77.000 Tassen Kaffee trinkt der Durchschnittsdeutsche in seinem Leben – rechnet man denn den heutigen Pro-Kopf-Verbrauch von jährlich 6,4 Kilogramm hoch. „Kaffee“ ist dabei Bohnenkaffee, während Ersatzkaffee (Spracheuphemisten bevorzugen „kaffeeähnliche Getränke“) kaum mehr genossen wird (auch wenn der absolute Konsum noch über dem des Sektes liegt). Bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war dieses Verhältnis noch umgekehrt, denn 1949 trank Otto Normalverbraucher ca. 37 Liter Bohnenkaffee gegenüber 168 Liter „Kaffeemittel“.
Will man verstehen, warum die Deutschen zu einer Nation von Ersatzkaffeetrinkern wurden, muss man einen genaueren Blick auf das weite Feld des „Kaffees“ und seiner Surrogate werfen. Im 19. Jahrhundert stieg der Bohnenkaffeekonsum nämlich immens an. Erste verlässliche Statistiken gehen zwischen 1836 und 1840 von 0,9 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Zollvereinsgebiet aus, während 1909 mit 3,0 Kilogramm im Deutschen Reich eine fast ein halbes Jahrhundert nicht übertroffene Konsumspitze erreicht wurde (mehr in „Grundlagen der modernen Getränkekultur“). Doch diese Verdreifachung wurde vom Wachstum des Ersatzkaffeemarktes in den Schatten gestellt. Der Grund lag nicht allein im niedrigeren Preis, einem erträglichen Geschmack, den Qualitätsproblemen des vielfach ja noch zu Hause zu röstenden Bohnenkaffees und der Steuerpolitik. Ersatzkaffee war vielmehr ein modernes, in sich vielfältig wandlungsfähiges Produktfeld, dass immer wieder Neuerungen sah, die beim Bohnenkaffee so einfach (noch) nicht möglich waren.
Ersatzkaffee als gewerblich hergestelltes Getränk entstand als Antwort auf den moderat steigenden Import von Bohnenkaffee in den 1770er Jahren. Damals war es vor allem Zichorienkaffee, hergestellt aus den gerösteten Wurzeln der Gemeinen Wegwarte, der einerseits als Zusatz zum „reinen“ Kaffee, anderseits aber als eigenständiges Heißgetränk verwandt wurde. Er dominierte bis in die 1890er Jahre den Markt der Ersatzmittel, auf dem ansonsten noch Roggen- (im Norden und in der Mitte Deutschlands), Eichel- und Feigenkaffee (vor allem im Süden und in Österreich) präsent waren. 1890 wurde dieser Markt neu definiert: Die Münchener Firma Kathreiner entwickelte damals einen neuartigen Malzkaffee, der 1912 einen Marktanteil von mehr als 50% erobert hatte, während der Zichorienkaffee auf etwa 30% zurückfiel.

Fabrikanlagen in München (Der Welt-Spiegel 1912, Nr. v. 10. März, 8)
Kathreiners Malzkaffee ist ein Paradebeispiel für Neustrukturierung bestehender Märkte durch innovative Produkte – auch wenn man „Muckefuck“ gemeinhin nicht als Äquivalent zum Tablet oder Smartphone sehen mag. Die Erweiterung der Getränkepalette erfolgte von 1890 bis etwa 1895 in vier Schritten, nämlich erstens einem technologischen Durchbruch, zweitens der Schaffung eines neuen Images des Produktes, drittens der Gestaltung und Sicherung der Marken- und Produktidentität und schließlich viertens der Ästhetisierung des neuen Markenartikels als breit nutzbares und quasi unverzichtbares Alltagsgut.
1. Am Anfang stand wissenschaftliche Forschung mit klarem Marktbezug. Der Nahrungsmittelchemiker Heinrich Trillich, dem 1904 auch ein Durchbruchserfolg für den „koffeinfreien“ Kaffee HAG gelingen sollte (Besuch bei Kaffee HAG), begann 1889 mit Forschungen zur Produktion eines Ersatzkaffees aus Gerste. Er hatte zuvor in der Münchener Nahrungsmitteluntersuchungsanstalt gearbeitet, war dadurch mit der Technologie des Brauereiwesens bestens vertraut. Dies galt nicht allein für Prozessführung, sondern auch die Veränderung vorgelagerter Prozesse, wie sie in der Mälzerei der 1870er und 1880er Jahre erfolgreich praktiziert worden waren.
Trillich untersuchte erst einmal die gängigen Röstverfahren von Gerste, aber auch anderer Getreidearten, um einerseits Geschmacksunterschiede auszuloten, anderseits Ansatzpunkte für mögliche Geschmacksverbesserungen auszumachen. Trocken geröstetes Getreide, gemälzt oder ungemälzt, wies generell Geschmackprobleme auf, denn es war vielfach bitter bzw. brenzlich, war außerdem nicht sehr lange haltbar. Entsprechend gering war der Erfolg der frühen Getreidekaffees. Bessere Ergebnisse konnte man mit geröstetem und zuvor durchfeuchtetem Malz erzielen. In der Zeitschrift für angewandte Chemie hob Trillich vor allem ein besseres Aussehen der später noch zu mahlenden Gerstenkörner, den kaffeefarbenen Abguss, einen süßlich-malzigen Geschmack und die schöne hellgelbbraune Farbe hervor, wurde denn Milch hinzugegeben. Der Nährwert übertraf den des Zichorienkaffee zudem beträchtlich.
- Prozessinnovationen: Trillichs Malzkaffeebrenner (Dinglers Polytechnisches Journal 299, 1896, 90)
Seit 1890 vom Münchener Lebensmittelgroßhändler Franz Kathreiner Nachfolger finanziert, konzentrierte er sich anschließend einerseits auf die Imprägnierung der Gerstenkörner, um die Zerstörung von Geschmacksstoffen beim Rösten zu verringern, anderseits auf den Zusatz von geschmacksintensiven Abfallprodukten der Kaffeeproduktion. Das Ergebnis war ein Verfahren, durch das mit Zucker glasierte Gerste mit einem ungerösteten und koffeinfreien Kaffeekirschenextrakt imprägniert wurde. Diese wurde geröstet und während des Röstvorgangs mit einer Mischung aus Zucker und Kaffeeöl eingesprüht. Das Produkt schmeckte nicht nur süßlich-malzig, sondern auch nach Bohnenkaffee. Es war nährend und konnte relativ lange gelagert werden. Trillich Deutsches Reichs-Patent 65300 wurde am 8. März 1892 erteilt, doch die Produktion bei Kathreiner lief schon 1891 an.
2. Moderne Lebensmittelchemie ist kaum vermittelbar, zu fremd scheint die abstrakte Modellwelt der Stoffe und ihrer Reaktionen. Mit dem Vordringen „wissenschaftlicher“ Konsumgüter trat daher die zweite „virtuelle“ Realität der Produkte immer stärker in den Vordergrund, nämlich ihr kommerzielles Image. Kathreiners Malzkaffee war das Ergebnis eines komplexen mehrstufigen Verfahrens, doch Gerste galt nicht allein angesichts des Aufstieges der bayerischen Brauindustrie als ein einfaches, ehrliches und „natürliches“ Getreide. Es war der Kolonialwarenhändler und Zuckerplantagenbesitzer Hermann Aust (1853-1944), der einen einfachen, ehrlichen und das „Natürliche“ predigenden Dominikanermönch als Zugpferd der folgenden Markteinführung des Malzkaffees gewann. Sebastian Kneipp (1821-1897) ist heute vor allem als Naturheilkundler bekannt, und die Kneipp-Firma in Ochsenfurt-Hohestadt beschäftigt weltweit etwa 600 Personen.
- Spott über den Wasserdoktor (Kladderadatsch 46, 1893, 55)
Seine Wasserkuren waren seinerzeit nicht wirklich außergewöhnlich, doch seit den 1870er Jahren zogen Genesungssuchende in immer größerer Zahl zum Kloster Wörishofen. Kneipp hatte sich zuvor einen Namen als Bienen-, Obst- und Kräuterzüchter gemacht und verkörperte ein schlichtes ländliches Leben. Der beträchtliche Widerhall auf seine praktischen Anwendungen mündete in die Niederschrift seiner „Wasserkur“ (1886), der rasch weitere Bestseller folgten. In „So sollt ihr leben“ präsentierte Kneipp 1889 sein Ideal einer entschleunigten Existenz im Einklang mit Gott, dem Nächsten und der Natur. Moderne Reizmittel, wie der Bohnenkaffee, schienen dazu nicht zu passen. Gerade Frauen würden durch Kaffeetrinken schwächlich und blutarm. Warum nicht stattdessen „Gesundheitskaffee“ trinken, zumal Malz- oder auch Eichelkaffee? Pointiert formulierte er: „Wie der Bohnenkaffee zehrt, so nährt der Getreidekaffee; wie die Bohnen aufregen, so beruhigen die Getreidekörner.” Für Aust bot sich die Möglichkeit, die Popularität des Priesters auf den neuen Malzkaffee zu übertragen.
- Neue Märkte : Kneipps Gesundheitswäsche (Fliegende Blätter 92, 1890, Nr. 2341, Beibl., 9)
1890 hatte sich ein erster Kneipp-Bund konstituiert, der Unterstützer und Ärzte bündelte. Seit 1891 verkündeten die Kneipp-Blätter die Botschaft des Herrn. Die Resonanz war beträchtlich und wurde durch eine rege Reise- und Vortragstätigkeit des Mönches unterstützt. Selbst im fernen Hochsauerland, in meinem Geburtsort Olsberg, hörte man den Ruf der Einfachheit – und dort, im ersten Kneipp-Kurort Westfalens, wurde 1894 vom Kneipp-Schüler Dr. August Grüne eine Kaltwasseranstalt und ein Sanatorium gegründet. Kneipp erlaubte die Vermarktung seiner Lehren: Seine Reformwäsche aus Leinen ergänzte das breite Angebot von Kräutern und Badeartikeln. Der alternative Katholik wurde deswegen zwar von vielen Ärzten und dem liberalen Establishment angefeindet, doch der Gewinn floss dem Kurbetrieb in Wörishofen und karitativen Einrichtungen zu. Kneipp starb arm – und doch als einer der bekanntesten Deutschen seiner Zeit.
Kathreiners Malzkaffee wurde Teil dieser Erfolgsgeschichte. Am 1. März 1891 erteilte Kneipp der Münchener Firma das exklusive Namensrecht, nachdem er zuvor das Verpackungsdesign abgesegnet hatte, „weil ich mich überzeugt habe, daß in diesem

Neues Produkt mit neuem Design (Allgemeine Zeitung 1892, Nr. 14 v. 14. Januar, 4)
Malzkaffee mit Bohnenkaffee-Geschmack die schädlichen Substanzen, welche dem Bohnenkaffee anhaften, ‚Coffein‘ genannt, nicht enthalten sind. Dagegen hat der Kathrein’sche Malzkaffee den großen Vortheil, daß Jedermann, auch derjenige, welcher den Malzgeschmack nicht liebt, dem Genuß des reinen Bohnenkaffees entsagen und dafür ein viel gesünderes und nahrhafteres Getränk an seine Stelle setzen kann, dessen Verwendung nebenbei auch unserer Landwirthschaft zu statten kommt“ (Feldkirchner Zeitung 1892, Nr. v. 19. Oktober, 4). Trillichs Entdeckung wurde seither als Kathreiner’s Kneipp’s Malz-Kaffee vermarktet – und jede Packung enthielt Konterfei und Unterschrift des Gottesmannes. Das High-Tech-Produkt mutierte zu einem Gesundheitsmittel, zu einem Alltagsanker in einem scheinbar immer hektischeren und nervösen Umfeld.
3. Der neue Malzkaffee überzeugte. Das aber führte – trotz des Gesetzes über Markenschutz von 1874 – zu Nachahmungen. Kathreiners Kneipps Malzkaffee war Kind seiner Zeit und seines Rechtes. Die Nennung des Produzenten wies noch zurück auf die tradierte Welt der Firmenzeichen, während die Integration von Kneipp schon auf die abstraktere Warenkennzeichnung der nun immer wichtiger werdenden Markenartikel überleitete. Kneipp wehrte sich vor allem durch öffentliche Appelle gegen die stetig wachsende Nutzung seines Namens durch „Spekulanten“:

Nur das „ächte“ zählt (Allgemeine Zeitung 1892, Nr. 100 v. 9. April, 4)
„Ganz besonderer Unfug werde in dieser Hinsicht mit Malzkaffee getrieben; was unter diesem Namen geht, sei vielfach ein miserables Zeug und gefährde die Gesundheit. Lediglich der Firma Franz Kathreiners Nachfolger in München habe er das alleinige Recht für Deutschland und die Schweiz ertheilt, ihr Fabrikat als „Kneipps Malzkaffee“ zu bezeichnen“ (Meraner Zeitung 1891, Nr. 121 v. 31. Mai, 3). Die 1892 als Tochterunternehmen von Franz Kathreiner Nachfolger neu gegründeten „Kathreiners Malzkaffee-Fabriken“ – Aust wurde Miteigentümer und Gesellschafter, Trillich Betriebsleiter – brachte Nachahmer dagegen wiederholt vor Gericht, besaßen sie doch die Rechte am Warenzeichen, eingetragen am 5. Juli 1891. Der Berliner Kaufmann Robert Baer hatte beispielsweise einen Malzkaffee in einer sehr ähnlichen Verpackung mit einem sehr ähnlichen Bildnis auf den Markt gebracht. Dagegen erwirkte Kathreiner eine einstweilige Verfügung wegen Täuschung des Laienpublikums, „welches die einzelnen Nuancen der Verpackung nicht so genau studire.“ (Vorwärts 1892, Nr. 194 v. 20. August, 6) Die Verhandlung ergab, dass Baer ein Bildnis seines Schwiegervaters verwandt hatte, um so „eine Täuschung des Publikums hervorzurufen.“ Derartige Plagiate konnten untersagt werden, doch Strafen hatte diese Konkurrenten nur im Wiederholungsfalle zu befürchten. Das änderte sich erst mit dem Gesetz zum Schutz der Waarenbezeichnungen von 1894, durch das nicht nur ein zentrales Markenregister und ein Vorprüfsystem zur Untersagung nahezu identischer Produkte eingerichtet wurde, sondern auch der strafrechtliche Schutz des Anbieters deutlich verbessert wurde.
- Konkurrenzprodukte unter Beobachtung (Staatsarchiv Ludwigsburg PL 4-81 Nr. 54)
Marktbeobachtung wurde zu einem wichtigen Faktor der Betriebsführung. Neue Produkte drangen vor, Trillich zählte 1894 mehr als einhundert Angebote, nicht einberechnet allein lokal erhältliche Getreidekaffees. Kathreiner nutzte Nachahmungen von „Form, Druck, Papierfarbe und Text“ der Verpackung aber auch als Beleg dafür, „wie rasch sich unser Malzkaffee bei den Konsumenten einführt und andere Fabrikate verdrängt“ (Allgemeine Zeitung 1891, Nr. 210 v. 31. Juli, 4). Die Käufer wurden auf die Eckpunkte des neuen Markenartikels eingeschworen, also auf Bild, Unterschriften und normierte Verpackungen. So konnte das neue Produkt als „echt“ vermarktet werden, als Garant für eine neue, bisher nicht vorhandene Güte. Parallel wirkten die wiederholten Unterlassungsklagen wie kostenlose Reklame.
Neue Produkte erobern zudem häufig Marktsegmente, an die ursprünglich nicht gedacht worden war. Der Malzkaffee war als Kaffeezusatz konzipiert, nicht als eigenständiges Heißgetränk. Frühe Anzeigen rieten immer wieder zu einer Mischung von 50% Bohnen- und 50% Malzkaffee. Der „Kaffee“ wäre dadurch billiger, zugleich aber der wahre Kaffeegeschmack gewährleistet. Erst seit 1894 wurde nach Tests mit Hunderten von Probanden der Malzkaffee als eigenständiges Frühstücksgetränk beworben. Die Käufer wurden auf die einfache Zubereitung verwiesen – diese musste gleichwohl kommuniziert werden – und nun erwähnte man auch explizit die technische Innovation: „Bei Herstellung von Kathreiner’s Kneipp-Malzkaffee wird das beste Malz mit Extract der Kaffeefrucht versehen und dadurch mit den gesundheitlichen Vorzügen des Malzes der beliebte Kaffeegeschmack vereinigt“ (Allgemeine Zeitung 1894, Nr. 339 v. 8. Dezember, 8). Diese Synthese von Trillich und Kneipp wurde durch wiederholte und auch veröffentlichte Gutachten unterstrichen, in denen Malzkaffee als modern und gesund galt. Durch Patente abgesicherte Technik schuf eine neue Natur, angepasst an die Bedürfnisse des urbanen Konsumenten. Als im März 1895 der bayerische Prinzregenten Luitpold die Fabrikanlagen besuchte, war Malzkaffee gleichsam geadelt, war als Innovation akzeptiert.
Parallel gelang es 1895/96, Vorwürfe gegen die vermeintliche Gesundheitsschädlichkeit des Produktes abzuwehren. Der Verein bayerischer Chemiker erklärte 1895 die neue Methode für zulässig, obwohl Konkurrenten die Zumengung von Kaffeekirschenextrakt als Verfälschung gebrandmarkt hatten. „Malzkaffee“ wurde nun zu einem klar definierten Konsumgut, die vielfach üblichen Phantasienamen, etwa Germania-Kaffee, wurden untersagt. An ihre Stelle traten Bezeichnungen, die sich an den wichtigsten Grundstoff anlehnten. Auch Vorwürfe eines schädigenden Gerbsäuregehaltes konnte Kathreiner mit Hilfe von Gutachten führender Chemiker und Hygieniker widerlegen, die ihrerseits wiederum in der Werbung genutzt wurden. Die Innovation „Malzkaffee“ war etabliert – wenngleich als Zumischung und als Heißgetränk eigenen Rechtes; und Reminiszenzen an die ländliche Welt hatten offenbar nur noch geringe Bedeutung.

Fliegende Blätter 101, 1894, Nr. 2569, Beibl., 9
4. Kathreiners Malzkaffee-Fabrik expandierte rasch: Marktnähe war wichtig, und so baute man Zweigwerke in Uerdingen (1895), Frankfurt/O. (1906), in Karlsruhe-Rüppurr (1906), in Magdeburg (1909) und Breslau (1909). 1911 folgte eine Fabrik in Wien, 1913 im böhmischen Eger. Der Erste Weltkrieg unterband Bohnenkaffeeimporte, stärkte indirekt die Position der Surrogate im Ernährungsalltag. Kathreiner hatte schon 1913 mit dem Zichorienkaffeeproduzenten Franck ein Quasikartell geformt, so dass die Gewinne für Händler und Produzenten hochgehalten werden konnten. Mit den neuen Fabriken in Regensburg (1919) und Berlin-Köpenick (1925) legte man dann die Grundlagen für einen weiteren Konsumanstieg. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde ungefähr die Hälfte des Flüssigkeitsbedarfs durch Ersatzkaffee, vorrangig Malzkaffee, gedeckt.

Fliegende Blätter 102, 1895, Nr. 2580, Beibl., 7
Das wäre ohne eine umfassende Ästhetisierung des Produktes nicht möglich gewesen. Seit 1894 arbeitete eine eigens eingerichtete Werbeabteilung an immer neuen Bildwelten, in denen Kinder, Bedienstete und Frauen ihr gesundes Malzkaffeefrühstück zu sich nahmen, in denen auch nachmittags Malzkaffee getrunken wurde. Kathreiner wurde als gutbürgerliches Getränk positioniert, als Heißgetränk für Etablierte und Gesundheitsbewusste. Zugleich aber vergaß man nicht den gegenüber Bohnenkaffee deutlich günstigeren Preis, die Bekömmlichkeit und den Nährwert herauszustellen. 1900 verkaufte die Münchener Firma ca. 16 Millionen Pfund-Packungen, ihr Marktanteil bei Malzkaffee betrug 80%. „Wohlschmeckend, sehr gesund, billig“ wurde Kathreiners Kneipp-Malz-Kaffee nicht nur in Mitteleuropa zum Marktführer, sondern auch zu einem frühen globalen Markenartikel, der auf den technischen Fertigkeiten deutscher Chemiker gründete, der zugleich gesund und modern war. Malzkaffee war ein Getränk für alle geworden.
Uwe Spiekermann, 25. Mai 2018
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Kneipp war kein Dominikanermönch. Er war katholischer Priester und wurde als solcher 1855 als Beichtvater in das Dominikanerinnenkloster nach Wörishofen entsandt. Später übernahm er zusätzlich die Pfarrei des Dorfes Wörishofen, blieb aber bis zu seinem Tod 1897 der Seelsorger für die Ordensfrauen.
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