Verbrauchslenkung vor dem Zweiten Weltkrieg: „Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ im Kontext

Das Volk, der große Lümmel – so klang es ironisch gebrochen in Heinrich Heines Wintermärchen, so klingt es bis heute in den Stuben von Gelehrsamkeit, Macht und Transformationswillen. Dort kennt man die Zukunft, weiß, warum sie nur so und nicht anders zu gestalten ist. Da die eigenen Händchen aber zu schwach zu deren Ausgestaltung sind, setzt man immer neue, alle möglichen Hebel in Bewegung, um den großen Lümmel in die zwingend richtige Richtung zu lenken. Dabei helfen Krisen und Kriege, denn dank ihnen können Traditionen und Routinen einfacher gebrochen werden. Und so schaffen und verstärken moderne Wissensgesellschaften immer neue Krisen und Krisennarrative, um Menschen zu motivieren und sie in eine lichte Zukunft zu lenken. Von den öffentlich propagierten Idealen pluraler Problembewältigung bleibt wenig übrig, wenn die Erde brennt, die Seuche Gegenmaßnahmen erfordert, Geld an allen Ecken und Enden fehlt, die russischen Dampfwalze alles planiert und die amerikanischen Freunde die vermeintlich gemeinsamen Werte nicht mehr teilen.

Was für eine Zeit der vermeintlichen „multiplen Krisen“ oder der „Multikrise“ gilt, galt ebenso während der Mobilisierungsdiktatur des Nationalsozialismus. Krisen wurden geschaffen und ausgerufen, mussten bekämpft und überwunden werden. Das Volk, das deutsche, schien willig zu sein, doch es bedurfte der Anleitung. Dabei stand, stärker noch als heute, die Transformation der Ernährung im Mittelpunkt, für die damals noch 40 bis 50 Prozent des Einkommens ausgegeben wurden.

Auf dem Weg zur „freiwilligen“ Verbrauchslenkung

Verbrauchslenkung bedeutete in den 1930er Jahren erst einmal eine Nationalisierung der Ernährung. Das deckte sich durchaus mit den Zielen der Agrar- und Wirtschaftspolitik während der Weimarer Republik, mit dem teils von amerikanischen Werbemethoden geprägten Agrarmarketing, das den Kauf deutscher Milch, deutschen Weins, deutscher Zigaretten, etc. propagierte (Uwe Spiekermann, Künstliche Kost. Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute, Göttingen, 2018, 332-351). Nicht nur nationale Kreise forderten: „Bau‘ eigenen Weizen dir zum Brot; / Drauf streich‘ die eigene Butter; / Der deutschen Erde Glück und Not / Sei deine Nahrungsmutter!“ (Merkbüchlein für den deutschen Michel, Kladderadatsch 83, 1930, Nr. 44, 18)

Die Präsidialkabinette intensivierten diese Anstrengungen ab 1930, kokettierten mit Ideen der Autarkie, die seit den massiven Zollerhöhungen 1925 in der deutschen Öffentlichkeit breit und kontrovers diskutiert wurden (Eckart Teichert, Autarkie und Großraumwirtschaft in Deutschland 1930-1939. Außenwirtschaftspolitische Konzeptionen zwischen Wirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg, München 1984). Der Börsenkrach von 1929, vor allem aber der US-amerikanische Smoot-Hawley Zolltarif vom Juni 1930 verengten die handelspolitischen Freiräume weiter. Die US-Maßnahmen schränkten die Exporte deutscher Investitionsgüter massiv ein, verschärften die ohnehin prekäre Devisenlage des Deutschen Reiches und nahmen den Reparationszahlungen die ökonomische Grundlage (Kris James Mitchener, Kevin Hjortshoj O’Rourke und Kirsten Wandschneider, The Smoot-Hawley Trade War, The Economic Journal 132, 2022, 2500-2533). Das zuvor zumindest theoretisch noch hochgehaltene Prinzip der Meistbegünstigung fiel 1931, bilaterale Handelsabkommen gewannen weiter an Bedeutung. Während die Zölle stiegen, wurde die Devisen zunehmend staatlich bewirtschaftet, parallel wickelte man den Außenhandel vermehrt über Clearing-Systeme ab, ging also teilweise zum Tauschhandel über (Ralf Banken, Die wirtschaftspolitische Achillesferse des „Dritten Reiches“ […], in: Albrecht Ritschl (Hg.), Das Reichswirtschaftsministerium in der NS-Zeit, Berlin und Boston 2016, 111-232, insb. 161-175). Der deutsche Konsum wurde dadurch stark beeinflusst: Menge und Wert der importierten Genussmittel und Frischwaren sanken, auch die für die Milch- und Mastwirtschaft zentralen Futtermitteleinfuhren nahmen schon während der autoritären Phase zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus drastisch ab. Parallel begünstigten die Präsidialregierungen deutsche Agrarprodukte: Seit 1930 musste Margarine immer auch deutsches Fett und zwischen 1931 und 1934 Backwaren vier bis fünf Prozent deutsches Kartoffelstärkemehl und Magermilch enthalten.

Importabhängigkeit des Deutschen Reiches 1931 (Illustrierte Technik 10, 1932, H. 15, V)

Das NS-Regime führte diese Maßnahmen großenteils weiter. Es profitierte von der bereits 1932 offenkundigen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, setzte zugleich aber auf zuvor undenkbare und mit Schulden finanzierte Maßnahmen zur Reduktion der Arbeitslosigkeit, kommunizierte diese mit zuvor unbekannter Wucht (Christoph Buchheim, Das NS-Regime und die Überwindung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56, 2008, 383-414). Die finanz- und wirtschaftspolitischen Argumente für eine möglichst hohe Selbstversorgung galten weiter, wurden aber zunehmend ergänzt durch die rüstungs- und machtpolitischen Zielsetzungen des Regimes. Die schon aufgrund der notorischen Devisenschwäche des Deutschen Reiches kaum zu umgehende strikte Regulierung des Außenhandels wurde 1933 innenpolitisch ergänzt durch eine offensiv propagierte „Erzeugungsschlacht“, die propagandistisch überhöht auf „Nahrungsfreiheit“ zielte, auf eine Intensivierung der heimischen Agrarproduktion, auf eine Mobilisierung des ländlichen Arbeitskräftepotentials. Es galt, heimische Alternativen zur „Auslandsware“ zu fördern, die Milchwirtschaft, die Käseproduktion, den vernachlässigten Obst- und Gemüsesektor, die Herstellung pflanzlicher Öle und vieles mehr. Diese Maßnahmen wurden in ein neues regulatives und institutionelles Korsett gepresst: Der im September 1933 entstandene Reichsnährstand war ein vielfach begrüßter Zwangszusammenschluss der gesamten Ernährungswirtschaft, also der Landwirtschaft, des verarbeitenden Gewerbes und des Einzelhandels. Diese „größte Wirtschaftseinheit der Welt“ (Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007, 226) zielte auf die korporatistische Regulierung und Koordinierung der Erzeugung, des Absatzes, der Preise und Preisspannen.

Begrenzte Erfolge wurden erzielt, doch Selbstversorgung blieb unerreichbar. Agrarimporte kosteten 1936 3,5 Mrd. Reichsmark, machten 35,5 Prozent aller Einfuhren aus (Avraham Barkai, Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus […], Frankfurt/M. 1988, 235). Ohne die Zufuhren wäre die Eiweißversorgung gefährdet gewesen, war die „Fettlücke“ auch nicht ansatzweise zu schließen. Seit 1936, seit dem Übergang zum zweiten Vierjahresplan, traten daher die schon zuvor durch Deutsche oder Braune Wochen oder auch die Kampagne „Deutsche Weihnacht! Deutsche Gaben!“ adressierten Konsumenten verstärkt in den Blickpunkt der Funktionseliten: „So scherzhaft es klingt, es ist bitterer Ernst: das deutsche Volk braucht einen politischen Magen“ (Der politische Magen, Nationalsozialistische Partei-Korrespondenz 1936, Nr. 256, Bl. 1). Neben die Erzeugungsschlacht trat mit der Propagandakampagne „Kampf dem Verderb“ eine vorwiegend von den Hausfrauen umzusetzende „Erhaltungsschlacht“ zur möglichst umfassenden Nutzung der heimischen Ressourcen. Ersatzmittel wurden als Austauschprodukte gefördert, die Vorratswirtschaft intensiviert. Lange vor Kriegsbeginn begann eine „freiwillige Verbrauchslenkung“ (Gesunde Vorratswirtschaft, Nachrichten für Stadt Elsfleth und Umgebung 1936, Nr. 16 v. 6. Februar, 3). Die später im Detail zu analysierende Kampagne „Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ spiegelte die Breite der nun tagtäglich eingesetzten propagandistischen Mittel. Schon während der Weimarer Republik und der Präsidialkabinette begonnene Maßnahmen wurden fortgeführt und intensiviert, die militärischen und politischen Ziele mündeten in einen aufeinander bezogenen Kranz von „Aufklärung, Werbung, Propaganda, Reglementierung und schließlich Zwang“ (Gustavo Corni und Horst Gies, Brot, Butter, Kanonen. Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers, Berlin 1997, 355). Die explizite Lenkung der Konsumenten hieß aber auch, dass sich die anvisierte Selbstversorgung „als eine Utopie erwiesen“ habe (Die Reichsspeisekarte, Der Deutsche in Polen 4, 1937, Nr. 4, 11).

Nationaler Einkauf zwischen Ehrenpflicht und neuen Güte- und Herkunftszeichen (Schwarzwald-Bote 1933, Nr. 257 v. 3. November, 4; Bremer Nationalsozialistische Zeitung 1933, Nr. 73 v. 21. März, 5)

Diese begriffliche Differenzierung ist wichtig, um den Wandel der staatlich-korporatistisch eingesetzten Mittel einzufangen. Festzuhalten ist jedoch, dass mit Ausnahme der ja schon vor dem Krieg einsetzenden Rationierungen, die Wirtschafts- und Konsumpolitik mit Propaganda engstens verwoben war. Der Begriff selbst war Anfang der 1930er Jahre noch positiv besetzt, nicht nur bei den politischen und akademischen Eliten mit ihrem steten Drang nach wissensbasierter Optimierung und Massenführung. Propaganda war eben nicht spezifisch nationalsozialistisch, sondern wurde als ein notwendiges Grundelement moderner technischer Gesellschaften verstanden (Jacques Ellul, The Technological Society, New York 1964 [französisches Original von 1954]; ders., Propaganda. Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird, Frankfurt/M. 2021 [erstmals 1962]). Propaganda im engeren Sinne entstand in demokratischen Gesellschaften, vorwiegend in Großbritannien, Frankreich und den USA im späten 19. Jahrhundert. Propaganda war (und ist) in einer effizienten arbeitsteiligen Gesellschaft strukturell notwendig, ermöglichte dem Einzelnen Orientierung, koordinierte Individuen und Gruppen, verringerte die Kosten des verzahnten Miteinanders unterschiedlicher Interessen, unterschiedlicher Praktiken. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Kernpunkte der eben nur teilweise „nationalsozialistischen“ Verbrauchslenkung auch die heutige Ernährungs- und Gesundheitspolitik prägen. Begründungen verändern sich, zielgerichtete hierarchische Interventionen werden fortgeführt. Das Volk, der große Lümmel.

Verbrauchslenkung als Maßnahmenbündel

Zielsetzungen der nationalsozialistischen Verbrauchslenkung (Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung 9, 1936, 196)

Die Verbrauchslenkung, die es auch für andere Gütergruppen und Dienstleistungen gab, zielte auf eine aus Sicht des NS-Regimes wünschenswerte Erhöhung resp. Verminderung des Konsums bestimmter Lebens- und Genussmittel. Sie galten als Stoffträger, die Bedarfsrechnungen der Ernährungswissenschaften standen Pate, die seit den 1920er Jahren zunehmend akzeptierte „neue“ Ernährungslehre hatte die Bedeutung gerade von Mineralstoffen und Vitaminen für Gesundheit und Leistungsfähigkeit folgenreich unterstrichen (Spiekermann, 2018, 412-418). Darauf baute man auf, zielte auf einen im Systemsinne möglichst effizienten Umgang mit den verfügbaren Ressourcen.

Eine vom Institut für Konjunkturforschung entwickelte und im Dezember 1936 verbreitete Übersicht der erforderlichen Umstellungen diente machtpolitisch einer möglichst blockadefesten Selbstversorgung des Deutschen Reiches. Sozialpolitisch zielte sie auf einen staatlich festgesetzten „fairen“ Ausgleich der Ansprüche innerhalb der Wertschöpfungsketten sowie einer auch rassenpolitisch erwünschten Stärkung von Land und Landwirtschaft. All dies bedeutete eben nicht „eine mehr oder weniger offensichtlich durchgesetzte Rationierung“ (Utz Maas, Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand. Sprache im Nationalsozialismus, Opladen 1984, 32), denn mögliche Erfolge resultierten just aus der propagierten Glaubwürdigkeit, der Fairness, der Akzeptanz der neuen Konsumweisen. Der Lebensmittelverbrauch sollte möglichst heimisch sein, möglichst saisonal, möglichst gesund, auskömmlich und schmackhaft. Tierische Produkte waren keineswegs verpönt, doch insbesondere Rindfleisch und animalische Fette sollten weniger verzehrt werden. Der Anteil pflanzlicher Kost, insbesondere von Kartoffeln, Kohl- und Wurzelgemüse, sollte deutlich gesteigert werden. Die immer wieder diskutierten, schon während der Weltwirtschaftskrise offenkundigen Eiweißdefizite sollten durch verstärkten Verzehr von Seefisch, Magermilch und Milchprodukten verringert werden. Angesichts des außer Kraft gesetzten marktwirtschaftlichen Preismechanismus bedurfte eine derartige Verbrauchsumgestaltung zugleich allgemeiner Geschichten, steter Propaganda. Aufrüstung und Kriegsziele wurden nicht diskutiert, angesichts der immer wieder hervorgehobenen Bedrohung durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges waren die vermeintlich friedenswahrenden Gegenmaßnahmen des Deutschen Reiches jedoch allseits bekannt. Die Verbrauchslenkung wurde nicht plump aufgedrängt, sondern nutzte die generelle Bereitschaft der Bevölkerung, sparsam, national, regional und im Sinne der machtpolitischen Ziele des Regimes zu konsumieren. Allein bei den kolonialen Massengütern Kaffee und Tabak gab es deutliche Differenzen. Angesichts der wachsenden Einkommen führten sie zu steigenden Importen und gefährdeten tendenziell Aufrüstung und Kriegsbereitschaft.

Saisonale Umstellung der deutschen Ernährung: Reichspeisekarte und propagandistische Präsentation eines saisonalen Frühgemüses (Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung 9, 1936, 196 (l.); Beobachter für das Sauerland 1939, Nr. 120 v. 5. Mai, 1)

Die Blaupause für die „freiwillige“ Verbrauchslenkung lieferte die vom Institut für Konjunkturforschung, dem heutigen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, vorgestellte „Reichsspeisekarte“ (A[lfons] Moritz, Wertvolle Ergänzungen der Erzeugungsschlacht, Milchwirtschaftliches Zentralblatt 68, 1939, 57-62, hier 57). Eine Selbstversorgung des Deutschen Reiches schien demnach weiter möglich. Angesichts des Zusammenbruchs des internationalen Warenaustausches und der Klima- und Produktionsbedingungen der deutschen Agrarproduktion könne der Verbraucher aber nicht länger verlangen, „daß ihm zu jeder Zeit alle Nahrungsmittel lediglich seinen persönlichen Wünschen entsprechend zur Verfügung stehen“ (Volksernährung aus deutschem Boden. Richtlinien für die Verbrauchslenkung auf dem Gebiete der Ernährung, Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung 9, 1936, 195-196, hier 195). Wichtig sei jedoch nicht nur die Grobsteuerung – mehr pflanzliche Lebensmittel, weniger (tierisches) Fett – sondern insbesondere eine Abfederung saisonaler Angebotsschwankungen (dies ignoriert Hartmut Berghoff, Methoden der Verbrauchslenkung im Nationalsozialismus. Konsumpolitische Normensetzung zwischen totalitärem Anspruch und widerspenstiger Praxis, in: Dieter Gosewinkel (Hg.), Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur, Frankfurt a.M. 2005, 281-316, hier 310).

Strukturelles Problem Saisonalität: Eier als Beispiel (Hakenkreuzbanner 1936, Nr. 289 v. 25. Juni, 9)

Die gegenüber heute deutlich stärker ausgeprägte Saisonalität des Angebotes war ein zentrales Problem der damaligen Versorgungsketten. Massive Forschungsinvestitionen sollten helfen: Verbesserte Konservierungstechniken, neue Verpackungen, Lager- und Vorratshaltung streckten das Angebot zeitlich, vereinfachten jegliche Verbrauchslenkung. Die „Erhaltungsschlacht“ der Hausfrauen, insbesondere das massiv propagierte Einmachen von Obst und Gemüse bot Flankenschutz, doch bei anderen saisonalen Lebensmitteln wie Eiern oder Fleisch begrenzten der veränderte Geschmack oder auch der fehlende häusliche Lagerraum die haushälterischen Gegenmaßnahmen. Die Saisonalität war anderseits ideologisch wichtig, denn sie half Konsumwelten temporärer Fülle zu präsentieren. Zumindest propagandistisch konnten so die offenkundigen Versorgungsdefizite in der Fett- und Eiweißversorgung ummäntelt werden. Seit Ende 1935 wurden für erste Fette Kundenlisten angelegt und Bezugsscheine ausgegeben, Ende 1936 betraf das alle Fette. Zeitweilig wurde die Herstellung von Wurst und Schinken untersagt, Schlagsahne kontingentiert (Spiekermann, 2018, 370). Die Saisonalität des Angebotes band zugleich Stadt und Land, Bauern, Arbeiter und Angestellte zusammen, imaginierte die Vorstellung einer aufeinander angewiesenen Volksgemeinschaft. Sie bot daher wichtige Ansatzpunkte für einen langsamen Wandel der Verbrauchlenkung auf der „Grundlage der Verbrauchsfreiheit“, bei der es galt, „durch psychologische Einwirkungen die für eine bestimmte Zeit gegebene Verbrauchsstruktur zu verändern“ (Werbung beeinflußt den Verbraucher, Jeversches Wochenblatt 1936, Nr. 33 v. 8. Februar, 6) – so der seit 1923 als Präsident des Statistischen Reichsamtes tätige, 1933 flugs in die NSDAP eingetretene Ernst Wagemann (1884-1956). Die gezielte Nutzung und Neuschöpfung regionaler Traditionen und Speisen waren Teile dieser Lenkungsanstrengungen.

Die damaligen Medien präsentierten den Verbrauchern ein im Detail realistisches, insgesamt aber schönfärberisches Bild der Versorgungssituation (Corni und Gies, 1997, 355-357). Das spiegelte auch die fortwirkende Presseanweisung zu dem vom Institut für Konjunkturforschung ausgearbeiteten Lenkungsbündel: Es galt, „bei der weiteren Behandlung des ganzen Themas nicht jedesmal von Verbrauchslag((e)) und Verbrauchsregelung zu schreiben, sondern dann einfach nur noch ueber die konkreten einzelnen Themen, etwa ueber Fisch- und Kaeseverbrauch usw., was gerade aktuell sei. Die Tatsache einer geregelten Verbrauchslenkung sei also nicht stets besonders hervorzuheben. […] Bei der Verwertung des Aufsatzes soll kein Wort ueber den Vierjahresplan gesagt werden, intern aber seien die Redaktionen an die Richtlinien dieses Aufsatzes aufs strengste gebunde((n.))“ (NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit, Bd. 4: 1936, T. I, bearb. v. Gabriele Toepser-Ziegert, München et al. 1993, 1526). Unmittelbar drängende Versorgungsprobleme wurden angesprochen, begründet und zur Aufgabe erklärt, die grundsätzlichen Probleme der Kriegsvorbereitung und der Vorbereitung einer mit strukturellem Zwang arbeitenden Rationierung jedoch nur indirekt thematisiert. Der große Lümmel sollte gelenkt, nicht erzürnt werden.

Institutionell war die Verbrauchslenkung nicht eindeutig zuzuordnen. Formal war das Agrarmarketing, waren auch entsprechende Propagandakampagnen Aufgaben der Reichshauptabteilung III des Reichsnährstandes (Wolfgang Heidel, Ernährungswirtschaft und Verbrauchslenkung im Dritten Reich 1936-1939, Phil. Diss. Berlin 1989 (Ms.), 73-74; Corni und Gies, 1997, 357). Im Reichsernährungsministerium wurde der Generalplan festgelegt, monatliche Runden der dort angesiedelten Arbeitsgemeinschaft für Verbrauchslenkung sorgten für den Feinschliff. Sie war korporatistisch zusammengesetzt, bündelte die Interessen des Reichspropagandaministeriums, der Reichspropagandaleitung, der Wehrmacht, des Reichsnährstandes, des Hauptamtes für Volkswohlfahrt, der Reichsarbeitsgemeinschaft für Volksernährung, des Deutschen Frauenwerks, der Deutsche Arbeitsfront, des Lebensmittelhandels, des Gaststättengewerbes und des Fleischer-, Bäcker- und Konditorenhandwerks. Staatssekretär Herbert Backe (1896-1947) verstand die Verbrauchslenkung als „Gemeinschaftsarbeit aller Volksgenossen“, bei der die Mitwirkung um so ehrenvoller sei, „je weniger sie in Erscheinung“ trete (Herbert Backe, Verbrauchslenkung, Der Vierjahresplan 1, 1937, 203-205, hier 204). Eine eng hierarchische Vorstellung von Propaganda unterschätzt entsprechend die zahlreichen in die Verbrauchslenkung einbezogenen Institutionen von Staat, Partei und Privatwirtschaft. Schon die damals gängige Aufgliederung der Propaganda in wirtschaftliche Aufklärung, wirtschaftspolitische Propaganda, Gemeinschaftswerbung und die privatwirtschaftliche Einzelwerbung verweist auf zahlreiche zusätzliche Akteure, die immer auch ihre Eigeninteressen verfolgten (Alfred Helzel, Werbung und Politik, Werben und Verkaufen 23, 1939, 263-265, hier 263). Das galt insbesondere für den Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung, eine Unterabteilung des Deutschen Werberates. Gemeinhin ignoriert wird auch der durchaus eigenständige Beitrag des Handels. Der Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel Edmund von Sellner (1898-1939) begrüßte die vielen Artikel und Plakate, doch erst vor Ort, im kleinen Geviert des Einkaufs, würde sich der Erfolg der Maßnahmen einstellen – und es sei Aufgabe des Handels, „die Wünsche des Verbrauchers in die richtigen Bahnen zu lenken, mit falschen Vorstellungen zu brechen, aufklärend zu wirken und das Interesse des einzelnen für neue Waren zu wecken“ (Einkaufs- und Verbrauchslenkung, Deutscher Reichsanzeiger 1936, Nr. 287 v. 9. Dezember, 3).

Das NS-Regime war zugleich bemüht, Sorgen über die staatliche Bevormundung des Einkaufens und Essens aufzunehmen und umzudeuten: „Unser Ziel ist nicht: Gleichmachung aller Verbrauchsbedürfnisse, sondern: Steigerung der Lebenshaltung auf Grund einer Entfaltung der Persönlichkeit. Unser Ziel ist nicht der schematisierte Einheitsverbraucher, sondern der persönlichkeitsbewußte Kulturträger. Wenn der Nationalsozialismus stärker als seine politischen Vorgänger den Verbrauch zu lenken und zu organisieren versucht, so allein deswegen, um die Aufgaben, die über die Kraft des einzelnen hinausgehen, im Rahmen der Gemeinschaft für das Volk zu lösen“ (Robert Ley (Hg.), Lebenshaltung! Ein Beitrag zur Frage der Lebenshaltungspolitik und der Verbrauchslenkung, Berlin 1937 (Ms.), 80). Nicht Verzicht wurde propagiert, sondern eine neue reflektierte Form des (Haus-)Wirtschaftens. Die vermeintlich überholten Hausfrauentugenden, die während der Weimarer Republik vom planlosen Kauf ausländischer Angebote und dem massenhaften Wegwerfen an sich noch brauchbarer Nahrungsgüter überwölbt worden seien, müssten daher revitalisiert werden (Ebd., 82). Dadurch könnten auch viele gesundheitliche Probleme gemildert werden (Karlheinz Backhaus, Der deutsche Speisezettel. Was ist richtig – was ist falsch?, Wille und Macht 5, 1937, H. 18, 8-11, insb. 10).

Sich der Hausfrau nähern: Propagandamittel der Verbrauchslenkung

Verbrauchslenkung erschöpfte sich nicht im Schreiben und Dekretieren. Der Appell an die nationalsozialistische Moral, an den Stolz und imaginierten Wertekanon der Hausfrau, auch an die praktischen Vorteile eines regimekonformen Verbrauchs, spiegelten sich in einer Kaskade von kleinen Artikeln in Tages- und Wochenzeitungen. Verbrauchslenkung war eine Herausforderung: „Aus dem Vollen schöpfen ist keine Kunst. Erst das Einteilen, das richtige Einkaufen, die kluge und geschickte Anpassung an die jeweilige Ernährungslage, und vor allem auch Sparenkönnen am rechten Platz, macht hausfrauliches Können aus“ (Zeitspiegel der Frau, Hakenkreuzbanner 1936, Nr. 465 v. 6. Oktober, 8).

Die ästhetisierte Ernährungsrichtline: Genügend Auswahl auch im kargen Monat Februar (Hakenkreuzbanner 1937, Nr. 56 v. 3. Februar, 7)

Zu Beginn jedes Monats gab erstens eine Ernährungsrichtlinie des Reichsernährungsministeriums einen allgemeinen Überblick der Versorgungslage. Die Richtlinie zeigte „Ia bei welchen Nahrungsmitteln ein verstärkter Verbrauch allgemein erwünscht ist, Ib inwieweit darüber hinaus gewisse Nahrungsmittel besonders zu bevorzugen sind, II bei welchen Nahrungsmitteln ein gleichbleibender Verbrauch möglich ist, III bei welchen Nahrungsmitteln ein verminderter Verbrauch nötig ist“ (Moritz, 1939, 58). Im Gegensatz der „Reichsspeisekarte“ des Instituts für Konjunkturforschung basierte sie auf den aktuellen statistischen Daten – und war damit deutlich präziser und umfangreicher. Die Ernährungsrichtlinie wurde vielfach in eine die Hausfrauen direkt ansprechende, einfach gehaltene und nachvollziehbare Form gebracht. Die Sprache war positiv, unterrichtete über Möglichkeiten, schwieg sich über konkreten Mangel allerdings aus.

Werbung für vorbildliches Einkaufen (Marbacher Zeitung 1939, Nr. 28 v. 2. Februar, 8)

Andere Visualisierungen präsentierten die Hausfrauen unmittelbar beim Einkauf, benannten die oben angeführten Kategorien, gaben aber keine Vorgaben für verminderten Verbrauch. Nach einer gewissen Laufzeit lernten die Leserinnen, dass Nichtbenennung Hinweischarakter hatte. Die einzelnen Zeitungen mussten die Ernährungsrichtlinien abdrucken, hatten bei der Gestaltung der Verbrauchsvorschläge aber einen gewissen Spielraum. Verbote fehlten auch in den insgesamt dominierenden Text-Meldungen (Wir notieren den Küchenzettel für Februar, Der Patriot 1939, Nr. 28 v. 2. Februar, 8). Wenn dort von gleichbleibendem Verbrauch geschrieben wurde, so waren diese Lebensmittel zu reduzieren, zu verringernde dagegen oft gar nicht lieferbar. Die Abbildungen selbst wurden durch Materndienste reichsweit verbreitet (analoger Abdruck Rheinisch-Bergische Zeitung 1939, Nr. 36 v. 11. Februar, 10). Auflagenstärkere Zeitungen nutzten allerdings ihre Pressezeichner, um sich in diesem scheinbar einheitlichen Feld der Verbrauchslenkung zumindest visuell von der Konkurrenz abzuheben.

Groblenkung durch Küchenzettel (Durlacher Tagblatt 1938, Nr. 158 v. 9. Juli, 5)

Diese allgemeinen Hinweise zielten erst einmal auf den Einkauf – und es bestand auch bei folgsamen Hausfrauen grundsätzlich die Gefahr, dass sie mit den für sie ungewohnten Produkten nicht umgehen konnten, dass diese am Ende gar verdarben. Entsprechend veröffentlichten die Zeitungen mit dem Beginn der „Kampf dem Verderb“-Kampagnen Ende 1936 zweitens auch wöchentliche Küchenzettel, die Tag für Tag, mittags und abends Speisevorschläge enthielten. Anfangs handelte es sich um einfache Standardgerichte, zentral herausgegeben vom nationalsozialistischen Deutschen Frauenwerk. Angesichts tiefgreifender regionaler und sozialer Verzehrsunterschiede stieß dies jedoch auf Kritik. Die Deutsche Frauenschaft justierte nach, schließlich handelte es sich um eine ideale Professionalisierungschance. Die Rezepte wurden zunehmend regionalisiert, zudem gab es Küchenzettel für den normalen und für den sparsamen Haushalt.

Von Frau zu Frau: Neu errichtete Versuchsküche der NS-Frauenschaft, Gau Württemberg-Hohenzollern und ein schwäbischer Küchenzettel (Stuttgarter NS-Kurier 1939, Nr. 462 v. 18. Oktober, 6 (l.); Marbacher Zeitung 1939, Nr. 267 v. 14. November, 6)

Die Verbrauchslenkung wurde drittens durch Rezepte ergänzt. Neue Speisen, wie Bratlinge oder Salate, wurden dadurch handhabbar, zugleich aber konnte man darin den Fett-, Eier-, Weizen-, Butter- und Fleischgehalt bekannter Speisen reduzieren. Rezepte halfen kurz vor dem Weltkrieg auch, neue Austauschprodukte wie DPM, Milei und Migetti bekannt zu machen. Das erleichterte deren Integration in die Ende August 1939 eingeführte Lebensmittelrationierung. Die Maschinerie lief im Großen und Ganzen glatt, gleichwohl nicht ohne Knirschen – und man kann bei den Gründen mutmaßen: Geringe Akzeptanz bei den Lesern, Nachlässigkeit und Desinteresse oder aber grundsätzlichere Bedenken gegenüber zunehmend strikten Vorgaben für die tägliche Kost. 1938 gab es jedenfalls 700 „Prüfungen bei den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen“, um „eine noch vollkommenere Einhaltung der Bestimmungen“ sicherzustellen (Aus dem Bericht des Werberates der deutschen Wirtschaft für 1938, Deutscher Reichsanzeiger 1939, Nr. 23 v. 27. Januar, 3).

Ausgearbeitete Vorgaben für die norddeutsche Küche (Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land 1939, Nr. 71 v. 13. März, 9)

Zu der Trias von Ernährungsrichtlinien, Küchenzettel und Rezepten gesellte sich dann lokal und regional eine vielgestaltige kleinteilige Ergänzung der Einkäufe und auch des häuslichen Kochens. Mittlerdienste leisteten auch Kochsendungen der verschiedenen Rundfunksender. Wesentlich wichtiger aber war der Einzelhandel. Vor Ort, auch in den üblichen Warteschlangen vor dem Verkaufstresen, konnten eventuelle Rückfragen zur Marktlage und zu Marktalternativen beantwortet werden. Verbrauchslenkungspropaganda war eben nicht allein medial, sondern immer auch konkret, Teil der Alltagsgespräche und der Haushaltspraxis.

Muster einer Schaufensterwerbung und an Händler gerichteter Marktbericht der Edeka (Deutsche Handels-Rundschau 30, 1937, 997 (l.); ebd., 250)

Die Verbrauchslenkung gründete demnach auf einem umfangreichen Angebot allgemeiner, letztlich im Haushalt verwertbarer Informationen. Getragen wurde sie aber immer auch von persönlichen Kontakten, vom Nachfragen vor Ort, im Laden, in der Nachbarschaft. Konflikte wurden vielfach dort ausgetragen, denn die Richtlinien wurden berücksichtigt, nicht aber direkt umgesetzt. Hinzu trat ein breites Netzwerk lokaler Einrichtungen des Reichsnährstandes, vor allem aber nationalsozialistischer Massenorganisationen wie dem Deutschen Frauenwerk, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und der Deutschen Arbeitsfront. Sie organisierten Vorträge, publizierten und verteilten Broschüren, organisierten Ausstellungen, praktische Vorführungen, Schulungen und vor allem Kochkurse (Moritz, 1939, 60).

Verbrauchslenkung als Bildungsaufgabe: Kochkurs der NS-Frauenschaft in Stuttgart (Stuttgarter NS-Kurier 1939, Nr. 108, 4. März, 41)

Die regelmäßig angebotenen, billigen, teils kostenlosen Kochkurse vermittelten insbesondere jungen Frauen Grundkenntnisse im Kochen, waren zugleich eine wichtige Rekrutierungschance der einzelnen Institutionen. Die Verbrauchslenkung war Thema, ebenso das Hineinwachsen in die NS-Organisationen. In derartigen geselligen Veranstaltungen wurde die Erhaltungsschlacht erprobt, nahm die Heimatfront Gestalt an. Das galt auch für die insbesondere in Groß- und Mittelstädten üblichen hauswirtschaftlichen Ausstellungen. Sie waren ideologiegetränkt und parolenstark, hatten aber den Reiz des Anschaulichen. Typisch war das Verschwimmen der Grenzen zur Gesundheits- und Ernährungsaufklärung. Richtiges Konsumieren, richtiges Essen und richtiges Leben wurde gleichermaßen propagiert, glaubten die Funktionseliten doch, dieses bewerten und vorgeben zu können.

Weniger Fett, mehr Vielfalt. Schautisch einer Wanderausstellung (F.W. Terjung, Warum Verbrauchslenkung?, in: Ernährungspolitik und Schule, hg. v. Reichausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung, Berlin 1938, 7-26, hier 17)

All dies war nationalsozialistisch, all dies knüpfte aber an zuvor erprobte und etablierte Vorläufer während der Weimarer Republik, des Ersten Weltkrieges und auch schon des Kaiserreiches an. Damals aber waren sie marktgetrieben, Ausdruck des Sendungsbewusstseins der Lebensreformvereine, der öffentlichen Aufgaben von Gesundheitsfürsorge und Wohlfahrtspflege, der Not. Die völkische Ideologie des Nationalsozialismus, die staatlichen Machtmittel und die Lenkung der veröffentlichten Meinung schufen neuartige Verpflichtungen auf (fast) allen Ebenen der Gesellschaft – und dienten zugleich dem bewussten Ausschluss unterdrückter Minderheiten. Doch selbst die sozialdemokratische Opposition, die Verbrauchslenkung als Vorwegnahme der Kriegswirtschaft deutete, konzedierte eine gewisse Breitenwirkung: „Und das Volk läßt sich auch auf diesem Weg ‚lenken‘; nicht ganz ohne Widerstand, aber doch bereitwilliger, als man früher angenommen hätte“ (Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), 4, 1937, 133).

Schaubilder zur Systematisierung der Verbrauchslenkung (Werben und Verkaufen 23, 1939, 407)

Die Verbrauchslenkung half dem NS-Regime die Aufrüstung weiter zu forcieren, die Wehrmacht kriegsfähig zu machen. Sie half zugleich bei der Bewältigung zahlreicher kleinerer Krisen, 1937/38 etwa mittels gezielter Kampagnen für den Konsum von Kohl, Äpfeln und Käse. Sie war ein wichtiges Hilfsmittel, um den Marmelade- und Zuckerkonsum zu erhöhen, Seefisch, Quark und auch Sauermilch zu allgemein akzeptierten Lebensmitteln zu machen. Die Verbrauchslenkung konnte die strukturellen Defizite der Lebensmittelversorgung allerdings nicht beseitigen oder gar eine Selbstversorgung sicherstellen. Im Sinne des NS-Regimes war sie dennoch systemrelevant, denn sie schloss für mehrere Jahre eine Fähigkeitslücke. Technisch-institutionell war die Verbrauchslenkung modern und in ihrer Vielgestaltigkeit innovativ. Sie war immer auch ein wissenschaftliches Projekt, das permanent reflektiert und verfeinert wurde (Erich August Goeggle, Untersuchungen zu Verbrauchslenkungen auf dem Gebiete der Ernährungswirtschaft in Deutschland, Diss. TH München 1938; Robert Oetker, Die betriebliche Werbung im Dienste des Vierjahresplanes. Eine Studie über die Aufgaben der betrieblichen Werbung als Mittel der Verbrauchslenkung im Dienste der Rohstoff- und Nahrungsfreiheit, Würzburg-Aumühle 1938; Hans Bliss, Verbrauchslenkung in der entfalteten Wirtschaft, Berlin 1942). Die „freiwillige“ Verbrauchslenkung war Teil der heute wieder so zackig beschworenen Kriegsbereitschaft und erlaubte einen direkten Weg in die nicht mehr freiwillige Verbrauchslenkung, in die Rationierungswirtschaft.

Die Grundkonturen der nationalsozialistischen Verbrauchslenkung sind damit umrissen. Wie aber wurde ein solch langfristig ausgerichtetes Maßnahmenbündel im Detail umgesetzt? Die kleine, in der Forschung höchstens erwähnte, nicht aber näher untersuchte Propagandakampagne „Roderich, das Schleckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ kann helfen, einen genaueren Eindruck von der praktischen Umsetzung der „freiwilligen“ Verbrauchslenkung zu gewinnen. Beginnen wir mit den Namen selbst, die wie bei so vielen vergleichbaren Kampagnen unmittelbar sprechend waren.

Sprechende Namen: Roderich, Schleckermaul und Gemahlin Garnichtfaul

Auch wenn die Hausfrau im Mittelpunkt der Ernährungspropaganda stand, so adressierte die Kampagne doch das eigentliche Problem der Verbrauchslenkung, nämlich den deutschen Mann. Seine Ernährung sollte im patriarchalischen Verständnis kräftig sein, insbesondere Fleisch enthalten. Genussmittel schienen unverzichtbar, zumal Alkoholika und die Importgüter Tabak und Kaffee. Neuem gegenüber, so die gängige Vorstellung, war er kaum aufgeschlossen, seinen „süßen Zahn“ befriedigte er häufig mit Schokolade, also importierten Kakaoprodukten.

Der Name „Roderich, das Schleckermaul“ spiegelte diese Problemlage. Roderich, der Ruhmreiche, war ein Name germanischen Ursprungs. Felix Dahns (1834-1912) 1875 veröffentlichtes Trauerspiel „König Roderich“ zeigte ihn in Aktion, als Anführer im Kampf des christlichen Europas gegen die muslimischen Araber, den er, der Westgotenkönig, in der Schlacht am Rio Guadalete 711 verlor, bei der er auch ums Leben kam. Die Folge war die maurische Eroberung eines Großteils der iberischen Halbinsel. Während Roderich hierzulande nurmehr selten ist – der Aufrüster Roderich Kiesewetter ist eine Ausnahme – sind Abwandlungen wie Rodrigo (Spanien), Rod oder Rory (Großbritannien) andernorts heute noch gängig. Doch die Kampagnenfigur erinnerte nur an einen vormals rechten Krieger, denn Roderich war ein gutmütiger und wohlsituierter, lenkbarer und begeisterungsfähiger Mann.

Roderich und seine Gemahlin (Das Blatt der Hausfrau 53, 1939/40, H. 15, 442)

Roderich war zudem Schleckermaul, ein Vorkoster der Nation, ein Erkunder ihm zuvor unbekannter kulinarischer Welten. Der Begriff steht heute einerseits für einen Feinschmecker und Genießer, anderseits für einen naschenden, bewusst wählenden Menschen (Heinz Köpper, Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache, Bd. 7, Stuttgart 1984, 2484; Synonym-Wörterbuch. Sinnverwandte Wörter, völlig neu bearb., Gütersloh und München 2001, 409). Im 19. Jahrhundert waren diese Nuancen noch vermengt, der Schlecker naschte, gern auch über die Grenzen des Schicklichen hinaus. Das Schleckermaul-Leckermaul wurde im frühen 19. Jahrhundert negativ bewertet, war nicht robust, verzärtelt, konnte Krisen nicht bestehen (Deutsches Schimpfwörterbuch oder die Schimpfwörter der Deutschen, Arnstadt 1839, 59; Friedrich Eberhard von Rochow, Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauche in Landschulen, 3. verm. Aufl., Nürnberg 1795, 51-52; Leckermaul, in: Lehrreiche Erzählungen für Kinder, Wien 1816, 16-17). Nicht der Mann, sondern Löwen, Schoßhündchen und insbesondere Bären galten als Schleckermäuler (Christoph v. Schmid, Der Tanzbär. (Ein Kinderlied.), in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 17, Augsburg 1844, 72-73, hier 73; [Alfred Edmund] Brehm, Illustrirtes Thierleben, bearb. v. Friedrich Schödler, Bd. 1, Hildburghausen 1870, 122, 211, 334; Carl Lemcke, Populäre Aesthetik, 3. verm. u. verb., Leipzig 1870, 161). Kinder sollten vor dem Schleckern bewahrt werden, ihren Gelüsten nicht nachgeben, vielmehr mit Verstand auswählen und essen (Friedrich Harder, Theoretisch-praktisches Handbuch für den Anschauungs-Unterricht, 8. Aufl., Hannover 1884, 70-71). Ein Leckermaul war demnach kein echter Kerl, konnte auch eine Frau sein. Die sexuelle Doppeldeutigkeit von Lecken und Naschen war im 19. Jahrhundert jedenfalls präsent, die Psychoanalyse machte den Zusammenhang nach der Jahrhundertwende gar zeitweilig modisch (Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, bearb. v. Moriz Heine, Leipzig 1885, Sp. 486; Helene Böhlau, Eine kuriose Geschichte, Westermann Illustrierte Deutsche Monatshefte 74, 1892, 106-128, hier 116; Wilhelm Stekel, Die Sprache des Traumes, 2. verb. Aufl., München und Wiesbaden 1922, 198). Im 20. Jahrhundert wurde Schleckermaul dennoch zunehmend seltener verwandt, findet sich nach dem Zweiten Weltkrieg eher in Kinderliteratur, in den deutschen Übersetzungen etwa von Winnie Puuh, Disneys Lustigen Taschenbüchern oder Micky Maus. In der NS-Kampagne verwies Schleckermaul auf die stete Gefahr des Fehlessens, des völkischen Selbstmordes mit Messer und Gabel. Sie wies zugleich aber einen Ausweg, denn die staatspolitisch gebotenen Nahrungsmittel mussten nur ansprechend zubereitet und dargeboten werden, um Roderich zum Vorkämpfer guter deutscher Kost zu machen.

Seine Gemahlin war aus anderem Holz geschnitzt, denn sie war prinzipientreu, konnte sich an die neue, mit dem Vierjahresplan eingeleitete Zeit anpassen. Sie war das Gegenteil des altbekannten Zerrbildes der verschwenderischen Ehefrau: „Sie verdäntlet und verschächert alles / was ihr under die Händ kommet / kauffet darvon allerley Zucker und Schleckerwerck / sutzlet / küsslet und beisset den gantzen Tag wie die kleinen Kinder / ihr Schleckermaul hat den gantzen Tag kein Ruhe“ (J[ohann] J[oseph] P[ock], Ein Schlecker-Maul, in: ders., Gantz neu eröffneter reichlich und wol eingerichteter Glücks und Unglücks-Hafen […], Augsburg 1716, 126-129, hier 128). Der Name Garnichtfaul spiegelte demgegenüber ihre Flexibilität, ihre Erfinderinnengabe: „Die Eva, die list’ge, die war gar nicht faul, / und steckte dem Adam ‘nen Appel in’s Maul“ (Kneip-Bibel, hg. v. d. Turnkneipe zu Schönlinde, 2. verb. u. verm. Aufl., Schönlinde 1882, 64). Der Begriff Gemahlin wies zurück in frühmittelalterliche Zeiten, zielte jedoch weniger auf einen sozial höheren Status des Ehepaars, sondern auf deren Geistesverwandtschaft – prinzipientreu bei ihr, willig bei ihm. Die Gemahlin war Anvertraute, Bindeglied zwischen Gemeinschaft und dem eigenen Haus. Der im Verlöbnis, dem Eheversprechen, enthaltene rühmende und preisende Vorschuss war in ihrer Bezeichnung noch präsent, prägte die ganze Kampagne.

Die Charakterisierung Garǀnichtǀfaul tauchte in Kinderliedern oder populärer Lyrik vor der NS-Zeit vereinzelt auf, doch eher aufgrund des gefälligen Reimes auf Maul, Gaul und anderes (Heinrich Seidel, Der Hasel im Kohl, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. XI, Leipzig 1894, 181-182, hier 181; A. Haas, Volkstümliche Tänze und Tanzlieder in Pommern. (Fortsetzung.), Blätter für Pommersche Volkskunde 5 (1897), 177-181, hier 179). Als Name knüpfte dieser sprechende Vornamenersatz jedoch an die bereits während der 1920er Jahre aufkommenden, anschließend dann gängigen begrifflichen Charakterisierungen fiktiver, meist gezeichneter Personen an. Frau Knauserich und ihr Gatte scheuten die Ausgaben für ein Zeitungsabonnement, Frau Klar nutzte Geliermittel für das Marmeladekochen, parallel mit Garnichtfaul reinigte Frau Säuberlich die Wohnung mit Henkels IMI (DGA. Duisburger General-Anzeiger 1934, Nr. 52 v. 22. Februar, 14; Mittelbadischer Kurier 1935, Nr. 142 v. 22. Juni, Beil., 1; National-Zeitung 1939, Nr. 36 v. 11. Februar, 81).

Gemahlin Garnichtfaul bezeichnete die fiktive Volksgenossin, die dem Führer strebsam zuarbeitete, die Vorbild war und in doppelter Liebe aufging, die zu ihrem Roderich und die zu ihrem Volk: „Nur die Frau, die Verständnis hat für das politische Ziel der Partei, für die politischen Aufgaben und die Tätigkeit ihres Mannes und auch ihrer Kinder innerhalb der Organisationen, kann und wird die ihr daraus erwachsenden Aufgaben innerhalb der Familie und Haushalt richtig erfüllen, und die nicht zu vermeidenden Opfer wie das Alleinsein, die vermehrte Arbeit mit Freuden auf sich nehmen. […] Die Frau welche die politischen Zusammenhänge und Notwendigkeiten versteht, wird sich mit Selbstverständlichkeit in die Forderungen des Vierjahresplanes, der Verbrauchslenkung der Marktwaren finden“ (Appell an die Außenseiter!, Stuttgarter NS-Kurier 1939, Nr. 36 v. 21. Februar, 35). Frau Garnichtfaul brach mit dem alten Trott, war eine nationalsozialistische Gefährtin, Praktikerin einer neuen Zeit: „Sie bevorzugt Lebensmittel, die zur jeweiligen Jahreszeit reichlich und frisch vorhanden sind, und hilft nach Möglichkeit durch eine gesunde Vorratswirtschaft den Markt zu entlasten und vorübergehende Verknappungen zu überwinden“ (Die Hausfrau kämpft mit, Zeno-Zeitung 1939, Nr. 42 v. 11. Februar, 8). Gatte Roderich, das alte Leckermaul, wurde durch sie vor Abwegen bewahrt, auf den Pfad der völkischen Tugend, gar ins Rampenlicht einer Kampagne geführt.

Bilder und Gedichte: „Roderich, das Schleckmaul, und Gemahlin Garnichtfaul“

Die Propagandakampagne „Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ war die erste zusammenhängende Begleitaktion zum ansonsten etablierten Instrumentarium der Verbrauchslenkung. Getragen wurde sie von den in der Arbeitsgemeinschaft für Verbrauchslenkung vertretenen Institutionen. Sie schloss einerseits an die vielgestaltigen „Kampf dem Verderb“-Kampagnen an: „Kampf um 1 ½ Milliarden“ (1936/37), „Brot als kostbarstes Volksgut“ (1937/38) und vor allem „Groschengrab“ (1938/39) mobilisierten für die Erhaltungsschlacht, für eine neue deutsche Hauswirtschaft. Sie informierten, emotionalisierten und visualisierten zugleich ein zentrales staatspolitisches Problem: Die Kampagnen kreisten in immer neuer, immer wieder variierter Form um die Mobilisierung der Haushalte, der Hausfrauen, für die Wehr- und Kriegsbereitschaft des Deutschen Reiches, für die Bewältigung zeitweiliger Mangellagen. Sie alle griffen auf Zeichnungen und Comics, auf Parolen und Texte, auf Geschichten und Gedichte zurück. Nicht das eine Bild, die eine Serie, waren charakteristisch, sondern ein Beziehungsgeflecht unterschiedlicher ineinander übergreifender Einzelelemente. „Roderich, das Schleckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ war der Versuch, ähnliches für die umfassendere Aufgabe der Verbrauchslenkung zu wagen.

Die neue Kampagne knüpfte zugleich an frühere Werbekampagnen für deutsche Nahrungsgüter an. Betrachten wir etwa Milcheiweißpulver: 1934 wurde es einem neuartigen Milcheiweißbrot beigemengt, im April 1938 als eigenständiger Austauschstoff aus heimischer Magermilch angepriesen. Plakate, Klischeezeichnungen, ein Rezeptdienst und ein Werbefilm ergaben eine breit gefächerte Werbung, die vom Deutschen Frauenwerk, der Deutschen Arbeitsfront, der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel und Vertretern der Milchwirtschaft getragen wurde (Käse, Berlin 1938 (Ernährungs-Dienst, Folge 21), 25). Solche Kampagnen hatten Gleichschrittcharakter, vermengten Markterschließung und unternehmerische Dienstbarkeit. Rewe-Aufsichtsratsvorsitzender Blohm feierte das Engagement seiner Einkaufsgenossenschaft als Ausdruck unternehmerischen Dienstes an der Gemeinschaft („Rewe“-Lebensmittel-Großhandel, Oberbergischer Bote, 1938, Nr. 101 v. 2. Mai, 9).

Motiv I: Kartoffeln und Motiv II: Quark, Sauerkäse, Trockenmilch (Der Führer 1939, Nr. 29 v. 29. Januar, 6 (l.); Völkischer Beobachter 1939, Nr. 43 v. 12. Februar, 15)

Fünf Bilder und Gedichte bildeten den appellativen, allseits sichtbaren Teil der Kampagne. Sie waren einheitlich aufgebaut, erschienen dadurch als visuelle Einheit. Roderich und seine Gemahlin dienten jeweils als Hingucker, verdeutlichten auch, dass es hier um die tägliche Kost ging. Der jeweils gleiche Rahmen unterstrich dies. Er präsentierte die Fülle der deutschen, der heimischen Küche. Alle fünf Motive hatten eine identische Überschrift, endeten mit Verweisen auf ergänzende Informationen und Rezepte in dem jeweiligen Blatt. Die Serie gab Einblicke in einen Privathaushalt, Kinder fehlten. Das Gedicht widmete sich der Interaktion zwischen Roderich und seiner Gemahlin, folgte deren Gedanken. Das Paar kannte einander, die Vorlieben des Haushaltsvorstandes lenkten die Hauswirtschaft seiner Gattin. Und doch gab es abseits des kleinen Glücks noch eine andere Dimension: die des vernünftigen und sparsamen Wirtschaftens, die neuer preiswerter Lebensmittel und Speisen. Von Verbrauchslenkung oder den Anforderungen der Volksgemeinschaft war nicht die Rede, ging es doch vordergründig um die Befriedigung von Roderichs kulinarischen Vorlieben. Doch Frau Garnichtfaul wusste das Leckermaul mit der neuen Zeit zu versöhnen, kochte gute, einfache Speisen, verwandelte heimische Lebensmittel und verarbeitete Produkte in schmackhafte Gerichte, so recht im Sinne ihres Gatten. Die Gedichte mündeten daher in einen im damaligen Ehealltag eher seltenen Lobpreis. In fetter Type hieß es summarisch: „Leckermaul jedoch spricht froh: / ‚Teures Weib – nur weiter so!‘“.

Motiv III: Fisch und Motiv IV: Zucker (Stuttgarter Neues Tagblatt 1939, Nr. 96 v. 25. Februar, 9 (l.); Bremer Zeitung 1939, Nr. 71 v. 12. März, 26)

Was heimelig daher kam, hatte allerdings einen klaren Adressaten: Leser und Leserinnen wurden in vier der Gedichte direkt angesprochen. Jeweils in Klammer wurde gefragt, ob sie nicht ähnlich handeln wolle, ob sie nicht auch schon einmal solche Speisen probiert hätten. Das war die Quintessenz des allseitigen, allgemeinen, die Leser mit einbeziehenden Lobes der Klugheit und Sparsamkeit der Garnichtfaul.

Formal handelte es sich um ein zwölfzeiliges und vier zehnzeilige Gedichte. Die Sprache war einfach, ebenso der Paarreim, Fremdworte fehlten. Jedes Gedicht stellte andere Lebensmittel und Produkte vor und in den Mittelpunkt. Das Entree bildete die Kartoffel, ein kulinarischer Tausendsassa, wandlungsfähig, eiweißhaltig, der deutschen Erde abgerungen. Es folgten Milchprodukte, genauer Quark, Sauerkäse und Trockenmilch, allesamt Eiweißträger. Die Gemahlin lebte offenbar in einer arbeitsteiligen Konsumgesellschaft, griff auf verarbeitete Lebensmittel zurück, vertraute den Angeboten auch der Industrie. Sie war modern, wählte mit Bedacht, ging mit der Zeit. Es folgte der eiweißreiche Fisch, ebenfalls vielgestaltig, nicht nur frisch eine Leckerei, eine wohlfeile Alternative zum Fleisch. Die vorgestellten Produkte waren, mit Ausnahme von Quark und Sauerkäse, länger haltbar, konnten daher die Tafel dauerhaft prägen. Der Reigen wurde mit dem stärkenden Gaumenkitzler Zucker fortgesetzt, der physiologiewidrig als Fettsparer präsentiert wurde. Die Anzeigenserie endete süß, verlängerte den Einsatz des deutschen Rübenzuckers als Mahlbegleiter. Das neu geschaffene Deutsche Pudding-Mehl und das frühere Palmmarknährmittel Sago waren Kartoffelprodukte, schlossen den Reigen der heimischen Angebote. Man fand die von Garnichtfaul genutzten Waren nicht alle im umkränzenden Rahmen, denn dieser zeigte nur einen Ausschnitt der quasi unbegrenzten Möglichkeiten der deutschen Agrarwirtschaft, der deutschen Lebensmittelindustrie. Der Rahmen war Vermittler der gesunden, der richtigen Ernährung. Und angesichts der neuen und gewiss stetig verbesserten Austauschprodukte waren weitere Angebote nicht ausgeschlossen. Garnichtfaul würde darauf achten, Roderich wohlig genießen.

Motiv V: Deutsches Pudding-Mehl und Sago (Hamburger Tageblatt 1939, Nr. 84 v. 25. März, 6)

„Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ wurde erstmals am Samstag, dem 28. Januar 1939 abgedruckt (Wilsdruffer Tageblatt 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 6; Hamburger Tageblatt 1939, Nr. 28 v. 28. Januar, 11; Verbo 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 18; Kärntner Volkszeitung 1939, Nr. 8 v. 28. Januar, 11). Der Start erfolgte reichsweit, in Tages- und Wochenzeitungen. Viele begannen die zwingend abzudruckende Serie erst am Sonntag, dem 29. Januar, vereinzelt auch später (Riesaer Tageblatt 1939, Nr. 30 v. 3. Februar, 11; Stolles Blätter für Landwirtschaft, Gartenbau, Tierzucht 1939, Nr. 8 v. 19. Februar, 4; Sächsische Volkszeitung 1939, Nr. 79 v. 1. April). Die fünf Motive erschienen alle zwei Wochen, entsprechend endete die Serie zumeist am 25. oder 26. März. Die vorgesehene Reihenfolge wurde fast durchweg eingehalten, ein doppelter Abdruck der gleichen Anzeige blieb Ausnahme (Illustriertes Tageblatt 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 21; ebd., Nr. 41 v. 17. Februar, 7).

Die Serie stand allerdings nicht für sich alleine, die drei- bis vierzeiligen Verweise auf ergänzende Rezepte in den jeweiligen Druckwerken machten dies unmissverständlich klar. Sie fassten zugleich den Gegenstand des Gedichts zusammen, nannten nochmals die darin angesprochenen Lebensmittel und Produkte. Diese Verweise konnten von der jeweiligen Zeitschrift verändert werden. So verwies das Neue Wiener Tagblatt explizit auf die Folgerezepte in der jeweils mittwochs erscheinenden Rubrik Frau und Haushalt (Neues Wiener Tagblatt 1939, Nr. 29 v. 29. Januar, 37). Zeitschriften lenkten das Interesse vielfach auf die Rezepte in den Tageszeitungen (Die Wehrmacht 3, 1949, Nr. 3, 22), konnte darauf aber auch verzichten (Fliegende Blätter 190, 1939, 187). Die Verweise waren mehr als Beiwerk, auch wenn in vielen Tageszeitungen entsprechende Rezepte nicht in der gleichen Ausgabe zu finden waren. „Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ war eben deutlich mehr als eine fünfteilige, nett anzusehende Werbeserie. Die hier präsentierten Zeichnungen glichen der Spitze eines Eisbergs, waren lediglich der direkt sichtbare Teil einer wesentlich umfangreicheren und vielgestaltigeren Verbrauchslenkung. Die namensgebenden „Sinnfiguren der ernährungswirtschaftlichen Erziehungspropaganda“ (Erich Kupke (Bearb.), Jeder denkt mit!, Berlin 1939, 37) standen für etwas Größeres, etwas Wichtigeres. Dazu gilt es, genauer hinzuschauen.

Narrative Vergemeinschaften: Roderich und Garnichtfaul als Marker

NS-Propaganda war Verbundpropaganda. Bleibt ihre Analyse bei den scheinbaren Kernmotiven stehen, so verkennt sie deren Funktion, missversteht das Teil als Ganzes. Bilder allein verniedlichten und verharmlosten NS-Propaganda, ignorierten die verschiedenen, eng miteinander verzahnten Ebenen der Einflussnahme. Bilder sind offener, interpretationsgefälliger, luden daher stärker ein als eindeutigere, stärker fordernde Texte. Die Kampagne „Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ enthielt solche einordnenden Begleittexte. Und sie bestand aus einer Kaskade ergänzender Texte und Bilder der in den Bild- und Gedichtanzeigen angesprochenen Lebensmittel und Produkten. Wie schon zuvor bei Groschengrab wurde auch diese NS-Propagandakampagne zudem durch Comics erweitert und gedoppelt. Die daraus resultierende Vielgestaltigkeit war charakteristisch für die NS-Propaganda, stand damit aber auch im Gefolge breiter gefasster Werbekampagnen der späten 1920er Jahre. Für die Funktionseliten war Wirksamkeit entscheidend, Akzeptanz und Aufgreifen völkisch vermeintlich notweniger Konsumweisen. Propaganda sollte gefällig dargeboten werden, durfte nicht langweilen. Blicken wir näher auf kleine Geschichten von Roderich und Garnichtfaul, die deren Bilder und Gedichte ergänzten.

Erinnerung an das Gesehene, an das Gelesene (National-Zeitung 1939, Nr. 39 v. 8. Februar, 11)

Die allmonatlichen Ernährungsrichtlinien, die wöchentlichen Küchenzettel und Rezepte griffen immer wieder über das haushälterische Feld hinaus, forderten den Gleichschritt: „Wir Frauen müssen wirklich denken, sollen wir nicht mitschuldig werden an gewissen kleinen Schwierigkeiten, die es überhaupt nicht gäbe, dächten alle Frauen logisch“ (Frauengeständnisse, Rheinisches Volksblatt 1939, Nr. 30 v. 4. Februar, 10). Solche unangemessenen Schuldzuweisen konnten jedoch auch freundlicher verpackt, Teil eines positiven Narrativs werden – ergänzende Geschichten über Roderich und seine Garnichtfaul zeigten dies. Kurz nach dem Beginn der Serie erschien reichsweit eine erste Home Story. Sie vertiefte das Thema der entrahmten Milchprodukte, nutzte vor allem aber das positive Vorbild der Gemahlin als völkisches und frauliches Ideal. Sie habe es als „Ergebnis langjähriger Bemühungen“ geschafft, ihrem Roderich typisch männliches Habenwollen ohne Bedacht abzugewöhnen. Dank ihr wisse er, dass jegliche Speise ihre Zeit habe, Eierkuchen nicht ganzjährig möglich seien. Von ihrer Klugheit inspiriert richte er sich nach „der Geberlaune der Natur“, die ihm „zu einer regelrecht strotzenden Gesundheit“ verholfen habe. Der eigens ausgesandte „Sonderkorrespondent für Gaumenkitzel“ berichtete auch über die Kunst der Garnichtfaul, aus einfachen Dingen wie Quark Genüsse zu zaubern. Roderich sei zufrieden, einer der nicht allzu zahlreichen „einwandfrei gefütterte[n] Männer“, die um gutes Essen als Grundlage „ihres ehelichen Glücks“ wussten. In ehelichem Einvernehmen habe Garnichtfaul, „die erst denkt und dann kocht“ jetzt gar mit einem Kochbuch begonnen, einer „Liebeserklärung an ihren lieben Roderich“. Sie gehe alle an: „Wer noch ein Herz hat, spitzt sein Ohr / wir stellen ihm als ‚Glücksfall‘ vor: / Herr Roderich das Leckermaul und seine Gattin Garnichtfaul!!“ (Westfälische Zeitung 1939, Nr. 28 v. 2. Februar, 10; Sauerländisches Volksblatt 1939, Nr. 29 v. 3. Februar, 3; Verbo 1939, Nr. 30 v. 4. Februar, 20; Riesaer Tageblatt 1939, Nr. 33 v. 8. Februar, 9).

Dieser Text wurde fast überall gedruckt, dabei teils leicht variiert: Mal ohne das Schlussgedicht (Der Erft-Bote 1939, Nr. 22 v. 31. Januar, 7; National-Zeitung 1939, Nr. 36 v. 11. Februar, 6), mal vermengt mit dem Lobpreis anderer Lebensmittel (Herner Anzeiger 1939, Nr. 34 v. 9. Februar, 7), mal aber auch schon mit nachfolgenden Rezepten. Festzuhalten ist der unterhaltende Ton der Propaganda, zugleich aber die gezielte Nutzung allgemeiner Gefühle, allgemeiner Sehnsüchte. Eheprobleme würden sich lösen lassen, Gleichgültigkeit könne der Liebe weichen, das tägliche Kochen geadelt werden – man müsse nur die ohnehin vom NS-Staat immer wieder propagierten Anregungen umsetzen. Derartige Lenkungsbestrebungen waren an sich einfach zu durchschauen; Männer dürften sich an der tumben Roderichrolle auch gestoßen haben. Doch war an der Geschichte nicht vielleicht doch etwas dran?

Freundlich wandten sich die nicht mit Namen zeichnenden Propagandisten auch an die vermeintlichen Trotzköpfe der Nation, unvernünftige Wesen fernab des Normalen. Sie wollten Blattsalat im Winter speisen, Eier im Spätherbst, beharrten auf Gänseschmalz, wo doch gerade Butter allgemein verfügbar war, bevorzugten ihr Fleisch gegenüber einer saisonal gebotenen vegetarischen Leckerei. Roderich hätte ihnen erzählen können, dass die „Natur“ auch das „verwöhnteste Leckermaul nicht Hunger leiden“ lasse, vorausgesetzt jemand gehe mit offenen Augen einkaufen und wisse, wie man aus dem Gebotenen einen Genuss bereiten könne (Die Speisekarte der Trotzköpfe, Neuigkeits-Welt-Blatt 1939, Nr. 60 v. 12. März, 21; analog Salzburger Volksblatt 1939, Nr. 59 v. 11. März, 23; ohne das nachfolgende Gedicht Bremer Zeitung 1939, Nr. 77 v. 18. März, 14; Sächsische Volkszeitung 1939, Nr. 61 v. 11. März, 4). Sorge nicht, lebe – das war die implizite Botschaft, natürlich nur auf Basis haushälterischer Kompetenz. Im völkischen Ringen setzte sich der Stärkere durch – und Gemahlin Garnichtfaul unterstrich dies mit ihrer sparsamen Klugheit, ihrem Dienst für die Belange sowohl ihres Gatten als auch der Volksgemeinschaft.

Gegen die Trotzköpfe: Vertrauen in die staatliche Agrar- und Ernährungspolitik (Anzeiger für die Bezirke Bludenz und Montafon 1939, Nr. 12 v. 25. März, 5)

Das vierte Bild-/Gedichtmotiv wurde analog begleitet, war doch von Deutschland die Rede, Deutschland als der größten Markthalle der Welt. Hierzulande würde die Natur alles bieten „wonach der Gaumen verlangt“, Auslandsware sei nicht erforderlich. Frau Garnichtfaul wisse das, habe sich umgeschaut, liege nicht auf der Bärenhaut wie manch andere Hausfrau. „Renntierschinken mit Burgundertunke und anschließendem Bananensalat“ sei nicht möglich. Sie wisse aber, dass jegliches Lebensmittel seinen Stichtag habe, dass man die Natur nicht zwingen könne. Sich anzupassen sei die Kunst, dann aber könne sie zaubern, aus einfachen Dingen Freude bereiten (Zschopauer Tageblatt und Anzeiger 1939, Nr. 59 v. 10. März, 5; Neuigkeits-Welt-Blatt 1939, Nr. 60 v. 12. März, 22).

Weitere Geschichten um Roderich und Garnichtfaul gaben mehr von ihrem Glück preis, hatten sie doch einen geliebten und gehegten Stammhalter. Roderich war mit Säuglingsspeisen nach Ende des Stillens nicht recht vertraut, kritisierte daher das aus seiner Sicht gefährliche Verfüttern von Kartoffeln. Garnichtfaul aber beendete das nächtliche Schreien des hungrigen Babys mit einem wohlig schmatzend verzehrten süßen Brei. Roderich verstand nicht, wohl aber seine Gemahlin, denn diese hatte das Deutsche Pudding-Mehl, das neue Kartoffelstärkeprodukt, genutzt. Sie ließ ihren Gatten kosten und nun leuchtete es ihm ein: Es gab eine noch größere Vielfalt als herzhafte Brat-, Pell- oder Salzkartoffeln, als die unverzichtbaren Klöße und Kartoffelpuffer. Und freudig gedachte man – Propaganda braucht solche Legenden – des alten Fritzes, der doch die Kartoffel hierzulande heimisch gemacht hatte (Vom Säugling, der nach Kartoffeln schreit!, Sauerländisches Volksblatt 1939, Nr. 73 v. 27. März, 6; Der Haushalt 11, 1939, Nr. 4, 6; gekürzt Der sächsische Erzähler 1939, Nr. 72 v. 25. März, 7).

Die neuen Kartoffelprodukte mussten erklärt werden, entsprechend gab es weitere Geschichte mit den beiden Propagandafiguren. Sie erschienen nun bereits als gute Bekannte, als Alltagsbegleiter. Und angesichts des kommenden Osterfestes nutzte sie, die Gemahlin, DPM und Sago, um all den Anforderungen der Festzeit zu genügen. In der Geschichte selbst war das nicht mehr exotisch. Garnichtfaul war nun, nach Ende der Bilder und Gedichte, Teil einer breiten Hausfrauenschar, die jene belächtete, die von den neuen, den guten heimischen Dingen nichts wussten. Die Volksgemeinschaft freute sich daher zurecht auf „großartige Festtagskuchen“, deren „reichlicher Verbrauch nunmehr für alle Zeiten zur Selbstverständlichkeit wird“ (Gute Sachen, die alltags und festtags Freude machen, Die Glocke, Ausg. F, 1939, Nr. 98 v. 11. April, 5).

Texte wie diese verwiesen auf das Eigengewicht von Roderich und Garnichtfaul, die sich zwar noch nicht von den Grundmotiven der Serie emanzipiert hatten, die aber in neue Zusammenhänge gestellt wurden. Das galt auch für den letzten gedruckten Text mit dem glücklichen Ehepaar. Roderich schwelgte darin von „Schweinerem“, von Salami und Schmalz. Seine Gemahlin aber wusste, dass es der Gehalt machte, dass Fleisch durch Zucker bestens ersetzt werden konnte. So die Wissenschaft, so auch ihre Küche. Roderich war nicht ganz überzeugt, doch einen Pudding, schön süß, den wollte er sich durchaus munden lassen (Kein Krach um Jolanthe, Verbo 1939, Nr. 139 v. 19. Juni, 8).

Im Nachhinein mögen derartige Narrative nicht sonderlich ansprechend wirken, doch sie waren integraler Bestandteil dieser Propagandakampagne. Wie parallel beim Groschengrab gewannen die Figuren weitere Konturen, mit denen die Propagandisten weiterarbeiten konnten. Ein ungleiches, aber miteinander glückliches Ehepaar wie Roderich und Garnichtfaul hätte Serienheld werden können, doch der Krieg setzte anstelle der noch beschworenen „freiwilligen“ eine bald allgemein verpflichtende Verbrauchslenkung, die Rationierung. Nun bedurfte es der beiden nicht mehr, Lebensmittel wurden zugewiesen und aufgerufen. Doch Roderich und Garnichtfaul hatten bereits gängige Lebensmittel des Weltkrieges propagiert, ebenso Informationen und Rezepte, um aus diesen etwas Schmackhaftes zu machen.

Empfohlener Konsum: Text- und Rezeptmassen als Kern der Kampagne

Für die Propagandisten waren Roderich und Garnichtfaul Mittel zum Zweck, so wie die Mehrzahl der großen Lümmel, der willigen Deutschen für die NS-Oberen. Sie blickten schon weiter, hin auf die im Krieg unverzichtbaren Lebensmittel und Produkte, für die das glückliche Ehepaar freudig warb. Es ging den Funktionseliten um „unermüdliche, ständig wiederkehrende Hinweise“, darum, „die Menschen allmählich dazu zu erziehen, daß ihnen auf dem Gebiet der Nahrungsverwertung nichts mehr unwichtig erscheint“ (Gerstorfer, Die Propaganda im Dienste der Aufklärungsaktion „Kampf dem Verderb“, Unser Wille und Weg 6, 1936, 355-357, hier 356, auch unten). Eine einheitliche Propaganda war unverzichtbar, daher einheitliche Bilder und Gedichte, daher einheitliche ergänzende Texte. Doch die Propagandisten wussten um die Grenzen derartiger Vorgaben, daher waren auch Journalisten und praktische Hausfrauen gefragt, denn sie und nur sie kannten die Besonderheiten vor Ort: „Generalrezepte können dafür natürlich nicht gegeben werden, da es sich gerade darum handelt, unter keinen Umständen nach einer Schablone zu arbeiten, sondern die Aktion in dem vielfältigen Mosaik all der Kleinigkeiten, aus der sie sich zusammensetzt, unter ständig neuen Blickpunkten zu beleuchten“. Bilder, Gedichte und Ergänzungsnarrative bildeten daher nicht den Kern der Propagandaserie. Dieser bestand aus zahllosen dezentral publizierten und erstellten Texten und Rezepten. Wer die Kampagne als wenig „lokalbezogen“ charakterisiert, spiegelt die eigene Oberflächlichkeit (Hans Veigl und Sabine Dermann, Alltag im Krieg 1939-1945. Bombenstimmung und Götterdämmerung, Wien 1998, 32). Gewiss, auch die kleinteiligen Texte und Rezepte bewegten sich im vorgegebenen Rahmen und nutzten einheitliche Vorlagen. Ihre (bedingte) Überzeugungskraft gewannen sie aber aus der genaueren Kenntnis und Darstellung lokaler Fährnisse, lokaler Konsummuster. Dies gilt es genauer in den Blick zu nehmen, auch um einen Eindruck von der Alltagspropaganda kurz vor Kriegsbeginn zu erhalten.

Stete Lenkung, schon vor Roderich-Garnichtfaul-Kampagne 1938 (Ernährungsdienst 1938, Nr. 20, 1)

Anfang 1939 war die Versorgungslage im Deutschen Reich weiterhin angespannt. Butter, Eier, Fleisch und vielfach auch Gemüse fehlten, verbrämt wurde dies mit der „anomalen Witterung im Dezember und Januar“. Die Alltagspropaganda griff dies auf, sah dieses als paradoxen Widerhall der Erfolge der NS-Regimes, denn das Ende der Arbeitslosigkeit und die moderat steigende Lebenshaltung hätten den „Verbrauch verfeinerter Nahrungsmittel“ deutlich erhöht (Hat die Verbrauchslenkung versagt?, National-Zeitung 1939, Nr. 28 v. 28. Januar, 15 für beide Zitate). Versorgungsschwierigkeiten seien Übergangserscheinungen auf dem Weg hin zu besseren Zeiten, zur entwickelten nationalsozialistischen Konsumgesellschaft. Meckern sei unangemessen: „Wir vergessen oft sehr schnell, wenn es uns einmal schlecht gegangen ist und richten dafür unsere Aufmerksamkeit um so härter auf die Ereignisse und damit natürlich auch auf Unzulänglichkeiten des Augenblickes“ (Unsere Ernährung im Februar, Bremer Zeitung 1939, Nr. 28 v. 28. Januar, 10). Verglichen mit der immer wieder in Erinnerung gerufenen Zeit der Hungerblockade und der Weltwirtschaftskrise war das zwar richtig, lenkte vom Problem aber ab.

Die Kartoffel als wichtigstes deutsches Lebensmittel (Rahdener Wochenblatt 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 5)

Die allwöchentliche, allmonatliche Verbrauchslenkung hielt längst gegen, die Ernährungsrichtlinie empfahl für den Februar mehr Fisch, Käse und Quark, Butter und Trockenmilch (Fett, Fleisch, Eier. Dinge, an denen wir sparen müssen – Dafür Käse, Fisch, Kartoffeln, Herforder Kreisblatt 1939, Nr. 21 v. 25. Januar, 4). Das erste Bild und Gedicht der Roderich-Kampagne propagierte zudem vermehrt Kartoffeln – und die Knollenfrucht wurde nun gesondert empfohlen. Dazu dienten erstens Artikel, in denen ihre stoffliche Zusammensetzung (Eiweiß, Nährsalze und Vitamine) ebenso gepriesen wurde, wie ihre vielgestaltige küchentechnische Verwendung. Als Ergebnis beträchtlicher, propagandistisch übertriebener Ertragssteigerungen müsse auch der Konsument seinen Beitrag leisten: „Der 15prozentigen Erzeugungssteigerung muß eine ebensolche Verbrauchssteigerung folgen“ (Die Kartoffel in der Ernährung, Oberbergischer Bote 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 10). Der Reichsnährstand hatte dazu einen Rezeptdienst ausgearbeitet, die Zeitungen verbreiteten zudem Teile einer vom Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung erstellten illustrierten Broschüre, um Kartoffeln mittags, aber auch abends „zum Hauptträger unserer Mahlzeiten“ werden zu lassen (Kärntner Volkszeitung 1939, Nr. 8 v. 28. Januar, 11). Die Zeitungen präsentierten sich als Dienstleister, als Freund und Helfer (Schwerter Zeitung 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 4; Altenaer Kreisblatt 1939, Nr. 21 v. 28. Januar, 11; Sächsische Elbzeitung 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 6). Haushaltsparole war: „Die wahrhaft kluge Hausfrau spricht: ‚Verachtet die Kartoffeln nicht!‘“ (Gevelsberger Zeitung 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 15).

Nur geringe regionale Verzehrsunterschiede: Kartoffelkonsum 1908/09, 1927/28, 1937 (Spiekermann, 1997, 278)

Kartoffeln waren damals das wichtigste Lebensmittel im Deutschen Reich. 1938 wurden ca. 174 Kilogramm pro Kopf und Jahr verzehrt, die regionalen Verzehrsunterschiede waren vergleichsweise gering (Uwe Spiekermann, Regionale Verzehrsunterschiede als Problem der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Räume und Strukturen im Deutschen Reich 1900-1940, in: Hans Jürgen Teuteberg et al., Essen und kulturelle Identität, Berlin 1997, 247-282). Doch die Rekordwerte der Vorkriegszeit mit rechnerisch mehr als fünf Zentnern, fast 700 Gramm täglich, erreichte man nicht mehr. Außerdem wurden Kartoffeln vor dem Zweiten Weltkrieg bereits zunehmend verarbeitet, verdrängten als staatlich gefördertes Kartoffelwalzmehl vielfach Getreide, waren als Kartoffelstärke Alltagsgut. Die in der Propaganda klar dominierenden Speisekartoffeln machten nur ein gutes Viertel der Ernte aus, Pflanz- und vor allem Futterkartoffeln mehr als die Hälfte. Die deutsche Landwirtschaft deckte den kompletten Kartoffelbedarf, so dass die Kartoffel immer stärker nationalisiert wurde und auch das öffentlich geehrte und geheiligte Brot, insbesondere das aus importierten Weizen, teilweise substituieren sollte.

Auf diese Struktur baute die Begleitpropaganda zu Roderich und Garnichtfaul vierfach auf. Erstens wurde versucht, den Verzehr insgesamt zu erhöhen. Eine kulturelle Aufladung, etwa durch Bezug an den frühen Lobpreis der Kartoffel durch Mathias Claudius (1740-1815) (Ein Loblied der Kartoffel, Bochumer Anzeiger 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 23), erhöhte die Wertschätzung der Alltagsspeise, vielgestaltige Rezepte riefen andere Zubereitungsformen in Erinnerung. Gerade in den Hauptverzehrsregionen in West- und Norddeutschland galt abseits von Salz- und Bratkartoffeln, abseits der tunkenbewehrten Sättigungsbeilage, „sie ist es wert, um ihrer selbst willen gegessen zu werden“ (Kultur der Kartoffel! Es geht um den guten Geschmack, Dortmunder Zeitung 1939, Nr. 72 v. 12. Februar, 3). Es folgten gleich vierzehn Rezepte bis hin zu verschiedenen Torten und Gebäcken.

Zweitens ging es darum, den Kartoffelkonsum vor allem im Süden und Südwesten des Reiches stärker einzubürgern, wurden in Bayern doch nur zwei Drittel der Reichsdurchschnittswerte erreicht, noch weniger in der „Ostmark“. Während parallel das hohe Lied regionaler Küche gesungen wurde, der 1928 erstmals erwähnte Spätzle-Eintopf Gaisburger Marsch zum typisch südwestdeutschen Gericht mutierte, propagierte man zugleich das weitere Vordringen der Kartoffel als Teil des Zusammenwachsens der einen deutschen Nation: „Ja, es war wirklich arg für die armen Norddeutschen, in Baden zu leben. Aber wie gesagt: es war. Inzwischen ist die Kartoffel auch im klassischen Lande der Mehlspeisen zu großer Beliebtheit gelangt“ (Kartoffeln ein nahrhaftes Gericht, Badische Presse 1939, Nr. 29 v. 29. Januar, 19). Rezepte für Kartoffelgnocchi und in Schale überbackene Kartoffeln errichteten eine Brücke zu regional üblicheren Zubereitungsweisen: „In jeder Gegend unseres Vaterlandes gibt es […] besondere Spezialitäten, zu denen in der Hauptsache Kartoffeln verwandt werden“ (Der Kartoffel ein volles Lob! Wer kennt die Zahl der Kartoffelgerichte?, Dortmunder Zeitung 1939, Nr. 48 v. 29. Januar, 3).

Lob der Kartoffel (Die Glocke am Sonntag 12, 1939, Nr. 5, 20; Rahdener Wochenblatt 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 5)

Drittens unterstützte man die häufigere Verwendung von Kartoffeln als warme Abendmahlzeit, als Suppe, als verarbeitete Beikost. Suppen, salziger Kartoffelpudding und Kartoffelsalate wurden in immer neuen Variationen vorgeschlagen (Was man aus Kartoffeln machen kann, Rheinisch-Bergische Zeitung 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 17). Wer hatte denn schon einmal Kartoffeln in die Milchsuppe eingebaut? (Geseker Zeitung 1939, Nr. 12 v. 28. Januar, 5) Wer traute sich an Kartoffelschnee, Kartoffelrand, Kartoffelringe, gefüllte Kartoffeln und Eierkartoffeln? (Honnefer Volkszeitung 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 6). Kartoffelbällchen und Leberkartoffeln konnten den Tag durchaus abrunden (Zschopauer Tageblatt und Anzeiger 1939, Nr. 24 v. 28. Januar, 7). Auch Kartoffelnudeln oder gewickelter Kartoffelkuchen boten Ergänzungen zum abendlichen kalten Mahl (Billig, nahrhaft, abwechslungsreich. Kartoffelgerichte, Neues Wiener Tagblatt 1939, Nr. 32 v. 1. Februar, 22). Und für nährende Resteessen bot sich selbstverständlich die Kartoffel an (Kartoffeln so und so!, Wilsdruffer Tageblatt 1939, Nr. 36 v. 11. Februar, 6). Wer all das nicht kannte oder konnte, für den gab es Kochkurse des Deutschen Frauenwerks (Essener Anzeiger 1939, Nr. 28 v. 29. Januar, 4).

Viertens schließlich koppelte man die Kartoffelpropaganda mit Fragen des Kampfes gegen den Verderb, den im Krieg systematisch propagierten Pellkartoffeln und der richtigen Einlagerung (Der Neue Tag 1939, Nr. 42 v. 11. Februar, 5). Die Propaganda für höheren Kartoffelverzehr vermischte sich dabei zunehmend mit den Empfehlungen verarbeiteter Kartoffelprodukte.

Erlaubt man sich etwas mehr Distanz, so praktizierte die nationalsozialistische Verbrauchslenkung zentrale Ideen der späteren Salutogenese (Aaron Antonovsky, Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997). Es galt, den Volkskörper zu optimieren, seine Stärken zu stärken, seine Schwächen zu schwächen. Die Propaganda, nicht nur die von Roderich und Garnichtfaul, lenkte nicht nur, sondern bot Hilfestellungen, um das Leben im völkischen Verbund zu verstehen, es auch auszufüllen. Sie bot Handreichungen, um das eigene Haushalten und Konsumieren trotz äußerer Fährnisse handhabbar zu gestalten. Und durch die kulturelle Aufladung, durch die Integration von staatspolitisch bedeutsamen Aufgaben, schuf sie Sinngehalte, ein Leben mit Weihegehalt. Dieser Bezug erscheint erst einmal paradox, denn als Konzept wurde die Salutogene Anfang der 1970er Jahre just aufgrund von Untersuchungen an weiblichen KZ-Häftlingen entwickelt. Doch das für Aaron Antonovsky (1923-1994) zentrale Kohärenzprinzip wurde bereits von den für die Verfolgung und Verhaftung verantwortlichen Funktionseliten systematisch eingesetzt. Propaganda ist ein Grundelement jeder modernen Gesellschaft, dient heterogenen Zwecken.

Wir könnten nun fortfahren: Auch beim Quark, angesprochen im zweiten Motiv der Bilder und Gedichte, gab es unmittelbar daran andockende Einzeltexte (Quark zum Mittag- und Abendessen, Lippstädter Zeitung 1939, Nr. 60 v. 11. März, 11), einen reichsweit abgedruckten, allerdings vielfältig variierten Grundtext (Erzeugung und Verbrauch von entrahmter Milch, Geseker Zeitung 1939, Nr. 18 v. 11. Februar, 5; Annener Zeitung 1939, Nr. 36 v. 11. Februar, 6; Aachener Anzeiger 1939, Nr. 36 v. 11. Februar, 6). Die Magermilchprodukte Quark, Sauerkäse und Trockenmilch wurden darin als billige und hochwertige, in der Küche vielfach einsetzbare, einfach zu handhabende Produkte vorgestellt, ausführlich von den Anstrengungen und Verwertungsnöten der Milchwirtschaft berichtet. Es folgte eine große Zahl regional angepasster Rezeptvorschlägen. Topfenspeisen in Österreich, im Nordwesten eher Quark mit Hering, mit Haferflocken, als Brotaufstrich anstelle von Butter (Topfen in gemüsearmer Zeit, Neues Wiener Tagblatt 1939, Nr. 39 v. 8. Februar, 22; Der Erft-Bote 1939, Nr. 30 v. 11. Februar, 3; General-Anzeiger für Bonn und Umgegend 1939, Nr. 16372 v. 11. Februar, 15). Quark wurde als modernes Lebensmittel präsentiert, als „guter deutscher Speisequarg“ geadelt (Gladbecker Volkszeitung 1939, Nr. 44 v. 12. Februar, 4). Die Hausfrauen sollten ihn endlich würdigen, ihn nicht mehr als „rechtes Stiefkind“ behandelten, die Fülle der damit möglichen herzhaften und süßen Speisen sich zu eigen machten (Quarg macht sich beliebt, Bochumer Anzeiger 1939, Nr. 36 v. 11. Februar, 21 mit Rezepten für Quark-Appetitbissen und einer süßen Quarkspeise).

Quark mit Pellkartoffeln und neue Verpackungen (Die Käse-Industrie 11, 1938, 34 (l.); ebd. 9, 1936, 123)

Da die Struktur derartig ergänzender und erweiternder Ernährungspropaganda jedoch meist repetitiv ist – Grundtext, Nebentexte, ergänzende Abbildungen und dann vor allem regional passende Rezepte – will ich nur noch auf zwei der insgesamt acht mittels Roderich und Garnichtfaul in den Blickpunkt gerückten Produkte genauer eingehen, nämlich die seit Jahrzehnten intensiv beworbene Fleischalternative Fisch und das Deutsche Pudding-Mehl als Prototyp einer wachsenden Zahl neuer Ersatzprodukte.

Fischpropaganda vor und während der NS-Zeit (Das Blatt der Hausfrau 1930/31, H. 13, 37 (l.); Die Glocke, Ausg. F 1937, Nr. 108 v. 22. April, Unterhaltungsblatt, 4)

Fisch, vorrangig Seefisch, war seit der Vorkriegszeit ein immer wieder intensiv beworbenes Lebensmittel. Verglichen mit der Kartoffel war sein Konsum regional weitaus disperser, zudem handelte es sich um ein hochgradig saisonales Produkt. Frischfisch war hygienisch heikel, für einen reichsweiten Absatz fehlte es trotz der 1896 erfolgten Gründung der Deutschen Dampfschiffereigesellschaft Nordsee lange an Kühltechnik für Transport und Ladenverkauf. Marinaden und Konserven dienten sowohl als Gaumenkitzel als auch als billige, meist gesalzene Ware, doch ihr Geschmack sagte nicht jedem zu, auch der Sättigungswert einer Hauptspeise wurde vielfach in Frage gestellt. Demgegenüber standen ernährungsphysiologische und handelspolitische Vorteile, entlastete Fisch doch die Devisenbilanz des Deutschen Reiches. Seit 1926 intensivierte der „Ausschuss für Seefischpropaganda“ die „Aufklärung“ der Konsumenten, doch es war vor allem der niedrige Preis der Massenware, der den Pro-Kopf-Konsum während der Weltwirtschaftskrise moderat auf etwa zehn Kilogramm steigen ließ (Spiekermann, 2018, 374-375).

Fisch als Erweiterung der deutschen Nahrungsgrundlagen (National-Zeitung 1939, Nr. 36 v. 5. Februar, 5)

Für das NS-Regime hatte Seefisch vor allem den Charme, dass mit der Hochseefischerei eine zuvor unerschlossene „Kolonie“ genutzt werden konnte. Es galt auf „unterseeischen Weiden“ zu ernten, dadurch die Devisenbilanz zu verbessern, die Aufwendungen für die Fleischproduktion zu vermindern. Günstige Preise und eine „Arbeitsschlacht“ zugunsten deutscher Fischer erlaubten eine rasche Steigerung des Konsums auf 1936 dreizehn Kilogramm pro Kopf – und die Funktionseliten intensivierten die Forschungsinvestitionen und Subventionen nochmals massiv (Spiekermann, 2018, 376-378). Der Vierjahresplan sah eine Verdopplung der Anlandungen bis 1940 vor – und das, obwohl im Kriegsfall die Hochseefischerei, wie auch der parallel noch stärker ausgebaute Walfang, aufgrund der britischen Seemacht nicht fortgeführt werden konnte. Die weiter professionalisierte Fischpropaganda unterstrich, dass es um das Erreichen der Kriegsfähigkeit ging, dass dann die Karten neu gemischt werden sollten.

Roderich und Garnichtfaul wurden demnach in eine bestehende, immer wieder erneuerte Propaganda integriert. Seit 1936 zeigten sich nämlich die Grenzen einer raschen Umstellung der Alltagskost: Die Mengenausweitung war nicht begleitet von einer entsprechenden standardisierten Warenqualität. Es fehlte an elektrischer Kühlung, in den Läden, in der Transportinfrastruktur. Bis 1938 konnte der Konsum nur noch um ein halbes Kilogramm gesteigert werden. Es ging eben nicht mehr um die Brechung von Vorurteilen, auch der recht niedrige Preis der Standardarten war angesichts eines moderat steigenden Lebensstandards nicht mehr so wichtig. Die Roderich-Garnichtfaul-Kampagne griff dies bedingt auf, zielte vorrangig auf drei Punkte:

Erstens setzte sie – im Gegensatz zu anderen Teilen der Serie – die Moralisierung der Hausfrauentätigkeit fort: „Deutsche Frau, in Deiner Hand liegt es, den Fischverbrauch des deutschen Volkes zu verdoppeln!“ (Auf jeden Tisch zweimal in der Woche Fisch!, Niederrheinische Volkszeitung 1939, Nr. 57 v. 26. Februar, 7). Auch wenn begleitend Kochkurse des Deutschen Frauenwerks angeboten wurden, so handelte es sich doch um eine Fortsetzung der stark fordernden allgemeinen Fischkampagne, die sich vom zumeist freundlicheren Tenor des Herrn Roderich und seiner Gemahlin parolenhaft-plärrend abhob. Auch sachlicher klingende Texte erinnerten eher an die allgemeinen Ernährungsrichtlinien der steten Verbrauchslenkungspropaganda: „Der Fisch ist also die einzige ‚Kolonialware‘, die wir aus eigener Erzeugung haben“ (Jetzt ist auf dem Meer Erntezeit, Siegblätter 1939, Nr. 48 v. 25. Februar, 6; Die Bedeutung des Fisches für die Ernährung, Schwerter Zeitung 1939, Nr. 48 v. 25. Februar, 4). Die Hausfrauen sollten zugreifen, zumal ihnen die Verarbeitung der nicht verkauften Filets zu Fischmehl zeigefingernd zur Last gelegt wurde. Laufende Propagandamaßnahmen begrenzten somit den Spielraum der Roderich-Garnichtfaul-Kampagne.

Die Serie bot wiederum einen Grundtext, der die Anstrengungen der Fischwirtschaft anschaulich schilderte, daraus eine völkische Reziprozität ableitete. Darüber aber waberte eine aufgrund des Vierjahresplanes bestehende Pflicht zum massiv höheren Konsum; derartiges erfolgte ansonsten indirekt und implizit, mit Bezug auf die technischen Fortschritte des NS-Regimes und der „klugen“ Gefolgschaft der Hausfrauen (Die Bedeutung des Fisches für die Ernährung, Der Haushalt 11, 1939, Nr. 4, 6; Salzburger Volksblatt 1939, Nr. 47 v. 25. Februar, 11; Wittener Tagblatt 1939, Nr. 48 v. 25. Februar, 3). Auch die in der allgemeinen Fischwerbung stets präsente Heldengeschichte des kernigen Fischers, der als Teil des ewigen Kampfes zwischen Natur und Mensch dem Meer einen lebensnotwendigen Anteil entriss, wurde nicht aktiviert.

Zweitens wurde auch der Fischkonsum als Problem regionaler Ernährungsdisparitäten verstanden. Württemberger Leser wurden gezielt angesprochen „weil Württemberg sowohl bei Fischen wie bei Kartoffeln je Kopf der Bevölkerung nahezu den geringsten Durchschnittsverbrauch aller Gaue des Reiches hat“ (Eßt mehr Fische!, Verbo 1939, Nr. 35 v. 10. Februar, 15). Mit Verweis auf neue hygienische Fischverkaufsautos und vermehrte spezialisierte Fischverkaufsstellen wurde versucht, bestehende Befürchtungen über mangelhafte Qualität und Frische der im Norden angelandeten Fische aufzugreifen und abzumildern. Dazu diente auch eine große Zahl von Fischkochkursen der Deutschen Frauenschaft. Sie sollten Qualitätskriterien, wie klare Augen, dunkelrote Kiemen, fehlenden Fischgeruch oder eine noch widerständige Textur verankern, den Hausfrauen die Angst vor Fehleinkäufen nehmen. Das „Drei-S-System“ wurde vermittelt, das Säubern der Fische und ihrer Filets, das Säuern mit regional passenden Marinadengrundstoffen und schließlich das Salzen zur Tilgung des Seegeruchs. Hinzu kamen basale Kochfertigkeiten, insbesondere das seit den 1920er Jahren immer wieder empfohlene Dünsten – und schließlich Kochrezepte, die den regionalen Geschmacksvorstellungen entsprachen. Fischeintopf mit Hülsenfrüchten wäre in Bayern kaum zu vermitteln gewesen, eher schon geräucherter oder gegrillter Fisch mit Kraut.

Gesund und preiswert: Argumente für höheren Fischverbrauch in Österreich (Kärntner Volkszeitung 1939, Nr. 14 v. 25. Februar, 8)

Entsprechend nahmen drittens Fischrezepte einen besonders großen Raum ein. In Bochum befanden sich unter 21 einschlägigen Rezepten Fischfilet mit Speck, Fischragout, Fischkartoffelpuffer und „Sauerbraten von Kabeljau“, also Mock Food. Das passte zu regionalen Spezialitäten, zur üblichen Kost (Kleine Vorschläge für den Fischtag, Bochumer Anzeiger 1939, Nr. 48 v. 25. Februar, 5). Im Sauerland gab es unter anderem Deutsche Fischsuppe, Labskaus, grüne Heringsröllchen, Bratfisch, Fischfilet mit Sauerkraut, auch ein Bauern-Essen mit Bückling und Räucherfischauflauf (Fisch auf mancherlei Art, Sauerländisches Volksblatt 1939, Nr. 48 v. 25. Februar, 9). Rheinische Zeitungen enthielten Karpfen mit Meerrettichtunke, Fischschnitten auf rheinische Art, Fischauflauf mit Weißkohl und Bücklingswürstchen, Kohlrollen mit Fischhackmasse sowie Fischpuffer als Variation der beliebten Reibekuchen mit Apfelmus: „Gibt es etwas Abwechslungsreicheres? Es soll 1000 verschiedene Eierspeisen geben, aber es gibt noch viel mehr Fischgerichte“ (Fisch auf den Tisch!, Gladbecker Volkszeitung 1939, Nr. 56 v. 25. Februar, 4).

Derartige Rezepte suggerierten nicht nur die Nähe zu bestimmten regionalen Küchen, sondern auch, dass richtig zubereiteter Fisch schmackhaft, leicht verdaulich und sättigend sein konnte (Hamburger Tageblatt 1939, Nr. 56 v. 25. Februar, 8). Er mutierte so zum „Fleischvorrat, den uns das Meer gibt“. Ja, die große Zahl der Spezialitäten mochte die Hausfrau teils überfordern, doch dann war Garnichtfaul eine Wegweiserin: „Ein wenig Phantasie hilft über alles hinweg“ (Fleisch aus dem Meer, Kärntner Volkszeitung 1939, Nr. 14 v. 25. Februar, 8). Die Rezepte hatten den Vorteil haushälterischer Kontrolle, einer selbstbestimmten Qualität bei relativ billigen Grundstoffen. Doch für die Propagandaserie war ebenso charakteristisch, dass sie auch neuartige verarbeitete Fischprodukte vorstellte, so etwa die „nach einigen Fehlschlägen“ als kaltgeräucherte „Vollkraft-Fische“ in der Wehrmacht und im Reichsarbeitsdienst eingeführten Hauptgerichte („Vollkraft-Fische“ – eine neue Art, Herner Anzeiger 1939, Nr. 48 v. 25. Februar, 14). Fisch wurde kräftige, männliche Speise. Daran hätte auch Roderich seine Freude gehabt. Derweil lief die allgemeine Fischpropaganda weiter, fordernd und weniger subtil (Werbewelle für den Fisch, General-Anzeiger für das rheinisch-westfälische Industriegebiet 1939, Nr. 56 v. 25. Februar, 11).

Werbung für Deutsches Pudding-Mehl, Sago und Kartoffelmehl (Hamburger Tageblatt 1939, Nr. 85 v. 26. März, 4)

„Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ hatte eine besondere Bedeutung für die Einführung neuartiger Austauschstoffe, bot diesen einen breiteren Rahmen als üblich. Verbrauchslenkung war dann Anpreisung des Neuen, war Werbung für hochverarbeitete Produkte. Die Propagierung des Deutschen Pudding-Mehls war Teil eines Protzes des Neuen, zeigte zugleich aber die Grenzen der Verbrauchslenkung deutlich auf. DPM wurde als eines der vielen „Kinder der Kartoffel“ präsentiert, neuartige Lebensmittel aus dem Rohstoff Kartoffel. Es war Teil einer brüstend posaunten Zahl von mehr als hundert Knolleninnovationen, mit deren Hilfe die Selbstversorgung Gestalt annehmen sollte („Kinder“ der Kartoffel, Der Gesellschafter 1939, Nr. 16 v. 19. Januar, 8).

Als Teil der Roderich-Garnichtfaul-Kampagne kam die Vorstellung jedoch recht spät, denn DPM wurde bereits im Sommer 1938 eingeführt: „Etwas ganz Neues auf dem Gebiet unserer Ernährung ist das Deutsche Puddingmehl, das unter dem Qualitätszeichen DPM und in einheitlicher Packung nunmehr überall dem Verbraucher angeboten werden wird“ (Wir bitten zu Tisch, Die Glocke, Ausg. F 1938, Nr. 171 v. 27. Juni, 6). Ganz neu war es natürlich nicht, denn schon während des Ersten Weltkrieges gab es intensive Forschungen für einen Ersatz der aus Mais, Weizen oder aber Reis hergestellten Stärkeprodukte. Ein deutsches Puddingmehl wurde schon 1933 auf staatlichen Druck hin angeboten, die Nährmittelindustrie damals verpflichtet, 3000 Tonnen einzukaufen und zehn Prozent billiger als das aus Importmais hergestellte Mondamin anzubieten (Kartoffeln als Auslandsrohstoffersatz, Hamburger Fremdenblatt 1933, Nr. 347 v. 16. Dezember, 9). Das Produkt scheiterte, der Kartoffelgeschmack war zu dominant.

DPM-Einführung nebst späterem Küchenarrangement (Hamburger Tageblatt 1938, Nr. 268 v. 1. Oktober, 13 (l.); Rahdener Wochenblatt 1939, Nr. 27 v. 1. Februar, 7)

Bis 1938 war die Produktionstechnologie deutlich verbessert worden, und eine schön gestaltete illustrierte Broschüre stellte das Knollenprodukt der Öffentlichkeit vor (Kinder der Kartoffel, hg. v. Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung, Berlin 1938). Die Ernährungsrichtlinien lenkten die reichsweite Öffentlichkeit im Juli auf das neue Ersatzprodukt, auch wenn es damals kaum erhältlich war, erst „demnächst allgemein im Verkehr erscheinen“ sollte (Was essen wir im Juli?, Schwarzwald-Wacht 1938, Nr. 157 v. 8. Juli, 5; analog Der Patriot 1938, Nr. 150 v. 1. Juli, 4). Auch die Ernährungsrichtlinien von August und September 1938 empfahlen einen bevorzugten Konsum von DPM, während kleinere Artikel über kontinuierliche Lieferschwierigkeiten berichteten (Ernährungsrichtlinie für die Verbrauchslenkung im August 1938, Die Glocke, Ausg. F, 1938, Nr. 218 v. 13. Juli, 7; Was essen wir in der kommenden Woche?, Solinger Tageblatt 1938, Nr. 200 v. 27. August, 12). Noch Anfang Oktober hieß es hoffnungsfroh, dass „in allernächster Zeit Packungen mit der Aufschrift ‚DPM‘ in den Handel kommen“ würden (Deutsches Puddingmehl, Hamburger Tageblatt 1938, Nr. 268 v. 1. Oktober, 13). Und schon schrieben eilfertige Federn „vom allseitig erfolgreiche[n] Absatz von deutschem Puddingmehl“ (Marktumschau für die Hausfrau, Viernheimer Volkszeitung 1938, Nr. 250 v. 26. Oktober, 7). Doch erst im Dezember dürfte es breiter verfügbar gewesen sein – nun beworben durch eigens in den Läden angebrachte Plakate. Nun wurden auch Einsatzmöglichkeiten genauer vorgestellt: Es diente als Puddingpulver, Nährmittel, ergänzendes Speisenpulver, als Weizenzusatz beim Backen („DPM.“ – schnell begehrt, Die Glocke am Sonntag 11, 1938, Nr. 50, 20). DPM war, wie viele Ersatzmittel dieser Zeit, auch nach seiner Einführung ein Produkt auf der Suche nach einem Markt, einer Marktnische. Rezepte folgten, spiegelten dabei regional unterschiedliche Nachtischvorlieben (Pudding für den Festtagtisch, Wiener Zeitung 1938, Nr. 315 v. 8. November, 8). Einschlägige Speisen lockten in Illustrierten, gaben einen Abglanz der kulinarischen Möglichkeiten von DPM und anderen Ersatzprodukten aus Kartoffeln.

Nettes Arrangement: Sagoauflauf und Flammeri aus Deutschem Pudding-Mehl (Das Blatt der Hausfrau 53, 1939/40, H. 15, 443)

Die Einführungswerbung lief im neuen Jahr mit Einzelartikeln im Rahmen der allgemeinen Verbrauchslenkung weiter; abseits der schon angelaufenen Roderich-Garnichtfaul-Kampagne. DPM symbolisierte Nahrungsfreiheit und deutsche Schaffenskraft (Süsse Speisen aus Kartoffeln?, Rahdener Wochenblatt 1939, Nr. 27 v. 1. Februar, 7; Noch unbekannt?, Oberbergischer Bote 1939, Nr. 30 v. 4. Februar, 11). Das Neue wurde deutlich vom früheren Kartoffelmehl abgegrenzt, als feines Produkt positioniert, das „einen wahrhaften Siegeszug durch die Küchen angetreten“ habe (Nahrhafte Kartoffel-Produkte, Gladbecker Volkszeitung 1939, Nr. 45 v. 14. Februar, 3). Im Februar schienen die Liefer- und wahrscheinlich ebenfalls bestehenden Qualitätsprobleme behoben, doch offenkundig wurde es „noch nicht allgemein von den Hausfrauen seinem Wert nach gewürdigt und darum gekauft“ (Das jüngste Kind der Kartoffel, Lenneper Kreisblatt 1939, Nr. 41 v. 17. Februar, 7). Die Einsatzmöglichkeiten schienen kaum begrenzt, auch die Kranken- und Kinderkost wurden anvisiert. Eine Rezeptbroschüre gab es kostenlos im Einzelhandel, Kochkurse der Deutschen Frauenschaft offerierten praktische Hilfen, minderten die offenkundige Skepsis: „Dieses Puddingmehl riecht und schmeckt nicht etwa nach Kartoffeln. Wer die Herkunft nicht weiß, glaubt kaum, daß man aus ‚gewöhnlichen‘ Kartoffeln ein so hochwertiges Nahrungsmittel machen kann. Es klebt und kleistert nicht, wie Kartoffelstärke das sonst tut, erinnert also in nichts mehr an die Kartoffel“ (Puddingpulver, aus Kartoffeln hergestellt, Buersche Zeitung 1939, Nr. 50 v. 20. Februar, 3). Allseits verwandt, könne DPM die 1938 noch produzierten 45.000 Tonnen Maisstärke ersetzen. Die Lebensmittelindustrie konnte zaubern, DPM wurde somit ein Produkt auch für Gemahlin Garnichtfaul und ihre Kochkünste.

Hinweis und Angebot von Deutschem Pudding-Mehl (Neckar-Bote 1939, Nr. 71 v. 23. April, 8 (l.); Ostfriesische Tageszeitung 1939, Nr. 16 v. 19. Januar, 4)

Die Integration des Deutschen Pudding-Mehls in die Roderich-Garnichtfaul-Kampagne diente demnach der Verstärkung einer ohnehin laufenden Einzelwerbung im Rahmen der allgemeinen Verbrauchslenkung. Das schien nötig, denn 1937/38 wurden nach offiziellen Angaben lediglich 400 Tonnen DPM hergestellt (Der Haushalt 11, 1939, Nr. 6, 7). Neuerlich veröffentlichten die Zeitungen vielgestaltige Rezepte, auch kleine Geschichten versuchten das Interesse auf das neue, nunmehr verfügbare Produkt zu lenken (Illustrierte Kronen-Zeitung 1939, Nr. 14076 v. 26. März, 18; Die Wiener Bühne 16, 1939, H. 14, 38). Innerhalb der Kampagne war das Pulver Grundstoff für Süßspeisen, für Nachtische, andere Einsatzmöglichkeiten traten dagegen in den Hintergrund. Doch trotz der Propaganda konnte DPM weder Mais- noch Weizenstärke verdrängen. Erst als Teil der Rationierungswirtschaft etablierte es sich als Kindernährmittel neben Gustin, Maizena, Mondamin, Rizena und Weizenin (Der Gesellschafter 1939, Nr. 246 v. 20. Oktober, 4). In dieser Nische hielt es sich auch in der Nachkriegszeit. Der durch den Roman „Ich denke oft an Piroschka“ bekannt gewordene Schriftsteller Hugo Hartung (1902-1972) – Simplicissimus-Mitarbeiter und NSDAP-Mitglied – präsentierte es im freundlichen NS-Jargon noch 1960 (Hugo Hartung, Kinder der Kartoffel, Köln 1960).

Ernährungsrichtline im September 1938: Präsenz aller von Roderich und Garnichtfaul empfohlener Lebensmittel (Hakenkreuzbanner 1938, Nr. 409 v. 4. September, 5)

Wie kann man angesichts dieser Fallstudien die Wirkung sowohl der allgemeinen Verbrauchslenkung als auch der Kampagne um „Roderich, das Schleckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ einschätzen? Bei der Antwort hilft vielleicht ein Blick auf die visuell nett aufbereitete Ernährungsrichtlinie vom September 1938. Darin fand man bereits alle Lebensmittel und Produkte, die dann von Roderich und Garnichtfaul prominenter präsentiert wurden. Dies spiegelt die 1938/39 zunehmend geringere Resonanz der staatlichen Lenkungsmaßnahmen, also just zu einem Zeitpunkt, in dem die durch den Vierjahresplan in Gang gesetzte lebensmitteltechnologische Forschung nennenswerte Ersatzmittel produzierte. Sie wurden während des Krieges über die Rationierung allgemein verbreitet, waren wichtige Zwischenschritte für die zunehmend industriell gefertigten Lebensmittel der Supermarkt-Ära und auch unserer Zeit.

Die Kampagne spiegelte das Beharren der NS-Funktionseliten auf einen tiefgreifenden Wandel in der Ernährungswirtschaft, im Alltagskonsum. Die von Roderich und Garnichtfaul goutierten Produkte waren allesamt deutsch, doch zugleich Prototypen einer neuen Konsumkultur, mit höherem Verarbeitungs- und Conveniencegrad, mit einem für die Konsumenten scheinbar offenkundigen Zusatznutzen. Die Roderich-Garnichtfaul-Kampagne steht für das immer wieder verfeinerte Bemühen, das Volk, den großen Lümmel, in die vom NS-Regime und seinen Funktionseliten anvisierte Richtung zu leiten. Sie war Beispiel für einen weniger strikten, ansatzweise freundlicheren Ton in der Propaganda. Das war Teil einer nationalsozialsozialistischen Binnenmoral, denn totaler Krieg und Höflichkeitspropaganda waren kein Widerspruch, sondern aufeinander bezogen. Freudig Kochen, genussvoll essen, am Weg des Führers arbeiten, und dann erschrocken sagen: Davon haben wir nichts gewusst. Propaganda dient der Effizienzsteigerung in modernen arbeitsteiligen Gesellschaften.

Visueller Flankenschutz: Begleitkampagnen durch Materndienste

Mit diesen vielen Informationen und Überlegungen könnte man enden. Doch dann hätte man immer noch nur einen Teil der Roderich-Garnichtfaul-Kampagne betrachtet, den unbedingten Willen einer immer wieder neu ansetzenden, immer wieder verfeinerten Verbrauchslenkung unterschätzt. Denn die Kampagne, über deren Hauptzeichner wir nichts wissen, wurde von anderen aufgegriffen und gedoppelt. Roderich und Garnichtfaul hatten – wie auch andere Propagandafiguren der NS-Zeit – Wiedergänger.

Einen Monat nach dem Beginn der Propagandakampagne trat ein neuer, ein zweiter Roderich in das Rampenlicht der Öffentlichkeit. Thematisiert wurde das zweite Motiv der Serie, der vom Schlecker Roderich geliebte und von Gemahlin Garnichtfaul gut hergerichtete Quark. Das war der Start von fünf weiteren Doppelbildern, kleinen Comics, die dem Leser Geschmack, Gehalt und Preiswürdigkeit heimischer Lebensmittel und Produkte nochmals freundlicher, nochmals unterhaltender darboten. Gezeichnet von dem Karikaturisten D. Aschau (ein Pseudonym des 1902 in Würzburg geborenen und für die Reichsbank tätigen Volkswirtes Friedrich Oechsner (Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13 T2, Nr. 1630/038), handelte es sich um ein ergänzendes, nicht verpflichtendes Angebot des Scherl-Materndienstes. Dieser wurde 1916 von einem Konsortium um Alfred Hugenberg (1865-1951) gekauft, einem Schwerindustriellen, DNVP-Politiker, Medienmogul und späteren Superminister im ersten Kabinett Hitler. Der Materndienst versorgte während der Weimarer Republik und der Präsidialdiktatur vorwiegend kleinere Zeitungen mit Texten und vielfach antirepublikanischen Meinungsartikeln. 1933 wurde er vom Zentralverlag der NSDAP, dem Franz-Eher-Verlag, übernommen und etablierte sich rasch auch als reichsweit präsenter Bildmaterndienst. Solche ergänzende Bildmotive waren typisch für die NS-Propaganda, unterstrichen deren staatspolitische Bedeutung. Kampagnen wie Groschengrab, Herr Bramsig und Frau Knöterich oder auch Kohlenklau wiesen ähnliche Ergänzungen auf.

Quark als kulinarischer Genuss (Velberter Zeitung 1939, Nr. 58 v. 27. Februar, 6)

Die zweite Roderich-Serie – das Leckermaul wurde jeweils namentlich genannt, nicht aber seine allerdings stets sichtbare Gemahlin Garnichtfaul – folgte etwa zwei Wochen nach den ersten Vertiefungstext des glücklichen Ehepaars, widmete sich wie dieser dem Quark, dem heimischen. Die Einzelbilder erschienen dann in etwa zweiwöchigem Abstand. Die Zeitungen nutzten allerdings ihren Freiraum, eine einheitlich getaktete Erscheinungsweise gab es nicht (Ersterscheinung Die Glocke 1939, Ausg. E, Nr. 57 v. 27. Februar, 4; Lippische Staatszeitung 1939, Nr. 63 v. 5. März, 22; Rheinisches Volksblatt 1939, Nr. 55 v. 6. März, 7). Die jeweils zwei Zeichnungen waren zumeist horizontal angeordnet, doch sie erschienen auch vertikal, verortet meist in der ersten oder letzten Spalte (Hakenkreuzbanner 1939, Nr. 94 v. 25. Februar, 5). Scherl ergänzte dadurch sein Angebot eingängiger Zeichnungen der monatlichen Ernährungsrichtlinen oder aber besonders zu bevorzugender Lebensmittel. Comics waren zur NS-Zeit keineswegs verpönt, sondern ein wichtiges Element der Propaganda. Gewiss, sie hatten im Deutschen Reich eine andere Form als in den vielfach stilbildenden Vereinigten Staaten. Doch als Kindergeschichten, als humoristische Einschübe, in zahlreichen Werbekampagnen und nicht zuletzt in staatspolitischen Angelegenheiten waren sie mehr als eingängige Bildtupfer.

Frühe Propagandazeichnung Aschaus für die Reichsanleihe 1937 (Mitteldeutsche Nationalzeitung 1937, Nr. 234 v. 26. August, 8)

Zeichner Aschau hatte sich seit 1937 einen gewissen Namen gemacht, als er die Reichsanleihe beworben hatte, ein wichtiges Element der Aufrüstung. 1938 illustrierte er auch den vom Regime vorgeschriebenen Goldmünzeneintausch, der die Devisenprobleme des Deutschen Reichs kurzfristig minderte (Mitteldeutsche Saale-Zeitung 1938, Nr. 188 v. 13. August, 7; ebd., Nr. 203 v. 31. August, 7). Aschau erweiterte sein Arbeitsfeld, seine Zeichnungen zielten auf den rechtzeitigen Weihnachtseinkauf oder richtiges Wäschewaschen (Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung 1938, Nr. 290 v. 11. Dezember, 6; Meinerzhagener Zeitung 1939, Nr. 15 v. 19. Januar, 6). Unmittelbarer Vorläufer der Roderich-Serie war eine sechsteilige Ergänzung der 1938/39 veröffentlichten Groschengrab-Propaganda (Rheinisches Volksblatt 1938, Nr. 146 v. 27. Juni, 3; Hakenkreuzbanner 1938, Nr. 315 v. 11. Juli, 5; Durlacher Wochenblatt 1938, Nr. 168 v. 21. Juli, 5; Lippische Staatszeitung 1939, Nr. 214 v. 15. August, 15; ebd., Nr. 226 v. 18. August, 8; Mindener Zeitung 1939, Nr. 207 v. 5. September, 8).

Trockenmilch als kräftigende Proteinquelle (Tremonia 1939, Nr. 64 v. 5. März, 2)

Die einzelnen Motive der Roderich-Serie hatten zumeist eine ansprechende, fett gesetzte und häufig mit einem Ausrufezeichen versehene Überschrift. Sie wurde unterhalb der beiden Bilder präzisiert und in fetter Type auf die eigentliche Botschaft zugeschnitten. Trockenmilch war der Aufmacher des zweiten Motivs, doch das Feld war breiter, umfasste die preiswerte Eiweißversorgung. Jedes Motiv bestand zudem aus zwei je vierzeiligen Gedichten, die zugleich den Inhalt der Zeichnungen näher erläuterten. Aschau arbeitete zudem mit den nicht gar so häufigen Sprechblasen, dynamisierte dadurch die Einzelgeschichten. Die abonnierenden Zeitungen besaßen bei der typographischen Gestaltung relative Freiheit, texteten teils andere Überschriften, ließen diese aber auch mal weg (Hakenkreuzbanner 1939, Nr. 104 v. 3. März, 4; Rheinisches Volksblatt 1939, Nr. 67 v. 20. März, 4).

Während sich die Roderich-Garnichtfaul-Kampagne bildlich auf das Ehepaar konzentrierte, hatten die beiden in Aschaus Serie nicht nur ein anderes Aussehen, sondern standen auch stärker im Leben, waren Teil der Volksgemeinschaft. Roderich & Co. waren eine nationalsozialistische Musterfamilie, ein virtueller Aktionsverbund, verwandt mit der zu Beginn des Krieges präsentierten Vorbildfamilie Pfundig, die viele Widrigkeiten der Heimatfront meisterte. Roderich kommentierte und korrigierte, war somit öffentlich aktiv, während Garnichtfaul zwar auch außerhalb des Hauses erschien, dort aber kaum das Wort ergriff. Ihre Wirkungsstätte war das Heim, hier salutierten ihr die anderen Familienmitglieder, priesen ihre zeitgemäße Kochkunst, ihre schmackhaften Gerichte. Die Kinder, ein Sohn und eine Tochter, waren folgsam ruhig. Heiner trieb erfolgreich Sport, seine Schwester spornte den großen Bruder an. Einen Hund gab es ebenfalls, wie putzig…

Fisch von Garnichtfaul überzeugt auch notorische Meckerer (Hakenkreuzbanner 1939, Nr. 118 v. 11. März, 7)

Roderich und Garnichtfaul waren nun Überzeugungstäter, Verbrauchsmissionare. Genuss und Leckerhaftigkeit wurden weiterhin angesprochen, doch das traute Glück war nicht mehr vorrangig. Stattdessen stand in der dritten und vierten Episode die allgemeine Konsumsteigerung im Mittelpunkt. Der Meckerer wurde mit Backfisch bekehrt (Westfälische Zeitung 1939, Nr. 59 v. 10. März, 3; Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung 1939, Nr. 66 v. 18. März, 18; Illustriertes Tageblatt 1939, Nr. 78 v. 1. April, 15), Frau Dürr mit Zucker auf die rund-gebärfähige Idealfigur der deutschen Frau gebracht. Fett wurde in beiden Fällen gespart, Roderich sei Dank!

Zucker für den wohlgeformten Frauenkörper (Illustriertes Tageblatt 1939, Nr. 81 v. 5. April, 6)

Die Zucker-Episode wurde in sehr unterschiedlicher Weise abgedruckt, die Doppelstruktur teils aufgelöst, teils neue Überschriften gewählt (Der sächsische Erzähler 1939, Nr. 76 v. 30. März, 3; Derner Lokal-Anzeiger 1939, Nr. 77 v. 31. März, 8). Auch die Aschau-Serie endete süß, präsentierte DPM als schmackhafte Billigkost, die einen zusätzlichen Kinobesuch ermöglichte. Das Ende zog sich allerdings noch hin, denn auch nach dem gängigen Letztabdruck Ende April gab es bis tief in den Mai hinein noch weitere Abdrucke (NS-Volksblatt für Westfalen 1939, Nr. 103 v. 4. Mai, 5; Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung 1939, Nr. 116 v. 20. Mai, 9). Roderich & Co. boten völkisches Anschauungsmaterial, endeten mit der Überschrift „Wir wünschen wohl zu speisen“ (Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung 1939, Nr. 94 v. 22. April, 9).

Deutsches Pudding-Mehl, schmackhaft und billig (Rheinisches Volksblatt 1939, Nr. 93 v. 22. April, 9)

Aschau zeichnete auch nach dieser Ergänzungsserie weiter, liefert nach Kriegsbeginn passgenaue politische Propaganda gegen Engeland (Mindener Zeitung 1939, Nr. 246 v. 10. Oktober, 10; Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt 1939, Nr. 246 v. 21. Oktober, 1; Mindener Zeitung 1939, Nr. 301 v. 23. Dezember, 14; Rahdener Wochenblatt 1940, Nr. 77 v. 4. Februar, 4; ebd., Nr. 83 v. 9. Februar, 4). Weihnachten 1940 durfte er nochmals Überraschungen humoristisch aufs Papier bannen (Volks-Zeitung für den rheinisch-westfälischen Industriebezirk 1940, Nr. 305 v. 27. Dezember, 7; Westfälischer Beobachter 1940, Nr. 179 v. 28. Dezember, 67). Aschau-Oechsner konzentrierte sich seither auf seine Arbeit zur finanzpolitischen Mobilisierung des Deutschen Reichs. Er konnte seine Karriere nach dem Krieg ohne größere Friktionen fortsetzen, war seit 1952 Vorstandsmitglied der Landeszentralbank Württemberg-Hohenzollern, ab 1959 Vizepräsident der Landeszentralbank Bayern. Zu seiner Pension erhielt der frühere NS-Propagandist 1967 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Roderich und Garnichtfaul wurden während des Krieges zunehmend vergessen, die Lebensmittelrationierung wirkte effizienter als der freie Warenkauf. Genuss und privates Glück waren auf die Zeit nach dem Endsieg vertagt worden.

Dank an die UdSSR: NS-Kriegspropagandist Aschau (Nachrichten und Anzeiger für Naunhof […] 1940, Nr. 82 v. 8. April, 6)

Resümee

Die Verbrauchsregelung des NS-Regimes basierte auf einem bis weit ins frühe 20. Jahrhundert zurückreichenden Instrumentarium. Selbstversorgung schien schon vor dem Ersten Weltkrieg wirtschafts- und machtpolitisch geboten. Die Vorteile globaler Arbeitsteilung überwogen jedoch deutlich, die weit verbreitete Vorstellung vom kurzen Krieg ließ das Risiko von Versorgungsengpässen gering erscheinen. Der Erste Weltkrieg beendete derartige Illusionen. Einerseits wurden im langen Übergang zur Rationierungswirtschaft der Städter erst freiwillige, dann mit Zwang versehene Mittel entwickelt, an die der NS-Staat seit 1936 konsequent anknüpfte: Marktübersichten und Wochenspeisezettel, Kochkurse und Speisungswerke, Ersatzmittelwirtschaft und intensivierte angewandte Forschung blieben Kernelemente des raschen Übergangs zu einer freiwilligen Verbrauchslenkung, die nach nur drei Jahren in eine relativ effiziente Rationierung mündete. Anderseits nutzte der NS-Staat auch das Erbe der Weimarer Republik, dessen Agrarmarketing und Produktwerbung alliierte Anregungen aufgriffen und in vielgestaltige, aufeinander bezogene, mit Marken und Bildern unterlegte Kampagnen führten. Während der Zeit der Präsidialkabinette und der frühen NS-Zeit wurde das regulative Instrumentarium für eine Verbrauchslenkung geschaffen, die Massenorganisationen der NSDAP boten personelle Ressourcen für eine zuvor nur aus dem Weltkrieg bekannte Breitenwirkung. Für Aufrüstung und letztlich Krieg wurde Selbstversorgung ein zentrales staatspolitisches Ziel, das anfangs vor allem mit einer Ausweitung der heimischen Agrarproduktion und begrenzten Interventionen in die Lebensmittelproduktion erreicht werden sollte. Doch „Nahrungsfreiheit“ blieb eine Illusion, die Importabhängigkeit des Deutschen Reichs bei Rohstoffen, Investitionsgütern, Futtermittel und Genussmitteln, Eiweißen und Fetten konnte vermindert, nicht aber beseitigt werden.

Seit 1936 wählten die Funktionseliten einen anderen Weg, dessen Konturen zuvor ausführlich dargestellt wurden. Es gelang dem Regime ein reichsweites, noch freiwilliges Verbrauchslenkungssystem zu etablieren, durch das den Hausfrauen monatlich, wöchentlich und täglich Aufgaben präsentiert wurden, um heimische Produkte bevorzugen zu können, um höhere Selbstversorgung zu erreichen. Parallel setzte eine Erhaltungsschlacht ein, eine Effizienzsteigerung der Hauswirtschaft, durch die einerseits Lebensmittelverluste verringert, anderseits die Saisonalität der Ernährung weiter begrenzt werden sollte. In diese Richtung wirkten auch die massiven Investitionen in eine verbesserte Vorratshaltung, in schmackhafte Convenienceprodukte, in eine wachsende Palette wissensbasierter Ersatzprodukte. All dies bewirkte tiefgreifende Veränderungen in den Sortimenten und der Hauswirtschaft. Die allgemeine Verbrauchslenkung griff sie alle auf, versuchte die Hausfrauen und ihre Männer zur langsamen Akzeptanz einer neuen Konsumwelt zu bewegen. Handwerkskunst und regionale Küchen wurden beschworen, letztlich aber zerniert. Die Modernisierung von Landwirtschaft und Handel blieben aufgrund von Ressourcenmangel vielfach auf halbem Wege stecken, ließen aber in der unmittelbaren Vorkriegszeit schon die Fortentwicklung nach dem Krieg erahnen. Die allgemeine Verbrauchslenkung war von diesen Herausforderungen letztlich überfordert, zumal der moderat verbesserte Lebensstandard andere Konsummuster ermöglichte.

In dieser Situation war „Roderich, das Leckermaul, und Gemahlin Garnichtfaul“ eine aus Sicht des NS-Regimes sinnvolle Maßnahme. Sie hatte einen anderen freundlich-gewinnenden Ton, nutzte andere Propagandamedien, eine neuartige Kombination von Bildern und Texten, Geschichten und Produktinformationen, Rezepten und praktischen Hilfestellungen. Sie bildete einen zweiten Anlauf, um den Konsum schon zuvor mit recht begrenztem Erfolg beworbenen Lebensmitteln und vor allem neuartigen Ersatzprodukte zu steigern. Es ging dabei um Zeitgewinn, um Systemstabilisierung, bis ein fest anvisierter Krieg die machtpolitischen Rahmenbedingungen in neue Bahnen zwingen würde.

Roderich und Garnichtfaul waren Vorboten einer neuen Konsumgesellschaft, einer neuen Hauswirtschaft, entsprechend dominierten in der Serie Aspekte von Genuss und Selbstbezüglichkeit. Dies war eingebettet in ein System allgemeiner Sparsamkeit und völkischer Verpflichtung, doch die Motivlage hatte sich gegenüber der allgemeinen Verbrauchslenkung beträchtlich verändert. Die neue, für wenige Monate gleichberechtigt in den Vordergrund tretende Kampagne war deutlich breiter als die fünf simplen Bilder und Gedichte. Sie waren nur Entree in eine vielgestaltige, miteinander verbundene Kampagne. Die Freude des glücklichen Ehepaars gab nicht nur Anregungen und praktische Hilfestellungen, sondern beantwortete auch Fragen nach dem Sinn all der Anstrengungen, wies über völkische Verpflichtungen hinaus. Die neue Konsumwelt würde technisch-wissenschaftlich fundiert sein, dem Einzelnen Belohnung für seine Mühsal bringen, sein Glück nicht missachten. Das war leicht einzubetten in das breite Korsett nationalsozialistischer Moral, doch es wies ansatzweise darüber hinaus.

Roderich und Garnichtfaul war eine typische nationalsozialistische Propagandakampagne. Doch sie war eben nicht nur nationalsozialistisch, sondern adressierte viele Aspekte des modernen Lebens in einer Konsumgesellschaft. Effizienz, Preiswürdigkeit, Bequemlichkeit waren rote Fäden der Kampagne und verknüpfen sie eng mit den anders gelagerten Problemlagen der Gegenwart. Das Volk, der große Lümmel, war und is(s)t auch heute eigensinnig und eigenständig. Funktionseliten drängen auf mikroautoritäre Eingriffe, auf staatliche Hebel fernab der allseits praktizierten, kaum aber erfolgreichen Moralisierung der Märkte, deren Essenz eine selbstbestimmte und freiwillige Verbrauchslenkung ist. Träume von einer raschen Transformation prägen Medien und Öffentlichkeit heute in vielerlei Richtung. Dass dabei der trennende Grat zwischen verschiedenen Gesellschaften und politischen Systemen schmal ist, ist auch Ergebnis dieser Analyse einer modernen und gleichwohl nationalsozialistischen Propagandakampagne.

Uwe Spiekermann, 31. Mai 2025

Familie Pfundig meistert den Krieg – Alltagshilfe und NS-Propaganda

1940, zu Beginn der „Luftschlacht um England“, dem Angriff des Deutschen Reiches auf die britische Hauptinsel. Kriegsberichterstatter Hans-Herbert Basdorf berichtete begeistert von einem Fliegerhorst: „Immer wieder, wenn er dazu ansetzen will, wird die Tür seiner Stube aufgerissen. Ein braungebrannten Kopf guckt durch den Türspalt und ruft ihm das Wort ‚pfundig‘ zu. Was ist denn pfundig, erkundigt er sich verärgert. Na, hast Du es nicht gehört. Nein! Nun, wir fliegen nach London“ (Metropolis auf einem Vulkan. Londons Feuerschein über dem Kanal, Haaner Zeitung 1940, Nr. 217 v. 14. September, 6). Der Krieg, eine offenbar pfundige Sache. Nun ja, Kriege heißen heute militärische Spezialoperationen, Interventionen oder Friedensmissionen, Kriegsbeteiligungen gelten als Sanktionen oder Waffenlieferungen. Doch pfundig?

Fündig wird man doppelt: Zum einen sprachlich, im Worte „pfundig“ selbst. Zum anderen aber sachlich, denn nur wenige Monate vor dem Abnutzungskrieg der deutschen und britischen Luftwaffen hatte „Familie Pfundig“ vielen Deutschen freundliche Ratschläge für einen gedeihlichen Umgang mit den Problemen im Kriegsalltag gegeben. Die Anfang 1940 laufende Kampagne ist offenkundig nicht mehr bekannt, in der Fachliteratur fehlt sie in der langen Reihe der gern gestriffenen, selten näher behandelten NS-Propagandaaktionen. Nicht nur angesichts unserer heutigen Bemühungen um die Bewältigung von Kriegsfolgen scheint ein Blick in die Vergangenheit daher sinnvoll zu sein.

Der Weltkrieg verändert den Alltag

Als am 1. September 1939 deutsche Truppen Polen angriffen, waren die wichtigsten Maßregeln für eine weiter leistungsfähige Heimatfront schon in Gang gesetzt worden. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg hatte zu vielfältigen Planungen geführt, um die damaligen Fehler insbesondere bei der Rationierung zu vermeiden. Dazu gehörten nicht nur eine umfassende Vorratswirtschaft und die Entwicklung zahlreicher als „Austauschstoffe“ bezeichneter Ersatzmittel im Rahmen des seit 1936 laufenden Vierjahresplanes. Dazu gehörte insbesondere eine schon am 27. August 1939 beginnende Rationierung der meisten Lebensmittel und vieler Gebrauchsgüter. Der kriegerische Staat gab sich sorgend: „Um eine gerechte Verteilung lebenswichtiger Verbrauchsgüter an alle Verbraucher sicherzustellen, ist für gewisse Lebensmittel, ferner für Seife und Hausbrandkohle sowie lebenswichtige Spinnstoffwaren und Schuhwaren eine allgemeine Bezugsscheinpflicht eingeführt worden“ (Bezugsscheine garantieren Bedarfsdeckung für jedermann, Völkischer Beobachter 1939, Nr. 240 v. 28. August, 7). Textil- und Schuhgeschäfte wurden zeitweilig „wegen Inventur“ geschlossen, Brot, Kartoffeln und Mehl waren dagegen noch frei käuflich. Obwohl Polen (im Einklang mit der UdSSR) rasch geschlagen werden konnte, stand der offenkundig verlustreichere Waffengang mit den Westmächten noch bevor. Diese hatten ihre anfangs massive Überlegenheit nicht genutzt, stattdessen gab es einen vielmonatigen „Sitzkrieg“ mit relativ begrenzten Kampfhandlungen vornehmlich von Marine und Luftwaffe. Er war begleitet von intensiven Luftschutzmaßnahmen, von Verdunkelung gemäß der schon im Mai 1939 erlassenen Verordnung. Allen Vorbereitungen zum Trotz veränderte sich der Alltagskonsum nicht unerheblich, denn die für den Kampf um die „Sicherheit des Reiches und seine Rechte“ (Völkischer Beobachter 1939, Nr. 245 v. 2. September, 3) mobilisierten Männer fehlten: Die Werbung wurde langsam zurückgefahren, es mangelte an Gebrauchsgütern, auch die Qualität vieler Angebote ließ zu wünschen übrig. All das, so wurde versichert, wäre nur vorläufig – und wurde begleitet vom gängigen Arsenal der Kriegspropaganda: Wir wollen den Krieg nicht, die Gegner tragen dafür die Verantwortung, unsere Sache ist gerecht, die Mission heilig, unsere Berichterstattung ehrlich und nicht in Zweifel zu ziehen (Anne Morelli, Die Prinzipien der Kriegspropaganda, Springe 2004; Arthur Ponsonby, Falsehood in War-Time, London 1928). Zweifel und etwaige Kritik waren zu zerstreuen, Mut angesichts der kleinen Hürden des Alltags zu machen: Das war auch die Aufgabe der Pfundigs: „Die Familie Karl Pfundig / Ist fürwahr des Lebens kundig, / Weil sie innerlich begeistert, / Alle kleinen Sorgen meistert! Wie die Pfundig’s stets zufrieden, / Stolz an ihrem Glücke schmieden, / Ungestört von kleinen Dingen, / Wollen wir in Bildern bringen. Was die Pfundig’s noch erleben, / Gilt auch für dein eignes Streben!“ (Hamburger Neueste Zeitung 1940, Nr. 8 v. 6. Januar, 5). Der Tenor klang bekannt: Krisen seien Bewährungsproben, vielleicht gar Chancen. So nur zwei Jahre später auch der US-Schriftsteller Thornton Wilder (1897-1975) in seinem Drama „Wir sind noch einmal davongekommen“, hierzulande eines der wichtigsten Stücke nach der totalen Niederlage 1945.

01_St. Poeltner Zeitung_1940_01_05_Nr01_p05_Familie-Pfundig_Comic_Heimatfront

Die biedere Familie Pfundig (St. Pöltner Zeitung 1940, Nr. 1 v. 5. Januar, 5)

Das Wortfeld „pfundig“

Familie Pfundig kam bieder daher, entsprach schon dadurch nicht der vermeintlichen Freude und Hochspannung von Kampffliegern vor dem Einsatz. Bei den fünf Familienmitgliedern – Vater Karl, den Kindern Inge, Fritz und Max sowie Mutter Emma – handelte es sich offenbar um ganz normale Deutsche, um den idealisierten Bevölkerungsdurchschnitt. Mit ihnen konnte man sich identifizieren, in ihnen sich wiederfinden. Was aber besagte der Name „Pfundig“?

Das Wort ist süddeutschen, vorrangig südwestdeutschen Ursprungs, bedeutet „großartig, außergewöhnlich, außerordentlich“ (Bayerisches Wörterbuch, Bd. II, hg. v. d. Kommission für Mundartforschung, München 2021, 706). Es entstand aus der bis heute bekannten Gewichtsbezeichnung, die präzise daherkam, etwa beim 5-pfündigen Brot. Doch pfündig war auch ein auf schweres, auf ansprechendes hinweisendes Eigenschaftswort, etwa bei pfündigen Forellen oder – und hieran sehen wir die einfache Verschiebung des einen Vokals – bei pfundigen Karpfen. Derartige Teichfische waren gewichtig, man freute sich sprachlich vorab schon auf ein gutes, weil mehr als auskömmliches Essen. Pfündig war lange auch Teil der Militärsprache, bezeichnete die Geschossgröße von Mörsern und Kanonen. Angesichts immer schwererer Munition lief diese Verwendung aber spätestens im Ersten Weltkrieg aus.

Pfündig wurde in der folgenden Zwischenkriegszeit inhaltlich neu aufgeladen und die Schwierigkeiten in Deutschland mit dem ü und dem u (Benutzer vs. Benützer…) ließen das Pfundige im Süden aufkommen, ehe es sich dann auch im Norden und Osten etablierte. Entsprechend habe ich vorrangig badische Zeitungen analysiert, in deren Verbreitungsraum das Wort Teil der Alltagssprache war: Pfündig wurde schon vor der NS-Zeit ein Begriff des Außeralltäglichen, des Ausfluges, des Erlebnisses: Natürlich durfte das Münchener Oktoberfest nicht fehlen, denn hier gab es auch mitten in der Weltwirtschaftskrise „eine wirkliche und ‚pfundige‘ Gaudi!“ (Badischer Beobachter 1932, Nr. 265 v. 25. September, 3). Ein alpines Studentenheim lud meist gutbürgerliche Skifahrer ein, die sich auf eine pfundige Abfahrt freuten (Badische Presse 1931, Nr. 112 v. 7. März, 7). Auch im Trendsport Kanufahren hoffte man auf eine „pfundige Strömung, heftiger Wellengang, ab und an einen annehmbaren Schwall, prächtige Floßgassen mit mehr oder weniger heimtückischen Widerwellen“, denn so „war immer etwas los“ (Badische Presse 1931, Nr. 270 v. 13. Juni, 6). Die von den Bergfilmen der späten 1920er Jahre näher gebrachten Gipfel wollten erklommen werden, Kletterer erzielten entsprechend pfundige Leistungen im Fels (Badische Presse 1933, Nr. 225 v. 16. Mai, 5).

Hier war das Beiwort aber noch abhängig von Äußerem, von einem besonderen Umfeld. Auch das legte sich in den frühen 1930er Jahren, denn pfundig mutierte zu einem zunehmend beliebigen Beiwort, mit dem man Schwere, Größe und Bedeutung von fast allem wabernd bezeichnen konnte. Es gab plötzlich pfundige Regierungskrisen, pfundigen Applaus, eine pfundige Überschrift (Der Führer 1931, Nr. 136 v. 20. Juni, 1; Karlsruher Zeitung 1931, Nr. 164 v. 17. Juli, 3; Der Führer 1931, Nr. 200 v. 20. September, 5). Der mächtig aufkommende Fußball kam ohne das Attribut kaum mehr aus, Schüsse, Lattentreffer, selbst Niederlagen waren nun „pfundig“ (Badischer Beobachter 1933, Nr. 78 v. 20. März, 7). Sollte aber die Verteidigung pfundig gestanden haben, so war auch eine „pfundige Ueberraschung“ (Badischer Beobachter 1933, Nr. 112 v. 2. Mai, 7; Badische Presse 1934, Nr. 341 v. 23. August, 7) möglich.

02_Badische Presse_1934_11_03_Nr403_p14_Ebd_01_08_Nr006_p08_Pfundig_Training_Olympia_Geselligkeit_Clique

Pfundiges Training, pfundige Cliquen (Badische Presse 1934, Nr. 403 v. 3. November (l.); ebd., Nr. 6 v. 8. Januar, 8)

Was sich freundlich, spielerisch anhörte hatte jedoch auch strikt politische Seiten. Pfundig wurde nämlich auch zu einem anklagenden Wort, das von der NSDAP Anfang der 1930er Jahre vielfach zur Denunziation des vermeintlich korrupten demokratischen „Systems“ genutzt wurde. Subventionsnehmer hatten ein vermeintlich „pfundiges“ Gehalt, lokale Politiker einen entsprechenden Vertrag, die Oberen nahmen sich einen pfundigen Happen aus den öffentlichen Kassen (Der Führer 1931, Nr. 284 v. 17. Dezember, 5; ebd., Nr. 293 v. 29. Dezember, 6; ebd. 1932, Nr. 61 v. 2. März, 6).

Nach der Machtzulassung wurden die öffentlichen Kassen noch stärker geplündert; und so verschwand das Adjektiv aus diesem Felde. Es wurde nun vermehrt mit Gemeinschaftshandeln im NS-Verbund verbunden, zumal in der Hitler-Jugend. Bei den Pimpfen war eine Keilerei Spaß, eine pfundige Angelegenheit, im Zeltlager herrschte pfundige Stimmung, selbst der Schlafsack wurde pfundig inmitten des Rudels (Badische Presse 1934, Nr. 301 v. 7. Juli, 13; Durlacher Wochenblatt 1934, Nr. 187 v. 13. August, 5; Der Führer 1934, Nr. 230 v. 22. August, 6). War pfundig zuvor ein Wort junger Erwachsener, so entwickelte es sich Mitte der 1930er Jahre auch zu einem der Jugend, der Bewegung. Die Jungen nahmen Elemente der bürgerlichen Freizeitkultur der späten 1920er Jahre auf, im Rahmen der zunehmend von der NSDAP dominierten Jugendverbände waren Sport und Reisen angesagt: Am Obersalzberg gab es nicht nur Hitlerplausch und Almenrausch, sondern man traf auch pfundige Mitstreiter (Ebd. 1933, Nr. 195 v. 17. Juli, 7). Eine pfundige Abfahrt lockte, den entsprechenden Sturz steckte man lachend weg (Mittelbadischer Kurier 1933, Nr. 288 v. 11. Dezember, 3; Badische Presse 1934, Nr. 19 v. 12. Januar, 7).

Pfundig war jugendbewegt, das Wort bezeichnete impulsives Leben ohne Intellekt, ohne größeren geistigen Überbau. Es stand für ein einfaches, simples Leben, ohne großes Nachdenken. Pfundig war kein Leben im Wallgraben seines Selbst, es war offen, dynamisch, stand für Teilhabe und Teilnahme, für ein Leben in Gemeinschaft, im völkischen Umfeld. So sollte das Leben sein, instinktiv. Leben als Wollen, Schaffen und Tun. Von Pfundskerlen umgeben glich das Leben einem Rausch, einem Wirbelwind: Im Augenblick leben, nur den nächsten Tag im Blick, die Vergangenheit vergessen, die Zukunft im Vertrauen auf sein Umfeld angehen. So machen das viele bis heute, das Bungeespringen steht dafür.

Der 1939 losgebrochene Krieg schien all dies zu beenden. Und doch dürften viele den Kampf als ultimativen Kick verstanden haben, mochte es einer großen Zahl Deutscher bei Kriegsbeginn auch mulmig gewesen sein. Mehr als zwei Millionen tote deutsche Soldaten waren nicht vergessen, amputierte Beine und Arme markierten Verletzungen, eine halbe Million Kriegsversehrte wurden anerkannt. Noch wusste man um die Nöte und Härten der „Heimatfront“, um die Abmagerung aller. Doch das innere Feuer löschen, die Träume vom pfundigen Leben stillstellen? Just hier setzte „Familie Pfundig“ an, denn sie bot ein anständiges Vorbild im Einklang mit den Erfordernissen der Zeit. Das innere Feuer konnte weiter brennen, die Träume der eigenen Jugend. Doch Krieg war keine Zeit der Ekstase, sondern des ruhigen, beharrlichen Handelns. Der Feind würde jede Unbedachtheit nutzen, es galt ihm zuvorzukommen – nicht in der Ferne, sondern auf dem Bewährungsgrund Heimat. Die Landser mochten in die Ferne ausschwärmen, bei Widerstand pfundig schimpfen (Der Führer 1939, Nr. 294 v. 24. Oktober, 3). Doch mit pfundiger Kameradschaft und ebensolchen Weisen auf den Lippen würde es schon gehen (Ebd., Nr. 320 v. 19. November, 5; ebd. 1940, Nr. 44 v. 14. Februar, 4). Der nationalsozialistische Reichsfußballtrainer Sepp Herberger (1897-1977) schrieb entsprechend an einen seiner Nationalspieler: „Sie haben ja eine schöne Irrfahrt durch ganz Frankreich gemacht. Aber pfundig muss die Sache gewesen sein“ (Gregor Hoffmann, Mitspieler der »Volksgemeinschaft«. Der FC Bayern und der Nationalsozialismus, Göttingen 2022, 246). Der Krieg war ein Spiel, mit manch pfundigem Schuss.

Anregungen und Vorbilder

03_Westfaelische Neueste Nachrichten_1936_10_07_Nr235_p6_Schwerter Zeitung_1937_03_30_Nr73_p3_Herr-Hase_Zeitungen_Abonnement

Herr Hase: Werbekampagnen für Zeitungsabonnements 1936/37 (Westfälische Neueste Nachrichten 1936, Nr. 235 v. 7. Oktober, 6 (l.); Schwerter Zeitung 1937, Nr. 73 v. 30. März, 3)

Die Anfang Januar 1940 einsetzende Kampagne mit „Familie Pfundig“ wurde vom Reichsverband der deutschen Zeitungsverlage in Kooperation mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda durchgeführt. Bezugspunkt und bedingt Vorbild war eine frühere Kampagne der Zeitungsverleger, die ebenfalls kaum mehr bekannte Herr Hase-Kampagne von 1936/37 (Herr Hase als Anzeigenwerber, Zeitungs-Verlag 37, 1936, 720; Herr Hase auf der Anklagebank, ebd. 36, 1937, 135). Dieser Herr, der von nichts wusste, weil er keine Zeitung las, wurde als Negativfigur des unbedarften, am Gemeinschaftsleben nicht teilnehmenden Sonderlings präsentiert, der am Ende zwingend mit dem Gesetz und der Gemeinschaft in Konflikt geriet und seine wirtschaftliche Existenz verlor (Gustav Lange, Schöne Grüße vom Schaefer-Ast (1890-1951). Postkarten und Geschichten für Werbekampagnen im Dritten Reich, Romerike Berge 72, 2022, H. 2, 12-31; unkritisch Werner Greiling, Werbegraphiker und Kunstprofessor in Weimar – Albert Schaefer-Ast (1890-1951), Das kulturhistorische Archiv von Weimar-Jena 1, 2008, 110-138, hier 120-125). Die Auftraggeber reagieren damit auf den massiven Auflagenrückgang der Tagespresse, einerseits Folge der Verbote der SPD- und KPD-Zeitungen und dem Ende auch liberaler Zeitungen, etwa der Vossischen Zeitung 1934. Sie war anderseits aber eine rationale Entscheidung der Leser, die ein zunehmend uniformes Nachrichten- und Propagandaangebot nicht auch noch finanzieren wollten, die sich fern hielten vom betreuten Denken in der vermeintlichen Volksgemeinschaft. Gleichwohl bemühten sich Verleger und Machthaber um höhere Abonnementzahlen, denn darauf gründete nicht nur eine einigermaßen erfolgreiche Verhaltens- und Verbrauchslenkung, sondern auch der Vertrieb zahlloser Angebote und Anzeigen (Norbert Frei und Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, München 1989, 36-38).

Herr Hase tauchte in zwei längeren Serien Ende 1936 und Anfang 1937 in deutschen Zeitungen auf, wurde nach der halbwilligen Besetzung Österreichs dann 1939 in der „Ostmark“ abermals aufgelegt, dabei mit neuen Motiven ergänzt. Künstlerisch war sie wenig ansprechend, inhaltlich teils peinlich. Die Gründe für das Zeitungslesen waren teils hanebüchen, konnten die strukturellen Defizite einer fast gänzlich gleichgeschalteten und von Presseanweisungen recht genau gesteuerten Zeitungslandschaft ja nicht angesprochen werden (Konrad Dussel, Wie erfolgreich war die nationalsozialistische Presselenkung?, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58, 2010, 543-561). Hinzu kam, dass der 1939 begonnene Krieg für die Presse fast wie ein Konjunkturprogramm wirkte, stiegen die Auflagen doch rasch an, war man durch die Rationierung und die Zivilverteidigung doch von behördlichen Informationen zunehmend abhängig. „Familie Pfundig“ knüpfte daran an. Hans Fritzsche (1900-1953), Leiter der Abteilung „Deutsche Presse“ im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, betonte, diese Serie, ähnlich wie zuvor die Serien über Herrn Hase, solle „generell von allen deutschen Zeitungen gebracht werden“ (Jürgen Hagemann, Die Presselenkung im Dritten Reich, Bonn 1970, 309). Doch sie würde positiv sein, keine Negativfiguren enthalten, Willigkeit hervorrufen. Und so geschah es…

Naja, nicht ganz. Offen bleibt die Frage, warum man den Namen „Familie Pfundig“ wählte. Die Antwort liegt wohl in der Person des Zeichners Emmerich Huber (1903-1979). Dieser, wir kommen darauf zurück, hatte sich seit Mitte der 1920er Jahren als Zeichner, Illustrator und Werbegraphiker einen Namen gemacht, versah er doch gleichermaßen Güter und Gebote mit dem Charme des Freundlichen. Seine Arbeit kombinierte – wie schon Paul Simmel (1887-1933) und Walter Trier (1890-1951) – unmittelbar eingängige Zeichnungen mit humorvollen, selten auch bissigen Kommentaren. Huber arbeitete allerdings stärker seriell, erzählte kleine Geschichten, versah sie oft mit Sprachblasen, eingefügten Textzeilen und gereimten Unterzeilen. Huber war populär und daher gleichermaßen wertvoll für das Regime und die Konsumgüterindustrie.

Einer seiner vielen Auftraggeber in den späten 1930er Jahren war der niederländische Handelskonzern C&A. Als Filialbetrieb anfangs nicht wohl gelitten, gar Boykotten ausgesetzt, passten sich die offiziell gut katholischen Besitzer dem NS-Regime rasch an, entließen 1933 jüdische Mitarbeiter, übernahmen in der Folge jüdische Konkurrenten (Kai Bosecker, Vom ‚unerwünschten Betrieb‘ zum Nutznießer des NS-Regimes […], in: C&A zieht an! Impressionen einer 100-jährigen Unternehmensgeschichte, Mettingen 2011, 94-105; Mark Spoerer, C&A. Ein Familienunternehmen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien 1911-1961, München 2016, insb. 132-175). Emmerich Huber war 1938 Teil einer breit gefächerten Werbekampagne für Konfektionsware und Barkauf (Dortmunder Zeitung 1938, Nr. 499 v. 26. Oktober, 9). Dabei wurde auch ein Herr Pfundig eingeführt. Den Kundinnen dürfte dies kaum im Gedächtnis haften geblieben sein, doch ein Graphiker erinnert sich solcher Namen, anregender und weiter verwertbarer Figuren.

04_Hamburger Neueste Zeitung_1938_12_17_Nr298_p3_Filialbetrieb_C-A_Brenninkmeyer_Barkauf_Modewaren_Herr-Pfundig

Ein Herr Pfundig taucht auf: rechts, sechste Zeile (Hamburger Neueste Nachrichten 1938, Nr. 298 v. 17. Dezember, 3)

Alltags- und Versorgungsprobleme zu Kriegsbeginn – Die Motive der Serie

Die NS-Propaganda hatte anfangs auf eindimensionale Identifikationsfiguren gesetzt, brachiale, biestige Figuren, kraftstrotzend und gesinnungsstark. Derart leblose Vorkämpfer waren nach der Konsolidierung der NS-Herrschaft zwar noch immer weit verbreitet, kamen im öffentlichen Raum als martialische Symbole von Sieg und Zukunft auch stetig vor. Doch in den Zeitungen dominierten eher freundliche Durchschnittspersonen, in der Werbung die schürzenbewerte Hausfrau. Gezeichnete Werbefiguren kamen schon lange vor dem Ersten Weltkrieg auf und etablierten sich seit den frühen 1920er Jahren. Das NS-Regime nutzte sie seit Mitte der 1930er Jahre. Dabei lernte man durchaus von angelsächsischen Werbegraphikern und den zahlreichen in Deutschland vertretenen US-Werbeagenturen. Doch diese waren dem deutschen Markt nicht wirklich angepasst, zudem meinte man Besseres bieten zu können. Die immer wichtigere Verbrauchslenkung nutzte vielfältige Graphiken, Schaubilder, zunehmend auch kampagnenfähige Zeichenfiguren. Im Rahmen der „Kampf dem Verderb“-Propaganda symbolisierten „Groschengrab“ und „Roderich das Leckermaul“ Gefahren und Fehlverhalten. Doch die Machthaber, die noch an die starke Wirkung von Medien glaubten, wussten, dass der erhobene Zeigefinger allein nicht ausreichte. Positive, durchaus alltägliche Gegenfiguren kamen auf, Vorbilder für ein Alltagsnudging. Auf Groschengrab folgte der allerdings wenig erfolgreiche „Übeltöter“, Roderich fand in seiner Gemahlin Garnichtfaul einen im Sinne des Volksganzen denkenden Gegenpol. Dadurch war Verhaltenslenkung möglich, ohne den Einzelnen direkt zu attackieren. „Familie Pfundig“ stand in dieser Linie hin zum zivilen Vorbild. Innerhalb der fünfköpfigen Familien konnte Fehlverhalten verdeutlicht und zugleich korrigiert werden. Durchaus konsequent folgte auf „Familie Pfundig“ Ende 1940 das ebenfalls positive „Flämmchen“, ein Helfer beim Energiesparen.

05_Altonaer Nachrichten_1936_03_03_Nr053_p05_Pfundig_Modewort_Familie-Pfundig

Kiebitz: Pfundig als Modewort auch im Norden; Ankündigung einer Serie über die Familie Pfundig (Altonaer Nachrichten 1936, Nr. 53 v. 3. März, 5 (l.); Hamburger Neueste Zeitung 1940, Nr. 4 v. 5. Januar, 3)

All dieser Aufwand wurde betrieben, um letztlich den Einzelnen dazu zu bringen, seine Interessen zu Gunsten des kriegsführenden Staates zurückzustecken. Die Pfundigs machten das vor, machten voller Glauben mit, erfüllten alle an sie gestellten Anforderungen. „Familie Pfundig“ war personifizierte nationalsozialistische Moral (Lothar Fritze, Die Moral der Nationalsozialisten, Reinbek 2019; Wolfgang Bialas, Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus, Göttingen 2014; Raphael Gross, Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral, Frankfurt a.M. 2010). Während die Wehrmacht den Krieg gegen Frankreich und Großbritannien führte und vorbereitete, ging es an der Heimatfront um Zusammenhalt, Zurückstecken und Opferbereitschaft. Wie dies in kleiner Alltagsmünze möglich war, das zeigte „Familie Pfundig“.

06_Murtaler Zeitung_1940_01_13_Nr02_p05_Familie-Pfundig_Heimatfront_Comic_Kohle_Heizmaterial_Requirierung

Pfundigs „verkohlen“ sich selbst (Murtaler Zeitung 1940, Nr. 2 v. 13. Januar, 5)

Blicken wir dazu auf die Einzelmotive der Serie. Sie bündelten drängende Alltagsprobleme der frühen Kriegszeit, gaben einen Widerschein der von Beginn an bestehenden Probleme in der Konsumgüterversorgung (Christoph Buchheim, Der Mythos vom „Wohlleben“. Der Lebensstandard der deutschen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58, 2010, 299-328). Nach der reichsweiten Vorstellung der Familie Pfundig am 5./6. Januar 1940 erschienen im Halbwochentakt – in manchen Fällen auch in längeren Intervallen, in Österreich später als im Norden – thematische Kleincomics. Huber verwandte in den Bildern nur selten Sprachzeilen, eigentlich sein Markenzeichen, stattdessen dominierten Unterzeilen. Die jeweils drei Bilder wurden durch eine zusammenfassende Merkspalte ergänzt, in der die Botschaft nochmals verdichtet gebündelt wurde.

Dass als erstes die Probleme des Transportwesens und der Heizstoffversorgung thematisiert wurden, war naheliegend, denn die Requirierungen für Wehrmachtszwecke hatten tiefe Lücken nicht nur bei Automobilen und Lastkraftwagen hinterlassen, sondern auch bei den nach wie vor dominierenden Pferden und Fuhrwerken. Zudem war der Winter 1939/40 besonders kalt, betrug die Durchschnittstemperatur im Januar 1940 -9 °C. Der durch die Kriegsanstrengungen und wachsende Lieferverpflichtungen an neutrale Staaten ohnehin gebeutelte Wasser- und Bahntransport der heimischen Kohle stockte. Die Antwort hierauf war Eigeninitiative, waren Aushilfen mit privaten Karren, war vor allem Verständnis für Lieferprobleme.

07_Salzburger Volksblatt_1940_01_13_Nr11_p04_Familie-Pfundig_Comic_Heimatfront_Restekueche_Rezepte

„Reste-Tag“ bei Pfundig’s! (Salzburger Volksblatt 1940, Nr. 11 v. 13. Januar, 4)

Ähnlich drängend waren offenkundige, durch Transportprobleme ebenfalls verschärfte Versorgungsprobleme mit Lebensmitteln. Die Planer waren ohnehin von einem leichten Gewichtsverlust der Deutschen aufgrund der Rationierung ausgegangen. Nun aber griffen schon lange laufende Kampagnen für sparsame Haushaltsführung, praktische neue Convenienceprodukte und die vielbeschworene Resteküche (W. Plaetke, Lebensmitteleinkauf und Resteverwertung, Zeitschrift für Volksernährung 11, 1936, 92, 104-105, 119-121; Der durchdachte Haushalt. Kochplanung und Resteverwertung, Die Genossenschaftsfamilie 31, 1938, Nr. 1, 11; dass derartige Bestrebungen im letzten Jahrzehnt eine bemerkenswerte Renaissance erfuhren, sei nur am Rande vermerkt). Familie Pfundig beging nicht nur den zunehmend gängigen Reste-Tag, sondern fand das ungewohnte Essen so fabelhaft, dass sie das Rezept gleich mit den Volksgenossen teilte.

08_St. Poeltner Zeitung_1940_01_18_Nr03_p04_Familie-Pfundig_Comic_Heimatfront_Front_Mann-Frau_Zeitung_Abonnement

Pfundigs „alltägliche“ Feldpostsendung (St. Pöltner Zeitung 1940, Nr. 3 v. 18. Januar, 4)

Es folgte eine Reminiszenz Familie Pfundigs an die Herrn-Hase-Kampagne und die Interessen der auftragsgebenden Zeitungsverleger. Trotz wachsender Auflage warb man für die Tageszeitung im Felde. Wirtschaftliche Werbung und Kriegspropaganda gingen hierbei Hand in Hand, denn es ging hier nicht nur um Einnahmen, sondern auch um ein enges Band zwischen Front und Heimat. Anders als im Ersten Weltkrieg waren Liebesgaben 1939/40 zur Soldatenversorgung nicht wirklich erforderlich, wurde das enge Band zwischen Soldaten und den Zurückgeblieben vornehmlich durch einfache Feldpostbriefe gestärkt. Dass hierbei Inge Pfundig von einem wackeren Soldaten träumte, wird Uniformträger ebenso gefreut haben wie Vertreter einer pronatalistischen Politik, die immer auch an die demographischen Konsequenzen der Trennung gebärfreudiger Erwachsener dachten.

09_Bochumer Anzeiger_1940_02_27_Nr049_p6_Heimatfront_Front_Zeitungen_Abonnement_Feldpost

Begleitkampagnen zu pfundigen Anregungen (Bochumer Anzeiger 1940, Nr. 49 v. 27. Februar, 6)

„Familie Pfundig“ wurde von zahlreichen dezentralen Initiativen unterstützt, die die allgemeinen Zielsetzungen der Kampagne konkreter ummünzten. Das war bei der Werbung für zusätzliche Feldabonnements offenkundig, doch in den Folgewochen gab es zahlreiche ergänzende Hinweise und Angebote für fast alle Motive der Kampagne.

10_St. Poeltner Zeitung_1940_01_25_Nr04_p05_Familie-Pfundig_Comic_Heimatfront_Fußgaenger_Verdunkelung

Vater Pfundig wird im dunklen „Helle“! (St. Pöltner Zeitung 1940, Nr. 4 v. 25. Januar, 5)

Moderne Kriege gründen auf einer leistungsfähigen Industrieproduktion, sind deshalb vielfach umkränzt von Sorge um Arbeiter und Angestellte. Es gilt Unfälle zu vermeiden, Vorsorge zu treffen, das Humankapital möglichst lange intakt zu halten. Nicht umsonst gewannen zu dieser Zeit Anzeigen für Heft- und Wundpflaster stark an Gewicht. Parallel aber schuf die mit Kriegsbeginn zwingend einsetzende Verdunkelung neue, bisher unbekannte Gefahren. Das betraf nicht ausgeleuchtete Gehwege, abgedunkelte Fahrrad- und Autoscheinwerfer. Herr Pfundig erlitt fast folgerichtig eine Beule als er mit jemand anderen zusammenstieß – was die Jungen gleich zu Spott veranlasste. Sie wussten nämlich um die neuen, auch in der Schule behandelten Alltagsregeln für Fußgänger. Hier galt es zu lernen, ansonsten würden die pfundigen Jungs die gebeutelten Älteren abhängen. Die Fußgänger wurden zwar faktisch belehrt und mit zehn Regeln vertraut gemacht. Doch es handelte sich um „Anregungen“, nicht um die zuvor stets tönenden „Gebote“ oder um die sprachlich schon weniger rigiden „Ratschläge“. Hier sprachen Volksgenossen miteinander, war Respekt und Freundlichkeit gewährleistet, mochte schadenfreudiges Schmunzeln über den hölzern-gutwilligen Karl Pfundig auch erlaubt sein.

11_Die Heimat am Mittag_1940_01_20_Nr017_p4_Bochumer Anzeiger_1940_01_22_Nr018_p4_Familie-Pfundig_Theater_Minna-von_Barnhelm

Vater Pfundig und „Minna von Barnhelm“: Auch mal im Hochformat (Die Heimat am Mittag 1940, Nr. 17 v. 20. Januar, 4 (l.); spiegelverkehrt: Bochumer Anzeiger 1940, Nr. 18 v. 22. Januar, 4)

Diese nach innen gewandte Kameradschaftlichkeit war immer auch Ausdruck deutscher Bildung und deutscher Kultur (natürlich nur im „arteigenen“ Sinne). Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), Schöpfer von „Nathan der Weise“, einem bis heute beeindruckenden Plädoyer für Toleranz und friedliches Miteinander, wäre gewiss vergrätzt gewesen, hätte er von der Aufnahme seines 1767 erschienenen Lustspiels „Minna von Barnhelm“ in die Familie-Pfundig-Kampagne erfahren. Dieses war ein Bühnenklassiker, blieb es auch während der NS-Zeit, wurde bis März 1945 wieder und wieder gespielt. Warum? Gewiss, weil es leicht und leidenschaftlich war, zu Herzen ging, einem dem Alltag entzog. Für die Kampagne aber wichtiger dürfte das Spiel gegen „den überspitzten Ehrbegriff“ gewesen sein, mit dem Ziel, „das lockende, reizende Werben aufgeschlossener Fröhlichkeit, den finsteren, verschlossenen, in Dogmen und Maximen erstarrten Ernst zu besiegen“ (Wilhelm Antropp, Akademietheater, Völkischer Beobachter 1939, Nr. 287 v. 14. Oktober 1939, 4). Minna von Barnhelm war pfundig im Sinne des Begriffs; und Pfundigs zielten durch den Theaterbesuch nicht nur auf eine kriegsgemäße Work-Life-Balance, sondern sie nährten auch das pfundige Grundgefühl ihrer Jugend, das sich nun geläutert zu bewähren hatte.

12_Mittelrheinische Landes-Zeitung_1940_01_27_Nr023_p4_Familie-Pfundig_Hausgemeinschaft_Kinderbetreuung_Kameradschaft

Pfundigs Kameradschaft immer guten Rat schafft! (Mittelrheinische Landes-Zeitung 1940, Nr. 23 v. 27. Januar, 4)

Wir könnten so fortfahren, Motiv für Motiv. Denn Entspannung war für die Pfundigs nicht nur selbstbezüglich, sondern war Nährboden für die organische Gemeinschaft, für Familie, Haus- und Volksgemeinschaft. Nachbarschaftshilfe war für sie selbstverständlich, die Sorge für den Nachwuchs weckte mütterliche Gefühle, ließ den Mann wieder zum Kinde, zum Spielkameraden werden. Dass dies die innere Seite der Hege eines nach außen aggressiven Regimes war, ist offenkundig.

Doch ebenso ermüdend wie das beigefügte Lob der Hilfsbereitschaft sein konnte – im Sommer 1942 folgte gar eine breit gefasste Kampagne des Reichspropagandaministeriums für Höflichkeit – ist eine Auflistung ohne wirklich fundiertes Eingehen auf den Inhalt der einzelnen Motive. Sie finden sie gleichwohl hier abgedruckt, denn sie spiegeln die Probleme des Deutschen Reichs schon zu Kriegsbeginn. Leder war knapp, musste geschont und gepflegt werden – entsprechend wurde für Schuhpflegemittel bis Kriegsende immer schlechterer Qualität zum Trotz geworben. Wie mit Humankapital war auch mit Sachkapital sorgfältig, achtsam umzugehen.

13_Jeversches Wochenblatt_1940_01_31_Nr026_p6_Familie-Pfundig_Heimatfront_Leder_Schuhe_Schuhpflege

Fritzen’s Schuhe stören Pfundigs Ruhe! (Jeversches Wochenblatt 1940, Nr. 26 v. 31. Januar, 6)

Auch die Textilproduktion diente immer stärker dem Militär, doch auch sie konnte dessen Bedarf nicht annähernd decken, wurde der Krieg gegen die UdSSR mit unzureichender Ausrüstung geführt. Während „Deutsche Mode“ zu einem devisenträchtigen Exportartikel wurde – Berlin überholte in der Folgezeit kurzfristig Paris als europäische Modehauptstadt – glich der Umgang mit Altkleidern denen mit Lebensmittelresten. Damit galt es hauszuhalten, daraus konnte aber auch Neues geschaffen werden – wenn denn die Frauen, wie Tochter Inge Pfundig, neben ihrer gewerblichen Arbeit noch Zeit fanden, selbst zu schneidern.

14_Briesetal-Bote_1940_02_03_Nr029_p3_Familie-Pfundig_Altkleider_DIY_Selbstschneiderei_Heimatfront

Auch „alte“ Kleider machen Leute! (Briesetal-Bote 1940, Nr. 29 v. 3. Februar, 3)

Angesichts der zu Kriegsbeginn nur sporadischen Luftangriffe auf Reichsziele ließ die Neigung zur steten Verdunkelung nach, beträchtlicher Kontrollen zum Trotz. Selbst Karl Pfundig wurde nachlässig, konnte aber wiederum mit Hilfe seines Jungen (und der ausgedünnten Polizei) auf den Pfad der Kriegsgemeinschaft zurückgebracht werden. Dass nun „Ratschläge“ erteilt wurden, verweist auf eine gewisse Renitenz zumal im ländlichen Bereich.

15_General-Anzeiger für Bonn und Umgegend_1940_02_07_Nr16673_p4_Familie-Pfundig_Heimatfront_Polizei_Verdunkelung

Die Polizei kommt zu Pfundigs! (General-Anzeiger für Bonn und Umgegend 1940, Nr. 16673 v. 7. Februar, 4)

Dieses Motiv war für viele Zeitungen in der Tat das letzte Motiv ihrer Familie-Pfundig-Kampagne; bereits die Streifen zur Schuhpflege und zum Kleiderschneiden waren nur noch selten gedruckt worden. Die folgenden drei Motive fanden sich nur selten – wobei immer zu berücksichtigen ist, dass die Zeitungsdigitalisierung in diesem Staate, trotz erfreulicher Fortschritte in NRW, auf dem Stand eines rückschrittlichen Landes liegt.

16_Baruther Anzeiger_1940_02_09_Nr18_p2_Familie-Pfundig_WHW_Winterhilfswerk_Skat_Geselligkeit

Pfundigs Idee für’s Winterhilfswerk! (Baruther Anzeiger 1940, Nr. 18 v. 9. Februar, 2)

Dieses Abebben und Ausfransen der Kampagne mochte auch daran liegen, dass die nun folgende Propaganda für das Winterhilfswerk und das Papiersparen ohnehin weit verbreitet war. Sammlungen waren längst der Freiwilligkeit enthoben, die aufgrund fehlenden devisenträchtigen Holzes akute Papiernot wurde durch staatliche Maßnahmen bereits zu mildern versucht (etwa die Reduktion des Zeitungsumfanges und der Größe und Ausstattung der Werbeanzeigen).

17_Fehrbelliner Zeitung_1940_02_16_Nr020_p3_Familie-Pfundig_Papier_Sparsamkeit_Holz_Heimatfront

Beim Papier sind Pfundigs „eisern“! (Fehrbelliner Zeitung 1940, Nr. 16 v. 16. Februar, 3)

Die Motive knüpften an die den NS-Alltag schon seit langem prägenden Sparsamkeitsappelle an – und der wachsende Zwang von Partei und Staat verwies schon auf die sich seither immer wieder verschärfende, nur selten sich wieder entspannende Versorgungssituation. Von einer „Wohlfühldiktatur“ kann man kaum sprechen. Obwohl sich Familie Pfundig durch die Themensetzung auch inhaltlich in die allgemeine NS-Kriegspropaganda einreihte, endete die Serie mit einem sowohl untypischen wie charakteristischen Motiv. Fritz hatte durch Unachtsamkeit seinen Anzug zerrissen, seine Mutter drängte auf eine tüchtige Tracht Prügel. Doch sein Vater beließ es bei einem eindringlichen Appell, künftig anders zu handeln. Leben war eben pfundig, nicht immer zu zügeln. Das drängende Dasein, es war durch Gewalt nicht zu einzudämmen. Ihm eine Richtung zu geben, Karl Pfundig hatte dies durch Selbstzucht erreicht. Sein Sohn würde auch ohne Prügel in seine Fußstapfen treten.

18_Sauerlaendisches Volksblatt_1940_03_02_Nr053_p4_Familie-Pfundig_Kindererziehung_Vater-Sohn

Wie sagt’s Pfundig seinem Kinde? (Sauerländisches Volksblatt 1940, Nr. 53 v. 2. März, 4)

Die Familie-Pfundig-Kampagne ist aber – wie jede Kriegspropaganda – nicht nur spannend durch die darin enthaltenen Aussagen und Ratschläge. Historisch ebenso wichtig war, was in ihr nicht thematisiert wurde. Indem die kleinen handhabbaren Probleme des Alltags humoristisch angegangen wurden, konnte die große Frage nach dem Krieg als solchen, nach dessen Ursachen und dessen Sinn überdeckt werden. Die Einreihung in Familie, Haus- und Volksgemeinschaft, die kleinen Problembewältigungen, sie waren schon Bejahung, ein Nachjustieren, Teil der Kriegsanstrengung. Der gute Menschenverstand kam scheinbar zum Durchbruch, der Pragmatismus des Alltags; doch die Kampagne zielte zugleich auf dessen Ausschaltung zugunsten des Regimes, zugunsten eines möglichst reibungslosen Kriegsgeschehens. Bestehende Probleme des Kriegsalltages wurden in der Kampagne angerissen, doch die strukturellen Probleme der Rationierung, weiterhin bestehender Devianz, weit verbreiteter Korruption und Bereicherung, sie wurden bestenfalls angedeutet, nicht aber rückfragend aufgegriffen. Dafür gab es andernorts eine offiziöse NS-Härte, die Inklusion und Exklusion aus der Volks- und Kriegsgemeinschaft. Sie schwang immer mit: „Familie Pfundig“ stand in der Mitte, weil sie mitschwamm. Doch irgendwann wäre die Grenze überschritten gewesen, wäre eine ordentliche Tracht Prügel und mehr die Folge gewesen. Dem konnte jeder Vorbeugen, durch Handeln im Sinne des Regimes. Die unterschiedlichen Motive der Kampagne spiegeln begrenzte Sprach- und Handlungsräume innerhalb der NS-Diktatur, innerhalb der NS-Kriegspropaganda. Sie spiegeln zugleich auch die sich verengenden Sprach- und Handlungsräume innerhalb jeder Kriegssituation. „Familie Pfundig“ adelte das biedere Mitmachen, das Zähne-Zusammenbeißen, das bereitwillige Durchhalten. Aktives, freudiges, aufheiterndes und begeisterndes Handeln war weiter von Nöten – nun aber für die Volksgemeinschaft, unter Vernachlässigung der eigenen Interessen. So konnte auch der Krieg zu einer pfundigen Sache werden.

Emmerich Huber, NS-Humorist

Die NS-Propagandaserie „Familie Pfundig“ wurde ersonnen und umgesetzt vom wohl wichtigsten NS-Humoristen, von Emmerich Huber. Er ist heute nur noch wenigen bekannt, auch wenn er bis in die 1960er Jahre gut beschäftigt war (Eckart Sackmann, Emmerich Huber, Deutsche Comicforschung 2005, 56-71; Ders., Emmerich Huber – zum Zweiten, Deutsche Comicforschung 2010, 87-92). Er zog sein Ding durch, doch anders als in derart oberflächlicher Forschung suggeriert, war er während der NS-Zeit nicht allein der nette Zeichner von Nebenan, dessen kleine Episoden und Figuren kurze Freude in den tristen (Kriegs-)Alltag zeichneten, der sich nur ein wenig anpasste. Huber war ein Pendant zum Filmstar und Biedermann Heinz Rühmann (1902-1994), lieferte wie dieser bräsigen, massenkompatiblen Humor, der sich in jedem politischen System findet (Torsten Körner, Ein guter Freund Heinz Rühmann, Berlin 2003; eingängig populär: Hans Sarkowicz (Hg.), Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2004; nicht überzeugend, ja vielfach peinlich: Michael H. Kater, Kultur unterm Hakenkreuz, Darmstadt 2021). Täter wie Huber und Rühmann tönten vom Miteinander, vom Freund, dem guten Freund. Doch mit mehr Distanz erscheinen sie als Personen, denen es sich vorrangig um sich ging, um ihr Einkommen, ihre Sicherheit, ihre Uk-Stellung.

Huber wurde in den 1920er Jahren bekannt als Zeichner von Kindergeschichten, kleinen Comics in der Kundenzeitschrift Blauband-Woche, für die er neue Figuren schuf: „Das Neueste von Onkel Jup“ und „Hans und Lottchen“ waren nicht nur bei Kindern beliebt (einschlägige Digitalisate finden Sie unter Archive.org). Parallel arbeitete er schon früh für Werbekunden, etwa die Berliner Firma L.M. Baginski mit ihren Fitnessartikeln (Der Welt-Spiegel 1926, Nr. 50 v. 12. Dezember, 10). Man findet Hubers Zeichnungen in so herausragenden Zeitschriften wie „Sport im Bild“, vor allem aber in der Karikaturzeitschrift „Ulk“, dank der bissigen politischen Karikaturen von Rudolf Herrmann Anfang der 1930er Jahre ein wichtiges Kampfblatt für die Weimarer Republik, gegen die „Reaktion“ und die NSDAP. Huber selbst witzelte über die Enttäuschungen der Woche, zeichnete optimistisch (Ulk 61, 1932, Nr. 1, 1), half dem Ulk zu einer stärken Balance zwischen Unterhaltung und republikanischer Agitation. Auch durch Buchillustrationen gewann er den Ruf eines lustigen Zeichners, der für alles und jedes gut zu verwenden war (H[ermann] K[arl] Frenzel, Emmerich Huber. Ein lustiger Zeichner, Gebrauchsgraphik 9, 1932, Nr. 4, 4-11).

19_Illustrierter Beobachter_13_1938_p1837_Drogerieartikel_Erkaeltung_Husten_Waeschewaschen_Wybert_Preisbindung_Hausfrau_Emmerich-Huber

Beispiel für Hubers Werbezeichnungen für Wybert (Illustrierter Beobachter 13, 1938, 1837)

Die Machtzulassung der NSDAP war für Huber kein wirklicher Bruch. Er arrangierte sich mit der neuen Lage, zeichnete Werbung etwa für die Radios von Saba (Sport im Bild 40, 1934, 1117), oder eine umfangreiche, bis 1941 fortgeführte Serie für Wyberts Pastillen. Einzelzeichnungen und Buchillustrationen festigten den Ruf, dass er „immer wieder mit seinen köstlichen Figuren die Schwächen der Menschen festzuhalten“ (Der Sächsische Erzähler 1936, Nr. 264 v. 11. November, 9) wisse. Huber prägte das, was Deutsche unter lustig verstanden, voller Schenkelklatschen, mittels strikter Geschlechtscharaktere, draller Damen und gutmütiger Kleinbürger. Heroisch war das alles nicht, ein Gegenbild zu Marschkolonnen und Arierertypen. Doch diese waren in der deutschen Unterhaltungskultur keineswegs so dominant, wie dies im Blick auf strikte NS-Propaganda erscheinen mochte. Hubers „lustigen Karikaturen“, seine Seiten „lustiger Zeichnungen“ (Wilsdruffer Tageblatt 1939, Nr. 155 v. 7. Juli, 5; Der Sächsische Erzähler 1938, Nr. 39 v. 16. Februar, 10) waren zeichnerisch gut gemacht, machten aus ihm eine Marke. Ab Mitte der 1930er Jahre etablierte er sich als einer im Graphikbereich wichtigsten, schließlich im Krieg zum wichtigsten NS-Humoristen. Er gestaltete anfangs ganze Seiten für die hochwertig gedruckte „Neue Illustrierte Zeitung“, die seine Werke in der Werbung stetig pries (Zschopauer Tageblatt und Anzeiger 1936, Nr. 302 v. 19. Dezember, 2; Bergische Landes-Zeitung 1937, Nr. 228 v. 30. September, 3; Bergische Landes-Zeitung 1938, Nr. 35 v. 2. November, 3). Seine Zeichnungen brachen die offenkundigen Härten des NS-Regimes, der ubiquitären Verfolgung und Denunziation nicht nur von Minderheiten.

20_Die Kunst fuer alle_56_1940-41_H10_Anhang_p14_ebd_H03_Anhang_p27_Briefpapier_Papier_Sparsamkeit_Max-Krause_Emmerich-Huber

Sparsamkeit und Zurückhaltung: Werbekampagne für Max Krause 1940 (Die Kunst für alle 56, 1940/41, H. 10, Anhang, 14 (l.); ebd. H. 3, Anhang, 27)

Die zunehmenden Werbeeinschränkungen seit Beginn des Zweiten Weltkrieges ließen Werbekunden seltener werden. Emmerich Huber konnte dies kompensieren, zeichnete und textete bis 1945 für führende NS-Illustrierten, für den parteieigenen „Illustrierten Beobachter“, die „Münchener Illustrierte“, für das Magazin der Deutschen Arbeitsfront „Arbeitertum“. Der Umfang der Zeitschriften schwand, doch Emmerichs letzte Seite blieb stehen, war kriegswichtig, nicht nur für die Stimmung an der Heimatfront und im Betrieb. Die „Emmerich-Huber-Seite“ (Völkischer Beobachter 1943, Nr. 6 v. 6. Januar, 5) spornte freundlich an, zielte auf ein Es-geht-noch-was, auf ein stetes in-die-Hände-Spucken, zielte ohne Knute auf beschwingtes, pfundiges Handeln der Volksgemeinschaft. Emmerich Huber war ein Meister des Selbst- und Fremdbetruges, der auch dem Leben im Bombenkrieg manch heitere Seite abgewinnen konnte.

21_Illustrierter Beobachter_16_1941_Nr38_Großbritannien_Antisemitismus_Bolschewismus_Emmerich-Huber

Die Juden als gewissenlose Geschäftemacher, als Ausdruck des jüdischen Bolschewismus – Hubers Benennung der deutschen Hauptfeinde nach dem Beginn des Krieges gegen die UdSSR (Illustrierter Beobachter 16, 1941, Nr. 38)

Der biedere Emmerich Huber war jedoch mehr als ein humoristischer Sorgenbrecher des Großdeutschen Reiches. Er war auch ein antisemitischer Hetzzeichner. Das betraf etwa eine antibritische und antisemitische Propaganda-Broschüre, die er 1941 zusammen mit dem geschätzten Kollegen Hans Herbert Schweitzer (1901-1980) verfasste (Die Plutokraten-Presse. Wie sie lebt und lügt, wer sie macht, wer sie bezahlt, Berlin 1941). Unter dem Pseudonym Mjölnir, dem Namen des durch Marvel-Comics ja allseits bekanntem Hammers des nordischen Donnergottes Thor, war letzterer nicht nur seit 1926 für die NSDAP agitatorisch tätig, sondern wurde 1933 auch zum „Zeichner der Bewegung“ ernannt (Carl-Eric Linsler, Mjölnir – Zeichner des Nationalsozialismus, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus, Bd. 7, Berlin 2015, 313-316).

22_Illustrierter Beobachter_16_1941_p248_Großbritannien_London_Bombenkrieg_Antisemitismus_Emmerich-Huber

Der „ewige Jude“ im ausgebombten London – Zeichnung von Emmerich Huber (Illustrierter Beobachter 16, 1941, 248)

Doch Huber hat auch in seinen wöchentlichen „heiteren“ Serien wiederholt Ideen einer jüdisch-bolschewistischen Weltherrschaft in Szene gesetzt, hat zugleich den „ewigen Juden“ gezeichnet, dessen vermeintlich zerstörerische Natur immer wieder zum Ausdruck kam. Fast pfundig ist, dass dies im Gefolge der „Luftschlacht um England“ erfolgte, die mit einer empfindlichen Niederlage der deutschen Luftwaffe endete, die ihrem britischen Gegner in fast allen Belangen unterlegen war. Huber zeichnete das Hauptquartier der siegreichen Royal Air Force als Stelldichein exzentrischer Dummköpfe, regiert von Juda. Dem Mannheimer Medienwissenschaftler Konrad Dussel, der vorgab, die Huberschen Zeichnungen im Illustrierten Beobachter durchgesehen zu haben, sind diese Karikaturen offenbar entgangen (Bilder als Botschaft, Köln 2019, 239-241) – entsprechend freundlich seine Einschätzung des biederen Herrn Huber und seines NS-Werkes.

23_Illustrierter Beobachter_16_1941_Nr45_Großbritannien_Antisemitismus_Royal-Air-Force_Emmerich-Huber

Juda regiert – Hubers Einblicke in das Hauptquartier der Royal Air Force (Illustrierter Beobachter 16, 1941, Nr. 45)

Familie Pfundig verschwindet

Familie Pfundig verschwand Anfang März 1940 ohne viel Aufhebens, wurde vergessen. Sie war Teil der nationalsozialistischen Kriegspropaganda, zeigte deren scheinbar freundliche, verständnisvolle, pfundige Seite. Sie handelte von den Sorgen und Aufgaben des Kriegsalltags, zielte auf das für jeden Krieg erforderliche Einvernehmen, Mitmachen und Dulden der Zivilbevölkerung. „Familie Pfundig“ personifizierte nationalsozialistische Moral, deutsche Zuversicht und deutschen Optimismus. Serien wie „Familie Pfundig“ appellierten an deutsche Werte, solche der Selbstleugnung und der Pflichterfüllung. Besser als repressive und warnende Propaganda, besser als die Kampagnen gegen Hamsterei und Wucher, besser als direkte Denunziationen der „plutokratischen“, der „jüdisch-bolschewistischen“ Feinde vermochte sie Zusammenhalt zu schaffen, Verständnis für die Härten der Zeit. Sie war typisch für die frühe Phase des Krieges, in dem die Fährnisse des Alltages noch überschaubar waren, in der noch nicht täglich zehntausend deutsche Soldaten verreckten, wie in der Endphase des Höllensturzes.

„Familie Pfundig“ knüpfte an die Werte einer antiintellektuellen Erwachsenen- und Jugendkultur an, geprägt von realem, vor allem aber virtuellem Leben und Abenteuer. Die Form der Comic-Zeichnung zielte auf die große Mehrzahl, auf einfache Problem-Lösung-Strukturen, auf Aufgabe und Erfüllung. Ihr Gestalter Emmerich Huber bettete all dies in humoristische Watte, doch andere seiner Zeichnungen präsentierten auch den rassistischen Grundtenor des Nationalsozialismus. Angesichts der breiten Klaviatur der NS-Propaganda war dies all denen klar, die lesen und sehen konnten und wollten.

„Familie Pfundig“ ist eine abgeschlossene, nicht wirklich bedeutsame Episode im breiten Kranz der NS-Kriegspropaganda – mochte sie auch abermillionenfach gedruckt und verbreitet worden sein. Sie steht für die Wandlungsfähigkeit und Vielgestaltigkeit der Kriegspropaganda. Die steten Einseitigkeiten, Halbwahrheiten und offenen Irreführungen in der staatsnahen, vielfach staatsgleichen Presse waren einfacher zu erkennen als die nette Umrahmung, die freundliche Bitte zum Mitmachen, die Alltagshilfe. Und vielleicht kann der Blick auf „Familie Pfundig“ das Verständnis dafür schärfen, auf welch samten Pfoten sie uns bis heute umschleicht.

Uwe Spiekermann, 5. November 2022

Flämmchen hilft – Nationalsozialistische Propaganda für sparsames Heizen

Galoppierende Inflation, einbrechende Wachstumsprognosen, zunehmende Insolvenzen und wachsende Deindustrialisierung auch abseits der Automobilindustrie – zu alledem steht die Bundesrepublik Deutschland vor einer weit über den kommenden Winter hinausreichenden Energiekrise, genauer einer Energiepreiskrise. Sie ist vorrangig Ergebnis einer unausgegorenen, ökonomische Grundregeln verletzenden Energiewende und einer westlichen Sanktionspolitik gegen die russische Föderation, die deutsche Interessen schlicht hintanstellt – und damit zugleich eine vernünftige Klimaschutzpolitik unterminiert. Die wirtschaftlichen, sozialen und zunehmend auch politischen Folgen dieser Maßnahmen werden durch eine massive Verschuldung nur zeitweilig überdeckt. Der nicht nur für Marktwirtschaften essenzielle Preismechanismus kann langfristig nicht suspendiert werden. Es scheint, dass das politische Führungspersonal sich dieser Probleme nicht einmal ansatzweise bewusst ist.

01_Zeitbilder_1919_11_16_Nr42_p8_Lachen Links_1_1924_p51_Kaelte_Winter_Erfrieren_Frost

Kriege, Krisen und die Naturalisierung der Not (Zeitbilder 1919, Nr. 42 v. 16. November, 8 (l.); Lachen Links 1, 1924, 51)

Historisch ist diese von den üblichen Empörungs- und Erregungswellen begleitete Lage allerdings keineswegs außergewöhnlich. Die Kohle- und Gasnot von 1916 bis 1923 hat zahllose Erkrankungen und Todesfälle nach sich gezogen, trotz alledem entwickelte sich die Weimarer Republik zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen. Auch während der ersten Jahre des NS-Systems gab es wachsende Probleme bei der Energieversorgung der Bevölkerung und des Gewerbes. Sie intensivierten sich während des Zweiten Weltkrieges und kumulierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit als wegbrechende Fördermengen, die Bildung der Besatzungszonen und ein zusammenbrechendes Transportsystem die Versorgungsprobleme nochmals massiv verschärften. Demgegenüber war die Ölkrise weniger ein wirtschaftlicher als vielmehr ein gesellschaftshistorischer Bruch. Anders in der DDR, wo die auf Braunkohle und importiertem Erdöl basierende Energiepolitik zu einem gleichermaßen ökologischen und ökonomischen Bankrott führte; nicht zuletzt aufgrund des stetig ausgesetzten Preismechanismus.

02_Simpl_01_1946_Nr02_sp_Heizmaterial_Holz_Stadt-Land-Beziehungen

Selbsthilfe angesichts der Kohlennot (Simpl 1, 1946, Nr. 2, 2)

Bei all diesen Energiekrisen zielten staatliche und halbstaatliche Akteure darauf Mangellagen abzufedern, Unternehmen und Bevölkerung zu beschwichtigen und ihnen zugleich Handreichungen zur Krisenbewältigung zu geben. Die NS-Zeit ist dabei von besonderem Interesse, denn damals kam die Energiekrise überraschend: Einheimische Stein- und Braunkohle war im Deutschen Reich nämlich in großen Mengen und zu erschwinglichen Preisen verfügbar. Sie bildete die Basis nicht nur der Chemieindustrie, der Feuerarbeit und der Eisenbahn, sondern auch der Strom- und Gasproduktion sowie des Hausbrandes. Der Vorrat schien praktisch „unbegrenzt“ (Steinkohle, in: Otto Ernst Paul und Wilhelm Claussen, Grossdeutschland und die Welt. Ein Wirtschafts-ABC in Zahlen, Berlin 1938, 399-402, hier 400; zur Einordnung Dariya Manova, »Sterbende Kohle« und »flüssiges Gold«. Rohstoffnarrative der Zwischenkriegszeit, Göttingen 2021). Schwachpunkte bildeten lediglich die deutlich seltener verfeuerten Ressourcen Holz und Erdöl, denn beträchtliche Mengen mussten devisenträchtig eingeführt werden – trotz einer intensivierten Erdölförderung vorrangig in Niedersachen und Aufforstungsprojekten in großen Teilen des Deutschen Reiches.

Winternot und Versorgungsprobleme

Kohle bildete Mitte der 1930er Jahre die Rohstoffgrundlage für Zivilgesellschaft, Gewerbe und die nun vermehrt einsetzende Aufrüstung. Die Bergbaukapazitäten waren noch nicht ansatzweise ausgenutzt, die Saarkohle erweiterte sie nochmals. Die beträchtlichen Rationalisierungen in der Schwerindustrie, der Stromproduktion und der Reichsbahn reduzierten inländische Nachfrage. Stärker noch schlugen die wegbrechenden Auslandsmärkte zu Buche, Frankreich, Belgien, die Niederlande und die UdSSR (Reinhold Reith, Kohle, Strom und Propaganda im Nationalsozialismus: Die Aktion „Kohlenklau“, in: Theo Horstmann und Regina Weber (Hg.), „Hier wirkt Elektrizität“ Werbung für Strom 1890-2010, Essen 2010, 142-157, hier 145). Der zu vier Fünfteln aus Kohle gewonnene Strom sowie die in der Zwischenkriegszeit stark verbesserte Kohlevergasung bildeten dagegen Wachstumsmärkte. Auch der Vierjahresplan erforderte seit 1936 rasch wachsende Kohlemengen, weit mehr noch die Auswirkungen des Krieges. Das galt für die Reichsbahn, für neue Lieferverpflichtungen des europäischen Hegemons gegenüber besetzten, verbündeten und neutralen Staaten. Die zunehmende Stromnutzung städtischer Haushalte führte zu Belastungsspitzen, die bereits im Winter 1938/39, dann insbesondere im Kriegswinter 1939/40 nicht mehr bedient werden konnten (Reith, 2010, 146-147). Institutionelle Umgestaltungen waren die Folge (Vereinfachung der Organisation der Kohlenwirtschaft, Rhein- und Ruhrzeitung 1939, Nr. 345 v. 17. Dezember, 7), doch die Probleme blieben bestehen. Im Herbst 1940 wurde auch in der gleichgeschalteten Presse zunehmend „Sorge“ über die Kohleversorgung laut (Stand der Kohlenwirtschaft, Volksblatt (Hörde) 1940, Nr. 251 v. 24. Oktober, 1). Die offiziellen Stellen, etwa der Reichskohlekommissar Paul Walter, beruhigten, doch es war klar, dass neben die schon seit längerem bestehenden Appelle, etwa die Reichsbahn zugunsten der Wehrmacht weniger zu nutzen, striktere Sparvorgaben rücken würden, die durch das Rationierungs- und Bewirtschaftungssystem auch erzwungen konnten. Eine von November 1940 bis etwa Februar 1941 laufende Sparkampagne des Reichsausschusses für Volkswirtschaftliche Aufklärung (RVA) hielt die Bevölkerung dann zu „richtigem“ Heizen an – also zu verstärkten Sparanstrengungen. Die Zeichentrickfigur „Flämmchen“ wurde ihr freundliches Gesicht.

03_Illustrierte Technik_11_1933_H35_pXXIV_Die Bewegung_04_1936_Nr01_p12_Hunger_Kaelte_Winter_Eintopf_Winterhilfswerk

Propagandafeldzüge gegen Hunger und Kälte (Illustrierte Technik 11, 1933, H. 35, XXIV (l.); Die Bewegung 4, 1936, Nr. 1, 12)

Die Brisanz der stockenden Kohlenversorgung resultierte teils aus der hämmernden und durchaus erfolgreichen Parolenwelt der frühen NS-Propaganda (Birgit Witamwas, Geklebte NS-Propaganda. Verführung und Manipulation durch das Plakat, Berlin und Boston 2016, insb. 154-159). Nach der Machtzulassung der NSDAP setzte – nach der Zerschlagung der Arbeiterbewegung – nicht nur eine „Arbeitsschlacht“ unter Parolen von „Arbeit und Brot“ ein. Der Kampf um ein auskömmliches Leben und ordentliches Essen und Wohnen griff weiter, sollte Teilhabe in der Diktatur suggerieren, eine sorgende Obrigkeit, eine gegenüber Not sensible Volksgemeinschaft. Die Sozialpolitik der verschiedenen staatlichen und NS-Wohlfahrtsorganisationen zielte daher immer auch auf die Bekämpfung der Kälte, des Frierens. Typisch hier war insbesondere die Propaganda des 1933 anlaufenden Winterhilfswerks. Eintopfessen suggerierten seit Herbst 1933 nicht nur Teilhabe, sondern boten auch etwas Warmes. Die (recht begrenzten) Hilfsleistungen der NS-Volkswohlfahrt und des Winterhilfswerkes umfassten nicht nur Geld, sondern auch und gerade warme Kleidung sowie Kohle- und Holzlieferungen (vorrangig institutionell Peter Hammerschmidt, Die NS-Wohlfahrtsverbände im NS-Staat, Wiesbaden 1999; Herwart Vorländer, NS-Volkswohlfahrt und Winterhilfswerk des Deutschen Volkes, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34, 1986, 341-380).

04_Baruther Anzeiger_1936_01_13_Nr014_Beil._p2_Die Bewegung_04_1936_Nr06_p02_Winter_Kaelte_Not_Winterhilfswerk_Frieren

Mobilisierung im Kampf gegen die Not des Winters (Baruther Anzeiger 1936, Nr. 14 v. 31. Januar, Beil., 2 (l.); Die Bewegung 4, 1936, Nr. 6, 2)

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre musste die Mehrzahl der Deutschen nicht frieren – trotz räumlich und zeitlich begrenzter Versorgungsprobleme. Die Preise waren von der kartellierten Industrie und dem Staat festgelegt, eine Mengenkrise dann mit der Rationierung des Hausbrands eingehegt. Sie begann parallel zur Lebensmittelbewirtschaftung unmittelbar vor der Kriegserklärung an Polen am 1. September 1939. Allen Vorbereitungen zum Trotz brach die Kohleversorgung im Extremwinter 1939/40 jedoch ein. Die Temperaturen lagen im Deutschen Reich zwischen fünf und zehn Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt der 1881 begonnenen Wetteraufzeichnungen, in Europa war es kaum anders (The Severe Winter of 1939-40, Nature 145, 1940, 376-377). Der erste Kriegswinter war der kälteste seit mehr als einhundert Jahren, im Januar 1940 lag die Durchschnittstemperatur bei -9°C (https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitreihe_der_Lufttemperatur_in_Deutschland). 1940/41 und 1941/42 sollten noch zwei weitere äußerst kalte Winter folgen.

Das wusste man im Sommer 1940 noch nicht, doch vorsorgende Kampagnen schienen angesichts des Drucks auf den Kohlebergbau und das Transportsystem unabdingbar. Die beträchtlichen Auswirkungen der Witterungseinflüsse schlugen nicht allein auf die vielbeschworene „Stimmung“ durch, sondern wurden immer auch dem Regime zugerechnet. Der kleine Helfer „Flämmchen“ zielte ab Herbst 1940 auf die Mehrzahl der Haushalte. Doch schon zuvor gab es Betriebsamkeit an der Heimatfront. Die Deutsche Arbeitsfront, eine Zwangsgemeinschaft in der Nachfolge der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, begann im Sommer 1940 mit einer reichsweiten Kampagne „Heize richtig“. Sie zielte auf Fachleute, die durch Kurse und Lehrgemeinschaften dazu befähigt werden sollten, „daß das Heizen im Herbst und Winter unter sparsamster Verwendung des Heizstoffes erfolgt“ (Neue Wege zur Kohlenersparnis, Der Führer 1940, Nr. 260 v. 30. September, 4). Hauswarte und die Heizer von Zentralheizungs- und Warmwasseranlagen wurden aufgerufen, nach der Arbeit an fünftägigen, insgesamt fünfzehnstündigen Lehrgängen teilzunehmen. Die Adressaten wurden durch die Deutsche Arbeitsfront und die Reichsstelle für Kohle im Vorfeld erfasst, diesen dann Übungsleiter zugewiesen. Nach regelmäßigem Besuch erhielt jeder Teilnehmer eine Besuchsbestätigung (Richtig heizen!, Illustrierte Kronen-Zeitung 1940, Nr. 14611 v. 20. September, 6). Man gab vor, bei privaten Hausbesitzes und Gebäuden mit nebenamtlichen Heizern dadurch Wärmeverluste von bis zu 25-30 Prozent vermeiden zu können.

05_Jeversches Wochenblatt_1940_08_05_Nr190_p3_Dresdner Neueste Nachrichten_1940_09_14_Nr216_p12_Heizen_Sparsamkeit_DAF_Fortbildung

Qualifizierung zum richtigen Heizen: Lehrgänge und Lehrgemeinschaften (Jeversches Wochenblatt 1940, Nr. 190 v. 5. August, 3 (l.); Dresdner Neueste Nachrichten 1940, Nr. 216 v. 14. September, 12)

Obwohl die Kampagne „Richtig heizen“ nicht auf die insgesamt klar dominierenden Öfen und Heizungen in den Privathaushalten zielte, stimmte sie dennoch auf die Herausforderungen eines möglichen kalten Winters ein. Die Zeitschriften enthielten vermehrt praktische Hinweise: „Vorsicht! Die Oefen immer sauber halten; wenn der Ofen raucht, den Kaminkehrer lieber zu früh holen als zu spät; die Oefen nicht überlasten: es ist nichts damit getan, daß es im Ofen ‚bullert‘, davon wird das Zimmer nicht warm. Wer richtig heizt, der heizt sparsam und zugleich gut! Und – das sei nochmals betont! – man verlasse sich nicht darauf, daß ‚schon alles in Ordnung‘ ist! Im vergangenen Winter sind unsre Oefen infolge der langen und strengen Kälteperiode stark in Anspruch genommen worden; sie müssen unbedingt nachgesehen werden, und hier sparen zu wollen, wäre sehr ungeschickt und unter Umständen sehr teuer“ (Richtig heizen – sparsam heizen – gut heizen!, Neues Wiener Tagblatt 1940, Nr. 245 v, 5. September, 9). All das war noch Teil einer ständisch-patriarchalen Gesellschaftsordnung: Die männlichen Fachleute wurden geschult, die Großtechnik ihnen vorbehalten, die Leitung der lehrenden Ingenieure und Techniker gegenüber Handwerkern und Praktikern festgeschrieben. Die Hausfrauen (und auch ihre Männer) sollten den Ofen pfleglich behandeln, im Falle von Problemen aber die geschulten Fachleute an die Öfen rufen (Richtig heizen will gelernt sein, Kleine Volks-Zeitung 1940, Nr. 265 v. 25. September, 5).

Flämmchen – Eckpunkte einer Massenkampagne

Die Flämmchen-Kampagne lief Ende Oktober an – parallel zum damaligen Beginn der Heizperiode. Sie war seit Mai 1940 geplant worden. Die Federführung lag beim Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung, der der breiten Öffentlichkeit vor allem durch die seit 1936 laufenden „Kampf-dem-Verderb“-Kampagnen bekannt war (Uwe Spiekermann, Künstliche Kost. Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute, Göttingen 2018, 388-390). In der Forschung hat sie bisher kaum Widerhall gefunden – obwohl die gesamte Bevölkerung des Großdeutschen Reiches dadurch zu einem regime- und kriegskonformem Heizen gebracht werden sollte. Gewiss, man kann den Zweck auch enger fassen, gemäß dem Motto: „Schränke den Verbrauch ein, wo und wie du nur immer kannst!“ (Sparsamkeit im Hausbrand!, Badische Presse 1940, Nr. 268 v. 4. November, 4) Doch die Kampagnenfigur Flämmchen entsprach erst einmal so gar nicht dem strikten Raster der durch die Rationierung strikt gesteuerten Hausbrandversorgung.

06_Solinger Tageblatt_1940_11_05_Nr262_p8_Die Heimat am Mittag_1940_11_08_Nr264_p5_Flaemmchen_Heizen_Frieren_Sparsamkeit_Energiesparen

Flämmchen als Helfer beim Heizen (Solinger Tageblatt 1940, Nr. 262 v. 5. November, 8 (l.); Die Heimat am Mittag 1940, Nr. 264 v. 8. November, 5)

Flämmchen war eine Zeichentrickfigur, zugleich ein sympathisches Kerlchen. Die Anfang November 1940 geschalteten Anzeigenmotive erneuerten einerseits die früheren Versprechungen des NS-Regimes, dass in der vermeintlichen Volksgemeinschaft keiner werde frieren müssen (sieht man von den zahlreichen „Gemeinschaftsfremden“ einmal ab). Anderseits aber forderte Flämmchen aktives Handeln ein, richtiges Heizen. Auch wenn der Sommer 1940 deutlich wärmer war als der des vorherigen Jahres, war angesichts der recht kühlen August- und Septembertemperaturen doch neuerlich mit Versorgungsengpässen in einem kalten Winter zu rechnen: „Wir wollen zwar nicht hoffen, daß der kommende Winter wieder so bitterkalt wird wie der letzte. Aber vorsorgen wollen wir trotzdem, daß wir unsere Räume möglichst warm haben, auch wenn wir nicht beliebig viel Heizmaterial verfeuern können“ (J. Jahn, Wie halte ich die Zimmer warm?, St. Pöltener Bote 1940, Nr. 40 v. 3. Oktober, 8).

Flämmchen war ein Sympathieträger, positiv gesinnt, häuslich begrenzt, mit Blick für an der Heimatfront anstehende Aufgaben. Der Aufruf des RVA zeichnete bei Kampagnenbeginn gleichwohl ein einigermaßen realistisches Bild der Versorgungslage: „Zwar birgt der deutsche Boden genügend Vorräte an Kohlen. In den deutschen Wäldern wächst das Holz ständig nach. Und trotzdem heißt das Gebot der Stunde: Schränke den Verbrauch ein, wo und wie du nur immer kannst! Unsere Vorräte an Kohle und Holz müssen nämlich nicht nur für uns ausreichen, sie werden heute auch benötigt, um die Staaten, die mit uns in Handelsbeziehungen stehen, damit zu versorgen und andere für uns wichtige Güter dafür einzutauschen“ (Sparsamkeit im Hausbrand, Derner Lokal-Anzeiger 1940, Nr. 260 v. 2. November, 4). Doch dies hieß nicht Frieren für ein vom Deutschen Reich wohlig versorgtes Ausland. Es bedeutete das Zurückstellen eigener Interessen, um den Kriegserfolg und die europäische Vormachtstellung der Nation zu unterstützen.

Flämmchen wurde der Öffentlichkeit erst einmal mittels Anzeigen und auch einschlägigen Plakaten vorgestellt. Die Figur war ein appellativer Hingucker, verpackte die Botschaft des Sparens in eine des richtigen Umgangs mit Brennmaterial, Öfen und Wohnung. Bilder lockten, doch schriftliche Informationen dominierten, ein Wissenstransfer von Experten zu Laien. Die Anzeigen verwiesen auf ergänzende Informationen, im Rundfunk, in einer gesonderten Broschüre, in den Tageszeitungen selbst. Das entsprach dem damals geltenden Paradigmen der öffentlichen Beeinflussung, die von einem schwachen Rezipienten ausgingen, von starken Wirkungen einer breit gestreuten Botschaft. Flämmchen und daran anknüpfende Aufklärungsaktionen spiegelten sich entsprechend im Masseneinsatz der Werbemaßnahmen 1940 und 1941: „24 Millionen Faltblätter mit Anweisungen und Hilfen für richtiges Heizen an Stelle von 12 Millionen des Vorjahres, 4500 Diapositive, die in mehrmaliger Folge in allen Lichtspieltheatern mit mindestens 200 Sitzplätzen und mindestens zwei Spieltagen in der Woche vorgeführt wurden, ein Vorspann für die Kinowochenschau, Rundfunkhinweise bei den Tageszeitungen, Merkblätter mit ausführlichen Anweisungen in einer Auflage von mehreren Millionen, die von den Kohlensyndikaten bearbeitet und herausgegeben und vom Deutschen Frauenwerk verteilt und in aufklärenden Vorträgen als Unterlage benutzt wurden, eine Artikelserie im volkswirtschaftlichen Aufklärungsdienst, eine Auflage von Artikeln in der gesamten deutschen Presse, veranlaßt vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, und Anschläge an den Haustafeln der NSDAP“ (Hans Ruban, Volkswirtschaftliche Aufklärung im Kriege, Wirtschaftswerbung 9, 1942, 33-34, hier 34). Hinzu kamen zahlreiche praktische Schulungen. Während diese in den Städten teils von Heizungsfachleuten und der Deutschen Frauenschaft organisiert wurden, präsentierten auf dem Lande auch Landwirtschaftslehrerinnen die Kernbotschaften des richtigen Heizens (Kärntner Volkszeitung 1941, Nr. 26 v. 3. März, Nr. 26, 6).

07_Illustriertes Tageblatt_Ausgabe E_1940_11_05_Nr260_p3_Heizen_Sparsamkeit_Regeln_Flaemmchen

Regeln für „richtiges“ Heizen (Illustriertes Tageblatt (Ausgabe E) 1940, Nr. 260 v. 5. November 1940, 3)

Flämmchen half erst einmal, einfache Regeln zu verbreiten, beherzigenswerte und handhabbare Vorgaben. Sie standen in der Tradition der im Ersten Weltkrieg vermehrt aufkommenden, in der Zwischenkriegszeit dann ihren Höhepunkt erreichenden „Gebote“ (Zwanzig Gebote der deutschen Hausfrau, Konsumgenossenschaftliches Volksblatt 8, 1915, 44; Gerhard Hahn, Die 10 Gebote der Gesundheit, Blätter für Volksgesundheitspflege 21, 1921, 62-63; Zwölf Gebote für die Hausfrau, Hannoversche Hausfrau 25, 1927/28, Nr. 19, 4; Max Winckel, Die 10 Gebote der Ernährung, Die Volksernährung 3, 1928, 95-96; 10 Gebote der Sparsamkeit, Zeitschrift für Volksernährung und Diätkost 6, 1931, 243). Während der NS-Zeit prägten zahlreiche „Gebote“ die Ernährungs- und Gesundheitspolitik, doch sie standen trotz ihres vielfach ideologischen Gehaltes in der Tradition einer bürgerlichen Gebotskultur, die auf die Belehrung der breiten Mehrzahl durch Experten zielte (10 Gebote Kampf dem Verderb, Zeitschrift für Volksernährung 11, 1936, 382; Zwölf Gebote zweckmäßiger und sparsamer Ernährung 12, 1937, 369-370; 12 Gebote der Gesundheit, Volksgesundheitswacht 1939, 104).

Regeln, darunter auch die durch die Flämmchen-Kampagne propagierten acht Grundregeln für richtiges Heizen waren dagegen enger gefasst, verbindlicher. Gebote gaben eine Richtung vor, Regeln dagegen Handlungsanweisungen. In den späten 1930er Jahren waren sie noch eng an technische Abläufe und damit vermeintliche Sachgesetzmäßigkeiten angelehnt (Regeln für die Benutzung des elektrischen Herdes, Zeitschrift für Volksernährung 12, 1937, 43; Zwölf wichtige Regeln für deine Ernährung, Reichs-Gesundheitsblatt 12, 1937, 50). Während des Krieges machten sie auch begrifflich den wachsenden Ernst der Lage deutlich, artikulierten zugleich eine andere Erwartungshaltung an die Adressaten. Sie nicht zu beachten würde Konsequenzen nach sich ziehen. Im Falle des Heizens waren das erhöhte Kosten, geringe Wärmeffizienz, der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Wissenden und Handelnden.

Der Wertekanon der mittels Flämmchen propagierten Regeln war dabei erwartbar: Sauberkeit, Effizienz, Verlässlichkeit, Stetigkeit, Achtsamkeit, Vorsorgeorientierung und einen klaren Blick auf die Grenzen der eigenen Fähigkeiten. Heizen war 1940 eine aufwändige Angelegenheit, das Holen des Brenngutes, das Anzünden und Schüren des Feuers, das manuelle Nachlegen und die beträchtlichen Reinigungsaufgaben sind heute kaum mehr bekannt. Flämmchen lehrte Kniffe, um mit all dem effizient umzugehen, um so Ressourcen zu sparen. Doch die Regeln dienten immer auch der Stärkung und Unterstützung eines Wertekanons, der als deutsch verstanden und propagiert wurde (Grundregeln für richtiges Heizen, Neues Wiener Tagblatt 1940, Nr. 304 v. 3. November, 7; sowie beispielsweise Wie heize ich richtig?, Durlacher Tageblatt 1940, Nr. 257 v. 31. Oktober, 5; Wie heize ich richtig?, Illustriertes Tageblatt (Ausgabe E) 1940, Nr. 260 v. 5. November, 3; Acht Grundregeln für richtiges Heizen, Jeversches Wochenblatt 1940, Nr. 264 v. 9. November, 5).

Flämmchen nahm diesen Regeln viel von ihrer Striktheit. Die Sanftheit und Freundlichkeit der Figur war etwas anderes als der schnarrende Ton der NS-Granden, die bürokratische Sprache der Rationierungsverordnungen. Man wusste um die Härte der Regeln, doch Flämmchen baute eine Brücke, um sie zu befolgen. Neben der steten Arbeit stand aber auch eine andere Vorstellung von Frieren, von Wärme: „Unter normalen Umständen soll das Thermometer im Raum 18 Grad anzeigen. Für ältere und kranke Personen können es auch 20 Grad Celsius sein. Friert einer dennoch bei diesen Temperaturen, so möge er sich etwas wärmer anziehen“ (Heizen im Vorwinter, Rheinisches Volksblatt 1940, Nr. 274 v. 20. November, 5).

08_Aachener Anzeiger_1940_11_27_Nr281_p6_Flaemmchen_Heizmaterialien_Brennstoffhandel_Kohle_Energiesparen

Gemeinschaftsaufgabe Heizen (Aachener Anzeiger 1940, Nr. 281 v. 27. November, 6)

Die Kunstfigur Flämmchen präsentierte das Heizen zugleich als eine Gemeinschaftsaufgabe. Federführend war der RVA, doch die Kampagne verkörperte die enge, ja verschworene Kooperation einer Tatgemeinschaft: „Die gesamte Aufklärungsaktion, an der der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, der Reichskohlenkommissar, der Werberat der deutschen Wirtschaft, die Reichsarbeitsgemeinschaft Holz und die Reichsarbeitsgemeinschaft Schadenverhütung mitarbeiten, ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit der behördlichen Wirtschaftsführung mit der Praxis. Alle stehen im Dienst der Aufklärung“ (Sparsamkeit, 1940). Als Akteure, als Anreger wurden der Staat, die NSDAP und die Wirtschaft präsentiert – auch wenn die eigentliche Arbeit just bei der Bevölkerung lag. Selbst eine fachlich nicht sonderlich geeignete Person wie der Reichskohlenkommissar Walter konnte sich, als Repräsentant einer dienenden Branche, als Teil der Volksgemeinschaft präsentieren: „In ‚Flämmchen‘, dem guten Hausgeist, ist den Hausfrauen, den Hausangestellten – kurz allen Personen, die häusliche Feuerstätten bedienen, ein Helfer entstanden, der sie bei der sparsamen Verwendung der festen Brennstoffe unterstützt. Fort mit Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit! Her mit guten Ratschlägen für die beste Möglichkeit der Ausnutzung der in den Brennstoffen enthaltenen Werte! […] Der deutsche Kohlenhandel und die Schornsteinfeger werden sich mit allen verfügbaren Kräften in den Dienst der notwendigen Aufklärung stellen und ihren Kunden mit Rat und Tat zur Seite stehen“ (Ebd.). Flämmchen verwies auf eine gemeinsame Herausforderung, nicht auf einen Feind. Der gezeichnete Helfer verwies zugleich aber auf eine Gemeinschaft von Helfern, in die man sich auch aus Eigeninteresse einreihen sollte.

Flämmchen war trotz seiner freundlichen Erscheinung zugleich fordernd. Sanft, doch verbindlich. Richtiges Heizen war Teil eines Verpflichtungsdiskurses, das den Einzelnen als Teil einer gemeinsamen Anstrengung auch einband. Dazu grenzte man sich einerseits von einem angesichts der Rationierung nur selten möglichen Luxus ab: Hausbrand sei verfügbar, die Lager voll, doch das „darf uns […] nicht dazu verleiten, angesichts des ‚schwarzen Segens‘ nun drauflos zu wirtschaften und etwa so einzuheizen, daß man sich in einem Treibhaus wähnt. Mit Ueberlegung und etwas Einsicht läßt sich wenigstens ein Raum jeder Wohnung ständig warmhalten, wenn man einige kleine Kniffe kennt, die das Haushalten mit den Rohstoffen ‚Kohle‘ und ‚Holz‘ erleichtern“ (Richtiges Heizen hilft Brennstoff sparen. „Flämmchen“ – der gute Geist von Herd und Ofen, General-Anzeiger. GDA 1940, Nr. 309 v. 8. November, 5). Anderseits wurde der sparsame Umgang mit Brennmaterial vornehmlich volks- und kriegswirtschaftlich begründet. Der Einzelne müsse nicht frieren, wenn er denn richtig heize. Doch durch dessen bescheidenes Opfer, dessen vermehrte Arbeit, könne der Staat seine schützend gedeutete Macht ausbauen und festigen. Richtig heizen war Kriegsdienst an der Heimatfront, war zugleich ein Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung der gesamten Wirtschaft. Mittelfristig würde sich dies verzinst auszahlen, denn nur ein mächtiges Reich könne den anvisierten hohen Lebensstandard nach Ende des Krieges auch garantieren. Versagen im Hier und Jetzt würde diese Chancen jedoch unterminieren.

Die Flämmchen-Kampagne zielte auf willige Umsetzung, präsentierte zugleich aber nachvollziehbare Begründungen für sparsames, richtiges Heizen. Das Deutsche Reich wurde nicht nur als Land der Kohle präsentiert, sondern es stand auch für eine mit dem Rohstoff verbundene Zivilisationsmission. Deutsche Forscher würden das schwarze Gold zu vielfältigen neuen Produkten umformen. Kohle war wertvoll, stand in einer Reihe mit einer wachsenden Zahl ansprechender Austauschprodukte, wie synthetischen Treibstoff, Buna, Kunstseide oder Milei. Ähnliches ließ sich für Holz sagen, für den neuen Werkstoff Holzzucker. Sparsamkeit erhielte und erweiterte diese Möglichkeiten auch während des Krieges. Doch nicht nur Technik und Erfindergeist wurden angeführt. Als Kulturvolk seien die Deutschen Lernende, die an einem Katastrophenwinter wie 1939/40 nicht zerbrechen würden, sondern die lernend derartige Unbilden wenden könnten. Jeder war davon betroffen, jeder müsse als Deutscher nun daraus Konsequenzen ziehen. Industrie und Gewerbe seien vorangegangen, die Haushalte müssten nun folgen: „Die Hausfrau hat noch nicht begriffen, ein wie wichtiger Devisenbringer die Kohle ist, wie kriegsnotwendig unsere großen Ausfuhren nach Italien sind, wie bedeutungsvoll sich die beherrschende Stellung des Reiches gerade auf dem Kohlenmarkt bei der künftigen wirtschaftlichen Neugestaltung Europas auswirken wird. Die Hausfrau heizt teilweise noch nach Regeln, die vielleicht für Urväter Zeiten einmal tragbar gewesen sein mögen. Heutzutage muß sie sich im Interesse des großen Ganzen einmal danach umsehen, wie man richtig, das heißt, wie man so sparsam wie irgend möglich heizt. […] Lohnt sich für solchen Einsatz nicht ein wenig Umsicht?“ (Wie heize ich richtig? Riesaer Tageblatt 1940, Nr. 252 v. 25. Oktober, 2). Richtig Heizen war ein Modernisierungsschub für die Gemeinschaft, lenkte auch die Hausfrau hin auf die Erfordernisse der wirtschaftlich und wissenschaftlich führenden Nation.

09_Der Patriot_1940_12_04_Nr286_p7_Die Heimat am Mittag_1940_12_11_Nr292_p8_Flaemmchen_Heizen_Sparsamkeit_Kohle_Holz

Flämmchen vermittelt Ziele und Mittel der Kampagne (Der Patriot 1940, Nr. 286 v. 4. Dezember, 7 (l.); Die Heimat am Mittag 1940, Nr. 292 v. 11. Dezember, 8)

Derartige Kritik an den seit jeher vermeintlich rückständigen Hausfrauen war jedoch unüblich. Flämmchen schuf nämlich einen Puffer, einen Zwischenraum, in dem Kritik artikuliert werden konnte, ohne die vermeintlichen Verursacherinnen direkt anzugehen. Die Zeichentrickfigur erlaubte ein virtuelles Gespräch, eine indirekte Lenkung, denn seine Ratschläge wurden in die Welt des Haushalts eingebettet. „Was Flämmchen dir rät, / das nützt früh und spät. / Beim Kochen, Waschen, Baden und Heizen / Sollst stets du mit dem Brennstoff geizen!“ (Hier spricht „Flämmchen“, Znaimer Tagblatt 1940, Nr. 271 v. 16. November, 11). Die richtige Wahl des einen im Winter beheizten Raumes wurde erörtert, die Abdichtung der Fenster, der Türen, der Ofenritzen im Detail besprochen. Auch die Auswahl der Dichtungsstoffe wollte bedacht sein, die Verzahnung von Verdunkelung und Dämmung. Die Ratschläge reichten über den Ofen hinaus: Sollte man nicht die Heizplatte mit mehreren Töpfen besetzen, beim Waschen mehrere Kessel hintereinander nutzen oder aber den Badetag so organisieren, das alle Familienmitglieder nacheinander vom heißen Wasser profitieren konnten? („Flämmchen“ spricht: Mach’s so wie ich!, Riesaer Tageblatt 1940, Nr. 259 v. 2. November) Flämmchen erlaubte es der Hausfrau, mit dem Familienvorstand solche Fragen auch innerfamiliär anzugehen, sie mit Verweis auf Regeln und Rationalität durchzusetzen.

10_Rundfunkwoche Wien_3_1940_12_07_Nr50_p10_Radio_Heizen_Breslau_Energiesparen

Richtiges Heizen als Thema im Rundfunk (Rundfunkwoche Wien 3, 1940, Nr. 50 v. 7. Dezember, 10)

Schließlich zielte die auf Flämmchen gerichtete Aufmerksamkeit stetig auf die Broschüre „Wie heize ich richtig“. Diese wurde Anfang November durch die NS-Volkswohlfahrt an jeden zweiten Haushalt verteilt (auch um einen Austausch zwischen Nachbarn anzuregen) („Flämmchen“ spricht: „Mach’s so wie ich!“, Sächsische Volkszeitung 1940, Nr. 258 v. 2. November, 4). Für die ab und an angeführte Auflage von zwölf Millionen (etwa Reith, 2010, 66) habe ich zwar keine sicheren Nachweise finden können. Dennoch zielte Flämmchen, zielte die gesamte Kampagne auf häusliche Lektüre, auf den konkreten Vollzug des immer wieder angesprochenen richtigen Heizens: Das betraf etwa hinleitende Rundfunkvorträge und -interviews, Hörspiele und Einspieler, vereinzelte Fernsehsendungen, Diapositive in den Kinos, populäre Kurzfilmserien wie „Tran und Helle“ und auch Klischees und Matern für Zeitungen und Zeitschriften (Ruban, 1942, 33).

Bei Analyse der Eckpunkte der Flämmchen-Kampagne dürfen zwei Punkte allerdings nicht vergessen werden – und das teilt sie mit praktisch allen Kampagnen für Energiesparen. Erstens sind die Expertenratschläge keineswegs so sakrosankt, wie sie durch autorative Kampagnen erscheinen. Aus heutiger Sicht erscheinen insbesondere die damaligen Regeln für das Lüften recht fraglich. Experten haben eigene Wahrheiten, eigene Interessen. Ihnen blindlings zu folgen mag vielfach Sinn machen, doch kritische Distanz ist stets erforderlich, gibt es vielfach doch nicht den nur einen richtigen Weg. Zweitens sind Kampagnen dieser Art immer auch Umlenkungen, verzerren Kausalitäten, die Ursachen für die scheinbar erforderliche Sparsamkeit. Folgte man Flämmchen, so waren nicht der NS-Staat, die kartellierte Kohlenindustrie, die Rationierungspolitik und die Folgen der Angriffskriege Anlass für die Kohlenkalamität, sondern der unangemessene Umgang mit den Brennstoffen in Haushalt (und Gewerbe). Grundsätzlich sinnvolle Ratschläge haben daher immer auch eine ideologische Komponente.

Flämmchen im Kontext der nationalsozialistischen Konsumpolitik

Derartig bewusste Verengungen der Blicke gelten jedoch nicht nur für die Konsumlenkung oder die Werbung. Sie gelten auch für wissenschaftliche Beiträge. Die Darstellung der Kampagne allein ist eben unterkomplex. Daher will ich drei zusätzliche Aspekte näher beleuchten, ohne die die Flämmchen-Kampagne nicht recht zu verstehen ist. Sie ist erstens in die NS-Konsumpolitik einzubetten, zweitens in die Arbeit des RVA zu integrieren und drittens gilt es sich vertieft mit der Figur des Flämmchens auseinanderzusetzen. Wenn sie eine engere Perspektive bevorzugen, so können Sie auch direkt mit der Analyse der Flämmchen-Broschüre fortfahren.

11_Voelkischer Beobachter_1939_07_23_Nr204_p12_Automobil_Konsumgesellschaft_Konsumwuensche

Konsumtraum Auto – über den Volkswagen hinaus (Völkischer Beobachter 1939, Nr. 204 v. 23. Juli, 12)

Die NS-Zeit erscheint im Nachhinein zu Recht als eine Periode zunehmender materieller Not, zunehmender Gängelung im Konsumsektor. Doch sie war zugleich auch eine der überwundenen Not der Weltwirtschaftskrise, einer wachsender Prosperität. Radios wurden Alltagsgegenstände, Urlaub weitete die Horizonte, das Kino zeigte Unterhaltung und die Welt, neben Motorräder traten Automobile (so schon Hans-Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, Berlin-West 1986, 498-514). Es gab das Ideal eines Lebens in Fülle, einer prosperierenden Konsumgesellschaft. Das Alltagsleben würde einfacher werden, die Arbeit belohnt, man würde die USA einholen, zugleich aber würden alle willig Arbeitenden am Wohlstand teilhaben.

In der Forschung wurde immer wieder auf das ambivalente Vorbild der USA verwiesen, zugleich auf die Brüchigkeit der konsumtiven Versprechungen angesichts der von Beginn an laufenden Kampagnen zur Regulierung des Konsums, etwa bei Tabak und Alkohol, beim Weißbrot und bei Auslandsware. Das mag eine gewisse Berechtigung haben: Doch einerseits sind moralische Regulierungen integraler Bestandteil jeder Konsumgesellschaft, und zum anderen war das konsumtive Vorbild der USA angesichts der Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise für die meisten Deutschen kaum mehr ein Vorbild. US-Firmen und amerikanische Werbeformen scheiterten im Deutschen Reich seit den späten 1920er Jahren vielfach, waren doch die Absatzmärkte anders strukturiert, waren die Vorstellungen guter Ware, preiswerter und gefälliger Produkte deutlich andere, folgten vor allem Händler und Produzenten anderen Idealen als in den vielfach fordistischen USA (vgl. hierzu Uwe Spiekermann, German-Style Consumer Engineering: Victor Vogt’s Verkaufspraxis, 1925-1950, in: Jan Logemann, Gary Cross und Ingo Köhler (Hg.), Consumer Engineering 1920s-1970s, Houndsmill und New York 2019, 117-145, insb. 128-132 sowie Versorgung in der Volksgemeinschaft). Das bedeutet nicht, die Attraktivität des US-Vorbildes zu negieren – man denke nur an das Blondieren vermeintlich arischer Frauen im Stile Hollywoods. Das bedeutet aber Abstand zu nehmen von unkundigen Aussagen über deutsche Konsumideale als treibende Kraft für Rassenkrieg und Holocaust. „Hinter jedem imaginären deutschen Rassenkrieger stand“ eben nicht! „eine imaginäre deutsche Hausfrau, die immer mehr wollte“ (Timothy Snyder, Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann, Frankfurt a.M. 2017, 29). Die Konsumwünsche der Bevölkerung waren realistischer als die öffentlich immer wieder artikulierten Ideale.

12_General-Anzeiger für Bonn und Umgegend_1941_01_02_Nr16950_p5_WKII_Konsumwuensche_Konsumgesellschaft_Hausfrau_Kommerzialisierung

Konsumwünsche auch während des Krieges (Generalanzeiger für Bonn und Umgegend 1941, Nr. 16950 v. 2. Januar, 5)

Auch die Flämmchen-Kampagne war Teil einer die NS-Zeit prägenden Auseinandersetzung zwischen Staat, Wirtschaft und Konsumenten über Konsumverhalten und Konsumziele – selbst unter den restriktiven Bedingungen der Rationierungen, selbst in der von der konsumhistorischen Forschung zumeist ignorierten Energiewirtschaft (Wolfgang König, Geschichte der Konsumgesellschaft, Stuttgart 2000; Tim Schanetzky, Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich, München 2015). Konsum waren während der NS-Zeit immer auch mit Lenkungsabsichten gekoppelt (Claudius Torp, Wachstum, Sicherheit, Moral. Politische Legitimationen des Konsums im 20. Jahrhundert, Göttingen 2012, 65).

Das nationalsozialistische Konsummodell oszillierte eben nicht zwischen utopischer Fülle und den Härten eines regulierten Alltagskonsums, sondern war vom Eigensinn der Menschen im Rahmen immer restriktiver kapitalistischer Konsumgütermärkte geprägt. Sie wussten mit den Maßnahmen und Vorgaben der Regierung umzugehen, denn seit dem Ersten Weltkrieg hatten sie gelernt, dass Kampagnen zumeist inkonsequent durchgeführt wurden, dass der Lenkungseifer seine Grenzen hatte (Ebd., 68-69). Selbst der ideologische Überbau eines Völkerringens war aus den Debatten der Weltwirtschaftskrise wohlbekannt – doch er erhielt während des Zweiten Weltkrieges höhere Glaubwürdigkeit, denn nun ging es nicht mehr um Auslandsmärkte und Arbeitsplätze, sondern um Lebensraum und Träume von einem reichen, hegemonialen Herrenvolk. Sparsamkeitskampagnen wurden entsprechend akzeptiert und auch teils murrend befolgt, waren aber kein Bruch mit bestehenden Konsumidealen.

Dabei ging es, wie die Flämmchen-Kampagne unterstreicht, aber nicht allein um Expansion und Raub, sondern immer auch um die Nutzung von Möglichkeiten der deutschen Technik, der deutschen Volkswirtschaft: Holz und Kohle schienen konsumtiv zu wertvoll, um sie zu verbrennen: „Der wirtschaftliche Nutzen, der beim Heizen von Wohnungen, beim Kochen, Waschen und Baden erreicht wird, entspricht nicht dem wirklichen wirtschaftlichen Wert der beiden Güter, der auf anderem Wege der Gesamtwirtschaft des Volkes weit besser nutzbar gemacht werden kann“ (Sparsamkeit im Hausbrand, Derner Lokal-Anzeiger 1940, Nr. 260 v. 2. November, 4). Derartige Visionen alternativer konsumtiver Nutzungen der Brennstoffe finden sich später auch bei Erdöl und Erdgas, im Rahmen globaler Energiedebatten. Die national begrenzte Flämmchen-Kampagne entwickelte und propagierte stattdessen Vorstellungen einer Konsumgesellschaft aus deutschen Werkstoffen und deutscher Kraft. Kohle diente „zur Herstellung wichtiger Erzeugnisse der Industrie, wie von Benzin, Buna, Fetten, Arzneimitteln, Farben und verschiedenen Kunststoffen. Ebenso wertvoll ist natürlich auch das Holz, aus dem u. a. Kunstseide und Zellwolle, Papier, Zucker und sogar Alkohol hergestellt werden“ (Richtiges Heizen hilft Brennstoff sparen. „Flämmchen“ – der gute Geist von Herd und Ofen, General-Anzeiger. GDA 1940, Nr. 309 v. 8. November, 5). Einsparen bedeutete demnach größere Konsummöglichkeiten im Deutschen Reich just während des Krieges, nicht erst in einer lichten aber fernen Nachkriegszeit.

Der Flämmchen-Kampagne fehlte konsumtive Großsprecherei. Es ging um die Herstellung einer völkischen Effizienzgemeinschaft, die sich im Angesicht der Krise bewährte, die individuelle Bedürfnisse zurücknahm, um den Rüstungs- und Kriegsanstrengungen zu genügen. Das diente einer europäischen Vorrangstellung, doch es griff stärker noch real bestehende Sorgen vor dem kommenden Winter auf. Entsprechend verwies das imaginäre Flämmchen immer wieder auf Nachbarn, auf die helfenden Fachleute. Sie wurden als Leistungs- und Schicksalsgemeinschaft verstanden. Flämmchen wurde durch die ebenfalls imaginäre „kluge Nachbarin“ unterstützt, die dessen Heiz-Ratschläge schon seit langem praktizierte (Wir helfen alle zusammen, Kleine Volks-Zeitung 1941, Nr.. 19 v. 19. Januar, 13).

Im Rahmen der NS-Konsumpolitik war die Kampagne aber nicht nur ein Appell für Selbsthilfe, für Nachbarschaftshandeln. Sie war auch ein Beitrag zur Fortexistenz der Werbung während des Krieges. Diese war durchaus umstritten, unterminierten doch das Rationierungssystem, die Mangelversorgung und auch wachsende Papierknappheit (Holz!) das zuvor übliche Werben um den Käufer. Die zunehmende, schon vor dem Weltkrieg einsetzende Beschränkung der privatwirtschaftlichen Werbung würde jedoch Mangellagen nicht verdecken können, gäbe es doch eine staatlich nicht stillzustellende konsumtive Alltagswahrnehmung. Um den Käufer dann nicht zum „Meckerer“ und „Miesepeter“ mutieren zu lassen, sei es erforderlich „offen und ehrlich“ (Reinhold Krause, Die Wirtschaftswerbung im Kriege mit einem Ausblick auf die zukünftigen Werbeaufgaben, Wirtschaftswerbung 8, 1941, 392-394) über Engpässe und Einschränkungen zu kommunizieren. Das blieb Aufgabe der Privatwirtschaft, führte zugleich zum Bedeutungsgewinn von Kampagnen des RVA. Staatliche Rationierung erforderte Kommunikation nicht nur über das „Warum“ bestimmter Maßnahmen, sondern zugleich auch über Regeln für gemeinschaftskonformes Handeln (F.W. Schulze, Grundsätzliches zur Werbung im Kriege, Deutsche Handels-Rundschau 33, 1940, 493-494, hier 493).

Verbrauchslenkung während des Nationalsozialismus: Der Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung

13_Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung_Adler_Werbung_Verbrauchslenkung_Uwe-Spiekermann

Emblem und Namenszug des RVA (Uwe Spiekermann)

Die Flämmchen-Kampagne wurde vom Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung durchgeführt, dem zentralem Akteur der nationalsozialistischen Verbrauchslenkung. Er ging aus dem Kuratorium deutscher Volkswirtschaftsdienst und dem Volkswirtschaftlichen Aufklärungsdienst im Reichsausschuß für volkswirtschaftliche Aufklärung GmbH hervor. Gegründet wurde er im März 1934 als GmbH mit einem Stammkapital von 21.000 RM in Berlin-Charlottenburg. Sein Zweck war anfangs die gemeinnützige „Förderung des Absatzes Deutscher Erzeugnisse und Leistungen, vor allem unter Berücksichtigung der deutschen Wertarbeit“ (Deutscher Reichsanzeiger 1934, Nr. 55 v. 6. März, 8). Als Geschäftsführer agierte Kurt Melcher (1881-1970), während der Weimarer Republik Polizeipräsident in Essen, nach dem „Preußenschlag“ bis Februar 1933 dann Polizeipräsident in Berlin. Während der NS-Zeit zeitweilig Oberpräsident und Mitglied des Preußischen Staatsrates war er politisch bestens vernetzt und nahm vielfältige Verwaltungsaufgaben im Rahmen der Zentralisierung von Staat und Wohlfahrtsverbänden wahr. Als Geschäftsführer wurde Melcher im Juni 1938 durch den früheren Kriegshelden und U-Boot-Kommandanten Heinrich Metzger ersetzt (Ebd., Nr. 146 v. 27. Juni, 13). Der dem Werberat der deutschen Wirtschaft und damit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellte RVA hatte zu dieser Zeit den Wirtschaftswerbedienst GmbH übernommen, ebenso die Aufgaben des Instituts für Deutsche Wirtschaftspropaganda. Heinrich Hunke (1902-2000), Präsident des Werberates, sah in ihm „eine schlagkräftige Einrichtung, die in der Überwindung von Mangellagen und bei der Einführung der neuen Werkstoffe eine rühmenswerte Leistung vollbrachte“ (Heinrich Hunke, Wandel und Gestalt der deutschen Wirtschaftswerbung in den letzten 70 Jahren, o.O. 1970 (Ms.), 19). Der RVA organisierte darüber hinaus zahlreiche Messen und Ausstellungen und unterstützte Firmen bei ihrer Exportwerbung. Bei alledem war er ein wichtiges Scharnier zwischen dem NS-Staat, der Wirtschaft, der Landwirtschaft und den Konsumenten. Typisch war die Kooperation, die „Gemeinschaftsarbeit“ mit zahllosen institutionalisierten Akteuren der NS-Zeit und die Nutzung praktisch aller existierenden Werbemittel (Alfred Heizel, Die volkswirtschaftliche Aufklärung als Staatsaufgabe. Der Reichsausschuß für volkswirtschaftliche Aufklärung, Werben und Verkaufen 26, 1942, 297-298; Matthias Rücker, Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. et al. 2001, 266-272). Bis heute bekannt sind seine in teils siebenstelliger Zahl aufgelegten und ehedem für ein, zwei Groschen verkauften Broschüren zu allen Fragen der Ernährung und der Haushaltsführung (Nancy Reagin, Tischkultur: Food Choices, Cooking and Diet in Nazi Germany, in: Lisa Pine (Hg.), Life and Times in Nazi Germany, London et al. 2016, 21-47; Hans Ruban, Volkswirtschaftliche Aufklärung im Kriege, Wirtschaftswerbung 9, 1942, 33-34, hier 33).

14_Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung_Schriftenreihe_Werbung_Verbrauchslenkung_Ernaehrungsaufklärung_Uwe-Spiekermann

Eine bunte Palette: Schriftenreihe des RVA für die praktische Hausfrau, Hefte 1 bis 10, 1939-1940 (Uwe Spiekermann)

Der RVA verkörperte eine ständisch strukturierte Wirtschaft (Industrie, Handwerk, Großhandel, Einzelhandel, Konsumenten) mit klaren Aufgaben für alle Beteiligten. Dennoch war er keine typisch nationalsozialistische Institution. Reichsausschüsse entwickelten sich vielmehr im Gefolge der Rationalisierungsdebatten der 1920er Jahre. Wegweisend waren etwa der 1921 gegründete Reichsausschuß für Ernährungsforschung oder der 1926 eingerichtete Reichsausschuß zur Förderung des Milchverbrauchs, der spätere Reichsmilchausschuß. Die Palette entsprechender Institutionen war breit, man denke nur an die Reichsausschüsse für Technik und Landwirtschaft, für Hygienische Volksbelehrung, für Volksgesundheitsdienst, für Hauswirtschaft, für Leistungssteigerung, etc. Gemeinsam war ihnen die enge Kooperation von Experten mit Staat und Wirtschaft. Damit gewannen sie gesellschaftliche Leitfunktionen, konnte das Wissen der Experten hierarchisiert und den Laien, Patienten, Hausfrauen und Verbrauchern übergeordnet werden. Es ist kein Zufall, dass der RVA ohne größere Häutungen in den Bundesausschuß für volkswirtschaftliche Aufklärung überführt werden konnte.

Der Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung sah sich durchaus als Sachwalter des Konsumenten. Angesichts des auch in breiten Teilen der Wirtschaft akzeptierten Primates des Staates in der Volkswirtschaft bot er Hilfestellungen an, verdeutlichte die Zielsetzungen des NS-Staates, falls diese nicht bereits willig aufgegriffen wurden. Flämmchen und die dahinterstehende Kampagne standen in dieser Linie, denn sie versuchte nicht nur das Verhalten zu lenken, sondern auch die (geringen) Handlungsoptionen der Verbraucher zu optimieren.

15_Zeitschrift fuer Gemeinschaftsverpflegung_10_1939_p248_Der Erft-Bote_1940_03_26_Nr061_p5_Groschengrab_Verbrauchslenkung_Schaedlingsbekämpfung_Uebeltaeter_Kampf-dem-Verderb

Populäre Comicfiguren für nationalsozialistisches Nudging: Groschengrab und Übeltöter (Zeitschrift für Gemeinschaftsverpflegung 10, 1939, 248 (l.); Der Erft-Bote 1940, Nr. 61 v. 26. März, 5)

Flämmchen stand in einer Reihe ähnlicher Kunstfiguren, ähnlicher Kampagnen, aus denen der „Kampf dem Verderb“ gewiss herausragte (Der Werberat der Deutschen Wirtschaft im Jahre 1940, Der Markenartikel 8, 1941, 185-186, 188-190, hier 185-186). Es handelte sich um mehrere durch die Hauptparole verbundene „Werbefeldzüge“, um die Hauswirtschaft zu rationalisieren, um Einkaufen, Zubereiten, Konservieren und Entsorgen zu verändern. Werte sollten erhalten, Wohlstand dadurch vermehrt werden. Die Maßnahmen wurden evaluiert, die Werbesprache und die eingesetzten Werbemittel entsprechend angepasst. All das war „modern“, mochte es auch auf Kriegsbefähigung und -vorbereitung zielen. Das galt auch für die verschiedenen Werbefiguren. Das im Juni 1938 eingeführte „Groschengrab“ machte die vielfältigen Gefahren sichtbar, die unbedachte Vorratswirtschaft mit sich brachte. Groschengrab nutzte sie mit kindlicher Wonne, war ein Raffer ohne Selbstdisziplin. Er verkörperte, wenngleich in drastisch überzeichneter Weise, die bösen Folgen der unterlassenen Tat. Richtig böse aber war das Ungeheuer nicht, bot gar manchem Gourmand unausgesprochene Identifikationschancen. Entsprechend wurden die ausklingenden Feldzüge von Kampf dem Verderb zudem mit einer anderen, prototypisch positiven Identifikationsfigur verbunden. Der Übeltöter war ein Macher, besiegte schuppdiwupp die zahllosen Fraßschädlinge, die Ernten vernichteten, Vorräte verschlangen, Wertgegenstände zerstörten (Kampf gegen die Schädlingsbande, Der Erft-Bote 1940, Nr. 82 v. 23. April, 6). Die Figur war jedoch nicht besonders ansprechend, auch ihr Name war nicht glücklich gewählt. Flämmchen war eine Fortentwicklung, war jedoch weder Raffer oder Macher, sondern ein Helfer.

Groschengrab, Übeltöter und Flämmchen sind allesamt Beispiele für die hohe Bedeutung von Zeichenfiguren und Bildgeschichten/Comics im Alltag der NS-Zeit – auch wenn die Forschung sich zumeist lieber auf die Adaption amerikanischer Vorbilder nach 1945 beschränkt (Bernd Dolle-Weinkauff, Brita Eckert und Sylvia Asmus, Comics made in Germany. 60 Jahre Comics aus Deutschland, 1947-2007, 2. durchges. Aufl., Wiesbaden 2008; ahistorisch: Oliver Näpel und Thomas Dahms, Comics, in: Felix Hinz und Andreas Körper (Hg.), Geschichtskultur – Public History – Angewandte Geschichte, Göttingen 2020, 138-166). Flämmen steht im Zusammenhang mit populären Serien wie E.O. Plauens „Vater und Sohn“ sowie zahlreichen dann auch zu Trickfilmen ausgeweiteten Geschichten, viele davon just im Felde der Werbung und der Verbrauchslenkung (Rolf Giesen und J. P. Storm, Animation Under the Swastika. A History of Trickfilm in Nazi Germany, 1933-1945, Jefferson 2012). Das Genre reichte nicht nur in die Weimarer Republik zurück, vielmehr finden sich zahlreiche Comics und Zeichentrickfiguren in den Karikaturzeitschriften des Kaiserreichs. Gängige Werbefiguren der Markenartikelindustrie eiferten ihnen nach. Denken Sie nur an Salamanders Lurchi, den kleinen Coco oder den lustigen Fips von van den Bergh – oder mehrere Anzeigenserien von Wybert oder Schwarzkopf in den späten 1930er Jahren. Flämmchen war ein kurzfristig genutztes Kunstprodukt, doch es stand in einer langen Reihe moderner Werbemittel. Es diente kostenbewusstem und sparsamem Heizen, war nicht nur Ausdruck einer Reichsspargemeinschaft, sondern Bestandteil einer Konsumgesellschaft des reflektierten Verzichts, der situationsbedingten Konsumzurückhaltung.

Das Flämmchen: Mehr als ein netter Kobold

Flämmchen war zugleich nicht eine beliebig hingeworfene Comicfigur, sondern verkörperte einen lang zurückreichenden und alltagsbegleitenden Mythos, verkoppelte die Naturkraft der Sonne mit der des menschlich gestalteten Feuers. Die Faszination des Kunstlichtes spiegelte sich seit dem späten 19. Jahrhundert in den zahllosen Darstellungen der Elektrizität, seine gleißende Helligkeit den Fortschritt der Menschheit. Licht wurde bei öffentlichen Veranstaltungen und zunehmend auch in der politischen Selbstdarstellung genutzt. Die Machtzulassung der NSDAP wurde mit einem Fackelzug gefeiert, die Lichtdome der Reichsparteitage verkörperten Größe und Machtanspruch. Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass entsprechende Lichtinszenierungen nicht nur in der Schaufenstergestaltung oder der Städtewerbung (Berlin im Licht 1928) vorweggenommen wurden, sondern auch die Verfassungstage der Weimarer Republik prägten.

16_Duisburger General-Anzeiger_1935_09_14_Nr251_p1_Das Deutsche Maedel_1937_Nr10_p06_NSDAP_Reichsparteitag_Lichtdom_Hakenkreuz_Propaganda_Fackelzug

Fackelzug auf dem NSDAP-Reichsparteitag 1935 – Lichtdom beim NSDAP-Reichsparteitag 1937 (Duisburger General-Anzeiger 1935, Nr. 251 v. 14. September, 1 (l.); Das Deutsche Mädel 1937, Nr. 10, 6)

Licht stand für Modernität und die Herrschaft über die Natur, band den Menschen aber zugleich eng an die Kräfte der Natur. Feuer war ein Grundelement der Humoralpathologie. Feuergeister erschienen nicht nur im Märchen, sondern verkörperten bis in die frühe Neuzeit im Element Feuer lebende Elementargeister. Feuer und Licht wurden im 19. Jahrhundert materialisiert, doch ein überschüssiger Bedeutungsgehalt blieb weiter präsent. Bis heute brennen wir für etwas, stehen unter Feuer, sind Feuer und Flamme für bestimmte Ziele.

Während der NS-Zeit kam es zu einer bewussten Revitalisierung dieser mythischen Grundlagen von Feuer und Licht. Das entsprach den überindividuellen und deterministischen Elementen der NS-Ideologie. Ewige Gesetze der Natur walteten hier, die Menschen waren deren Vollstrecker. Immer wieder beschworen wurde die Vorsehung, ebenso die „Eigengesetzlichkeit“ von Entwicklungen (P[aul] Kecskemeti und N[athan] Leites, Some Psychological Hypotheses in Nazi Germany, Washington 1945, insb. Kapitel 2). Krieg war demnach Schicksal, die Deutschen Teil einer Schicksalsgemeinschaft.

Derartiges Denken war nicht geduldete Esoterik, sondern Teil des Alltagslebens. Der Einzelne war eingebettet in das Walten der Zeiten, in Werden und Vergehen, die Stoffwechselmodelle der organischen Chemie des 19. Jahrhunderts entfalteten dabei paradox-sinngebende Deutungsmacht. Hans von Hülsens (1890-1968) Gedicht „Ewig Silvester!“ gibt davon eine Idee: „Das Alte / geht und das Neue beginnt. / Während ich mählich erkalte, / Reckt sich zur Flamme mein Kind. / Wachse, Flämmchen, und glühe! / Einst, wenn mein Tag mir verschwelt, / Weckt mich zu neuer Frühe / Seele, die dich beseelt. / Sei das Alte geleugnet, / Wo es im Kreislauf verfließt! / Da uns das Neue begegnet, / Sei es in Ehrfurcht begrüßt!“ (Das Kleine Volksblatt 1940, Nr. 361 v. 29. Dezember, 11)

17_Der kleine Coco_09_1926_p131_Feuergeist_Feuermaennlein_Maerchen

Feuergeister in einer Kindergeschichte (Der kleine Coco 9, 1926, 131)

Das Flämmchen verkörperte einen Bezug zum ewigen Walten der Natur, dem sich der Mensch anzupassen hatte, gegen den Revolte unsinnig zu sein schien. Flämmchen waren gleichwohl menschlich eingehegt, seine rot-gelbe Zeichnung spiegelte die gebende Natur, die Transformation von Sonne und Feuer in Wärme und Behaglichkeit. Die Flämmchen-Kampagne spielte mit derart mythischen Elementen. Der Ofen, die Heizung, sie waren „Feuerstätten“. Kohle und Holz enthielten mehr als einfache Kohlenstoffverbindungen mit Heizwert: „Die alte Generation der Steinkohle ist aus versunkenen Urwäldern grauer Vorzeit entstanden. Druck und Hitze im Erdinneren verwandelten sie in Kohle.“ „Deutschlands Wälder“ standen ohnehin für sich, Eichenhaine verwiesen zurück in vermeintlich germanische Zeiten (Heute etwas für jede Leserin!, Der Landbote 1940, Nr. 300 v. 7. Dezember, 17). Die freundliche Farbigkeit des Flämmchens war aber nicht nur anheimelnd, sondern auch Aufgabe. Richtiges Heizen verhinderte den Übergang zur bläulich-fahlen Flamme, zum absterbenden Flämmchen, zu Kälte und Tod.

Die Kunstfigur des Flämmchens entsprach zugleich einem modernen Denken, das politischen und wirtschaftlichen Kampf visualisierte, mit Bildern eng verband. Wie Flämmchen mussten sie ansprechend, aber nicht gar zu konkret sein. Sie mussten für etwas Allgemeineres, Größeres stehen, diesem Kontur verleihen. Ihre fehlende Klarheit gab zugleich Raum für die erforderliche Eigeninitiative, um so nicht unbedingt „dem Führer“ entgegenzuarbeiten, wohl aber die Zielsetzungen des Regimes mit den eigenen zu verschmelzen. Flämmchen war damit eine freundlich-possierliche Variante eines ideologischen Denkens, das den Krieg der Rassen, Völker und Individuen naturalisierte und damit legitimierte.

Flämmchen blieb dennoch eine ambivalente Figur. Goethes Deutung der Flämmchen als Sinnbilder genial-überirdischer Kräfte erinnerte nicht nur an stetes Werden, sondern an die Ausbildung genialischer Kräfte in jedem Menschen. Bei Friedrich Hölderlin (1770-1843) stand das „Flämmchen des Lebens“ für Achtung, Wertschätzung und Muße. Das Flämmchen umgriff den Funkensprung zwischen Menschen, verkörperte Sehnsucht und Begehren. Friedrich Nietzsche (1844-1900) dichtete bacchantisch: „Ueberallhin, wo ein Flämmchen / Für mich glüht, lauf ich, ein Lämmchen, / Meinen Weg Sehnsüchtiglich“ (Idyllen aus Messina, Internationale Monatsschrift 1, 1882, 269-275, hier 270). Das Flämmchen entwickelte sich angesichts der wachsenden Profanisierung des Weihnachtsfestes aber auch als Symbol für Geborgenheit und Frieden. Joachim Ringelnatz (1883-1934) hat dies in „Vorfreude auf Weihnachten“ berührend festgehalten: „Bald ist es Weihnacht! – Wenn der Christbaum blüht, / Dann blüht er Flämmchen. Und Flämmchen heizen. Und die Wärme stimmt / uns milde. – Es werden Lieder, Düfte fächeln. – / Wer nicht mehr Flämmchen hat, dem nur noch Fünkchen glimmt, / Wird dann doch gütig lächeln. / Wenn wir im Traume eines ewigen Traumes / Alle unfeindlich sind – einmal im Jahr! – / Uns alle Kinder fühlen eines Baumes. / Wie es sein soll, wie’s allen einmal war“ (Kunst und Wissen 1943, Dezember-Nr., 9).

Wie heize ich richtig? Eine Broschüre für Millionen

18_Saechsische Volkszeitung_1940_11_01_Nr257_p4_Flaemmchen_Heizen_Sparsamkeit_Energiesparen

Flämmchen-Werbung als Einstieg zur vertiefenden Lektüre (Sächsische Volkszeitung 1940, Nr. 257 v. 1. November, 4)

Flämmchen wurde – ein valider Beleg fehlt – in ca. 10.000 Anzeigen beworben (Uwe Westphal, Werbung im Dritten Reich, Berlin 1989, 144). Objektiv wohl wichtiger war die darin immer wieder angepriesene kleine, farbig-illustrierte 16-seitige Broschüre „‚Flämmchen‘ antwortet auf die Frage: Wie heize ich richtig?“. Bis zu 12 Millionen Exemplare wurden davon kostenlos verteilt, gedruckt vom Hausverlag des RVA, dem Verlag für Volkswirtschaftliche Aufklärung – Dr. Tautenhahn KG, Berlin. Diese Zahl ist nicht gesichert. Selbst in Metropolen wie Wien gelang keine flächendeckende Verbreitung. Noch im Februar hieß es: „Alle Hausfrauen und alle mit dem Heizen beschäftigten Personen sollten sich rasch das Heft ‚Wie heize ich richtig?‘ zu ihrem eigenen Nutzen beschaffen“ (Die Muskete 36, 1941, Nr. 2, 36).

19_Heize_1940_p01_Heizen_Energiesparen_Ratgeber_Flaemmchen_Hausfrau_Kachelofen

Richtig Heizen mit Flämmchen (Wie heize ich richtig?, hg. v. Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung in Zusammenarbeit mit dem Reichskohlekommissar, der Reichsarbeitsgemeinschaft Holz E.V. und der Reichsarbeitsgemeinschaft Schadenverhütung, Berlin 1940, 1)

Die Broschüre zielte erst einmal darauf, zwischen Flämmchen und der als Hausfrau erscheinenden Adressatin eine quasi-persönliche Beziehung herzustellen. Flämmchen klopfte an der Tür, sagte brav bitte, das vertrauliche Du wurde groß geschrieben: „Ich bin ein guter Hausgeist und will Dir zeigen, wie Du mit Deinem Hausbrand so sparsam und wirtschaftlich umgehen kannst, daß Du mit dem zugeteilten Vorrat sicher ausreichen wirst.“ Es folgten Informationen zu den Brennstoffen, der Bezug zum Bergmann unter Tage und deutscher Großtechnik im Tagebau wurde ebenso geknüpft wie der zum emsigen Torfstecher und den mit Axt und Säge ausgerüsteten Holzfällern. So wurde die Arbeit geadelt, dann aber deren Ertrag vorgestellt. Eine ganze Brennstoff-Familie erschien, die Segnungen des deutschen Bodens, die Hinterlassenschaften der Jahrmillionen, der Jahrtausende. Derart eingestimmt ging es dann an die oben schon angerissenen acht Grundregeln für richtiges Heizen. Sie wurden doppelt vorgestellt, einerseits in klarer, einfacher Sprache, anderseits in mehr oder minder eingängigen Reimen. Lauschen wir des Flämmchens Poesie: „1. Kannst mit Brennstoff sparsam sein, / Hältst Du Herd und Ofen rein. 2. Zum Feuermachen nimm Holz und Papier, / Auch gute Zündmittel helfen dir! 3. Gib richtig Luft mit Maß und Ziel, / Du sparst damit an Brennstoff viel! 4. Die freie Stelle auf dem Rost / Dich eine Menge Brennstoff kost‘. 5. Die Kohle brennt oft nicht ganz aus, / Drum such sie aus der Asche raus! 6. Hör auf mit Feuern früh genug, / Du merkst es bald im Wirtschaftsbuch! 7. Ein stumpfes Messer taugt nicht recht. / Kranke Öfen heizen schlecht! 8. Abfälle gib der Schweinemast, / Dem Ofen sind sie nur zur Last!“ (Heute etwas für jede Leserin!, Der Landbote 1940, Nr. 300 v. 7. Dezember, 17).

20_Heize_1940_p07_p10_Heizen_Energiesparen_Flaemmchen_Feuermachen_Ofen

In Zwiesprache mit dem kundig-prüfenden Hausgeist (Wie heize ich richtig?, 7, 10)

Während diese Regeln im Mittelpunkt auch der Presseartikel standen, blieb der folgende Teil über „Herd und Ofen“ fast gänzlich der Broschüre vorbehalten. Er enthielt sachlich-ansprechende Zeichnungen von Küchenherden, Kachelöfen und gängigen Brennöfen, ging auch auf andere Wärmequellen ein, auf Waschkessel, Futterdämpfer und Boiler. Während die Regeln auf die Praxis des Heizens, vor allem auf die Belegung und Handhabung der Roste verwiesen, erlaubten die herausgehobenen Kontrollpunkte eine gezielte Kontrolle der heimischer Heizinfrastruktur.

21_Heize_1940_p13_Heizen_Energiesparen_Flaemmchen_Oefen

Kontrollpunkte für die optimale Funktion gängiger Öfen (Wie heize ich richtig, 13)

Die Broschüre endete mit groben Anregungen für die Abdichtung des Hauses, also für eine den jeweiligen Wohnverhältnissen angepasste Prävention. Die Broschüre war positiv gehalten, enthielt keine Drohungen oder Warnungen. Flämmchen kam freundlich daher, wollte erst einmal helfen. Dass dahinter aber Nachdruck stand, wusste jeder Adressat selbst, denn es waren Durchschnittsmengen für das täglich vorhandene Heizmaterial enthalten, und der Verweis auf die zugewiesenen Mengen machte aus der Anregung faktisch eine Verpflichtung. Flämmchen riet, doch wer nicht auskam, der musste etwas falsch gemacht haben, konnte nicht auf zusätzliche Lieferungen rechnen. Auch der Winter 1939/40 war unausgesprochen präsent, wurde doch von einer sechs bis siebenmonatige Winterperiode ausgegangen.

22_Heize_1940_p14_p15_Heizen_Energiesparen_Flaemmchen_Daemmung_Fensterdichtung

Das Haus als Wärmefestung: Lage der beheizten Zimmer und Abdichtung der Fenster (Wie heize ich richtig, 14, 15)

Am Ende stand der kurze, aber wichtige Verweis auf weitere Helfer, abseits von Flämmchen, den Nachbarn und der eigenen Willigkeit und Arbeit. Freunde und Helfer gab es auch abseits der Polizei, nämlich beim Reichsnährstand und dem Deutschen Frauenwerk, dem Kohlensyndikat und den Kohlenhändlern. Den Reigen ergänzten Schornsteinfeger, Töpfer und Ofensetzer, schließlich die Reichsarbeitsgemeinschaft Holz, der Ausschuß für Technik der Forstwirtschaft und der Technische Beirat des Reichsforstmeisters: You’ll never walk alone…

23_Heize_1940_p16_Heizen_Energiesparen_Ratgeber_Flaemmchen_Hausfrau

Flämmchen als vermeintliches Überich der Volksgemeinschaft (Wie heize ich richtig?, 16)

Am Ende verabschiedete sich der freundliche Hausgeist von seiner Gastgeberin, dankte für die Aufmerksamkeit, unterstrich nochmals die Nützlichkeit seiner Ausführungen und bat um Verbreitung seiner Botschaft auch bei Bekannten und Freunden. Das taten auch die Tageszeitungen, die immer wieder Auszüge verbreiteten (Heizen im Vorwinter, Rheinisches Volksblatt 1940, Nr. 274 v. 20. November, 5).

Die Broschüre blieb auch in den Folgemonaten des Winters ein steter Bezugspunkt, zumal sie erlaubte, Kritik an vermeintlich unzureichender Brennstoffversorgung abzuwehren: „Wie richtig gefeuert und geheizt wird, das kann jede Hausfrau in dem aufschlußreichen Heft, in dem das ‚Flämmchen‘ seine Ratschläge gibt, nachlesen“ (Dresdner Neueste Nachrichten 1941, Nr. 23 v. 28. Januar, 4). Das galt ebenfalls für die damit verbundenen Härten, etwa die verpflichtenden Reduktion der Raumtemperaturen auf 18 °C in behördlichen Diensträumen. Dies war zu ertragen und ansonsten galt: „Im Rahmen der Maßnahmen zur Kohlenersparnis sollen die mit der Bedienung der Öfen betrauten Personen an Hand der Schrift ‚Wie heize ich richtig‘ aufgeklärt werden“ (Salzburger Volksblatt 1941, Nr. 35 v. 11. Februar, 5).

Nur ein Auftakt: Energiesparen mit Kohlenklau & Co.

Die Flämmchen-Kampagne erlaubte eine recht konfliktfreie Bewältigung des Winters 1940/41. Sie etablierte Routinen häuslicher Pflichten und eine Kultur der Sparsamkeit unter Kriegsbedingungen. Die Härten der überdurchschnittlich kühlen Winter erlaubten zudem – ebenso wie etwa beim Scheitern des völlig unzureichend ausgestatteten Angriffs der Wehrmacht auf Moskau – eine Naturalisierung des Geschehens. Gegen General Winter kämpften selbst Heroen vergeblich. Heroisch aber sollte man auch 1941/42 an der Heimatfront gegen die Kälte ankämpfen – langsam verringerten Brennstoffzuweisungen zum Trotz.

24_Kleine Volks-Zeitung_1941_01_19_Nr019_p13_Heizen_Kohlen_Sparsamkeit_Herd_Kochkiste

Der Kampf am Herd – gewonnen von der aufmerksamen Hausfrau und der wieder hervorgeholten Kochkiste (Kleine Volks-Zeitung 1941, Nr. 19 v. 19. Januar, 13 (l.); Ernährungs-Dienst 26, 1940, 21)

In der Zwischenzeit liefen die DAF-Schulungen „Heize richtig“ weiter, bis Ende 1942 betrug ihre Zahl offiziell 150.000 (Heize mit Kohlen und – mit Hirn, Straßburger Neueste Nachrichten 1942, Nr. 346 v. 15. Dezember, 5). In den Haushalten setzte man weiter auf die bewährten Flämmchen-Ratschläge, auch die im Ersten Weltkrieg hochgelobte Kochkiste kam wieder zu Ehren. Letztlich aber konnte die Kälte nur gemildert werden, entwickelte sich ein duldender, zunehmend auch sarkastischer Umgang mit dem saisonal vorhersehbaren Geschehen. Die öffentlichen Appelle wurden zugleich strikter: „Kohle ist der Schlüssel zum Sieg, ein jeder denke daran!“ (Der Führer 1942, Nr. 318 v. 17. November, 4)

25_Illustrierter Beobachter_16_1941_Nr44_sp_Heizung_Kleidung_Schweiz_Sexualitaet_Winter_Emmerich-Huber

Schlüpfrige Träume im kalten Winter: Heizbare Unterwäsche als Alltagstraum (Illustrierter Beobachter 16, 1941, Nr. 44, s.p.)

Ende 1942, angesichts zunehmender Versorgungsprobleme und der absehbaren militärischen Katastrophe in Stalingrad, lancierte der RVA dann mit Kohlenklau eine ganz andere Zeichentrickfigur, mit der Sparsamkeit bei Energie und allen kriegswichtigen Ressourcen eingefordert und deren ubiquitäre Präsenz mit zweistelligen Millionensummen gefördert wurde. Dieses „Ungeheuer mit dem zugekniffenen Auge, dem gewaltigen Schnauzbart, großem Sack und bedrohlichen Krallen“ (Straßburger Neueste Nachrichten. Kreis Schlettstedt 1943, Nr. 94 v. 18. Juni, 6) war kein Helfer, sondern visualisierte einen Feind. Sein später eingeführtes positives Pendant, der rührige Knobelmann, blieb dagegen unbeachtet, so wie viele weitere gegen Kriegsende entwickelte Kunstfiguren. Auch an Flämmchen erinnerte man sich nach Ende des NS-Regimes kaum mehr, mochten weiter zahlreiche Ratgeber für richtiges Heizen auch an die Ratschläge von 1940 anknüpfen (Walter Schulze und Heinz Weidmann, Wie heize ich richtig?, Leipzig 1962). Kohlenklau ist dagegen bis heute begrifflich bekannt – auch aufgrund der teilweisen Umdeutung der Figur in der Energiekrise der unmittelbaren Nachkriegszeit, als das Klauen von Kohle und Holz allseits gebilligt, allseits praktiziert wurde.

26_Pforzheimer Anzeiger_1945_01_25_Nr021_p4_Der Fuehrer_1944_06_28_Nr176_p3_Flaemmchen_Kohlenklau_Heizen_Energiesparen

Kurz vor Kriegsende: Kohlenklau trifft ein anderes Flämmchen – und richtig Heizen wird zur Pflicht (Pforzheimer Anzeiger 1945, Nr. 21 v. 25. Januar, 4 (l.); Der Führer 1944, Nr. 176 v. 28. Juni, 3)

Sie werden, verehrter Leser, verehrte Leserin, sich gewiss ihren eigenen Reim auf diese scheinbar harmlose Episode nationalsozialistischer Propaganda machen können. Das gilt für ihre analytische Einbettung in die Zeit, gilt aber auch für vergleichende Analysen bis in die Gegenwart. Die in der Flämmchen-Kampagne nicht unmittelbar angesprochenen nationalsozialistischen Imperative von Kriegsführung, Hegemonialstreben und damit verbundenen Wirtschaftsinteressen sind letztlich am britischen, US-amerikanischen und in erster Linie sowjetischen Widerstand zerbrochen. Wer im Rahmen des laufenden Krieges zwischen der angegriffenen Ukraine, ihren westlichen Unterstützern und dem keineswegs isolierten Russland „siegen“ wird, ist gegenwärtig unklar. Sicher aber ist, dass die breite Mehrzahl aller Bevölkerungen zu den Verlierern gehören wird, wenn allseits Kriegsbegeisterung herrscht und die Unfähigkeit zum Frieden dominiert.

Uwe Spiekermann, 15. Oktober 2022