen, Süß- und Farbstoffen, umgestaltet (John Burnett, Liquid Pleasures. A Social History of Drinks in Modern Britain, London und New York 1999, 97). Derartige Bierpulver hatten auch im Zollvereinsgebiet die chemisch-technische Modernisierung der Brauerei begleitet, und angesichts etwa des „Berliner Bierpulvers“ der Firma Grüne & Co. unkten Zeitgenossen schon zur Jahrhundertmitte, mit „der Bierbrauerei scheint’s zu Ende zu gehen“ (Westfälische Zeitung 1859, Nr. 167 v. 17. Juli, 2). Diese Vorhersage war verfrüht, die Bierpulver verschwanden rasch, kamen in den späten 1890er Jahren jedoch neuerlich auf, ermöglichten unmittelbar nach der Jahrhundertwende auch breit beworbene Do-it-yourself-Aktivitäten der vor allem im Spirituosenbereich boomenden Essenzenindustrie.

Ingwerbier als Medizinalgetränk (Central-Volksblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg 1891, Nr. 27 v. 4. März, 4)

Schon seit Anfang 1890er Jahre, parallel mit dem englischen Hopkos-Rezept, erweiterte sich auch das Angebot von Ingwerbier. Vor allem die in Kassel ansässige Firma Dr. G. Hilgenberg Nachf., Ende 1878 vom Chemiker Gustav Hilgenberg als Mineralwasserfabrik und Laboratorium gegründet (Deutscher Reichsanzeiger 1879, Nr. 5 v. 7. Januar, 4), praktizierte Konsumgütertransfer. Ingwerbier war damals vornehmlich anonyme Apothekerware. Ingwersirup wurde mit Weinsäure und Zuckercouleur versetzt, das schaumige Getränk erinnerte farblich durchaus an Bier (G. Schneider, Alkoholfreie Getränke, Deutsche Apotheker-Zeitung 18, 1903, 794-796, hier 796). Hilgenbergs Firma wurde 1885 vom Kasseler Apotheker Ludwig Scherff (1836-1899) übernommen, der neben Ginger Beer dann auch weitere „alkoholfreie Biere“ produzierte (Wiesbadener Fachausstellung für das Hotel- und Wirtschaftswesen, Wiesbadener General-Anzeiger 1896, Nr. 184 v. 8. August, 1). 1896/97 präsentierte er im Rahmen zahlreicher Ausstellungen alkoholfreies Bockbier, Ale und vor allem Bassara. Bier wurde nach dem Brauen der Alkohol entzogen und Kohlensäure zugesetzt. Das auch als Exportgetränk gedachte Bassara enthielt aus England importierte Pflanzenauszüge, das Rezept aber wurde geheim gehalten. Das schien ein Erfolgsgarant zu sein: “Es ist kaum zu bezweifeln, dass die Getränke bei dem immer mehr an Terrain gewinnenden Streben nach Heilung auf ‚naturgemässe‘ Art, eine grosse Zukunft haben, und es wäre wohl angebracht, wenn die deutschen Apotheker versuchten, den Debit dieser Getränke ihrem Handverkauf zu sichern“ (Pharmazeutische Zentralhalle für Deutschland 38, 1897, 558).

Zwischen Bier und Brause: Werbung für Ingwerbier und Ingwerbier-Extrakte (Neues Tagblatt und Generalanzeiger für Stuttgart und Württemberg 1897, Nr. 136 v. 15. Juni, 14 (l.); Leipziger Tageblatt 1900, Nr. 273 v. 31. Mai, 4487)

Ingwerbier war aus heutiger und auch aus damaliger Sicht gewiss kein Bier, denn es war nicht gebraut worden, hatte keine Gärung durchlaufen. Es wurde dennoch als „alkoholfreies Bier“ beworben (Geschäftsblatt für den obern Teil des Kantons Bern 1899, Nr. 40 v. 20. Mai, 4). Noch gab es keine verbindlichen Definitionen der neuen Produkte, noch herrschte die Setzungsmacht der Anbieter. Die Brauer protestierten gegen derartige Anmaßungen, seien doch Bier und Wein zwingend alkoholhaltig. Auch Abstinente stimmten dem zu: „Diese Getränke verdanken nur der Rücksicht auf die Trinksitte ihren Ursprung und sind nichts als eine lächerliche Nachahmung des Bieres, ohne irgend einen besonderen Vorzug zu besitzen, der ihre Bierform entschuldigen könnte. Sie zeigen nur, wie schwer es den Menschen wird, sich sogar von der Form des Bieres, von dem braunen, schäumenden Getränk, ganz zu trennen, und müssen von der Abstinenzbewegung rücksichtslos abgelehnt werden“ (Georg Keferstein, Ueber die alkoholfreien Getränke, Der Alkoholismus 3, 1902, 266-290, hier 273). Die federführenden Mäßigen aber sahen in derartigen alkoholfreien Bieren ein wichtiges Brückenangebot, konnte man doch dem Alkohol entsagen, ohne mit seinen Trinkgewohnheiten strikt zu brechen.

Der technische Fortschritt schien zudem immer bessere, auch geschmacklich zusagende Angebote zu ermöglichen. Neben die Ingwerbiere traten Ingwerbierkonzentrate, ermöglichten rasch zuzubereitende, brausende und alkoholfreie Erfrischungen. Neue Bierpulver folgten: „Man schüttet einfach einen Eßlöffel der köstlichen Substanz in ein Glas Wasser, und der besiegte Bacchus […] verhüllt sich klagend das Haupt“ (Das Bierpulver!, Bonner Volkszeitung 1901, Nr. 224 v. 7. Juli, 9). Gewiss, noch war der Geschmack gewöhnungsbedürftig, doch grundsätzlich konnte das Trinken so auch billiger werden. Ernst Kochs Bier-Extrakt versprach alkoholfreies Bier für vier Pfennig pro Liter (Vorwärts 1901, Nr. 135 v. 13. Juni, 8). Die neuen Produktbezeichnungen unterminierten allerdings die bestehende Sprache, unterminierten zugleich die Sprache des Rechts. Ein Speisewirt lockte Kunden mit einem unentgeltlichen alkoholfreien Bier, das er „durch Auflösen von Pillen in Wasser herstellte“. Er wurde daraufhin wegen einer fehlenden Schankkonzession letztinstanzlich zu einer Geldstrafe verurteilt (Schankwirtschaft und Zuckerwasser, Kölnische Zeitung 1903, Nr. 446 v. 25. Mai, 1). Damit fügte man neue Kunstgetränke ungewollt in den Reigen des Bestehenden ein.

Intermezzo: Alkoholfreie Biere vor der Gründung der American German „Hopkos“ Company 1903

Die englischen Getränke waren alkoholfrei und wurden seit 1896 auch vermehrt als „alkoholfreie Biere“ vermarket. Deren Erfindung und Etablierung im Deutschen haben wir bereits am Beispiel des „Original alkoholfreien Bieres“ von Valentin Lapp genauer analysiert. Für unsere Analyse des neuen Hopkos sind vier Aspekte festzuhalten:

Auch wenn der Begriff des „alkoholfreien Bieres“ vereinzelt schon Mitte der 19. Jahrhunderts nachweisbar ist und – zumeist mit Bezug auf England – sich seit den späten 1880er Jahren langsam einbürgerte, handelte es sich erstens doch um ein Lehnwort einer technischen Innovation des Schweizer Önologen Hermann Müller-Thurgau (1850-1927). Er pasteurisierte frisch gepresste Fruchtsäfte bei 60-70 °C, ermöglichte dadurch sterile, nicht weiter vergärende Fruchtsäfte. Sie wurden seit 1896 mit breiter Unterstützung von Alkoholgegnern als „alkoholfreie Weine“ vermarktet. Das war sprachliches Neuland, an sich widersprüchlich, zeigte jedoch die Absicht, den Kampf gegen den alten alkoholischen Wein auch praktisch aufzunehmen. In den Anzeigen wurde daher nie nur das Fehlen des Alkohols vermerkt, sondern immer auch die mit der neuartigen Verarbeitung einhergehenden Vorteile, zumal den aufgrund des gestoppten Abbauprozesses höheren Nährwert.

Werbung für Müller-Thurgaus neu entwickelte „alkoholfreien Weine“ (Schweizer Frauen-Zeitung 18, 1896, Nr. 44, Beil., 4)

Müller-Thurgau richtete zweitens das Augenmerk der Ingenieure und Tüftler auf neue Technologien, um auch das Bier alkoholfrei zu machen. Grundsätzlich wurden seit 1895/96 drei Verfahren angewandt: Erstens folgte man dem Schweizer Vorbild, destillierte den Alkohol kunstvoll ab, frischte das Gebräu dann mit Kohlensäure auf. Ein solches Verfahren ließ sich der Chemiker, Lebensreformer, Konserven- und Fruchtsafthersteller Walther Nägeli (1851-1919) 1896 patentieren. Dieser Rechtsakt bedeutete die grundsätzliche Akzeptanz des neuen Begriffs „alkoholfreies“ Bier, gegen den nicht nur die Brauerlobby seit 1898 durchaus erfolgreich Sturm lief. Nägelis Frada-Bier hatte allerdings nur geringen Erfolg, seine Marktpräsenz blieb gering. Zweitens wurde die Bierwürze nicht weiter vergoren, auf eine Gärung also verzichtet. Dem Sud wurde Diastase und auch Hopfen zugefügt, alles zentrifugiert, gefiltert und mehrfach mit Kohlensäure imprägniert. Diesen Weg wählte Valentin Lapp für sein „Original alkoholfreies Bier“, für ein Jahrzehnt der wichtigste Vertreter der neuen Getränkesorte. Beide Verfahren waren aufwändig, erforderten hohe Investitionen. Deshalb begannen drittens insbesondere Apotheker und Mineralwasserfabrikanten an ihre recht simple Technik anzuknüpfen. Ein Mineralwasserapparat erlaubte die Imprägnierung einer Flüssigkeit mit Kohlensäure, zentral für Textur und mundkitzelnde Frische. Anstelle von Wasser konnte man auch Fruchtsäfte sättigen, ebenso Mixturen von Wasser, Malz- und Hopfenextrakten. Das perlende Getränk konnte anschließend mit Süß- und Farbstoffen oder auch Zucker weiter modifiziert werden. Diese dritte Variante hatte den Vorteil geringerer Fixkosten, einfachen Maschineneinsatzes und einer variantenreichen Ausgestaltung des Geschmacks. Der Unterschied zu den damals insbesondere für Kinder und Frauen vermehrt produzierten farbig-grellen und pappig-süßen Brauselimonaden war allerdings gering. Im Gegensatz zu den ersten beiden Verfahren bestand außerdem die Gefahr einer fortgesetzten Gärung. Der kurz nach Hopkos in Hamburg auf den Markt gebrachte Hansatrunk hatte beispielsweise 1,44 Prozent Alkohol (Pharmaceutische Praxis 6, 1907, 152) – und war Teil langwieriger Debatten über Grenzwerte und die Redlichkeit der Hersteller.

Wabernde Begriffe: Alkoholfreier „Hansatrunk“ – mit 1,44 Prozent Alkoholgehalt (Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 130 v. 5. Juni, 27)

Drittens waren alkoholfreie Biere nicht nur Reflex auf eine schnelle Mark, auf die Marktchancen der Jahrhundertwende. Sie materialisierten zugleich Forderungen der Mäßigkeitsbewegung nach positiven Hilfsmitteln im Kampf gegen Trunksucht und Alkohol. Alkoholfreies Bier würde die modernde Hast, die modernde Nervosität reduzieren, würde auch die randständige Position der Enthaltsamen verringern. Einmal entwickelt, würde es sich im Lebenskampf durchsetzen: „Wo es Enthaltsame giebt, stellt sich auch bald alkoholfreies Bier und alkoholfreier Wein ein“ (Matthaei, Die Erhöhung der Kriegstüchtigkeit eines Heeres durch Enthaltung vom Alkohol, Der Alkoholismus 1, 1900, 164-184, hier 174). Die großenteils bürgerliche, von protestantischen Pfarrern, Lehrern und Notablen geprägte Bewegung erschien nicht nur als sicherer Nischenmarkt, sondern auch als ein Bundesgenosse für nichtkommerzielle Werbung und Verbreitung. Wirklich „alkoholfreie“ Biere konnten vielleicht auch die schwelenden Konflikte zwischen den bier- und weintrinkenden Mäßigen und den Abstinenten befrieden. Das galt selbst für Nahrungsmittelchemiker. Bernard Carl Niederstadt, Hamburger Chefkontrolleur, empfahl Hopkos nicht nur aufgrund seiner stofflichen Zusammensetzung, sondern auch, „da der Alkohol größere Verheerungen anrichte“ (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 110 v. 12. Mai, 13). Dies wurde von den Produzenten des neuen Bierersatzes unmittelbar verwertet: „Hopkos ist keine schwächliche Limonade, sondern ein bierähnliches, aber alkoholfreies Getränk. Als Kampfmittel gegen den Alkohol unvergleichlich!“ (Hamburger Echo 1903, Nr. 166 v. 19. Juli, 10)

Alkoholfreie Biere etablierten sich seit 1896 im Flaschenbierhandel, langsam auch in den alkoholfreien Cafés und Gaststätten, mochte ihr höherer Preis von den sparsamen Bürgern auch stets moniert werden. Wichtiger bleib viertens aber der ungewohnte Geschmack. Selbst in der Krankenkost urteilten einzelne Ärzte apodiktisch-ablehnend: „Die neuerdings hergestellten ‚alkoholfreien Biere‘ sind wegen ihres schlechten Geschmackes untrinkbar“ (Carl Wegele, Die diätetische Küche für Magen- und Darmkranke, Jena 1900, 18). Süße Bierersatzgetränke mochten davon weniger betroffen sein, doch seitens des Alkoholhandels hieß es immer noch selbstbewusst: „Alle Surrogate und Ersatzmittel für Alkohol erscheinen völlig wirkungslos. Kohlensaure Malzwürze, als alkoholfreies Bier getrunken, ist so wenig Bier, wie eine Brauselimonade ein Champagnerwein sein kann“ (Wattenscheider Zeitung 1904, Nr. 297 v. 28. Dezember, 3). Hopkos wurde folgerichtig als wohlschmeckender alkoholfreier Bierersatz angeboten.

Die American German Hopkos Company und der moderne Touch der Amerikanisierung

Warenzeichen der American German „Hopkos“ Company (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 256 v. 30. Oktober, 12)

Die „American-German Hopkos Company mit beschränkter Haftung“ wurde am 14. Januar 1903 ins Hamburger Handelsregister eingetragen, der Gesellschaftsvertrag war am 3. Januar abgeschlossen worden (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 25 v. 16. Januar, 5; Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 14 v. 17. Januar, 12). Gegenstand des Unternehmens war „die Einrichtung von Fabriken zur Herstellung des alkoholfreien, kohlensäurehaltigen, in Amerika erfundenen und unter dem Namen ‚Hopkos‘ geschützten Getränkes zum Ersatz für helle und dunkle Biere, der Vertrieb dieses Getränkes sowie die Eingehung aller mit diesem Gesellschaftszwecke zusammenhängenden Geschäfte“ (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 14 v. 17. Januar, 13). Das Stammkapital betrug 59.000 M, von den Gesellschaftern wurden nur zwei namentlich erwähnt: Der Magdeburger Unternehmer Theodor Freytag brachte Hopfen und Malzextrakt im Wert von 1250 M ein, die Weißenburger Handelsgesellschaft M. & G. Weid Maschinen im Wert von 1000 M, erhielt aber zugleich eine ungenannte Barauszahlung. Geschäftsführer wurden die beiden Kaufleute Otto Karl Heinrich Schorre und Hermann Friedrich Hannesen. Das oben abgebildete Warenzeichen war bereits am 2. Januar beantragt worden, der vor einer aufgehenden Sonne flügelschlagende Adler hielt die deutsche und die US-amerikanische Fahne in seinen Klauen. Viel Pathos angesichts einer „Limonadenfabrik“, die ein „alkoholfreies, limonadenähnliches Getränk“ produzieren wollte.

Der Firmennamen und das prangende Signet machen stutzig. Schließlich hat uns die Geschichte des Landarbeitergetränks „Hopkos“ nach England geführt, ebenso die Ingwerbiere und Bierextrakte. Doch noch Jahre nach dem Konkurs der Firma hieß es so lapidar wie selbstverständlich: „Hopkos ist ein aus Amerika eingeführtes, alkoholfreies Getränk, das aus Extrakten hergestellt wird“ (Heinrich Timm, Limonaden und alkoholfreie Getränke, Wien, Pest und Leipzig 1909, 165). Trotz emsiger Recherche gibt es jedoch keinen Beleg für diese Kommerzlegende, keine einschlägigen Patente, keine beim späteren Konkurs bevorzugten Zahlungen an Erfinder oder Lieferanten in der neuen Welt. Dennoch machte dieses auch offiziell verbreitete Narrativ wirtschaftlich Sinn. Mit dem globalen Hegemon Großbritannien befanden sich deutsche Kaufleute im Wettbewerb, ebenso die der zweiten Flügelmacht, der aufstrebenden Vereinigten Staaten. Hamburg war zwar Einfuhrplatz englischer Waren, galt als Hort englischer Ideen und Konsummuster. Bei Hopkos aber ging es um den Weltmarkt, um eine gemeinsame Anstrengung der beiden Herausforderer gegen den Hegemon. Amerika war nicht mehr länger das Land der Freiheit und neuer Chancen, in das bis 1914 insgesamt 5,5 Millionen Deutsche auswanderten, um ein besseres Leben zu führen. Es war auch ein Land neuer praktischer Massenprodukte; und diesen Anspruch sollte das neue Hopkos materialisierten. Entsprechend stellte man „American“ vor „German“ – als einzige deutsche Firma vor 1945.

Die amerikanische Invasion im Konsumgütersektor (Der Wahre Jacob 18, 1901, 3553; Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 345 v. 26. Juli, 8)

Die schutzzollbewehrte US-Wirtschaft galt bis in die 1870er Jahren vorrangig als Agrarexporteur, dessen billigen Weizen, Kühl- und Gefrierfleisch, hochwertiges Obst und Gemüse das Deutsche Reich mit Zöllen und Hygienevorschriften begrenzte (vgl. Uwe Spiekermann, Dangerous Meat? German-American quarrels over Pork and Beef, 1870-1900, Bulletin of the German Historical Institute 46, 2010, 93-110). Zunehmend traten aber auch preiswerte massenproduzierte Gebrauchsgüter hervor, etwa Nähmaschinen oder Klaviere. Die Deutschen führten dies lange auf die rührige Exporttätigkeit deutscher Auswanderer und ihrer Söhne zurück – etwa Isaac Merritt Singer (1811-1875) oder Heinrich Engelhard Steinway (1797-1871) –, verstanden aber nicht, dass sich Massenproduktion und hohe Qualität nicht zwingend ausschlossen. Dabei unterstrichen die US-Exporterfolge etwa im Bereich der Elektrotechnik und der Unterhaltungsindustrie, dass die deutsche Wirtschaft dem Hegemon Großbritannien zwar wirtschaftlich zusetzte, dass sie parallel aber unter Druck aus Übersee geriet. Selbst deutsches Bier wurde in den 1890er Jahren von US-Bier in globalen Drittmärkten erfolgreich be- und verdrängt (Stefan Manz und Uwe Spiekermann, Making Food Empires. German Technology and Global Mass Production, 1870-1914, Oxford 2026 (i. E.), Kap. 7 und 8).

US-Einflüsse auf die Trinkgewohnheiten: American Bars und Cocktails (Jugend 8, 1903, 89)

Hopkos, so meine nicht sicher zu belegende These, Hopkos wurde von den deutschen Eignern bewusst (und wahrheitswidrig) als amerikanische Innovation präsentiert, denn so konnten sie auf einer Erfolgswelle schwimmen, die seit der Jahrhundertwende nicht mehr zu ignorieren war: Billige amerikanische Haushalts- und Fitnessgeräte, Uhren und Petroleumlampen, Rechen- und Schreibmaschinen, Schuhe und Fahrräder fanden ihren Weg ins Reich, Kosmetika, Modeschmuck, Korsetts, Füllfederhalter und natürlich Kodak-Fotoapparate wären zu ergänzen. Nicht nur Karl May schuf Bilder des Wilden Westens, sondern auch der exportierte Buffalo Bill oder die gefeierten Schaustellungen von Barnum & Bailey, dem größten Zirkus der Welt. Gleichermaßen verbreiteten sich verarbeitete Nahrungsmittel, Frühstückcerealien wie Quaker Oats, Reformwaren von John Harvey Kellogg oder Maizena Maisprodukte. Die Hafenstadt Hamburg war dabei vielfach der Ausgangspunkt für die Eroberung des deutschen Marktes, etwa beim zeitgleich vermarkteten Nährmittel Force (Hannoverscher Courier 1903, Nr. 24199 v. 27. Januar, 4; Schwäbischer Merkur 1903, Nr. 91 v. 25. Februar, 10). Auch wenn die Deutschen amerikanische Limonaden und Temperenzgetränke kaum schätzten, waren diese in den US-amerikanischen Kolonien in den Großstädten durchaus gängig. Hopkos schloss an all das an, ihre Macher wollten davon profitieren.

Erträge durch angewandte Wissenschaft und Technik. Die „Macher“ von Hopkos

Meine Skepsis gegenüber den amerikanischen Ursprüngen des alkoholfreien Getränkes resultiert auch aus genaueren Informationen über die führenden Repräsentanten der neuen American-German Hopkos Company. Es handelte sich fast durchweg um junge, hochqualifizierte Naturwissenschaftler und Kaufleute, die den Märkten ihrer Zeit mit neuen Konsumgütern, mit massenfabrizierten Markenartikeln, ihren Stempel aufdrücken wollten. Schauen wir uns also die Riege quirlig begabter Herren näher an.

Theodor Freytag war nicht ohne Bedacht der erstgenannte Gesellschafter. In Magdeburg ansässig, war er gewissermaßen der „Erfinder“ von Hopkos, hatte er doch bereits am 20. September 1900 das einschlägige Warenzeichen beantragt, das ihm am 10. November 1900 dann erteilt wurde. Er dürfte zuvor von den drei englischen Temperenzgetränken gehört haben, noch 1905 sicherte er sich das erinnernde Warenzeichen Storkos (Warenzeichenblatt 1906, 49). Das Hopkos-Warenzeichen wurde allerdings erst am 25. Juli 1903 auf die Hamburger Hopkos Company übertragen (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 178 v. 31. Juli, 8). Das deutsche Hopkos hatte mit dem englischen Getränk einzig den Namen gemein.

Das offizielle Hopkos-Warenzeichen (Deutscher Reichsanzeiger 1900, Nr. 291 v. 7. Dezember, 12)

Theodor Freytag war Fabrikant von alkoholfreien Erfrischungsgetränken. Seine Magdeburger „Frucht-Sirup- und Essenzen-Fabrik“ (Deutscher Reichsanzeiger 1909, Nr. 86 v. 13. April, 56), seine „Dampf-Fabrik ätherischer Öle, Essenzen, Fruchtsaftpresserei“ (Adressbuch für Magdeburg 1910, T. I, 73) koppelte die Errungenschaften der modernen Chemie, der weltweit führenden deutschen Aromenindustrie, mit dem Marktbedarf kohlensäurehaltiger alkoholfreier Markenartikel. Während er in Magdeburg nur für einen überschaubaren regionalen Markt produzierte, sollte Hopkos ein Weltgeschäft werden. Dazu aber bedurfte es Partner.

Auszüge aus Theodor Freytags wachsender Palette der immergleichen neuen Produkte (Deutscher Reichsanzeiger 1904, Nr. 43 v. 19. Februar, 13 (o.); ebd., Nr. 219 v. 16. September, 11)

Die Handelsgesellschaft M. & G. Weid lieferte die maschinelle Grundausstattung der Hamburger Firma – und auch der späteren auf Lizenzbasis gegründeten Hopkos-Filialen. Sie war, abseits ihres eigentlichen Handelsgeschäfts, seit 1896 in einem Wachstumsmarkt tätig, produzierte immer wieder verbesserte Mineralwasserapparate zur selbsttätigen Abfüllung in Flaschen (Bonner Volkszeitung 1896, Nr. 28 v. 25. Januar, 3). Schon 1900 offerierten die beiden in Weißenburg im Elsass ansässigen Kaufleute reichsweit eine „Anleitung und Rezepte zur Selterswasser-, Brauselimonade-, Schaumwein- etc. Fabrikation“ (Hamburger Echo 1900, Nr. 64 v. 17. März, 8; Hamburger Neueste Nachrichten 1900, Nr. 65 v. 18. März, 14; Lippische Landes-Zeitung 1900, Nr. 64 v. 16. März, 3; Badische Presse 1900, Nr. 64 v. 17. März, 7). Der Wachstumsmarkt karbonisierter Getränke lockte, unbedingt alkoholfrei mussten diese allerdings nicht sein. Mit „Weids Ideal“ verkauften M. & G. Weid seit 1902 einen neuen Apparat, mit dem Wasser „ohne Fachkenntnisse“ mit Extrakten und Kohlensäure versetzt werden konnte. Seine Tagesproduktion lag bei 500 bis 1000 Flaschen. Eine derart bereitete Flasche Mineralwasser kostete einen Pfennig, Brauselimonaden zwei bis drei Pfennige. Schaumwein resp. Milchsekt dürften etwas teurer gewesen sein (Der Schwarzwald 14, 1902, Nr. 17, 15). Durch diesen Apparat konnte man auch Hopkos preisgünstig herstellen, konnte die damals recht hohen Handelsspannen der preisgebundenen Markenartikel problemlos tragen, zugleich einen hohen Gewinn erzielen. Die Einrichtung und die Vertragsverhandlungen forderten Präsenz in Hamburg, entsprechende Übernachtungen der Weids in Hamburger Hotels sind nachweisbar (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 4 v. 6. Januar, 8; ebd., Nr. 40 v. 17. Februar, 8; ebd., Nr. 82 v. 7. April, 20).

Preiswerte Technik für die neue alkoholfreie Getränkewelt (Der Schwarzwald 14, 1902, Nr. 17, 15)

Über die beiden Geschäftsführer ist weniger bekannt. Otto Karl Heinrich Schorre war Mitinhaber der im Jahr zuvor gegründeten nicht näher spezifizierten offenen Handelsgesellschaft Schorre & Co. (Hamburgischer Correspondent 1902, Nr. 279 v. 18. Juni, 4). Diese kümmerte sich um ein erstes werbeträchtiges Hopkos-Plakat, eventuell auch um weitere Werbeklischees (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 37 v. 12. Februar, 29). Ebenso greifbar war das Interesse an marktgängigen Konsumgütern. Schorre & Co. agierte 1904 als Generalagentur von Kummers Kuchen, einer neuen fertigen Kuchenmasse.

Neue Sensationen: Backmischung für willige Hausfrau (Hamburger Echo 1904, Nr. 118 v. 21. Mai, 12 (l.) Warenzeichenblatt 1904, 828)

Derartige Backmischungen kamen damals neu auf, Kummers Kuchen entstammte der Berliner Fabrik von Heinrich Stern (Berliner Tageblatt 1904, Nr. 617 v. 4. Dezember, 47). Sie etablierten sich rasch, basierten auf billigen und gelingsicher vermischten Zutaten. Da der zweite Geschäftsführer zuvor kaum hervorgetreten war – Hermann Friedrich Hannesen agierte lediglich als Liquidator einer Kaffee-Import-Firma (Hamburger Fremden-Blatt 1902, Nr. 89 v. 17. April, 10) – können wir zum anfangs nicht genannten Eigentümer der Hamburger Hopkos Company übergehen, dem Chemiker Bruno Friling (1870-1934). Sein Name zierte von Januar bis April alle Hamburger Hopkos-Anzeigen (Hamburger Nachrichten 1903, Nr. 47 v. 29. Januar, 8), ehe er sich dann auf das wohl lukrativere Feld der Backmischungen konzentrierte.

Eine sichere Sache: Frilings fertige Kuchenmasse „Backe bequem“ (Hamburger Fremdenblatt 1904, Nr. 148 v. 26. Juni, 23)

Doch der Reihe nach: Peter Julius Bruno Friling wurde im August 1899 mit einer Dissertation „Ueber β-Benzylisochinolin“ promoviert, interessierte sich also für Alkaloide des Schlafmohns – und wohl auch für die damals aus den Naturstoffen gewonnenen opiatbasierten Medikamente, die als Schmerz- und Schlafmittel einige Zeit freudig-unschuldig eingesetzt wurden. Nicht nur Cannabis war damals frei käuflich. 1901 wurde der junge Chemiker Prokurist bei Möller & Linsert, einer Hamburger Fabrik chemischer und pharmazeutischer Präparate, verließ diese aber Ende August 1902 (Hamburger Fremden-Blatt 1902, Nr. 13 v. 16. Januar; Hamburgischer Correspondent 1902, Nr. 411 v. 3. September, 5). Über seine anschließenden geschäftlichen Beziehungen zu Hopkos konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Friling, der schon parallel zur Hopkos-Etablierung eine eigene Kommanditgesellschaft gegründet hatte, beantragte Ende Juli 1903 jedenfalls das Warenzeichen seiner neuen Backmischung, das unter dem Markennamen „Backe bequem“ ein kommerzieller Erfolg wurde (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 49 v. 30. Januar, 6; Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 304 v. 29. Dezember, 12). Der Begriff zeugt von einer genauen Kenntnis der damaligen Werbesprache, in der aktivierende Slogans modisch waren: „Werde gesund“ war die Dachmarke einer Berliner Fabrik heilgymnastischer Apparate; und das den Kaiserbart festigend-stützende Bartbindenwasser „Es ist erreicht“ des Hoffriseurs Francois Haby (1861-1938) wurde gar zu einem häufig karikierten Signet der wilhelminischen Gesellschaft (Lustige Blätter 18, 1903, Nr. 19, 13; ebd., Nr. 1, 20). „Backe bequem“ enthielt, wie Hopkos, nur „beste Zutaten“, stand unter chemischer Kontrolle und ermöglichte acht verschiedene Kuchensorten zu relativ billigem Preis. 1906 siedelte die von Friling gegründete Nährmittelfabrik schließlich nach Berlin über (Hamburger Correspondent 1904, Nr. 174 v. 29. Januar, 5; Gordian 12, 1906/07, 697-698).

Unternehmen Handelschemie: Vorstellung von Carl Enochs Chemisch-hygienischem Institut (Hamburger Adressbuch 1893, Werbung, 19)

Ein „Macher“ fehlt noch. Carl Enoch (1866-1922) überwachte die Produktion von Hopkos, hatte zudem ein werbeträchtig ausgeschlachtetes Gutachten über dessen chemische Zusammensetzung erstellt. Enoch hatte im Laboratorium von Emil Fischer (1852-1919) in Würzburg gearbeitet, promovierte 1890 unter Leitung von Julius Tafel (1862-1918) in Erlangen über Säureamide. Er wechselte anschließend als Assistent an das Prager Hygienische Institut unter Ferdinand Hueppe (1852-1938), einem führenden Hygieniker, zugleich Eugeniker, Abstinenter, Antisemit und später auch erster Vorsitzender des Deutschen Fußball-Bundes. Der jüdische Chemiker Carl Enoch zog rasch nach Hamburg weiter, wo er 1892 ein Chemisch-hygienisches Institut gründete (F.W. Eitzen, Hamburger Börsenfirmen im Jahre 1898, Hamburg und Berlin s.a. [1898], 116). Mit ambivalenten Marktangeboten kannte er sich bald aus, teilte er doch die Geschäftsadresse mit der Vertriebszentrale des Malzextraktproduzenten M. Hoff, ehe er mit seinem Laboratorium 1900 umzog.

Enoch war ein erfolgreicher Unternehmer, zugleich ein glänzender Wissenschaftler, 1900 zum Ehrenmitglied der Londoner „Society of Biological Chemistry” gewählt (Hamburgischer Correspondent 1900, Nr. 469 v. 6. Oktober, 12). Als einer von knapp zwanzig in Hamburg vereidigten Handelschemikern übernahm er vielfältige Gutachten, bewertete dabei neue Präparate häufig positiv und anbieterfreundlich. Das betraf etwa das zum Brauen geeignete Konservierungsmittel Chinosol, das Haarfärbemittel Gloria-Wasser und das frühe Haarshampoo Javol, nach der Jahrhundertwende das Desinfektionsmittel Vitalin, das pepsinhaltige Magenmittel China-Bitter und die Angebote der Antwerpener General Wine Company. Enoch war ein Mann für das öffentlich vorzeigbare Gutachten, der seinen analytischen Blick kundennah zu begrenzen wusste. Das galt auch für Hopkos. Der weit über Hamburg geschätzte Enoch war zugleich Temperenzler und ein Mann vom Fach. Im Jahre 1900 wurden ihm gleich zwei Patente „zur Herstellung blanker, alkoholfreier Fruchtsäfte“ erteilt (Hamburger Fremden-Blatt 1901, Nr. 286 v. 6. Dezember, 21; ebd. 1902, Nr. 50 v. 28. Februar, 21).

Fasst man diese biographischen Skizzen zusammen, so handelte es sich bei den Machern von Hopkos um wissenschaftlich hochqualifizierte, um zumeist junge aufstiegsorientierte Männer, die ihre Expertise konsumnah nutzten, um gewinnträchtige Markenartikel im Massenmarkt zu etablieren. Obwohl sie sich alle um den neuen Bierersatz Hopkos scharten, besaßen sie sämtlich jedoch genügend Flexibilität und rasch zu erschließende alternative Optionen, um ihr Geschick auch mit anderen ähnlichen Produkten zu versuchen. Die Macher waren an einer schnellen Mark interessiert, nicht an einem spezifischen Produkt, das nur Mittel zum Zweck war.

Zwischen Ingwerbier, alkoholfreiem Bier und Limonade: Was war Hopkos?

Hopkos wurde in Hamburg, aber auch an allen Filialorten als ein neuartiges Getränk fernab gängiger Kategorien angeboten: „Es gleicht den Bieren im Aussehen und Farbe und ist erfrischender, bekömmlicher und äußerst wohlschmeckend“ (Pester Lloyd 1903, Nr. 124 v. 26. Mai, 4). Hopkos war ein karbonisiertes Getränk, ähnlich und doch besser als Bier, farblich erinnerte es an Ingwerbier. Den Anspruch verdeutlichen die unteren Werbezeichnungen. Hopkos wurde in zwei Varianten, als Helles und Dunkles, in kleinen mit aufwändigem Bügelverschluss versehenen Flaschen angeboten. Es stand für die Selbstbehauptung des Menschen angesichts der in der Natur, ja im Menschen selbst stetig stattfindenden Gärung, der scheinbar nicht stillzustellenden Alkoholproduktion. Dies führte zu lebensbedrohlichen Stoffwechselprozessen, zum Abbau, zum frühen, zu frühen Tod. Doch der mannhaft-beherzte Hopkostrinker konnte durch Kauf, konnte durch Konsum diese Gefahr reduzieren, dem Tod ein Schnippchen schlagen.

Den Tod bannen: Werbedarstellung als gesundheitlicher Labetrunk (Frankfurter Zeitung 1903, Nr. 136 v. 17. Mai, 1. Morgenbl., 4; ebd., Nr. 169 v. 20. Juni, 4. Morgenbl., 3 (l. u. r.))

Fernab der Marktsphäre urteilten die Nahrungsmittelchemiker prosaischer, unterminierten den güldenden Glanz des vermeintlich amerikanischen Gesundheitstranks. Der schon erwähnte Bernhard Carl Niederstadt resümierte, dass Hopkos eine Mischung kohlensäurehaltigen und gefärbten Wassers mit Malz- und Hopfenextrakten sei: „Es ist davon ein dunkler Porter und ein heller Ale im Handel. […] In beiden Getränken ist gut Hopfen und Malz enthalten. Fremde Bitterstoffe, ebenso Conservierungsmittel (Salicylsäure und Borsäure) fehlen absolut. Die Biere sind absolut frei von Alkohol, sind gut kohlensäurehaltig und gesund“ (Niederstadt, Die Abstinenz und die alkoholfreien Getränke, Allgemeine Zeitschrift für Bierbrauerei und Malzfabrikation 31, 1903, 343-346, hier 345-346, Bundesarchiv Lichterfelde R 86 Nr. 2032). Derartige Analysen konzentrierten sich auf das Endprodukt, die Zusammensetzung und Güte der Einzelkomponenten konnte so nicht ermittelt werden. Das schien aber kaum erforderlich, denn die Produktion folgte der gängigen Praxis der Apotheken bei ähnlichen Getränken. Bierextrakte bestanden zumeist aus dem aufkommenden kalorienhaltigen Zwischenprodukt Invertzuckersirup, zudem aus Weinsäure für einen erfrischend säuerlichen Geschmack. Die gerade im norddeutschen Braugebiet noch häufig zum Schönen der Biere verwandten Hopfenextrakte simulierten mit ihren Bitter- und Aromastoffen eine gewisse Biernähe. Schließlich fügte man Zuckerkulör oder Farbmalzextrakte hinzu, um die Farbe, aber auch den Malzgehalt einzustellen. Die fertige Mischung gab man in Flaschen, füllte dann maschinell kohlensäurehaltiges Wasser hinzu (Schneider, 1903, 796). Das gut geschüttelte Ergebnis konnte schließlich mit einem schönen Namen, etwa Hopkos, verkauft werden.

Hopkos als alkoholfreies Bier (Langenberger Zeitung 1903, Nr. 206 v. 3. September, 4)

In Hamburg konzentrierte sich das Untersuchungsamt allerdings weniger auf die Produktionstechnik. Hopkos schien kein gesundheitsschädliches Ersatzgetränk zu sein (Übersicht über die Jahresberichte der öffentlichen Anstalten zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Genußmitteln für das Jahr 1903, Berlin 1906, 166). Stattdessen konzentrierten sich die Analysen auf die offenkundige Differenz zwischen den Werbeaussagen und dem Stoffgehalt, um den Hersteller wegen unlauteren Wettbewerbs, wegen Verbrauchertäuschung zu belangen. Doch derartiger Trug war schwer nachzuweisen, auch wenn an Enochs Gutachten kollegialer Anstoß genommen wurde. Erste Beanstandungen sowohl nach dem Nahrungsmittelgesetz als auch dem Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb blieben ohne greifbares Resultat (K. Farnsteiner et al., V. Bericht über die Nahrungsmittelkontrolle in Hamburg in den Jahren 1903 und 1903, Hamburg 1905, 70). Hinweise, dass Hopkos hell und dunkel jeweils 0,05 Prozent Alkohol enthalte, reichten angesichts der undefinierten Begriffe „alkoholfrei“ und „alkoholarm“ nicht einmal für eine öffentliche Meldung (Pharmaceutische Praxis 6, 1907, 152).

Die spätere Umfirmierung der American German Hopkos Company in Internationale Hopkos-Gesellschaft führte jedoch zu neuerlichen Untersuchungen. Wie schon 1903 stieß man sich an der intensiven Reklame, stellte bei einer offenkundig verdorbenen Probe auch einen Alkoholgehalt von 0,97 Prozent fest (Internationale Monatsschrift zur Bekämpfung der Trinksitten 18, 1908, 161). Doch das reichte nicht für den vom Nahrungsmittelgesetz verlangten Nachweis einer täuschenden Absicht. Und eine Rückfrage wegen unlauteren Wettbewerbs wurde von der Staatsanwaltschaft abschlägig behandelt, zumal keinerlei Strafanträge vorlagen (Übersicht über die Jahresberichte der öffentlichen Anstalten zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Genußmitteln für das Jahr 1904, Berlin 1908, 146). Angesichts der parallel bestehenden und öffentlich immer wieder beredt beklagten Missstände bei „Geheimmitteln“ oder „Kräftigungsmitteln“ wurden zwar stetig präzisere und schärfere Gesetze gefordert, doch einzig die Novelle des Gesetzes gegen Unlauteren Wettbewerb 1909 sollte mit dem schwammigen Straftatbestand „Verstoß gegen die guten Sitten“ Wildwüchse in der Warenanpreisung etwas stutzen.

Werbeversprechen und die nachweisbare Zusammensetzung ausgesuchter „alkoholfreier Biere“ (A[dolf] Beythien, Über alkoholfreie Getränke, Sitzungsberichte und Abhandlungen der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft ISIS 1905, Dresden 1906, 70-90, hier 79)

So blieb es bei analytischen Daten in der Fachliteratur und benennenden Einschätzungen für Chemiker und Pharmazeuten: „Hopkos, ein alkoholfreier Bierersatz ist […] eine alkoholfreie, mit Kohlensäure imprägnierte Zuckerlösung, welche nur ganz geringe Mengen aus Malz und Hopfen herstammender Bestandteile enthält“ (Neueste Erfindungen und Erfahrungen 35, 1908, 285). Die Brauer fühlten sich in ihrer strikten Ablehnung, in ihren frühen Warnungen bestätigt (Denkschrift des Zentralverbandes der österr. Brauerei-Industriellen-Vereine gegen die projektierte Biersteuererhöhung, Der Böhmische Bierbrauer 36, 1909, 334-338, hier 337). Und die Hamburger Untersuchungsbehörde beanstandete Hopkos pflichtgemäß und folgenlos auch noch 1905, als der Markt, die Verbraucher, schon längst ihr Verdikt ausgesprochen hatten (Fünfter Bericht über die Nahrungsmittel-Kontrolle in Hamburg. II. (Schluß.), Hamburger Fremden-Blatt 1906, Nr. 24 v. 30. Januar, 21). Alle beteiligten Interessenvertreter verteidigten ihre Sichtweisen, hofften auf neue oder altbewährte Konsummuster, auf einen Wandel der Begriffsbestimmungen, der angesichts der Novelle des Branntweinsteuergesetzes (und des Weingesetzes) 1907 auch kam. Es war der Steuerstaat, der Geldbedarf für die Flottenrüstung, durch den der Kranz von Normalbestimmungen auch auf alkoholfreie Getränke ausgeweitet wurde, indem man einfachen und recht willkürlichen Vorgaben der Nahrungsmittelchemiker folgte. Rückblickend führte man sich dann die wilden Zeiten fast schelmisch vor Augen: „Es ist vielleicht auf keinem Fabrikationsgebiet so viel gesündigt worden“ (Walther Schrauth, Genussmittel, ihre Surrogate und ihre Entgiftung, Technische Rundschau 14, 1908, Nr. 35, 501-503, hier 501). Die Macher von Hopkos konnten also ungefährdet und ungestraft am Rande des Rechtes agieren.

Der Geschäftsbetrieb in Hamburg

Die American German Hopkos Company residierte anfangs in einem repräsentativen Kontorhaus, dem Asia-Haus, erbaut vom Schiffsmakler Emil Theodor Lind in Hamburgs Altstadt, am Standort Alte Gröningerstraße 24-25 und Zippelhaus 10, gegenüber der Speicherstadt. Viele Firmen teilten sich die Adresse des mit kolonialen Ornamenten gezierten, vielfach im neuen Jugendstil gehaltenen Geschäftshauses, darunter das technische Büro der Hapag. Der Bau bot große, flexibel eingeteilte Kontore, zudem auch Kellerräume, Personen- und Warenaufzüge und Elektrizitätsversorgung (Hamburgischer Correspondent 1900, Nr. 398 v. 26. August, 15). Das Asia-Haus stand für das Weltgeschäft Hamburgs, bildete zugleich einen Informationscluster: Die dort ab 1904 ansässige Firma Handels- und Schiffsbedarfsfirma Carl Bödiker vertrieb ebenfalls alkoholfreies und auch alkoholhaltiges Bier (Warenzeichenblatt 1907, 48).

Kontorhaus Asia-Haus, Geschäftssitz der American German Hopkos-Company 1903 (Wikipedia-Dirtsc, 2011)

Die repräsentative Hülle des zerstörten, neu aufgebauten und mehrfach aufgehübschten Asia-Hauses darf jedoch nicht vergessen machen, dass die Rekonstruktion des eigentlichen Geschäftsbetriebes nur ansatzweise möglich ist. Die Hopkos-Company und ihre Macher haben keine Archivalien hinterlassen. Werbeanzeigen in einem für Übertreibungen und auch bewusste Irreführungen bekanntem Marktsegment haben nur begrenzten Aussagewert, gewerbliche An- und Abmeldungen, Warenzeichen und Patente bieten allein ein karges Informationsraster. In einem sich weitenden Marktfeld beurteilten Zeitgenossen häufig nicht die einzelnen Produkte, sondern eher die gesamte Branche. Oder erinnern Sie sich an einzelne vegane Markenartikel? Auch Hopkos war Flugsand der Geschichte.

Die Markteinführung des namensgebenden Getränks begann zwei Wochen nach der Konstituierung des Unternehmens. In den Hamburger Zeitungen tönte es weltenwendend: „Der American-German Hopkos-Company Zentrale Hamburg, ist es gelungen, ein alkoholfreies Getränk ‚Hopkos‘ herzustellen, welches in jeder Beziehung den Anforderungen an ein gesundes, wohlschmeckendes und durststillendes Getränk entspricht. Nicht nur allen Gesunden, Kranken und Rekonvalescenten ist es als ein vornehmes Tafelgetränk zu empfehlen, sondern es ist auch ein äußerst nahrhaftes und bekömmliches Volksgetränk. Es wirkt erfrischend und anregend. Da das Bier auch durchaus nicht teurer ist wie unsere billigsten Biere, darf mit der Erfindung des Hopkos ‚Ale‘ und Hopkos ‚Porter‘ die so wichtige soziale Alkoholfrage um ein gut Teil gelöster erscheinen“ (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 27 v. 1. Februar, 20). Das moderne Leben mit seiner Hast, seinem „vielfach rasenden Tempo“ verbrauche rasch die Kräfte, verbiete aber zugleich den Alkoholkonsum, den „so zu Herzen gehenden Trank des Gambrinus“. Hopkos erlaube Erholung und Gemütlichkeit ohne Harm, zugleich fördere es die Verdauung, verdränge die Harnsäure, fördere „das Wohlbefinden des Menschen“ (Zeitgemäße Betrachtungen, Hamburger Nachrichten 1903, Nr. 53 v. 1. Februar, 3). Hopkos bekämpfe auch die bei rastlos tätigen Menschen immer wieder eintretende Erschöpfung, die bei alkoholischen Erfrischungen wie dem Bier nicht zu vermeiden sei. „Analysen erster Autoritäten der Nahrungsmittel-Branche“ würden bestätigen, dass dieses „aus reinsten Ingredienzien“ bestehende Getränk Neuland beträte (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 53 v. 1. Februar, 18). Nicht Limonade oder Selterswasser, schon gar nicht Bier, sondern Hopkos materialisiere die Zukunft des Trinkens des modernen, tätigen und vorwärtsstrebenden Menschen (Ein neues Volksgetränk, Hamburger Neueste Nachrichten 1903, Nr. 28 v. 3. Februar, 5).

Hopkos wurde als neues, gesellschaftliche Probleme aufgreifendes und ansatzweise lösendes alkoholfreies Getränk präsentiert, als Substitut gleichermaßen für Bier und die alten schwachen karbonisierten Wässerchen. Hopkos wurde als Getränk für alle angeboten, mochte der Schwerpunkt des Lobpreises auch auf den modernen Bürger, den modernen Angestellten zielen. Hopkos war ein Labetrunk für Alt und Jung, für Männer und Frauen, für Gesunde und Kranke. Sein Platz war das Kontor, die Arbeitsstätte, das gemütliche Heim, die Krankenstätte, das Sanatorium. Hopkos transformierte den Getränkekonsum – so die Werbung – in eine neue Sphäre, würde die Konkurrenz daher verdrängen, galt doch auch im Markt das Gesetz des Besseren, des Stärkeren. Wir werden dies unten genauer analysieren, denn Hopkos wurde nicht mit nur mit einem schönen Werbebild präsentiert, sondern mit breit angelegten, vielfach variierten Werbemitteln.

Umzug zu einem neuen Fabrikationsgebäude und Prämienangebote zwecks Auslastung der neuen Produktionskapazitäten (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 229 v. 17. Mai, 26 (l.); Hamburger Neueste Nachrichten 1903, Nr. 137 v. 14. Juni, 7)

Die Gesellschaft zog Mitte 1903 von der Altstadt in die Arndtstraße 14 im nördlich gelegenen Stadtteil Uhlenhorst um, das nicht lange zuvor erstellte Funktionsgebäude war per Fleet mit der Außenalster verbunden. Das heute denkmalgeschützte Ensemble wurde damals vornehmlich gewerblich genutzt, das Unternehmen annoncierte eine eigene „Hopfen- u. Malz-Extract-Fabrik“ (Hamburger Adressbuch 118, 1904, T. III, 13). Nicht das wahrscheinliche Aussteigen des Eigentümers Bruno Friling stand im Vordergrund, nicht die folgende Staffelstabübergabe des Alltagsgeschäftes an den Generalagenten Carl W. Meyer, der in der Brennerstraße 74-78 residierte, nahe dem Steindamm, einer quirligen Geschäftsstraße im zentralen Stadtteil St. Georg. Auch Meyers parallele Tätigkeit für Alkoholproduzenten, wie die Berliner Bockbrauerei AG, blieb unerwähnt (Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen im Oberpostdirektionsbezirk Hamburg 1903, 42).

Stattdessen präsentierte die American German Hopkos Company den Umzug als Teil einer stellaren Erfolgsgeschichte des neuen Bierersatzes. Dessen „schon jetzt“ enormer Absatz habe „die Uebersiedelung in ein grösseres Fabrikgebäude und die Fabrikation des Extraktes an Ort und Stelle nötig gemacht“. Die dampfbetriebene und mit neuen Maschinen ausgestattete Fabrik habe eine „tägliche Herstellungskapazität von Extrakten zu einem für 250.000 Flaschen reichenden Quantum“ (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 115 v. 17. Mai, 16). Anders ausgedrückt: An der neuen Produktionsstätte wurden Extrakte gefertigt, sie war Zentrum des Versands lizensierter Grundstoffe an die parallel langsam entstehenden Filialen im In- und Ausland. Der Getränkeabsatz dürfte zu dieser Zeit allerdings nicht den erhofften Umfang erreicht haben. Einerseits fabulierte man plötzlich von der neuen Entdeckung einer eminent durststillenden Wirkung des Hopkos, um rechtszeitig zum Sommergeschäft auch Touristen, Radfahrer, Turner und körperlich Arbeitende explizit anzusprechen. Anderseits lobte man kurz nach dem Bezug der neuen Produktionsstätte Erfolgsprämien für Einzelhändler aus, um dadurch den Absatz zu steigern. Für Juli schrieb man einen Wettbewerb aus, in dem der Krämer, der zuerst 1000 Flaschen eingekauft habe, eine Prämie von 50 Mark erhielt. Zugleich zahlte man jedem Abnehmer, der diese Marke überschritt, 10 Mark (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 137 v. 14. Juni, 40). Die Firma gewährte also ohne Reduktion des Endpreises von zehn Pfennig einen Mindestrabatt von zehn Prozent (Hamburger Nachrichten 1903, Nr. 273 v. 14. Juni, 13; ebd., Nr. 285 v. 21. Juni, 4). Bei einer monatlichen Produktionskapazität von nominell 7,75 Millionen Flaschenportionen waren derartige Prämien für recht geringe Abnahmemengen einzig Beleg für einen recht überschaubaren Absatz in Hamburg.

Wir Konsumenten dürfen allerdings nicht ignorieren, dass das Kerngeschäft nicht allein der lokale Absatz eines alkoholfreien Bierersatzes war. Laut Telefonbuch war das Unternehmensziel „Paten[t]verwert.“, ebenso konnte man im Adressbuch lesen: „American-German Hopkos Company mit beschränkter Haftung, Patentverwerthungen“ (Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen im Oberpostdirektionsbezirk Hamburg 1903, 19; Hamburger Adressbuch 117, 1903, Mai-Anhang, 103). Das Hamburger Geschäft hatte Modellcharakter, sollte möglichen Investoren nicht nur abstrakt von Marktchancen tönen, sondern ein belegbares und besichtigungsfähiges Beispiel eines Erfolgsunternehmens geben. Das Hamburger Unternehmen war ein Franchiseunternehmen, gehörte zu den Pionieren dieses heutzutage allgegenwärtigen Geschäftsmodells im Deutschen Reich. Hopkos wurde in Hamburg als Marke etabliert, einheitliche Werbeklischees entwickelt, klare Rezepturen, Maschinen und die geschmacksgebenden Extrakte. Interessierte konnten gegen regelmäßige Gebühren die Rechte für einen entsprechenden Be- und Vertrieb an einem anderen Ort, in einer anderen Region erwerben – und dann in begrenzter Eigenregie Hopkos verkaufen. Der Lizenznehmer trug eigenes unternehmerisches Risiko, nicht jedoch die Kosten für die erfolgreiche Etablierung eines Geschäfts. Der Lizenzgeber profitierte von steten Gebühren, war zugleich gegenüber lokalen Absatzschwankungen abgesichert. Im Deutschen Reich waren damals Gebietsmonopole durchaus üblich, doch diese bezogen sich zumeist auf den alleinigen Absatz eines bestimmten Markenartikels in einem klar umrissenen Gebiet. Steinway-Flügel oder Singer-Nähmaschinen konnte man vor Ort nur von einem Unternehmen kaufen, mochte dieses in Großstädten auch verschiedene Filialen eröffnet haben. Bei Hopkos aber übernahm der Lizenznehmer nicht Fertigprodukte, sondern hatte diese Produkte dezentral selbst herzustellen, erhielt dafür Extrakte und Werbemittel. Das war in den USA durchaus üblich, Coca-Cola ein gutes Beispiel. Im Deutschen Reich gewann das Franchise-System später nicht nur im Getränkesektor an Bedeutung, wo die aus Milchsäure hergestellte Limonade Chabeso seit 1911 diese Geschäftsmodell nutzte (Ueber Milchsäuregetränke und deren Nutzen für die menschliche Gesundheit, Deutsch-Englischer- Reise-Courier 9, 1912/13, H. 11, 11-13).

Auf der Suche nach Investoren „in jeder Stadt der Welt“ (Badische Presse 1903, Nr. 49 v. 27. Februar, 4 (l.); Frankfurter Zeitung 1903, Nr. 57 v. 26. Februar, 3. Morgenbl., 4)

Entsprechend schaltete die Hopkos-Company seit Ende Februar erst reichsweit, seit Mai auch europaweit nahezu gleichlautende Anzeigen in führenden Wirtschaftsmedien, um potenzielle Franchisenehmer mit den neuen Geschäftschancen vertraut zu machen. Hopkos war dabei nur Mittel zum Zweck für eine schnelle Mark, für scheinbar sichere Einkommen. Der Tenor war entsprechend lockend: „Bedeutender Gewinn! Vornehmen, lukrativen Industriezweig bilden die Hopkos-Fabriken in jeder Stadt der Welt. Einheitliche Organisation!! Einheitliche Reklame!! Hopkos […] ist ein Massenconsumgetränk vorzüglichster Qualität. Verkaufspreis per Flasche franco Haus 10 Pfg. für Arm und Reich“ (Schwäbischer Merkur 1903, Nr. 91 v. 25. Februar, 10). Nicht die Reform der Gesellschaft, nicht die Transformation der Trinksitten, nein, die Rendite war treibende Kraft aller Anstrengungen. Die Hopkos-Company lieferte bei Vertragsabschluss „complette Fabrik-Anlagen mit elektrischem Betriebe sammt sämmtlichen zu einem Bierversandt-Geschäft nötigen Requisiten wie: Wagen, Flaschen etc. franco Haus“ (Neues Tagblatt und General-Anzeiger für Stuttgart und Württemberg 1903, Nr. 48 v. 27. Februar, 7). Dieser Service hatte seinen nach Ortsgrößen gestaffelten Preis: In Städten unter 50.000 Einwohner 9000, in Großstädten 25.000 Mark. Hamburg war Vorzeigeort, doch die Gesellschaft verwies auch auf Berlin und Leipzig, auch wenn dort noch keine festen Filialen bestanden. Investoren erhielten zudem Rentabilitäts-Nachweise, also Werbeunterlagen mit ansprechend hochgerechneten lokalen Markterwartungen.

Diese erste Anzeigenwelle führte zum Aufbau von Franchiseunternehmen in Bremen, Berlin, Frankfurt a.M., Leipzig, Wiesbaden – und Ennigerloh. Im Mai begann dann der Einstieg in das europäische Lizenzgeschäft, in das Weltgeschäft. Das „bekannte alkoholfreie Erfrischungsgetränk ‚Hopkos‘“, so hieß es „wird sich bald über ganz Europa verbreitet haben. Die Verbreitung geht mit erstaunlicher Geschwindigkeit vor sich, ein Zeichen, daß dieses als Bierersatz vielgepriesene Getränk eine Lücke füllt.“ Man sprach von einer Hopkos-Vertriebs-Gesellschaft in London, einer russischen Zentrale in Lodsch, von bald folgenden russisch-finnischen, französischen, italienischen, belgischen und holländischen Pendants. Die im Deutschen Reich derweil gegründeten Filialen mutierten zu Zeugen des weitergehenden Aufschwungs, „so daß jeder Deutsche bald überall sein Hopkos trinken kann“ (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 229 v. 17. Mai, 17; Neue Hamburger Zeitung 1903, Nr. 232 v. 19. Mai, 10). Das war begleitet von neuen, allerdings kürzer gehaltenen Annoncen, die mit der wichtigsten Botschaft endeten: „Großartige Rentabilität!“ (Kölnische Zeitung 1903, Nr. 776 v. 25. August, 4; ebd., Nr. 790 v. 29. August, 4). Andernorts nannte man auch Zahlen. Über eine anvisierte Filialfabrik in Oldenburg hieß es: „Das Kapital verzinst sich mit ca. 300% pro anno“ (Nachrichten für Stadt und Land 1903, Nr. 164 v. 16. Juli, 4). Das war offenkundig illusionär, größerer Trug als der Verkauf eines karbonisierten Getränks als „Bierersatz“, als verbessertem alkoholfreiem Bier. Doch die Zahlen blendeten nur wenige. Im September versprach die American German Hopkos-Company nicht mehr länger „Große Rentabilität“, sondern hatte bereits Mittelsmänner einschaltet, das kriselnde Geschäft teils übergeben (General-Anzeiger der Stadt Mannheim und Umgebung 1903, Nr. 412 v. 6. September, 6). In der zweiten Jahreshälfte zeigte sich erst in Deutschen Reich, in der Folge auch im europäischen Ausland, dass die Verheißungen trogen, dass Hopkos ein Auslaufprodukt war. Das alkoholfreie Getränk teilte dieses Verdikt mit vielen anderen ähnlichen Produkten, auch wenn die Macher von deren Scheitern durchaus lernten.

Ein Blick auf die Konkurrenz: Methon als Beispiel

Die American German „Hopkos“ Company war als nationales, gar multinationales Franchiseunternehmen, mochte ihr auch kein durchschlagender Erfolg beschieden gewesen sein. Das alkoholfreie Getränk sollte Bier ersetzen, stand zugleich aber in erbittertem Wettbewerb mit anderen alkoholfreien Angeboten. Deren Macher annoncierten abschätzig: „Alkoholfr. Bier (Methon), sehr wohlschmeckend, nicht zu verwechseln mit Hopkos!“ (Velberter Zeitung 1903, Nr. 217 v. 16. September, 4). Hopkos präsentierte sich als Bierersatz, vereinzelt auch als alkoholfreies Bier. Dieser Anspruch war unbegründet, die Analysen hatten dies offenbar unterstrichen. Und doch stand Hopkos für zahlreiche Versuche, Bier nicht technisch, sondern chemisch nachzubilden. Uns Nachgeborenen mag dies anmaßend erscheinen, doch nicht so unseren Ahnen: Kindermehle und Säuglingsmilch bildeten seit den 1860er Jahren die Muttermilch chemisch nach, um Gewinne zu erzielen und die horrende Säuglingssterblichkeit zu verringern. Aus Sicht der Tüftler bildeten sie Stoffkonglomerate, die um Kohlehydrate resp. Eiweiß gruppiert waren, sich aber dem Ideal der Muttermilch annäherten. Das naturwissenschaftlich-chemische Denken kreiste um Gemeinsamkeiten fernab des Alltagswissens, darin waren Rohr- und Rübenzucker gleichermaßen Glukose. Alkoholfreies Bier war demnach ein Getränk, das der chemischen Zusammensetzung des Bieres möglichst nahe kam. Geschmack, Textur, Technologie und Tradition erschienen demgegenüber zweitrangig. Wer fragte schon ein Baby (einen Kunden) nach seinen Präferenzen, entscheidend war der Nährerfolg (Markterfolg).

Das oben beworbene Methon war eines der neuen alkoholfreien Getränke, dessen Absatz durch Hopkos grundsätzlich bedroht wurde. Das Warenzeichen war sieben Monate vor Hopkos im Mai 1900 für die Dresdener „Fabrik ätherischer Oele und Essenzen“ von Franz Hermann Loebel in Dresden. Sie hatte sich bis Mitte der 1890er Jahre vor allem auf Zwischenprodukte konzentriert, belieferte Bäcker, Konditoren, Destillateure, Süßwaren- und Getränkehersteller (Kölnische Zeitung 1895, Nr. 207 v. 9. März, 11). Doch in den Folgejahren öffnete sich Loebel auch dem Endkundengeschäft. Vor Methon offerierte er schon den Bierextrakt Süss-Meth-Extrakt (Deutscher Reichsanzeiger 1900, Nr. 259 v. 30. Oktober, 13), 1903 folgte die Limonade Apfelborn und die Brotaufstriche Schleckerchen und Frugalin. Begleitet war all das von verbalem Klappern; ein Flugblatt über Süss-Meth tönte hoffnungsfroh, das die Herstellung alkoholfreien Bieres nun „bequem und einfach ohne irgend welche Neuanschaffungen mit denjenigen Apparaten und Einrichtungen vorgenommen werden kann, welche in jeder, auch der kleinsten Mineralwasserfabrik vorhanden sind. Das neue Volksgenußmittel, das technisch, da seine Herstellung nicht auf dem altüblichen Maisch-, Brau- und Gährverfahren beruht, nicht als ‚Bier‘ zu bezeichnen ist, gelangt unter meiner Originaletiquette Süßmeth-Extract zur Einführung.“ Das war alkoholfreies Bier in chemischer Nachbildung. Brauer urteilten abschätzig: „Wir glauben kaum, daß sich auch nur ein vernünftiger Mensch auf der Welt finden dürfte, der Lust hat, diesen sonderbaren Extract zu versuchen“ (Zitate n. Unfug mit der Wortbezeichnung ‚Bier‘, Gambrinus 27, 1900, 248-249).

Methon, suggestiv angezeigt als „Alkoholfreies Bier“ (Deutscher Reichsanzeiger 1901, Nr. 83 v. 9. April, 15)

Ähnlich, doch aktiver wurde das Folgeprodukt Methon beworben: „Alkoholfreie Biere herzustellen war daher längst eine brennende Frage, bisher allerdings ungelöst im Sinne einer Bereinigung von Wohlfeilheit und Schmackhaftigkeit. Neueste Erfahrungen haben in dem würzigen, gänzlich alkoholfreien, patentamtlich geschützten Methon ein Volksgenußmittel gezeitigt, welches mit erfrischendem Geschmack, glanzheller Färbung und prickelndem, sahnigen Mouffleur den hohen Extraktgehalt und die Vollmundigkeit der besten Münchner Biere vereinigt, ohne deren durch den Alkohol bedingte Schwere und berauschende Wirkung zu besitzen. – Nicht nach dem altüblichen Brauverfahren gewonnen, daher frei von allen Gährungskeimen, aber auch frei von künstlichen Süß-. Farb- und Konservierungsmittel ist Methon ein echter Haus-, Familien-, Tafel- und Gesundheitstrank“ (Lippstädter Zeitung 1901, Nr. 41 v. 6. April, 1). Methon war demnach kein Ersatz, sondern eine alkoholfreie Fortentwicklung des Bieres. Auch weißer Rübenzucker wurde als reiner Fortschritt gegenüber dem braunen Rohrzucker voller Rückstände beworben.

Loebel produzierte Methon seit 1900, doch erst nach der Gründung der Deutschen Methon-Gesellschaft im Mai 1901 nahm der Vertrieb Geschwindigkeit auf (Bautzener Nachrichten 1901, Nr. 115 v. 20. Mai, 133). Doch die Methon-Gesellschaft produzierte keine Getränke, sondern lediglich Grundstoffe. Methon wurde unmittelbar am Verkaufsort „frisch“ hergestellt (Lippstädter Zeitung 1901, Nr. 86 v. 20. Juli, 1). Abnehmer erhielten für fünf Mark eine Kiste mit zwei Flaschen fertigem ‚Methon‘ zum Kosten, Extrakt für die Herstellung von 250 Flaschen, Etiketten und eine Erläuterung des Verfahrens (Alkoholfreies Bier, Gambrinus 28, 1901, 291-292). Glasflaschen und ein Mineralwasserapparat wurden vor Ort angekauft. Die Werbung verwies auf den biergleichen Geschmack, die Reinheit des Getränks. Für die Brauer war Methon jedoch irreführender „Pantsch“, handelte es sich doch um nichts anderes als „eine gewöhnliche Brauselimonade ohne Hopfen und Malz“ (Unfug mit der Wortbezeichnung „Bier“, Gambrinus 28, 1901, 673). Eine Analyse des Stettiner Chemikers Paul Mecke konnte im Methon dann auch weder Hopfen noch Malz nachweisen, befand es als eine „parfümirte, mit Schaumessenz versetzte Zuckercouleur“ (Pharmaceutische Presse 6, 1901, 278). Das aus Invertzucker, Saponin und dem bis heute weit verbreiteten E 150 bestehende Getränk geriet darauf unter öffentlichen Druck, musste seine Werbung moderat verändern, wurde aber weiterhin als „alkoholfreies Bier“ angeboten (Gladbecker Zeitung 1901, Nr. 212 v. 14. September, 4: Essener Volks-Zeitung 1902, Nr. 170 v. 26. Juli, 10). Die Deutsche Methon-Gesellschaft stellte ihr Produkt „den besten Bieren gleich“ (Geseker Zeitung 1903, Nr. 54 v. 7. Juli, 4). Als vermeintlichen Beleg nutzte sie dafür ein Gutachten des Dresdner Nahrungsmittelchemikers und Inhaber eines öffentlichen chemischen Laboratoriums Friedrich Schmidt.

Trotzwerbung gegen die chemischen Untersuchungsergebnisse (Dresdner Neueste Nachrichten 1906, Nr. 219 v. 15. August, 14 (l.); ebd. 1909, Nr. 225 v. 20. August, 13)

Das Konkurrenzprodukt Methon dürfte von den Machern des Hopkos präzise analysiert worden sein. Es war demnach erstens ratsam, polarisierende Begriffe wie „alkoholfreies Bier“ nicht zu verwenden, diese zu umschreiben, die Assoziationsfähigkeit der (deutschen) Sprache zu nutzen. Es war zweitens ratsam, die Überzeugungskraft der Wissenschaft von Beginn an zu nutzen, mit einem eigenen Gutachten voranzugehen, nicht auf spätere chemische Kontrollen zu warten. Drittens schien es ratsam, den bei Methon grundsätzlich noch vorhandenen Zugriff auf die wertgebenden Grundstoffe nicht aus der Hand zu geben. Die Analyse allein des Endproduktes bot viel mehr Ausflüchte – und entsprechend weniger Möglichkeiten der Regulierung oder gar sanitätspolizeilicher Intervention. Methon mochte ein irreführend beworbener Bierersatz und Konkurrent von Hopkos gewesen sein. Doch zugleich war es ein Steigbügelhalter für eine passgenauere, mit dem geltenden Recht nicht im direkten Konflikt stehende Marktpräsenz. Die für uns heute selbstverständlichen definitorischen Unterschiede zwischen Limonaden, Extrakten und alkoholfreien Bieren wurden dadurch vorgeformt.

Werbung und Vermarktung in Hamburg

Hamburg war der Geschäftssitz der American German Hopkos Company, hier musste ein Beispiel für das gegeben werden, was nachfolgend an anderen Orten und in anderen Ländern geschehen sollte. Wir hatten zuvor bereits die verbale Anpreisung des Bierersatzes genauer betrachtet, den Eigenlob, die Positionierung von Hopkos als Getränk für alle, die nicht länger am alten Bier, an schwachen Nichtalkoholika festhielten. Die Sprache war großspurig, herausfordernd, teils anmaßend – doch formal waren die ersten Anzeigen altbacken. Hopkos wurde in Hamburg nicht wirklich „amerikanisch“ beworben, fehlten doch die visuellen Marker entweder des Produktes selbst oder aber glücklich-überzeugter Konsumenten. Der Eindruck einer „amerikanischen“ Reklame gründete denn auch mehr auf der steten Präsenz der Werbebotschaften. Drei Phasen lassen sich grob unterscheiden.

Graphisch aufbereitete Kaskaden der Kaufgründe (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 47 v. 29. Januar, 8 (l.); Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 91 v. 19. April, 24)

Von Ende Januar bis etwa Mitte April 1903 dominierten informierende, die Hauptanliegen der Selbstdarstellung gleichsam einhämmernde Anzeigen. Visueller Ankerpunkt war der Produktname, entweder markant wiederholt oder aber graphisch ansprechend aufbereitet. Die Annoncen erschienen in allen führenden Tageszeitungen Hamburgs, adressierten damit die gesamte Bevölkerung, Arbeiter, einfache Bürger, die urbane Kaufmannschaft. Das Einhämmern verankerte den Preis, die edle Grundlage von Hopfen und Malz, den hohen Nährwert, die Kampfstellung gegen das Bier, die repräsentative Kraft des Neuen, unbedingte Alkoholfreiheit und schließlich das duale Angebot einer hellen und einer dunklen Variante. Das war Überwältigungsreklame, zielte auf die Verankerung von Werbebotschaften im Hirn der Massen – und damit ihre bedingte Dressur für den Kauf, ging man damals doch noch von der starken Wirkungsmacht der Reklame aus.

Belehrung des Publikums über den wahren Preis (Hamburger Nachrichten 1903, Nr. 115 v. 10. März, 7)

Die gefühlte Überlegenheit der Hopkos-Macher führte denn auch dazu, dass man der sich in recht geringen Absatzzahlen niederschlagenden Ignoranz der Konsumenten durch belehrende Information begegnete. Hopkos war nicht billig: Zwar kosteten auch gängige Flaschenbiere zehn Pfennig pro Flasche, doch diese enthielten zwischen 0,3 und 0,4 Liter, während Hopkos in Fläschchen von lediglich 0,1 Liter verkauft wurde. In Gaststätten – und dort wurde die Masse des Bieres getrunken – lagen die Bierpreise nochmals niedriger. Außerdem verdoppelte sich der Einstiegspreis durch das Flaschenpfand von nochmals zehn Pfennigen. Die Macher ignorierten die damaligen Debatten über das Besitzrecht an gekauften Produkten und ihren Verpackungen. Und man unterstrich mit der oberen wieder und wieder geschalteten Anzeige, dass die kleine Erfrischung einen ganzen Groschen kostete. Bei Monatssalären von vielfach nur 60 bis 100 Mark, bei Frauen stetig weniger, war das eine Hürde, die den Massenabsatz deutlich begrenzte. Zudem waren derartige Nichtalkoholika auch in der Mitte der Gesellschaft vielfach noch nicht eingeführt. Die aufstrebende Hamburger Konsumgenossenschaft „Produktion“ verkaufte 1903 ihren etwa 15.000 Mitgliedern ganze 5186 Liter Saft und keine Limonaden (Konsum-, Bau- und Sparverein „Produktion“ zu Hamburg. Geschäfts-Bericht für das Fünfte Geschäftsjahr 1903, Hamburg 1904, 29).

Weg vom Alkohol, hin zur Abstinenz: Hopkos als Brückengetränk (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 159 v. 4. April, 8)

Im März/April 1903 gab es weitere Anzeigenmotive – doch ihre Größe (und die Kosten) sank gegenüber den Einführungsmonaten. Man bewarb Hopkos als idealen, als wunderbaren Bierersatz, stellte nun jedoch auch einzelne Vorteile des Getränks besonders hervor. Zugleich positionierte man es noch deutlicher als Temperenzgetränk, als Novität mit einer hohen Mission.

Vermarktung im Schlagschatten der Abstinenz (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 80 v. 4. April, 8)

Die zweite Phase reicht von Mitte April bis Mitte Mai. Den Machern dürfte damals deutlich geworden sein, dass die anvisierten Absatzzahlen kaum zu erreichen waren. Der Inhaber zog daraus Konsequenzen und sattelte auf den marktgängigeren Absatz von Backmischungen um. In dieser Phase dominierten neuerlich Textanzeigen. Im Gegensatz zur Einführungszeit bedienten sie nun jedoch höchst heterogene Themen, verbanden diese mit Hopkos. Parallel zu den Pferderennen in Hamburg Horn war es „ein totsicherer Tip im Kampfe des Lebens, im nimmer rastenden Rennen um die Gesundheit von Geist und Körper“, gleichermaßen geeignet „für Abstinenzler und Biertrinker“ (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 97 v. 26. März, 24). Man grenzte sich ab von Konkurrenzangeboten, insbesondere zu dem in Hamburg produzierten Apfelpräparat Pomril, bemängelte dessen moderaten Alkoholgehalt, verwies dagegen auf die gutachterlich bestätigte Alkoholfreiheit. Man bettete dies aber auch ein in den Wettstreit der Völker, bei dem sich Zivilität in den Trinksitten manifestiere (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 189 v. 24. April, 12). Hopkos, so die Aussage, erlaube „allen Alkoholgegnern die große Freude, daß sie jetzt Bier trinken dürfen, alkoholfreies Bier; denn Hopkos – der Name ist etwas schwer, und die Zunge macht jedesmal einen Hopser – enthält keinen Alkohol und besteht doch aus Malz und Hopfen“ (Hopkos, Märkischer Sprecher 1903, Nr. 111 v. 13. Mai, 7). Neben derartige redaktionelle Reklamen setzte man aber auch kleine Geschichten, gleichsam literarische Schleichwerbung, versah sie augenzwinkernd mit „Nachdruck erlaubt“: Ein Wagnersänger musste etwa trunken eine Lohengrin-Aufführung abbrechen, die gramgebeugte Gattin fragte einen alten Sanitätsrat um Rat. Nein, die Nerven seien wirklich ein Problem, Lampenfieber müsse bekämpft werden, Gesang und Durst seien eng miteinander verbunden. Einem Künstler Genüsse und Erfrischung zu verwehren sei kontraproduktiv. Nur gut, dass es Hopkos gebe, diese bierähnliche Stärkung aus der Flasche. Und der Sanitätsrat empfahl der Dame, „‚lassen Sie ihren Mann statt Bier nur noch Hopkos trinken. Er wird den Unterschied kaum merken und binnen kurzem der alte sein‘“ (Ewaldo v. Santen, Ein furchtbares Erlebnis, Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 91 v. 19. April, 27). Ja, die Welt war (und ist) einfach: Kaufen, Trinken, Gesunden…

Ein eingeführtes Getränk (Hamburger Echo 1903, Nr. 184 v. 9. August, 6)

Drittens: Nach dem erfolgreichen Umzug nach Uhlenhorst startete die Hopkos-Company dann von Mitte Mai bis Mitte August eine dritte Werbephase. Die Anzeigentaktung nahm neuerlich zu, eingesetzt wurden nun auch vereinzelte visuelle Elemente, etwa den schon oben präsentierten Wegweiser an den neuen Standort. Parallel weiteten sich die Themen, gab es formale Variationen. Hopkos wurde – im bürgerlichen Hamburg! – in vielfältigen Formen zum König der alkoholfreien Getränke gekrönt, erschien als Hilfsmittel gegen Durst und Trunkenheit, diente zugleich dem Kampf gegen „Nervosität, Armut, Zunahme der Verbrechen, Arbeitsscheu, Lebensüberdruss“ (Hamburger Neueste Nachrichten 1903, Nr. 149 v. 28. Juni, 14).

Hopkos als volkswirtschaftlicher Aktivposten, als König aller alkoholfreien Getränke, als Getränk der Getränke (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 321 v. 12. Juli, 8 (l.); Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 191 v. 16. August, 16)

Neuerlich wurden die Vorteile des idealen Bierersatzes Hopkos aufgelistet und mit Ausrufungszeichen versehen. Es schien, als wolle man mit diesen unten abgebildeten Anzeigen den Verbraucher nochmals aufrütteln, während parallel die Geschäfte immer schlechter liefen. Die Werbesprache blieb appellativ-trotzig: „Das Getränk der Getränke! Hopkos ist nahrhaft, da es aus Hopfen und Malz hergestellt wird, wie Bier. Hopkos ist belebend, wie Wein und kräftigt dabei die Nerven, da es absolut alkoholfrei ist. Hopkos ist erfrischend und blutreinigend und löscht wunderbar das Durstgefühl. Hopkos ist ein wissenschaftlich absolut einwandfreies modernes Getränk für die Tafel, den Hausgebrauch, das Krankenzimmer, die Restauration, den Turn- u. Spielplatz – kurz für alle Welt. […] Prosit!“ (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 191 v. 16. August, 16). Doch die erwünschte Resonanz blieb aus, auch wenn es an ironischer Unterstützung nicht fehlte. Ein abgelehnter Dichter musste lesen: „Ihr ‚Lied eines Wüstlings‘ ist so entsetzlich, daß wir uns nicht zum Abdruck entschließen konnten; einem Redakteur, der das durchlas, mußte sofort mit zwei Flaschen Hopkos wieder auf die Beine geholfen werden“ (Hamburgisches Fremden-Blatt 1903, Nr. 203 v. 30. August, 17).

Ein Getränk für alle (Hamburger Anzeiger 1903, Nr. 174 v. 28. Juli, 5 (l.); Hamburger Echo 1903, Nr. 178 v. 2. August, 4)

Auch in dieser dritten Phase gelang es den Hopkos-Machern nicht, ihr Produkt zielgruppengenau anzudienen, den Ersatzbiergarten für alle zu verlassen: „Für Jung und Alt, Gesunde und Kranke!“ (Hamburgischer Correspondent 1903, Nr. 345 v. 26. Juli, 8). Ein Massengetränk müsse sich auch an die Masse der Konsumenten richten, dürfe nicht ausgrenzen. Dieses Credo mochte vielleicht in den vergleichsweise wohlhabenden, an Mittelstandsnormen und hochwertigen Standardprodukten angepassten Vereinigten Staaten gelten. In der hanseatischen Klassengesellschaft verfehlte eine derartige Werbung tendenziell die Absatzaufgaben. Die Hopkos-Macher adressierten zwar durchaus die „tapferen Frauen der arbeitenden Klasse“, präsentierten Hopkos aber nicht in deren Lebenswelt, sondern als Verbürgerlichungsgetränk, als Bestandteil einer vielfach verhassten fürsorglichen Belagerung just der Chemiker, Ärzte, Lehrer und Sozialpolitiker, die Hopkos warm empfahlen (Hamburger Echo 1903, Nr. 166 v. 19. Juli, 10).

Unterentwickelter Vertriebsweg Gaststätte: Hopkos-Bier und andere Limonaden (Harburger Anzeigen und Nachrichten 1903, Nr. 172 v. 25. April, 8 (l.); ebd. 1903, Nr. 241 v. 17. Juli, 8)

Überraschend war schließlich, dass Hopkos trotz aller Bemühungen um Akzeptanz der Lebensmittelhändler auf deren eigenständige Werbeunterstützung kaum zählen konnte. Die Hopkos-Werbung erfolgte zentral, nicht dezentral. Das galt selbst für Cafés und Restaurants, auch für die langsam wachsende Zahl der alkoholfreien Gaststätten.

Werbeträchtige Scheindebatten

Die Hopkos-Macher zogen in Hamburg allerdings eine bemerkenswerte Konsequenz aus den Marktauftritten alkoholfreier Konkurrenzprodukte, nicht nur von Methon. Sie inszenierten vermeintliche Angriffe, auf die sie dann souverän öffentlich reagierten. Damit nahm die American German Hopkos Company einerseits den bürokratisch-sachlichen Hinweisen der Untersuchungsämter präventiv Wind aus den Segeln, konnte anderseits aber den Blick der Verbraucher gezielt auf die scheinbar eindeutigen Vorteile von Hopkos lenken.

Volle Breitseite gegen Kritik am neuen Getränk (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 63 v. 15. März, 15)

Anlass einer ganzseitigen „Zur Abwehr!“ übertitelten Anzeige war einerseits ein öffentlich kontrovers diskutiertes Anti-Alkoholpamphlet des Hamburger Richters Hermann Martin Popert (1871-1932), anderseits die Abwehr von nicht näher spezifizierten Vorwürfen, Hopkos sei nicht alkoholfrei. Popert hatte die negativen Auswirkungen aller Alkoholika beredt beschworen, ließ dabei das Bier nicht aus: „Vor allen Dingen sind die Brauereien und die Bierwirtschaften nicht minder Ausstrahlungspunkte schwerer nationaler Schädigung, als die Brennereien von Trinkbranntwein oder die Keller der Branntweinwirte“ (Hermann M. Popert, Hamburg und der Alkohol, Hamburg 1903, 49). Der Autor war eine schillernde Persönlichkeit, jüdischstämmiger Jurist, Schriftsteller, liberaler Bürgerschaftsabgeordneter und Guttempler. Mit seinem 1910 erschienen Erfolgsroman „Helmut Harringa“ veröffentlichte er einen Schlüsseltext der antimodernen und rassistischen Lebensreform (Kai Detlev Sievers, Antialkoholismus und Völkische Bewegung. Hermann Poperts Roman Helmut Harringa, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 29, 2004, 29-54). Popert schlug präzise Maßnahmen zur Austrocknung der Alkoholwirtschaft in Hamburg vor, darunter auch die öffentliche Förderung alkoholfreier Wirtschaften. Nichtalkoholika waren für ihn Garanten einer Umkehr von allgemeiner Entartung. Ein alkoholdürstendes Volk sei nicht in der Lage Weltgeltung und „Deutsche Seeherrschaft“ (Ebd., 51) zu erlangen.

Hopkos wurde nicht erwähnt, doch Poperts Aussagen konnten dem Absatz nur förderlich sein. Entsprechend lobte der Anbieter das Produkt als „vollgültiger Ersatz des Bieres […]. Hopkos besitzt alle Vorzüge eines guten, nahrhaften Bieres und keinen seiner Nachteile“. Es sei ein „Temperenzgetränk par excellence“, ignoriere auch nicht die auch von Popert propagierte Lebensfreude. Mäßige hatten dieses Recht eingefordert, verteidigten es in der intensiv geführten öffentlichen Debatte, da Alkoholtrinker ohne Pragmatismus nicht zu gewinnen seien ([Theodor] Deneke, Dr. H. Poperts Buch „Hamburg und der Alkohol“, Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 59 v. 11. März, 13). Hopkos wurde in diesen Scharmützeln nicht erwähnt, nicht als Hilfsmittel der Umkehr benannt. Die Anzeige sollte das Getränk propagieren, entsprechend erfand die Firma nicht näher bezeichnete schädigende „Ausstreuungen“. Das bewirkte sarkastische Antworten: Forderungen eines Guttemplers nach Zwangsmitgliedschaft von Arbeitern in dieser, gerade in Hamburg wichtigsten Abstinentenvereinigung konterte ein sozialdemokratischer Redakteur übersteigernd: „Natürlich! Und zugleich sollte man ihm die Verpflichtung auferlegen, täglich mindestens fünf Liter Pomril oder Hopkos zu konsumiren“ (Hamburg und der Alkohol, Hamburger Echo 1903, Nr. 65 v. 18. März, 5).

Nachgelegt: Hopkos als alkoholfreies Substitut für Bier (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 71 v. 25. März, 24)

Derartiger Spott missfiel den Hopkos-Machern, eine weitere ganzseitige Stellungnahme folgte. Neuerlich sprach man dunkel von Schmähbriefen und Hohn. Dagegen erhob man sich wacker, betonte Wohlgeschmack und Alkoholfreiheit des Hopkos, präsentierte die Ergebnisse des bestätigenden Gutachtens des eigenen Mitarbeiters Carl Enoch. Und es folgte eine Eloge auf den „Bierersatz ersten Ranges“, billig und zukunftsträchtig. So brachte die Firmenleitung ihr Getränk in die Diskussion – zu allerdings hohen Kosten: Die beiden Inserate im Fremden-Blatt kosteten 316,80 Mark; und sie wurden auch in den günstigeren Hamburger Nachrichten veröffentlicht (Hamburger Fremden-Blatt 1903, Nr. 74 v. 28. März, 17). Wie sehr es in dieser Debatte allein um Publizität ging, unterstrichen zwei gleichartige, mehr als drei Monate später mit anderen Einleitungen versehene Anzeigen der Frankfurter Hopkos-Gesellschaft (Frankfurter Zeitung 1903, Nr. 177 v. 28. Juni, 4. Morgenbl., 4; ebd. , Nr. 174 v. 25. Juni, 3. Morgenbl. 3). Pseudodebatten und erfundene Niedertracht gehörten zur Präsentation von Hopkos.

Verdammung durch die Brauwirtschaft

Empörung über derartige Machenschaften ist kaum angebracht, denn solches Gebaren gehörte zum wirtschaftlichen Wettbewerb. Plagiatsvorwürfe durchzogen damals die Gazetten, Verfahren wurden vielfach angestrengt, um Strafbefehle von zehn, fünfzig, hundert Mark öffentlich annoncieren zu können, um die eigene Ehrsamkeit und Rechtschaffenheit dann angemessen zu beleuchten. Die American German Hopkos-Company schwieg allerdings ihre profunden Kritiker öffentlich tot, schuf also lediglich eine Werbewelt eigener Qualität. Das betraf die Analysen und Rückfragen der Untersuchungsämter, das betraf aber vor allem die Kritik der Brauer, die am vermeintlichen Bierersatz Hopkos kein gutes Haar ließen.

Deutsche und böhmische Fachzeitschriften berichteten anfangs durchaus sachlich über die neu gegründete Hamburger Gesellschaft, um dann gleich in die Hörner der Abwehr und Verdächtigung zu stoßen: „Wieder einmal ein Ersatz für Bier! Es wäre wahrlich höchste Zeit, daß sich die Sanitätsbehörden mit derlei problematischen Erzeugnissen etwas eingehender befassen sollten, als dies bisher der Fall gewesen“ (Alkoholfreier Schwindel, Gambrinus 30, 1903, 193; Hopkos, Zeitschrift für das gesammte Brauwesen 26, 1903, 291). Die Einlassungen der Brauwirtschaft spiegelten die vielgestaltigen Verwerfungen des Fin de Sieclé, verteidigte sie mit dem Bier doch nicht nur ihr eigenes Geschäft, sondern zugleich das tradierte Leben vor den Herausforderungen einer rasch vorwärtsdringenden Moderne. Die Kritik war vielfach zutreffend, seitens der sich in den Jahrzehnten zuvor grundstürzend modernisierten Brauwirtschaft aber doch überraschend und selbstblind. Die Antialkoholbewegung wurde nicht als Resultat verbesserter physiologischer und medizinischer Kenntnisse verstanden und ernstgenommen, sondern als eine aus dem Norden nach Süden vordringende utopisch-kreischende Bewegung, deren Vertreter man eigentlich, wie die Vegetarier, als Sonderlinge ignorieren müsse. Produkte wie Hopkos hätten dies jedoch verändert, „die nur schlecht eingewurzelte, künstlich genährte Pflanze treibt nämlich giftige Blüten mit hochtönenden Namen, gar wundersam anzusehen.“ Hopkos verkünde lautstark, gesünder als Bier zu sein, dieses verdrängen zu können. „Diese in echt amerikanischer Manier veröffentlichte Reklame ist offenbar ein Attentat auf die Leichtgläubigkeit des Volkes, und es ist nun unsere Pflicht, in dieser Angelegenheit ein offenes fachmännisches Wort zu sprechen, damit nicht tausende von Personen, welche das gedruckte Wort als ein Evangelium betrachten, diesem Humbug zum Opfer fallen.“ das tradierte Gute stand dem anmaßenden Neuen gegenüber: „Das tatsächlich aus Hopfen und Malz erzeugte Bier, das seit Jahrhunderten von aller Welt getrunken und verehrt wurde, ist zum Kampfobjekt der Abstinenzler geworden, das ‚Hopkos‘ aber, ein auf chemischem Wege erzeugtes Getränk, das niemals aus Malz und Hopfen erzeugt sein kann, dieses Getränk also, das der Gesundheit kaum zuträglich sein kann, wird dem Volke als Genußmittel angepriesen! Eine große Gesellschaft mit bedeutenden Mitteln konstituiert sich, die Behörden geben auch noch ein Patent auf dieses Produkt, Agenten durchziehen das Reich und machen Proselyten und das Volk, welches sich zum Genuß des ‚Hopkos‘ verleiten läßt, wird geschädigt, den Vorteil einzig und allein haben die ausländischen Unternehmer, die ‚Hopkos‘-Company, welche sich mit den im Schweiße seines Angesichtes verdienenden Hellern des Arbeiters die Tasche füllen und schließlich, wenn das Volk zur Einsicht gekommen sein wird – liquidieren.“ Die Untersuchungsbehörden müssten einschreiten, denn letztlich würden solche Unternehmen den monarchischen Staat, die mittelständische Gesellschaft unterminieren. „Geradezu frech“ sei es zudem, dass derartige Produkte von Wissenschaftlern verteidigt würden. Als Sachwalter des Gemeinwohls müsse die Brauwirtschaft daher „das Volk eindringlich vor dem Genusse eines Getränkes, das bisher unbekannt war und es noch ist“ warnen (Zitate n. Ein Appell an die Sanitätsbehörden, Gambrinus 30, 1903, 704-705). Antiamerikanismus, Antikapitalismus, Ideen eines einheitlichen Volkskörpers, einer einheitlichen Wissenschaft, Vorstellungen von Überfremdung und Angst vor der Innovationsflut der Moderne; all dies findet sich hier, hatte über die damalige Mittelstandsbewegung auch beträchtliche politische Auswirkungen. Die Abwehr von Hopkos ging weit über das Trinken oder Nicht-Trinken einer trügerisch beworbenen Getränkeinnovation hinaus. Hopkos war auch Projektionsfläche vielfach nicht erwünschter, gleichwohl kaum zu stoppender Veränderungen des Alltagslebens, der Kommerzialisierung zumindest des urbanen Alltags.

Beschwörung des Alten: Selbstdarstellung der Münchener Braukunst 1905 (Münchener Bier-Chronik 1905, Ausg. v. 1. September, 1)

Entsprechend wurden die neuen alkoholfreien Getränke nicht distanziert analysiert, auch die damit verbundenen eigenen Marktchancen außer Acht gelassen: Es hieß, „die Fabrikanten der alkoholfreien Getränke treiben ein gefährliches Spiel mit ihren Anpreisungen von chemischen Produkten“ (Alkoholfrei, Gambrinus 30, 1903, 830, auch zum Folgenden). Immer wieder forderten die Brauereivertreter das scharfe Schwert der Wissenschaft, forderten Enthauptungsschläge gegen die Konkurrenz. Sie ignorierten, dass die neuen Produkte zumeist nicht gesundheitsschädlich – und wirtschaftliche Schädigungen kaum nachweisbar waren. Sie warnten vor zeittypischen Getränken, etwa Ceres-Fruchtsäften, Bilz-Brause und eben auch Hopkos, während sie die Gründe für den im Deutschen Reich seit 1900 zurückgehenden Bierkonsum nur unwillig in den Blick nahmen. Die Kritik am Neuen sollte die Reihen schließen und führte zu einer Wagenburgmentalität der Branche, die apodiktisch verteidigte statt sich zu verändern. Typisch dafür war das unausgesprochene Verbot als Brauer „alkoholfreie Biere“ zu produzieren und anzubieten. Das veränderte sich langsam, Trinkmit der Bochumer Schlegel-Brauerei war später eine seltene und doch zukunftsweisende Ausnahme.

Die Kritik der Brauer an Hopkos und ähnlichen Getränkeinnovationen unterstrich aber auch die beginnende Stagnation des Braugewerbes, dessen Symbol die rechtlich verbindliche Festschreibung des Reinheitsgebotes im gesamten deutschen Braugebiet 1906 war. Man wetterte gegen die „Abstinenzfanatiker“ (Cluss, Die wichtigsten Gesichtspunkte der Alkoholfrage vom Standpunkte der Mässigkeit. II, in: Letter on Brewing 6, 1906, 80-99, hier 91), gegen ihre unanständige Propaganda, ihre steten Unwahrheiten und Übertreibungen. Die neuen Getränke, „dargeboten unter sprechenden Phantasienamen wie „‚Methon‘, ‚Hopkos‘, ‚Pomril‘, ‚Kaiserperle‘, ‚Edelblume‘ u.s.w.“ (Ebd., 95), lehnten sie sämtlich ab, verwiesen auf das gute altbewährte Bier mit seinem nur geringen Alkoholgehalt. Anbieter wie die Hopkos-Company – aber auch die Brauer folgten den eigenen Narrativen, blickten nicht über den Glasrand hinweg (vgl. Birgit Speckle, Streit ums Bier in Bayern. Wertvorstellungen um Reinheit, Gemeinschaft und Tradition, Münster 2001, 197-206). Diese allseits bestehende Ignoranz gegenüber konfligierenden Ansprüchen begünstigte in den USA den Weg in die Prohibition, die sich die erfolgsverwöhnten Brauer letztlich nicht vorstellen konnten, gegen die sie zu spät aufbegehrten (Thomas Welskopp, Amerikas große Ernüchterung. Eine Kulturgeschichte der Prohibition, Paderborn 2010, 11-50). Die wechselseitigen Attacken von Brauern und Anbietern neuartiger Nichtalkoholika führten auch in Deutschland zu einer Versäulung der jeweiligen Vorstellungen vom richtigen und falschen Trinken.

Nationale Expansion: Hopkos-Lizenznehmer im Deutschen Reich

Die seit spätestens Februar 1903 laufenden Bemühungen um Franchisenehmer hatten im Deutschen Reich nur gegrenzten Erfolg. Die Hamburger Hopkos-Zentrale lieferte zwar Maschinen, Extrakte und Werbevorlagen, erlaubte vor Ort durchaus eigenständige Marketingmaßnahmen, doch die Verträge engten die lokalen Aktivitäten auch ein, wurden lokale Besonderheiten doch kaum berücksichtigt. Insbesondere der reichsweit einheitliche Verkaufspreis war zu hoch, schon für eine einkommensstarken Standort wie Hamburg, gewiss aber für wirtschaftlich schwächere Regionen. Auch gleichartige Werbung war im regional heterogenen deutschen Föderalstaat nicht immer ein Vorteil. Unser kurzer Überblick wird sich daher vor allem auf lokale Besonderheiten und das für ein Franchise-Geschäft typische Spannungsgefüge zwischen Lizenzgeber und -nehmer konzentrieren. Drei Beispiele also, Frankfurt a.M./Wiesbaden, Berlin und Ennigerloh, zudem ein Memento zu Beginn.

Eine Leipziger Gesellschaft wurde aller Wahrscheinlichkeit schon im Februar 1903 vertraglich vorbereitet, doch sie entfaltete vor Ort kaum Wirkung (Leipziger Tageblatt 1903, Nr. 96 v. 22. Februar, 1356). Die Bremer American German Hopkos Company wurde am 14. Mai 1903 mit einem Stammkapital von 30.000 M gegründet, das im März 1904 gar auf 39.000 M erhöht wurde (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 117 v. 19. Mai, 13; ebd. 1904, Nr. 73 v. 25. März, 29). Die Gesellschaft bemühte sich neben dem Kerngeschäft um die Etablierung von Filialen im Großherzogtum Oldenburg (Nachrichten für Stadt und Land 1903, Nr. 164 v. 16. Juli, 4; Jeversches Wochenblatt 1903, Nr. 195 v. 21. August, 3). Der Erfolg blieb aus, die Firma wurde am 4. April 1904 aufgelöst, erlosch nach erfolgreicher Liquidation im Januar 1907 (Deutscher Reichsanzeiger 1905, Nr. 104 v. 3. Mai, 25; ebd. 1907, Nr. 31 v. 2. Februar, 20).

Das erste Beispiel führt uns nach Frankfurt a. M. und die benachbarte Kur- und Residenzstadt Wiesbaden. Als Handelsstadt mit Hafen und rasch wachsender Industrie war die frühere Freie Hansestadt mit Hamburg durchaus vergleichbar. Die American German Hopkos Company W. & P. Foucar begann am 15. April 1903, Gesellschafter waren der Kaufmann Wilhelm Foucar und seine Gattin Paula (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 111 v. 12. Mai, 27). Wilhelm Foucar hatte zusammen mit seinem Bruder 1900 die zuvor von seinem Vater Heinrich Wilhelm Foucar, einem seit 1870 in der Rheinprovinz tätigen Kaufmann, geführte Firma Foucar & Bender in eine neue Handelsgesellschaft überführt (Deutscher Reichsanzeiger 1899, Nr. 175 v. 27. Juli, 7; ebd. 1900, Nr. 38 v. 10. Februar, 15). Für das noch junge Ehepaar schien Hopkos eine Chance der Emanzipation vom Familienverband und eine selbstbestimmte Zukunft zu sein.

Tagesproduktion 12.500 Flaschen, Frankfurter Zeitung 1903, Nr. 132 v. 13. Mai, 1. Morgenbl., 4)

Die Foucars übernahmen Technik, Grundstoffe und Flaschen aus Hamburg, setzen aber von Beginn an eigene Akzente in der Werbung. Die Charakteristika wurden dem Publikum zwar ebenso eingehämmert, doch die Werbeklischees von Beginn an variiert (Frankfurter Israelitisches Familienblatt 1, 1902/03, Nr. 28, 8). Dicke Ränder sorgten in der werblich eher rückständigen Frankfurter Zeitung für besondere Aufmerksamkeit, zudem informierte man aus Renommeegründen genauer über den Geschäftsgang. 12.500 Flaschen Hopkos sollen Anfang Mai produziert worden sein, ein beachtlicher Wert auch für eine Metropole mit mehr als 300.000 Einwohnern und einem dicht besiedelten Umfeld. Die Frankfurter Dependance listete zudem mehrfach die Hopkos-Niederlagen auf, Läden also, in denen man den Bierersatz sicher kaufen konnte. Schon im Mai standen unter den Anzeigen 89 Adressen, darunter auch der aufstrebende Lebensmittelfilialist Jakob Latscha. Parallel hatte man früh fünf Generaldepots in Hanau, Cronberg, Oberursel, Hofheim und Darmstadt eingerichtet (Frankfurter Zeitung 1903, Nr. 136 v. 17. Mai, 1. Morgenbl., 4). Die Firma expandierte auch weiter gen Norden, etwa nach Gießen (Gießener Anzeiger 1903, Nr. 117 v. 20. Mai, 4).

Ein alkoholfreies Getränk in kleinen Bierflaschen – gleichwohl ein großes Kampfmittel gegen Siechtum und Tod (Frankfurter Zeitung 1903, Nr. 155 v. 6. Juni, 3. Morgenbl., 4 (l.); ebd., Nr. 136 v. 17. Mai, 1. Morgenbl., 4)

Selbstbewusst schuf das Ehepaar Foucar eigene Werbemittel, führte Hopkos damit den Kunden genauer vor Augen, griff in Illustrierten und Karikaturzeitschriften schon länger übliche Werbetrends auf. Selbstbewusst zettelte das Duo auch Scheinfehden an, um Hopkos in der Öffentlichkeit als hochwertiges, wohlschmeckendes und vor allem alkoholfreies Getränk zu etablieren (Frankfurter Zeitung 1903, Nr. 174 v. 25. Mai, 3. Morgenbl., 3; ebd., Nr. 177 v. 28. Juni, 4. Morgenbl., 4).

Produktdiversifizierung als Grundlage für höhere Krisenfestigkeit (Neues Adressbuch für Frankfurt am Main und Umgebung 1904, T. III, 2 (l.); ebd., T. I, 28)

Die American German Hopkos Company W. & P. Foucar offerierte neben dem Bierersatz eine breitere Palette alkoholfreier Getränke, darunter das Kunstgetränk Calvella, Ersatz des am Main so wichtigen Apfelmosts. Entsprechend glaubte man sich von dem Konkurs der Hamburger Zentrale abkoppeln zu können, versprach nicht nur von Hopkos, sondern auch die „künstlichen Mineralwässern und Limonaden“ weiterproduzieren zu wollen (Ebd. 1904, Nr. 77 v. 17. März, 1. Morgenbl., 3). Gleichwohl musste das Frankfurter Franchise-Unternehmen kurz darauf Konkurs anmelden und wurde am 24. Januar 1905 aufgelöst (Deutscher Reichsanzeiger 1905, Nr. 30 v. 3. Februar, 14). Das Ehepaar Foucar verschwand, war im August 1905 nicht mehr greifbar, als die Berliner Annoncenexpedition Haasenstein & Vogler versuchte, ausstehende Insertionszahlungen in Höhe von 2.283,77 Mark einzuklagen (Deutscher Reichsanzeiger 1905, Nr. 197 v. 22. August, 6).

Die Dezentralisierung des Hopkos-Lizenzgeschäftes wurde von den Foucars konsequent vorangetrieben, Hopkos war im zentralhessischen Raum allseits präsent. Wiesbaden, die Hauptstadt der preußischen Provinz Hessen-Nassau, wurde dem alteingesessen Handelsunternehmen Carl Doetsch übertragen, das 1879 vom gleichnamigen Weinhändler gegründet, 1889 aber an neue Eigentümer verkauft worden war (Deutscher Reichsanzeiger 1879, Nr. 46 v. 22. Februar, 6; ebd. 1889, Nr. 58 v. 28. Februar, 13). Auch in Wiesbaden griff man auf die Hamburger Werbevorlagen zurück, veränderte sie aber mit Regionalbezug. Der ‚Dorscht‘ der Hessen wurde beschworen, die hohen Preise des lokalen Apfelweins beklagt, das vermeintlich amerikanische Hopkos gepriesen. Man reduzierte den Hopkos-Preis in Gaststätten auf fünfzehn Pfennig, fünf Pfennig niedriger als andernorts (Ein billiges, nahrhaftes und erfrischendes Getränk, Wiesbadener Tagblatt 1903, Nr. 292 v. 27. Juni, Morgenausg., 3). Einheimische und auch Touristen durften Hopkos vor Ort kostenlos probieren, Koppeleffekte auf andere Orte wurden erhofft (Wiesbadener Streifzüge, Wiesbadener General-Anzeiger 1903, Nr. 160 v. 12. Juli, 1).

Einführung in Wiesbaden mit Proben (Wiesbadener Tagblatt 1903, Nr. 280 v. 19. Juni, Abendausg., 7)

In Wiesbaden war die Werbung variantenreich, doch es blieb zumeist bei gestalteten Textanzeigen, die regelmäßig die lokalen Hopkos-Händler auflisteten. Wurden Ende Juni zwanzig Namen genannt, waren es Anfang Juli schon 93, Anfang August schließlich 109 Niederlagen (Wiesbadener General-Anzeiger 1903, Nr. 144 v. 25. Juni, 7; ebd., Nr. 156 v. 8. Juli, 6; ebd., Nr. 177 v. 1. August, 5). Hinzu kamen Anfang Juli gezielte Hinweise auf immerhin zwölf „Ausschänkstätten“ (Wiesbadener Bade-Blatt 1903, Nr. 182 v. 2. Juli, 34). Das galt auch für übliche Cafés und Gaststätten, nicht nur für das alkoholfreie Restaurant „Zur Gesundheit“ (Wiesbadener Tagblatt 1903, Nr. 561 v. 2. Dezember, Morgenausg. 12).

Aufbau eines lokalen Vertriebsnetzes in Wiesbaden (Wiesbadener Tagblatt 1903, Nr. 286 v. 23. Juni, Abendausg. 10)

Die zeitlich begrenzte Vertretung von Hopkos war für das Wiesbadener Generaldepot Carl Doetsch wahrscheinlich erfolgreich. Die Großhandelsfirma belieferte ihre Kunden mit einer ganzen Palette alkoholfreier Markenartikel und auch eigener Handelsmarken (Wiesbadner General-Anzeiger 1904, Nr. 19 v. 23. Januar, 7). Hopkos war im Vergleich zu anderen Reformwaren relativ billig, ein Einstiegprodukt für solvente Interessenten. In Wiesbaden wurde es bis Mitte 1904 verkauft (Wiesbadener General-Anzeiger 1904, Nr. 56 v. 6. März, 6: ebd. Nr. 113 v. 15. Mai, 5; ebd., Nr. 167 v. 20. Juli, 12).

Das zweite Beispiel führt uns nach Berlin, gewinnen wir dort doch nähere Informationen über die Vertragsverhältnisse, die Größe der dezentralen Betriebe und die bisher ja völlig ausgeblendeten Beschäftigungsverhältnisse. Die Berliner Hopkos-Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurde relativ spät gegründet (Volks-Zeitung 1903, Nr. 300 v. 30. Juni, 3). Der Etablierung am 27. Juni 1903 waren jedoch lange Verhandlungen vorausgegangen, ging es doch um „den Kauf einer Fabrikanlage mit Maschinen und Zubehör und die Lizenz, betreffend die ausschließliche Herstellung und den ausschließlichen Vertrieb des ‚Hopkosgetränkes‘ für den gesamten Postbezirk Berlin (Berliner Börsen-Zeitung 1903, Nr. 304 v. 2. Juli, 21). Die Verhandlungen hatten im Februar mit einem Vorvertrag begonnen, ein Zessionsvertrag vom April regelte Kreditlinien und Anteilsrechte der Hamburger Zentrale. Das Stammkapital lag schließlich bei 120.000 M, die Geschäftsführung teilten sich der Schöneberger Kaufmann Wolf Cohn und der Berliner Ingenieur Johannes Brandes (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 154 v. 3. Juli, 13). Rasch zeigten sich Friktionen, die Geschäftsführung wurde bereits nach knapp zwei Wochen ausgetauscht (Ebd., Nr. 164 v. 15. Juli, 10).

Übernahme und Variation Hamburger Werbeklischees in der Reichshauptstadt (Vorwärts 1903, Nr. 119 v. 24. Mai, 14 (l.); ebd., Nr. 125 v. 31. Mai, 13)

Auch in Berlin war Hopkos zeitweilig breit präsent, konnte etwa in den ca. 300 Filialen der Likörfabrik, Weingroßhandlung, Fruchtsaftpresserei, Mineralwasser- und Schaumwein-Fabrik Hermann Meyer & Co. gekauft werden (Vorwärts 1903, Nr. 125 v. 31. Mai, 133). Ähnliches galt für die in Berlin besonders wichtigen Flaschenbiergroßhandlungen. Das Geschäft wurde allerdings durch ein behördliches Verkaufsverbot vom 20. Oktober bis 28. November 1903 begrenzt (Berliner Börsen-Zeitung 1903, Nr. 557 v. 28. November, 14). Ende Januar 1904 konnte man die Groß-Berliner Lizenz und den Maschinenpark dann „unter coulanten Bedingungen“ erwerben (Berliner Tageblatt 1904, Nr. 51 v. 29. Januar, 11). Es folgte die Zahlungseinstellung und am 12. April 1906 schließlich die Löschung der Berliner Hopkos-Gesellschaft (Berliner Börsen-Zeitung 1906, Nr. 179 v. 18. April, 14).

Die im Herbst 1903 auch öffentlich diskutierte Absatzkrise erlaubt genauere Einblicke in den Geschäftsgang. Die in der Chausseestraße 3 gelegene Hopkos-Fabrik beschäftigte anfangs etwa fünfzehn Arbeiter und sieben Kutscher. „Da das Unternehmen aber finanziell sehr schlecht fundiert war und das Fabrikat auch nicht genügend Abnehmer fand, verkrachte die Gesellschaft bereits nach einigen Monaten. Der Konkurs wurde zwar angemeldet, doch wegen Mangel an Masse zurückgewiesen. Schon während der ersten Monate war das Personal verringert worden, so daß zuletzt noch zwei Kutscher, drei Kellerarbeiter und eine Buchhalterin verblieben“ (Vorwärts 1903, Nr. 240 v. 14. Oktober, 9). Lohn wurde keiner mehr gezahlt, die Ansprüche addierten sich. Doch die komplexen Vertragsverhältnisse erschwerten den Regress, derweil beträchtliche Teile des Inventars verkauft wurden. Dem Rechtsanwalt der Arbeiter gelang es, die maschinelle Grundausstattung vor dem Verkauf zu retten. Dennoch bekamen seine Mandanten ihre zwischen 75 und 300 Mark liegenden Forderungen nicht erstattet, da es vorrangige Mietschulden gab. Die öffentlich angegriffene Berliner Hopkos-Gesellschaft verwies den sozialdemokratischen Vorwärts auf die bestehende Rechtslage. Der Zessionsvertrag begünstige einige Gläubiger, auch Zugriffsrechte der Hamburger Zentrale unterbänden die Lohnzahlung an die Beschäftigten (Vorwärts 1903, Nr. 251 v. 27. Oktober, 10-11). Das sind bis heute vielfach typische Folgen eines auf Franchise aufbauenden Geschäftsmodells. Deutlich wird aber auch, dass der Berliner Lizenznehmer – und gewiss nicht nur dieser – seit Spätsommer 1903 vornehmlich abwickelte. Hopkos scheiterte rasch, an fehlendem Betriebskapital, vor allem aber am fehlenden Absatz. Die anfangs ausgegebenen „Rentabilitäts-Nachweise“ trogen, gründeten auf illusionären Erwartungen.

Das dritte Beispiel führt uns von der Reichshauptstadt in die westfälische Provinz, nach Ennigerloh, einer landwirtschaftlich geprägten Gemeinde mit etwa 1.500 Einwohnern. Es erlaubt einerseits Einblicke in die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Lizenznehmer, unterstreicht anderseits die trotz Verträgen nicht unbeträchtliche unternehmerische Freiheit fernab der Zentrale in Hamburg.

Bierersatzwerbung im Münsterland und in Ostfalen (Die Glocke 1903, Nr. 106 v. 9. Mai, 3 (l.); Bielefelder Volks-Zeitung 1903, Nr. 128 v. 6. Juni, 8)

Die American-German ‚Hopkos‘ Company Badde & Schlemann in Ennigerloh hatte bereits am 1. April 1904 ihren Betrieb aufgenommen (Münsterischer Anzeiger 1903, Nr. 253 v. 1. Mai, 3). Die treibende Kraft war der als Prokurist fungierende Heinrich Schlemann. Er war ehedem Landwirt, seit 1900 Mitinhaber eines lokalen Wasserkalkwerks (Bielefelder Volks-Zeitung 1900, Nr. 79 v. 3. April, 5). Der Betrieb scheiterte, über das Vermögen Schlemanns wurde 1902 der Konkurs eröffnet, 1905 schließlich aufgehoben (Ebd. 1902, Nr. v. 20. Mai, 4; ebd. 1904, Nr. 52 v. 4. März, 3; Deutscher Reichsanzeiger 1905, Nr. 44 v. 20. Februar, 42). Der lokale Absatz des alkoholfreien Bieres verlief in den gängigen Bahnen, Hopkos-Klischees buhlten in der westfälischen Provinz um Käufe. Der Absatz dürfte überschaubar gewesen sein.

Doch Schlemann sah, ebenso wie zuvor Konstantin Delpy in Hamburg, im Hopkos-Konkurs eine Chance. Er gründete im September 1904 mit Hilfe seiner Frau Anna die Mineralwasserfabrik Dr. Tietzsch u. Schlemann (Deutscher Reichsanzeiger 1904, Nr. 264 v. 8. November 1904, 29). Sie produzierte das von Carl Enoch entwickelte, von der Hopkos-Gesellschaft vermarktete Erfrischungsgetränk Calvina und das neu kreierte Mineralwasser Heinrichs-Sprudel, ein mit Kohlensäure angereicherten Trinkwasser. Die Geschäftsidee war, die „teueren natürlichen Mineralwässer“ durch „ein billiges Tafelwasser“ zu ersetzen; ein Geschäft, das heutzutage Groß- und Handelskonzernen hohe Gewinne sichert (Bielefelder Volks-Zeitung 1904, Nr. 266 v. 19. November, 12).

Angebote über Bande: Calvina, Mineralwasser und Alkoholika (Die Glocke 1904, Nr. 243 v. 21. Oktober, 4)

Nach dem beendeten Konkurs und dem Selbstmord des Kompagnons Rudolf Tietzsch, der, „ein bedauernswerter Mann ohne sittlichen Halt“, zuvor in Berlin die „letzten Reste seines Vermögens durchgebracht hatte“ (Bielefelder Volks-Zeitung 1905, Nr. 96 v. 27. April, 2) gründete der wieder voll handlungsfähige Heinrich Schlemann im August 1905 die Schlemann & Co. GmbH. Mit einem Stammkapital von 21.000 Mark produzierte sie, wie die Internationale Hopkos-Gesellschaft, alkoholfreie Fruchtextrakte und weitere alkoholfreie Getränke.

Fortsetzung Calvinas unter neuem Namen und neuer Flagge (Warenzeichenblatt 1906, 51)

Schlemanns Kalvina war eine eingedeutschte Reminiszenz an die American German Hopkos Company, in dessen im August 1905 beantragten Warenzeichen der Adler nunmehr allein die deutsche Fahne in seinen Klauen hielt. Es ist unklar, wie lange dieses alkoholfreie Erfrischungsgetränk in der westfälischen Provinz verkauft wurde. Die Ennigloher American-German Hopkos Company erlosch jedenfalls am 10. Januar 1909 (Bielefelder Volks-Zeitung 1909, Nr. 12 v. 16. Januar, 4). Sie war der letzte noch bestehende deutsche Lizenznehmer der einstmals verheißungsvoll gestarteten Hamburger Hopkos-Zentrale. Schlemann arbeitete anschließend wohl als Landwirt resp. im lokalen Hotel seines Bruders und nach dem Krieg unter anderem als Repräsentant einer Weinfirma (Die Glocke 1922, Nr. 17 v. 21. Januar, 5). Die schnelle Mark dürfte er nicht gemacht haben, auch wenn er auf die Disruptionen seines Umfeldes professionell reagiert hatte.

Weltgeschäft: Hopkos in Auslandsmärkten

Weltgeschäft… Dieser Begriff ist bei Franchiseunternehmen wie Hopkos eigentlich immer mitzudenken, selbst im Zeitalter von Nationalismus und Imperialismus. Es galt ein erfolgreiches Modell zu etablieren, dieses dann wieder und wieder zu reproduzieren. Franchiseunternehmen sind Spekulationen auf geringe Unterschiede im Konsumverhalten großer Konsumentengruppen. Die Macher sahen Hopkos als einen innovativen Traditionsbrecher, der länderübergreifend Erfolg haben würde. In der Tat gelang der Verkauf von Hopkos-Lizenzen auch außerhalb des Deutschen Reiches. Hopkos repräsentierte in allerdings gebrochener Weise den für viele Nahrungsmittelbranchen typischen Erfolg deutscher Grundstoffe und Maschinen (Manz und Spiekermann, Making Food Empires, Oxford 2026 (i.E.)). In den meisten anvisierten Ländern scheiterte Hopkos jedoch.

Der Blick über die Grenzen lehrt erst einmal, dass das seit 1900 geschützte Warenzeichen schon vor dem Ankauf der Rechte durch die American German Hopkos Company genutzt wurde. 1901 wurde die Ausfuhr von „Hopkos (Ersatz für Weizen-Malz-Bier)“ nach Russland offiziell genehmigt (Deutscher Reichsanzeiger 1901, Nr. 275 v. 19. November, 6; Deutsches Handels-Archiv 1902, 54). 1902 konnte man es durch den Zürcher Unternehmer Albert Bruhin beziehen. Er gehörte zu den Pionieren der Produktion alkoholfreien Bieres in der Schweiz, verkaufte seine Schweizerische Fabrik zur Herstellung alkoholfreier kohlensäurehaltiger Getränke jedoch bereits im Folgejahr (Der Freisinnige 1903, Nr. 75 v. 1. Juli, 4).

Frühe Präsenz in der Schweiz (Neue Zürcher Zeitung 1902, Nr. 300 v. 29. Oktober, 7)

Im wichtigsten europäischen Markt, in Großbritannien, wurde keine Hopkos-Vertriebs-Gesellschaft gegründet, der Bierersatz lediglich als eine „new alcohol-free popular drink“ (The National Druggist 35, 1905, 275) wahrgenommen. Die Hamburger Hopkos-Company plante dagegen die Expansion nach Frankreich. Schon am 6. April 1903 erhielt sie ein fünfzehnjähriges Patent für Flaschenabfülleinrichtung mit vorgelagerter Mischung von Fruchtsirup und kohlensäurehaltigen Flüssigkeiten (Bulletin des Lois de le République Francaise 69, 1904, 428). Über die Nutzung dieses Patents Nr. 330.953 ist allerdings nichts bekannt (Brevet d’Invention 1903, Nr. 14, s.p.). In dem damals noch in Personalunion mit Norwegen vereinten Schweden, einem Kernland der Temperenzbewegung, bemühte sich die Hopkos-Gesellschaft um Franchisenehmer, lud Interessenten jedoch vergeblich zu persönlichen Verhandlungen nach Stockholm ein (Stockholms Dagblad 1903, Nr. 179 v. 7. Juli, 8). Erfolg hatte die Hamburger Firma jedoch im russischen und österreichisch-ungarischen Reich.

Erfolglose Werbereise zur Etablierung von Hopkos in Schweden – erfolgreiche Investorensuche in Budapest (Dagens Nyheter 1903, Nr. 11938 v. 7. Juli, 4; Pester Lloyd 1903, Nr. 124 v. 26. Mai, 4)

Nachdem die Investorensuche im cisleithanischen Österreich ohne Erfolg geblieben war, entstand im August 1903 in Budapest die Continental-Hopkos-Company, vermeintlich aufgrund der „in den letzten Wochen in massenhafter Weise aus allen europäischen und überseeischen Ländern an uns gelangten Aufträge zur Errichtung von Anlagen zur Hopkoserzeugung“ (Neue Freie Presse 1903, Nr. 13999 v. 18. August, 19). Sie sollte das Geschäft in Ungarn, Österreich und dem Orient organisieren.

Budapest als Standort der geplanten weiteren europäischen Expansion von Hopkos (Pester Lloyd 1903, Nr. 197 v. 16. August, 3)

Am Standort Budapest waren Lizenzen zu vergeben, wurden offiziell Extrakte und Maschinen gefertigt (Die Zeit 1903, Nr. 317 v. 18. August, 13). Die dortige Werbesprache lehnte sich an die deutschen Vorlagen an, propagierte das in Flaschen zu je vierzehn Heller erhältliche Erfrischungsgetränk aber auch als ein stärkendes „Heilgetränk“ für Sanatorien und Krankenhäuser (Pester Lloyd 1903, Nr. 235 v. 30. September, 13). Der Aufbau des Geschäfts erfolgte langsam, erst im Frühjahr 1905 bemühte man sich via Anzeige um kapitalkräftige Lizenznehmer in der Habsburgischen Monarchie (Kärtner Zeitung 1905, Nr. 40 v. 7. April, 7; Kurjer Lwowski 1905, Nr. 98 v. 8. April, 8). Der Konsum in Budapest soll damals 20.000 Flaschen täglich betrugen haben (Grazer Tagblatt 1905, Nr. 95 v. 4. Mai, 14). Nach wie vor aber hatte die mittlerweile in Fabrik alkoholfreier Fruchtextrakte Delpy & Co. m.b.H. umbenannte Hamburger Zentrale die Patentrechte inne (Österreichisches Patentblatt 13, 1905, 303). Die Budapester Dependance versuchte Hopkos in Galizien, insbesondere aber an Adriaküste, in Triest und Dalmatien, zu etablieren (Il Picolo 1905, Nr. 8508 v. 30. April, 3; ebd. 1905, Nr. 8582 v. 13. Juli, 3). Dies dürfte misslungen sein. Wahrscheinlich endete die Budapester Continental-Hopkos-Company 1907/08 (Adressbuch aller Länder der Erde 10, 1908, Bd. 18, 38).

Versuche der Etablierung von Hopkos im österreichischen Triest (Il Picolo 1905, Nr. 8485 v. 7. April, 5)

Schneller erfolgte die Etablierung in Russland, genauer im russisch beherrschten Finnland. Erste Werbeanzeigen findet man im Juni 1903; Mitte Juni 1903 wurde schließlich der Gesellschaftervertrag der „Finska Hopkos Aktiebolag“ in Helsinki genehmigt (Hufvudstadsbladet 1903, Nr. 161 v. 20. Juni, 3). In den Zeitungen klang es fast wie in Hamburg: „Das neue Erfrischungsgetränk ‚Hopkos‘, das in Finnland große Aufmerksamkeit erregt und sich in ganz Europa verbreitet, wird auch in Finnland immer beliebter“. Die Sachaussagen waren oft jedoch Wunschvorstellungen: „Der Preis wird so niedrig angesetzt, dass es hoffentlich auch in unserem Land Bier verdrängen kann, wie es in Deutschland, der Heimat des Bieres, bereits der Fall ist“ (Uusi Aura 1903, Nr. 128 v. 6. Juni, 1).

Werbung für Hopkos in der finnischen Hauptstadt Helsinki und in der Gewerbestadt Turko (Hufvudstadsbladet 1903, Nr. 280 v. 18. Oktober, 5 (l.); Uusi Aura 1903, Nr. 76 v. 7. Juli, 3; ebd., 1 (r., o.))

Hopkos galt anfangs als technische Errungenschaft, neben Anzeigen bekannten Tons traten vor Ort zudem Werbebeilagen und Flugblätter (Uusi Aura 1903, Nr. 205 v. 5. September, 2; Uusi Aura 1903, Nr. 160 v. 15. Juli, 1). Hopkos galt als „Amerikkaalista raittiusjuomaa“, als „Amerikanisches Mäßigkeitsgetränk“ (Wiipuri 1904, Nr. 36 v. 4. Mai, 1), während man Hamburg in der Werbung auch mal nach Sachsen verortete (Turun Lethi 1903, Nr. 66 v. 6. Juni, 2). Wie bei vielen deutschen Lizenznehmern war das amerikanisch-deutsche Getränk meist Teil eines breiteren Angebotes alkoholfreier Getränke (Uusi Aura 1903, Nr. 86 v. 30. Juli, 4; ebd. 1904, Nr. 44 v. 19. April, 1). Auch in Finnland wurde die Alkoholfreiheit des Bierersatzes besonders betont, musste auch hervorgehoben werden, da einzelne Analysen geringe Alkoholanteile ergaben (Wiipuri 1904, Nr. 94 v. 24. April, 2; Uusi Aura 1904, Nr. 157A v. 10. Juli, 2). Die lokale Produktion in Finnland dürfte Ende 1904 eingestellt worden sein.

Scheitern, Fortsetzungen und Ende in Hamburg

Die Lizenzeinkünfte aus mehreren deutschen Filialen und zwei europäischen Staaten waren allerdings nicht ausreichend für einen weiter profitablen Geschäftsbetrieb in Hamburg. Ein Jahr nach der Gründung begann der Ausverkauf. Die Einrichtung der Hopkos-Company, ihr Maschinenpark, auch weitere Produktionsmittel wurden erst Anfang Januar, dann nochmals Anfang öffentlich versteigert. Es galt offenbar, noch bestehende Werte zu monetarisieren.

Versteigerung der Hopkos-Einrichtung Anfang 1904 (Hamburgischer Correspondent 1904, Nr. 9 v. 7. Januar, 7 (l.); Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 20 v. 21. Januar, 14)

Das Weltgeschäft war vor Ort überschaubar, versteigert wurde je ein Destillier- und Pasteurisierapparat, eine Flaschenspülmaschine, ein kleiner Elektromotor, mehrere Kessel, nur 9000 Flaschen und 200 Flaschenkästen, zudem 100 Korbflaschen und schließlich drei große Fässer mit Hopkos-Extrakt. Alles musste raus, schließlich auch der eiserne Geldschrank. Parallel verkaufte man weiter Restbestände des früheren Getränks der Zukunft.

Der Verkauf geht trotz Verkauf des Interieurs und Geräteparks weiter (Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 23 v. 28. Januar, 8; ebd. Nr. 25 v. 30. Januar, 8)

Mit Gesellschaftervertrag vom 1. Februar 1904 wurde die American German Hopkos Company in eine Nachfolgegesellschaft, die Internationale Hopkos Gesellschaft Delpy & Co. mbH überführt, die ein durchaus stattliches Stammkapital von 70.000 Mark aufwies (Deutscher Reichsanzeiger 1904, Nr. 35 v. 10. Februar, 11). Die früheren Macher waren großenteils nicht mehr mit an Bord, Hauptgesellschafter wurde der Kaufmann und Zivilingenieur Maria Hubert Felix Marbaise, der für die für 20.000 Mark bar von der Hopkos-Company erworbenen Firmenrechte – offenkundig Lizenzverträge – einen doppelt so hohen Kapitalanteil angerechnet bekam. Marbaise war nach der Heirat 1898 in die Hamburger Fa. Wilhelm Cordts eingetreten, die unter anderem Repräsentant des Aufzügeherstellers Deutschen Otis-Gesellschaft war, dessen Stammsitz in Yonkers, New York lag, direkt neben der Zuckerraffinerie eines Sohnes des deutsch-amerikanischen Zuckermagnaten Claus Spreckels. Marbaise übernahm diese Gesellschaft später, gründete zudem eine eigene Maschinenfabrik, scheiterte damit jedoch, musste 1910 Konkurs anmelden (Hamburger Fremyden-Blatt 1898, Nr. 270 v. 18. November, 22; Hamburgischer Correspondent 1900, Nr. 422 v. 9. September, 23; ebd. 1905, Nr. 110 v. 1. März, 17; ebd. 1910, Nr. 131 v. 13. März, 36; Hamburger Fremdenblatt 1911, Nr. 34 v. 9. Februar, 14). Neuer Geschäftsführer wurde der Harburger Kaufmann Konstantin Delpy, Kaufmann in Harburg (Neue Hamburgische Börsen-Halle 1904, Nr. 63 v. 7. Februar, 5). Diese Nachfolgegesellschaft wickelte die bisherige Hopkos-Company ab, führte das Lizenzgeschäft weiter, begann zudem mit der Produktion und dem Vertrieb eines neuen alkoholfreien Erfrischungsgetränkes.

Veränderter Firmennamen, unveränderte Anzeige, kontinuierlicher Absatz auch im Facheinzelhandel (Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 50 v. 28. Februar, 16 (l.); Bergedorfer Zeitung 1904, Nr. 73 v. 26. März, 5)

Die American German Hopkos Company mbH stellte am 13. Februar 194 ihre Zahlungen ein (Hamburgischer Correspondent 1904, Nr. 74 v. 13. Februar, 13). Die Umsetzung des Konkurses verzögerte sich mehrfach, der finale Prüfungstermin erfolgte schließlich Anfang August 1904. Die noch vorhandenen Mittel von 21.150 Mark wurden an die Gläubiger verteilt, insgesamt gab es Forderungen von 115.426,44 Mark (Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 163 v. 14. Juli, 22). Der Konkurs konnte daher Ende August aufgehoben werden (Deutscher Reichsanzeiger 1904, Nr. 205 v. 31. August, 11). Die American-German Hopkos Company mbH wurde schließlich am 25. September 1905 gelöscht (Ebd. 1905, Nr. 230 v. 29. September, 12).

Derweil waren ihre früheren Warenzeichen Anfang April 1904 auf die neue Internationale Hopkos-Gesellschaft übertragen worden, so dass es zumindest rechtlich keine Friktionen im parallel allerdings bröselnden Lizenzgeschäft gab (Ebd. 1904, Nr. 83 v. 8. April, 29). Doch die neue Gesellschaft präsentierte seit Ende April 1904 auch ein weiteres „nach patentiertem Verfahren aus Früchten zubereitet[es], hervorragendes Erfrischungsgetränk“ (Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 102 v. 1. Mai, 44). Das Warenzeichen für Calvina war bereits am 18. Juli 1903 beantragt worden, befand sich seit Ende September im Besitz der Hopkos-Company (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 244 v. 16. Oktober, 15). Es handelte sich um gewerblich Nutzung eines der beiden 1900 an Carl Enoch erteilten Patente (Deutscher Reichsanzeiger 1900, Nr. 285 v. 2. Dezember, 13; ebd. 1905, Nr. 77 v. 30. März, 18; DE130103 – Google Patents).

Erweiterung der Produktionspalette: Erfrischungsgetränk Calvina (Hamburger Nachrichten 1904, Nr. 284 v. 23. April, 4)

Das neue Getränk wurde aktiv, doch deutlich verhaltener angepriesen als Hopkos. Es hatte 0,37 Prozent Alkohol, war also durchaus „alkoholfrei“ (Neueste Erfindungen und Erfahrungen 33, 1906, 465). Doch neben Calvina wurde weiterhin auch Hopkos angeboten, beide mit Aplomb: „Von den alkoholfreien Getränken, welche jetzt eine große Rolle spielen, gehören die Fabrikate der ‚Internationalen Hopkos-Gesellschaft‘ zu den beliebtesten. Die unter den Namen ‚Hopkos‘ und ‚Calvina‘ hergestellten Getränke zeichnen sich durch leichte Bekömmlichkeit und angenehmen Geschmack aus, sodaß namentlich für den Sommer das Getränk sehr zu empfehlen ist“ (Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 102 v. 1. Mai, 30). Nur vereinzelt brachen die früheren Hopkos-Elogen sich Bahn, wurde vom Durst und der Durstnot geschrieben, bei der die „Hopkos-Gesellschaft“ helfen könne: „Wir trinken Hopkos abwechselnd hell und dunkel und zur besonderen Erbauung unserer Schluckwerkzeuge Calvina. Der ‚viele Durst‘ ist gestillt und keiner kann uns was anhaben!“ (Hopkos, Neue Hamburger Zeitung 1904, Nr. 207 v. 5. Mai, 3)

Daueranzeige für Hopkos und Calvina (Hamburger Fremden-Blatt 1904, Nr. 119 v. 22. Mai, 27)

Beide Produkte wurden im Mai/Juni 1904 mit nur einem Werbeklischee kontinuierlich angezeigt, Enochs geistige Vaterschaft darin nicht näher erwähnt, wohl aber seine kontinuierliche chemische Kontrolltätigkeit. Die Getränke verschwanden anschließend langsam, erschienen noch in Annoncen einzelner Händler (Bergedorfer Zeitung 1905, Nr. 222 v. 21. September, 4). Derweil hatte sich die Internationale Hopkos-Gesellschaft umbenannt, die Warenzeichen wurden Ende August 1905 an die Fabrik alkoholfreier Frucht-Extracte Delpy & Co. mbH übertragen (Deutscher Reichsanzeiger 1905, Nr. 54 v. 3. März, 23). Sie währte nicht lang, wurde am 19. Januar 1907 schließlich aufgelöst und von Konstantin Delpy liquidiert (Deutscher Reichsanzeiger 1907, Nr. 22 v. 25. Januar, 14).

Das Warenzeichen Hopkos überdauerte sie – zumindest formal. Es erlosch im Dezember 1910 nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist (Deutscher Reichsanzeiger 1910, Nr. 289 v. 9. Dezember, 36). Der Bedeutungsgewinn alkoholfreier karbonisierter Getränke, insbesondere von süßen Limonaden, wurde dadurch nicht gebremst, die schnelle Mark lockte weiterhin Investoren. Herbere Getränke, insbesondere die „alkoholfreien Biere“ hatten damals allerdings „noch keinen besonderen Anklang gefunden […] und es muß daher abgewartet werden, ob die Anstrengungen der Fabrikanten zur Verbesserung ihrer Erzeugnisse zum Ziele führen“ – so das Zwischenresümee der Temperenzler, die unter „alkoholfreien Bieren“ nach wie vor auch „braun gefärbte und aromatisierte Zuckerlösungen“ wie Methon und Hopkos verstanden (Mäßigkeits-Blätter 24, 1907, 202).

Uwe Spiekermann, 25. Oktober 2025

Neues Brauen: Valentin Lapp und das „Original alkoholfreie Bier“ 1896-1905

Bier ist ein mythenschwangeres Gebräu, dessen geschichtswissenschaftliche Erforschung bestenfalls in den Kinderschuhen steckt. PR-Handreichungen und Frohsinnsvorlagen von Brauereien, Auftragsjournalisten und selbsternannten Bierexperten dominieren nahezu unwidersprochen, feiern das recht homogene Produkt Bier als eines voller Charakter, sind selbst aber billigste Ware. Ähnliches gilt auch für den wachsenden Markt alkoholfreier Getränke, über dessen Geschichte wir, abgesehen von wenigen Markenartikeln, kaum etwas wissen. Niemand wird daher ignorant oder recherchefaul geziehen, wenn er das erste alkoholfreie Bier hierzulande in die 1950er Jahre datiert – oder gar in die 1980er Jahre (vgl. etwa Franz Meußdoerffer und Martin Zarnkow, Das Bier. Eine Geschichte von Hopfen und Malz, München 2014 [ebook]). Der Blick ist auf den Wachstumsmarkt gerichtet, historische Entwicklungen und Pfadabhängigkeiten erscheinen als unwichtiges Beiwerk, werden wie Schaum zur Seite gewischt.

Dieser Beitrag wird den Blick weiter zurückwenden. Hierzulande wurde das erste über mehrere Jahre mit Erfolg angebotene alkoholfreie Bier deutlich vor dem Ersten Weltkrieg vom fränkisch-sächsischen Braumeister Valentin Lapp (1856-1908) produziert und vermarktet. Lapp war allerdings nicht der „Erfinder“ des alkoholfreien Bieres, denn schon kurz zuvor gab es eine Welle immer neuer alkoholfreier Angebote, die teils als „alkoholfreie Biere“ bezeichnet wurden, den heutigen Kriterien dieses Begriffs zumeist jedoch nicht entsprachen. Lapps „Original alkoholfreies Bier“ war es jedoch – und eine historische Analyse dieses Produkt erlaubt zudem, die vielen Schwierigkeiten zu diskutieren, die nicht nur zum Marktaustritt Lapps, sondern auch zum Scheitern vieler anderer alkoholfreier Biere dieser Zeit führten. Wenn Sie dies mitnehmen, wissen Sie schon mehr als viele vermeintliche Experten und Journalisten. Falls Sie jedoch an mehr als oberflächlichem Wissen interessiert sind, dann lade ich Sie ein, sich mit mir auf eine verwickelte, nicht immer eindeutige Reise in die bis dato unbekannte Vergangenheit des neuen alkoholfreien Brauens zu begeben.

Dieser Artikel ist zugleich der erste von vier geplanten Beiträgen, die sich am Beispiel des alkoholfreien Bieres mit der Neugestaltung des Trinkens im Deutschen Reich vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigen. Drei Fallstudien stehen am Anfang: Das neue Brauen von Valentin Lapp behandelt den Umbruch beim Brauen selbst; die Untersuchung des 1901 reichsweit eingeführten „alkoholfreien Bieres“ Hopkos führt zurück in die frühe Werbewelt nicht alkoholischer Limonaden; das vornehmlich im Ruhrgebiet angebotene Trinkmit der Bochumer Schlegelbrauerei steht für die Integration alkoholfreier Biere in das Sortiment marktnah produzierender Brauereien. Ein vierter Artikel wird dann die entwickelten Fäden zusammenziehen, wird den mit den industriell gefertigten Nichtalkoholika verbundenen Bruch der deutschen Trinkkultur um 1900 zusammenführend analysieren.

Alkohol als Gefahr, Bier als hilfreiches Übel

Am Anfang gilt es erst einmal Abstand zu gewinnen: Im Gegensatz zu gängigen Beschwörungen des guten alten Bieres war dieses schwachalkoholische Getränk bis weit ins 19. Jahrhundert hinein von höchst heterogener Qualität. Häusliches und gewerbliches Brauen waren stark wetterabhängig, verarbeiteten Rohwaren unterschiedlicher Herkunft und Qualität, nutzten häufig verunreinigtes Wasser. Das änderte sich seit den 1840er, vornehmlich aber seit den 1860er Jahren – und dies ist hier nicht näher darzustellen (dazu bald Stefan Manz und Uwe Spiekermann, Making Food Empires: German Technology and Global Mass Production, 1870–1914, Oxford UP 2026, Kap. 7 und 8). Verbesserte chemische Kenntnisse, agrarwissenschaftliche Interventionen, Wissenstransfer von England und Böhmen, ein immer leistungsfähigerer Maschinenbau, ein beträchtlicher Qualifikationsschub durch Fachschulen, Lehrbücher und Fachzeitschriften folgten; sie alle erlaubten Biere neuer Qualität, die nicht nur hierzulande Kunden fanden. Die Wirtschaftsreformen des liberalen Zeitalters ermöglichten stetig größere Betriebe, Aktiengesellschaften prägten zunehmend das Geschäft, Kühltechnik, Pasteurisierung, Reinhefen und neue Transportmittel erlaubten den innerdeutschen Versand, zunehmend auch den internationalen Absatz. Im Gegensatz zu den Aussagen der Hochglanzhistorie führte die Disruption des Bierbrauens in den 1870er und 1880er Jahren jedoch keineswegs zu durchweg hochwertigen Angeboten.

Intensiv geführte Debatten über „Dividendenjauche“ spiegelten vielmehr die weiterhin beträchtlichen Probleme des modernen Brauens, dem vornehmlich oberhalb der Mainlinie vielfach mit den Hilfsmitteln der modernen Chemie abgeholfen wurde. Konservierungs- und Farbstoffe waren nicht unüblich, Hopfensubstitute, Aroma- und Süßstoffe prägten viele Angebote. Ökonomisch waren die Bierbrauereien eine der wichtigsten Träger der Früh- und Hochindustrialisierung, stellten nach Umsatz und Kapitaleinsatz die Textil-, Montan- und chemische Industrie noch um die Jahrhundertwende in den Schatten. Dabei half nicht zuletzt der Aufbau neuartiger Vertriebsstrukturen durch Wirtshäuser und Gaststätten, Biergärten und Kneipen. Als schwachalkoholisches Getränk diente Bier aber auch vielen Alkoholgegnern als Hilfsmittel gegen den dämonisierten Schnapsteufel, also eine sich im frühen 19. Jahrhundert etablierende, vornehmlich vom Branntwein geprägte Alkoholkultur.

Wie gegen das Bier kämpfen? Rausch und Stammtisch als männliche Alltagsfreuden (Fliegende Blätter 85, 1886, Nr. 2161, Beibl., 5 (l.); ebd. 68, 1878, 57)

Der 1883 gegründete „Deutschen Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke“ gab der schon in den 1840er Jahren starken Temperenzbewegung neue Impulse (Heinrich Tappe, Der Kampf gegen den Alkoholmißbrauch als Aufgabe bürgerlicher Mäßigkeitsbewegung und staatlich-kommunaler Verwaltung, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hg.), Durchbruch zum modernen Massenkonsum, Münster 1987, 189-235, insb. 199-210). Der Feind war der Branntwein, vor allem der billige Kartoffelschnaps, der durch die noch nicht regelmäßig getilgten Fuselöle doppelt toxisch wirkte. Im Gründungsjahr des Vereins wurden fast zwei Drittel des Alkohols im Deutschen Reich als Spirituosen konsumiert, sechs Prozent als Wein, Bier lag bei etwa dreißig Prozent. Der nun einsetzende, staatlich und kirchlich breit unterstützte Kampf gegen den Alkohol konzentrierte sich erst einmal auf das Hauptübel, wollte man doch nicht länger Konsummengen von knapp zehn Liter Weingeist pro Kopf der Erwachsenen hinnehmen (die heutigen Mengen liegen übrigens trotz deutlich sinkender Tendenz noch höher; und bis heute wird Wein hierzulande nicht, Bier nur äußerst moderat besteuert). Bier und Wein blieben lange Bundesgenossen der Temperenzvereine, die 1903 erfolgte Spaltung des Deutschen Vereins in „Ent­haltsame“ und „Mäßige“ verwies jedoch auf letztlich nicht mehr überbrückbare Spannungen innerhalb der Antialkoholbewegung (Hasso Spode, Alkohol und Zivilisation. Berauschung, Ernüchterung und Tischsitten in Deutsch­land bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 1991, 169-193).

Warum aber erschien Bier erträglich? Zum einen war es eine wichtige Übergangsdroge, die den Verzicht auf Spirituosen einfacher gestalten konnte. Bier hatte zudem nur einem Alkoholholgehalt von zumeist drei bis vier Prozent, war damit deutlich alkoholärmer als die heutigen Pilsener mit Anteilen von etwa fünf Prozent. Bier war aber zugleich ein integraler Bestandteil der Alltagskost. Es war nicht, wie heute, vorrangig ein Stimmungswandler. Es war „flüssiges Brot“, ja, eine kräftigende Alltagsspeise. Bier materialisierte Ruhe und Geselligkeit, regte die Lebensgeister, erfrischte im Sommer, löschte den Durst nach körperlicher Arbeit. Der Biertrinker mochte nach Ansicht der vornehmlich bürgerlichen Temperenzler faul und träge sein, doch anders als der Trunkenbold, der Säufer, galt er nicht als halt- und charakterloses Subjekt, musste nicht vorrangig therapiert, sondern konnte in die richtige, die mäßige Richtung gelenkt werden. Auch in Bierhallen hieß es: „Wo man Bier trinkt, kannst Du ruhig lachen, / Böse Menschen trinken schärf’re Sachen“ (Bayerisches Gastwirths-Zeitung 15, 1894, Nr. 23, 6).

Geselliges Miteinander in einem Berliner Kellerlokal (Illustrirte Zeitung 82, 1884, 415)

Aufbau einer alkoholfreien Gegenkultur

Neben repressive (und durchaus wirksame) Maßnahmen — etwa härtere Strafgesetze gegen Alkoholdelikte, die wegweisende Branntweinsteuer von 1887 und restriktivere Konzessionsvergaben für Gaststätten und Kleinhandel — traten aber von Beginn an „positive“ Alternativen zum Alkoholkonsum. Sie waren Ausdruck einer recht einseitigen fürsorglichen Ausrichtung auf die Erziehung des männlichen Industriearbeiters durch Kirchen, Wohlfahrtspfleger, Wissenschaftler und Sozialstatistiker. Der beträchtliche Alkoholkonsum der eigenen Berufsstände und der Frauen blieben eher im Hintergrund – sieht man einmal von den akademischen Studiosi ab. Das war Sozialreform über Bande, denn schlechte Wohnverhältnisse und das enge Miteinander von Familie, Verwandtschaft und Schlafgängern führten die Betroffenen fast zwingend in die Wirtshäuser und Kneipen, Saufkasinos und Kaschemmen. Konnte man deren Quasimonopol für Feierabend und Wochenende jedoch durchbrechen, so hoffte man mittel- und langfristig die „Trunksucht“ erst beim Branntwein, dann vielleicht auch beim Bier zu vermindern. Dazu sollten zuerst Schankstätten neuen Typus gegründet werden, in denen der gefährliche Trunk durch einen labenden Trank erst ergänzt und dann ersetzt wurde.

In vielen Artikeln und Broschüren präsentierte man die Utopie einer nichtalkoholischen Gaststätten- und Getränkekultur (U[we] Spiekermann, Grundlagen der modernen Getränkekultur. Ein historischer Rückblick, Aktuelle Ernäh­rungsme­dizin 21, 1996, 29-39). Besseres sollte an die Stelle des alkoholtriefenden Alten treten. Man möge, so hieß es in einer Petition des Centralverbandes der evangelisch-christlichen Enthaltsamkeitsgesellschaften in Deutschland zur Bekämpfung der Trunksucht, „statt der Branntweinschänken mehr Kaffeeschenken, Kaffeebuden, Theebuden, Kaffee- und Theewagen, sowie Lokale mit warmen Speisen konzessionir[en, US] und die Steuern auf Kaffee, Thee und alkoholfreies Bier ermäßig[en, US]“ (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Leg. 6, Sess. 1884/85, Bd. 6, Anlagen, Berlin 1885, 934).

Dies spiegelt unfreiwillig die noch enge Palette nichtalkoholischer Getränke: Es ging um (Ersatz-)Kaffee und zumeist heimische Teemischungen, die zwar wärmen konnten, nicht aber erfrischen und den Durst löschen. Malzkaffee sollte erst in den 1890er Jahren neue geschmackliche Optionen eröffnen. Das hätten grundsätzlich auch Fruchtsirups, Mischgetränke aus Wasser und Saft sowie die von Frauen gern getrunkene Mandelmilch tun können, doch erstere waren zumeist überzuckert, litten an dem noch brenzligen Pasteurisierungsgeschmack. Hinzu kam das Wasser resp. teures Mineralwasser als eigentliches Temperenzgetränk; und natürlich die Frischmilch. Seltersbuden folgten, nach der Jahrhundertwende auch ein vor allem im Rheinland und Westfalen erstaunlich umfangreiches Netzwerk von Milchhäuschen. Vor diesem Hintergrund ist die ja erst einmal aufhorchen lassende Nennung von „alkoholfreiem Bier“ in der Petition besser verständlich. Darunter verstand man damals aber kohlensäureimprägnierte Limonaden mit bierähnlichem Geschmack, meist aus Großbritannien importiertes Ingwerbier. Doch ein Pendant zur vielgestaltigen, von den britischen und dann auch US-amerikanischen Abstinenzlern vorangetriebenen Alltagskultur karbonisierter Limonaden und Sirupe gab es hierzulande eben nicht (Colin Emmins, Soft Drinks, Merlins Bridge 1991), Folge der lange stärkeren Regulierung der Apotheken und Drogerien. Coca-Cola sollte sich in Deutschland erst nach mehr als vierzig Jahren etablieren. Limonadenessenzen konnte man hierzulande kaufen, gewiss, doch der Geschmack des oft noch selbstbereiteten Tranks war gewöhnungsbedürftig, stand häuslich bereiteten Beerensäften deutlich nach (Kladderadatsch 28, 1875, Nr. 10, Beibl. 2, 3). In einer großenteils außerhäuslichen, öffentlichen Trinkkultur ging es jedoch um neue Marktangebote, konsumierbar im geselligen Miteinander.

Alkoholfreie Trinkhalle für Mineralwasser und Himbeersirup (Hagener Zeitung 1892, Nr. 86 v. 11. April, 4)

Angesichts dieser Malaise der Alternativen gewannen Bestrebungen an Boden, die alkoholhaltigen Weine und das Bier zu entgiften. Der Vorteil war offenkundig, musste man doch die bestehenden Trinkgewohnheiten nicht grundlegend ändern. Dadurch konnte man zudem den bisher duldend akzeptierten schwächeren Alkoholika langfristig die Grundlage entziehen. Welch eine Chance, zumal sich die Deutschen so gut wie kaum eine andere Nation auf die chemisch-technologische Veränderung der Nahrungsmittel verstanden. Das hatte man bereits bei anderen Genussmitteln gezeigt, mochten diese auch weniger erhitzt diskutiert worden sein (Uwe Spiekermann, Künstliche Kost, Göttingen 2018, 182-185). Es gab Gesundheitspfeifen und zahlreiche Verfahren für nikotinarme Zigarren, nikotinärmere Tabake dienten neuen Sanitätszigaretten. Auch die Entgiftung des Kaffees war unternehmerisches Ziel (Ein Kaffee ohne Kaffein, Die Umschau 2, 1898, 813-814), mochte es auch bis 1906 dauern, ehe Kaffee HAG diese technische Utopie überzeugend verwirklichte.

Eine Welt ohne Giftstoffe? Anti-Nicotin, nikotinarme Zigaretten aus Dresden (Offizieller Katalog der Deutschen Kunstausstellung Dresden 1899, Dresden 1899, Werbung, 14)

Die Entgiftung der Getränke begann beim Obstwein. Das Deutsche Reich war kein wirkliches Obstland. Der Obstbau lieferte jedoch regional und saisonal teils beträchtliche Mengen an Rohwaren, die kaum von den bestehenden Konservenfabriken, sondern vorrangig von den Hausfrauen eingekocht, zu Mus oder Saft verarbeitet wurden. Ausgepresstes Obst verdarb jedoch rasch, Hefe- und Schimmelpilze forderten ihren Tribut. Leistungsfähige Konservierungsmittel stoppten zwar die Gärung, beeinträchtigten aber den Geschmack. Entsprechend vergor man Obst vor dem allgemeinen Aufkommen der Hitzesterilisierung zum schwachalkoholischen Haustrank, bei dem der aus Äpfeln bereitete Most hervorragte. In den 1890er Jahren begannen dann systematische Forschungen über die Pasteurisierung von Fruchtsäften, einem Verfahren also, das in der Brauerei seit Jahrzehnten angewandt wurde, um die Haltbarkeit des Bieres zu erhöhen ([Julius] Kochs, Technisches aus dem Gebiete der alkoholfreien Obstgetränke, Die Volksernährung 2, 1927, 246-247). Den Unterschied machte der für seine Riesling-Sorte bekannte Schweizer Pflanzenphysiologe Hermann Müller-Thurgau (1850-1927). Er pasteurisierte frisch gepresste Fruchtsäfte bei 60-70 °C, ermöglichte dadurch sterile Fruchtsäfte, die nicht weiter vergoren (H[ermann] Müller-Thurgau, Die Herstellung unvergorener und alkoholfreier Obst- und Traubenweine, Frauenfeld 1896; J[ulius] Neßler, Alkoholfreie Trauben-, Obst- und Beerenweine, Wochenblatt des Landwirthschaftlichen Vereins im Großherzogthum Baden 1898, 442-443). Sie sollten Most und Obstwein ersetzen, wurden daher ab 1896 (und bis zum Weingesetz 1909) als „alkoholfreie Weine“ vermarktet. Dieser Begriff bezeichnete also keine Entgiftung, keine Entalkoholisierung, wohl aber einen alkoholfreien Ersatz für ein gängiges alkoholhaltiges Alltagsgetränk. Temperenz über Bande.

Alkoholfreie Weine nach Müller-Thurgau (Vegetarischer Vorwärts 4, 1897, 194)

Valentin Lapp: Lebensdaten eines führenden Technologen der deutschen Brauwirtschaft

Zurück zum Bier. Die kapitalkräftige Produktion, die zunehmende Standardisierung ansprechender Qualitäten, die reichsweite Präsenz des dunklen Münchner Biers und auch des von nationalistischer Seite strikt bekämpften böhmischen Pilseners sowie die vor allem in den Städten rasch wachsende Zahl von Gaststätten bildeten die Grundstrukturen für einen stetigen Anstieg des Bierkonsums von 1880 79 Litern pro Kopf der Erwachsenen über 1890 100 Liter auf 119 Liter 1900. Damit aber war der Markt gesättigt, denn die Antialkoholbewegung konnte nicht nur den Spirituosenkonsum massiv verringern, sondern setzte nun auch der Brauwirtschaft zu: 1913 lag man bei 103 Litern pro Kopf. Auch wenn die technologische Innovationskraft der deutschen Brauereien Mitte der 1890er Jahre teils schon an die großenteils von deutschen Emigranten geprägte US-amerikanische Bierindustrie übergegangen war, so war man aufgrund dieses Marktdrucks doch emsig bemüht, die eigene Produktion zu optimieren, um preiswerte, hochwertige und zugleich vielgestaltige Biere anzubieten.

Womit wir schließlich bei Valentin Lapp angekommen sind. Er war einer von vielen Technologen, deren Innovationskraft die deutschen Brauereien seit den 1870er Jahren an die Weltspitze hatte treten lassen. Lapp war Bierbrauer durch und durch, eine reibungslos funktionierende Produktion standardisierten Biers war für ihn Grundlage jeden Geschäfts. Er war Prozessoptimierer, ein steter Tüftler, der allerdings über die Entwicklung neuer Verfahren kaufmännischen Pragmatismus mehrfach aus den Augen verlor. Um den späteren Produzenten und Patentinhaber des „Original alkoholfreien Bieres“ genauer einschätzen zu können, ist ein Blick auf die nur teilweise zu rekonstruierende Biographie erforderlich.

Valentin Lapp wurde als Martin Valentin Lapp am 11. Mai 1856 in Neustadt a.d. Aisch, also einer zwischen Würzburg und Nürnberg gelegenen mittelfränkischen Kleinstadt geboren. Er war, wie seine Eltern Christoph Stefan Lapp und Anna Margaretha, geb. Herold, evangelisch-lutherischer Konfession (StdA Dresden, 6.4.25, Eheaufgebote/Eheregister 1876-1922, 1883, Nr. 448). Lapp wuchs in einem bürgerlichen Elternhaus auf, sein 1894 verstorbener Vater war zumindest im Jahrzehnt zuvor Privatier (Aischthalbote 1894, Nr. 24 v. 28. Januar, 2). Zwei jüngere Brüder lassen sich nachweisen, einerseits Johann Paulus Candidus (1858-1941), anderseits Johann Matthäus Stephan Leonhard (1860-1910) (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Nr. 11121, Sterberegister, Nr. 903, Frankfurt IV, 1941, Nr. 1193/IV; ebd. Nr. 9451, Heiratsregister 1849-1930, Bornheim, 1886, Bl. 446, Nr. 1036; ebd. Nr. 10667, Sterberegister Frankfurt II, 1910, Nr. 373).

Am Maifeiertag 1883 verlobte sich Valentin Lapp, damals bereits Braumeister in Dresden, mit der aus der sächsischen Hauptstadt stammenden Hausbesitzertochter Selma Anna Killing, die Heirat folgte am 15. Oktober (Leipziger Tageblatt 1883, Nr. 121 v. 1. Mai, 2227; ebd. 1883, Nr. 294 v. 21. Oktober, 5332). Die evangelisch-lutherische Gattin stammte aus solventem Haus. Ihr verwitweter Vater war Schiffseigner, Weinhändler und Hausbesitzer (StdA Dresden, 6.4.25, Eheregister 1876-1927, 1883, Nr. 448). Am 1. Dezember gebar Selma Lapp einen Sohn, Arthur Alexander. Die Geburtsanzeige erfolgte mehr als eine Woche später durch die Hebamme, am 20. Dezember verstarb die junge Mutter im Alter von nur 20 Jahren (StdA Dresden, 6.4.25, Geburtsregister 1876-1907, 1884, Nr. 3304; ebd., Sterberegister 1876-1957, 1884, Nr. 2909; Dresden, Kirchliche Wochenzettel 1703-1902, Taufanzeigen, 1865; Leipziger Tageblatt 1884, Nr. 358 v. 23. Dezember, 6909). Valentin Lapp verließ kurz darauf Dresden und heiratete nach angemessener Trauerzeit 1886 ein zweites Mal, nun die in Bamberg wohnhafte Restaurationstochter Marie, geb. Greß (Allgemeine Zeitung für Franken und Thüringen 1886, Nr. 143 v. 23. Juni, 2). Doch neuerlich war die Ehe vom Tod überschattet, Sohn Arthur starb zweijährig kurz vor Weihnachten.

Tod der ersten Ehefrau Selma 1884 und des gemeinsamen Sohnes Arthur 1886 (Dresdner Anzeiger 1884, Nr. 360 v. 15. Dezember, 15 (l.); Bamberger Volksblatt 1886, Nr. 287 v. 18. Dezember, 3)

Dieser Tod muss Valentin Lapp tief getroffen haben, schaltete er doch mehrere größere Anzeigen, ebenso eine Danksagung (Allgemeine Zeitung für Franken und Thüringen 1886, Nr. 296 v. 18. Dezember, 2; Bamberger Neueste Nachrichten 1886, Nr. 347 v. 18. Dezember, 4; ebd. 1886, Nr. 350 v. 21. Dezember, 4). Erst knapp fünf Jahre später folgte am 12. November 1891 ein weiterer Stammhalter, der Sohn Theodor (Bamberger Neueste Nachrichten 1891, Nr. 312 v. 13. November, 3). Obwohl Lapp sowohl in Bamberg als auch seiner späteren Wirkungsstätte Leipzig gewiss lokale Prominenz besaß, konnte ich keine weiteren Familienanzeigen finden. Allerdings heiratete er am 12. April 1902 noch ein drittes Mal, nämlich die 1866 in Mähren im Westerwaldkreis geborene Emma Amalie Keppler, Tochter des in Brünn ansässigen Karl Baron Keppler (1817-1891) und seiner Frau Therese, geb. Engelhard (1828-1911). Valentin Lapp heiratete also standesgemäß, doch nach den beiden Schicksalsschlägen in den frühen 1880er Jahren rückte das Berufsleben in den Vordergrund seines Daseins.

Braumeister in Dresden 1881-1884

Nach einer wahrscheinlich im heimischen Franken absolvierten Ausbildung findet man Valentin Lapp 1881 als Braumeister des Hofbrauhauses Dresden (Allgemeine Hopfen-Zeitung 21, 1881, 823). Dresden, damals eine rasch wachsende Metropole mit knapp 200.000 Einwohnern, war mittlerweile vom bayerischen Lagerbier dominiert, auch böhmisches Pilsener gewann rasch Marktanteile (Analysen Dresdner Biere, Zeitschrift für das gesammte Brauwesen NF 3, 1880, 227-230). Das Hofbrauhaus war 1872 als Aktiengesellschaft gegründet worden, eine Folge der Deregulierung durch die erste Aktienrechtsnovelle von 1870 und dem unmittelbar folgenden Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch. Mit einer Kapitalisierung von 1,761 Mio. M übertraf es die lokale Konkurrenz deutlich (Mason, The Joint Industrial Enterprises of Saxony, Reports form the Consuls of the United States on the Commerce, Manufactures, etc. of their Consular Districts 4, 1881, 453-457, hier 455). Das Hofbrauhaus besaß ein damals für die meisten Brauereien eher unübliches Flaschenbiergeschäft, ferner eine integrierte Malzfabrik (Berliner Börsen-Courier 1889, Nr. 239 v. 12. Mai, 16). Valentin Lapp konnte dadurch seine erlernten Kenntnisse vielgestaltig erweitern und auf den technisch neuesten Stand bringen.

Das wird wohl auch der Grund für einen kurz darauf folgenden Wechsel zur ebenfalls 1872 gegründeten Dresdner Gambrinus Brauerei gewesen sein, entstanden aus der 1860 gegründeten Privatbrauerei Ripl & Sohn Zum Gambrinus (Heinrich Gebauer, Die Volkswirtschaft im Königreiche Sachsen, Dresden 1893, 541). Hier konnte der „liebenswürdige und auf der Höhe der Zeit stehende Braumeister“ (Gambrinus 11, 1884, 387) jedenfalls neue Maschinen einführen und testen, darunter vor allem die Läuterzentrifuge des Frankfurter Braumeisters und Zivilingenieurs Conrad Zimmer. Die Gambrinus Brauerei produzierte zudem deutlich größere Biermengen als das Hofbrauhaus (Mason, 1881, 455).

Die Erste Bamberger Export-Brauerei Frankenbräu 1885-1893

Die Erste Bamberger Export-Bierbrauerei „Frankenbräu“ nach der Fertigstellung (Bier-Export-Blatt 2, 1886, Nr. 13, 1)

1885 verließ Valentin Lapp dann Dresden für eine neue Karriere in Bamberg, etwa 55 km nordöstlich von seiner Geburtsstadt gelegen. Hier hatte der jüdische Kaufmann und Ziegeleibesitzer Simon Lessing (1843-1903), dessen Vater, der Hopfenhändler Samuel Lessing (1808-1878) sich 1862 in Bamberg angesiedelt hatte, 1885 ein etwa 22.500 m² großes Areal mit einer modernen Brauerei und Mälzerei bebauen lassen (Bamberger Neueste Nachrichten 1886, Nr. 4 v. 4. Januar, 2). Am 5. November 1885 kaufte die neu gegründete „Erste Bamberger Export-Bierbrauerei Frankenbräu“ den Betrieb. Regionale Investoren steuerten 1,1 Mio. M Kapital bei (Bayerische Handelszeitung 15, 1885, 660). Valentin Lapp war nicht Mitgründer, wohl aber Vorstand der Direktion (Handbuch der bayerischen und württembergischen Actiengesellschaften 4, 1886, 54). Als auf dem Fabrikgelände residierender Brauereidirektor hatte er sowohl die Produktion vor Ort als auch das anvisierte Exportgeschäft ins Laufen zu bringen. Nicht alle waren vom Erfolg der Neugründung überzeugt: „Ob eine neue Exportbrauerei unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch zeitgemäß ist, möchten wir bezweifeln und wir glauben auch nicht, daß wenn die Aktien an den Markt gebracht werden sollten, sich viele Liebhaber finden würden“ (Erste Bamberger Export-Bierbrauerei „Frankenbräu“ in Bamberg, Münchener Fremdenblatt 1885, Nr. 336 v. 2. Dezember, 5). Andere jedoch wünschten „dem Etablissement unter der vorzüglichen Leitung des tüchtigen und erprobten Direktors Herrn Lapp Blühen und Gedeihen“ (Bamberger Neueste Nachrichten 1886, Nr. 4 v. 4. Januar, 2).

Während die meisten Brauereien für den lokalen, gegebenenfalls für den regionalen Markt produzierten und ihr Bier somit frisch in Fässern in die weitere Nachbarschaft verbrachten, zielte eine Exportbrauerei deutlich weiter – auch wenn das Ausland schon abseits der bayerischen Grenzen begann, war das Deutsche Reich doch noch in fünf Brauereigebiete mit eigenen Standards, Steuern und Zöllen aufgeteilt. Dies erforderte eine technisch versierte Produktionstechnologie, vielfach auch die Pasteurisierung des frisch gebrauten Bieres. Die neue Brauerei war von dem Dortmunder Architekten Plücker als eine Musteranlage konzipiert worden, Lapp beaufsichtige gleichermaßen Bau und die von der renommierten Chemnitzer Maschinenfabrik Germania stammende maschinelle Einrichtung. Besonderer Wert wurde auf die hohe Qualität der Vorprodukte gelegt, ein betriebsinternes Darrensystem half die Malzverarbeitung zu kontrollieren. Zwei moderne Eismaschinen und umfangreiche Kelleranlagen erlaubten eine angemessene Reife des Lagerbiers, zwei Dynamos speisten die Lichterzeugung, eine Dampfmaschine trieb die Fabrik an. Die anvisierte Kapazität von 100.000 Hektolitern pro Jahr konnte grundsätzlich weiter erhöht werden (Die Erste Bamberger Export-Bierbrauerei „Frankenbräu“, Bier-Export-Blatt 2, 1886, Nr. 13, 2). Schon vor Produktionsbeginn wurden erste Lieferverträge mit großen preußischen Gaststätten abgeschlossen, im März 1886 erhielt Lapp Prokura. Dennoch dürfte der kaufmännische Betrieb schwerpunktmäßig beim Bürochef Albert Udo Ellerbrock gelegen haben (Bayerische Handelszeitung 16, 1886, 252).

Bierexport von Bayern nach Schlesien und den USA (Breslauer Zeitung 1886, Nr. 643 v. 15. September, 4 (l.), Army Navy Journal 33, 1895, Nr. 1676, 79)

Lapp dürfte von Anbeginn versucht haben, einerseits die geschmacksbeeinträchtigende Pasteurisierung zu verbessern. Stolz annoncierte man „pasteurisirtes Bier in Fässern für überseeischen Export, System Lapp“, erhielt dafür Preise, bewarb derartiges „tropensicheres Faßbier“ (Frankenbräu unter dem Aequator, Würzburger Stadt- und Landbote 1891, Nr. 136 v. 12. Juni, 4). Anderseits dürfte Lapp an der Kohlensäureimprägnierung der Biere gearbeitet haben, da dieser Zusatz das Produkt vollmundig und frisch hielt. Schließlich etablierte er eigene Eis-Waggons, konnten damit auch weiter entferntere Kunden „frisch“ beliefert werden (Bayerisches Bier-Export-Blatt 4, 1888, Nr. 56, 8). All dies waren wichtige Fertigkeiten, die wenige Jahre später in die Produktion seines „Original alkoholfreien Bieres“ mit einfließen sollten. Anregungen dürfte er auch bei einer mehrwöchigen Geschäftsreise nach Schweden gewonnen haben, denn dort war nicht nur die Temperenzbewegung alltagsbestimmend, sondern dort setzten Forschungen zu karbonisierten Limonaden und anderen alkoholfreien Getränken früher ein als im bierseligen Franken (Bamberger Volksblatt 1890, Nr. 143 v. 3. Juli, 3). 1896 wurden im norddeutschen Brauereigebiet pro Kopf 85 Liter gebraut, während es in Württemberg 236 und in Bayern satte 282 Liter waren (Bayerische Gastwirths-Zeitung 18, 1897, Nr. 30, 1).

Unter Valentin Lapps Leitung wurde die Frankenbräu weiter vergrößert und konnte den Ausstoß auf beachtliche Höhen schrauben. Von 1887 auf 1888 verdoppelte er sich auf 68.000 hl, von denen 65.000 exportiert wurden. 1889 stieg der Wert auf 74.000 (71.000 Export), 1890 auf 75.000 hl. Doch die vor allem in den USA einschneidende Wirtschaftskrise 1890/91 ließ die Exporte auf 52.000 hl zurückgehen. 1891 sank der Ausstoß erstmals auf 70.000 hl, neue Marken wie dunkel und gold-gelb gebraute „Deutsche Würze“ konnten dies nicht verhindern. Das galt auch für den auf vier Eis- und Kühlmaschinen sowie drei Dampfmaschinen ausgeweiteten Maschinenpark (Angaben n. Gambrinus 16, 1889, 232; ebd. 17, 1890, 338; ebd. 18, 1891, 369; Gambrinus 19, 1892, 334). Frankenbräu blieb eine exportorientierte Brauerei, repräsentierte deutsches Bier in zahlreichen Auslandsmärkten, beschickte selbstverständlich auch die 1893er Weltausstellung in Chicago (Condensed official catalogue of interesting exhibits […], Chicago 1893, 18).

Werbung für Frankenbräu in einer deutschen Fachzeitschrift (Bayerisches Bier-Export-Blatt 3, 1887, Nr. 29, 8)

Doch kurz danach warf Valentin Lapp die Brocken hin, in der Fachpresse hieß es freundlicher: „Herr Valentin Lapp, der langjährige und mit vielen Erfolgen thätige technische Director der Exportbrauerei ‚Frankenbräu‘ in Bamberg hat auf seine Stelle resignirt“ (Gambrinus 20, 1893, 879). Parallel wurde bekannt, dass er eine Brauerei in Leipzig-Lindenau gekauft hatte (Bayerisches Brauer-Journal 3, 1893, 535; Exportbrauerei „Frankenbräu“, Münchner Neueste Nachrichten 1893, Nr. 511 v. 8. November, 4). Am 27. Dezember 1893 wurde Lapp offiziell durch den zuvor in Arnstadt und Leipzig tätigen Brauereidirektor Elvir Faber ersetzt (Bayerische Handelszeitung 24, 1894, 44).

Anlass für diese einschneidende Veränderung dürfte der nur dank der Zusammenarbeit fast aller Investoren vermiedene Konkurs der Frankenbräu gewesen sein. Die Gewinnentwicklung ließ das Drama erahnen: Hatte die Bamberger Brauerei 1891/92 noch einen Gewinn von 72.664 M erzielt, so schloss das Geschäftsjahr 1892/93 mit dem immensen Verlust von 653.170 M (Gambrinus 21, 1894, 36). Daraufhin beschlossen die Aktionäre einen strikten Kapitalschnitt von mittlerweile 2,2 Mio. M auf 733.000 M, also auf ein Drittel. Innerhalb der Branche hieß es skeptisch: „Der Beschluß, das Actiencapital nicht nur um den Betrag der Unterbilanz, sondern um das Doppelte derselben zu reduciren, läßt darauf schließen, daß trotz der vorgenommenen Abschreibungen die Buchwerthe noch zu hoch in der Bilanz stehen, und deren weitere Herabsetzung nöthig erscheint“ (Gambrinus 21, 1894, 42). Die Lokalpresse urteilte unfreundlicher: „Die Aktie Frankenbräu ist keinen Pfennig werth. […] In Wirklichkeit ist Frankenbräu überschuldet und hätte daher schon längst nach gesetzlicher Vorschrift den Konkurs ansagen sollen“ (Betrüger im Großen, Neue Bayerische Landeszeitung 1894, Nr. 4 v. 8. Januar, 1). Eine Dividende wurde dennoch ausgeschüttet.

Was war passiert? Frankenbräu war Opfer der auch damals gar nicht so seltenen Wirtschaftskriminalität geworden. Die Gebrüder Jakob und Nathan Heßlein waren respektierte und vermögende Geschäftsleute (erst Tuchhändler, dann Bankiers), Nathan seit 1885 stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Bamberger Brauerei. Sie begannen Ende der 1880er Jahre jedoch Differenzgeschäfte an verschiedenen Börsen – und bedienten sich dabei auch der Depositen ihres Bankgeschäftes. Die Spirale von Verlusten und neuerlichen Spekulationen führte in den Ruin: „Was die Aktienbrauerei Frankenbräu anlangt, für welche Heßlein die Mitgründer und Finanziers waren, so hat die Firma die meisten Aktien der ersten Emission al pari übernommen und erheblich über pari verkauft, hat also ganz erheblich verdient; damit nicht zufrieden, hat diese Firma, um den Kurs zu steigern, wieder Aktien eingekauft, um sie noch höher zu verkaufen; letzteres mag ihr nicht ganz gelungen sein, aber verwerthet hat sie alle ihre Frankenbräuaktien. Heute ist nicht die Brauerei Schuldnerin der Firma Heßlein, sondern umgekehrt“ (Das Falliment Heßlein, Neues Münchener Tagblatt 1893, Nr. 146 v. 28. Mai, 4-5). Jakob Heßlein brachte sich nach der Aufdeckung des jahrelangen Betruges um, Bruder Nathan versuchte es zweimal vergebens. Die Passiva der Heßleins betrugen mehrere Millionen, ihr Bankrott wäre seit 1891 nur durch ein Spekulationswunder an der Börse zu verhindern gewesen (Helmbrechtser Anzeiger 1894, Nr. 81 v. 8. Juli, 2-3).

Zeitgenössisch war die Aufregung groß und unterminierte zugleich das Vertrauen in die Geschäftsfähigkeit der Frankenbräu. Die lokale Presse hatte den Fall mit aufgedeckt, der investigative Redakteur wurde anfangs jedoch als „Ehrabschneider und Verleumder“ denunziert (Frankenbräu Bamberg, Neue Bayerische Landeszeitung 1894, Nr. 13 v. 18. Januar, 3). Die neue Leitung der Brauerei betonte, dass sie auch ohne von außen kommende Kritik „von sich aus Ordnung gemacht, die aufgehäuften unsicheren Posten beseitigt, den Betrieb vereinfacht und vernünftig reduzirt, die gebührenden Abschreibungen vollzogen und den Aktionären einen Wein eingeschenkt hätte“ (Frankenbräu Bamberg, Neue Bayerische Landeszeitung 1894, Nr. 53 v. 7. März, 3). Die beträchtlichen persönlichen Opfer der Aktionäre und der Tantiemenverzicht des Aufsichtsrates spiegelten die dennoch erst spät einsetzenden Gegenmaßnahmen. Das Geschäft befand sich seit 1895 neuerlich „in steter und erfreulicher Zunahme begriffen“ (Bamberger Tagblatt 1896, Nr. 193 v. 21. August, 3), 1896/97 betrug der Ausstoß wieder 73.690 hl (Bayerische Gastwirths-Zeitung 18, 1897, Nr. 29, 2), ab 1901 firmierte man um, nannte sich nunmehr „Hofbräu“.

Valentin Lapp äußerte sich anfangs nicht zu diesem nur knapp abgewendeten Konkurs, hatte er doch zuvor seine Position zur Verfügung gestellt, war er derweil schon mit der Aufbauarbeit in Leipzig beschäftigt. Angesichts von späteren Pressevorwürfen erklärte er 1904: „Solange ich dort tätig war, hat die Brauerei Dividende bezahlt, bis sie durch das Fallissement ihres Aufsichtsratsmitgliedes Bankier Heßlein um ca. 700.000 M bar geschädigt wurde. […] Ich war gar nicht in der Lage, diesen Fall zu verhindern“ (Leipziger Tageblatt 1904, Nr. 357 v. 16. Juli, 6). Damals wurde aber auch betont, dass die Frankenbräu hohe Summen für die Forschungen Lapps aufgewandt hatte (Gross-Crostitz, Leipziger Tageblatt 1904, Nr. 386 v. 31. Juli, 13). Diese hatten zuvor die Gewinne der Brauerei ermöglicht und gesichert.

Die Bayerische Bierbrauerei V. Lapp Leipzig-Lindenau 1894-1901/02

Helles und dunkles alkoholfreies Bier für Gesunde und Kranke (Leipziger Tageblatt 1900, Nr. 646 v. 20. Dezember, 9982)

Am neuen Wirkungsort Leipzig sollte Valentin Lapp 1896 das erste „Original Alkoholfreie Bier“ produzieren. Als Wirkstätte hatte er die 1849 errichtete Dampfbrauerei des kurz zuvor verstorbenen Brauers Gustav Adolf Offenhauer (1831-1890) erworben. Die in Leipzig-Lindenau an der Kaiser Wilhelm-Straße 1-3 (heute Endersstraße) gelegene Firma wurde modernisiert, am 17. März 1894 die „Bayerische Bierbrauerei V. Lapp“ mit Lapp als Inhaber ins Handelsregister eingetragen (Leipziger Tageblatt 1894, Nr. 145 v. 21. März, 2106). Wie schon in Bamberg, wohnte Valentin Lapp auf dem Firmengelände (Leipziger Adreßbuch 1895, T. II, 272).

Leipzig war allerdings für jeden Brauer eine Herausforderung. Wurden 1890 im Großraum noch 672.510 hl hergestellt, so war dieser Wert trotz raschem Bevölkerungswachstums 1893 auf 637.512 hl gesunken und erreichte 1896 nur noch 616.534 hl (Die wirthschaftliche Lage des Leipziger Brauereigewerbes, Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 357 v. 16. Juli, 5251). Zudem schwand in Leipzig, aber auch in ganz Sachsen und Thüringen, die Bedeutung just des bayerischen Lagerbieres, während das helle böhmische Pilsner Marktanteile gewann (Die Bierexport-Verhältnisse Bayerns, Leipziger Tageblatt 1896, Nr. 228 v. 6. Mai, 3423). Für einen fränkischen Neuankömmling mit sächsischen Markterfahrungen konnte dies nur zweierlei bedeuten: Einerseits Produktion erstklassiger, dem Namen der Bayerischen Bierbrauerei verpflichteter Angebote, anderseits die Neuentwicklung weiterer marktgängiger Angebote. All dies hatte massive Folgen für den Braubetrieb selbst, denn die betrieblichen Prozesse mussten optimiert, zugleich aber neue Marktchancen erschlossen werden. Valentin Lapp hatte, wie schon in Bamberg, die Innovationsführerschaft zu erringen.

Spezialangebot eines alkoholarmen Champagner-Weißbiers (Leipziger Tageblatt 1899, Nr. 297 v. 14. Juni, 4677)

Das bedurfte längerer Vorarbeiten, zumal das Patent- und Markenrecht damals reichsweit im Fluss war. Lapps erstes Leipziger Patent, ein im April 1894 angemeldetes Verfahren zur Gewinnung von Bierwürze im ununterbrochenen Betrieb, deutete jedoch in die Richtung betrieblicher Rationalisierung (Gambrinus 22, 1895, 251). Auch neu entwickelte Biertransport- und Ausschankgefäße dienten einem schnelleren Betriebsablauf und der Reduktion manueller Arbeit (Deutscher Reichsanzeiger 1896, Nr. 135 v. 8. Juni, 21). Veränderungen im Angebot sind mangels Anzeigen nicht vor 1897 nachweisbar. Lapps Sortiment kreiste anfangs um die erwartbaren bayerischen Sorten. Kunden bewarben etwa sein Bockbier oder aber sein Helles (Leipziger Tageblatt 1895, Nr. 101 v. 24. Februar, 1372; ebd., Nr. 268 v. 2. Juni, 27). Das oben angeführte, jedoch erst 1899 nachweisbare Champagner-Weißbier unterstrich jedoch eine gewisse Erweiterung der Produktpalette. Das anfangs nur als Begriff und Utopie der Temperenzbewegung bekannte alkoholfreie Bier lag demnach im Trend der strukturellen Aufgaben Lapps. Ein zeitgenössischer Analyst sah sie vor allem als Marktchance, „Bier aus billigen Produkten herzustellen, welche obergährig einen guten Geschmack besitzen, auf Flaschen gezogen, lange haltbar sind und noch einen relativ guten Verdienst ergeben“ (Max Wender, Praktische Anleitung zur Fabrikation kohlensäurehaltiger Erfrischungs- und Luxus-Getränke, Berlin und Wien 1898, 218). Dazu aber mussten Verfahren entwickelt werden, um die enge Symbiose von Geschmacks- und Alkoholbildung zu durchbrechen. Die dem Bierbrauen zugrundeliegende alkoholfreie Bierwürze ist kaum trinkbar. Erst die von Hefe ausgelöste Gärung führt zur Alkohol- und Kohlensäureentstehung, zum vollmundigen und frischen Geschmack des Bieres. Wie aber in diesen menschlich genutzten chemischen Prozess eingreifen, um am Ende mehr zu erhalten als nicht trinkbare Plörre?

Neue Marktchancen durch Technologie: Lapps Ausflug in die Biersiphonproduktion

Diese technologische Aufgabe ging Valentin Lapp wahrscheinlich 1895/96 an. Doch über den Entwicklungsprozess, die Ideenfindung und ihre Umsetzung wissen wir kaum etwas. Wir können 1896 erste recht unpräzise Angaben über Lapps auf Verkostungen präsentiertes „Original alkoholfreie Bier“ finden. Pröbeln und Tüfteln sind halt schwerer darzustellen als das finale Produkt. Um zumindest eine Vorstellung von Lapps Vorgehen zu gewinnen, hilft allerdings ein Blick auf eine weitere Innovation, mit der er damals recht erfolgreich war.

Bier war zu dieser Zeit ein vornehmlich in Gläsern außerhäuslich konsumiertes frisches Getränk. Es wurde nach dem Brauen in Holzfässer gefüllt und gelagert, nach der Reife zum Gastwirt, zum Ausschankplatz transportiert und dort mit Hilfe tradierter Mechanik oder aber elaborierter Bierpressionen ausgeschenkt und dem willigen Kunden dargetan. Flaschenbier gab es, aber die stetig entweichende Kohlensäure begrenzte Haltbarkeit und Geschmack. Es kam mit den Flaschenfüllapparaten in den 1870er Jahren auf, doch hierzulande blieb die Mechanisierung der Hohlglasproduktion deutlich hinter der in den USA zurück. Für Exportbiere konnte sich die Flaschenabfüllung durchaus etablieren, blieb jedoch vor Ort bis in die 1890er Jahre eine von den Gastwirten erbittert bekämpfte Alternative.

Das galt auch für die nach britischen Vorbildern entwickelten Biersiphons, die seit 1895 dem häuslichen Bierkonsum eine weitere Option eröffneten (Syphon-Bier, Hopfen-Kurier 15, 1895, Nr. 74, 4). Zwar hieß es abschätzig: „Mit dieser Neuerung hat es in Bayern noch eine gute Weile“ (Bayerische Gastwirths-Zeitung 16, 1895, Nr. 50, 1-2, hier 2), doch mit der 1896 gegründeten Kasseler Bier-Siphon AG gewann das Geschäft reichsweite Dimensionen. Biersiphons verloren deutlich weniger Kohlensäure als Flaschen, zerbrachen nicht, waren zudem einfacher zu kühlen. Üblich waren 5-Liter-Gefäße, die in Brauereien oder aber dem Großhandel gefüllt und gegen Pfand den Haushalten direkt geliefert wurden. In Leipzig wurde im August 1896 eine Filiale der reichsweit führenden Kasseler Bier-Siphon AG eingerichtet (Leipziger Tageblatt 1896, Nr. 322 v. 27. Juni, 4777). Im Innovationszentrum Leipzig wurde sie jedoch rasch von der Deutschen Syphon-Ges. Roesler & Co. abgehängt, die mit ihrem Globus Selbstschänker eine bis weit in die 1920er Jahre genutzte Siphonkonstruktion etablierte (Deutscher Reichsanzeiger 1896, Nr. 210 v. 3. September, 9; Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 329 v. 1. Juli, 4866). Die neuen Geräte erlaubten allesamt häuslichen Konsum frisch verfüllten Bieres, holten gleichsam das Wirtshaus in die eigene Wohnung.

Aufbau eines Vertriebsnetzes und Produktvarianten der Lappschen Biersiphons (Hannoverscher Courier 1897, Nr. 20603 v. 6. März, 4 (l.); Allgemeine Zeitschrift für Bierbrauerei und Malzfabrikation 25, 1897, 1320)

Siphons sicherten und erweiterten den lokalen Markt, doch zugleich konnten die Geräte regional, national und auch in Auslandsmärkten eingesetzt werden. Für den tüftelnden Technologen Valentin Lapp war dies eine Herausforderung – auch als Absatzchance für sein zeitgleich entwickeltes alkoholfreies Spezialbier. Die Werbeankündigungen klangen verheißungsvoll: „Dieser im Gross- und Kleinbetriebe praktisch bewährte, vorzüglich construirte, nicht zerbrechliche Bier-Siphon bildet ein ausserordentlich vollkommenes Bier-Transport-Conservierungs- und Ausschank-Gefäss; speziell für den Haushalt. Derselbe wird in der Grösse von 5 und 10 Liter angefertigt, zeichnet sich besonders durch ein elegantes Aeussere, seine Dauerhaftigkeit sowie vorzügliche Funktion aus und ermöglicht den einfachsten, sparsamsten Betrieb bei geringstem Kohlensäure-Verbrauch und leichtester Reinigung. Derselbe ist mit einem Griff zu öffnen und ebenso wieder absolut zu verschliessen“ (Johannes Kleinpaul (Bearb.), Offizieller Katalog der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbe-Ausstellung zu Leipzig 1897, Leipzig 1897, Anzeigen, 14). Lapp hatte die vorhandenen Geräte präzise analysiert und technisch deutlich verbessert.

Am 28. Dezember 1896 gründete er gemeinsam mit einem lokalen Investor am Sitz seiner Brauerei ein neues Unternehmen, die Leipziger Salon-Bierkrug-Gesellschaft, Valentin Lapp & Co., vermarktete seine derweil erteilten Patente (Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 7 v. 5. Januar, 106; Deutscher Reichsanzeiger 1897, Nr. 173 v. 26. Juli, 15). Das neue Biergefäß etablierte sich rasch: „Nebst dem Reissing’schen Biersyphon ist jener von Lapp der bekannteste und verbreitetste. Diese Syphons […] bestehen aus einem innen silberverzinnten und überdies emaillirten, verschieden gestalteten Gefäss aus Kupfer“ (C. Gronert, Biersyphone (Schluss.), Allgemeine Zeitschrift für Bierbrauerei und Malzfabrikation 25, 1897, 1304-1305, hier 1304). Lapp veränderte seinen Grundtyp rasch: Fass-, Kannen- und Flaschenformen wurden angeboten, zudem auch Glassiphons mit direkten und indirektem Kohlensäuredruck. Dieses Modell „Prosit“ war gezielt für den „überseeischen Bedarf“ entwickelt worden, Lapp nutzte seine zuvor in Bamberg entwickelte Expertise (Hamburgischer Correspondent 1898, Nr. 509 v. 30. Oktober, 17). Hinzu kamen unterschiedliche von einem bis zehn Liter reichende Größen (Allgemeine Zeitschrift für Bierbrauerei und Malzfabrikation 25, 1897, 1320). Die Salon-Bierkrug-Gesellschaft konnte rasch ein reichsweites Vertriebsnetz aufbauen. Zudem nutzte Lapp die Siphons für den Hausversand seiner bayerischen Biere, auch das „Original Alkoholfreie Bier“ konnte nach Erscheinen darin geordert werden.

Neue Absatzformen: Lappsches Bier in selbst konstruierten Siphons (Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 387 v. 21. März, 2110)

Der Leipziger Brauereidirektor konnte also bestehende Marktchancen rasch mit technisch nicht nur wettbewerbsfähigen, sondern neue Standards setzenden Produkten nutzen. Außerdem gelang es dem früheren Exportbrauereileiter, nicht nur lokale, sondern auch überregionale Vertriebsnetze aufzubauen. Lapp zielte auf den häuslichen Konsum, durchbrach die Zwänge der öffentlichen Gaststättenkultur. Biersiphons konnten sich allerdings nur für wenige Jahre gegen den Vormarsch des durch neue Bügelverschlüsse und Kronkorken technisch verbesserten Flaschenbiers behaupten. Das Scheitern dieser – nach den Mineralwässern in den 1870er Jahren – zweiten Siphonmode betraf auch Lapp, denn sein Unternehmen wurde am 7. Juli 1902 aus dem Handelsregister gelöscht (Leipziger Tageblatt 1902, Nr. 343 v. 9. Juli, 4859). Für die Entwicklung und den Vertrieb des neuen alkoholfreien Bieres waren die von Lapp bei den Siphons an den Tag gelegten Fertigkeiten jedoch eine Art Blaupause.

Lapps „Original alkoholfreies Bier“: Zusammensetzung und Produktionsverfahren

Anfang 1897 frohlockte Wilhelm Bode (1862-1922), Geschäftsführer des Deutschen Vereins gegen den Mißbrauch der geistigen Getränke, später Vorstandsmitglied des Vereins für Gasthausreform: „Das neueste ist, daß es seit Ende 1896 auch vorzügliches alkoholfreies Bier gibt, ein sehr nahrhaftes, angenehmes Getränk, dem vielleicht eine große Zukunft bevorsteht“ (Wilhelm Bode, Zur Geschichte des Bieres, Das Leben 11, 1897, 150-157, hier 156). Als „Mäßiger“ plädierte er nun erst recht für „die Bevorzugung der leichten Biere und Einführung alkoholfreier Getränke“ (Die Berliner Frühjahrsversammlungen zur Fürsorge für Wanderer und Arbeitslose, Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 215 v. 29. April, 3203). Zuvor hatte er verschiedene neue Produkte gekostet, Lapps „Original alkoholfreies Bier“ ragte dabei heraus.

Ein neues alkoholfreies Bier, wissenschaftlich umkränzt (Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 133 v. 14. März, 1918)

Lapps Innovation zirkulierte seit Ende 1896 bei den Ausstellungen und Vereinstreffen der Temperenzbewegung, der Naturheilkunde und Sozialreform: „Die Bayerische Bierbrauerei R. [sic!] Lapp in Leipzig-Lindenau bringt seit kurzem ein alkoholfreies Bier in den Handel, das, ohne Surrogate und Konservierungsmittel hergestellt, zum Preise von 15 Pf. (hell) und 20 Pf. (dunkel) pro Flasche Leipzig franko Haus abgegeben wird“. Ein abstinenter Arzt reiste eigens nach Leipzig, um Valentin Lapp und sein Produkt kennenzulernen: „Höchstbefriedigt bin ich von beiden. Das Bier ist absolut alkoholfrei, unbegrenzt haltbar, sehr schmackhaft, nicht durch das widersinnige Verfahren gewonnen, daß man zuerst alkoholhaltiges Bier macht und dann mühsam und teuer den Alkohol wieder entfernt, sondern durch Verhütung jeder Zersetzung in der sorgfältigst bereiteten, sterilisierten und gehopften Würze, unter späterem Zusatz von Kohlensäure. Dabei ist das Bier billig. Daß wir es schon so weit gebracht haben, daß wir unter Bierbrauern welche finden, die wie R. [sic!] Lapp mit seiner ganzen Familie Abstinente sind und ihre Erkenntnis noch in die That umsetzen, ist gewiß erfreulich. Hochintelligent, gut in seinem Fach gebildet, einer idealen Auffassung zugänglich, werden wir in der Mitarbeit dieses bayerischen Bierbrauers einen Kampfgenossen in jenem Lager gefunden haben, wo man es wohl am wenigsten erwartete“ (Beides nach Alkoholfreies Bier, Hygieia 10, 1896/97, 374-375).

Lapp selbst, dessen Abstinenz anderweitig nicht belegt ist, zielte jedoch über den Glasrand der Temperenzbewegung hinaus. Sein alkoholfreies Bier war Wissensprodukt, kein Ersatz, sondern eine neue Biersorte eigener Qualität. Seine vor Ort ab März 1897 geschaltete Anzeigenwerbung präsentierte ein neues „Hausgetränk“ für alle. Formal erinnern die Annoncen an die gerade in Leipzig seit Jahrzehnten besonders gepflegten Malzextrakte, Gesundheitsbiere und Porter. Analysen waren Trumpf, sollten die Güte des Neuen wissenschaftlich bezeugen. Gleich drei renommierte Nahrungsmittelchemiker hatten das „Bier“ Ende 1896, Anfang 1897 untersucht: Die Leipziger Karl Hoffmann und Oskar Bach sowie der Berliner Carl Bischoff. Hoffmann fand ein Getränk „von dunkelrother Farbe, vollkommen klar, von feurigem Glanze, [es, US] schäumte stark und hielt den Schaum genügende Zeit. Dasselbe wirkte erfrischend und ist der Geschmack der süßlich bittere eines guten Bieres.“ Das galt auch noch fünf Wochen später. Bach lobte den gänzlich fehlenden Alkohol, ferner den Verzicht auf Süß- und Zusatzstoffe. Am aussagestärksten war Bischoffs Analyse: Lapp sei demnach vom ärztlichen Wunsch bewegt worden, „ein kräftiges, die normalen Bestandtheile eines Bieres enthaltendes Getränk verwenden zu können, ohne gleichzeitig den Alkoholgehalt mit hinnehmen zu müssen. Es ist das hier vorliegende Erzeugnis entstanden und mit Recht mit dem Namen ‚Alkoholfreies Bier‘ benannt worden, wenn auch gewissermaßen bisher im Allgemeinen ein Gebräu erst Bier genannt wurde, wenn in demselben unter dem Einfluß der Gährung sich Alkohol gebildet hat. […] Man kann den Geschmack des Gebräues sonst als einen sehr kräftigen, brodigen oder malzigen Geschmack kennzeichnen und ist das Getränk durch seinen starken Kohlensäuregehalt auch von recht erfrischendem Geschmack“. Das neue alkoholfreie Bier sei steril produziert, daher lange lagerfähig (alle Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 133 v. 14. März, 1918). Fasst man zusammen, so war dies eine brautechnisch gelungene Innovation, ansprechend und auch geschmacklich dem Bier entsprechend. Bischoff allein verstand jedoch die dahinterstehende Erschütterung der eben nicht festen Welt der Nahrungsmittelbezeichnungen. Bier ohne alkoholische Gärung? Dennoch bezeichneten zwei der Gutachter das „Original alkoholfreie Bier“ just als Bier.

Lapps alkoholfreies Bier per Nachnahme (Tageblatt der 69. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig 1897, Nr. 1 v. 19. September, 49)

Es dauerte noch ein Jahr, bis auch die neuartige Produktionsweise – auf Basis eines in Großbritannien zuerkannten Patentes – bekannt wurde: Ausgangspunkt war demnach zerkleinertes Malz, das auf 60° C erhitzt, stehengelassen und dann gekocht wurde. Nach dem Abläutern, also dem Abfiltern fester Malzbestandteile, wurde der warmen Bierwürze mehrfach Diastase hinzugefügt, so dass die Stärke in Zucker umgewandelt werden konnte. Der Sud wurde erhitzt, Hopfendrüsen hinzugefügt und verkocht. Die Würze wurde anschließend zentrifugiert, reagierte mit der Luft, wandelte sich in eine schaumige Masse, die man dann sacken ließ und unter möglichst geringem Wärmeverlust filtrierte. Diese Flüssigkeit wurde zerstäubt und mit Kohlensäure imprägniert, anschließend in einer Kühlschlange möglichst rasch auf den Gefrierpunkt abgekühlt. Danach sättigte man die eiskühle Würze nochmals mit Kohlensäure (Mäßigkeits-Blätter 15, 1898, 77-78; Alkoholfreies Bier, Drogisten-Zeitung 24, 1898, 558; Alkoholfreies Bier, Hopfen-Kurier 18, 1898, Nr. 21, 3-4). Diese Informationen wurden großenteils nur wiedergegeben, riefen jedoch auch Widerspruch hervor. Es handelte sich doch um einen Bruch mit der tradierten Braukunst, denn die Bierwürze wurde nicht vergoren: Es hieß, dass der Begriff alkoholfreies Bier „eigentlich sinnlos“ sei, nur der Einfachheit halber genutzt werden könne (Alkoholfreies Bier, Technische Rundschau 4, 1898, 266). Deutlicher war die Resonanz von Brauern: „Die Herstellung dieses Bieres verträgt sich also nicht mit der einschlägigen bayerischen Gesetzgebung“ (Lapp-Bier, Zeitschrift für das gesammte Brauwesen 21, 1898, 193). Wir werden auf diese sich rasch zuspitzende Debatte zurückkommen.

Valentin Lapp hat sein patentiertes Produktionsverfahren anschließend immer wieder verbessert, so dass es sich nur bedingt um ein standardisiertes Markenprodukt gehandelt hat (Mäßigkeits-Blätter 15, 1898, 129). Zudem wurden die zwei Anfangssorten, Helles und Dunkles, rasch um drei weitere Varianten ergänzt. Dabei ging es für den Erfinder nicht nur um den Geschmack: „Dieses für unverdorbene Gaumen sehr wohlschmeckende, stark schäumende Bier hat einen erheblich höheren Nährwert als das alkoholische, das ja mit Unrecht als ‚flüssiges Brot‘ angepriesen wird“ (Wein und Bier ohne Alkohol, Lippstädter Zeitung 1897, Nr. 39 v. 31. März, 1). Redaktionelle Werbung pries die Pioniertat, die Abkehr von ebenso bezeichneten Vorgängern mit ihrem „abscheulichem Geschmack“: „Die Ueberwindung der großen technischen Schwierigkeiten ist nun dem in Fachkreisen als Capacität bekannten Brauereibesitzer Valentin Lapp in Leipzig-Lindenau gelungen. In seinem ‚Original alkoholfreien Bier‘ stellt er ein Getränk her, das allen Anforderungen, namentlich auch in medicinischer Hinsicht, entspricht“ (Hamburgischer Correspondent 1897, Nr. 23 v. 2. Dezember, 12-13). Es folgten obligate Erfolgsmeldungen über die Verwendung als Hausgetränk für Frauen, Kinder und Wöchnerinnen, in Krankenhäusern und Kantinen, auch in den Überseemärkten. Das alkoholfreie Bier war Nähr- und Kräftigungsmittel, diente Rekonvaleszenten und Gebrechlichen, fand auch seinen Weg auf den häuslichen Tisch. Glaubt man der Temperenzpresse, so handelte es sich um einen auch kommerziellen Erfolg: „In Leipzig führen 10 Restaurants das Bier ständig, in Eisenach wird es im Stadtpark verschänkt und an acht Stellen in Flaschen verkauft. Nach München gehen Waggon-Sendungen und neben den Trinkerheilanstalten werden auch Nervenheil- und andere Anstalten gute Abnehmer. An einem deutschen Hofe kommt es auf den Tisch der Prinzen. In Norwegen wird es demnächst auch hergestellt“ (Mäßigkeits-Blätter 15, 1898, 31-32). Valentin Lapp erhielt vielgestaltigen Beifall, galt „als ein hochgebildeter, hervorragend tüchtiger Fachmann“ (Wein und Bier ohne Alkohol, Das Volk 1898, Nr. 147 v. 26. Juni, 9).

Virtuelle Konkurrenten: Bassara und Frada

Lapps „Original alkoholfreies Bier“ steht in der Tradition bieranaloger alkoholfreier Getränke. Ihre Zahl nahm Mitte der 1890er Jahre deutlich zu, der Erfolg der „alkoholfreien Weine“ setzte Forscherenergie und Investorengeld in Bewegung. Vertreter der Temperenzbewegung hatten sich zuvor vor allem von zwei Innovationen das versprochen, was nun Lapps Produkt leisten sollte: Eine Alternative für den täglichen häuslichen Konsum, mit dem man aber auch die Gegenkultur alkoholfreier Gaststätten attraktiver ausgestalten konnte.

Bei den beiden früheren Produkte handelte es sich einerseits um Bassara, das 1896 für eine gewisse Aufmerksamkeit bei Versammlungen von Naturforschern und Medizinern sorgte (Allgemeine Wiener Medizinische Zeitung 41, 1896, 445). Das „alkoholfreie Bier“ bestand aus geheim gehaltenen Zutaten, vornehmlich jedoch Pflanzenauszügen. Das von der Kasseler Firma Dr. Hilgenberg Nachf. produzierte Getränk zielte vornehmlich auf den englischen Markt, dem dortigen Faible für Ingwer- und Rootbeer. Auch wenn gerade Apotheker auf die Marktchancen solcher Nichtalkoholika aufmerksam gemacht wurden, so hatte es mit Bier lediglich den Namen gemein (Pharmazeutische Zentralhalle für Deutschland 38, 1897, 558).

Entstehen eines Marktes „alkoholfreier Biere“: Bassara und Frada (Pharmazeutische Zentralhalle für Deutschland 38, 1897, 558 (l.); Badische Presse 1900, Nr. 129 v. 6. Juni, 8)

Deutlich anders zu bewerten ist das ebenfalls 1896 entstandene Frada. Es wurde von dem in der Lebensreformbewegung fest verankerten Chemiker Walther Nägeli (1851-1919) in seiner seit 1878 bestehenden Konservenfabrik in Mainz-Mombach entwickelt (Bayerische Handelszeitung 8, 1878, 80). Das seit Juli 1896 vertriebene Frada war Nebenprodukt einer breiten und Zeitgenossen beeindruckenden Palette von Frada-Fruchtsäften aus Äpfeln, Beerenfrüchten, Kirschen und Pflaumen, die er als „alkoholfreie Weine“ vermarktete. Das Verfahren des alkoholfreien Biers Frada wurde 1896 patentiert, steht also zeitlich vor Lapps „Original alkoholfreiem Bier“ (Westdeutsche Zeitung 1896, Nr. 176 v. 29. Juli, 3). Bier wurde in üblicher Weise hergestellt, der Alkohol dann mechanisch entzogen (Badische Presse 1900, Nr. 129 v. 6. Juni, 8). Der Geschmack variierte, zudem misslang der Aufbau einer leistungsfähigeren Vertriebsstruktur. Nägli verkaufte seine zahlreichen Patente Ende 1899 an die in Berlin neu gegründete Theodor Reissing & Co. GmbH für einen Pauschalpreis von 30.000 M (Berliner Börsen-Zeitung 1900, Nr. 353 v. 31. Juli, 12). Frada-Bier war nicht viel mehr als ein Versuchsballon, der bald ohne Luft landete. Das Präparat unterstrich vor allem die technologischen Fallstricke der Produktion alkoholfreier Ersatzprodukte, auch wenn der nachträgliche Entzug des Alkohols in der Folge vielfach versucht wurde.

Aufbau eines Vertriebsnetzes für Lapps „Original Alkoholfreie Bier“

Beim Aufkommen dieser alkoholfreien Biere waren sich viele Temperenzler sicher, dass dies nicht drei beliebige Einzelprodukte waren, sie vielmehr eine Zeitenwende einläuteten: „Die Jahre 1896 und 1897 werden in der Geschichte der Getränke und der Trinksitten wahrscheinlich epochemachend sein, […]. Wenn bisher die Streitfrage war: Wein und Bier oder Wasser? so wird sie bald auch lauten: alkoholisches Bier oder alkoholfreies? alkoholischer Wein oder alkoholfreier? gefährliches oder gesundes Getränk?“ (Wein und Bier ohne Alkohol, Kneipp-Blätter 7, 1897, 133-134). Die Jugend würde mit neuen Wahlmöglichkeiten aufwachsen, sie würde der Trunksucht nicht anheimfallen. Dabei handelte es sich jedoch um typische Wunschwelten von Bildungsbürgern fernab wirtschaftlicher Realitäten. Denn so unverzichtbar die Produktentwicklung auch sein mag; über den Markterfolg entscheidet vorrangig der Aufbau eines Vertriebsnetzes, also die Nähe zum Konsumenten. Und darauf gründete die Ubiquität der Alkoholika: 1893 gab es in der Stadt Leipzig nicht weniger als 148 Gastwirtschaften, 1153 Schankwirtschaften mit und 188 ohne Branntweinausschank, zudem noch 281 Branntweinkleinhandlungen (Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen 33, 1905, 148).

Im Gegensatz zu Nägeli, der für sein alkoholfreies Bier lediglich die gängigen Absatzwege seiner Frada-Fruchtsäfte nutzte, baute Valentin Lapp ein breit gefächertes, weit über den lokalen Absatz seiner bayerischen Biere hinausreichendes Vertriebsnetzwerk auf. Vier Ebenen sind zu unterscheiden: Erstens nutzte er seine lokalen und regionalen Absatzstrukturen. Alkoholfreie Biere erweiterten das bestehende, gemein vertraglich fixierte Angebot vornehmlich von Münchner, Kulmbacher, Lagerbier und – eine Morgengabe an das sächsische Publikum – Pilsener um die neuen alkoholfreien Sorten. Da es sich um Flaschenbier handelte, schied dies bei größeren Wirtschaften aus, auch wenn 1897 die Offensive der Gastwirte gegen diese Verpackung schon wieder am Abebben war. Hinzu trat vor Ort ein kostenloser Bringdienst zu den gängigen Lieferusancen. Zweitens transformierte Valentin Lapp seine Brauerei in ein Versandgeschäft für das neue Flaschenbier. Probekistchen mit vier Flaschen sollten den Einstieg ermöglichen, ansonsten versandte die Brauerei Bierkästen mit 12, 24, 50 und 100 Flaschen per Nachnahme ins gesamte Inland. Drittens beschritt Lapp mit seinem neuen „Original alkoholfreiem Bier“ den üblichen Weg für damalige Gebrauchsgüter, seien es Fleckenwasser oder aber Asthmazigaretten aus Cannabis: Er versuchte Großhandelsdepots zu errichten, Bierhandlungen und Brauereien für einen gemeinsamen Vertrieb zu gewinnen. Diese vergaben anschließend Regional- und Lokalkonzessionen, derer Inhaber dann einzelne Gaststätten und Einzelhändler belieferten. Viertens schließlich bemühte er sich auch um einen internationalen Ausfuhrhandel.

Genaue Angaben zu den jeweiligen Erfolgen fehlen. Der Preis des „Original alkoholfreien Bieres“ war allerdings relativ hoch, entsprach dem von in Flaschen versandten alkoholhaltigen Spezialbieren, lag damit aber mindestens fünf Pfennig höher als gängige Standardbiere; wobei wir nicht wissen, ob es sich um eine der vielfach üblichen Halbliterflaschen handelte. Da Kunden aber über die „nicht große Flasche“ (Die christliche Welt 11, 1897, Sp. 384) lamentierten, dürfte der Inhalt geringer gewesen sein, zwischen 0,4 und 0,2 Liter, lehnte sich vielleicht an die zumeist 0,3 oder 0,4 Liter fassenden Biergläser in den Gaststätten abseits Bayerns an. Es gab damals keine standardisierten Bierflaschen. Lapps Standardflaschen waren 20 Zentimeter hoch, doch der bauchige Hauptteil machte weniger als die Hälfte aus. Bequemlichkeit hatte ihren Preis.

Standardbierflasche aus Valentin Lapps Brauerei in Leipzig-Lindenau (l.) und Suche nach Generalagenturen für die Belieferung der Großstadtmärkte (Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Objekt Nr. Z0135658 (l.); Berliner Tageblatt 1897, Nr. 446 v. 3. September, 10)

Der Bahnversand von Lapps alkoholfreiem Bier erfüllte zumindest anfangs die gesteckten Erwartungen, teilte seine Brauerei doch drei Monate nach der Einführung mit, „sie müsse fast alltäglich ihre Geschirre nach dem Bayerischen Bahnhofe schicken, um die nach Süddeutschland gehenden Sendungen ihres alkoholfreien Bieres, monatlich 120 bis 150 Kisten, zollamtlich behandeln zu lassen“ (Errichtung einer Zollabfertigungsstelle am Bahnhofe zu Plagwitz-Lindenau, Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 260 v. 5. Juni, 4222). Folgen wir nun den Kistchen, etwa in den Schopfsteiner Gasthof „Zum Pflug“: Dort wurde Lapps Dunkles verkostet, sein malziger Geschmack gewürdigt: „Auch der gewiegteste Bierkenner würde im übrigen dem schäumenden Gerstensafte nicht anmerken, daß ihm der Rausch erzeugende Bestandteil fehlt und doch ist dem so. […] Das in Rede stehende Bier hat nur einen Fehler, es ist zu teuer. Während es die Brauerei Lapp-Leipzig-Lindenau an Ort und Stelle für 15 bezw. 20 Pfg. liefern kann, erhöht sich in Schopfheim […] durch Fracht, Steuer u.s.w. der Preis auf 70 Pfg.“ (Ingolstädter Tagblatt 1897, Nr. 38 v. 17. Februar, 5). Beim Bier gab es im Deutschen Reich noch keinen freien Warenverkehr. Unter Temperenzlern hoffe man daher auf eine breitere dezentrale Produktion: „Aber gewiß ist die Zeit nicht mehr fern, wo alle Brauereien in einen edlen Wettstreit eintreten werden, nicht mehr das stärkste (d. h. giftigste) sondern das gesündeste Bier herzustellen“ (Alkoholfreie Weine, Feierstunde 1898, Nr. 36, 3). Bildungsbürgerliches Wunschdenken…

Konzessionierter Absatz (General-Anzeiger für Bonn und Umgegend 1900, Nr. 3854 v. 3. November, 1 (l.); Echo des Siebengebirges 1900, Nr. 95 v. 28. November, 3)

Lapp versuchte daher verstärkt, lokale Vertriebsfirmen zumal im norddeutschen Braugebiet zu gewinnen. Diese wurden am Verkaufserlös angemessen beteiligt, sollten dann Vertrieb und Werbung eigenständig durchführen. Große Biersendungen würden die Kosten deutlich vermindern. Das gelang, wenngleich von einer reichsweiten Vor-Ort-Präsenz des „Original alkoholfreien Bieres“ nicht die Rede sein konnte. Enthaltsamkeit blieb ein teures Unterfangen. Entsprechend dürfte Lapps Produkt auch im Ausland nur geringen Widerhall gefunden haben. Valentin Lapp sprach zwar anfangs von der „außerordentliche[n, US] Verbreitung“, von „Erfolgen in staatlichen und privaten Anstalten“, von „großen nach Ägypten und dem Orient versandten Posten“, pries das alkoholfreie Bier gerade für die Tropen, denn es erfrische, während „man nicht die lähmende und erschlaffende Wirkung des Alkohols mit in den Kauf nehmen muß“ (Alkoholfreies Bier, Deutsche Kolonialzeitung 11, 1898, 201). Doch die umfangreiche Werbung in der einschlägigen Deutschen Kolonialzeitung wurde nach 1898 nicht mehr fortgesetzt, der Widerhall war zu gering (Tropenkoller, Hamburger Fremdenblatt 1903, Nr. 126 v. 31. Mai, 25).

Ein alkoholfreies Getränk für die Kolonien (Deutsche Kolonialzeitung 11, 1898, Nr. 26, Beil., 209)

Vermarktung im Umfeld der Temperenzbewegung

Die vier eingeschlagenen, allerdings nur teils erfolgreichen Vertriebswege waren zwar nicht häufige, grundsätzlich aber auch von anderen Brauereien gewählte Formen, um insbesondere für Spezialbiere überregionalen Absatz zu finden. Sie waren Ausdruck der Produktorientierung der Branche. Es galt ein gutes Bier zu produzieren, dieses dem Kunden vor Augen zu führen – und dann würde er zugreifen, denn er hatte Durst. Das alkoholfreie Bier war jedoch von anderer Qualität, denn es zielte auf die große Zahl der Biertrinker, die dem Alkohol kritisch gegenüberstanden, die aber die vielen anderen Attribute des Bieres nicht missen wollten. Alkoholfreies Bier war damit konsumentenzentriert, durchbrach das brauliche Selbstgespräch am Gärbottich, war das Ergebnis gesellschaftlicher Ansprüche just an die Brauwirtschaft. Lapps Innovation stand für eine neue Macht des Konsumenten, für seine vielfach nur beschworene Souveränität. Es ging nicht um ein verbessertes Weiter-so, sondern um eine neuartige Konsumentenorientierung. Alkoholfreies Bier war die Materialisierung von seit den 1880er Jahren öffentlich artikulierten Ansprüchen. Entsprechend gab es einen fünften, in der Öffentlichkeit auch am stärksten thematisierten Vertriebsweg, nämlich den Absatz über die Institutionen der Temperenzbewegung. Deren zehntausende Vereinsmitglieder waren als Kernmarkt des Neuen eigentlich gesetzt. Alkoholfreies Bier nicht nur zu fordern, sondern es nun auch zu kaufen, schien eine Frage der Fairness zu sein, zumal sich Lapp mit dem neuen Bier nicht nur Freunde schuf: Der lokale Verein Leipziger Gastwirte lehnte es nach kurzem internen Meinungsaustausch strikt ab, das alkoholfreie Bier auch nur zu verkosten (Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 174 v. 6. April, 2580).

Valentin Lapp präsentierte sein „Original alkoholfreies Bier“, aber auch seinen neu entwickelten Malzextrakt und eine Trinkwürze (beides Gesundheitsbiere), bei zahlreichen Ausstellungen sowohl der engeren Temperenzbewegung als auch auf medizinischen und naturwissenschaftlichen Tagungen und Kongressen (Verein für Gesundheitspflege zu L.-Plagwitz, Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 260 v. 23. Mai, 3862). Das neue Produkt wurde als „eine entschiedene Consequenz des gedachten Heilungsregimes“ (Pharmaceutische Post 30, 1897, 504) der Abstinenz zumeist positiv beschrieben (General-Anzeiger für Essen und Umgegend 1897, Nr. 226 v. 2. Oktober, 4; Münchner Neueste Nachrichten 1898, Nr. 139 v. 25. März, 9; Die Ersatzgetränke-Ausstellung in Heidelberg, Mäßigkeits-Blätter 15, 1898, 129-130; Die Neuheiten-Ausstellung, Düsseldorfer Zeitung 1898, Nr. 262 v. 23. September, 3).

Präsentation als „bestes Gesundheitsbier der Welt“ (Saale-Zeitung 1897, Nr. 554 v. 26. November, 8)

Zusammengefasst ragen innerhalb der Berichte drei Punkte hervor, nämlich Freude und Stolz, Fragen des Geschmacks und Rückfragen an den Preis. Die Temperenzler sahen sich erstens durch das Lappsche Produkt selbst bestätigt. Rasch parolte man, dass es nun endlich Mittel gäbe, „die einen Uebergang zum Anti-Alkoholismus ermöglichen: genußreiche Ernährung ohne die Schattenseiten der Berauschung, die so oft in’s Elend führt!“ (Allgäuer Zeitung 1898, Nr. 61 v. 16. März, 5). Alkoholfreies Bier erlaube die der eigenen Bewegung immanente höher entwickelte Lebensfreude. Doch ein vorbehaltloses Ja war nicht zu hören: „Natürlich werden die neuen Getränke nur ganz allmählich Boden gewinnen, wie das auch bei allen heute beliebten der Fall war. Es wird ihnen an Gegnern und Hindernissen nicht fehlen; […]. So treten sie langsam in einen Wettbewerb mit den Alkoholgetränken und viele werden davon Nutzen haben“ (Das Volk 1898, Nr. 147 v. 26. Juni, 9). Zweitens hielt man sich bei der Einschätzung des Geschmacks vielfach zurück. Das alkoholhaltige Bier blieb Geschmacksreferenz, an die Entwicklung einer eigenen Geschmackskultur dachte man nicht. Man wog ab, empfand die helle Variante ansprechender als die dunkle, hob diejenigen Sorten hervor, die „im Geschmack dem gewöhnlichen alkoholhaltigen Bier am nächsten“ kamen (Ersatzgetränke für Alkohol, Wörishofer Blätter 9, 1898, 598-599, hier 599). Selbst kritische Stimmen wurden positiv umgebogen: „Was den Geschmack anbetrifft, so dürfte es dem gesunden Biertrinker kaum imponiren; der Kranke wird ihn faut de mieux sicher gern in den Kauf nehmen, um nur seinen Durst zu stillen“ (Pharmaceutische Post 30, 1897, 504). Drittens war das alkoholfreie Bier vielen schlicht zu teuer. Als bei der Jahresversammlung des Deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke 45 Pfennig für ein halbes Liter gefordert wurden, fand es „wenig Anklang“ (Badischer Beobachter 1898, Nr. 173 v. 30. Juli, s.p.). Dann aber folgte Zukunftsmusik, harfte man das Lied von niedrigeren Preisen bei höherem Absatz.

Vertriebsnetzwerk der Lebensreform (Volkswacht 1898, Nr. 173 v. 28. Juli, 4)

Bei den Ausstellungen und Tagungen suchte Valentin Lapp aber nicht nur Einzelkunden, sondern versuchte vorrangig, sein Produkt in Krankenhäuser, Anstalten und Kantinen einzuführen. Bei den Betreuten galten andere Geschmackskriterien, wir lasen dies schon. Gerade in Trinkerheilanstalten könne alkoholfreies Bier für die Patienten ein wertvolles Mittel sein, „um den Uebergang zum Wasser- und Wenigtrinken zu vermitteln“ (Mäßigkeitstag in Heidelberg, Emscher Zeitung 1898, Nr. 176 v. 30. Juli, 1-2, hier 2). In Kantinen sollten die Arbeiter eine Alternative zum üblichen Bier haben, in Dresden und Berlin soll dies auch gelungen sein (Schutz der Arbeiter gegen den Alkohol, Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 539 v. 22. Oktober, 7745). Die Vermarktung bei Ärzten und Sanatorien hob den höheren Nährwert des alkoholfreien Biers besonders hervor (Bautzener Nachrichten 1898, Nr. 289 v. 14. Dezember, 3349). Und entsprechend weitete sich das Einsatzfeld aus, umgriff blutarme Frauen, aber auch kränkliche Kinder. Otto Dornblüth (1860-1912), späterer Herausgeber des Pschyrembels, forderte seine Kollegen auf, künftig den alkoholhaltigen Malzextrakt durch Lapps nährenden alkoholfreien Trank zu ersetzen (Ärztliche Rundschau 8, 1898, 348-349, hier 349).

Integration des alkoholfreien Bieres in alkoholfreie Gaststätten (General-Anzeiger der Stadt Mannheim und Umgebung 1902, Nr. 308 v. 7. Juli, 8)

Der Worte wurden also viele gewechselt, an Bemühungen fehlte es nicht. Doch im Markt alkoholfreier Getränke waren die Folgen überschaubar. Als Ende 1898 die Redaktion der Siegener Zeitung „Das Volk“ um Adressen von Produzenten alkoholfreier Biere gebeten wurde, verwies sie an den Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, nicht aber an Valentin Lapp oder einen Wettbewerber (Das Volk 1898, Nr. 295 v. 17. Dezember, 7). Dabei hatte der Leipziger Brauer auch innerhalb der Temperenz- und Naturheilkundebewegung um Unterstützung gegeben, insbesondere um lokale Niederlagen einrichten zu können (J. Okic, Sieben Jahre in Wörishofen, Wörishofen 1898, Inserate, 4). Diesen wurde nur sehr selten entsprochen, eine der wenigen Ausnahmen gab es just in der Biermetropole München (Lappsches alkoholfreies Bier, Zeitschrift für das gesammte Brauwesen 21, 1898, 37). Zusammengefasst war das Interesse seitens der Temperenzbewegung groß, ja sehr groß. Doch es gab fast keine wirkliche Unterstützung. Lapps „Original alkoholfreies Bier“ wurde zwar in das noch nicht sonderlich breite Sortiment alkoholfreier Gaststätten integriert, doch dessen Kern bildeten nach wie vor Heißgetränke, Mineralwässer und zunehmend auch süße Limonaden. Alkoholfreie Weine und Bier ergänzten, traten aber nicht in den zuvor viel beschworenen Mittelpunkt. Innerhalb der vornehmlich bürgerlichen, vornehmlich protestantischen Temperenzbewegung waren nur wenige wirklich bereit, einen höheren Preis für Nichtalkoholika von teils ungewohntem Geschmack auszugeben. Gezielte Subventionierungen hätten dies ändern können, doch daran wurde nicht einmal gedacht. Die bürgerlichen Kreise traten zwar beredt für ihre Ideale ein, es fehlte ihnen jedoch das handgreifliche Engagement und die Opferbereitschaft, die das katholische Milieu und insbesondere die sozialdemokratische Arbeiterschaft im späten Kaiserreich auszeichnete.

Widerstand: Was ist Bier, was ist alkoholfreies Bier?

Lapps „Original alkoholfreies Bier“ war Teil einer tiefgreifenden Transformation der deutschen Trinkkultur um die Jahrhundertwende. Ähnlich wie die heutige, mehr behauptete und auf relativ überschaubare Bevölkerungsgruppen begrenzte Transformation – Stichwort vegan – war sie begleitet von Sprachspielen. Dieses war typisch für Versuche, dominante Ernährungs- und Trinkweisen durch relativ kleine, medial präsente Kader aufzubrechen. Was modisch klingen mag und gern mit Verweis auf moderne Theoretiker der kulturellen Hegemonie oder der repressiven Toleranz begründet wird, war allerdings schon tradiertes Wissen für Gebildete im späten 19. Jahrhundert, für die damals gängige Sprachphilosophie. Wilhelm von Humboldt (1767-1835), heute im Schatten seines Bruders stehend, war selbst Transformator, legte als Reformer und Gelehrter die Grundlagen einer heutzutage längst aufgegebenen Idee von Bildung, sei es im Gymnasium, sei es in den Universitäten. Die Sprache, so Humboldt, „steht ganz eigentlich einem unendlichen und wahrhaft gränzenlosen Gebiete, dem Inbegriff alles Denkbaren, gegenüber. Sie muß daher von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen, […]“ (Wilhelm v. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts, Berlin 1836, 106). „Alkoholfreies Bier“ war Ausdruck menschlicher Phantasie, eine Worterfindung durch Übertragung. Es handelte sich um eine Metapher, unsinnig, aber anschaulich und ansatzweise verständlich. Sprache hat ihre Eigengesetzlichkeiten, warum sonst sprechen wir einerseits von Zahnbürste – die doch Zähne reinigt –, anderseits vom Schneckenhaus, obwohl in ihm nur ein Weichtier haust. Alkoholfreies Bier war rein sprachlich ein paradiesischer Begriff, verwies auf die Auflösung der Gegensätze, auf das Miteinander von Wolf und Lamm. Es überrascht daher nicht, dass dieses bildungsbürgerliche Sprachspiel keinen Anklang bei Brauern und Chemikern, Juristen und auch Abstinenzlern fand. Letzteren war das alkoholfreie Bier ein Wolf im Schafspelz, ein falscher Prophet des Nichtvereinbaren.

Die wirtschaftlich interessierten, durch das Neue herausgeforderten Kreise urteilten ähnlich apodiktisch: „Die Bezeichnung alkoholfreies Bier ist ein Unsinn“ (Franz Elsner, Die Praxis des Chemikers, 7. umgearb. u. verm. Aufl., Hamburg und Leipzig 1900, 316). Bier war demnach von Alkohol nicht zu trennen. Es war Resultat einer Vergärung stärkehaltiger Stoffe, eines „natürlichen“ Prozesses, in Gang gesetzt durch kunstfertig bereitete Zutaten, umgesetzt durch eine ausgeklügelte Maschinerie. Das Wunder des Bieres bestand aber auch darin, dass unsachgemäßes Brauen Getränke hervorbringe, die „Abneigung und Widerwillen“ hervorrufen würden. Man konzedierte, dass insbesondere „amerikanischen Kunstgetränke“ dank Zutaten und Kohlensäure „gar nicht schlecht schmecken und auch nicht sehr übel bekommen.“ Bier sei aber chemisch weit komplexer, könne nicht chemisch-technisch simuliert werden. Unabhängig vom Geschmack sei das Resultat aber niemals Bier (Zitate n. Ueber das Lapp’sche Verfahren zur Gewinnung von Bierwürze und das sogenannte alkoholfreie Bier, Gambrinus 25, 1898, 217). Die Kritik am Begriff „alkoholfreies Bier“ hatte noch eine zweite Dimension, die anfangs vor allem aus der besseren Kenntnis der chemischen Zusammensetzung „alkoholfreier Weine“ und „alkoholfreier“ Säfte stammte, an sich aber auch aus rudimentärem Wissen über die Gärung. Alkohol ist fast allgegenwärtig, auch der Mensch produziert es täglich. Die Mengen sind gering, gewiss. Aber mit den damaligen Apparaturen war es nicht möglich, „alkoholfreie“, sondern höchstens alkoholarme Produkte zu schaffen. Dieser implizite Betrugsvorwurf waberte bis in die zeitgenössischen Karikaturblätter (Kladderadatsch 58, 1905, Nr. 2, Beibl. 2, 2). Hinzu kam, dass für Brauer alkoholfreies Bier auch deshalb nicht erforderlich war, weil Bier selbst das alle anderen überstrahlende Temperenzgetränk sei (Alkoholfreies Bier, Gambrinus 25, 1898, 93-94, hier 94).

Sollte das wissenschaftlich präsentierte „Original alkoholfreies Bier“ gar keines sein? (Saale-Zeitung 1898, Nr. 78 v. 16. Februar, 12)

Lapps „Original alkoholfreies Bier“ setzte einen definitorischen Streit in Gang, der grundsätzlich dazu hätte führen können, dass sich Naturwissenschaftler (und viele naturwissenschaftlich gebildete Praktiker) als Modellplatonisten erkannten, als unreflektierte Kulturwissenschaftler. Jede Beschwörung von „Natur“ ist unreflektierter Mystizismus – und so auch die damalige (teils bis heute hochgehaltene) Definition von Bier. Erst in den Folgejahren, parallel zu Steuererhöhungen auf Alkoholika und der Besteuerung nichtalkoholischer Getränke, agierten zumindest die staatlichen Kontrollorgane weniger apodiktisch als die Interessenvertreter der Brauer. 1906 bündelte der führende Nahrungsmittelchemiker Adolf Beythien (1867-1949) das damalige Wissen über „alkoholfreies Bier“. Auch er betonte, dass es derartiges nicht geben könne, doch aufgrund einer inkonsistenten Vergabe von Warenzeichen und Patenten habe sich der Begriff im Markt einbürgern können, müsse man mit ihm arbeiten. Drei Verfahren seien zu unterscheiden: Erstens die nachträgliche Entfernung des Alkohols aus vergorenem Bier, wie beim patentierten Frada-Bier. Zweitens die Verkochung von Malz mit Hopfen nebst nachträglicher Kohlensäurezufuhr, also der von Valentin Lapp gewählte Weg. Drittens aber auch der Einsatz von Mikroorganismen, die den Zucker der Bierwürze ohne Alkoholbildung zerlegten – ein auch von Lapp nach der Jahrhundertwende beschrittener Weg (A[dolf] Beythien, Über alkoholfreie Getränke, Sitzungsberichte und Abhandlungen der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft ISIS 1905, Dresden 1906, 70-90, hier 76-77). Diese drei Verfahren wurden seitens der Freien Vereinigung Deutscher Nahrungsmittelchemiker 1907 akzeptiert, flossen dann auch in die Steuergesetze ein. Acht Jahre zuvor war das noch anders, denn der Internationale Kongress für angewandte Chemie in Wien nahm 1899 eine Resolution an, die es als unstatthaft erklärte, die Begriffe Bier oder Wein für unvergorene Getränke zu verwenden (Jahresbericht über die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiet der Hygiene 17, 1899, 521).

Diese Debatten über Sprache und Definitionen waren wichtig, führten sie doch zur Akzeptanz und zur Ablehnung ganzer Branchen – wie wir in den letzten Jahren an der sprachlichen Libertinage im Umgang mit veganen Produkten oder aber der Dubai-Schokolade erfahren haben. Und sie hatten wichtige Auswirkungen auf die Stellung gerade des Pionierproduktes Valentin Lapps. Dieser hatte sein neues Produkt nach Eingang der Analysen am 2. Februar 1897 beim Patentamt angemeldet, und bereits am 11. März wurde sein Warenzeichen unter Nummer 22749 eingetragen. Beim „Original Alkoholfreien Bier“ handelte es sich demnach um ein Brauereierzeugnis, um „Bier, alkoholfreies Bier“ (Alkoholfreies Bier – kein Bier, Gambrinus 26, 1899, 349-350, hier). Wie schon zuvor bei Nägelis Patent des Frada-Bieres war der Begriff damit rechtlich verbindlich anerkannt.

Lapps Warenzeichen für „alkoholfreies Bier“ (Deutscher Reichsanzeiger 1897, Nr. 73 v. 26. März, 21)

Gleichwohl wurde Valentin Lapp ein Patent für seine Erfindung verweigert. Das Kaiserliche Patentamt holte zuvor drei Gutachten ein. Die Handelskammer Leipzig bejahte, dass die „Bezeichnung ‚alkoholfreies Bier‘ eine übliche Warenbezeichnung geworden sei“ (Leipziger Tageblatt 1898, Nr. 520 v. 13. Oktober, 7667). Das Berliner Pendant, die Ältesten der Berliner Kaufmannschaft, erklärten die Bezeichnung dagegen „als eine mißbräuchliche Verwendung des Wortes Bier“ (Alkoholfreies Bier, Zeitschrift für das gesammte Brauwesen 21, 1898, 687). Die Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin, die neben Weihenstephan wichtigste Ausbildungsstätte der Brauer, gab daraufhin den Ausschlag. Sie sang das Lied der sie finanzierenden Kreise: Bier entstehe durch Vergärung. Wenn man bei der Herstellung einen Bestandteil „herausnimmt, so verliert das Getränk seinen Charakter und seine eigenthümliche Genußwirkung als Bier. […] Die womöglich gesetzlich sanktionirte Bezeichnung ‚alkoholfreies Bier‘ würde vielmehr nur den Zweck haben können, aus dem Umstande, daß es sich dabei um ein alkoholfreies Getränk handelt, auf Kosten des wirklichen ‚alkoholhaltigen‘ Bieres Kapital zu schlagen, indem es vor dem Publikum als das ‚unschädliche‘ Bier gegenüber dem ‚schädlichen alkoholhaltigen‘ Bieres ausgegeben wird.“ Dies sei unlauterer Wettbewerb zu Lasten der Bierbrauerei, es gelte, „die Möglichkeit einer solchen mißbräuchlichen Anwendung der ohnehin widersinnigen Bezeichnung ‚alkoholfreies Bier‘ schon im Keime auszuschließen“ (Alkoholfreies Bier gibt es nicht, American Brewers‘ Review 12, 1898/99, 395). Dieses Ergebnis „eingehender Ermittelungen“ (Die Unzulässigkeit der Bezeichnung „alkoholfreies Bier“, Bayerisches Brauer-Journal 9, 1899, 186) wurde in der Fachpresse gefeiert, dann breit in der Presse gestreut (etwa Lüdenscheider Wochenblatt 1899, Nr. 76 v. 30. März, 6; Hamburger Fremdenblatt 1899, Nr. 77 v. 31. März, 22. Offiziell: Reichs-Medizinal-Anzeiger 24, 1898, 313).

Alkoholfreies Bier gibt es nicht – Eine Eloge (Kladderadatsch 52, 1899, Nr. 17, Beibl. 2, 3)

Lapp legte Widerspruch ein, schließlich musste er sein alkoholfreies Bier als Bier versteuern, resultierte der hohe Preis auch aus dieser Veranlagung, denn es gab keine Steuer für alkoholfreie Getränke. Das preußische Finanzministerium schmetterte sein Anliegen ab, denn alkoholfreies Bier sei zwar keine Verkehrsbezeichnung, wohl aber handele es sich um ein Bier im Sinne des Brausteuergesetzes (Bier, 1899, 350). Die Brauereipresse frohlockte, verwies auf die Besonderheiten der norddeutschen Gesetzgebung, zugleich aber auf den Zwang einer einheitlichen nationalen Regelung. Valentin Lapp habe nicht unlauter gehandelt, zumal alkoholfreier Wein ein gängiger, unbeanstandeter Verkehrsbegriff sei. Doch nun müsse man Klarheit schaffen.

Lapp kritisierte diese Ungleichbehandlung, verwies auf die breite Marktpräsenz und die Gutachten wissenschaftlicher Kapazitäten (Leipziger Tageblatt 1899, Nr. 193 v. 17. April, 3068). Die Versagung des Patents hatte zwar keine unmittelbaren Auswirkungen, doch die öffentliche Debatte nützte dem neuen Produkt sicher nicht. Zeitgenossen witzelten, ob man denn künftig noch Wasser als „Gänsewein“ bezeichnen dürfe (Hamburgischer Correspondent 1901, Nr. 580 v. 11. Dezember, 12). Und in mehreren anderen Fällen, so bei dem von Karl Michel (1836-1922), dem Leiter der Münchener praktischen Brauerschule hergestellten alkoholfreien Bieres, entschieden die Gremien noch strikter. „Alkoholfreies Bier“ war zwar Teil der Alltags- und Werbesprache, zeitweilig aber nicht der Warenzeichen und Patente. Valentin Lapp ließ sich dadurch allerdings nicht irritieren, arbeitete weiter in vermintem Gelände. Er entwickelte in den folgenden Jahren mehrere Verfahren zur Herstellung verbesserten alkoholfreien Bieres; und diese wurden dann auch patentiert.

Tradierte Werbung

Die Bierwerbung des späten Kaiserreichs, zumal die damals gängige Anzeigenwerbung, war wenig elaboriert, fiel rasch hinter die zunehmend übliche Ästhetisierung und Abstrahierung insbesondere der Markenartikelwerbung zurück. Bier zeichnete sich eben weniger durch Marken als vielmehr durch Sorten aus, klebte am Begriff des Bieres selbst. Genannt wurden die Namen der Brauereien, doch für die Produkte hatte man nur Gattungsbegriffe. Bier als großenteils lokal gebrautes und konsumiertes Getränk war vor Ort präsent, Anzeigenwerbung verwies auf saisonale Spezialbiere, auf das Angebot größerer Gastwirtschaften und Bierhallen. Auch Valentin Lapp hielt am Sortenbegriff fest, mochte er auch eine neue Biersorte geschaffen haben. Diese aber hob er nicht eigens hervor, sondern verwies mit dem Begriff „Valentin Lapps ‚Original alkoholfreies Bier‘“ auf seinen Pionierbetrag, verband ihn mit seinem Namen – nicht aber dem seiner Brauerei. Die Werbung für dieses Produkt wurde nicht von den zunehmend wichtigen Reklamefachleuten gestaltet, wurde nicht mittels der in anderen Branchen üblichen Bildwelten präsentiert. Das Gesundheitsbier stand zwar teils in der Tradition der Heilmittelwerbung, erreichte aber auch nicht ansatzweise deren eingängige, direkt ins Auge fallende Gestaltung.

Informative Werbung für ein neuartiges Produkt (Siegener Zeitung 1897, Nr. 275 v. 25. November, 3)

Die Anzeigen der Einführungsphase waren sachlich gehalten, verzichteten zumeist auf Bildschmuck, arbeiteten mit einfachen Fettungen. Sie stellten die Alkoholfreiheit der neuen Biersorte heraus, verzichteten vor Ort häufig darauf, den Erfinder ansprechend hervorzuheben. Lapps Produkt wurde mit den damals üblichen Symbolen hoher Qualität vorgestellt, also Medaillen, Belobigungen und Analysen. Letztere wurden auch als Flugblätter verteilt, die – wie damals bei Geheimmitteln üblich – gleich zu „Broschüren“ geadelt wurden (General-Anzeiger für Halle und den Saalkreis 1898, Nr. 31 v. 6. Februar, 2); durchaus mit schönen Titelvignetten.

Extrabeilagen als Werbemittel, also doppelseitige bedruckte Werbeblätter (Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 387 v. 2. August, 5613)

Die Anzeigen waren anfangs vielfach mit redaktioneller Werbung gekoppelt. Sie wurden über Annoncenexpedition dann reichsweit geschaltet. Es handelte sich zumeist um Heroen- und Fortschrittsgeschichten: „Nachdem es bereits seit längerer Zeit ermöglicht war, Wein alkoholfrei herzustellen, ist es nach langen kostspieligen Versuchen dem bekannten Bierbrauer gelungen, ein vollkommen alkoholfreies Bier herzustellen, das mit den weitverbreiteten englischen Erzeugnissen dieser Art in keiner Weise zu vergleichen ist und dieselben weit an Nährwerth übertrifft“ (Siegener Zeitung 1897, Nr. 277 v. 27. November, 3). Der stete Verweis auf die Analysen hob das Produkt besonders hervor, zugleich grenzte man sich von unberufenen Kräften ab (General-Anzeiger für Chemnitz und Umgegend 1898, Nr. 112 v. 17. Mai, 3). Beim Nährwert verglich man das neue Bier mit Porter oder Malzextrakt, doch anders als diese sei es nicht erschlaffend, sondern erfrischend. Die wissenschaftliche Aura unterstrich man mit entsprechenden Begriffen, schrieb über Kohlensäure und Nährsalze. Das zielte auf die übliche, meist nur behauptete, Qualitätsführerschaft.

Lapps Werbung positionierte sein alkoholfreies Bier als wissenschaftlich und gesellschaftlich eingefordertes Produkt, als ein Bier, dass dessen rätselhaften Reiz bewahre, doch auch neuen Anforderungen gerecht werde (Bautzener Nachrichten 1898, Nr. 288 v. 13. Dezember, 3334). Entsprechend galt es als ein Getränk für alle, benannte diese Gruppen auch: „So wäre denn in dem alkoholfreien Bier auch ein lange gesuchtes Getränk für Kinder und Frauen, aber auch für Sänger, Sportsleute, sowie alle Solche gefunden, die geistig und physisch angestrengt thätig sind“ (Coburger Zeitung 1898, Nr. 91 v. 20. April, 1). Sein Konsum sei modern und zukunftsgewandt, trendy und hip: „Bei der überall in steigender Tendenz begriffenen Enthaltsamkeits- und Mäßigkeitsbewegung wird das original-alkoholfreie Bier, welches schon jetzt von vielen Seiten als das beste Bier der Welt anerkannt sein soll, eine große Zukunft haben“ (Thorner Presse 1898, Ausg. v. 30. Juni, 6).

Versand als stete Option im nationalen Markt (Alkoholismus 1, 1900, n. 456)

Die lokale, von den Niederlagen direkt geschaltete Werbung knüpfte an solche Aussagen an, war jedoch kleiner, hob das Besondere hervor, koppelte es aber auch mit alkoholischen Getränken.

Attraktion des alkoholfreies Biers – als wissenschaftliche-rationales Produkt und als Ergänzung des Standardsortiments (General-Anzeiger für Halle und den Saalkreis 1898, Nr. 34 v. 10. Februar, 3 (l.); General-Anzeiger für Düsseldorf und Umgegend 1898, Nr. 289 v. 19. Oktober, s.p.)

Gerade größere Bierhandlungen, sog. Bierverlage, integrierten Lapps Alkoholfreies zwar in ihre Werbung, präsentierten es aber als Teil eines breiteren Sortiments. Es stand hier als Spezialbier zum Kauf, während es im deutlich kleineren Umfeld der Temperenzler als Produkt ohne Alkohol präsentiert wurde. Lapp selbst schied in seinem Leipziger Heimatmarkt zwischen seinen alkoholhaltigen Biersorten und dem „Original alkoholfreien Bier“ aus „reinem Malz und Hopfen“ (Leipziger Tageblatt 1899, Nr. 249 v. 18. Mai, 3942).

Alkoholfreies Bier als Versandgut einschlägiger Bierhandlungen (General-Anzeiger für Chemnitz und Umgegend 1898, Nr. 194 v. 23. August, 4)

Nicht zu vergessen ist die umfangreiche, auch auf Lapp zielende Agitation gegen alkoholfreie Biere. Meist handelte es sich um Witze, um Fragen der Männlichkeit, um lustige Verse, mit denen man sich von den Sonderlingen, von Bier ohne Alkohol abgrenzte: „‚Vögel, die nicht singen, Glocken die nicht klingen, Pferde die nicht springen, Kinder die nicht lachen – wer hat Lust an solchen Sachen!‘“ (Kreuz und quer, Westfälische Zeitung 1903, Nr. 96 v. 25. April, s.p.)

Insgesamt warb Valentin Lapp, warben auch seine lokalen Vertragspartner für das neue Produkt weit intensiver als es in der Branche üblich war. Sie hatten jedoch keine über die Produktpräsentation hinausgehende Strategie, ihnen gelang keine produktspezifische Formensprache. Auch deshalb wurde das alkoholfreie Bier von der zeitgleich einsetzenden Welle karbonisierter Limonaden werbetechnisch weit in den Schatten gestellt. Sie schufen neue Markenartikel mit eigener Produktidentität, spielten mit der sprachlichen Unbestimmtheit des Feldes, präsentierten Mischungen von Aromen, Farbstoffen, Süßstoffen und Kohlensäure als alkoholfreies Bier. Valentin Lapp dürfte das mit Befremden zur Kenntnis genommen haben, doch führte dies nicht zur Veränderung seiner Werbung. Das war auch deshalb bemerkenswert, weil er sich nach der Jahrhundertwende abermals unternehmerisch veränderte, seine Bayerische Brauerei in Leipzig verkaufte, verlagerte und in ein neues, ambitioniertes Projekt einer großenteils automatisiert arbeiteten Brauerei und Mälzerei überführte. Das „Original alkoholfreie Bier“ wurde parallel weiter gepflegt, verändert und verbessert.

Verkauf und Neugestaltung: Die Brauerei Groß-Crostitz 1901/02-1904

Im August 1901 wurde in Leipzig die Brauerei Groß-Crostitz AG mit einem Kapital von 1,5 Mio. M gegründet. Ziel war der „der Erwerb und Fortbetrieb der von Val. Lapp in Leipzig-Lindenau bisher betriebenen Brauerei“, der Kauf seines „Brauereigrundstücks in Groß-Crostitz, die Einrichtung und der Betrieb einer Brauerei auf demselben, die Herstellung und der Verkauf von Bier jeglicher Art und die Verwerthung und Ausnutzung der Systeme, Patente und Verfahren des genannten Lapp“ (Leipziger Tageblatt 1901, 435 v. 27. August, 6079). Der Brauer erhielt 900.000 M, 320.000 für die auf den Grundstücken lastenden Hypotheken, 350.000 in bar und 250.000 in 250 Aktien. Sowohl das englische Patent für alkoholfreies Bier, die in Deutschland derweil angemeldeten Verfahren und die Verfügungsrechte über einen in den USA patentierter Apparat zur Herstellung von alkoholfreiem Bier gingen dadurch in die Hände einer Investorengruppe über, deren Zentrum die Brauerfamilie Naumann bildete, die seit 1828 in Leipzig Bier produzierte.

Die Neugründung bedeutete nicht das Ende der Karriere von Valentin Lapp, war für ihn vielmehr der Einstieg in noch ambitionierteres Unternehmen. Rein äußerlich veränderte sich erst einmal wenig: Lapp wurde zum Vorstand bestellt, der ihm schon zuvor nach Leipzig gefolgte Albert Udo Ellerbrock erhielt Prokura und kümmerte sich um den kaufmännischen Bereich (Brauerei Groß-Crostitz, Actiengesellschaft in Leipzig, Gambrinus 28, 1901, 716). Die neue Brauerei sollte ein Musterbetrieb werden, eine großenteils automatisch arbeitende Brauerei und Mälzerei. Letzteres schien besonders lukrativ, auch weil Kathreiner dort eines seiner Inlandswerke für Malzkaffee betrieb. Die meisten Lapp zuvor erteilten Patente betrafen bereits Einzelkomponenten des neuen Idealbetriebes (Zeitschrift für das gesammte Brauwesen 26, 1903, 660). Er sollte weiterhin alkoholfreies Bier produzieren, ein im Mai 1901 erteiltes Patent Verfahren zur Herstellung eines alkoholfreien gehopften Malzgetränkes unterstreicht die kontinuierliche Entwicklungsarbeit (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 110 v. 11. Mai, 20).

Kontinuität des Verkaufs (Neues Tagblatt und Generalanzeiger für Stuttgart und Württemberg 1902, Nr. 174 v. 29. Juli, 7 (l.); General-Anzeiger für Bonn und Umgegend 1902, Nr. 4389 v. 11. Mai, 5)

Gross-Crostitz lag etwa zwanzig Kilometer nordöstlich von Leipzig-Lindenau, Lapp besaß dort einen mit Mauerwerk für eine kleine Brauerei versehenen Bauplatz. Bereits 1897 begannen konkretere Überlegungen für den Neubau einer an der Peripherie der Metropole gelegenen Brauerei. 1898 errichtete der Chemnitzer Maschinenbaufabrikant Richard Heymann die Groß-Crostitzer Lagerbier-Brauerei, die aber schon im Folgejahr wieder verkauft wurde (Leipziger Tageblatt 1897, Nr. 357 v. 16. Juli, 5251; Eine eigenartige Gründung, ebd. 1898, Nr. 474 v. 18. September, 33; ebd., Leipziger Tageblatt 1899, Nr. 311 v. 21. Juni, 4886). Für unsere Perspektive auf das neue Brauen sind die Details der Verlagerung der Lappschen Brauerei nicht weiter von Belang. Die „Bayerische Bier-Brauerei, V. Lapp in Leipzig“ wurde im Mai 1902 im Handelsregister gelöscht (Leipziger Tageblatt 1902, Nr. 2244 v. 4. Mai, 3236). Der Brauereibetrieb wurde fortgeführt und peu a peu an den neuen Standort verlagert (nicht eingesehen wurde der Aufsatz von Fritz Halm, Vom Brauen in Leipzig-Lindenau, Leipzig s.a., StdA Leipzig, Nr. 6811).

Lapps Produktionsmethode galt derweil als Standardverfahren für alkoholfreies Bier (Volkshochschulvorträge, Leipziger Tageblatt 1902, Nr. 117 v. 6. März, 1639). Die Kontakte zur Temperenzbewegung blieben bestehen, „Original alkoholfreies Bier“ wurde weiter angeboten (Leipziger Jubiläumsausstellung für naturgemäße Lebensweise, Leipziger Tageblatt 1902, Nr. 243 v. 14. Mai, 9). Zunehmend wurde allerdings publik, dass es durchaus alkoholhaltig war, mochten einzelne Untersuchungen auch immer noch betonen: „Alkohol fehlt!“ (Niederstadt, Analysen alkoholfreier Getränke, Pharmaceutische Zeitung 38, 1903, 895). Genauere Analytik ergab 1904 jedoch einen Alkoholgehalt von 0,67 Prozent (Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel 10, 1905, 766; Leipziger Tageblatt 1905, Nr. 442 v. 31. August, 9). Der seitens der Gewerkschaften 1903 verhängte Boykott gegen die neue Brauerei Groß-Crostitz führte ebenfalls zu Renommeeverlusten (Merseburger Kreisblatt 1903, Nr. 180 v. 17. Mai, 4). Da half es wenig, dass der Temperenztrank andernorts als „Socialreformer in der Flasche“ gepriesen wurde, als Hilfsmittel für die Integration der Fabrikarbeiter in die bürgerliche Gesellschaft (Ein Socialreformer in der Flasche, Wiesbadener General-Anzeiger 1902, Nr. 149 v. 29. Juni, 4).

Werbung im naturheilkundlichen Kontext (Wiesbadener Tagblatt 1903, Nr. 174 v. 15. April, Abendausg., 7)

Festzuhalten sind zudem deutliche Preissteigerungen. Während die Flasche in Leipzig und Mitteldeutschland zumeist 20 Pfennig kostete, führte der langsame Ausbau alkoholfreier Wirtschaften und Cafés zu teils deutlichen Preissprüngen, griff hier die Preisbindung doch nicht. Im Wiesbadener Kneipp-Haus kostete die Flasche 1902 zwischen 30 und 40 Pfennige (Wiesbadener Tagblatt 1902, Nr. 139 v. 23. März, Morgenausg., 8; ebd. 1902, Nr. 221 v. 14. Mai, Morgenausg. 9). Ähnliches galt für lokale vegetarische Restaurants und auch Vereinslokale der Temperenzbewegung (Wiesbadener Tagblatt 1902, Nr. 405 v. 31. August, Morgenausg., 7; Solinger Zeitung 1902, Nr. 163 v. 15. Juli, 3). Die Erträge aus Lapps eingeführtem alkoholfreiem Bier dienten der Institutionalisierung der nichtalkoholischen Gegenwelt, der Erfinder profitierte davon bestenfalls indirekt. Parallel gewann man aufgrund der höheren Kapitalkraft der neuen Brauerei neue Vertragsgaststätten gewinnen, in denen das alkoholfreie Bier nun neben Sorten wie Original Groß-Crostitzer, Export, Urquell und Schankbier verkauft wurde (General-Anzeiger für Halle und den Saalkreis 1904, Nr. 117 v. 20. Mai, 9). Alkoholfreies Bier sickerte langsam in die üblichen Gaststätten ein.

Der Neubau der Brauerei in Gross-Crostitz verbesserte zeitgleich die Forschungs- und Entwicklungsmöglichkeiten Lapps. Mehrere Technologen wurden angestellt, darunter auch Experten aus dem Ausland, wie etwa der schwedische Inspekteur Hans Waerner bzw. der zuvor in Konstantinopel tätige Betriebskontrolleur Hermann Schneider. Davon dürfte auch die Produktionstechnik alkoholfreien Bieres profitiert haben. Mitte Januar 1904 wurde Valentin Lapp ein neues Verfahren im cisleithanischen Österreich patentiert (Gambrinus 31, 1904, 331). Schon Mitte Mai folgte ein verbessertes Verfahren, das den eingeschlagenen Weg noch konsequenter beschritt. Die Bierwürze wurde nun in einem Vakuum einer zeitweiligen Hefegärung unterworfen, ohne dass sich dabei Alkohol bildete. Anschließend begann die zuvor übliche Imprägnierung mit Kohlensäure. So wollte man die berechtigten „Ansprüche an Qualität, Geschmack und Aussehen“ in ein besseres Produkt umsetzen (AT Nr. 16243B). Derartige Innovationen waren jedoch nur wichtiges Beiwerk bei der Schaffung einer neuen Musterbrauerei. Heinrich Trillich, zentrale Figur bei der Entwicklung von Kathreiners Malzkaffee und 1904 bei Kaffee HAG, pries später die „vom Gedanken des Massenbetriebes einheitlich konstruierte Neuanlage“ als „grossartige, mit ganz neuen Gedanken arbeitende Brauerei […]. Hier tritt zum ersten Male das Prinzip durch, Bau und Einrichtungen einheitlich den grossen Massen anzupassen“ (Heinrich Trillich, Die deutsche Industrie. I. Das deutsche Braugewerbe, Die Umschau 10, 1906, 70-73, hier 71).

Konkurs und Abschied aus Leipzig 1904-1905

Das aber war schon ein Schwanengesang: Die seit Anfang 1903 in Gross-Crostitz arbeitende, seit Herbst auf Volllast produzierende Brauerei geriet Mitte 1904 in Zahlungsschwierigkeiten. Die neue Aktiengesellschaft wies damals 320.000 M Hypotheken und mehr als 400.000 M offene Forderungen auf, die schwebende Schuld wurde auf 650.000 M geschätzt (Hallesche Zeitung 1904, Nr. 553 v. 16. Juli, 6; Frankfurter Zeitung 1904, Nr. 195 v. 15. Juli, Morgenbl., 2). Man hoffte, diese Malaise mittels einer die Gläubiger mit einbindenden Kapitalerhöhung befriedigen zu können (Saale-Zeitung 1904, Nr. 325 v. 14. Juli, 4). Obwohl der Hauptgläubiger, die uns schon von der Frankenbräu bekannte Chemnitzer Maschinenfabrik Germania, dem Verfahren zustimmte, scheiterte der Vergleich an den Schuckert-Siemens-Werken, deren Forderungen lediglich 21.000 M betrugen (Frankfurter Zeitung 1904, Nr. 195 v. 15. Juli, Abendbl., 4). Entsprechend wurde am 15. Juli 1904 Konkurs angemeldet.

Valentin Lapp geriet nun in das Sperrfeuer öffentlicher und interner Kritik (Gross-Crostitz, Leipziger Tageblatt 1904, Nr. 386 v. 31. Juli, 13; Leipziger Tageblatt 1904, Nr. 391 v. 3. August, 9). Die Vorwürfe ähnelten denen der Spätphase der Frankenbräu, abermals wurden die Investitionen in Maschinen sowie zu hohe Ausgaben für Forschung & Entwicklung kritisch vermerkt. Die Details sind spannend, hier aber nicht zu diskutieren. Das Hauptproblem war die Unterkapitalisierung des Modellbetriebes: „Nur mit einem Kapital von M. 1.500.000,- ausgestattet, hatte die Gesellschaft zum Bau der Brauerei M. 2.375.000 benötigt“ (Richard Steinert, Kapitalsbewegung und Rentabilität der Leipziger Aktiengesellschaften, Leipzig 1912, 35). Man wird die Kosten von Beginn an unterschätzt haben, hat aber nicht zuletzt auf Drängen Lapps die anfangs geschmiedeten Pläne umgesetzt und nicht revidiert. Lapps Expertise war dafür ein wichtiges Druckmittel, denn mehrfach bot er seine Demission an, mehrfach wurde diese abgelehnt (Leipziger Tageblatt 1904, Nr. 357 v. 16. Juli, 6).

Lapps alkoholfreies Bier aus Groß-Crostitz, angeboten kurz vor der Konkurseröffnung (General-Anzeiger für Halle und den Saalkreis 1904, Nr. 160 v. 10. Juli, 10)

Die Folgen des nicht zustande gekommenen Vergleichs waren jedenfalls tiefgreifend. Lapp selbst verzichtete auf Forderungen von insgesamt ca. 200.000 M, verlor die gleiche Summe nochmals bei sich bis Anfang 1906 hinziehenden Verteilung der Aktiva (Brauerei Gross-Crostitz, A.-G. in Leipzig, Saale-Zeitung 1904 v. 16. Juli, 6). Anfangs hoffte man etwa die Hälfte der Buchwerte realisieren zu können, am Ende war es ein Drittel (Frankfurter Zeitung 1904, Nr. 222 v. 11. August, Abendbl., 4; (Leipziger Tageblatt 1905, Nr. 662 v. 30. Dezember, 6). Während die Liegenschaften der früheren Brauerei in Lindenau gewinnträchtig zu Baugrundstücken umgewidmet werden konnten, bildeten die hochbewerteten Patente Lapps das eigentliche Problem. Die aufgrund ständiger Änderungen Lapps und verspätet gelieferter Maschinen der Maschinenfabrik Germania Mitte 1904 nur mit einem Fünftel der vorgesehenen Kapazität arbeitende Mälzerei ließ Investoren zurückschrecken, die nach den Friktionen die Idealfabrik praktisch arbeiten sehen wollten, ehe sie weiteres Geld investierten. Während des Konkurses produzierte die Brauerei weiter, Lapp betreute die Produktion als technischer Beirat, zog aber nach Leipzig (Ed[uard] Eckenstein, Entwickelung und Fortschritte der Malzfabrikation in den letzten vierzig Jahren, Basel 1908, 111).

Im August 1905 hatten sich Investoren und Gläubiger dann auf die Zukunft des Unternehmens geeinigt. Die Bierproduktion wurde in der Folge beendet, die technisch ambitionierte Mälzerei als Deutsche Malzfabrik in Groß-Crostitz, G.m.b.H. fortgeführt. Die Lappschen Patente blieben in ihrem Besitz. Parallel liefen verschiedene Schadensersatzklagen, die letztlich aber nur Petitessen in einem krachend gescheiterten Zukunftsprojekt waren (Brauerei Groß-Crostitz, Saale-Zeitung 1905, Nr. 360 v. 3. August, 5). Die Firma blieb ein wichtiger Akteur der mitteldeutschen Malzwirtschaft.

Trotz all dieser Fährnisse, trotz der fordernden Neuanlage vornehmlich der Mälzerei, haben weder Valentin Lapp, noch die sich im Konkurs befindliche Brauerei Groß-Crostitz die Fortentwicklung des alkoholfreien Bieres schleifen lassen. Das im April 1905 patentierte US-amerikanische Patent zeigte vielmehr Fortschritte bei der alkoholfreien Gärung im Vakuum und bei nunmehr um den Gefrierpunkt liegenden Temperaturen (Pharmaceutische Praxis 4, 1905, 333; H[ans] Blücher, Auskunftsbuch für die Chemische Industrie, 9. verb. u. stark verm. Aufl., Leipzig 1915, 32-33). Dieses Patent wurde international intensiv diskutiert (Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel 14, 1907, 764; Biochemisches Zentralblatt 6, 1907, 619; Chemisches Zentralblatt 78, 1907, 1515; Le Moniteur Scientifique 71, 1909, 161). Ziel war die Beseitigung des Würzegeschmacks und -geruchs. Dazu diente auch eine neuartige Vorbehandlung der Hefe (Herstellung von alkoholfreiem Bier mit normalen Biergeschmack, Chemiker-Zeitung 31, 1907, Repertorium, 76). Es ist unklar, ob dieses Verfahren noch vor Ort angewendet wurde. Es wurde 1908 jedoch auch im Deutschen Reich für die Deutschen Malzfabrik patentiert (Uhlands Technische Rundschau 1908, 44).

Wir sehen also auch nach dem Konkurs ein für Technologen vielfach übliches Verhalten. Lapp wusste um die Mängel seiner eigenen Erfindung, verbesserte diese stetig. Immer wieder gab es kleinteilige Verbesserungen, mochte das „Original alkoholfreie Bier“ sprachlich auch immer gleich beworben werden: Verbesserung als Dauerschleife, besser werden, nicht stehenbleiben. Es waren Praktiker und Unternehmer wie Lapp, deren Fleiß, deren Beharrlichkeit Schatten bis in unsere Gegenwart werfen – unabhängig von damit einhergehenden Makeln.

Arbeit und Tod am Berliner Kurfürstendamm 1906-1908

Der Konkurs der von Valentin Lapp geleiteten Groß-Crostitzer Brauerei und der Übergang zur Deutschen Malzfabrik führten zwar zum Ende der Marktpräsenz des Lappschen „Original alkoholfreien Bieres“ im deutschen Markt, nicht aber zu einem Ende verbesserter Brauverfahren dieses Spezialbieres. Für Lapp bedeutete das Ende der Bierproduktion einen neuen Lebensabschnitt als Vermarkter seiner eigenen Patente, als Berater für alle mit der Brauerei und dem Restaurationsbetrieb verbundenen Fragen – so jedenfalls seine Selbstbezeichnung bei einem im April 1906 beantragten Warenzeichen (Deutscher Reichsanzeiger 1907, Nr. 30 v. 1. Februar, 20). Valentin Lapp wurde noch bis Ende 1905 in der Presse als „Bierbrauerei-Direktor in Leipzig“ bezeichnet (Pester Lloyd 1905, Nr. 300 v. 3. Dezember, 15), dürfte aber im Frühjahr 1906 nach Berlin umgezogen sein. Er mietete eine Wohnung am Kurfürstendamm 47, die er auch als Geschäftssitz nutzte (Gambrinus 33, 1906, 574; ebd., 192 lokalisierte ihn noch in Leipzig). 1907 wurden ihm noch zwei Warenzeichen für neue Biere zugesprochen, Urquell und Lapp’s Urstoff (Deutscher Reichsanzeiger 1907, Nr. 30 v. 1. Februar, 20; ebd., Nr. 168 v. 16. Juli, 20).

Todesanzeige Valentin Lapps (De Preanger-Bode 1909, Nr. 28 v. 4. Februar, 3)

Valentin Lapp starb 52-jährig am 25. Jahrestag des Todes seiner ersten Frau Selma. Er wurde von seinem in Potsdam lebenden, sich in einer Brauerlehre befindlichen Sohn Theodor tot aufgefunden. Seine dritte Frau war nicht anwesend, sie lebte damals in Loschwitz bei Dresden (Landesarchiv Berlin, Sterberegister 1874-1985, 1908, Nr. 703). Eine Todesanzeige in der Berliner Presse konnte ich nicht ausfindig machen – was aber angesichts der höchst lückenhaften Digitalisierung der dortigen Zeitungen nicht viel heißt. Die hier abgedruckte Anzeige einer holländischen Zeitung nannte lediglich drei trauernde Familienmitglieder, seinen Sohn, seinen Bruder, seinen Schwager.

Auch in der Fachpresse war der Widerhall auf den Tod „des bekannten Technologen“ (Der Böhmische Bierbrauer, 36, 1909, 15) gering. Das war eigentlich typisch für die eher diskrete Gruppe der Ingenieure, der Tüftler und Erfinder; nicht aber für selbststolze Brauer. Es blieben dürre Zeilen: „Am 20. Dezember 1908 ist in Berlin der durch seine brautechnischen Patente bekannte Herr Valentin Lapp plötzlich verschieden. Lapp war bis vor einigen Jahren Brauereidirektor in Bamberg und zuletzt in Leipzig und begründete sodann ein Geschäft in Berlin zur Verwertung seiner zahlreichen Erfindungen“ (Gambrinus 36, 1909, 113). Paradoxerweise wurde jedoch noch kurz vor Kriegsbeginn ein letzter Artikel veröffentlicht: Es ging um ein alkoholfreies Malzgetränk, Bierwürze mit Kohlensäure imprägniert, unter kontinuierlich hohem Druck gekühlt, dann gefiltert, nochmals mit Kohlensäure gesättigt, schließlich abgefüllt (Val[entin] Lapp, Verfahren zur Herstellung eines alkoholfreien gehopften Malzgetränkes mittels flüssiger Kohlensäure, Neueste Erfindungen und Erfahrungen 41, 1914, 412). Der Vorhang fiel mit einem weiteren geschmacklich verbesserten „alkoholfreien Bier“.

Uwe Spiekermann, 13. September 2025

Porter, Schwindel und Bankrott – Johann Hoffs Scheitern im Biermarkt der Gründerzeit

Johann Hoff, der Berliner Krösus, ist heutzutage unbekannt. In den 1860er und 1870er Jahren war er dagegen der wohl bekannteste deutsche Unternehmer. Wie kein anderer hat er die Macht der Reklame genutzt, um einfache Produkte mit einem betörenden Gloriolenschein zu umgeben. Er adelte Malzextrakt zum „Gesundheitsbier“, etablierte überteuerte Malzprodukte als Garanten für Genesung und Heilung. Johann Hoff war ein Schwindler großen Stils, doch er fand Kundschaft und gewinnträchtigen Absatz. Als glühender Patriot verkörperte er die Nationalstaatsbildung, als orthodoxer Jude die brüchige deutsch-jüdische Symbiose. Kaum ein anderer wurde gleichermaßen befehdet, von Karikaturisten, Dramatikern, Konkurrenten und naturwissenschaftlichen Experten. Schon zu Lebzeiten eine mythische Figur, fehlen seriöse Arbeiten zu seinem Leben, seinem Werk. Johann Hoff war ein Selbstdarsteller per Inserat, feilte an seinem öffentlichen Bild, ließ aber weitere Einblicke kaum zu. Forschung fehlt, Historiker folgen eben nur selten vergangener Bedeutsamkeit, sondern meist heutigen Vorstellungen von Erinnerungswürdigkeit.

Mag sein, dass ein biographischer Schneisenschlag sinnvoll wäre – und ich behalte mir diesen vor. Doch in diesem Beitrag möchte ich lediglich eine, wenngleich eine zentrale Episode aus Johann Hoffs Karriere näherungsweise rekonstruieren. Es geht um den wichtigsten Bruch in seinem Leben, dem faktischen Bankrott seines Firmenimperiums während der Gründerkrise 1873. Dieser war Folge einer ungebührlichen Überschätzung der Möglichkeiten moderner Werbung und der Fehleinschätzung des Biermarktes der frühen Kaiserzeit. Johann Hoff wollte damals „Deutschen Porter“ einführen, also ein dunkles kräftiges Bier, wie es vornehmlich in England gebraut wurde. Er antizipierte den damaligen dramatischen Wandel des Biermarktes: Doch statt auf die neuen untergärigen Biersorten, auf bayerisches Lager und böhmisches Pilsner zu setzen, wollte er den englischen Porter billiger herstellen – und diesen zum neuen „Nationalgetränk“ machen. Das war – aus heutiger Sicht – fantastisch und zum Scheitern verurteilt; doch das galt auch für die Marktetablierung des Malzextraktes seit den späten 1850er Jahren. Bevor wir aber auf die Struktur und den Wandel des deutschen Biermarktes Mitte des 19. Jahrhunderts eingehen, sind einige biographische und unternehmenshistorische Grundlagen zu legen.

Johann Hoff – Unternehmer und Unternehmen

Johann Bernhard Hoff wurde am 20. Dezember 1826 in Pleschen, im südöstlichen Posen, als Sohn des Handelsmanns Leob Hoff und seiner Frau Dorothea Hoff, geb. Lefschütz geboren (Landesarchiv Berlin, Sterberegister 1874-1920, Berlin I, 1887, Nr. 216). Er erlernte wohl seit 1852 das Brauereihandwerk und ließ sich Mitte der 1850er Jahre in Breslau nieder, wo er eine Gaststätte mit eigenem Brauereibetrieb eröffnete. Das war Sesshaftwerdung nach seiner Heirat mit Johanna Fränkel (1829-1894), Tochter aus einem Kaufmannshaushalt im nordöstlich von Breslau gelegenen Städtchen Festenberg. Dort hatten Mitte des 18. Jahrhunderts aus Breslau vertriebene Juden eine formidable Gemeinde gegründet, deren Mitglieder ein Jahrhundert später wieder in die wachsenden Städte wanderten. 1855 gebar Frau Hoff in der schlesischen Hauptstadt die Tochter Selma (1855-1916), Therese und die Söhne Max und Martin folgten.

Johann Hoff verlegte später die Anfänge der familiären Malzproduktion in das Jahr 1847, datierte die Geschäftsgründung in Breslau auf 1849 (Vendette 19, 1887, Nr. 1, 8) – doch das waren selbstgenährte Mythen, die gleichwohl Wirkung auf Kritiker hatten, die zwischen Sein und Schein kaum unterscheiden konnten und ihrerseits negative Legendenbildung betrieben (Wilhelm v. Varchim, Die Medicinal-Pfuscherei der Jetztzeit und ihre Koryphäen […], 2. verm. u. verb. Aufl., Bremen 1867, 32). Nachweisbar sind eine Erwähnung des „Brauermeisters Bernhard Hoff“ 1856 (Breslauer Zeitung 1856, Nr. 103 v. 1. März, 44) sowie Anzeigen aus dem Jahre 1857, in denen „Hoff’s Brauerei“ und dann „Hoff’s Pariser Restauration, Wein- und Bierkeller“ beworben wurden (Schlesische Zeitung 1857, Nr. 77 v. 15. Februar, 367; ebd., Nr. 467 v. 7. Oktober, 2447). Beide lagen an der Südseite des Breslauer Rings, also in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus. Hoff produzierte zudem präpariertes Brustmalz zur Linderung von Husten und Atemwegserkrankungen, vertrieb dieses auch regional (Lublinitzer Kreisblatt 1858, Nr. 3 v. 16. Januar, 16). Im Mittelpunkt seiner Geschäftstätigkeit stand jedoch ein „Gesundheitsbier“, das er „Malz-Extrakt“ nannte. Dieses bewarb er offensiv als Heilmittel, gab vor, „Autoritäten der Medicin“ hätten es untersucht, propagierte es dann als Kräftigungsmittel und Hilfe bei zahlreichen unspezifischen Krankheiten (Schlesische Zeitung 1857, Nr. 277 v. 18. Juni, 1473).

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Malzextraktangebot von Johann Bernhard Hoff in Breslau 1858 (Schlesische Zeitung 1858, Nr. 121 v. 13. März, 624)

Die Breslauer Anzeigen spiegeln erstens eine systematische Nutzung der lokalen Inseratenpresse, zweitens einen ausgeprägten Drang nach Größe und Bedeutsamkeit. Schon 1857 gab Hoff vor, Niederlagen in London, Hamburg, Berlin, Magdeburg und ganz Ostelbien zu unterhalten (Ebd., Nr. 439 v. 20. September, 2286). Drittens nahm die Palette seiner durch Zubereitung und Zumischung allesamt heilkräftigen Malzpräparate weiter zu. Sein „Bäder-Malz“ empfahl er zur Kräftigung und gegen degenerative Krankheiten (Ebd., Nr. 535 v. 15. November, 2798). Mit solchen Offerten stand er keineswegs allein, lokale Konkurrenzen offerierten ähnliche Malzpräparate seit den 1840er Jahren (Ebd., 2801). Viertens aber nutzte er schon in Breslau systematisch vermeintliche Zusendungen resp. Empfehlungsschreiben, druckte sie in Anzeigen ab. Damit hob er die Qualität seiner Produkte nochmals hervor, verortete sie im oberen gesellschaftlichen Spektrum. Vielfach handelte es sich allerdings um reine Erfindungen. Der von ihm als Garant erwähnte Prinz Friedrich Wilhelm Karl von Preußen starb beispielsweise schon 1851.

Aller Werbung, allen Anstrengungen zum Trotz ging Hoffs Geschäft spätestens im Sommer 1859 bankrott, der Konkurs über sein Vermögen folgte im Herbst (Ebd. 1859, Nr. 459 v. 22. September, 6). Warum ist unklar, berichtet wurde über „eine unvorsichtige Speculation“ (Der Israelit 8, 1865, 527). Familie Hoff siedelte jedenfalls nach Berlin über, wo er das fortsetzte, was er in Breslau begonnen hatte. Er etablierte sich im Zentrum der preußischen Hauptstadt, in der unmittelbar an der Spree gelegenen Neuen Wilhelmstraße 1 – und begann unter dem Namen Johann Hoff ab spätestens März 1860 neuerlich sein Malzextrakt-Gesundheitsbier und seinen Brustmalz anzubieten (Berliner Gerichts-Zeitung 1860, Nr. 30 v. 31. März, 155).

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Schwindel in Premiumlage: Ansicht des Geländes von Johann Hoffs früherem Firmensitz Neue Wilhelmstr. 1, heute ARD Hauptstadtstudio (Uwe Spiekermann, 2019)

Johann Hoff wurde in Berlin zum Exponenten moderner Geheimmittelproduzenten, die ihre objektiv überteuerten Produkte mit Heilsversprechen aufluden und einem zahlungskräftigen Publikum als Alltagshelfer anpriesen. „Malzextrakt“ war eine sprachliche Fiktion, denn darunter hatte man zuvor kein Bier, sondern ein medizinisches Stärkungsmittel verstanden. Hoff betonte stetig und unbeirrt, dass sein Produkt Heilwirkungen habe – und es seine Pflicht sei, seine Mitbürger darüber in Kenntnis zu setzen. Das tat er direkt, vor allem aber mittels realer und großenteils wohl fiktiver Dank- und Empfehlungsschreiben. Als Adressat sah er sich in der „Pflicht, die leidende Menschheit unausgesetzt auf dieses vortreffliche und dabei wohlschmeckende Getränk aufmerksam zu machen“ (Kölnische Zeitung 1862, Nr. 209 v. 30. Juli, 6).

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Ein altes Familienrezept aus Ägypten: Geheimmittelwerbung a la Johann Hoff (Berliner Gerichts-Zeitung 1860, Nr. 82 v. 17. Juli, 332)

Hoffs virtuose Nutzung moderner Werbung machte ihn zu einem der wichtigsten Vorläufer heutigen Marketings. Dies reicht tiefer als der eventuell zutreffende Verweis, Hoff habe als erstes deutsches Unternehmen eine eigenständige Werbeabteilung eingerichtet (Dirk Reinhardt, Von der Reklame zum Marketing, Berlin 1993, 24). Der junge Unternehmer verstand die Grundprinzipien moderner Massenmärkte: Hohe Werbekosten waren einerlei, wenn es dadurch gelang, den Umsatz überproportional zu steigern. Hoff meinte dazu anekdotenhaft: Als „ich die ersten Tausend Thaler mit meinem Malzextract verdient hatte, sagte ich mir: die hast du nicht verdient, und steckte sie als Inserate in die Zeitungen. Als es zehntausend geworden waren, sagte ich mir: die Hälfte davon hast du nicht verdient und steckte sie wiederum in die Zeitungen, und so fort“ (Düsseldorfer Volksblatt 1879, Nr. 9 v. 11. Januar, 2-3, hier 3 – auch für das Folgende). Anfang der 1860er Jahre soll er einen Jahresumsatz von ca. 250.000 Talern gehabt und für Anzeigen ca. 100.000 Taler aufgewandt haben. Produktions- und Betriebskosten dürften bei ca. 50.000 Talern gelegen haben, so dass der Gewinn exorbitant war. Hoff betonte aber auch: „Aber das kann ich Ihnen sagen, mit Schund hat man keine Aussicht auf Erfolg, und wenn man Millionen verinserirt.“ Daraus entstand ein Nimbus immensen und wachsenden Reichtums (Altonaer Mercur 1862, Nr. 273 v. 19. November, 2). Während die meisten Geheimittelhersteller nach kurzer Zeit wieder vom Markt verschwanden, etablierte sich Hoffs Malzextrakt als einer der bekanntesten Markenartikel der 1860er Jahre, dessen Produktion hierzulande erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg eingestellt wurde.

Als Person blieb Johann Hoff relativ unsichtbar. Er war ein mediales Phänomen, das mittels seiner Anzeigen kommunizierte, in denen er einen Avatar seiner selbst schuf, sich als sendungsbewussten Unternehmer stilisierte: „Es ist eine weise Lehre, man solle sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern vor den Leuten leuchten lassen“ (Kölnische Zeitung 1862, Nr. 186 v. 7. Juli, 5). Dabei verwob er Lobpreis seines Produktes mit unbeirrbarem Eigenlob. Er sah sich als Wegbereiter einer neuen Heilsindustrie, als Wegbereiter des Aufschwungs der nationalen Industrie: „Wie können wir eine Anerkennung von außen erwarten, wenn wir sorgfältig das zu verdunkeln suchen, was fähig wäre, uns eine solche zu verschaffen. Mit um so größerer Freude muß uns jeder Ausnahmefall erfüllen, und wir werden es uns zur Pflicht machen, einen solchen im Interesse der vaterländischen Industrie auch jedesmal zur öffentlichen Kenntnis zu bringen, sobald er nur von einiger Bedeutung ist“ (Kölnische Zeitung 1861, Nr. 46 v. 15. Februar, 4).

Widerspruch und erbitterte Kritik

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Bewertungen und Einschätzungen als „Thatsachen“ (Die Presse 1861, Nr. 335 v. 6. Dezember, 6)

Bei aller Übertreibung, bei allem Lobpreis setzte Johann Hoff gleichwohl auf eine quasi dokumentarische Werbung. Die Textmasse seiner Anzeigen bestand aus Zitaten von Empfehlungsschreiben, aus Geschäftskorrespondenz, aus Nachrichten über den erfolgreichen Fortgang des eigenen Geschäftes und die zahlreichen Ehrungen, die ihm zuteilwurden. Die alle paar Tage geschalteten Anzeigen, zuerst in Berlin, ab 1861 zunehmend im ganzen deutschsprachigen Raum, hatten zwar Stakkatocharme, doch sie veränderten sich stetig, waren eine Art Fortsetzungsroman des Immergleichen. Das Publikum war sich gewiss bewusst, dass nicht alles eins zu eins zu nehmen war – doch die Wiederholung machte Eindruck, führte zur Probe, zum Kauf. Dieser mochte seinen eigenen Charme haben – moderater Alkoholkonsum unter dem Deckmantel des Heilmittels –, doch man reihte sich zugleich ein in die große Schar der in den Anzeigen erwähnten Persönlichkeiten. Hoff zielte auf den Adel, den Hochadel, hatte Erfolge bei finanzarmen Häusern, die gegen Gebühr auch Titel vergaben, mit denen er dann weiter warb. Die Empfehlungsschreiben entstammten dagegen dem gehobenen Bürgertum, dem Militär, den Pfarrhäusern. Hoffs Malzextrakt war ein bürgerliches Produkt nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution, war die Materialisierung des dann in der Reichsgründung manifesten Bündnisses des nationalen Bürgertums mit dem angestammten Adel. Hoffs Anzeigen waren Ausdruck selbstbewussten Untertanengeistes, freuten sich am huldvollen Dankeschön, an der Ehrerbietung für ein gelungenes Produkt. All das rief teils erbitterten Widerspruch hervor – vor und auch nach dem preußischen Verfassungskonflikt, der 1866 schließlich mit dem Indemnitätsgesetz gelöst wurde, das das königliche Unrecht nachträglich legitimierte.

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Ein virtueller Johann Hoff inmitten einer Schar durch wissenschaftliche Aufklärung entlarvter Scharlatane (Industrie-Blätter 3, 1866, 1)

Die Kritik zielte erstens auf das Produkt selbst. Den Hoffschen Bewertungen wurden chemisch-pharmazeutische Analysen entgegengestellt: „Es geht daraus zur Genüge hervor, daß der vielgepriesene Hoff’sche Malzextrakt weiter keinen Vorzug hat, als daß er völlig unschädlich ist, sonst aber mit den übrigen Wundermitteln auf gleicher Stufe steht, die keinen andern Nutzen stiften, als den, ihren Erfinder reich zu machen“ (Hoff’scher Malzextrakt, Mittheilungen ueber Gegenstände der Landwirthschaft und Industrie Kärntens 19, 1862, 61-62, hier 62). Es war offenkundig, dass der Malzextrakt ein „dunkles Braunbier“ mit ca. 3% Alkoholgehalt war, dem ein Aufguss aus Dreiblatt und Faulbaumrinde zugefügt wurde (Hoff’sches Malz-Extrakt, Pharmaceutische Centralhalle für Deutschland 3, 1861/62, 55 – auch für das Folgende). Die Herstellung einer der üblichen 12-Unzen-Flaschen (ca. 340 ml) kostete demnach ca. 6 Pfennig für das Gebräu und 12 Pfennig für Flasche, Etikett und Kork. Das waren 1 Silbergroschen und 6 Pfennige, während der Verkaufspreis bei 7½ Sgr. lag – das Publikum wurde also offenkundig übervorteilt. Hoff kritisierte derartige Analysen, stellte sie methodisch in Frage (Entlarvte Geheimmittel, Ebd., 193-194) – und in der Tat war die Analytik damals lückenhaft und fehlerbehaftet (Ueber die Analyse des Hoff’schen Malzextrakts, Ebd., 200-202). Hinzu kam, dass viele Mediziner durchaus anderer Meinung waren: Es fehlte an gemeinsamen Standards im Umgang mit gewerblichen Anbietern, gekaufte Gutachten waren nicht unüblich. Während Pharmazeuten und öffentlich besoldete Chemiker versuchten, die Expertenreihen zu schließen – die 1864 gegründeten „Industrie-Blätter“ waren dafür eine Wegmarke – blieb die medizinische Profession deutlich offener gegenüber kommerziellen Zuwendungen.

Hoffs Malzextrakt war für viele Wissenschaftler und Publizisten zweitens ein beredtes Beispiel für die negativen Wirkungen der wachsenden Kommerzialisierung des Alltagslebens im Gefolge zunehmender Gewerbefreiheit und des raschen Wachstums der gewerblichen Produktion. Obwohl es vereinzelte öffentliche Warnungen und auch Verkaufseinschränkungen gab – in Wien, in Hannover – so schien die neue liberale Zeit doch tradierte Schutzrechte erodieren, den Konsumenten zurück auf eigene Urteilskraft zu werfen, die durch die Kapitalkraft über Inserate vernebelt wurde: „Die heutigen Alchymisten tragen Fracks und werden nicht verbrannt, das ist der ganze Unterschied“ (Rosafarbene Blätter aus Hamburg, Nordischer Courier und Altonaer Nachrichten 1862, Nr. 218 v. 18. September, 2).

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Etikettenpräsenz: Konterfei von Johann Hoff (Deutscher Reichsanzeiger 1875, Nr. 246 v. 20. Oktober, 6)

Drittens stießen sich die Kritiker an Johann Hoffs ausgeprägter öffentlicher Spendenbereitschaft, die 1862 mit dem preußischen Kommissionsratstitel und dann mit weiteren Orden obrigkeitlich anerkannt wurde. Für den gläubigen Juden Hoff war dies Ausdruck der Zedeka – und innerhalb der orthodoxen Gemeinschaft dankte man ihm für seine vielfältigen Spenden für Arme in Berlin, in Pleschen, in Osteuropa, in Erez Israel, für Bildungseinrichtungen, für die Gründung einer eigenen Haussynagoge und seine Stipendien (Der Israelit 6, 1865, 527; ebd. 7, 1866, 813; ebd. 8, 1867, 39, 885). Doch Hoff unterstützte als Konservativer und Hohenzollernverehrer parallel die nationale Sache, richtete Stiftungen für Veteranen, Invaliden und Kriegerwitwen ein, begleitete jeden Krieg mit Malzextraktschenkungen, spendete dem König und dem Kriegsministerium anlässlich der zahlreichen nationalen Gedenktage, flaggte seine Fabrik preußisch und deutsch – und breitete diese Wohltätigkeit in seinen Inseraten aus. Für Kritiker war dies übergriffig, eine strategische Ausnutzung von Mildtätigkeit für kommerzielle Zwecke, für öffentliche Aufmerksamkeit. Das entsprach nicht ihrer Vorstellung vom alten Preußen und vom neuen Deutschland.

Es überrascht daher nicht, dass Johann Hoff viertens auch Zielscheibe des schon deutlich vor der Gründerkrise und dem Berliner Antisemitismusstreit akuten Antisemitismus wurde. Sein „Reklamegeschmetter“ galt als jüdische Überhebung, war Teil gängiger bildungsbürgerlicher Kritik an „der“ Reklame (W[ilhelm] Giese, Die Judenfrage am Ende des XIX. Jahrhunderts, Berlin 1899, 35). Hoff stand für die „ungeheuerlichen, beispiellos frechen und materiell erfolgreichen Schwindel-, Luxus-, Lugs- und Betrugs-, Unsittlichkeits- und Unzuchtsindustrien“, die sie als sittlich verderblich und undeutsch gegeißelt wurden (H[einrich] Beta [d.i. Johann Heinrich Bettziech], Die Geheimmittel- und Unsittlichkeits-Industrie, Berlin 1872, 4). Sein Reichtum, sein Schwindel spiegelte einen aus den Fugen geratenen, vermeintlich von Juden geprägten Kapitalismus. Kurzum, in der Figur von Johann Hoff bündelten sich die vielfältigen Tropen des Alltagsantisemitismus, der nicht nur von bürgerlichen Konservativen und Nationalliberalen, sondern auch von weiten Teilen des Kleinbürgertums und der Arbeiterschaft getragen wurde.

Malz und Malzextrakt – Sprache als Marktelement

Diese vier Kritikpunkte müssten allesamt aufgefächert und ausdifferenziert werden. Für unsere Fragestellung nach dem späteren Scheitern des Braumeisters Hoff an der Etablierung eines neuartigen „Deutschen Porters“ als Substitut des importierten englischen Porters und der damals (in Berlin) noch vorherrschenden obergärigen Biere ist ein Blick auf die Nischenmärkte des Braugewerbes dieser Zeit jedoch wichtiger. Obwohl Hoff sich als „Erfinder“ des Malzextraktes präsentierte, obwohl er sich später auch als Neuerer des „Deutschen Porters“ stilisierte, so zeigt eine genauere Analyse des damaligen Marktumfeldes, dass der Berliner Erfolgsbrauer lediglich die einfach erkennbare Spitze eines vernischten und regional disparaten Marktes von Medizinalbieren war.

Was aber verstand man Mitte des 19. Jahrhunderts unter „Malzextrakt“? Malzextrakt war Teil der Brauersprache, galt als „die Würze“, als zu vergärender Grundstoff (J[ohann] F[riedrich] Dorn, Praktische Anleitung zum Bierbrauen und Branntweinbrennen […], 3. gänzl. umgearb. u. verm. Aufl., Berlin 1833, 65; Heinrich Förster, Praktische Anleitung zur Kenntniß über Besteuerung des Branntweins und des Braumalzes […], 2. umgearb. u. verm. Aufl., Berlin 1830, 72-73). Malzextrakt war einerseits ein aus Dextrin und Traubenzucker bestehendes nichtalkoholisches Vorprodukt der Bierproduktion (Eduard Reich, Die Nahrungs- und Genussmittelkunde, Bd. 1, T. 1, Göttingen 1860, 289-290). Anderseits aber handelte es sich um den stofflichen Rückstand, den man nach dem Abdampfen des Bieres bei der Nahrungsmittelkontrolle zurückbehielt. Bei dunklen Süßbieren, etwa der Braunschweiger Mumme, war er dominant, lag beim englischen Porter hoch, ebenso beim bayerischen Starkbier. Sein Anteil betrug gemeinhin zwischen 4 und 8 Prozent des Bieres (Hermann Klencke, Die Verfälschung der Nahrungsmittel und Getränke […], Leipzig 1858, 311).

Malzextrakt war, wenngleich nicht immer unter diesem Begriff, spätestens seit dem frühen 18. Jahrhundert diätetisches Heilmittel bei Erkältungen. Die relativ rasche Zersetzung der Enzyme und die aufwendige Herstellung begrenzten seine Verbreitung. Apotheker mussten es frisch zubereiten, konnten es nicht lange bevorraten. Dazu wurde Malz, also gekeimtes und wieder getrocknetes Getreide, geschrotet und vollständig mit Wasser bedeckt. Nach 6-8 Stunden wurde die Flüssigkeit abgelassen und dann bei geringer Hitze zu einem Sirup eingedampft. Dieser wurde anschließend nochmals mit Wasser bedeckt – und nach weiteren 6-8 Stunden neuerlich verdampft (Aerztliches Intelligenz-Blatt 9, 1862, 231). Das Resultat bestand aus einfach löslichen Kohlehydraten, war ein Nährmittel für Kranke und Kinder. Zeitweilige Bedeutung gewann ab 1864 die sog. Liebigsche Malzsuppe, ein häuslich zubereitetes Kindernährmittel, das die Muttermilch ersetzen sollte, als gewerbliches Substitut aber kaum Bedeutung gewann (Uwe Spiekermann, Künstliche Kost. Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute, Göttingen 2018, 91-93).

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Werbung für Liebigs Suppenpulver, einem Malzpräparat für Kinder (Kölnische Zeitung 1869, Nr. 30 v. 30. Januar, 4)

Es ist offenkundig, dass derartige Nähr- und Heilmittel etwas anders waren als die Hoffschen Angebote in Breslau und Berlin. Und entsprechend hieß es apodiktisch: „Der sogenannte Hoff’sche Malz-Extrakt ist kein Malz-Extrakt“ (Wiener Medizinische Wochenschrift 15, 1865, Nr. 42, Beilage). Es handelte sich vielmehr um „ein ziemlich starkes Bier, angeblich mit heilkräftigen Stoffen versetzt“ (Annalen der Landwirtschaft 7, 1867, 342). Hoffs Erfolg gründete jedoch just auf der Illusionskraft der Sprache: Er vermengte begrifflich ein Medizinalprodukt und ein Vorprodukt des Bierbrauens, machte aus ordinärem Bier ein „Gesundheitsbier“, einen neu definierten „Malzextrakt“. Die Schaffung neuer Dachbegriffe war nicht unüblich, überdeckte vielfach Produktänderungen ohne nähere Kennzeichnungen. Backpulver war in den späten 1860er Jahren etwas anderes als um die Jahrhundertwende, auch Brot und Bier veränderten sich derweil beträchtlich. Johann Bernhard Hoff hat die für moderne Konsumgütermärkte üblichen semantischen Illusionen für seine unternehmerischen Zwecke genutzt – und konnte seine Wertschöpfung dadurch massiv erhöhen.

Hoffs Malzextrakt im Marktkontext: Gesundheitsbiere, Deutscher Porter und medizinische Malzextrakte

Die Überlappung von Bier- und Medizinalmarkt, die damit einhergehenden Veränderungen tradierter Marktsegmente wurden von Zeitgenossen als Bruch mit der alten Ordnung verstanden, nicht aber als Übergang zu moderneren Formen der Marktgestaltung. Functional Food oder vegane Ersatzprodukte waren und sind in den letzten Jahrzehnten gleichfalls von intensiven Debatten eingerahmt worden, die nicht beachten, dass Fluidität, das Zerbrechen bestehender Ordnung, ein konstitutives Element moderner Marktwirtschaften ist. Ohne Einbezug der ökonomischen Logik bleiben solche Debatten halbgar, erschöpfen sich in medial gut aufzubereitenden Aufregungen. So auch die Debatten über Bier und Malzextrakt seit den 1860er Jahren: „Die Fabrikate des Hrn. Hoff in Berlin und das des Hrn. Rohrschneider in Potsdam […] sind dünnflüssige gegohrene Flüssigkeiten, die zwar ursprünglich ein Malz-Auszug gewesen seyn können, gegenwärtig aber vollständig den Charakter des Bieres angenommen haben“ (Ueber Malz-Extract, Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten 1861, Nr. 282 v. 28. November, 4).

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Konkurrierende Malzextraktangebote in Berlin: Rohrschneider, Potsdam (Königlich privilegirte Berlinerische Zeitung 1860, Nr. 230 v. 30. September, 33)

Derartige Zitate belegen, dass Hoff nicht alleine stand. Auch andere Anbieter verkauften ihr Bier als Gesundheitsbier, als Malzextrakt. Die zeitgenössischen Blicke richteten sich vorrangig auf den Marktführer, den Anzeigenkönig. Doch Hoffs Angebote wurden von Konkurrenten unmittelbar nachgeahmt und in ähnlicher Weise beworben. Sprachwandel ist einfacher als eine kapitalintensive produktionstechnische Umgestaltung. Nachahmungen und allgemeine Produktbezeichnungen lassen sich ohne Patentrechte resp. Markenschutz nicht verhindern. Derartiger Rechtsschutz fehlte, hätte auch kaum gewirkt – und die öffentliche Klage über die stets als schlechter bezeichneten Konkurrenzprodukte spiegelte dies nur.

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Andauernde Konkurrenz – auch in der Berliner Nachbarschaft (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 36 v. 27. März, 4)

Bei der den „Malzextrakt“ charakterisierenden Überlappung von Bier- und Gesundheitsmärkten sind drei eng miteinander verwobene Entwicklungen auseinanderhalten: Erstens nutzten zahlreiche kleinere Brauereien den von Hoff gesetzten Trend, um ihrerseits lokale und regionale Märkte zu bedienen. Zweitens griffen weitere Anbieter die Hoffschen Sprachspiele auf und vermarkteten Malzextraktprodukte unter anderen Namen, zumal als „Deutschen Porter“. Drittens grenzten sich Anbieter diätetischer Spezialitäten von den modischen Gesundheitsbieren ab und etablierten einen neuen Markt haltbarer und nichtalkoholischer Malzextrakte, die als Kräftigungs- und Heilmittel „seriös“ beworben wurden und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein für Kinder, Kranke und Alte genutzt wurden. Dass all dies ab den späten 1880er Jahren auch zum neuen Getränkesegment der alkoholfreien Malz- und Nährbiere führte, sei nur ergänzt. Doch blicken wir genauer hin.

Lokale Konkurrenz bereiteten Johann Hoff in Berlin vor allem die Hofbrauer und Hoflieferanten Gebrüder Auerbach. Ihre Bitterbierbrauerei bestand seit 1855. Sie hatten seit den späten 1850er Jahren bereits mit Malzpulver als Muttermilchersatz experimentiert, nahmen also die Liebigsche Malzsuppe tendenziell vorweg (Berliner Gerichts-Zeitung 1860, Nr. 60 v. 24. Mai, 244). Seit Sommer 1860 boten sie als „kräftig-nahrhaftes, aber nicht aufregendes Getränk“ ein Gesundheits-Bier an, 15 Flaschen für einen Taler (Ebd., Nr. 87 v. 28. Juli, 352). Das war günstig, gab es für den Taler doch neun Flaschen mehr als bei Hoff. Selbstverständlich betonten die Hersteller, ihr „Gesundheits-Malz-Bier“ schon „seit Jahren“ zu brauen, den guten Ruf bei „fast sämmtlichen berliner Aerzten“, hoben ferner freie Zustellung und mäßige Preise durch „Massenabsatz“ hervor (Ebd., Nr. 99 v. 25. August, 400). Selbst der tägliche Genuss bei Hofe und „von den Königl. Prinzen“ durfte nicht fehlen (Ebd., Nr. 102 v. 1. September, 412). Die Gebrüder Auerbach etablierten Niederlagen ihres „Malz-Extractes“ auch außerhalb Berlins, nutzten bei der Werbung auch Empfehlungsschreiben (Rhein- und Ruhrzeitung 1861, Nr. 147 v. 25. Juni, 4: Dresdner Anzeiger 1861, Nr. 261 v. 18. September, 8). Die Inserate endeten jedoch 1863, danach konzentrierte sich die Firma vorrangig auf Malzpräparate für Kinder (Berliner Gerichts-Zeitung 11, 1863, Nr. 101 v. 29. August, 6). Das galt auch für eine Reihe anderer Berliner Anbieter, etwa die Schweizer Bierbrauerei von B. Weidner (National-Zeitung 1860, Nr. 485 v. 16. Oktober, 9). Einzig das von Julius resp. Carl Schultz seit 1860 angebotene Malz-Extrakt-Gesundheitsbier überdauerte die Hoffsche Marktpräsenz.

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Gesundheitsbier als Getränk des deutschen Michels 1862 (Frankfurter Latern 3, 1862, 108)

Dennoch gab es wiederholt lokale Konkurrenten, die sich nicht nur gegen Hoff behaupteten, sondern ihn offensiv attackierten. Das galt vor allem für die erbitterte öffentlich ausgefochtene Konkurrenz zwischen Johann Hoff und dem Kölner Braumeister Hubert Koch. Seit Mai 1862 bot er einen „Malz-Extract“, ein Gesundheitsbier an, in Flaschen für 3 Sgr., als Hauskrug, aber auch im Ausschank seiner Gast- und Speisewirtschaft (Kölnische Zeitung 1862, Nr. 126 v. 7. Mai, 6). Hoff warf dem Konkurrenten Täuschung vor, beklagte Angebote von „geborgtem Ruf“, verwies auf fehlende Gutachten (Ebd., Nr. 124 v. 5. Mai, 4). Koch nahm den Fehdehandschuh auf, machte sein Produktionsverfahren transparent und sich über seinen Konkurrenten in bemerkenswerter Weise lustig. Er, der „Braumeister ohne Titel“, verspottete den Hoffschen Titelfirlefanz, das Trallala seiner Gewährsleute. Er persiflierte dessen Werbung mittels erfundener Gutachten und forderte Hoff wieder und wieder auf, ihre Produkte vergleichend zu analysieren, statt lediglich die „Annoncen-Drehorgel“ zu spielen: „Nicht Wappensiegel zieren meine Flaschen, / Doch bergen sie viel edlern Saft, / Der – gar nicht wirkend auf die Taschen – / dem Schwachen neue Kräfte schafft“ (Ebd., Nr. 255 v. 14. September, 7). Die Auseinandersetzung zog sich über Monate hin, die Verbalinjurien nahmen zu, struktureller Antisemitismus brach sich Bahn. Als die Fehde im Januar 1863 endete, hatte sich Hubert Koch auf Kosten des Marktführers einen Namen gemacht, das Publikum über die „Malz-Extract-Schwindelei“ (Ebd. 1863, Nr. 25 v. 25. Januar, 8) aufgeklärt. Er verkaufte weiterhin seinen Malzextrakt, konzentrierte sich dann stärker auf das Gaststättengeschäft. Die Kölner Posse unterstrich die Brüchigkeit der Hoffschen Marktstellung, zugleich aber die Kraft einer unbeirrt durchgehaltenen Werbung. Kochs Vorwürfe mochten berechtigt sein, gingen aber an der Essenz des Marktgeschehens und der Konsumentenpsychologie vorbei. Dass zeitgleich der Kölner Braumeister Johann P. Schmitt mit seinem „Malz-Extract (Gesundheitsbier)“ Hoff und Koch erfolgreich Konkurrenz bereitete, unterstreicht die Dynamik des lokalen Wettbewerbs (Ebd. 1862, Nr. 154 v. 4. Juni, 8; ebd., Nr. 297 v. 26. Oktober, 8).

Hoffs Marktführerschaft wurde aber nicht nur von lokalen Braumeistern bedroht, die von Hoff gesetzte Begriffe aufgriffen und die Waren billiger anboten. Das galt auch für Nachfolgeanbieter im Ausland, etwa Wander in Bern oder aber die Wilhelmsdorfer Malz-Produkten-Fabrik in Linz. Allen Klagen über den „Malzextrakt-Gesundheitsbier-Schwindel“ (Malzextrakt nach rationellen Prinzipien bereitet, Pharmaceutische Centralhalle für Deutschland 8, 1867, 109-110, hier 109) zum Trotz löste das anders benannte Bier zeitweilige Konsummoden hervor: „Malzextrakt ist die Universalmedizin, die man nicht löffel- sondern gleich krügelweise zu sich nimmt. Jedes Gasthaus ist zur Apotheke geworden und bei der herrschenden Gewitterschwüle schreit alles nur nach Malzextrakt. […] Karawanenweise zieht die Bevölkerung hinaus in den Weichselgarten und – medizinirt“ (Der Wiener Beobachter, Der Zeitgeist 2, 1862, Nr. 29, 5). Innerhalb der Brauereiwirtschaft akzeptierte man die neuartig beworbene Biersorte, plädierte für eine standardisierte und kontrollierte Massenproduktion: „Wenn dabei ferner jeder Schein von Schwindel ängstlich vermieden wird, dann kann jedes solche Etablissement eine glückliche Zukunft ‚anhoffen‘“ (Eigentliches Malzextrakt, Der Bierbrauer 7, 1865, 49-53, hier 53).

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Wettbewerb zwischen Malzextrakten unterschiedlicher Namen: Deutscher Porter vs. simplen Malzextrakt (Coburger Zeitung 1864, Nr. 180 v. 3. August, 1928)

Dazu kam es nicht. Stattdessen fächerte sich der Markt weiter auf – und dies mit Hilfe der zuerst von Hoff genutzten Sprachspiele. Der Leipziger Bierhändler und Hoflieferant Carl Grohmann verkaufte seit spätestens 1858 Zerbster Bitterbier als „Malz-Extrakt-Bier“ (Illustrirter Dorfbarbier 1858, Nr. 12 v. 21. März, 8; Illustrirte Zeitung 1860, Nr. 873 v. 24. März, 228). Dabei handelte es sich um ein seit der frühen Neuzeit gebrautes dunkles Bier, dessen Malz besonders geröstet wurde und in seinem Geschmack an die starken englischen Biere erinnerte. Grohmann ließ seit 1861 ein ähnliches Bier auf eigene Rechnung brauen, verkaufte es aber als „Deutscher Porter (Malzextrakt)“ (Illustrirte Curorte-Zeitung 22, 1897, Nr. 10, 11). Das war ein weiteres Gesundheitsbier, doch die neue Bezeichnung verlieh dem Produkt zeitweilig ein Alleinstellungskriterium, das zudem gut zur laufenden Adaption englischer Biere in deutschen Landen passte. Es handelte sich um ein hochpreisiger Heilsprodukt, zugleich aber um ein „diätetisches Genußmittel“ (Leipziger Zeitung 1867, Nr. 9 v. 10. Januar, 179). Grohmann verstand es als Alternative zum Malzextrakt, als Tafelgetränk sollte es auch Wein ersetzen können. Die Werbung setzte mit einer gewissen Verzögerung ein, folgte ab spätestens 1863 der Hoffschen Art der Werbung mit großen Anzeigen (Leipziger Zeitung 1863, Nr. 16 v. 18. Januar, 288; ebd., 1864, Nr. 282 v. 27. November, 6298).

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Moderner Werbeauftritt (Neues Fremden-Blatt 1869, Nr. 68 v. 9. März, 18 (l.); Leipziger Zeitung 1867, Nr. 256 v. 27. Oktober, 6094; Illustrirte Curorte-Zeitung 26, 1901, Nr. 10, 18 (r.))

Johann Hoff blieb Grohmanns Hauptwettbewerber, Gutachten hoben stoffliche Gleichwertigkeit, jedoch höheren Wohlgeschmack und den etwas niedrigeren Preis hervor. Dennoch entwickelte sich der Deutsche Porter eher in Richtung eines Medizinalbieres: Er wurde angepriesen als das „gesündeste und wohlschmeckendste Stärkungsgetränk für Gesunde, Kranke und Reconvalescenten jeden Alters und Geschlechts“ (Dresdner Nachrichten 1865, Nr. 101 v. 11. April, 4), dann gar als prophylaktisches Mittel gegen Cholera (Ebd. 1866, Nr. 285 v. 12. Oktober, 3). Wie Hoffs Malzextrakt sollte es bei „Krankheiten der Respirationswege, Verdauungsbeschwerden, Appetitlosigkeit, geschwächtem oder verdorbenem Magen, Hämorrhoidalleiden“ helfen (Leipziger Zeitung 1868, Nr. 255 v. 25. Oktober, 6465). Auch Grohmann verlieh seinem Deutschen Porter eine längere, bis 1856 zurückreichende Vorgeschichte (Ebd., Nr. 234 v. 1. Oktober, 5997). Bier wurde damals zunehmend zu einem Traditionsgetränk. Geschmack, Nutzen und ein angemessener Preis reichten für die Vermarktung abseits von Haus und Gaststätte nicht mehr aus.

Grohmanns „Deutscher Porter“ unterschied sich zugleich aber vom Hoffschen Vorbild. Seine Zusammensetzung wurde mehrfach verändert, am Ende stand ein für damalige Zeiten sehr starkes Getränk von 4,7 % Alkohol – damals lagen fast alle Biere um 3 % Alkoholgehalt, erst die bayerischen Biere sollten dies ändern (Ebd. 1867, Nr. 54 v. 3. März, 1288; Chemisch-technisches Repertorium 21, 1882, 65). Der Deutsche Porter war kein reines Bier, sondern mit Traubenzucker und konservierenden Schwefelsäure versetzt (Pharmaceutische Centralhalle für Deutschland 23, 1892, 406). Zudem pflegte Grohmann einen engen Bezug zum wissenschaftlichen Establishment Sachsens, nutzte Gutachten und Empfehlungsschreiben von Pharmazeuten und vor allem von Medizinern (Leipziger Zeitung 1866, Nr. 268 v. 11. November, 5837). Das half, sich gegenüber dem „Absude nachahmender Speculanten“ (Leipziger Zeitung 1867, Nr. 54 v. 3. März, 1288) abzugrenzen. Die Werbung selbst war moderner als die Hoffs, nutzte früher sächsische Hoheitszeichen und Medaillen als Bildelemente (Leipziger Zeitung 1864, Nr. 6298 v. 27. November, 282). Berlin war damals werbetechnisch eher rückständig, während Sachsen vom Lehrmeister Wien profitierte. Grohmann nutzte auch ab 1865 einen Slogan, „genau nach medicinischer Vorschrift gebraut“ (Leipziger Zeitung 1865, Nr. 275 v. 19. November, 5966). Der Absatz konzentrierte sich auf Sachsen, Bayern und Cisleithanien, dort konkurrierte man mit Hoffs Malzextrakt. Dazu dienten niedrigere Verkaufspreise, anfangs 6,5 Sgr., 1868 aber nur noch 5 Sgr. pro Flasche. Hoff bewarb vorrangig Letztkunden, Grohmann zielte stärker auf den Großhandel und konzessionierte Depots (Wiener Medizinische Wochenschrift 19, 1869, Nr. 20, Sp. 36). Das entsprach dem Geschäftsgebaren eines großstädtischen Bierhändlers.

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In vertrautem Ton: Anzeige von Carl Eduard Werners „Deutschem Porterbier“ (Leipziger Zeitung 1867, Nr. 253 v. 24. Oktober, 6031)

Ansonsten finden wir in Sachsen ähnliche Marktentwicklungen wie beim Hoffsche Malzextrakt. Grohmanns nachgeahmtes Pionierprodukt Deutscher Porter wurde seinerseits ab Mitte der 1860er Jahre vom Leipziger Restaurateur Carl Eduard Werner nachgeahmt (Dresdner Anzeiger 1866, Nr. 346 v. 12. Dezember, 18). Dessen Werbung war selbstbewusst, gründete auf chemischen Analysen. Der Mediziner Gustav Hoppe bestätigte, dass Werners „Deutscher Porter“ den vergleichsweise „meisten Nahrungsstoff“ besitze (Dresdner Nachrichten 1866, Nr. 365 v. 31. Dezember, 3). Auch bei Werner ging dem Vertrieb ein Bierhandel und ein Bierausschank voran, auch hier stand das Zerbster Bitterbier am Anfang (Leipziger Tageblatt 1864, Nr. 97 v. 6. April, 1753). Der Herausforderer forderte zudem deutlich niedrigere Preise, 1873 lediglich 2 Sgr. pro Flasche resp. 17 Flaschen für einen Taler (Ebd. 1873, Nr. 57 v. 26. Februar, 3). Damit war auch ein gewisser Rahmen für die 1872 beginnende Einführung des Hoffschen Deutschen Porters gesetzt.

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Hammers Deutscher Porter – Ein weiteres billiges Substitut für Hoffs Malzprodukte (Leipziger Tageblatt 1873, Nr. 346 v. 12. Dezember, 6241)

In Sachsen etablierten sich in den 1860er und frühen 1870er Jahren mehrere Anbieter Deutschen Porters. In Schlesien lieferte seit spätestens 1868 die Lagerbier- und Porterbrauerei A. Hausdorf „Deutscher Porterbier“ für drei Sgr. die Flasche (Kladderadatsch 21, 1868, Nr. 5, Beibl., 1; ebd. 23, 1870, Nr. 11, Beibl., 4). Auch in Halle a.d.S. entstand mit der Firma Lehmer ein neuer Billiganbieter (Saale-Zeitung 1873, Nr. 233 v. 5. Oktober, 6), verschärfte mit Preisen von 2 Sgr. die Wettbewerbslage für das 7½ Sgr. teure Hoffschen Produkt weiter (Ebd., Nr. 236 v. 9. Oktober, 6). Die Einführung des Hoffschen Deutschen Porters war 1872 daher auch ein Konter gegenüber neuen Billigangeboten. Dass es sich dabei durchweg um ähnliche Biere handelte, versteht sich sicher von selbst. Es ging um Kraftmeierei in einem sprachlich heterogenisierten Markt. Entsprechend verstand Carl Grohmann den Hoffschen Deutschen Porter als Nachahmung seines vermeintlichen Pionierproduktes: „Diese Copien stehen natürlich hinter dem Original weit zurück“ (Leipziger Zeitung 1873, Nr. 30 v. 3. Februar, 678).

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Malzextrakt auf dem Weg zum Pharmazeutikum (Schwäbische Kronik 1872, Nr. 294 v. 11. Dezember, 4413; Dresdner Journal 1878, Nr. 24 v. 29. Januar, 95)

Die mitteldeutsche Produktion Deutschen Porters spiegelte den wettbewerbsbedingten Preisverfall der neuen Gesundheitsbiere. Parallel aber entstanden neue höherpreisige Segmente für neuartige Medizinalprodukte. Firmen wie Eduard Loeflund (Stuttgart) und J. Paul Liebe (Dresden), dann auch Gehe (Dresden) und Schering (Berlin) griffen die Tradition des Malzextraktes als Apothekerware wieder auf. Am Anfang standen trockene alkoholfreie Malzextrakte. In Sirupform waren sie eine Beigabe der Säuglingsernährung, ein ärztlich verordnetes Nährmittel bei Entkräftung und Krankheit (Trocknes Malzextrakt und trocknes Mehlextrakt, Schmidt’s Jahrbücher der in- und ausländischen gesammten Medicin 154, 1872, 384-385). Genaueres chemisches Wissen über Kohlehydrate, vorrangig die Dextrine, insbesondere aber die Maltose, erlaubten durch veränderte Prozessführung gehaltreichere, kaum gärende und haltbarere Produkte. Malzextrakte blieben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Standardpräparat (Eugen Seel, Zur Kenntnis des Malzextrakts, Medizinische Klinik 7, 1911, 456-458).

Englisches Nationalgetränk: Der Porter

Die marktbezogenen Sprachspiele von Johann Hoff und Carl Grohmann hatten die tradierte Bedeutung von Malzextrakt und Porter unterminiert, spiegelten zugleich aber die innere Gärung des Biermarktes in Mitteleuropa. In der Forschung lesen wir vom Siegeszug der untergärigen Lagerbiere, deren Ursprünge in Böhmen und dann vor allem in Bayern lagen. Diese waren weit aufwändiger herzustellen als die noch dominierenden obergärigen Biere. Doch der Einsatz moderner Technik, der Dampfmaschine, automatischer Malzdarren, dann auch moderner Kühlmaschinen und Reinhefen, ermöglichten eine zuvor nicht erreichbare Kontrolle des Brauprozesses. Technisierung und Verwissenschaftlichung mündeten seit den 1870er Jahren in vollmundigere und alkoholhaltigere Biere bayerischer Art. „Deutsche“ Biere begannen damals ihren internationalen Siegeszug, weniger in Form von Exportbier als vielmehr durch den Export von Brauern, Hopfen, Malz, Maschinen und zahllosen technisch-analytischen Geräten. Die Akzeptanz des Reinheitsgebotes im norddeutschen Braugebiet war 1906 demnach Schlussstein einer Entwicklung hin zur Weltgeltung deutschen Lagerbieres, die zugleich die obergärigen Biere Großbritanniens weltweit verdrängten. Gewiss, so war es – wenn man allein auf die großen Linien blickt. Doch schon der Aufstieg des Deutschen Porters im Sachsen der 1860er und 1870er Jahre sollte aufhorchen lassen. Noch viel mehr, dass Johann Hoff seinen Deutschen Porter just 1872/73 propagierte, parallel zur Gründung zahlreicher Aktiengesellschaften für bayerisches Bier. Er erklärte letzteres für überholt und vergangen und wollte einen Deutschen Porter zum Nationalgetränk machen wollte.

Porter entstand in England, genauer in London im frühen 17. Jahrhundert (Martyn Cornell, Porter for the Geography of Beer, in: Nancy Hoalst-Pullen und Mark W. Patterson (Hg.), The Geography of Beer, Cham 2020, 7-22; James Sumner, Status, scale and secret ingredients: The retrospective invention of London porter, History and Technology 24, 2008, 289-306). Das dunkle, nährstoffreiche und relativ alkoholhaltige Bier war deutlich länger haltbar als die gängigen Biere, als Ale und Stout. Porter setzte sich in Großbritannien auch in breiten Teilen der Arbeiterschaft durch, wurde zudem weltweit exportiert. Das Wachstum des British Empire ging einher mit der Verbreitung des Porterbieres. In deutschen Landen war es seit dem späten 18. Jahrhundert präsent, Hamburg der wichtigste Importhafen (Hamburger Relations-Courier 1780, Nr. 177 v. 6. November, 4; Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten 1796, Nr. 32 v. 24. Juli, 7; Altonaischer Mercurius 1798, Nr. 104 v. 29. Juni, 7). Importierter englischer Porter war Anfang des 19. Jahrhunderts im nördlichen und westlichen Deutschland erhältlich (Lippstädtische Zeitung 1800, Nr. 78 v. 16. Mai, 6; Leipziger Zeitung 1814, Nr. 189 v. 26. September, 2694; Berlinische Nachrichten 1814, Nr. 117 v. 29. September, 8). Die Bewertung des ausländischen Bieres war allerdings unterschiedlich: Während es auf der Hamburger Boulevardbühne hieß, dass man „Lüstern nach Porterbier“ sei (Friedrich Ludwig Schmidt, Die Theilung der Erde, Hamburg 1824, 75), urteilte ein bayerischer Reisender nach Besichtigung führender Londoner Brauereien: „So ungeheuer auch die Braustätten […] sind, so ungenießbar ist ihr Porter und ihr Ale für einen Baier, dessen Gaumen und Magen nie ohne Ekel an den stattlichen Porter […] und an das starke Ale […] sich zurück erinnern kann, wenn er auch nur einmahl in seinem Leben zu dem martervollen Versuche aus Durst gezwungen war, davon zu kosten“ (Barclay’s Brauerei in London, Polytechnisches Journal 17, 1825, 129-130). Porter war im deutschsprachigen Raum durch Transport und Zölle zudem teuer, ein Luxusbier für Begüterte, kein Massengetränk.

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Importbier als teures Angebot für deutsche Kenner (Kladderadatsch 26, 1873, Nr. 25, Beibl. 1, 1)

Porter verkörperte im frühen 19. Jahrhundert England, stand für einen militärisch starken, wirtschaftlich prosperierenden Staat mit hohem Lebensstandard: „Des Tages ein- oder mehrmal einige Eier, ein Beefsteak oder Rostbeef, einige Tassen Thee mit Zucker und Porterbier gehören zu den allgewöhnlichsten Lebensbedürfnissen, ohne welche der englische Fabriksarbeiter, so wie selbst der sogenannte Arme über die bitterste Noth klagen würde“ (Liebich, Ueber Vermehrung des Arbeitsfondes und des Brennstoffs, Mittheilungen des Vereines zur Ermunterung des Gewerbegeistes in Böhmen 3, 1844, 637-653, hier 637). Das entsprach nicht der historischen Realität, die Friedrich Engels (1820-1895) präziser beschrieb. Doch auch für ihn spiegelte sich die besondere Not des Armenhauses in dem karg bemessenen, teils gar fehlenden Bier (Die Lage der arbeitenden Klasse in England, Leipzig 1845, 342). Porter galt als englisches Nationalgetränk – so wie der Schnaps für Preußen, das Bockbier für Bayern und der leichte Wein für Österreich. Die neue chemische Lehre der Nahrungsstoffe und des Stoffwechsels ließ Trank und Menschen miteinander verschmelzen, spiegelte vermeintliche Nationalcharaktere: „Der Porterbier trinkende, schwerfällige, ruhige, finstere, schweigsame, Strick-Nerven besitzende Britte bedarf seines Porterbieres, er braucht ein dem Nebel und Kohlendampf besiegendes, mächtig erregendes, den Magen beschäftigendes Getränk; dort wo ein Anderer eines Fingerdruckes bedarf, braucht er einen Rippenstoß, um aus seinem Gleichmuthe zu kommen: der immer rege, thätige Geist fordert Essenzen“ (Der Blasirte, Echo von der Elbe 1875, 127-128, hier 128).

„Nationalgetränke“ spiegelten das Zeitalters des Nationalismus, waren mit der komplexen Realität regional, teils auch lokal geprägter Trinkweisen jedoch nicht in Einklang zu bringen. Sie standen für simplifizierende Homogenität in einer zunehmend fragmentierten Welt, geprägt vom Vordringen neuer „fremder“ Waren, teils aus dem Ausland, teils aus den gewerblichen Betrieben. Letztere nutzen die wohlige Fiktion des Eigenen denn auch konsequent für ihre Werbung. Kräuterlikör von August Dennler mutierte zum „schweizerischen Nationalgetränk“ (Süddeutsche Post 1874, Nr. 63 v. 6. August, 6), doch auch der mit Zichorie versetzte Kaffee tauchte als deutsches Nationalgetränk auf, während „Bier“ damals den Altbayern zugeschrieben wurde und der „Haustrunk“ Most in weiten Teilen Hessens, des Südwesten und Österreichs als Nationalgetränk vermarktet wurde. Der Begriff spiegelte die wachsende Bedeutung, die Speis und Trank für die Identität großer von Wahlmöglichkeiten geprägten Gruppen hatten, der Kümmel etwa für Preußen, der Wein für die Rheingegend. In dem erst 1871 in einem kleindeutschen Rumpfstaat zusammengeführten Deutschland waren Nationalgetränke Herausforderungen, war man doch auf der Suche nach Einheit, gar nach einer nicht vorhandenen deutschen Küche. Der Kauf von Porterbier war lange Zeit ein Verstoß gegen die sittlich gebotene Sparsamkeit: Champagner und Porter verkörperten unangemessenen Luxus, gar Verschwendung. Bierbrauen sei eine deutsche Kunst – trotz der Dominanz des häuslichen Brauens, trotz der Unzahl kleinster Brauereien mit kläglichem, nach Wetterlage unterschiedlichen Resultaten. Doch in einer vielgelesenen Erörterung über die deutsche Misere nach den an sich gewonnenen napoleonischen Kriegen hieß es, nachdem ein billiges und wohlschmeckendes Bier anstelle des Porters gereicht wurde: „Herrmann. Nur wenige deutsche Bierbrauer werden aber ein solch herrliches Bier zu bereiten vermögen? Biedermann. Und doch bin ich überzeugt, daß er jedem diese Kunst gelernt haben würde, der ihn darum ersucht hätte!“ (Unterhaltungen des Pfarrers Biedermann zu Roßberg […] über Deutschland bedenklich-kränklichen Zustand […], Stuttgart 1821, 93)

Lernprozesse, Nachahmung und Adaption: Englischer Porter in deutschen Landen

Der Import von englischem Porter war aufwändig und teuer. Entsprechend gab es schon im späten 18. Jahrhundert Bemühungen, ihn auch in deutschen Landen zu brauen. Das geschah im merkantilistischen Umfeld anfangs nicht marktbezogen, sondern wurde obrigkeitlich angestoßen. Charakteristisch war eine hamburgische Preisaufgabe, die demjenigen „hiesigen Bierbrauer, welcher ein braunes Bier, das dem ächten Englischen Porterbier an Geschmack, Stärke, Klarheit und Dauer gleich kommt, zu einem verhältnißmäßig billigen Preis liefert, eine Prämie von 8. Sp. Duc“ versprach (Intelligenzblatt der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek 1796, Nr. 3, 39).

Zu dieser Zeit war Nachahmung zwar anrüchig, zugleich aber gängige Praxis. Kolonialwaren wurden in wachsendem Maße gekauft, doch abseits von Adel und gehobenem Bürgertum waren Surrogate ein gängiges Mittel bedingter Teilhabe an den Gütern der Welt. Dazu nutzte man einheimische Ressourcen, mit deren Hilfe man sich dem begehrten Original näherte: Aus Rüben wurde Zucker extrahiert, Zichorenwurzeln, Gerstenkörner, gar Eicheln mutierten zu Kaffeeersatz. Oft fehlende Kenntnisse des Originals erleichterten den Ersatz, machten ihn akzeptabler. Wärmender „Kaffee“ war ein Heißgetränk neuer Qualität, der Rübenzucker erweiterte die Geschmacksvielfalt.

Beim Bier, bei der Nachahmung des Porters setzte man hierzulande anfangs auf die Veränderung des Bewährten. In Nord- und Mitteldeutschland gab es eine reiche Tradition starker, haltbarer Biere. Sie waren, wie das schon erwähnte Zerbster Bitterbier, Handelsgüter, die angesichts der Verbreitung des englischen Porters unter Druck gerieten. Auf Basis recht rudimentärer Kenntnisse des Porters veränderte man Anfang des 19. Jahrhunderts daher in vielen Orten tradierte Brauweisen, um neue lokale Spezialitäten herzustellen, mit denen man zumindest den Heimatmarkt gegen die „englischen Biere“ behaupten konnte. Entsprechende Angebote gab es etwa in Lüneburg, in Braunschweig, in Magdeburg und Frankfurt a.M., allesamt Städte mit einer weit zurückreichenden Brau- und Handelstradition (Joh. Heinrich Moritz Poppe, Technologisches Lexicon, T. 1, Stuttgart und Tübingen 1816, 441). Porterbier wurde aber nicht nur nachgeahmt, sondern an vielen Orten auch unter diesem und dem eigenen Namen vermarktet: Althaldenslebener, Halberstädter und Prillwitzer Porter oder aber das Stettiner Porterbier waren bekannte Beispiele (Johann Herrmann Becker, Versuch einer allgemeinen und besondern Nahrungsmittelkunde, T. 2, Abt. 2, Stendal 1822, 151).

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Echtes Porterbier aus Köstritz (Leipziger Zeitung 1815, Nr. 186 v. 23. September, 2218)

Trotz dieser offenbar eindeutigen Bezeichnungen war die Frage nach der genauen Zusammensetzung nicht nur dieser Biere, sondern insbesondere des englischen Porters vielfach offen. In London gab es schon großbetriebliche und maschinelle Porterbrauereien, doch deren Rezeptur war Geschäftsgeheimnis. Damalige Konsumgüter waren aber auch aufgrund der fehlenden Standardisierung der Rohprodukte chamäleonhafte Angebote. Die Brauweise war an sich bekannt, die Zutaten aber unklar. So wurde Hopfen vielfach durch Bitterklee ersetzt (Bereitung des so berühmten, englischen Porter-Biers, für Bierbrauer, Oettingisches Wochenblatt 1802, Nr. 45 v. 10. November, 3). In Deutschland folgten umfangreiche Versuche, Hopfensubstitute sollten das gesamte 19. Jahrhundert über ein kontroverses Thema bleiben. Süßholz resp. Lakritzsaft war ebenfalls üblich und wurde hierzulande ebenso eingesetzt – etwa beim Köstritzer Doppel- und Porterbier (Der Anbau des Süßholzes, Wochenblatt 1812, Nr. 3 v. 17. Januar, Sp. 46-28, hier 47). Daneben aber nutzte man weitere Zusatzstoffe, um Farbe, Geschmack und Haltbarkeit zu verbessern: „Malz, Hopfen, Syrup, Süßholzwurzel, […karamelisierter Zucker…, US], Farbe (gebrannter Zucker, weniger lang und daher weniger bitter) und Capsium (Cayennepfeffer), spanischer Süßholzsaft, Fischkörner, Alaun, Eisenvitriol und Weststeinsalz (Pottasche), Ingwer, gelöschter Kalk, Leinsamen und Zimt“ (Vorschrift zu Porterbier, Das Neueste und Nützlichste der Erfindungen, Entdeckungen und Beobachtungen […], Bd. 8, Aufl. 2, Nürnberg 1820, 18-20). Angesichts derartiger Rezepte war Nachahmung immer auch innovativ, konnte keine Reproduktion des englischen Porters sein. Bis weit über die Jahrhundertmitte wiesen die Angebote aus London oder Dublin beträchtliche Unterschiede auf. Bier war damals immer auch ein Abenteuer, ein Überraschungsmoment im Alltag. Es war den vielfältigen Geheimmitteln dieser Zeit nicht völlig unähnlich.

Stärker als in England debattierte man hierzulande über die genaue Stellung des Porterbieres: War es ein Medizinalbier, wie viele der deutschen Schwarz- und Braunbiere? Oder war es ein nährendes Alltagsgetränk wie in Großbritannien? Das galt analog für viele andere Importwaren: Schokolade und Kakao wurden damals vielfach salzig konsumiert, galten als Genussmittel und als Medizin. Einer der ersten Ratgeber für die Brauerei englischer Biere enthielt demnach „erprobte Anweisungen und Recepte, aus verschiednen Ingredienzien die besten Gesundheitsbiere zu verfertigen, die bey gewissen Krankheiten die herrlichsten Dienste thun“ (Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyschen Correspondenten 1808, Nr. 83 v. 24. Mai, 4). Als Stärkungsmittel wurde Porter, wie die Mumme, ärztlich empfohlen (Medicinisch chirurgische Zeitung 1798, Erg.-Bd. 2, 266). Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein besaß Porter nach Auskunft der Zeitgenossen „einen arzneilichen Geschmack“ (J[ohann] C[arl] Leuchs, Brau-Lexicon, 3. Ausg. v. Leuchs Braukunde, Nürnberg 1867, 165). Erst langsam emanzipierte sich das englische Bier von dieser Bürde. Brauer aber blickten auf die englischen Verhältnisse, auf ein Alltagsgetränk: „Es ist der Trank der untern Volksklasse, der stetige Gesellschaft am Tisch des Bürgers, und niemals fehlend beim Mahle des Reichen“ (Adolph Lion, Handbuch der Medicinal- und Sanitätspolizei, Bd. 1, Iserlohn 1862, 360).

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Wissenstransfer durch Ratgeber (Accum, 1821 (l.) und Hermbstädt, 1826)

Das Wissen um die Porterproduktion wurde seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Deutschland erst durch Spezialartikel, dann durch Ratgeber und Lehrbücher verbreitet. Üblich waren Übersetzungen englischer Werke: Johann Gottfried Bönischs (1777-1831) 1806 erschienenes Buch „Ueber das Bierbrauen der Engländer“ stammte großenteils aus dem 1802 erschienenen „A Treatise on brewing“ des Londoner Brauers Alexander Morrice. Andere Arbeiten unterstreichen die Bedeutung von Emigranten beim Wissenstransfer. Andreas Freeport veröffentlichte nach zwanzigjähriger Arbeit als Brauer in Deutschland und England 1808 seine „Theorie und Praxis von dem braunen und weißen Englischen und Deutschen Bierbrauen“ (Reich der Todten 23, 1808, 519-520). Friedrich Accums (1769-1838) 1820 erschienene Anweisung zum Brauen englischer Biere erschien ein Jahr später in deutscher, dann auch in französischer Übersetzung. Als Standardwerke dürften sich aber Sigismund Friedrich Hermbstädts (1760-1833) „Chemische Grundsätze der Kunst Bier zu brauen“ bzw. Johann Carl Leuchs (1797-1877) 1831 erschienene „Vollständige Braukunde“ durchgesetzt haben. Ersterer beschrieb die konstitutive Mischung dreier Malzarten und den Zusatz von Zucker und Süßholz- oder Lakritzsaft, letzterer verglich die verschiedenen Verfahren der Porterbrauerei in England und Deutschland. Gleichwohl bezeichneten Mediziner Porter weiterhin als „ein wahres Compositum giftiger Substanzen“ (A[nton] H[einrich] Nicolai, Grundriss der Sanitäts-Polizei, Berlin 1835, 48).

In der Tat wurde der Exporterfolg in deutschen Landen von fehlenden Standardisierungen und häufigen Verfälschungen insbesondere der Fassware beeinträchtigt. Flaschenware war hochwertiger, doch aufgrund der hohen Verpackungskosten und schlechter Glasqualität nochmals teurer (E.A.F. Hoffmann, Der Getränke-Prüfer, Quedlinburg und Leipzig 1826, 29-35). Porter blieb ein städtisches, gutbürgerliches und norddeutsches Getränk, war unterhalb der Mainlinie selten. Deutschland war keineswegs das typische Bierland, denn im Norden und Osten dominierte der Kartoffelschnaps, der „Branntwein“, in Bayern und den südwestlichen Mostländern wurde weit mehr als doppelt so viel Bier getrunken. Vor allem die Hafen- und Handelsstadt Hamburg galt als Porterstadt, dort gab es zahlreiche Import- und Handelsfirmen, dort wurden englische Biere ausgeschenkt und in Fachgeschäften verkauft (Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten 1859, Nr. 8 v. 19. Januar, 4).

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Porterverkauf in Hamburg (Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten 1836, Nr. 130 v. 3. Juni, 10 (l.); Hamburger Fremdenblatt 1871, Nr. 201 v. 27. August, 4)

Entsprechend überrascht es nicht, dass sich Porterbrauereien nur in Nord- und Mitteldeutschland etablieren konnten. Neugründungen waren anfangs selten, zumeist handelte es sich um die schon erwähnten lokalen Brauereien, die ein als Porter bezeichnetes Bier in ihr Angebot integrierten. Die wichtigste Neugründung war die Porterbrauerei der Nathusiuschen Gewerbeanstalten in Althaldensleben bei Magdeburg, einem in den 1820er Jahren einzig dastehenden Mischkonzern mit weit über tausend Beschäftigen. Über die dort durchgeführten Versuche und die Produktionstechnik unterrichtete das 1821 veröffentliche Buch „Der deutsche Porterbrauer oder Anweisung, ein dem englischen Porter gleichkommendes Bier zu brauen“, das noch 1836 in vierter Auflage überarbeitet herausgegeben wurde (vgl. auch Leuchs, 1831, 384-386). Zeitgenossen sprachen damals vom „Uebergang aus dem Gebiete der Oekonomie zu dem der Technologie“, lobten insbesondere das dort gebraute Ale, während man dem Porter gegen skeptisch war, „da er seines säuerlichen Geschmacks wegen, der auch dem ächt englischen eigen ist, dem teutschen Gaumen im Allgemeinen schwerlich zusagen wird“ (Oekonomische Neuigkeiten und Verhandlungen 1824, Nr. 93, 742 – beide Zitate). Andere lobten dagegen seine lange Haltbarkeit, seine Nährkraft und betonten, dass der Porter „neuerlich in Deutschland Cours erhalten“ habe (Emil Ferdinand Vogel, Geschichte der denkwürdigsten Erfindungen […], Leipzig 1842, 172 (Zitat)-173).

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Schema einer dampfgetriebenen englischen Porter-Brauerei (Leuchs, 1831, 596)

Mitte des 19. Jahrhunderts war die erste Welle der Gründungen abgeebbt, doch steigende Importe und der insgesamt wachsende Bierkonsum führten im Gebiet des deutschen Zollvereins zu vermehrtem Porterkonsum. Weiterhin gab es regionale Gründungen, so 1853 die kleine Brauerei von Christian Rose (1803-1877) im mecklenburgischen Grabow, der die Porterbraukunst zuvor in London studiert hatte. Im gleichen Jahr entstand auch in München eine erste Porterbrauerei (Philipp Heiß, Die Bierbrauerei mit besonderer Berücksichtigung der Dickmaischbrauerei, München 1853, 156-160). Der Siegeszug des hellen bayerischen Bieres war von weiteren Gründungen gegen die vermeintlichen Trends der Zeit begleitet: 1865 errichtete der Großbrauer Gabriel Sedlmayr (1811-1891) ein Brauhaus für englischen Porter – sechs Jahre bevor er mit der Installation der ersten Lindeschen Großkältemaschine in der Spatenbrauerei sein Gewerbe technisch grundstürzte (Tag-Blatt der Stadt Bamberg 1865, Nr. 76 v. 17. März, 2). Porter wurde in der Fachliteratur jedenfalls stetig behandelt (Ladislaus von Wagner, Handbuch der Bierbrauerei, 5. sehr verm. u. gänzl. umgearb. Aufl., Weimar 1877, 904-907). Wie die bayerischen Biere mit ihrer gemeinschaftsbildenden Gemütlichkeit verkörperte auch der Porter als Getränk aller gesellschaftlichen Klassen die gesellschaftspolitische Idee der bürgerlichen Gesellschaft.

Diese Entwicklungen bildeten den Rahmen für die Sprachspiele mit dem „Deutschen Porter“ erst in Sachsen, dann im gesamten mitteldeutschen Raum. Festzuhalten aber ist, dass Porter englischer Art ein gänzlich anderes Getränk war als die Malzextrakte und Gesundheitsbiere Hoffscher und Grohmannscher Art. Sie waren alkoholhaltiger, süffiger und auch billiger. Es handelte sich nicht um flüssige Medizin, sondern um Bier mit hohem Nährwert. Das schuf Marktchancen, erste Aktiengesellschaften wie die 1868 begründete Norddeutsche Ale- und Porter-Brauerei in Hemelingen entstanden: „Für die Produktion von Ale und Porter ist in Deutschland noch keine Konkurrenz vorhanden; die wenigen in Bremen und Hamburg existierenden Ale- und Porterbrauereien exportiren ihr Produkt überseeisch; es müssen daher alle dergleichen Biere für den Konsum im Zollvereine vom Auslande eingeführt werden“ (Westfälischer Merkur 1868, Nr. 158 v. 12. Juli, Ausg. 2, 1). Die englische Brauart sei kostengünstiger und weniger fehleranfällig als die Produktion untergäriger bayerischer Biere. Mit den niedrigeren deutschen Löhnen und dem besseren Zugang zu heimischen Rohwaren könne man billiger als die englische Konkurrenz produzieren, könne man auch in die Massenproduktion einsteigen.

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Weitreichendes Versandgeschäft: Englische obergärige Biere aus Deutschland (Aschaffenburger Zeitung 1869, Nr. 281 v. 14. November, 3)

Von den 300.000 Goldtalern Grundkapital wurden 200.000 eingezahlt, 1869 begann die Produktion, Anerkennung in der Fachpresse folgte. Englands Brauereien erhielten scheinbar mehr als gleichwertige Konkurrenz, denn moderne Technik ermöglichte ein chemisch reineres Bier (Werner, Porter und Ale, Allgemeine Hopfen-Zeitung 10, 1870, 54). Parallel nahm schon vor der Gründerzeit die Zahl der Gaststätten und Bierhallen zu, die ihren Kunden andere Biere von auswärts boten. All das erfolgte, während Johann Hoff den Einstieg in die Produktion „Deutschen Porters“ vorbereitete, um eine Umgestaltung der deutschen Bierkultur und ein weltweites Verdrängen des englischen Porters zu bewirken.

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Begrenztes Vordringen englischer Biere: Englische Taverne in Köln 1872 (Kölnische Zeitung 1872, Nr. 90 v. 30. März, 8)

Gründerboom: Johann Hoffs Einstieg in die Porterproduktion

Am 22. Februar 1872 blickte Johann Hoff auf eine dreißigjähre Tätigkeit im Brauereifach zurück, ließ sich als Vertreter von „Patriotismus, Wohlthätigkeit, Frömmigkeit und Industriefleiß“ feiern (Der Israelit 13, 1872, 270). Er war umstritten, gewiss, doch erfolgreich, eine Person des öffentlichen Lebens, „eine herrliche Zierde des hiesigen, ja des gesammten orthodoxen Judenthums“ (Der Israelit 13, 1872, 270). Das Malzextraktgeschäft war jedoch nicht mehr so dynamisch wie in den 1860er Jahren, und ein reines Abschöpfen der weiterhin hohen Erträge schien im Umfeld des Gründerbooms der frühen 1870er Jahre nur eine Selbstbeschränkung. Hoff spekulierte, setzte auf eine Ausweitung und Diversifizierung seines Geschäftes, wollte ein noch größeres Rad drehen. Zugleich erhöhten der massive Zufluss französischer Reparationszahlungen und die allgemeine Deregulierung der Wirtschaft den Druck auf alle im tradierten Fahrwasser wirtschaftenden Betriebe.

Zu dieser Zeit litt Berlin unter einer „Bierfrage“, die lange Zeit Wind in die Segel Johann Hoffs war. Berlin besaß spätestens seit den 1860er Jahren nicht genügend Braukapazität für die rasch wachsende Bevölkerung, so dass es insbesondere während des Sommers zur regelmäßigen „Biernoth“ kam. Wie bei anderen Konsumgütern, etwa dem an sich aus Berlin stammenden Baumkuchen, war die neue Reichshauptstadt eine Importstätte für Bier allgemein, für Lagerbiere und Spezialitäten im Besonderen. Das Aktiengesetz vom 11. Juni 1870 initiierte eine Gegenbewegung, denn mit Bier ließ sich scheinbar rasch Gewinn machen.

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Brauereiaktien als Handelsgut (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 92 v. 20. April, 21)

Berlin war traditionell eine Stadt obergärigen Bieres. Im späten 18. Jahrhundert dominierte Braunbier, auch Kufenbier, als lokale Spezialität zudem die „Weiße“. Allerdings gab es damals schon eine erste Brauerei für „englische Biere“ (Otto Wiedfeld, Statistische Studien zur Entwicklungsgeschichte der Berliner Industrie von 1720 bis 1890, Leipzig 1898, 148, auch für das Folgende). Bis Mitte des 19. Jahrhundert dominierte der steuerfreie Haustrunk, die Brauereien waren eher mittelständisch. Die Braun- und Weißbierbrauerei geriet in den folgenden Jahrzehnten jedoch unter massiven Druck des zuerst importierten, dann aber zunehmend auch in Berlin produzierten untergärigen bayerischen Bieres. Noch 1860/61 wurden in Berlin 126,334 Ztr. Malz für obergärigen und 75,023 für untergärige Biere versteuert. 1875/76 hatte sich die Relation umgekehrt, zugleich die Produktion massiv erhöht (293,508 vs. 531,448 Ztr. Malz) (Julius Frühauf, Der Bierverbrauch in Berlin, Arbeiterfreund 15, 1877, 253-258, hier 257). Das bayerische Bier galt als schmackhafter und vollmundiger, doch in Berlin produzierten die neuen Aktiengesellschaften fast durchweg „Dividendenjauche“, also schlecht schmeckende Getränke geringer Qualität. Quantitativen Wachstums zum Trotz erodierte in den 1870er Jahren das Vertrauen in das lokale Bier, das als „Erzeugnis der chemischen Bierfabriken“ galt (Gustav Dannehl, Die Verfälschung der Nahrungs- und Genußmittel. 2. Das Bier, Die Gartenlaube 1877, 600-602, hier 600). Importbiere legten weiter zu, der Markt für Spezialitäten schien chancenreich. Auch „Naturwein“ gewann, Oswald Nier wurde später dessen Propagandist. All dies schuf grundsätzlich gute Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige Alternative, für den Johann Hoffschen „Deutschen Porter“.

Die Aktienbrauereien veränderten zugleich die tradierte Art des Bierkonsums. Sie bauten eigene Vertriebsnetze auf, insbesondere von ihnen gepachtete, teils auch errichtete Bierhallen. Die Aktienbrauerei Moabit, die ihren Ausstoß binnen eines Jahres fast verdoppelt hatte, besaß zu Beginn der neuen Saison 1873 gleich acht solcher Etablissements (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 92 v. 20. April, 41). Diese Gaststätten neuen Typs erforderten Hunderte von Gästen, lockten diese mit Musik, Theater und relativ günstigen Speisen. Kellner gewannen an Bedeutung, Trinkgelder erforderten zusätzliche Ausgaben, dennoch wurde immer wieder über die Anhebung des Bierpreises für das Standardbier von 1 Sgr. 6 Pfg. diskutiert (Deutsche Reichs-Zeitung 1873, Nr. 185 v. 7. Juli, 3). Mittelfristig setzten sich die Kapitalkräfte durch, seit den 1880er Jahre verbesserte sich die Qualität des Bieres wieder, Folge wachsender Investitionen nicht nur in den Maschinenpark, sondern vor allem in die Mälzerei, die Kühltechnik, den Hefeeinsatz und die chemische Kontrolle des Produktionsprozesses. Seit den 1890er Jahren wurde Berlin schließlich zu einem Bierexporteur mit zugleich hohen Importraten (Henry Gidom, Die Geschichte der Berliner Brauereien von 1800 bis 1925, Rostock 2021).

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Berliner Stammtisch mit Weißbier (Berliner Wespen 6, 1872, Nr. 2, 2)

Investitionsentscheidungen: Glashütte, Ausschankstätten, Ausflugslokal

Der Hoffsche Einstieg in die Produktion eines weiteren Bieres war komplexer als die Gründung einer der vielen Aktienbrauereien in Berlin. Diese bedienten vorrangig den aufnahmefähigen lokalen Markt, während Johann Hoff offenbar von Beginn an auf überregionalen, gar internationalen Erfolg zielte. Entsprechend erwarb er als erstes eine Glashütte, um genügend Flaschen für den Versand und den Verkauf in und vor allem abseits der preußischen Metropole zu haben. Zweitens folgte er dem Trend der Zeit, indem er vor Ort Grundstücke erwarb, auf denen er Ausschankstätten einrichtete, die aber auch als Brauereistandorte dienen sollten. Drittens zielte er auf ein großzügiges Ausflugslokal vor den Toren Berlins, das regelmäßig Tausende in seinen Bann schlagen sollten. Mangels einschlägiger Akten ist leider nicht abzusichern, ob dieser Geschäftsplan 1871 entstand und dann recht konsequent umgesetzt wurde; oder ob es sich um ein sich verstärkendes Wunschgebilde handelte, das immer größer wurde, bevor es zusammenbrach. Angesichts des Einsatzes eines Großteils seines von Zeitgenossen auf ca. 3 bis 4 Millionen Taler geschätzten Vermögens scheint es mir jedoch wahrscheinlicher, von einem durchaus rationalen Plan auszugehen: Man müsse nur die Grundlagen legen – die Werbung und der Durst würden den Rest schon erledigen.

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Erweiterte Kapazitäten in einem strukturschwachen Raum (Stettiner Zeitung 1872, Nr. 207 v. 5. September, 4)

Hoff erwarb erstens am 9. Juni 1871 die Schönemannsche Glashütte zu Neufriedrichsthal bei Uscz, einer südöstlich von Schneidemühl gelegenen Kleinstadt mit etwas mehr als 2000 Einwohnern (Deutscher Reichsanzeiger 1871, Nr. 41 v. 19. Juni, 7). Die Hohlglashütte hatte sich lange Zeit auf Spirituosen- und Süßweinflaschen konzentriert, besaß zum sicheren Versand auch eine eigene Korbflechterei (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger 1856, Nr. 1669, 1395). Johann Hoffs verstärkter Einkauf von Malzextraktflaschen verbreiterte die Produktionspalette, zumal nach der 1865 erfolgten Einführung eines mit Torf befeuerten Siemens-Regenerativofens (Ferdinand Steinmann, Compendium der Gasfeuerung in ihrer Anwendung auf die Hüttenindustrie, Freiberg 1868, 55). Wöchentlich produzierte man damals mehr als 15 Tonnen Flaschenglas (Polytechnisches Journal 182, 1866, 216). Die Übernahme ging einher mit massiven Investitionen. Hoff erweiterte den Betrieb um vier neue Glasschmelzöfen: „Die Glasschmelzöfen sind sämmtlich auf Massenproduction eingerichtet, indem z.B. an einem Flaschenofen 24 Mann Glasmacher aus 12 Häfen arbeiten und dieselben in einer Arbeit zusammen mindestens 10,000 Stück Hoff’sche Malzextractflaschen oder ähnliche Größen fabriciren“ (Die Glasindustrie im Regierungs-Bezirk Bromberg, Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 540 v. 17. November, 8). Drei weitere Öfen waren geplant, ein eigenes Torfmoor sicherte die Feuerung, zudem gab es eine Kalkbrennerei und eine Ziegelei, die auch Baumaterial für die Berliner Erweiterungen lieferte.

Der Posener Betrieb wurde von Beginn an als Teil des Hoffschen „Weltgeschäftes“ beworben (Extra-Felleisen des Würzburger Stadt- und Landboten 1872, Nr. 1 v. 2. Januar, 3-4). Hoff sah darin den Eckstein einer massiven Ausweitung erst der Malzextraktproduktion, dann auch des Vertriebs Deutschen Porters (Berliner Börsenzeitung 1872, Nr. 418 v. 7. September, 7-8, hier 8): „Um eine derartige Concurrenz eröffneten zu können, muß auch auf billigste Beschaffung der Materialien Rücksicht genommen werden“. Von Glaswaren im Wert von jährlich 200,000 Talern war die Rede (Altonaer Nachrichten 1872, Nr. 219 v. 18. September, 1-2). Am 23. Dezember 1872 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Neue Friedrichsthaler Glashüttenwerke AG hatte ihren Sitz in Berlin, ein Grundkapital von 400,000 Talern und Johann Hoff fungierte als Direktor (Deutscher Reichsanzeiger 1873, Nr. 5 v. 7. Januar, 6). Die Emission erfolgte durch die Vereins-Bank Quistorp & Co., Berlin, die die meisten Hoffschen Grundstücksgeschäfte federführend begleitete (Deutscher Reichsanzeiger 1873, Nr. 228 v. 27. September, 6).

In einem zweiten Schritt erwarb Johann Hoff eine Reihe zusätzlicher Grundstücke in Berlin, war Teil der Terrainspekulation der Gründerzeit. Ausgangspunkt war weiterhin das Stammhaus in der Neuen Wilhelmsstraße. Dort lag die Brauerei, die Malzschokolade- und Malzbonbonfabrik, eine Druckerei für Etiketten, Verpackungen und Werbematerialien sowie, als „Seele des ganzen Geschäfts“, ein chemisches Laboratorium (Berliner Gerichts-Zeitung 1872, Nr. 1 v. 4. Januar, 4). Hier lag auch Johann Hoffs Büro, die Verwaltung, ferner Abfüllerei und Packkeller.

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Sitz des Hoffschen Brauerei: Neue Wilhelmstraße 1 1882 (Droschken-Wegemesser (berliner-stadtplansammlung.de)

Die recht beengten Verhältnisse hatten bereits zur Anmietung weiterer Lager geführt. Am Louisenplatz 6 befand sich zudem eine Mälzerei. 1871 kaufte Johann Hoff weitere Grundstücke in dessen Nachbarschaft. Das betraf erst einmal Louisenstraße 2. Die Mälzerei sollte dadurch erweitert, weiterer Lagerraum geschaffen werden. Wichtiger aber noch war die dortige Schaffung eines neuen Gartens und gleich zweier große Bierlokale. Ergänzt wurde diese Phase des Geschäftsausbau mit einem großen Gelände in Potsdams Bertinistraße 5-6, nördlich des späteren Schlossses Cecilienhof gelegen, zwischen den späteren Villen Strack und Mendelssohn Bartholdy. Bei der Villa Bertini wurde Eis gewonnen und gelagert, das mehr als 20.000 m² große Gelände sollte zu einem Malzkurort umgewandelt werden. Daraus wurde nichts, ebenso wie der Ausbau eines großes, nach Hoffs Auskunft für 50 Häuser ausreichenden Terrains in Charlottenburg.

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Wachsendes Angebot und neue Betriebsstätten: Werbung für Malzseifen und Malzpomade (Schwäbischer Merkur 1872, Nr. 298 v. 15. Dezember, Beil. n. 1298)

Im März 1872 erwarb Hoff dann weitere Grundstücke zur Arrondierung des Besitzes in der Louisenstraße, nämlich die angrenzenden Häuser Louisenplatz 7 und das Eckhaus Louisenstr. 1 (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 138 v. 22. März, 9). Der Komplex sollte als ganzer entwickelt werden, einerseits Lager- und Kühlräume bündeln, anderseits Platz für eine großen Ausschankstätte inklusive Biergartens bieten (Altonaer Nachrichten 1872, Nr. 219 v. 18. September, 2). Dieser Plan schien unwiderstehlich: „So sehen wir im Johann Hoff’schen Weltgeschäft ein Rad in das andere greifen und einen Gesammt-Mechanismus erzeugen, dessen Großartigkeit einzig und allein dasteht“ (Berliner Börsenzeitung 1872, Nr. 418 v. 7. September, 7-8, hier 8).

Dennoch veränderte Johann Hoff dieses Räderwerk des sicheren Erfolgs im Dezember 1872: Er kaufte drittens das in der Nähe von Spandau gelegene Schloß Ruhwald (Ebd., Nr. 604 v. 25. Dezember, 7). Und sogleich präsentierte er diesen Ort als neuen Eckstein seiner Mission Deutscher Porter. Er habe „von der unter Quistorps genialer Leitung so vortrefflich blühender Westendgesellschaft das von dem Herrn von Schäfer-Voit [sic!] in der Nähe des Spandauer Bockes erbaute und allen Berlinern wohlbekannte Schloß Ruhwaldsruh nebst einem großen Länderterrain angekauft“ und werde „nun an dieser Stelle für die Sommermonate ein Ausschanklokal des Deutschen Porterbieres errichten, welches für 10,000 Gäste ausreichenden Platz haben wird. Das himmlisch schön gelegene Etablissement wird wie ein Volksgarten eingerichtet werden und es besteht die Absicht, daselbst allwöchentlich regelmäßig prachtvolle Feuerwerke und Concerte abhalten zu lassen“ (Königlich privilegirte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 2 v. 3. Januar, 14). Hoff hatte seine Karten werbeträchtig ausgebreitet, doch unbefangene Beobachter dürften den blinden Fleck gleich vermerkt haben. Der Geschäftsplan war auf massives Wachstum ausgelegt, doch es fehlten neue Braustätten. Sie sollten – so immer wieder zwischendurch erwähnt – erst in der Louisenstraße, dann bei Schloß Ruhwald gegründet werden. Doch Hoffs Aktivitäten setzten andere Schwerpunkte: Zuerst die Popularisierung des neuen Deutschen Porters, dann die Vergrößerung des Absatzes per Versandgeschäft, in den Ausschanklokalen, im Ausflugslokal. Und so ging Hoff denn an die Umsetzung seiner ambitionierten Pläne.

Deutscher Porter als neues deutsches Nationalgetränk

Die neuen Gaststätten sollten noch Anfang 1873 dem allgemeinen Ausbau des Hoffschen Brauereigeschäftes dienen. Malzextrakt war dafür nicht geeignet, die Kunden sollten dieses Gesundheitsbier ja entweder mehrfach täglich aus kleinen Weingläsern trinken – oder den Flascheninhalt erhitzen und es als Kurgetränk nutzen. Malzextrakt war ein häusliches Getränk, daher bedurfte es neuer Biersorten. Von Deutschem Porter wurde seit im Mai 1872 gesprochen, im Vorfeld der angekündigten Grundsteinlegung war von „einer Bayerisch-Bierbrauerei (resp. Deutschen Porter-Bierbrauerei) mit Ausschank und Garten“ die Rede (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 240 v. 26. Mai, 9). Über das neue Bier hielt man sich bedeckt, denn bayerisches Bier und deutscher Porter galten als Gegensätze, mochten sie auch beide untergärig herstellbar sein. Dieser Dualismus prägte noch die reichsweite Ankündigung, die „Porter- und Bairisch-Bierbrauerei“ am 1. Oktober zu eröffnen (Bielefelder Wochenblatt 1872, Nr. 103 v. 29. August, 2). Das neue Etablissement – die Blickrichtung war stets die Gaststätte – würde die Reichshauptstadt weiter verschönern und durch die Porter-Brauerei „eine abermalige industrielle Superiorität über die anderer Städte des deutschen Reiches“ erlangen (Westfälischer Merkur 1872, Nr. 227 v. 23. August, 3). Zugleich begann verbal die Mission Deutscher Porter: „Der englische Porter wird nun wohl seinem deutschen Rivalen weichen müssen, besonders da wir endlich zu der Einsicht gekommen sind, daß Deutschland bezüglich seiner Fabrikate dem Auslande in keiner Hinsicht nach zu stehen braucht“ (Hannoverscher Courier 1872, Nr. 5671 v. 24. August, 3). Ab September kippte die Hoffsche Werbung dann vollends in Richtung Deutscher Porter. Spötter kommentierten: „Der Malzextract zieht gewiß nicht besonders mehr, darum ein anderes Bier!“ (Volksblatt für den Kreis Mettmann 1872, Nr. 70 v. 31. August, 3)

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Auftragsannahme für den „Berliner Porter“ – ein Werbeversprechen (Hamburger Nachrichten 1872, Nr. 232 v. 29. September, 9)

Die Anzeigen unterschieden sich deutlich von dem seit 1857 gepflegten Werbestil. An die Stelle einer Abfolge scheinbar nicht versiegender Dank- und Empfehlungsschreiben trat eine für diese Zeit völlig neuartige Werbekampagne. Die Inserate boten eine Art redaktionellen Text, eine Fortsetzungsgeschichte mit immer neuen Ergänzungen und Neuigkeiten. Werbung war für Johann Hoff seit jeher Teilhabe der Kunden an seinem Erfolg, an der Qualität seiner Produkte. Nun aber gewann der Geschäftsplan Gestalt, wurde in immer neuen Facetten öffentlich ausgebreitet. Die Anzeigen wurden parallel in den Berliner Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, nur selten wiederholt. Der Inhalt glich einer Abfolge von Fanfarenstößen. Zugleich aber berichtete man inhaltlich über die Fortschritte und Pläne, ermöglichte den Kunden dadurch Teilhabe. Die Werbung für Deutschen Porter war nicht mehr länger produktzentriert, sie zielte auf die Seele des Kunden, auf seinen Stolz als Deutscher, als Zeitgenosse des allgemeinen Aufstieges. Die Aufforderung zur kommerziellen Teilhabe war Teil eines Plebiszits für einen Prozess, der dank Johann Hoffs Voraussicht, der Größe seines bereits bestehenden Geschäftes und der herausragenden Qualität seines Deutschen Porters sich ohnehin durchsetzen würde. Es galt, einer imaginären Kraft zu folgen, die wie die Eisenbahnen und Dampfschiffe der neuen Zeit ihren Stempel aufdrücken würde.

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Anzeigen in Form von Fortsetzungsgeschichten (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 416 v. 6. September, 4 (l.); Berliner Gerichts-Zeitung 1872, Nr. 152 v. 31. Dezember, 4)

Deutscher Porter bildete von September 1872 bis Ende April 1873 denn auch den begrifflichen Kern der Hoffschen Bier- und Gaststättenwerbung. Lange stand im Keller des Stammsitzes ein großes Bierfass mit der Inschrift „Weil es der Industrie in Preußen Ehr’ gebracht, / drum ward dem Bier zur Ehr‘ / das große Faß gebracht.“ Im Mai 1872 wurde es in werbeträchtigem Umzug in die Louisenstraße verfrachtet – und nun trug es die sloganhaften Worte: „Ruhmvoll besiegt / Deutsches Porterbier / Englisch Porter hier!“ Nun galt es, das neue Getränk vorzustellen.

Erstens sollte der Deutsche Porter ein neues Nationalgetränk der Deutschen werden. Johann Hoff knüpfte an die damals (und noch heute) weit verbreiteten Stereotypen über Völker und die sie charakterisierenden Getränke an: Wodka dem Russen, Tokayer dem Ungarn, dem Franzosen sein leichter Bordeaux. Deutschland sei dagegen ein Bierland. Doch „Bier“ sei wandelbar, müsse sich einem sich wandelnden Volk anpassen: „Wir haben im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts vor den Augen der Welt eine große, gewaltige Umwälzung vollzogen, wir sind vollgewichtiger, kräftiger, imponirender geworden, ganz in derselben Weise, wie unser Nationalgetränk, das Bier“ (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 534 v. 14. November, 7-8 – auch für das Folgende). Noch vor 40 Jahren sei Weißbier das hiesige Nationalgetränk gewesen, „das Symbol der Ruhe, des Friedens.“ Dann folgte das bayerische Bier: „Der starke, kräftige, braune Trunk war das Symbol der Thatkraft, des Wirkens, des Ringens im Leben, welches ja auch oft mit Bitterkeit gemischt ist. So verging wieder eine Reihe von Jahren und wir Deutsche wurden mit unserem Nationalgetränk großgesäugt, wir nahmen zugleich mit ihm auch diejenigen Eigenschaften an, deren Symbol es ist.“ Doch der Sieg gegen Frankreich hatte die Machtfrage geändert – und damit auch den Charakter der Deutschen: „Wohl sind unsere Grundzüge unverändert geblieben, aber rastlos, athemlos ist unser Aller Thätigkeit im neuen Deutschen Reiche! Wir stehen mitten in der schäumenden Brandung! Wir sind jetzt bis zu dem Moment gekommen, wo unser unaufhörlich arbeitendes Gehirn, unsere stählernen Nerven anderer stärkerer Anregungen bedürfen, als sie uns unser bisheriges Nationalgetränk verschafft!“ Deutscher Porter sei dieses neue Getränk, es repräsentiere eine Nation, die mit England konkurrieren könne. Es sei kräftig und dunkel, nährend und anregend, eine Abkehr von „dem leichten, hellen, dünnen, süßsäuerlichen Getränk vergangener Decennien“ (Berliner Gerichts-Zeitung 1872, Nr. 149 v. 21. Dezember, 3). Diese Aussagen sind doppelt bemerkenswert, denn einerseits war der Trend hin zum „bayerischen“ gerade in Berlin besonders ausgeprägt, anderseits bot Hoff selbst dieses hellere Gebräu an.

Zweitens sei der Deutsche Porter auf friedliche Konkurrenz ausgerichtet, eine Kampfansage an ein Kernprodukt des Welthegemons Großbritannien. Der Konsum des Neuen würde erst einmal helfen, die Importe in Höhe von zwei Millionen Talern zu beenden. Dann aber werde es „nicht nur in unserem Vaterlande, sondern über die Marken desselben hinaus, über das englische schließlich den Sieg davontragen“ (Ebd., Nr. 109 v. 19. September, 4). Als Getränk einer wettbewerbsfähigen und letztlich siegreichen Nation sei es zugleich aber klassenübergreifend, binde alle Schichten in die gemeinsame Anstrengung ein. Der Preis erlaube auch Unbemittelten regelmäßigen Konsum (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 538 v. 16. November, 7), ermögliche es als „Lieblings- und Hauptgetränk selbst der weniger Bemittelten“ (Berliner Gerichts-Zeitung 1872, Nr. 104 v. 7. September, 4). Deutscher Porter war konservative Sozialpolitik, ein Beitrag zur Lösung der sozialen Frage.

Drittens aber vermittelte die Werbung schon lange vor dem ersten Anstich eine Idee des Bieres selbst. Als Nationalgetränk war die Meßlatte hoch gelegt worden – und der Deutsche Porter war „feurig und perlend, stark und kräftig, dunkel und schäumend“ (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 534 v. 14. November, 7-8, hier 7). Der Geschmack sei milder als der des englischen Produktes. Dieses galt zwar als Vorbild, doch die Importware habe einen „sauren, scharfen, oft widerlich bittern Geschmack“. Deutscher Porter hebe sich davon ab, sei „ein mildes angenehmes, weder kratzendes noch Husten erregendes Getränk, welches voll und gewichtig das Blut durch unsere Adern treibt und an bluterzeugender Kraft vielleicht seines Gleichen sucht. An Farbe ist es dunkel und braun, es schäumt in jenem festen soliden weißen Schaume, der nicht lockere Blasen antreibt und das Kennzeichen eines vorzüglich guten Bieres ist. Es wirkt für den Körper nahrhaft und für den Geist anregend. Es verdirbt nicht unseren Magen noch vergiftet es unsere Säfte durch schädlich Substanzen wie andere Porterbiere. Es rinnt mit einem milden Feuer die Kehle hinab und erweckt das größte Wohlbehagen des Leibes und des Geistes!“ (beide Zitate n. Ebd., Nr. 538 v. 16. November, 7) Deutscher Porter war ein Wunschbier, ein Labetrunk, auf dem Papier unerreicht.

Viertens wiederholten die Hoffschen Anzeigen eine Reihe rationaler Argumente für den Kauf, für den Trank. Der Preis sei mit 2½ Sgr. pro Flasche nur leicht höher als bei Standardbieren; und deutlich niedriger als bei englischen Importen. Die Transportkosten seien gering, Zölle fielen weg. Die Qualität des Deutschen Porter sei höher, da der langwierige und vom steten Wellengang geprägte Seetransport das englische Produkt schädige. Auch aus nationalen Gründen schienen deutsche Kunden verpflichtet, das preiswertere und bessere Hoffsche Getränk zu kaufen. Schließlich klang immer wieder die Größe der „Weltfirma“ an, die anders als die bisherigen deutschen Porterbrauer in der Lage sei, mit den Engländern zu konkurrieren: „Denn an den meisten größern, nach vielen Tausenden zählenden Orten hat Herr Johann Hoff seit fast 30 Jahren einen festen, sicheren, reellen Kundenkreis sich geschaffen, dem er sein Fabrikat ohne Weiteres zusendet und es dadurch in demselben Augenblicke schon fast in den entferntesten Theilen der Erde eingeführt und eingebürgert, wo in Berlin selbst, dem Orte der Fabrikation, vielleicht noch keine Flasche öffentlich verkauft worden ist“ (Ebd., Nr. 560 v. 29. November, 11).

Fünftens prägte die Anzeigen der schrille Klingklang des Erfolgs. In Berlin war noch keine einzige Flasche verkauft worden, da hieß es triumphal: „Mit dem Moment, wo das Johann Hoff’sche Deutsche Porterbier ans Licht der Welt getreten ist, hat es sich auch nicht nur über alle Städte Deutschlands, nicht nur über alle Staaten Europas, sondern fast über alle civilisirten Länder der Welt verbreitet“ (Ebd.). Mögliche Kritik versuchte man im Vorfeld zu entkräften, denn die Malzfabrikate hätten sich doch „über alle bewohnten und civilisirten Theile unserer Erde“ verbreitet. Dieses Vertriebsnetz werde man nutzten – nicht, um angesichts des sinkenden Malzextrakonsums andere Pferde zu reiten, sondern um auf Grundlage globalen Erfolgs eine weitere Mission anzugehen (Ebd., Nr. 594 v. 18. Dezember, 8).

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Kritik an Hoffs Werbung und „Schwindel“ (Frankfurter Latern 9, 1873, 214)

Hoffs Argumente einer globalen Mission des Deutschen Porters trafen vorhersehbar auf Widerspruch. Wie, um Gottes willen, wollte der Berliner Brauer die behaupteten Transport-, Qualitäts- und Zollvorteile bewahren, wenn er mit seinem neuen Bier in der Ferne mit englischem Porter konkurrieren würde? Nicht in Frage gestellt wurde allerdings Johann Hoffs Fähigkeit, eine solche Kraftanstrengung national und international anzugehen. Dabei gab es abseits Cisleithaniens kein wirklich dichtes Absatznetz. Gewiss, es gab Depots und Großhandelsdependancen in Westeuropa, auch in Russland. Hoffs Malzextrakt wurde per Versand verkauft, ihn gab es in Drogerien, Bier- und Feinkosthandlungen. Doch ein straffes Vertriebsnetz fehlte, ebenso Gebietskonzessionen im In- und Ausland – und dieses war für den Absatz von Deutschen Porter daher auch nicht zu nutzen. Selbst in Österreich-Ungarn, dem wichtigsten Auslandsmarkt, wurden die neuen Biere nicht angeboten – und anders als beim Malzextrakt wurde über Deutschen Porter, gar ein neues Nationalgetränk in der K.u.K.-Monarchie nicht diskutiert. In der Schweiz wurde vereinzelt Werbung für Deutschen Porter geschaltet, doch mehr als eine Kuriosität war er dort nicht (Das deutsche Porterbier, Der Bund 1873, Nr. 110 v. 22. April, 6).

Johann Hoff nährte die Idee weltweiter Präsenz allerdings mit regelmäßigen Erfolgsnachrichten über den Export großer Mengen Malzextrakt, etwa nach Holland oder Russland (Hannoverscher Courier 1872, Nr. 5792 v. 4. November, 3). Typisch war die Notiz über einen japanischen Agenten, der nach einer Probe gleich hunderttausend Flaschen für sein Heimatland orderte (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 31 v. 15. März, 4; Saazer Hopfenzeitung und Lokal-Anzeiger 1873, Nr. 53 v. 3. Juli, 2). Da zeitgleich japanische Studenten in Berlin und Weihenstephan als Brauer ausgebildet wurden, war das grundsätzlich denkbar (Jeffrey W. Alexander, Brewed in Japan. The Evolution of the Japanese Beer Industry, Vancouver 2013). Doch eine Parallelüberlieferung fehlt – und angesichts nachgereichter Exporterfolge in der Türkei, gar der Nachricht von einem ablehnten Angebot, eine „Malzbrauerei“ in London zu errichten, dürfte es sich eher um Wünsche gehandelt haben (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 93 v. 14. August, 4; ebd., Nr. 96 v. 21. August, 4)

Neue Ausschanklokale, neues Bier: Neue Wilhelmstraße und Louisenstraße

Doch blicken wir stattdessen auf die Geschehnisse vor Ort. Johann Hoff hatte die Eröffnung seiner beiden neuen Ausschanklokale am Stammsitz Neue Wilhelmstraße und am umgestalteten Komplex der Louisenstraße anfangs für den 1. Oktober und dann den 1. Dezember angekündigt, ebenso, mit etwas anderen Terminen, den Beginn des lokalen Liefergeschäftes: Am 25. Dezember war es dann so weit, das Geschäft mit dem Deutschen Porter begann.

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Das Warten hatte ein Ende: Eröffnungsanzeigen vor Weihnachten (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 600 v. 22. Dezember, 7 (l.); Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1872, Nr. 301 v. 24. Dezember, 15)

Betrachten wir zuerst das von Hoff ausgiebig belobige Interieur beider Gaststätten. Am Stammsitz hatte er den an der Spree gelegenen Eckladen mit dem Nebenraum zu einem chinesischen Boudoir umgestaltet: „An allen Stellen von den Wänden herab blicken ihn [den Besucher, US] die langzöpfigen Söhne und Töchter des himmlischen Reiches an und eine reiche chinesische Landschaft dehnt sich vor seinen Augen aus. Das Lokal ist bereits aus des Künstlers Hand fertig hingestellt und wartet nur noch des Tages, wo es unter der Obhut eines tüchtigen Oekonomen den Deutschen hier mitten in China die braune Fluth des schäumenden deutschen Porters neben den dampfenden Würstchen oder dem duftenden Beefsteak darreichen wird, vielleicht in demselben Augenblicke, wo im fernen, wirklichen himmlischen Reiche China das erste deutscher Porter im Hafen landet und die langzöpfigen Mandarinen dann mit uns zugleich ein Glas trinken werden zum Lobe der deutschen Industrie, welche mit ihren Produkten die Meere durchfurcht und die fernsten Länder überfluthet“ (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 588 v. 15. Dezember, 8). Exotik sollte offenbar locken, die Mischung war ein Nebeneinander des Eklektischen – doch das galt auch in den damaligen gehobenen Weinrestaurants, die vermeintliche Nationalgerichte nebeneinander darboten, in denen Pressglas und Furnier ein Ambiente scheinbarer Größe schufen.

Weitaus wichtiger als die Aufhübschung des Stammsitzes war der neu erworbene und ausgestattete Komplex an der Louisenstraße, der bei seiner Grundlegung über 2000 Gäste beherbergen sollte (Ebd., Nr. 240 v. 26. Mai, 9). Hier sollte ursprünglich eine zweite Porterbrauerei entstehen, die derweil in Betrieb gegangen sein sollte (Ebd., Nr. 582 v. 12. Dezember, 7). Gleichwohl stammte bei der Eröffnung der Deutsche Porter aus der Stammbrauerei.

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Lage und Umfeld des Hoffschen Brauerei- und Gaststättenkomplexes Louisenstraße (Droschken-Wegemesser (berliner-stadtplansammlung.de)

Wie sah es nun vor Ort aus, in der „Hofbrauerei Friedrich-Wilhelmstadt“? Die Werbung versprach viel: „Der ganze Bau ist ein Meisterwerk und mit fabelhafter Schnelligkeit in wenigen Monaten hergestellt worden. Das Ganze zerfällt in fünf Räume, von denen zwei nach hinten und höher gelegen sind und als lichte, hübsch decorirte Glashallen den Garten des Etablissements umschließen. Die anderen drei mit den Hallen verbundenen Räume sind der mit Oberlicht versehene Mittelsaal und seine beiden Seitenhallen. Der Styl der neuesten italienischen Renaissance, in dem das Ganze erbaut wurde, bringt sich namentlich in der feindurchdachten reichen Ornamentik der Decke zur Geltung, während das Mobiliar, die festen, schweren, eichenen Tische, die soliden, dauerhaften und mit dem Namenszuge J.H. versehenen Stühle, sowie das kunstvoll geschnitzte Büffet sich dem Uebrigen würdig anreihen. Die Wandbilder ringsum in den Seitenhallen zieren die in reich vergoldeten Rahmen befindlichen Bilder der sämmtlichen Herrscher unseres Königshauses. Im Mittel-Saale befinden sich zwei Bilder: Wilhelm I. als Deutscher Kaiser und als Preußens König. Das berühmte große, von Weber in Berlin erbaute Faß befindet sich vorm am Eingang des Gartens, wo es die Blicke der sämmtlichen Besucher fesselt“ (Ebd. 1873, Nr. 23 v. 15. Januar, 9). Der an einen Restaurateur verpachtete Betrieb bot gängige Speisen und Platz für 500 Gästen. Im Ausschank waren Deutscher Porter und Hoffsches Kaiserbier (Dresdner Journal 1873, Nr. 97 v. 29. April, 577).

Folgt man der Hoffschen Werbung, so war die Eröffnung ein kolossaler Erfolg. 35.000 Flaschen Deutscher Porter seien während der ersten zwei Tage getrunken worden, die Räume waren überfüllt, Tausende fanden keinen Einlass mehr. Alle Stände waren vertreten, „da es sich um ein Nationalgetränk handelte und der Erfolg der deutschen Industrie gegenüber derjenigen Englands gesichert werden mußte. England hat uns lange genug sein Porter geschickt, wofür es unsere Millionen einsackte, nun haben wir eigenes Porterbier im eigenen Lande, und es ist eine That des deutschen Patriotismus, des deutschen Nationalgefühls, uns dessen zu freuen“ (Berliner Gerichts-Zeitung 1872, Nr. 152 v. 31. Dezember, 4 – auch für das Folgende). Doch der Appell an nationale Pflichten unterstrich, dass etwa schief gelaufen war. Das konnte man selbst zwischen den Zeilen der Anzeigen lesen. Deutscher Porter wurde günstig beurteilt, „namentlich“ von Kennern – und „mißgünstige Bemerkungen neidischer Konkurrenten“ wurden zumindest erwähnt. Das sei Teil erwartbarer und notwendiger Kämpfe gegen fremdländische Erzeugnisse, „aber wir Deutsche werden endlich doch siegen und in der Industrie das erste Volk der Erde werden“.

Ein realistisches Bild findet sich ausgerechnet in einer der mit Daueranzeigen Hoffs bedachten Presseorgane. Das lapidare Fazit zeugte von einem Fiasko, von Großtönerei und grauem Alltag: „Das Local in der Wilhelmstraße an der Weidendammerbrücke ist wenig geräumig und unansehnlich, dagegen ist der in der Louisenstraße 2 erbaute Saal der Residenz würdig. Namentlich fesselt dort die Besuchenden das große, prächtig ausgestattete Porterbierfaß. Für den Sommer wird der dort vorhandene kleine Garten aber schwerlich ausreichen. Das Porterbier traf auf eine sehr gemischte Stimmung der Gäste. Nicht der Preis des Glases mit 2½ Sgr., sondern die große Jugend des Bieres wurde übel bemerkt. Gewöhnliches bayerisches Bier, das dort auch geschenkt werden soll, wurde in den Feiertagen noch nicht verabreicht“ (Ebd., 3).

Das galt auch für das parallel anlaufende Liefergeschäft in Berlin. Schon lange zuvor hatte man von den für sechs Monate ausreichenden ausländischen Großaufträgen berichtet (Ebd., Nr. 127 v. 31. Oktober, 4), vom unausgesetzten Brauen (Berliner Börsen-Zeitung 1872, Nr. 582 v. 12. Dezember, 7). Noch unmittelbar vor dem Ernstfall der Lieferung verwies man auf den in der Provinz seit Monaten laufenden Verkauf und die fehlenden eigenen Braukapazitäten. Das sei Ausdruck immenser Nachfrage, und man wüsse nicht „wo das hinausführen soll, wenn es nicht gelingt, noch eiligst einige Brauereien des Johann Hoff’schen Deutschen Porterbieres einzurichten, was allerdings lebhaft betrieben wird“ (Ebd., Nr. 596 v. 20. Dezember, 11).

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Notbremse angesichts von Qualitätsmängeln (Königlich privilegirte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 4 v. 5. Januar, 32)

Schon kurz nach Beginn der Lieferungen stoppte man das Geschäft teilweise. Der mittlerweile zum „munteren Portersieder“ (Berliner Wespen 6, 1873, Nr. 2, 1) stilisierte Johann Hoff reagierte damit auf die mangelhafte Qualität seines Deutschen Porters. Er war bestenfalls nicht lange genug gelagert worden, erinnerte viele an einfaches Lagerbier mit Farbstoff und Geschmackszusätzen. In der Werbung klang dies gänzlich anders, denn der große Absatz in den Ausschanklokalen sei klein angesichts „der enormen Anzahl von Flaschen, welche in dem in der Neuen Wilhelmstraße 1 gelegenen Verkaufslocale abgesetzt werden, theils durch direkten Verkauf an solche Kunden, welche das Bier gleich abholen lassen, theils an Andere, welche mündlich oder brieflich Bestellungen auf Porter machen. So haben seit dem Beginn dieses Jahres allein in Berlin drei Wagen in Betrieb gesetzt werden müssen, welche unaufhörlich vom frühen Morgen bis zum späten Abend den Kunden das Johann Hoff’sche Deutsche Porterbier zufahren“ (Ebd. 1873, Nr. 15 v. 10. Januar, 8). Der Deutscher Porter sei ein Erfolg, habe sich als neues Nationalgetränk „bereits bei dem größten Theile der hauptstädtischen Familien so sehr eingebürgert, daß der Fabrikant bei Weitem nicht im Stande ist, selbst nachdem die doppelte und dreifache Anzahl von Wagen in Betrieb gesetzt worden sind, um das Bier nach den Haushaltungen zu fahren“ (Ebd., Nr. 33 v. 21. Januar, 10). Hoff versprach rasche Lieferungen, denn alle sollten sein Bier testen können, „sei es im Palast oder in der Hütte“ (Ebd., Nr. 15 v. 10. Januar, 8). Dies gelang in der Folgezeit – nicht zuletzt aufgrund der recht geringen Bestellungen. Da half es auch nicht, dass man das neue Bier zeitweilig wie den Malzextrakt anpries, indem man auf lobende Urteile von Kennern verwies – ohne sie aber zu veröffentlichen (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 12 v. 30. Januar, 4).

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Preise für die lokale Zustellung aller neuen Biere Johann Hoffs (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 98 v. 27. April, 22)

Gegenwind: Verzögerungen, schlechter Geschmack und der Eindruck des Nepps

Die Bewertung des Geschmacks eines vor mehr als 160 Jahren ausgeschenkten Getränkes birgt natürlich Probleme, gab es damals doch noch keine Sensorik, keine einschlägig definierte Sprache, war der Sinneseindruck subjektiv. Beim Hoffschen Deutschen Porter waren sich die Zeitgenossen jedoch einig: Es schmeckte schlecht, reichte nicht ansatzweise an das englische Original an, erreichte auch nicht die damalige Qualität hierzulande produzierter Porterbiere englischer Art. Nüchtern bilanzierte der Mediziner Shephard Thomas Taylor (1840-1936): „Wenn es jemals eine gefälschte Imitation gab, dann war es zweifellos das englische Porter-Bier von Johann Hoff. Deutsche und Engländer waren gleichermaßen unzufrieden damit und kehrten der neuen Brauerei entschlossen den Rücken. Ich selbst trank ein Glas und bestellte nie wieder eines. Wenn ich mir eine Vermutung über die genaue Zusammensetzung erlauben darf, würde ich sagen, dass es sich um gewöhnliches deutsches Bier handelte, das mit Lakritz gesüßt war. Wie ein so kluger Mann annehmen konnte, dass die Berliner Öffentlichkeit ein solches Getränk durch noch so viel Werbung gut finden würde, ist schwer zu verstehen“ (Reminiscences of Berlin during the Franco-German War of 1870-71, London 1885, 224 – eigene Übersetzung).

Zeitgenössisch war der Deutsche Porter schon kurz nach dem ersten Ausschank gebrandmarkt, Ende des Frühlings fielen Hemmungen gegenüber dem wichtigen Anzeigenkunden zunehmend weg. In den Berliner Wespen kokettierte eine Bildgeschichte mit „Unwohlsein“ nach dem Genuss von deutschem Porter (6, 1873, Nr. 21, 4). Im Kladderadatsch sandte der just zum Besuch in Berlin weilende Schah von Persien einem nicht getöteten Verwandten eine Flasche Deutschen Porterbiers, denn das sei Mord im Schenkungsgewande (26, 1873, Nr. 266, Beibl. 2, 1). Und in der Tribüne bekam der Autor des damals verbrochenen Pressegesetzes kein Weißbier ausgeschenkt – und man mutmaßte, dass er sich jetzt aus „Verzweiflung […] dem deutschen Porterbier ergeben“ würde (Neues Fremden-Blatt 1873, Nr. 166 v. 18. Juni, 3).

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Schlechter Porter und Infektionsgefahren auf Schloß Ruhwald (Berliner Wespen 6, 1873, Nr. 32, 4)

Sarkastischer Spott dieser Art traf, muss jedoch auch vor dem Hintergrund des insgesamt schwindenden Geschmacks der Biere gesehen werden. Die Aktienbrauereien sicherten sich Braustätten und Ausschanklokale, verpflichteten Wirte zum Absatz allein ihrer Angebote: „Die Qualität des Bieres wird unter diesen Umständen immer erbärmlicher, wenn anders eine Verschlechterung der ‚Dividendenjauche‘ noch möglich ist“ (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 462 v. 4. Oktober, 8). Ökonomisch war dies ein nicht nur von Johann Hoff betriebenes zynisches Setzen auf das damals allgemein akzeptierte Saysche Gesetz. Jedes Angebot findet seine Nachfrage, schlechtes Bier war eben besser als kein Bier: „Der biedere Bürger sieht verwunderungsvoll / Und weiß nicht, was vom Bier er sagen soll, / Er nippt am Glas und seufzt voll tiefer Trauer; / Erst’s zweite Glas, schon packt mich tiefer Schauer! / Wer hätte das vor 20 Jahr’n gedacht, / Daß man aus solcher Schmier je ‚Biere‘ macht? / Da knallt der Spund; ein Geist ruft aus dem Loch: / ‚Warum so jammern Freund? / Du saufst es doch!“ (Echo der Gegenwart 1874, Nr. 223 v. 15. August, 6) Bezeichnend, dass Hoff seinen Porter als hochwertige Alternative zur „Mangelhaftigkeit der eingeführten fremden Biere“ bewarb (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 209 v. 6. Mai, 8).

Werbung für ein schlechtes Produkt

Wie wirbt man für ein schlecht schmeckendes Bier, dessen Produktion hohe Investitionen verschlungen hat, von dessen Erfolg die eigene wirtschaftliche Zukunft abhängt? Johann Hoff verfolgte ab Januar 1873 eine fünfteilige Strategie, da ein Produktionsstopp das Vertrauen auch zu seinen Malzprodukten weiter unterminiert hätte und Qualitätsverbesserungen Zeit brauchten.

Erstens gewann die nationale Note der Werbung an Bedeutung. Hoffs Unternehmerkarriere war eng mit einem offensiven Bekenntnis zu Herrscherhaus und Nation verbunden gewesen. Er war Patriot, unterstützte die preußischen Soldaten, vergaß aber die österreichischen nicht vollständig (Stettinger Zeitung 1866, Nr. 564 v. 4. Dezember, 3). Seine Malzpräparate präsentierte er stetig als Blätter im „Ehrenkranze deutscher Industrie“ (Kujawisches Wochenblatt 1867, Nr. 22 v. 18. März, 3). Deutscher Porter war nun Ausdruck deutscher Schaffenskraft, deutschen Genies: „Was wär’s, das Deutsche Industrie / Nicht auch zu Stand brächte? / Wo wär‘ das Wunder von Genie, / Das uns beneiden möchte? – / Was England lange, lange Zeit / Gehalten für Unmöglichkeit, / das sieht’s par excellence nun hier: / Ein Hoch dem Deutschen Porterbier! / Dem Reichen nur, wie Jeder weiß, / War Porter eine Labe, / Denn England hielt gar hoch den Preis / Für solche Wundergabe; / Doch heut ein jeder Deutscher Mann / Am Porter sich erquicken kann. / Der Wunderquell, er sprudelt hier: / Ein Hoch dem Deutschen Porterbier!“ (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 81 v. 18. Februar, 9) Bier wurde weiter historisiert, zum Nationalgetränk der „alten Deutschen“ stilisiert (Ebd., Nr. 75 v. 14. Februar, 9). Es galt als Kennzeichen der Völker germanischen Ursprungs, grenzte diese ab von den Weintrinkern des Südens und Westens. Bier war deutsche Mission, deutsche Kulturtat: „Und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag, überall, wo der Deutsche auf Erden hingekommen ist, hat er sein Bier mitgenommen und dort eingeführt und dadurch die Verbreitung dieses Getränkes unendlich gefördert“ (Ebd., Nr. 241 v. 27. Mai, 8). Und auch der Porter würde endlich deutsch werden – sein Konsum sei daher nationale Pflicht im In- und Ausland, denn er sei Bannerträger deutscher Industrie.

Zweitens veröffentlichte Johann Hoff erstmals chemische Analysen, um allen Kritikern die Güte des Porter vor Augen zu führen: Der Alkoholgehalt betrug 5,1%, Pflanzenfarbstoff war enthalten, 8% stickstoffhaltige Nährstoffe gaben ihm Nährwert. Deutscher Porter enthielt mehr Malzextrakt als sein englisches Pendant (Theobald Werner, Wissenschaftliches Gutachten über das Johann Hoff’sche ‚Deutsche Porterbier‘, Ebd. 1873, Nr. 85 v. 20. Februar, 9). Hoff behauptete, dass sein Deutscher Porter „mit ganz besonderer Sorgfalt gelagert“ werde und „weder zu jung noch überreif zum Ausschank“ gelange (Ebd., Nr. 109 v. 6. März, 9). Damit wurde indirekt eingestanden, dass die Markteinführung zu früh erfolgt war. Zweifelhaft, dass die Kunden ein „höchst liebliches Aroma“ schmeckten (Ebd., Nr. 169 v. 10. April, 9).

Drittens wurde der Tenor der Werbung beibehalten, Erfolgsmeldungen weiterhin verkündet. Doch es war schwierig, Hybris und Lobhudelei stetig und zugleich sensationsstark fortzuführen. Die Nachteile des englischen Porters wurden weiterhin hervorgehoben (Ebd., Nr. 43 v. 26. Januar, 10), die Weltgeltung des Deutschen eifrig beschworen. Erfolgsgeraune war allzeit präsent, so auch, dass sich das neue Getränk allseits verbreitet habe „wie niemals zuvor irgend ein anderes Product heimischer Industrie“, dass es „in fast allen Nachbarländern Deutschlands seinen siegreichen Einzug gehalten“ habe und große Sendungen nach Polen, Rußland und Österreich, ja auch nach Skandinavien versandt wurden“ (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 70 v. 23. März, 15). Der Porter sei feurig und milde zugleich, „das reinste gesündeste Gebräu der Welt“ (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 21 v. 20. Februar, 4). Die Werbung raunte vom neuen „Lieblingsgetränk ganzer Generationen“, „welches nur aus den besten Bestandtheilen, dem vorzüglichsten Malz, dem schönsten Hopfen stark eingebraut und in stets gleichbleibender Güte […] hergestellt“ werde (Ebd., Nr. 41 v. 8. April, 4). Dem öffentlichen Spott hielt man entgegen, dass ein Johann Hoff sich „nur mit ganz vorzüglichen Ideen“ beschäftige, er „dem Publikum nur das Beste vom Besten“ geben wolle. Ihm und seinem Porter müsse man einfach vertrauen (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 60 v. 11. Februar, 9). Werbung als Fortsetzungsroman der Eitelkeiten.

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Bestellungen nur am Stammsitz und ein neuer Konzertort (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 195 v. 27. April, 16 (l.); Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 104 v. 4. Mai, 16)

Viertens veränderte man parallel das Angebot in der Louisenstraße, während das chinesische Ecklokal am Stammsitz nicht mehr weiter erwähnt wurde. Die seit langem angekündigte neue Porterbierbrauerei wurde nur nominell in Angriff genommen, der Lieferdienst auf den Stammsitz zurückgeführt. Neben den Deutschen Porter trat nun vermehrt Bayerisches Bier, auch Bockbier und Ale waren im Ausschank. Zugleich erweiterte man das Konzertangebot, glich sich damit der gängigen Praxis anderer Bierhallen an. Aus der Wiegestätte des Deutschen Porters wurde eine Bierhalle mit Chancen auf Amortisierung der Investitionskosten.

Fünftens aber verlagerte Johann Hoff die Werbung spätestens ab März zunehmend auf sein neues Ausflugslokal, das Schloß Ruhwald. Dort würde eine weitere Porterbrauerei, würde ein Vergnügungsort für Zehntausende entstehen, für die ganze Berliner Bevölkerung. Johann Hoff gab nicht klein bei, verfolgte seinen Geschäftsplan unbeirrt weiter. Zeitgenössischer Spott erreichte ihn nicht, etwa dass Deutscher Porter nicht schmecken wolle, wenn man in das Glas blicken würde (Vom bösen Blick, Berliner Wepsen 6, 1873, Nr. 5, 3). Er trug seinen Kopf oben, verfolgte weiterhin seine Mission.

Abseits von Berlin – Deutscher Porter als Versandware

Johann Hoff hatte seine Pläne eines neuen deutschen Nationalgetränks seit August 1872 reichsweit verbreitet. Geschehen aber war wenig, denn anders als verlautbart war sein Deutscher Porter abseits von Berlin kaum erhältlich. Mit dem Verkaufsbeginn, mit dem Ausschank in eigenen Lokalen änderte sich dies im Frühjahr 1873. Neuerlich wurde die Werbetrommel auch fern der Hauptstadt gerührt, etwa in Baden: „Was Ihr wollt! sagt Herr Johann Hoff in Berlin im neuen Jahr zu seinen Kunden. Er hat nämlich eine Bierhalle in der Louisenstraße gebaut, in welcher das beste bayerische Bier und englischer Porter geschenkt wird, so gut daß es manche Trinker sogar dem Malzextrakt vorziehen“ (Durlacher Wochenblatt 1873, Nr. 11 v. 25. Januar, 2). In der Ferne kannte man das Hoffsche Bier nur aus den Anzeigen, nicht aber spätere Warnungen Berliner Karikaturzeitschriften: „Hier schenkt man deutschen Porter! hieß ein Schild. / Das las ein kund’ger Trinker, ungeheuer / Vom Durst geplagt, allein er ganz wild: / Nein, auch geschenkt ist’s mir zu theuer!“ (Der Unbestechliche, Berliner Wespen 6, 1873, Nr. 34, 3)

Insgesamt lief die Werbekampagne in der Ferne deutlich später an, mit etwa drei Monaten Abstand. Zugleich konzentrierte sich Hoff auf nur wenige Anzeigentexte, verzichtete auf den kommerziellen Fortsetzungsroman, der die hauptstädtischen Zeitungen füllte. Zugleich enthielten die Inserate wesentlich häufiger Preise. Das neue Bier wurde gemeinhin im noch nicht breit entwickelten Fachhandel angeboten, zudem konnte man es sich als Versandbier ins Haus liefern lassen. Doch auch abseits Berlins gab es Verzögerungen, so dass Hoff Ende Januar, Anfang Februar erst einmal Abbitte leisten musste – wie schon seit Anfang Januar in Berlin.

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Produktionsprobleme im Spiegel einer Massenanzeige (Zweibrücker Zeitung 1873, Nr. 29 v. 4. Februar, 4 (l.); Kölnische Zeitung 1873, Nr. 25 v. 25. Januar, 7)

Reichsweit bewarb man den Deutschen Porter und das eigene Lagerbier mit Verweis auf „massenhaft einlaufende Aufträge“. Die begehrten Bierinnovationen waren deshalb „nicht sofort lieferbar“ (Echo der Gegenwart 1873, Nr. 27 v. 27. Januar, 2; Hannoverscher Courier 1873, Nr. 5928 v. 26. Januar, 4; Wittener Zeitung 1873, Nr. 12 v. 28. Januar, 4). Das Weltgeschäft wurde zwar beschworen, kam jedoch nicht recht ins Rollen.

Die Preise waren jedoch recht moderat, 12 Flaschen Porter oder Ale für einen Taler im bürgerlichen Milieu konkurrenzfähig. Und wahrlich: Ab Anfang März konnte grundsätzlich geliefert werden, wurde der Deutsche Porter auch abseits von Berlin vereinzelt ausgeschenkt.

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Hoffs Getränk in Essen (Essener Zeitung 1873, Nr. 56 v. 7. März, 4)

Hinzu trat ab spätestens April 1873 der Flaschenbierverkauf; wobei die Preise nun teils deutlich höher lagen. In Essen wurden beispielsweise 5 Sgr. für eine Flasche der knappen Ware gefordert (Essener Zeitung 1873, Nr. 115 v. 18. Mai, 4). Dennoch, der Verkauf schien offenbar anzurollen.

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Absatz in Aachen – fern von Berlin (Echo der Gegenwart 1873, Nr. 95 v. 5. April, 3)

Der moderate Aufschwung wurde ab Februar durch Werbeanzeigen flankiert. Mittels der schon aus Berlin bekannten Anzeigen wurde dem englischen Porter der Kampf angesagt, der Deutsche Porter als friedliches Kampfmittel gegen den globalen Hegemon präsentiert (Bonner Zeitung 1873, Nr. 45 v. 14. Februar, Bl. 2, 2; Zweibrücker Zeitung 1873, Nr. 102 v. 2. Mai, 4). Der Porter erschien als „neues Nationalgetränk“, als Zukunftsbräu (Dresdner Journal 1873 v. 10. Mai, 648; Bonner Zeitung 1873, Nr. 127 v. 9. Mai, Bl. 1, 2). Dominant war der Lobpreis, die Präsentation des Deutschen Porter als „Perle aller Biere“: Von Februar bis April erschien wenigstens diese eine Anzeige reichsweit – und kündete von der laufenden Umwälzung im Braugewerbe (Echo der Gegenwart 1873, Nr. 42 v. 11. Februar, 4 Wittener Zeitung 1873, Nr. 19 v. 13. Februar, 4; Karlsruhe Tagblatt 1873, Nr. 74 v. 16. März, 7; Jeversches Wochenblatt 1873, Nr. 60 v. 19. April, 7; Passauer Zeitung 1873, Nr. 49 v. 20. Februar, 3; Rosenheimer Anzeiger 1873, Nr. 51 v. 29. April, 4).

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Ausschank in Bielefeld (Bielefelder Wochenblatt 1873, Nr. 63 v. 29. Mai, 4)

Die Werbung fern der Reichshauptstadt war damit epigonenhaft, hofffolgsam. Doch es gab zugleich vereinzelt Annoncen mit eigenständigen Formulierungen (Dresdner Journal 1873, Nr. 97 v. 29. April, 577). Sie boten meist kondensierte Berichte über die großartigen Geschehnisse in Berlin, präsentierten den Deutschen Porter in vermeintlich hauptstädtischem Glanze. Das galt auch für Schloß Ruhwald, dessen gestaltete Natur gepriesen und als Muster großstädtischer Unterhaltungskunst präsentiert wurde, dass „das Publikum wie mit Zaubergewalt nach diesem Fundorte aller Vergnügungen“ hinzog (Bielefelder Wochenblatt 1873, Nr. 68 v. 10. Juni, 2). Und doch: Eine Analyse der Porter-Werbung abseits von Berlin unterstreicht, dass die Hoffschen Verweise auf seine Weltfirma schlicht haltlos waren. Es gab eine gewisse Vermarktung des Deutschen Porters, doch diese blieb weit hinter der des Malzextraktes und der weiterhin laufenden Offerten des Gesundheitsbieres Deutscher Porter durch andere Anbieter zurück. Das Hoffsche „Nationalgetränk“ scheiterte nicht nur in der Hauptstadt, es scheiterte parallel auch in den deutschen Landen.

Scheitern in Schloß Ruhwald

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Die heutige Schönheit Berlins: Blick auf den Volkspark Ruhwald (Uwe Spiekermann, 2019)

1872 hatte der Verleger der Modezeitschrift „Der Bazar“ sein Anwesen Schloß Ruhwald für 280.000 Taler an die Westend-Gesellschaft H. Quistorp verkauft, der dieses im gleichen Jahr an Johann Hoff weiterverkaufte (Hannoverscher Courier 1881, Nr. 11216 v. 27. Oktober, 6). Schloß Ruhwald war 1867/68 im neoklassizistischen Stil erbaut worden, bildete nun jedoch den attraktiven Rahmen einer umfassenden Transformation des Parks in eine Ausschankstätte des Deutschen Porters, in ein volksgartenhaftes Ausfluglokal. Hoff begann unmittelbar mit neuen Bauten, ließ dort 1873 ein Kavaliershaus mit einem heute noch bestehenden, jedoch verfallenden Arkadengang anlegen.

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Noch erhaltener Arkadengang des nach dem Zweiten Weltkrieges abgerissenen, 1873 von Johann Hoff erbauten Kavaliershaus (Uwe Spiekermann, 2019)

Schon im Januar 1873 begann Johann Hoff die Werbetrommel für seinen wichtigsten Grundstückskauf zu rühren – auch als Reaktion auf die nur schwache Resonanz auf seine beiden ersten Ausschankstätten für Deutschen Porter. Solche seien jedoch für ein Nationalgetränk nur ein Anfang. Schon am 20. Mai sollte Schloß Ruhwald öffnen, 10.000 Gäste sollten Platz finden: „Das himmlisch schön gelegene Etablissement wird wie ein Volksgarten eingerichtet werden und es besteht die Absicht, daselbst allwöchentlich regelmäßig prachtvolle Feuerwerke und Concerte abhalten zu lassen. [… Das] Deutsche Nationalgetränk wird alle Plätze füllen!“ (Königlich privilegirte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 2 v. 3. Januar, 14) Mitte Februar folgte die nächste Prozession des großen Porterfasses, das „reich bekränzt, gefolgt von sämmtlichen Beamten und Arbeitern des Etablissements mit Musikbegleitung“ nach dem neuen Außenposten geleitet wurde (Echo der Gegenwart 1873, Nr. 47 v. 16. Februar, 2). Dieser sollte ein Sommerlokal werden, größere Überdachungen abseits der Schankstätten waren nicht geplant (Dresdner Journal 1873, Nr. 97 v. 29. April, 577). Das Gelände wurde fotografiert, eine Ausstellung in Hoffs Ausschanklokalen ergänzte die lockende Werbung. Die Eröffnung wurde auf April vorverlegt, schließlich galt es Einnahmen zu generieren (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 33 v. 20. März, 4). Glaubt man den Inseraten, so schufen viele fleißige Hände einen neuen „Lieblingsort unserer hauptstädtischen Bevölkerung“ (Kladderadatsch 26, 1873, Nr. 17, Beibl. 2, 2).

Dieses Mal gab es keine weiteren Verzögerungen, zu Ostern eröffneten Hoff und sein Ökonom Schloß Ruhwald, den „Ausschank im Fichtenwalde“. Park und Schloß boten mit ihren Naturschönheiten die Kulisse für den Verkauf von Deutschem Porter und Märzen. Flankiert wurde das Vergnügen von Konzerten einer Militärkapelle und abendlichen Feuerwerken. Damit hob sich Johann Hoff deutlich ab von der Konkurrenz der hauptstädtischen Aktienbrauereien und ihren Bierhallen.

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Eröffnung von Johann Hoffs Ausflugslokal Schloß Ruhwald am Ostersonntag 1873 (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 86 v. 13. April, 20)

Hoff pries sein neues Etablissement als den „Tempel des Deutschen Porterbiers“ (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 48 v. 26. April, 4). Säle und Hallen mochten noch nicht fertiggestellt sein, doch „Tausende“ seien zu Gast gewesen, hätten Johann Hoffs Geschäftsplan bestätigt: „Und so geht denn von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde das reizende Etablissement seiner gänzlichen Vollendung entgegen und binnen wenigen Wochen werden wir es in einem Glanze und in einer Pracht dem Publikum übergeben sehen, daß wir mit Recht den Ausspruch machen dürfen: Hier finden wir das beste aller Biere im schönsten aller Locale“ (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 193 v. 26. April, 7).

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Mängel der Bewirtung und kontinuierliche Konzerte (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 90 v. 18. April, 16 (l.); Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 185 v. 22. April, 16)

Auch dies war ein geschönter Bericht, denn dieses Mal musste pünktlich und rasch eröffnet werden – und der Ökonom sah sich genötigt, Abbitte für die noch vorhandenen baulichen Mängel zu leisten. Von den versprochenen „exquisiten Leistungen von Küche und Keller“ war noch wenig zu sehen (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 76 v. 30. März, 36). Doch Schloß Ruhwald lockte nun regelmäßig mit Konzerten – und die Anbindung des zehn Kilometer von der Stadtmitte gelegenen Parks sollte die Pferde-Eisenbahn spätestens ab 1. Juli gewährleisten. Das – zugegeben – „nur provisorisch eröffnete Etablissement“ (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 53 v. 10. Mai, 3) wurde parallel weiter ausgebaut, neben die regelmäßig aufspielende Militärkapelle traten auch andere Klänge, so die der serbischen Hof-Tambura-Kapelle, die sowohl in Schloß Ruhwald als auch in der Louisenstraße auftrat. Man bedauerte allerdings, dass das Ausschanklokal „nicht mehr im Mittelpunkt der Stadt“ liege, denn dann wäre es dank vorzüglichem Deutschen Porter und seiner exzellenten Küche wohl eines der besuchtesten Gaststätten der Hauptstadt (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 219 v. 13. Mai, 7).

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Serbische Tambura-Klänge in Schloß Ruhwald und der Louisenstraße (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 223 v. 15. Mai, 14 (l.); Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 109 v. 11. Mai, 15)

Derweil trieb Johann Hoff die Verwandlung des früheren Herrensitzes zu einem Volksvergnügungsort konsequent voran. Er wollte „dieses für Berlin außergewöhnlich schöne Stückchen Erde aller Welt zum Beschauen und Mitgenießen“ öffnen: Plätze, Anlagen und Gastronomie sollten „von einer fröhlichen, der Sorge für diese Augenblicke enthobenen Menschenmenge“ bevölkert werden, die bis Ende Mai vollendeten Bauten gegen die Unbilden des Wetters schützen (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 53 v. 10. Mai, 3). Die Pfingstfeiertage wurden zur eigentlichen Premiere, die nach Auskunft der Werbeberichte erfolgreich verlief. Fünfzehntausend Erwachsene zahlten Eintritt, Kinder mussten nichts bezahlen: “Doppelconcert, Theater, Beleuchtung durch bengalische Flammen, steigende Luftballons, die in einer gewissen Höhe allerlei niedliche Sächelchen über die Erdbewohner ausbreiten, belustigende Erscheinungen von Thieren, kurz, ein Leben, welches Vergnügen und freudige Ueberraschung auf den Gesichtern des Publikums erkennen ließ, war sowohl am ersten wie am zweiten Feiertage bei den Besuchern Ruhwalds sichtbar“ (Bielefelder Wochenblatt 1873, Nr. 68 v. 10. Juni, 2). Ebenso wichtig waren mehr als 100 Tonnen ausgeschenkten Bieres. Kein Wunder, dachte man, dass sich schon englische Investoren für den Platz interessierten – fast meinte man, die Anzeigen wären auf solche ausgerichtet (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 225 v. 3. Mai, 7; ebd., Nr. 225 v. 22. Mai, 7). Die Werbung sprach jedenfalls von hunderttausenden zukünftigen Besuchern auf dem 26 Morgen großen Areal. Schloß Ruhwald sei der „künftige Centralpunct des Deutschen Porterbieres, welches ja so richtig schnell das Englische Porter auf dem Continente besiegt hat“ – und auf dem Gelände sei eine Porterbrauerei „bereits in Angriff genommen, da die bisherige in Berlin nicht ausreicht, und sie wird, ehe man sich dessen versieht, in unausgesetzter Thätigkeit sein“ (Kladderadatsch 26, 1873, Nr. 25, Beibl. 1, 1).

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Großes Theater – nebst Konzerten und Volksbelustigung (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 126 v. 1. Juni, 12 (l.); Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 261 v. 8. Juni, 14)

Die Transformation des Geländes ging derweil weiter, neben die Konzerte traten Theatervorstellungen mit populären Schwänken. Die Pferdebahn fuhr nun regelmäßig – und das bis spät in die Nacht. Die Werbung hob dies breit hervor, denn zuvor war Einkehr in Schloß Ruhwald meist mit einem längeren Fußweg verbunden (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 267 v. 12. Juni, 8; Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 67 v. 14. Juni, 4). Dreimal wöchentlich gab es nun Illuminationen, bengalische Feuer tauchten das Gelände in verfremdendes Licht (Ebd., Nr. 63 v. 5. Juni, 4). Johann Hoff hatte nach Eigenauskunft das „Privatvergnügen eines Millionairs“ demokratisiert, ein Plateau mit zehntausend Sitzplätzen geschaffen, eine erholsame Wunderwelt für bürgerliches Flanieren, Naturgenuss, eine gute Speise, einen kühlen und erfrischenden Trank (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 273 v. 15. Juni, 9).

Die betriebswirtschaftliche Realität sah jedoch anders aus. Ex post monierten Beobachter, dass Schloß Ruhwald „nur von den unteren Volksschichten besucht wird und keineswegs die Reklame rechtfertigt, welche dafür, in einzelnen Blättern sogar redaktionell, betrieben wird“ (Neues Fremden-Blatt 1873, Nr. 202 v. 24. Juli, 14-15, hier 14). Das alles sei nicht rentabler Humbug gewesen; und Johann Hoff trieb parallel die Gründung einer neuen Aktiengesellschaft voran, der Baubank Imperiale, der er das Etablissement für 2½ Millionen Taler verkaufen wollte. Das aber sollte nicht klappen.

Schon vor dem Scheitern solcher Verkaufspläne zog man intern die Reißleine und veränderte das Angebot. Zum einen nahm die Werbepräsenz des Deutschen Porters zunehmend ab. Hatten anfangs die Anzeigen die Hoffsche Hofbrauerei und ihr Leitprodukt immer prominent hervorgehoben, so traten diese im Laufe zunehmend in den Hintergrund. Parallel bewarb man verstärkt die Bierauswahl von Porter, Ale und Lagerbier. Wichtiger aber war zum andern die neuerliche Transformation des Vergnügungsprogramms. Die gestaltete Natur des Parks pries man, doch sie wurde zunehmend Beiwerk, Mittel zum Zweck. Schloß Ruhwald mutierte zum Veranstaltungsort, zum Stelldichein des Mittelstandes. Kapellmeister Gustav Roßberg präsentierte mit dem Musikkorps des 4. Garderegiments flott getaktete Weisen und eigene Kompositionen, die teils vor Ort uraufgeführt wurden. Der Park wurde konzertant genutzt, um „Tongemälde aufführen“, um dem Publikum neuartige Raumerlebnisse zu bieten (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 287 v. 24. Juni, 8).

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Possen, Patriotismus und Porterbier (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 289 v. 25. Juni, 14 (l.); Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 149 v. 29. Juni, 15)

Parallel träumte Johann Hoff von weiterer Expansion: Die Porterbrauerei sollte im Herbst vollendet, in Berlin ca. 60 Ausschanklokale gegründet werden (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 72 v. 26. Juni, 4). Dies dürfte, wie auch weitere Angaben über den Export von einer Millionen Flaschen Porter und Ale, weniger auf potenzielle Besucher, eher auf potenzielle Investoren gerichtet gewesen sein. Das galt ebenso für die letzte Ausbaustufe von Schloß Ruhwald. Neben Konzerte und Schwänke traten nun auch nationale Weihefeste. Jahrestage der Schlachten von Königgrätz (3. Juli) und Gravelotte (18. August) wurden für Reenactments genutzt: „Bei hereinbrechender Dämmerung wird ein großartiges Schlachtfeuerwerk abgebrannt, welches die Einnahme von Königgrätz, das Defilée der Truppen durchs Gebirge und den Einzug der Sieger darstellt. Kanonendonnner und bengalische Beleuchtung nebst electrischem Licht werden den hierzu nothwendigen Effect hervorbringen. Das ganze Etablissement wird prachtvoll illuminirt und decorirt werden. Zum Schluß findet ein großartiger Zapfenstreich und Gebet statt“ (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 74 v. 1. Juli, 4). Wie schön doch der Krieg ist, wenn er sich auf Sieg reimt, und nicht mit Blut, ausquillenden Därmen und dem letzten Ruf zur Mutter verbunden ist. Der Park wurde zum Riesensandkasten, Sturmangriffe wurden nachgespielt, Preußens Gloria erschien nun auch in elektrischer Beleuchtung (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 309 v. 6. Juli, 7-8). Auf dem Gelände wurden Heerführerbilder ausgestellt, die Ruhwaldschen Felsen spielten die Gebirgspässe Böhmens: „Dazu Festtheater, Illumination, Ballons, Feuerwerk etc. etc.“ (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 297 v. 29. Juni, 7). Karl Kraus hätte auf Schloss Ruhwald schon lange vor seiner „Reklamefahrt in die Hölle“ entsprechendes Material gefunden.

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Gefahren der weiten Fahrt nach Schloß Ruhland (Berliner Wespen 6, 1873, Nr. 21, 4)

Doch selbst das nationale Spiel im Grünen konnte nicht alles überdecken. Betrunkene Gäste waren leichte Opfer für Diebe; und darüber wurde gerne berichtet. Bis in die USA verbreitete sich Schloss Ruhwalds Ruf als „Monstrum von Wirthshaus-Prellerei“, drang Kunde über „liederliche Wirthschaft und die systematische Prellerei auf Schloß Ruhwald“ (Aus des Deutschen Reiches Hauptstadt, Illinois Staats-Zeitung 1873, Nr. 37 v. 16. September, 2). Ein späteres Resümee klang weniger dramatisch: „Berliner Familien setzen sich an frisch gestrichene Tische und eilige Kellner schleppten gefüllte Seidel herbei. Aber der Name des Schlosses, so poetisch er klingt und so anheimelnd er dem Lyriker sein mag, schien das Verhängnis des öffentlichen Lokals zu werden. Es war in der Tat ein Ruhwald, das Leben erstarb, immer mehr und mehr, schließlich herrschte selbst an Sonntagen solche Ruhe, daß Johann Hoff die Thore wieder schließen ließ“ (Vorwärts 1891, Nr. 239 v. 13. Oktober, 8). An der Schließung im August hatte der Deutsche Porter beredten Anteil: „Trüb, übelriechend und schlammig fließt der Rest deutschen Porterbieres zum Orkus hinab: Johann Hoff […] macht die Bude zu, und Barklay und Perkins in London athmen erleichtert auf. Der gewichtige Spruch: ‚Ruhmvoll besiegt deutsches Porterbier englisch Porter hier‘ wird nicht mehr alle Zeitungsbeilagen zieren, Schloß Ruhwald wird nicht ferner von Leuten umlagert sein, deren Stoffwechsel Herr Hoff unbarmherzig beschleunigt hat“ (Erheiterungen. Belletristisches Beiblatt zur Aschaffenburger Zeitung 1873, Nr. 166 v. 23. Juli, 3-4, hier 3).

Zahlungseinstellungen und Bankrott

Der Gründerboom erreichte im Frühsommer 1873 Höhepunkt und Ende zugleich. Am „Schwarzen Freitag“, dem 9. Mai 1873, kollabierte in Wien die Börse, doch es schien einige Zeit, als könne ein weiteres Ausgreifen der Krise verhindert werden. Angesichts der internationalen Verflechtungen im Kredit- und Anleihegeschäft zerstoben diese Hoffnungen im Spätsommer. Zahlreiche Bankrotte an der New Yorker und schließlich auch der Berliner Börse läuteten den Beginn einer längeren Wirtschaftskrise ein. Die Vorzeichen waren jedoch schon im Sommer nicht zu übersehen. Am 17. Juli brach das Hypothekengeschäft Isidor Filehnes zusammen, am 18. konnte Johann Hoff anstehende Zahlungen nicht mehr leisten: „Dieser Vorfall macht hier [in Berlin, US] großes Aufsehen und es wird besorgt, Zahlungseinstellungen anderer Speculanten dürften nicht ausbleiben“ (Hallesches Tageblatt 1873, Nr. 153 v. 20. Juli, 713).

Die Wirtschaftspresse behandelte den Fall als eine zwar gravierende, dennoch zu handhabende Affäre. Sie schien eine nur „augenblickliche Zahlungsstockung“ (Deutsche Reichs-Zeitung 1873, Nr. 197 v. 19. Juli, 3) zu sein, hervorgerufen durch unglückliche „Terrainspeculationen“ (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 330 v. 18. Juli, 3). Doch Johann Hoff war reich, galt als der höchstbesteuerte Berliner (Der Beobachter 1873, Nr. 168 v. 22. Juli, 4). Und so war man am 18. Juli zuversichtlich, dass mit den Gläubigern ein Arrangement erzielt werden könne – auch, um weitere Dominoeffekte auf die beteiligten Kreditgeber zu verhindern. Am 19. Juli fand ein erstes Treffen „dreier Unbetheilgter“ (Fremden-Blatt 1873, Nr. 199 v. 21. Juli, 4) statt – und die von der Preussischen Hypotheken-Versicherungs AG erstellte Vermögensübersicht stimmte sanierungsfroh: Hoff besaß Häuser und Grundstücke im Werte von 1,944,633 Taler. Die Hypotheken lagen bei 360,811, die Wechselschulden bei etwa 900.000 Taler. Der Überschuss betrug demnach 683,822 Taler; wenngleich es warnend hieß, dass er „nicht sogleich flüssig gemacht werden kann“ (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 332 v. 19. Juli, 3).

Eine Gläubigerversammlung wählte am 20. Juli ein sechsköpfiges Komitee, das die Aktiva realisieren und alles erforderliche tun sollte, um die Schulden zu bedienen: „Die anwesenden Gläubiger waren sämmtlich mit den gemachten Vorschlägen einverstanden und cedirte Herr Joh. Hoff an dieselbe behufs Sicherstellung seine sämtlichen Grundstücke und Liegenschaften“ (Ebd., Nr. 334 v. 21. Juli, 4). Hoff verlor damit die Kontrolle über zentrale Bestandteile seines Geschäftes, doch die Zeitungen meldeten sanierungssicher, dass das Geschäft fortgeführt werden könne. Es gab eine temporäre Zahlungsstockung, eine formelle Zahlungseinstellung, eine Insolvenz gab es jedoch nicht (Die Presse 1873, Ausgabe v. 22. Juli, 11). Doch schon kurz darauf wuchsen die Zweifel: Hoff sah sich außerstande, die von ihm zuletzt geschalteten Anzeigen zu bezahlen (Berliner Gerichts-Zeitung 1873, Nr. 84 v. 24. Juli, 3). Und das neugegründete Komitee konnte seine Arbeit noch nicht aufnehmen, weil rechtliche Zweifel bestanden, ob die von Hoff gewährten Zugriffsrechte auf „seine“ Aktiva rechtens seien (Deutsche Reichs-Zeitung 1873, Nr. 201 v. 23. Juli, 2). Der parallele Zusammenbruch der Berliner Hypotheken-, Credit- und Bau-Bank unterstrich den Unterschied von Werten und Buchwerten (Ebd., Nr. 204 v. 26. Juli, 2).

Johann Hoff hatte dem Comité gegenüber „sich der selbständigen Disposition über sein Vermögen zu enthalten verpflichtet“ (Wittener Zeitung 1873, Nr. 86 v. 26. Juli, 1). Die Gläubigerversammlung am 25. Juli ließ zu befürchten, „daß trotz aller dagegen gerichteten Bestrebungen die Anmeldung des Concurses werde erfolgen müssen“ (Kölnische Zeitung 1873, Nr. 204 v. 25. Juli, 6). Die Bücher schienen nun unsicher, die Angaben Hoffs zweifelhaft, so dass sich das Komitee weigerte, die Aktiva aufzunehmen und dafür die Schulden abzuwickeln (Leipziger Tageblatt 1873, Nr. 207 v. 26. Juli, 3724). Hoff hatte all dies wahrscheinlich kommen sehen. Mit der Gründung der Baubank Imperiale – nominell ausgestattet mit einem Kapital von 18 Mio. Talern – hatte er noch im Juni versucht, die Grundstücke seines Portergeschäftes an eine andere Firma gewinnträchtig zu verkaufen (Leipziger Tagblatt 1873, Nr. 184 v. 3. Juli, 16). Doch er hatte insbesondere für Schloss Ruhwald einen zu hohen Preis gefordert, so dass zwar ein Abschluss erzielt wurde, das Geschäft aber mangels Kapitals letztlich scheiterte (Hannoverscher Courier 1873, Nr. 6182 v. 22. Juli, 2; Hamburger Nachrichten 1873, Nr. 177 v. 27. Juli, 4). Wahrscheinlich wäre die Imperiale aber ohnehin nicht in der Lage gewesen, die notwenigen Zahlungen zu leisten, denn es handelte sich vorrangig um eine Börsenfiktion. Johann Hoff war zudem gesundheitlich indisponiert. Bei der Besichtigung seines Besitzes am Louisenplatz hatte er sich – nach eigenem Bekunden – bei den Verkaufsverhandlungen im Eiskeller eine „Erkältung des Gehirns“ zugezogen, war anschließend auf einer Hintertreppe schwer gestürzt (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 179 v. 3. August, 18). Gleichwohl beharrte das Berliner Stadtgericht auf Hoffs Anwesenheit vor Gericht, um die sich häufenden Wechselklagen behandeln zu können (Leipziger Tageblatt 1873, Nr. 227 v. 15. August, 4050). Ende Juli 1873 war klar, dass Johann Hoff die Kontrolle über sein Geschäft verlieren würde.

Reaktionen auf den Abstieg

Die Zahlungsschwierigkeiten und der drohende Konkurs führten zu einer beträchtlichen Resonanz in der Öffentlichkeit. Unglauben und Häme begleiteten viele Meldungen: War er wirklich gescheitert, er, der „durch seine übertrieben großen, marktschreierischen Annoncen bekannte Malz-Extract-Fabrikant Johann Hoff in Berlin“ (Sächsische Dorfzeitung 1873, Nr. 56 v. 22. Juli, 7)? In den Wirtschaftsteilen wurde vorrangig distanziert-sachlich berichtet, standen die Rettungsversuche und die möglichen Auswirkungen auf die Börse im Mittelpunkt. Doch ohne Schadenfreude ging es nicht, zumal im Ausland. Aus dem gebeutelten Wien hieß es: „Die Berliner Börse wurde am 18. d. M. durch die Nachrichten von der Zahlungsstockung des bekannten Reclamehelden und Malzextract Fabrikaten Johann Hoff in sehr unangenehmer Weise deprimirt. Hoff’s Relation zur Börse leitet sich daher ab, daß der Mann über Hals und Kopf in Grundspeculationen steckt und sich momentan nicht flott machen konnte. […] An seinem Malzbier wäre Hoff, hätte er sich darauf beschränkt, sicherlich nicht zu Grunde gegangen. Vielleicht curirt es ihn auch wieder“ (Börse und Malzextract, Der Reporter 1873, Nr. 166 v. 22. Juli, 3).

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Ein Abgang in Reimen (Kladderadatsch 26, 1873, Nr. 34, Beibl. 1, 1 (l.); Berliner Wespen 6, 1873, Nr. 30, 3)

Die lokalen Karikaturzeitschriften reagierten mit gewisser Trauer auf den möglichen Verlust einer öffentlichen Figur, die schon für viele Lacher gedient hatte: „Vater Hoff hat eingepackt / Und geschnürt sein Bündel? / Manchmal hilft doch Malz-Extract / Auch nicht gegen Schwindel! / Große Trauer dort und hier / In den Deutschen Gauen: / Wer wird Deutsches Porterbier / Uns in Zukunft brauen? / Deutschland, du wirst wieder klein! / Armes Deutschland, denke, / Jetzt hast du nun wieder kein / Nationalgetränke! / Einer nach dem Andern, der / Sonst und ließ genesen, […] / Vater Hoff, du bliebst allein / Treu uns gegenwärtig; / Aber jetzt – was kann da sein? – / Bist auch du schon fertig?“ (Kladderadatsch 26, 1873, Nr. 34, Beibl. 1, 1). Zugleich hieß es angesichts großtönenden Wagemutes, Hoff hätte doch weniger groß aufspielen sollen. Die virtuelle Dame Reklame klagte beredt: „Johann, mein Hoff, war das der Lohn? / Ich liebte, Dein Weib, Dich unendlich, / Da, mit der Andern, der Spekulation, / Hast Du mich verrathen schändlich. / Es ist heraus! Ich machte Dich groß, / Doch Alles, was ich Dir brachte, / Warfst Du der Anderen in den Schooß, / Die elend Dich dafür machte. / Du Ungetreuer! Sie zog Dich aus, / Die feilste aller Maitressen, / Hat abgeschmeichelt Dir Schloß und Haus, / Die Mitgift, die ich besessen. / Du warfst Dich verliebt an ihren Hals, / Sie hat Dir Treue geschworen, / Jetzt ist verloren so Hoff als Malz, / Ach, jetzt ist Alles verloren!“ (Berliner Wespen 6, 1873, Nr. 30, 3). Hoff schien „Ruhmvoll besiegt“, war doch das Leben „zu grausam gegen den Malz-Millionär“ (Berliner Wespen 6, 1873, Nr. 30, 3 resp. 4). Allerdings nicht so grausam, dass er selbst von seinem Deutschen Porter getrunken hätte, „um sich den Verfolgungen seiner Gläubiger zu entziehen“ (Berliner Wespen 7, 1873, Nr. 31, 2).

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Der Deutsche Porter entschuldigt sich (Kladderadatsch 26, 1873, 134)

Hoff wurde auch in der ausländischen Presse durch den Kakao oder andere braune Brühe gezogen, denn die Diskrepanz zwischen werblicher Selbstdarstellung und profanem Ende bedurfte einer Einordnung: „Ein fürchterliches Sterben wird stattfinden und die Welt verheeren, falls nicht die Schaar der Gläubiger eines großen Mannes sich zusammenthut, um uns vor diesem Unheil zu bewahren. Johann Hoff, der Retter der Menschen aus den Fährnissen aller möglichen Krankheiten, vom Tode und von der Gewalt des Doktors, – Johann Hoff ist insolvent, und hat, vom Geiste Banquo’s böse heimgesucht, seine Zahlungen eingestellt; sein Malzextrakt soll fürder nicht mehr als flüssige Gesundheit die Adern der Welt durchströmen und ‚Deutsch Porterbier‘ nicht mehr als Pelikan aus der Asche des seligen Stayl aufsteigen, um nicht nur ‚Englisch Porter‘, sondern auch ‚habituelle Leibesverstopfung‘ siegreich zu verdrängen, – falls eben, wie gesagt, nicht die Gläubiger des großen Propheten aller Gläubigen ein Einsehen haben und dem Wohl der Menschheit zu Liebe einen Accord schließen, der ihn und das Menschengeschlecht vor dem Untergang rettet“ (Tagblatt der Stadt Biel 1873, Ausg. v. 23. Juli, 4).

Im Lande des Porters, wo man die Herausforderung des Deutschen Porters nie ernst genommen hatte, hieß es ebenso süffisant: “Johann Hoff, called (by himself) the ‘benefactor of mankind.’ Yes, him have I found—but in the bankrupt list. The man whose miracles, by means of his ‘porter-beer,’ made those in the New Testament look very old-fashioned, and out of date, is discovered to be no better than his own Wunder-Trank—a humbug” (Letter from Berlin, The Scotsman 1873, Nr. 9378 v. 15. August, 2). Kurz darauf, als die Cholera sich in Danzig, Breslau, Dresden und auch in Berlin, am Schiffbauerdamm, gegenüber von Hoff, ausbreitete, spann man in Großbritannien eine vom Kladderadatsch erfundene Anekdote fort (The Evening Standard 1873, Nr. 15288 v. 27. September, 3): Der in Berlin weilende Schah nutzte den Hoffschen Porter, um heimische Rivalen mit Prösterchen aus dem Weg zu räumen. Bis Ende November wurde diese kleine Notiz in dutzenden Zeitungen übernommen:

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Häme über die Qualität des Deutschen Porters – auch international (Edinburgh Evening News 1873, Nr. 57 v. 31. Juli, 4)

Johann Hoffs Abgang machte also auch Spaß, zumindest den nicht Beteiligten. Parallel aber hatte sich auch Obergerichtsanwalt Dr. Georg Setzer, Verwaltungsrat der Ersten Ale- und Porterbrauerei in Hemelingen aus dem Staub gemacht. Zuvor hatte er inexistente Aktien der Firma in Höhe von 80.000 Talern verkauft, ferner Gelder verschiedener Privatanleger unterschlagen (Pfälzischer Kurier 1873, Feuilleton, Nr. 63, 252). Setzer setzte sich offenkundig ins Ausland ab, von der Türkei, von Holland war die Rede. Schon 1869 hatte er das beträchtliche Vermögen seiner Gattin verspekuliert, musste Privatbankrott anmelden. Doch die Spekulationswelle der frühen 1870er Jahren erlaubte ihm einen Neueinstieg (Hannoverscher Courier 1873, Nr. 6145 v. 30. Juni, 3). Der Hype um Deutschen Porter boten ihm und den Aktienkäufern zeitweilig Träume vom raschen Gewinn (Leipziger Tagblatt 1873, Nr. 184 v. 3. Juli, 16). Anders als Setzer blieb Johann Hoff vor Ort, stand mit seinem Vermögen ein und stellte sich bis zur Liquidierung der Geschäfte zahlreichen Wechselklagen.

Liquidierung

Parallel lief die Schlachtmusik in Schloß Ruhwald aus, die Werbung für Hoffs Malzpräparate weiter. Das Gläubigerkomitee setzte seine Tätigkeit fort, um einerseits den Konkurs abzuwenden, anderseits aber die Ansprüche der Gläubiger zu bedienen.

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Fern der Schlachtmusik – Letzte Konzerte in Schloß Ruhwald und kontinuierliche Werbung für Johann Hoffs Malzextrakt (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 191 v. 17. August, 14 (l.); Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 405 v. 31. August, 8)

Die Wirtschaftspresse veröffentlichte in den folgenden Wochen zahlreiche Details nicht nur zu Hoffs Geschäften, sondern zu den dahinterstehenden Firmen- und Personennetzwerken. Indirekt spiegelten sich diese auch in raschen Absetzbewegungen früherer Geschäftspartner Hoffs. Den Beginn machte die Deutsche Prämien-Credit- und Renten-Bank, für die Hoff als Direktor tätig war (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 340 v. 24. Juli, 2). Treibende Kraft der am 4. März 1873 mit einem Grundkapital von 2 Mio. Talern gegründeten Bank war der Lotterieveranstalter Siegfried Braun (Die Berliner Banken, bearb. v. Rudolph Meyer, Berlin 1873, Nr. XCIV, 1-7). Spielbanken wurden Ende 1872 reichsweit verboten, die neue Firma sollte dem Bürger eine Alternative bieten, indem sie Lotterien zwischenfinanzierte, die in kleinen Tranchen jedem den Traum vom großen Gewinn ermöglichten (Problematische Existenzen, Nachrichten für Stadt und Land 1873, Nr. 53 v. 8. März, 2). Die Geschäfte kamen nicht recht in Gang, im Dezember 1873 wurde die Liquidation der Bank beschlossen, die Verluste waren gering (Karl Wilhelm Kunis, Neueste Münz-, Maass- und Gewichtskunde, 5. neubearb. Aufl, Bd. 2, Leipzig 1879, 414). Das Beispiel zeigt, dass Hoff Investitionen deutlich über das Malz- und Biergeschäft hinaus getätigt hatte.

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Finanzierung bürgerlichen Glücksspiels (Königlich privilegierte Berlinische Zeitung 1873, Nr. 167 v. 20. Juli, 16)

Wichtiger noch war die Abkehr von Hoffs wichtigstem finanziellen Partner, der Vereinsbank Quistorp. Sie verweigerte im August einen außergerichtlichen Vergleich, forderte die vorrangige Bedienung ihrer Forderungen (Deutsche Reichs-Zeitung 1873, Nr. 234 v. 25. August, 4). Der Konkurs des Hoffschen Geschäftes schien dadurch zeitweilig unabwendbar (Die Presse 1873, Nr. 235 v. 26. August, 12). Solche Forderungen standen für die mittlerweile tiefgreifende Zerrüttung der Kreditverhältnisse in Berlin, für das von nahenden Zahlungsterminen geprägte Handeln vieler Unternehmer. Der Zusammenbruch der Vereinsbank markierte Anfang Oktober denn auch den Höhepunkt der Berliner Börsenkrise 1873.

Hoff, Braun und Quistorp standen öffentlich für den „Börsenschwindel“, der langwierige Auswirkungen auf den Finanzplatz Deutschland haben sollte: „Wie es möglich geworden ist, daß ein Crösus, wie Johann Hoff, der durch jahrelange fortgesetzte erfolgreiche Spekulation auf die Dummheit seiner Mitmenschen sich anerkannt so enorme Mittel erworben hat, jetzt seinen Verbindlichkeiten nicht nachkommen kann, wäre rätselhaft“, würde man nicht die allgemeine Spekulation betrachten (Nachrichten für Stadt und Land 1873, Nr. 85 v. 24. Juli, 1). Aus der Gier vieler Einzelner ergab sich ein Sittengemälde der Gründerzeit: „Die Corruption an der Börse […] ist so groß, daß man die Bestechlichkeit der Presse für selbstverständlich und jeden für einen Thoren hält, der allen Beeinflussungen sich unzugänglich zeigt und die Interessen des Publikums über einen schnöden Geldvortheil stellt“ (Berliner Städtisches Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik 1, 1874, 196). Obwohl bei Otto Glagau (1834-1892), dem antisemitischen Investigationsschriftsteller, nicht genannt, galt Johann Hoff als typischer Schwindler und Spekulant: „Die Börsenleute zogen Porter und Ale vor oder vertieften sich in gewisse Weinkeller mit geheimen Gemächern, welche später von der Polizei ihres eindeutigen Charakters wegen verboten wurden“ (Die Biere Bayerns in Berlin, Münchener Gastwirths-Zeitung 3, 1892, Nr. 4, 1).

In Berlin gelang es den Gläubigern dennoch, die Hoffschen Geschäfte so weit zu stabilisieren, dass eine Auffanggesellschaft gegründet werden konnte. Ein außergerichtlicher Masseverwerter wurde eingesetzt, dem es nach Begleichung vorrangiger Ansprüche Anfang September gelang, die vorhandenen Aktiva in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien zu überführen: „Das Geschäft mit dem aus saurem Bier, Gummi, Syrup, Faulbaumwurzel etc. bestehenden Gebräu […] will man fortsetzen“ (Der Zeitgeist 1873, Nr. 46 v. 27. Juli, 2). Die neue Gesellschaft sollte ein Aktienkapital von 1,2 Mio. Talern haben, Johann Hoff davon ein Drittel halten (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 439 v. 20. September, 3). Dadurch konnten die Zahlungen wieder aufgenommen werden. Das öffentliche Fazit war ernüchternd: „Mit Ausnahme einiger einziehbarer Forderungen und Außenstände (ein großer Theil der letzteren ist muthmaßlich nicht beizutreiben), besteht die ganze, den Gläubigern überlassene Masse in Grundstücken, die sehr schwer zu realisiren sind, und die, wenn selbst realisirt, nach Abtragung der darauf haftenden hypothecarischen Lasten für die Gläubiger nur einen sehr geringfügigen Resterlös übrig lassen dürften. Die Ausnutzung der Bierfabrication und der übrigen Malzfabrikate erweist sich, wie sie sich schon im Hoff’schen Privatbesitz während der letzten Jahre erwiesen hat, als eine höchst unfruchtbare. Niemand beißt mehr auf Extract, Bonbons und Chocolade an, seitdem die Concurrenten Alles bei Weitem billiger und besser liefern“ (Kölnische Zeitung 1873, Nr. 291 v. 20. Oktober, 6).

Für Johann Hoff bedeutete all dies einen tiefen Einschnitt. Am 2. Oktober 1873 wurde in Berlin die „Johann Hoff, Commanditgesellschaft auf Actien“ gegründet. Sie übernahm das bisherige Geschäft und die Grundstücke, führte zugleich aber den Betrieb mit Malzpräparaten fort. Johann Hoff wurde zusammen mit dem Berliner Kaufmann Moses Blumenthal persönlich haftender Gesellschafter. Er verlor allerdings seine unternehmerische Handlungsfähigkeit, war alleine nicht mehr zeichnungsfähig (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 463 v. 4. Oktober, 11). Am 23. Oktober 1873 wurde die bisherige Firma Johann Hoff im Handelsregister gelöscht (Deutscher Reichsanzeiger 1873, Nr. 253 v. 27. Oktober, 5). Am 7. November schied Johann Hoff aus dem Vorstand der Neu-Friedrichsthaler Glashüttenwerke aus (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 533 v. 14. November, 12). Die Firma ging 1877 in Konkurs (Deutscher Reichsanzeiger 1877, Nr. 101 v. 1. Mai, 8), überstand das Verfahren und etablierte sich als eine führende Glashütte in Posen. Am 18. November wurde Hoffs Filiale in Hamburg aufgehoben (Hamburgischer Correspondent 1873, Nr. 274 v. 20. November, 2).

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Verrottende Reste eines Schlossparks: Kopien der von Carl Cauer (1828-1885) gestalteten Büsten von Ludwig von Schaeffer-Voit (1819-1887) und seiner Gattin Margarethe Voit (1820-1894) im Ruhwaldpark (Uwe Spiekermann, 2019)

Fortsetzung des Geschäfts in altbewährter Weise

Nachdem Johann Hoff intern seine Macht- und Leitungspositionen verloren hatte, begann ab Mitte November 1873 abseits von Berlin der Abverkauf des noch vorhandenen Deutschen Porters (Bonner Zeitung 1873, Nr. 315 v. 15. November, 3). Dazu griff man auf das schon im Februar 1873 erstellte Gutachten des Breslauer Chemikers Theobald Werner zurück, strich dessen Prädikat „vorzüglich“ heraus, seine Einschätzung als „Nationalgetränk“: „Seine Ausführung hält die Ehre unserer vaterländ. Industrie aufrecht und räumt dem Deutschen Porterbier einen höheren Rang ein, als selbst dem besten Englischen Porter“ (Central-Volksblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg 1873, Nr. 93 v. 19. November, 3; ebenso etwa Teltower Kreisblatt 1873, Nr. 95 v. 26. November, 379; Zeitung für Lothringen 1874, Nr. 22 v. 28. Januar, 4). Zugleich druckte man das Gutachten selbst auszugsweise ab (Iserlohner Kreisblatt 1873, Nr. 135 v. 15. November, 2).

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Konzessionen für den Abverkauf in der Ferne (Iserlohner Kreisblatt 1873, Nr. 134 v. 13. November, 4)

Zudem bemühte man sich um neue Großhändler, die den Deutschen Porter fern des Ortes seines Scheiterns verkaufen sollten (Karlsruher Zeitung 1873, Nr. 274 v. 21. November, 4; ebd., Nr. 281 v. 29. November, 4). Der Erfolg dürfte begrenzt gewesen sein, die Bemühungen zogen sich bis mindestens Januar 1874 hin (Zeitung für Lothringen 1874, Nr. 28 v. 28. Januar, 4). Auch das Versandgeschäft wurde zumindest bis zu diesem Zeitpunkt aufrechterhalten (Hannoverscher Courier 1874, Nr. 6472 v. 13. Januar, 4).

Weit wichtiger war jedoch die Fortführung des Kerngeschäftes. Spöttisch hieß es: „Deutscher Porter- und Malzextract müssen ohne Barmherzigkeit weiter getrunken werden, damit für die Gläubiger noch etwas herauskommt“ (Kladderadatsch 26, 1873, 162). In der Tat nahm die Werbung wieder Fahrt auf, schon Ende Oktober kündigten die neuen Besitzer an, die Brauerei und die Kelleranlagen aufgrund wachsender Bestellungen des Malzextraktes zu vergrößern (Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 498 v. 25. Oktober, 8). In den Anzeigen schien die Position der Werbefigur Johann Hoff unangefochten, ebenso die des vorzüglichsten „Heilnahrungsmittel, […] jenes göttliche Geschenk, welches der leidenden Menschheit gegeben wurde“ (Ein enormer Consum, Berliner Börsen-Zeitung 1873, Nr. 548 v. 23. November, 8). Man druckte, wie in diesem Falle, einfach alte Anzeigen nach – doch neue sollten in großer Zahl folgen.

Hoff verließ nach dem Konkurs Berlin in Richtung St. Petersburg, wo er nicht nur Malzpräparate, sondern auch Porterbier produzierte und verkaufte. Warnungen begleiteten ihn: „Doch nun kommt aus Berlin der Hoff, / Nun, Russe, nimm Dich wohl in Acht! / Nun braut er seinen Porter Dir, / Der Jeden radikal kurirt / Vom Uebermuth, der dieses Bier / Mit durst’gen Lippen je berührt!“ (Unfehlbares Gebräu, Berliner Wespen 8, 1875, Nr. 2, 2) 1878 gründete er mit Hilfe seiner Frau in Berlin eine neue Handelsfirma, die 1880 die Kontrolle über die Malzpräparate wiedererlangte. 1881/82 folgte die Filiale in Hamburg. Zuvor, 1881 hatte Victor Schäffer-Voit Schloß Ruhwald zurückerworben. Die Kommanditgesellschaft auf Aktien bestand weiter, liquidierte ihre Aktiva bis 1888 und löste sich dann auf.

Johann Hoff starb als reicher Mann am 16. März 1887 in Berlin. Lapidar hieß es: „In der Gründerzeit ließ er sich zu Speculationen verleiten, die er mit schweren Verlusten büßen musste. Er konnte aber die finanziellen Schäden, die damals erwachsen waren, bald wieder verwinden“ (Prager Tageblatt 1887, Nr. 78 v. 19. März, 3). Seinem „Deutschen Porter“, „welcher eine Zeit lang in vielen Städten verkäuflich war“ (Carl Reclam und J. Ruff, Das Buch der vernünftigen Krankenpflege, Leipzig 1889, 179), wurde kaum mehr gedacht – auch wenn Hoffs frühere Wettbewerber weiterhin andere Biere unter diesem Namen verkauften. Derweil hatte sich das bayerische Lagerbier als deutsches Nationalgetränkt etabliert – und gewann die Weltgeltung, von der Johann Hoff so sehr geträumt hatte.

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Grabstätte von Johann Hoff und seiner Frau Johanna (1828-1894) auf dem Jüdischen Friedhof Weissensee (Uwe Spiekermann, 2019)

Uwe Spiekermann, 29. März 2024

Fern von den Konsumenten: Biermarketing in Deutschland 1890-1970

Die Konsumenten fristen in der wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung bis heute ein Schattendasein. Wie sie erfassen, welche Quellen dazu nutzen? In den Blick nehmen lassen sich vor allem ihre Handlungen. Welche Wahlmöglichkeiten bestanden, was wurde gekauft, und wie wurde mit den Waren umgegangen? Markthandeln steht dann im Mittelpunkt. Das Rollenwesen „König Kunde“ zeichnet sich vor allem durch seine Kaufkraft aus, erscheint als funktionaler Akteur im Wirtschaftsgeschehen, Ausgangs- und Endpunkt der Produktion und des Handels.

Die historische Forschung hat diesen Mythos der Souveränität vielfach fundiert hinterfragt, verfehlt das Bild freien ungebundenen Kaufens und Wirtschaftens doch die Realität moderner Konsumgütermärkte. Dort dominieren die Strukturen und Zwänge des Marktes, vor allem aber das Agieren der Händler und Produzenten, der Marketingspezialisten und Wissenschaftler. Diese – so die immer wieder vernehmliche Aussage – würden sich letztlich an einem wie immer gearteten Konsumentenbild orientieren. Die Herrschaft und die Eigeninteressen der Marktexperten interessieren dagegen weniger. Das zeigt sich prägnant an den einfachen Stufenlehren, mit deren Hilfe Konsumgesellschaften gerne periodisiert werden: Da geht es von der Produkt- über die Absatz- hin zur Markt- und Verbraucherorientierung. Oder aber von fragmentierten zu nationalen Märkten, dann zur Marktsegmentierung und immer kleinteiligeren Mikrosegmentierung. Die Konsumenten sind, sprachlich zumindest, irgendwie immer dabei.

All dies hat seinen Wert. Doch müsste man nicht selbstkritisch fragen, was der Eigenwert der Geschichtswissenschaft ist, und ob gängige ökonomische und psychologische Modelle und Normen nicht mehr verdecken als erhellen. Erlauben sie wirklich einen „realen“ Bezug zum „Markt“ – oder sind sie nicht primär schwache Krücken im Angesicht der Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit des Konsums? Um hierauf zu antworten, gilt es konkreter rückzufragen: Waren und sind Konsumenten relevante Größen im Marktgeschehen – zumal aus Sicht der Produzenten? Welche Bedeutung messen diese ihnen zu? Wie definieren sie ihr Gegenüber, wie konstruieren sie es? Um derartige Fragen zu beantworten, sind empirische Fallstudien unverzichtbar.

Das Konsumgut Bier eignet sich dafür besonders gut, handelt es sich doch um ein neu gestaltetes Massenkonsumgut des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dessen erste Konsumspitze um 1900 lag, die dann Mitte der 1970er Jahre nochmals übertroffen wurde, ehe der Konsum langsam zurückging. Es gab also – die vielfältigen Brüche dieser Zeitspanne mitdenkend – wiederholte Phasen von Wachstum, Stagnation und Rückgang. Unternehmerisches Kalkül und Expertenwissen waren also immer wieder gefordert, um das kühle Nass dem Konsumenten darzubieten.

Bier läuft – Der Konsument während des Kaiserreichs

Bevor wir starten, müssen wir aber über unseren Gegenstand nachdenken. Denn auch wenn zwischen dem untergärigen Vollbier, das als Helles oder aber als feines Pils um 1900 den Markt bestimmte, und unseren heutigen Standardsorten unter chemisch-physiologischen Aspekten kein gravierender Unterschied besteht: Für die Konsumenten hat sich „Bier“ grundlegend gewandelt. Die Einheitlichkeit entsprechender Begriffe ist daher eine semantische Illusion (dazu Uwe Spiekermann, Abkehr vom Selbstverständlichen. Entwicklungslinien der Ernährung seit 1880, Ernährung im Fokus 7, 2007, 202-208).
Heutzutage sind Alkoholika, auch relativ schwache, wie das Bier, Stimmungswandler. Sie haben vorrangig die „Funktion eines situativen Therapeutikums“ (Stephan Urlings, Geisterkampf und Stimmungswandel. Alkohol-Werbung und Trinkverfassungen, Rheingold Newsletter 2005, Nr. 1, s.p.) und erlauben, den Alltag spezifisch zu gestalten. Demgegenüber treten andere Funktionen des Getränks zurück. Umfragen der frühen 1950er Jahre hoben stattdessen noch die Durst stillende und erfrische Wirkung hervor (Frank Wiese, Der Strukturwandel im deutschen Biermarkt, WiSo. Diss. Köln 1993, 86). Bier war ein alimentärer Allrounder, dem ferner guter Geschmack, Nährwert und Bekömmlichkeit zugewiesen wurde, dessen Konsum vielfach als urwüchsig und gleichsam natürlich bewertet wurde. Vor dem ersten Weltkrieg spielten physiologische Momente eine noch größere Rolle. Bier war damals insbesondere „flüssiges Brot“, eine kräftigende Alltagsspeise. Es verband Ruhe und Geselligkeit, galt als reines und zugleich anregendes Produkt.

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Einkehr, Erfrischung, Ernährung und Erheiterung in einem Zug (Fliegende Blätter 113, 1900, 39)

Nimmt man diese veränderte Konsumentensicht ernst, so verwundert das Festhalten an dem einen Produkt Vollbier. Die Kernleistung der Bierproduzenten lag im 20. Jahrhundert offenbar darin, ein relativ homogenes Produkt für sehr unterschiedliche Aufgaben glaubhaft anzubieten. Nicht die Schaffung neuer Produkte, sondern die virtuelle Kreation von sich wandelnden Produkteigenschaften stand damit im Mittelpunkt unternehmerischer Leistung.

Setzt man dieses voraus, so müsste man von einer relativen Nähe von Produzenten und Konsumenten ausgehen. Die Brauwirtschaft bot um 1900 ihre transportkostenintensive Massenware zumeist in lokalen und regionalen Märkten an, war über die vertraglich gebundene Gastronomie und – zumindest in städtischen Märkten – Heimlieferangebote in vergleichsweise engem Kontakt mit den Trinkenden. Die Zielsetzungen waren vielfach identisch: Es ging um ein standardisiertes Angebot ohne größere Qualitätsschwankungen.

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Abseits standardisierter Angebote – Qualitätsrisiko Gastronomie (Fliegende Blätter 83, 1885, 27 (l.); ebd. 84, 1886, 85)

Vor der Einführung moderner Technologie, insbesondere aber der Kühltechnik und der bakteriologischen Forschung seit den 1870er Jahren, war dies kaum möglich, waren auch Schönungen und Verfälschungen durch Wirte weit verbreitet. Die erste Verwissenschaftlichung hätte grundsätzlich eine große Palette neuer Biersorten erlaubt. Glyzerin wurde dem Bier damals vielfach beigemengt, um den Geschmack vollmundiger, den Schaum feiner zu machen (Curt Michaelis, Die Bier-Frage, Correspondenz-Blatt des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 5, 1876, 36-39). Auch Färbemittel wurden häufig verwandt (Nowak, Zur Hygieine des Bieres, ebd. 9, 1880, 102-104). Zahlreiche deutsche Auswanderer nutzten diese Kenntnisse, um in den Vereinigten Staaten trotz anderer Rohwaren gut trinkbare und zugleich leichtere Lagerbiere herzustellen und damit die dunkleren, aus Großbritannien übernommenen Sorten in den Hintergrund zu drängen (Uwe Spiekermann, Marketing Milwaukee. Schlitz and the Making of a National Beer Brand, 1880–1940, Bulletin of the GHI 53, 2013, 55-67). Erst die 1906 erfolgte Übernahme des seit Mitte des 19. Jahrhunderts im süddeutschen Braugebiet zunehmend praktizierten „Reinheitsgebotes“ führte auch im Norden zu einem Ende des an sich möglichen Abenteuers kreativer Biere. Es galt ein hochwertiges, tendenziell helles und gefällig schmeckendes Produkt zu erstellen. Die Brauereien konzentrierten sich dazu auf umfangreiche Wasser- und Gerstenanalysen sowie eine Malzkontrolle, die standardisierte Qualität ermöglichte und die Landwirtschaft verpflichtete. Ein derart einheitliches Produkt, angeboten zu einem akzeptablen Preis schien Garantie dafür, dass Bier lief. Regionale und saisonale Spezialitäten standen dem nicht entgegen, sondern sicherten die Dominanz des Standardbiers.

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Der ideale Konsument in der Karikatur (Fliegende Blätter 103, 1895, Nr. 2426, Beibl. 13)

Aufgabe der Brauereien war es nicht, den Kunden zu analysieren, sondern ihm das Produkt preiswert und in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen. Dies galt zumal, da Bier gegenüber dem Branntwein als weniger ungesunde Alternative galt. Der Risikodiskurs der Temperenzler und Abstinenzler konnte dadurch abgeschwächt werden. Ein leichtes, nährendes, erfrischendes Produkt galt als deutsch, war Teil einer geselligen und jovialen Nation, schien Teil des Nationalcharakters (Was jedermann vom deutschen Bier wissen muß!, Tageszeitung für Brauerei 11, 1913, 87). Dem charakterfesten Konsumenten wurde nominell die Freiheit der Wahl gelassen werden, doch gute Bürger würden letztlich auch gute deutsche Produkte konsumieren. Die Interessenverbände betonten zudem, dass dies Arbeit für das Gemeinwesen sei, denke man an das volkswirtschaftliche Gewicht der Brauereien für Arbeitsplätze und Steueraufkommen.

Die Firmen konzentrierten sich daher auf das Produkt selbst. Neben der Zucker-, Stärke- und Schokoladenindustrie waren die Bierbrauer Pioniere bei der Etablierung von Betriebslaboratorien, die einerseits die Rohware, andererseits die Endprodukte chemisch und zunehmend auch sensorisch kontrollierten (vgl. Uwe Spiekermann, Künstliche Kost. Geschichte der Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute, Göttingen 2018, 319-322). Zugleich wurden Verbands- und Universitätsinstitute gegründet, die Grundlagenforschung betrieben.

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Hygiene und wissenschaftliche Kontrolle – Betriebslaboratorium der Schultheiss AG, Berlin, 1910 (Schultheiss, 1910, 80)

Zudem bemühten sich die Brauereien, breit gefächerte Vertriebsschienen aufzubauen, wobei der Flaschenbierproduktion eine besondere Rolle zukam, auch wenn der Fassbierabsatz insgesamt deutlich überwog (Gustav Stresemann, Die Entwicklung des Berliner Flaschenbiergeschaefts, Phil. Diss. Leipzig, Berlin 1902). 1907 bedienten ferner mehr als 16.000 spezialisierte Bierhandlungen ihre Kundschaft, 82% davon hatten höchstens zwei Beschäftigte (Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850-1914, München 1999, 708-709). Ökonomisch war dies alles höchst erfolgreich, lag der Umsatz der Brauwirtschaft um 1900 doch über dem der Montanindustrie.

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Produktion für den Hauskonsum – Flaschenbierproduktion bei Schultheiss 1910 (Schultheiss, 1910, 55)

Die Anbieter taten also viel für die Konsumenten, doch als wirklich eigenständigen Akteure verstanden sie sie nicht. Im repräsentativen „Illustrierten Brauerei-Lexikon“ von 1910 fehlte jeglicher Hinweis, die zahlreichen Fachbücher über das Brauereigewerbe würdigten sie kaum einer Zeile. Das gute Produkt setzte sich halt durch, Konsumenten war Einsichtswesen. Nicht der Käufer wurde beobachtet, wohl aber der Konkurrent. Dessen Werbeaktivitäten zielten im Regelfall auf einen schwachen Konsumenten, so dass „Kundenhetze“ (Concurrenz und Publikum, Deutsche Brau-Industrie 29, 1904, 465-466, hier 465) trotz guter Qualität sehr wohl erfolgreich sein konnte. Wettbewerb wurde als Auseinandersetzung mit den Konkurrenten verstanden, es galt, diesen zu übertrumpfen: „Man wird stets finden, daß das urtheillose Publikum, dieses tausendköpfige Ungeheuer, in seiner Allgemeinheit immer auf Seiten der Großindustrie steht und deren Biere bevorzugt, eine Erscheinung, welche die Großbrauereien natürlich mit allen Mitteln zu fördern suchen. Das Publicum steht von vornherein unter dem Einfluß einer gewaltigen Reklame, welche sein Ohr vertraut werden läßt mit dem Namen der großen Brauereien und den Bezeichnungen ihrer Biersorten. Die colossalen Etablissements, die prunkvollen, comfortablen Ausschänke imponiren ihm und schon macht dieser Einfluß im Geschmack sich geltend“ (Concurrenz, 1904, 465).

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Großbetriebliche Tradition: Werbung der Münchener Salvatorbrauerei für ein saisonales Spezialbier (Der Welt-Spiegel 1914, Ausg. v. 1. Februar, 5)

Nicht eventuelle Wünsche und Vorstellungen der Konsumenten bestimmten Angebot und Werbeansprache. Ihnen mussten vielmehr die Vorzüge des jeweiligen Angebotes wieder und wieder vor Augen geführt werden, da sie als solche schwach, aber immerhin willig waren. Die Konsequenz war die Vorstellung eines von Unternehmern und dann zunehmend auch von Werbefachleuten dominierten Marktgeschehens.

Entsprechend platzierten die Betriebe ihre Werbung alltags- und konsumnah. Die relativ geringe Bedeutung der Anzeigenwerbung und hohe Aufwendungen für einerseits Außen- und Plakatwerbung, anderseits zahlreiche Werbemittel innerhalb der Gaststätten entsprachen dem. Die hohen Transportkosten, die begrenzte Haltbarkeit, aber auch die im Vergleich zu anderen Genussmitteln geringen Gewinnmargen schützten zugleich das Massengeschäft. Modernes Marketing mit integrierter Kundenorientierung, wie es im späten 19. Jahrhundert etwa im Absatz von Schokolade oder aber Suppenpräparaten praktiziert wurden, hatte deshalb im Braugewerbe keine wirkliche Funktion (vgl. als Fallstudie Clemens Wischermann, Zur Industrialisierung des deutschen Braugewerbes im 19. Jahrhundert. Das Beispiel der reichsgräflich zu Stolbergschen Brauerei Westheim in Westfalen 1860-1913, Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 30, 1985, 143-180, v.a. 158-163).

Entsprechend nutzten die Brauereien zu dieser Zeit veränderte Verbraucherbedürfnisse nicht – die mehr als eine Dekade währende Mode der alkoholfreien Biere wurde kleinen Spezialanbietern überlassen, da Bier ohne Alkohol ein Widerspruch in sich zu sein schien. Und nur vereinzelt investierten sie in das nach 1900 schnell an Bedeutung gewinnende Geschäft mit Mineralwasser und Limonaden, das ungeliebtes Beiwerk blieb. Die kapitalkräftigen urbanen Brauereien wuchsen schließlich trotz Steuererhöhungen 1906 und 1909 in der Mehrzahl weiter und beschäftigten sich stärker mit dem Aufkauf und der Bekämpfung der Konkurrenz als mit Produktdiversifikation.

Halbe Rationalisierung – Gemeinschaftswerbung und abgegrenzte Märkte in der Zwischenkriegszeit

Lassen Sie uns den Ersten Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit überspringen, denn fehlende Rohstoffe und Arbeitskräfte, Regulierung und Rationierung führten zum kurzfristigen Ende des guten Biers für alle. Qualitätsmängel hatten das Vertrauen in das vermeintliche deutsche Nationalgetränk vielfach erschüttert. Im Gegensatz zu anderen Lebensmittelbranchen nutzten die Brauer in den 1920er Jahren aber nicht die damals breit rezipierte US-amerikanische agrar- und handelswissenschaftliche Marketingliteratur, sondern setzten auf Bier in Vorkriegsqualität, auf Restauration und Tradition. Während die durch die internationale Agrarkrise unter Druck geratene Veredelungswirtschaft zwischen 1926 und 1928 modernes Marketing nutzte – einerseits staatlich und korporativ finanzierte Gemeinschaftswerbung betrieb, andererseits aber Produktion und Absatz rationalisierte und verbesserte – gab es im Braugewerbe nur eine halbe Rationalisierung.

Das scheinbar ausgereifte Produkt „Bier“ erlaubte kaum Optimierungen und Variationen. Bier Pilsener Brauart hatte 1925/26 außerhalb Bayerns schon einen Marktanteil von ca. einem Fünftel, wobei vor allem Sachsen mit 51% hervorragte (Berthold Herzog, Das Recht der Biererzeugung. Ein Beitrag zu neueren Warenzeichen- und Wettbewerbsfragen, Berlin 1931, 4-5). Angesichts der angespannten Einkommenssituationen und der Bevorzugung preiswerter regionaler Sorten hatten Premiumstrategien zugleich nur begrenzte Chancen. Gleichwohl investierten Staat und Betriebe beträchtliche Summen in Grundlagenforschung und Kontrolle, wobei die Vitaminforschung und Physiologie einerseits, die Rohstoffkunde insbesondere von Malz und Wasser im Mittelpunkt standen (F[riedrich] Hayduck, Das deutsche Brauereigewerbe im Spiegel der Wissenschaft, Der deutsche Volkswirt 8, 1933/34, Nr. 48, Sdr.-Beil., 8-10). Bier wurde im naturwissenschaftlichen Sinne „besser“, für die Konsumenten aber wurde es nicht anders. Nur vereinzelt bauten insbesondere Großbrauereien ihr Angebot nicht alkoholischer Getränke aus, setzten auch auf Malzbier oder sog. Gesundheitsbiere.

Rationalisierung fand innerbetrieblich durchaus statt; Organisation und Technik des Absatzes wurden nunmehr genauer analysiert und eine wachsende Zahl betriebswirtschaftlicher Kennziffern machte Kostenstrukturen transparenter (Alexander Hoecht, Die Organisation und Technik des Bierabsatzes im Braugewerbe, Techn. Diss. TU München 1929).

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Systematisierung der Absatzbestrebungen – Muster für eine Werbekartothek 1930 (Simon, 1931, 23)

Die Werbeanstrengungen wurden gestrafft, aber nur von wenigen Betrieben institutionalisiert. Lediglich fünf von 50 befragten Großbrauereien besaßen 1930 eine Werbeabteilung (Theobald Simon, Die Werbung der Brauereien, Nürnberg 1931, 19). 1936 verfügten nur drei von 50 im Rahmen der Brauwirtschaftsenquete befragten Betriebe über einen gesonderten Werbeetat (Margarete Sy, Die Kundengewinnung im deutschen Braugewerbe, in: Walter Weddigen (Hg.), Grundfragen der deutschen Brauwirtschaft, Leipzig 1939, 210-258, hier 212). Während sich andere Konsumgüterbranchen zunehmend auf den „Markt“ und damit den empirisch erkundeten Konsumenten ausrichteten, führte der durch Konzentration und Kooperation vielfach eingedämmte Wettbewerb zu einer relativen Stagnation des Braugewerbes. Erst in den 1930er Jahren wurden Kundenbefragungen und Marktforschung üblich, doch sie erfolgten vornehmlich auf Branchenebene, kaum durch Einzelbetriebe. Gründe hierfür waren einmal die relative Konstanz der über die betrieblichen Absatzdaten sehr wohl konturenhaft bekannten Konsumentenstrukturen. Angesichts eines Flaschenbieranteiles von 15 bis 25 % bildeten zudem Wirte oder Restaurationsbesitzer die eigentlichen Hauptabnehmer. Von den Werbeausgaben von 53,5 Mio. RM entfielen 1929 mehr als drei Viertel auf Wirtewerbung (Theobald Simon, Werbung für Bier, Nürnberg 1960, 61). Dies bedeutete etwa eine Reichsmark pro verkauften Hektoliter. Der Konsument wurde demgegenüber im Rahmen noch üblicher Typologien als Mensch mit einem gewissen Phlegma verstanden. Die Konsequenz war einfach, keine Experimente und eine unterstützende affirmative Kommunikationspolitik.

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Tradition und Verzehrssituationen – Kundenansprache qua Plakat in den frühen 1930er Jahren (Scheck, 1935, 26-28)

Wie im Kaiserreich wurde plakatiert, kaum Anzeigen in Publikumszeitschriften, eher schon in Zeitungen geschaltet. Gastronomienahe Werbemittel wurden bevorzugt (Simon, 1931, 19). Werbegraphiker nutzte man, um Gemütlichkeit und – mit abnehmender Bedeutung – Tradition zu inszenieren (Fritz Wilck, Brauereibesitzer und Werbegraphiker. Voraussetzungen für erfolgreiche Zusammenarbeit, Tageszeitung für Brauerei 27, 1929, 529-530). Eine Marktsegmentierung fand kaum statt, war Bier doch Volksgetränk. Ausnahmen bei Nischenprodukten zeigten jedoch, dass die Marketingtechniken nicht nur bekannt waren, sondern auch Erfolg haben konnten.

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Zielgruppensegmentierung für Groterjan Malzbier 1934 (Scheck, 1935, 18-19)

Diesen relativen Rückstand gegenüber anderen Branchen verteidigten die Brauer selbstbewusst mit der Eigenart des Bieres, die Teil deutschen Volkslebens, deutscher Alltagskultur zu sein schien: „Ohne das deutsche Trinklied und ohne deutschen Humor ist eine feuchtfröhliche Tafelrunde gar nicht denkbar. […] Frohe Lieder und humorvolle Reden machen sehr wirksame Propaganda für das deutsche Volksgetränk“ (Fritz Wilck, Der Humor, ein wirkungsvoller Werbehelfer in der Brauindustrie, Tageszeitung für Brauerei 27, 1929, 663). Das relative Phlegma bei der Umsetzung modernen Marketings und der Ermittlung empirisch gesättigter Konsumententypen darf allerdings nicht mit Werbeaskese verwechselt werden, führten nicht nur die rührigen Antialkoholiker den Konsumzuwachs nach 1924 doch primär auf die fortwährende Anpreisung des Bieres zurück (so etwa Werner Kautzsch, Der Alkohol, Kosmos 22, 1925, 143-145, hier 143; Gegen die Propaganda des Braugewerbes, Blätter für Volksgesundheitspflege 31, 1931, 139). Mitte der 1930er Jahre wurde der Werbeaufwand der Brauereien auf 2-5 % des Umsatzes geschätzt. Das lag deutlich unter dem führender Markenartikelfirmen, doch die Aufwendungen stiegen absolut und relativ. Bierwerbung war 1937/38 ein 100 Mio. RM-Geschäft (Klaus Richter, Variationen der Bierwerbung, Forschungen zur Alkoholfrage 44, 1938, 169-185, hier 170).

Zu dieser Zeit fanden sich darunter auch Zwangsabgaben der 1934 gegründeten Wirtschaftsgruppe Brauerei, mit der Gemeinschaftswerbung forciert wurde. Der deutsche Brauerbund hatte schon 1925 und 1926 mittels großen „Gesundheitstempel“ auf Ausstellungen versucht, Hunderttausende von Besuchern vom Nähr- und Geschmackswert des Bieres zu überzeugen.

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Gemeinschaftswerbung für das deutsche Familien- und Volksgetränk auf der Ausstellung „Die Frau“ 1933 (Scheck, 1935, 51)

Es galt den Verbraucher zu informieren, aufklären, dann würde er die Arbeit der Brauereien schon würdigen und Bier trinken. Entsprechend nahm die Bedeutung verkündender Gemeinschaftswerbung seit 1929 beträchtlich zu (Erich Sturm, Der Absatz der deutschen Brauindustrie […] WiSo. Diss. Frankfurt/M., Bottrop 1933).

11_Die Ernaehrungswirtschaft_3_1929_p423_Scheck_1935_p49_Bier_Gemeinschaftswerbung_Plakatwerbung_Nationale-WerbungWirkliche Bedeutung gewannen derartige Konsumentenappelle aber erst während des Nationalsozialismus, in der Lehr- und Informationsstände für deutsches Bier bei den führenden Wirtschafts- und Gesundheitsausstellungen üblich wurden (Richter, 1938, 181). Allein 1934 wurden auf 41 Ausstellungen Bierwerbestände präsentiert. Die Brauereien zogen gezielt die nationale und nationalsozialistische Karte, doch angesichts der insgesamt geringen Bierimporte sowie der parallelen Werbung für deutschen Wein war die Wirkung der Gemeinschaftswerbung begrenzt. Sie diente einerseits der „Volksaufklärung“ mittels Plakats, Anzeige, Broschüre und Tonfilm, andererseits aber der Abwehr von durchaus ernstzunehmenden Bestrebungen einer staatlichen Regulierung des Bierkonsums. Selbst führende Werbefachleute waren im Falle des Bieres daher von der überlegenen Effizienz der Gemeinschaftswerbung überzeugt (Hanns W. Brose, Werbewirtschaft und Werbegestaltung. 6 Briefe an Herrn „M“, Berlin 1937, v.a. 90-91).

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Das volkswirtschaftliche Gewicht des gleichgeschalteten Brauereigewerbes – Gemeinschaftswerbung 1934 (Scheck, 1935, 71)

Reichsgesundheitsamt und Reichärzteschaft führten ebenso wie die Hitlerjugend und wichtige Teile der Deutschen Arbeitsfront einen anhaltenden Kampf gegen Alkoholkonsum insbesondere von Frauen und Jugendlichen ([Hans] Harmsen, Die Bekämpfung des Alkohol- und Nikotingenusses in den Schulen und die wachsende Reklame des Alkoholkapitals, Zeitschrift für Volksernährung 11, 1936, 266-268).

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Effizienz und Ideologie: Antialkoholappelle 1938/39 für eine „neue Trinkepoche“ (Neuland 48, 1939, 235)

Im Denken der Unbedingten war der „Bierphilister“ ein Feindbild, an dessen Stelle der leistungsfähige nationalsozialistische Kämpfer treten sollte (H[ans] Reiter, Genußgifte und Leistung, Deutsches Ärzteblatt 69, 1939, 263-266). Dieses andere Konsumentenbild hing mit Autarkie- und Aufrüstungsbestrebungen zusammen, diente aber auch der Sicherung einer rassisch definierten Gesundheit, die Effizienz und Billigkeit, Heilen und Vernichten in den Mittelpunkt rückte. Die Bierwerbung wurde jedenfalls seit 1934 zunehmend reguliert, alternative Volksgetränke gefördert, Nüchternheit auch durch die zunehmende Motorisierung erforderlich. Die auf Risikokalkülen und rassistischen Vorstellungen gründende Zielgruppensegmentierung der Mediziner führte seit 1936, spätestens aber seit 1939 zu einem faktischen Verbot der Alkoholwerbung für Jugendliche (Richter, 1938, 175; Falk Ruttke, Erbpflege und Bekämpfung von Alkoholschäden im Großdeutschen Reich, Der Öffentliche Gesundheitsdienst 5, 1939/40, 345-349, 361-368, hier 364; Werbung für alkoholhaltige Getränke, Der Öffentliche Gesundheitsdienst 2, Teilausg. B, 1936/37, 703). An der grundsätzlichen Ausrichtung der Werbung bzw. an dem dahinterstehenden tradierten Konsumentenbild aber änderte sich wenig, zumal der Brauindustrie die Rohstoffversorgung zunehmend mehr Sorgen bereitete und die wachsende Kaufkraft zu steigendem Bierkonsum führte. Während der NS-Zeit wurde der Wettbewerb um Kunden gezielt stillgestellt, galt die „Zeit der Kundenjagd“ (Sy, 1939, 230) doch als überwunden, wurden Preise und indirekt Gewinnmargen doch faktisch festgelegt. Dass dies auch Qualitätsprobleme schuf, ist eine andere Geschichte (Hans Weide, Bierpflege, Tageszeitung für Brauerei 38, 1940, 46, 52, 56, 60).

Der lange Weg zum Marketing – Die 1950er bis 1970er Jahre

Abermals gilt es die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit zu übergehen. Die Gründe hierfür sind ähnlich, auch wenn die Bierproduktion und der Stammwürzegehalt während des 2. Weltkrieges weniger eingeschränkt wurden, um die „Stimmung“ nicht zu sehr zu drücken. Die Besatzungszeit brachte jedoch stärkere Einschnitte. Mit der Freigabe der Brauerei von „Vollbier“ im September 1949 begann in Westdeutschland dann jedoch ein langanhaltender Konsumanstieg, der den des späten 19. Jahrhunderts weit in den Schatten stellte. Den Brauereien gelang es in den 1950er Jahren, Bier als zeitgemäßes Produkt darzustellen, als die abendliche Belohnung nach einem arbeitsreichen Tag.

Zugleich änderte sich die Wissensproduktion über die Konsumenten tiefgreifend. Emnid begann im Verbandsauftrag mit Befragungen zum Bier- und Spirituosenkonsum, die schon Mitte der 1930er Jahre einschlägig tätige Gesellschaft für Konsumforschung folgte 1953 mit einer ersten umfassenden Motivstudie zum Bierkonsum (Die Einstellung der Verbraucher zum Bierkonsum. Eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung, Nürnberg 1953 (Ms.)). Die kommerzielle Marktforschung wurde seit den frühen 1950er Jahren ergänzt durch zahlreiche akademische Abschlussarbeiten, deren Ergebnisse – ebenso wie die anderer Studien – in der Fachpresse vorgestellt und diskutiert wurden. Damit gewannen Konsumenten an Statur, wurden im Rahmen der Zuschreibungen einfacher sozialstatistischer Kategorien unterscheidbar und typisierbar. Bier stand nun nicht mehr isoliert im Raum, anhand simpler Konsumdaten, sondern wurde als Teil des Trinkens insgesamt verstanden, als Teil alltäglicher Mahlzeiten und auch des Kaufs anderer Gebrauchsgüter.

Gleichwohl änderte sich die Kommunikationspolitik der Brauereien strukturell nur wenig, die relativen Aufwendungen für Werbung sanken gar im Vergleich zur Zwischenkriegszeit. 1961 wurden lediglich 0,13 % des Umsatzes in Anzeigen und Plakate, Rundfunk- und TV-Werbung investiert, das waren 6,4 Mio. von insgesamt knapp 1,6 Mrd. DM Werbeaufwendungen für Markenartikel (Werbeaufwendungen 1961 im Markenartikelbereich, Der Markenartikel 24, 1962, 250-252). Stärkere Bedeutung hatte jedoch wiederum die Gemeinschaftswerbung, in die damals jährlich ca. drei Mio. DM investiert wurden (zur Größenordnung vgl. Hans Mosolff, Marktforschung und Werbung in der Ernährungswirtschaft, Die Ernährungswirtschaft 7, 1960, 183-184, 187, hier 183).

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Gemeinschaftswerbung für Bier 1958 (Der Volkswirt 12, 1958, 2405)

Ihre Koordinierung übernahm die 1953 gegründete Bierwerbe GmbH, die sich mittels Umlagen auf den Hektoliterabsatz finanzierte (Günther Haufe, Wandlungen im deutschen Biervertrieb der Nachkriegszeit, RStwiss. Diss. Freiburg i.Br. 1957, 46-48). Sie begann mit einfachen Slogans, präsentierte Bier dann im Sinne des empirisch ermittelten dominanten Verbraucherverständnisses, unterstützte zugleich die wachsende Exportorientierung (Wiese, 1993, 173).

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Internationales Flair und Tradition um die Ecke – Gesellige Konsumenten im Werbefilm der Gemeinschafts- und der Bitburger-Reklame (Simon, 1960, 150)

Während die Kommunikationspolitik der Brauereien damit kaum als Ursache des Konsumanstieges genannt werden kann, veränderten sich in den 1950er Jahren die Rahmenbedingungen des Absatzes wesentlich. Flaschenbier überholte Fassbier, die Selbstbedienung schuf neue Kaufsituationen, der Konsum verlagerte sich von den Gaststätten in die Haushalte, und der Großhandel wurde zum entscheidenden Akteur im Absatz (Heinz Pritzl, Die absatzwirtschaftliche Bedeutung der Verpackung für Bier, Wiwi. Diss. Nürnberg 1956; Günther Haufe, Wandlungen im deutschen Biervertrieb der Nachkriegszeit, RStwiss. Diss. Freiburg/Br. 1957). All dies waren Faktoren, die in anderen Konsumgüterbranchen zu Marketingorientierung auf breiter Basis führten.

Nicht so in der Brauwirtschaft. Der Verkäufermarkt begünstigte grundlegende Veränderungen nicht, Kritiker monierten Anfang der 1960er Jahre stattdessen „Werbeäußerungen im Stile der ‚Jahrmarktsreklame’“ und Missachtung basaler Regeln der Markentechnik (Lothar Michalski, „durch und durch solide“. Markentechnisch konzipierte Werbung für ein traditionsreiches Erzeugnis, Die Absatzwirtschaft 4, 1961, 654, 656-657). Marktwandel bedeutete vorrangig Delegation von Kommunikationsaufgaben an Handel und Warenausstattung. Die Pflege des Produktes stand nach wie vor im Mittelpunkt, wobei insbesondere der Ausstattung der Flaschen mehr Beachtung geschenkt wurde. Die Produktpolitik wurde kaum verändert, trotz eines langsam auf etwa 10 % wachsenden Anteils von Nichtalkoholika an der Brauereiproduktion. Die in der Fachpresse immer wieder unter Bezug auf die USA angesprochenen Vorteile systematischen Marketings, also des koordinierten Einsatzes von Produkt-, Distributions-, Preis- und Kommunikationspolitik wurden nur von wenigen Anbietern aufgegriffen und ansatzweise umgesetzt (Gerhard Koch, Die Absatzpolitik deutsche Brauereien […], WiSo. Diss. Freiburg/Schweiz, Nürnberg 1965; Herbert Greiner, Bier als Markenartikel, Agrarwiss. Diss. West-Berlin 1969).

Sie aber machten deutlich, dass es schon vor dem eigentlichen Umschwung zum modernen Marketing in den 1970er Jahren erfolgreiche Vorläufer gab, die veränderte Bedarfsstrukturen der Konsumenten erfolgreich angingen. Zwei kurze Beispiele hierzu müssen genügen, erstens die Duisburger König-Brauerei.

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Der König-Konsument als geselliges Männerwesen – Werbefilm 1957 (Chronik, 1958, s.p.)

Ihre auf Geselligkeit zielende Werbung unterschied sich kaum von anderen Firmen, doch sie setzte schon in den 1950er Jahren systematisch auf das feinere Pilsener, das man erstmals 1911 gebraut hatte (Chronik der König-Brauerei 1858-1958, Duisburg-Beeck 1958). Die gerade für das Ruhrgebiet einschneidende Abkehr vom einfachen Export-Bier wurde damit frühzeitig ernstgenommen.

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Premiumstrategie Mitte der 1950er Jahre – Qualitätspositionierung des Pils (Chronik, 1958, 54)

Seit den frühen 1950er Jahren konzentrierte König sein Marketing vornehmlich auf die gehobene Qualität, auch wenn Export noch den Hauptanteil des Umsatzes trug. Abschied vom Alltag durch ein Premiumangebot – das war die wesentliche Werbebotschaft.

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Premiumstrategie Mitte der 1950er Jahre – Gaststättenpflege und Spezialgläser (Chronik, 1958, s.p.)

Dazu polierte König nicht allein die Marke, sondern schuf auch ein Markenambiente, das von der Flaschenausstattung über gesonderte Gläser bis hin zur einheitlichen Gestaltung der Ende der 1960er Jahre mehr als 15.000 Gaststätten ging, in denen das Duisburger Bier ausgeschenkt wurde (Wiese, 1993, 117).

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Premiumstrategie Mitte der 1950er Jahre – Inkonsequente Sozialpositionierung (Chronik, 1958, 55)

Gleichwohl wurde das Konzept lange Zeit nicht so konsequent durchgeführt, wie später bei den Premiumanbietern in den 1970er Jahren. Der Herr trank zwar Pils, doch stand er erkennbar im arbeitenden Leben, suchte Entspannung und Genuss als Ausgleich, nicht als Selbstzweck. Diese Lebensstilorientierung wurde 1962 mit der ersten von Werbe-Gramm in Düsseldorf initiierten Werbekampagne für Wicküler-Bier verstärkt, vor allem aber in neue emotionale Welten übersetzt.

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Vom Produkt zum Lebensstil – Wandel der Wicküler-Werbung seit 1962 (Ernährungswirtschaft 8, 1961, 217; Der Volkswirt 21, 1967, 2705)

Die drei lachenden, Bier trinkenden Musketiere waren abenteuerfreundlich und viril, sympathisch und fern jeder Arbeitswelt. Verbunden mit ähnlich modernen Werbekampagnen für Küppers Kölsch gelang der Wuppertaler Brauerei die schnellste Expansion aller Großbrauereien in den 1960er Jahren (Wicküler-Küpper-Brauerei AG […], Der Volkswirt 23, 1969, Nr. 18, 70-71). Beide Pioniere konnten das hohe Wachstumstempo dieser Zeit jedoch nicht halten. Die systematische Übernahme der modernen Marketingstrategien erfolgte durch kleine Brauereien aus ländlichen Regionen, die bis heute den Markt wesentlich prägen.

Virtuoses Marketing als folgenloses Antanzen der Konsumenten

Die Auswirkungen der „Marketingrevolution“ der 1970er Jahre waren in der Brauindustrie erheblich und veränderten Bier und Bierkonsum beträchtlich (Joachim Schnitzler, Erfolgreich Bier verkaufen, Nürnberg 1975; Thomas May, Marktsegmentierung. Eine zukunftssichernde Marketingstrategie für die Brauwirtschaft, Berlin-West 1980). Der immense Erfolg der Markenartikelanbieter basierte auf einer Neupositionierung von Bier, genauer Pils, als Premiumprodukt und als Ausdruck eines sich wandelnden Lebensstils. Mit Markenbildung und wesentlich erhöhten Werbebudgets wurde ein virtueller Mehrwert geschaffen, der sich in reale Erträge ummünzen ließ. Doch die Kommunikationspolitik war nach wie vor vorrangig produktzentriert, mochten Bier und Ausstattung auch als Aufhänger von Lebensstilelementen wie Exklusivität, Freiheit, Genuss oder Herkunft/Tradition dienen. Die immensen Änderungen im Leben und den Anspruchsprofilen der Konsumenten haben sich in der Werbekommunikation von Bier von den 1970er Jahren bis ins späte 20. Jahrhundert nur oberflächlich niedergeschlagen, hier holte man lediglich das nach, was bei nicht alkoholischen Getränken schon ein, zwei Jahrzehnte zuvor begonnen wurde.

21_Der Spiegel_29_1975_Nr20_p187_Bier_1993_p09_Der Spiegel_54_2001_Nr51_p092_Bier_Werbung_Warsteiner_Bierflasche_Produktorientierung

Das Produkt im Mittelpunkt – Werbung für Warsteiner (Der Spiegel 29, 1975, Nr. 20, 187; Bier, 1993, 9; Der Spiegel 54, 2001, Nr. 51, 92)

Auch die Konsumenten blieben trotz detaillierter Kenntnisse betrieblicher und branchenbezogener Marktforschung eine Chimäre. Nicht deren Bedürfnisse und Wünsche standen im Mittelpunkt der Arbeit der Anbieter. Sie bildeten vielmehr Anknüpfungs- und Andockpunkte, um bestehende Angebote kommunikativ anzudienen. Ausgangspunkt war immer noch das Produkt selbst, gefangen in der Wagenburg des „Reinheitsgebotes“. Dabei hätte ein Blick in andere europäische Länder, stärker aber noch in die USA (Leichtbiere!) aufzeigen können, dass Bedarfs- und Bedürfnisstrukturen der Konsumenten sich offenkundig veränderten. Der langfristige Rückgang des Bierabsatzes mag auch strukturelle Gründe haben, doch der Konservatismus und auch die fehlende Kapitalkraft der vielfach mittelständischen deutschen Brauereien hatten daran ein gerüttelt Maß Mitverantwortung.

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Mikrosegmentierung für Spezialbiere – hier für Studierende (Unicum 23, 2005, Nr. 4, 7)

Das gilt trotz einer seit den frühen 1970er Jahren einsetzenden virtuosen Handhabung der gesamten Klaviatur der Marketingtheorie, bis hin zum Mikromarketing für fast jede Nische. Blickt man in die betriebswirtschaftliche Fachliteratur, dominierten nicht Verbraucherwünsche, blieben dort bestenfalls schwammig. Dort dominieren Fragen der Premiumpositionierung, der Stärke geringer umkämpfter Regionalmärkte, der Transportkosten, der Produktivität des Maschinenparks sowie der Verankerung im Gastronomiegewerbe. Wer anders als die Vertreter der bekannten „Fernsehbiere“ handelte, konnte jedoch durchaus Erfolg haben. Der in den frühen 1990er Jahren einsetzende Erfolg der Oettinger Brauerei unterstrich die Marktchancen und den Bedarf im sog. Billigsegment, in dem Nährwert und Alkoholgehalt nach wie vor dominieren.

Seit 1979 wurde dann verstärkt alkoholfreie Biere produziert, geschmacklich ansprechende Leichtbiere ergänzten seit 1984 die Produktpalette, erreichten bis zu 5 % Marktanteil. Damit wurde auf veränderte Konsumentenbedürfnisse reagiert, ohne aber das Kernprodukt Bier zu verändern. Dies erfolgte erst seit Anfang des neuen Jahrtausends, indem technologisch virtuos gehandhabte Biermixgetränke auf den Markt geworfen werden.

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Biermixgetränke als Reaktion auf veränderte Konsumgewohnheiten der Jüngeren (Der Spiegel 2005, Nr. 29, 15)

Angesichts der Herausforderung der vornehmlich aus den USA stammenden und hierzulande wieder abebbenden Craft-Bier-Bewegung gilt es hier zu enden, ging es doch um eine langfristige historische Perspektive auf den letztlich immer außerhalb der Marketinganstrengungen stehenden Bierkonsumenten. Die veränderte Rohstoffbasis des Kerngetränks hat den Biermarkt hierzulande stark verändert und das Reinheitsgebot weiter unterminiert. Doch die Brauwirtschaft wird hierzulande weiter schrumpfen, wenn sie nicht den Mut und die Kraft zu einem Bruch mit der Tradition einseitiger Produktorientierung hat, die Konsumenten letztlich immer noch nicht ernst nimmt. Sie steht zugleich beispielhaft für Marketing fern vom Konsumenten, dem es nicht zu dienen gilt, sondern den man gemäß eigener Vorstellungen konsumtiv ermuntert und anleitet.

Uwe Spiekermann, 10. Oktober 2020