Einkaufen für eine bessere Welt – Das Frauen-Genossenschaftsblatt 1902-1907

Am Anfang des Frauen-Genossenschaftsblattes stand die Liebeserklärung eines Patriarchen: „Wissen Sie, wie das Frauen-Genossenschaftsblatt sein möchte? Es möchte sein wie Sie, es möchte sein wie unsere Frauen, die still und anspruchslos und bescheiden im häuslichen Kreise ihre Pflicht thun. Das ist wenig, werden Sie sagen, geehrte Frau, und Ihre Lippen lächeln. O nein, das ist viel, das ist unaussprechlich viel! In der Hand der Frauen liegt die Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft“ (Heinrich Kauffmann, Geehrte Frauen, Frauen-Genossenschaftsblatt (FGBl) 1, 1902, 1-2, hier 1). Heinrich Kaufmann (1864-1928) – er legte das doppelte f seines Namens 1903 ab – war kurz nach der Jahrhundertwende der führende Redakteur der deutschen Konsumgenossenschaften. Als Lehrer wegen sozialdemokratischer Umtriebe relegiert, wurde er Zeitungsjournalist, schloss sich der Konsumgenossenschaftsbewegung an, war mehr als zwei Jahrzehnte deren wichtigster Repräsentant. Das Frauen-Genossenschaftsblatt war Teil eines von ihm geprägten rasch wachsenden Verlagswesens, das Nachrichten bündelte, Rat gab, vor allem aber die Mission der Konsumentenbewegung wegbewusst vertrat.

Der Aufschwung der Konsumgenossenschaften und die veränderte Stellung der Frauen

Wie kam es zu Kaufmanns Liebeserklärung an die Frauen? Der Aufstieg der Konsumgenossenschaften in Deutschland war schließlich ein Werk von Männern – Männern, die der scheinbar alternativlosen Fremdversorgung durch Krämer etwas Besseres entgegensetzen wollten, Männern, die mehr für ihren Lohn haben wollten. Handelnd wandten sie sich gegen überteuerte und qualitativ schlechte Lebensmittel, wollten gute Ware für ihr Geld (Uwe Spiekermann, Medium der Solidarität. Die Werbung der Konsumgenossenschaften 1903-1933, in: Peter Borscheid und Clemens Wischermann, Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1995, 150-189, insb. 151-152). Anfangs gingen Arbeiter und Bürger Hand in Hand, mieteten ein Ladenlokal, organisierten Einkauf und Verkauf von Grundnahrungsmitteln. Die Konsumgenossenschaften begannen in der Provinz, in Mitteldeutschland und dem Südwesten. Sie waren Kinder des Liberalismus, wurden in den ersten Jahrzehnten von der aufstrebenden Sozialdemokratie und konservativ-mittelständischen Kräften gleichermaßen bekämpft. Für die einen waren sie die weiße Salbe des Kapitalismus, der erst beseitigt werden müsse, ehe eine gerechte Welt entstehen könne. Für die anderen bedrohten die Konsumgenossenschaften die bestehende festgefügte Ordnung mit dem Handelsstand als Garant der Alltagsversorgung. Es dauerte Jahrzehnte, ehe die seit 1850 lokal entstandenen Vereine ihre teils aus England, teils aus dem deutschen Genossenschaftswesen entlehnten Prinzipen festlegten: Offene Mitgliedschaft, demokratische Verwaltung, Rückvergütung der Überschüsse nach Maßgabe des jeweiligen Einkaufs, beschränkte Verzinsung der Mitgliedseinlage, politische und religiöse Neutralität, Barzahlung beim Einkauf und Förderung der Erziehung der Mitglieder (Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850-1914, München 1999, 241-247; Michael Prinz, Brot und Dividende. Konsumvereine in Deutschland und England vor 1914, Göttingen 1996, 106-206). Die Konsumgenossenschaften standen gegen das Duckmäusertum der monarchischen Ordnung: In der Genossenschaft war der Mensch frei, Gleicher unter Gleichen. Sie zielten auf eine andere, eine solidarische Produktion und einen fairen Konsum, boten so eine Alternative zum kaum gebändigten Kapitalismus der frühen Industrialisierung.

Vom Theoriehimmel zurück auf den Boden der Tatsachen: Die Konsumgenossenschaften entwickelten sich bis in die 1880er Jahre nur langsam. Gründe hierfür waren nicht nur die Unerfahrenheit der Mitglieder im Handelssektor, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen: Vor dem Genossenschaftsgesetz von 1889 haftete jedes Mitglied persönlich für Verluste oder gar den Bankrott der Konsumgenossenschaft. Seither konnte die Haftung beschränkt werden. Erkauft wurde dies mit dem Verbot des Einkaufs von Nichtmitgliedern. Beides begünstigte das Wachstum der Konsumgenossenschaftsbewegung. Nun konnten auch Arbeiter mit geringem Einkommen und wenig Besitz Mitglieder werden, nun mussten die Genossenschaften um diese werben. Die Folge war ein rasches Wachstum der im Allgemeinen Verband Deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften organisierten Vereine: Von 1888 bis 1900 stieg deren Zahl von 198 auf 568, die der Mitglieder gar von 173.000 auf 522.000 (Erwin Hasselmann, Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt a.M. 1971, 705). Das waren mehr als zwei Millionen Käufer, durfte damals doch nur der Haushaltsvorstand einer Familie beitreten. Zahlreiche nicht organisierte Vereine kamen hinzu, insgesamt gab es im Deutschen Reich mehr als 2000 Konsumvereine (X[aver] Pröbst, Konsumvereine im Jahre 1901, Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 12, 19104, 180-213).

Das Größenwachstum veränderte die innere Struktur der Vereine. Das tradierte Gleichwicht von Bürgern und Arbeitern geriet ins Wanken. Arbeiter, zumal organisatorisch geschulte Kräfte aus der Gewerkschaftsbewegung, übernahmen in immer mehr Vereinen die Mehrheit. Sie aber wollten die Kraft der wachsenden Organisation nutzen, ihnen ging es um mehr als billige Lebensmittel. Sie vertraten „die Vision einer von der Masse der Konsumenten getragenen Veränderung der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse“ (Uwe Spiekermann und Dörthe Stockhaus, Konsumvereinsberichte – Eine neue Quelle der Ernährungsgeschichte, in: Dirk Reinhardt, Uwe Spiekermann und Ulrike Thoms (Hg.), Neue Wege zur Ernährungsgeschichte, Frankfurt a.M. et al. 1993, 88-112, hier 92). Dazu bündelte man einerseits ab 1894 die Einkaufsmacht der Vereine durch die Gründung einer in Hamburg ansässigen Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine (GEG). Anderseits nahmen insbesondere städtische Genossenschaften zuvor vielfach gescheiterte Versuche der Eigenproduktion von Brot und Backwaren, Fleisch und Fleischwaren wieder auf. Als 1899 das Hamburger Gewerkschaftskartell selbstbewusst eine neue Konsumgenossenschaft gründete, war deren programmatischer Name „Produktion“. Es ging nun um den Aufbau einer wirtschaftlichen und sozialen Gegenwelt: „Schaut der Arbeit Kinder geh’n / Stark und frei daher, / schlank und rüstig, ernst und schön, / keine Krüppel mehr“ (Konsum-, Bau- und Sparverein „Produktion“ zu Hamburg e.G.m.b.H. Geschäftsbericht für das 10. Geschäftsjahr 1908 […], Hamburg o.J. (1909), 119).

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Alternatives Wirtschaften? Die Zentrale der Hamburger „Produktion“ 1903 (Die Produktion in Hamburg, Hamburg 1924, 129)

Und die Frauen? Hausfrauen ohne Mitspracherechte? Kinder, Küche, Konsum? Gemach! Erstens gab es in den 1890er Jahren durchaus aktive Konsumgenossenschafterinnen, zumeist Sozialdemokratinnen mit engen Kontakten zu den Gewerkschaften. Clara Zetkin (1857-1933), noch nicht moskauhörige KPD-Abgeordnete, sondern führende sozialdemokratische Frauenrechtlerin, nannte etwa Adele Gerhard (1868-1956), Helma Steinbach (1847-1918), Fanny Imle (1878-1965) und Gertrud David (1862-1936) (Wie die radikale Frauenrechtelei Chronik schreibt, Die Neue Zeit 20/2, 1901-1902, 292-300, hier 294). Zweitens veränderte sich langsam die rechtliche Stellung von Frauen. Bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900 war es Frauen untersagt, ohne Genehmigung ihres Ehemannes Mitglied einer Konsumgenossenschaft zu werden (Erwerb der Mitgliedschaft eines Konsumvereins durch Ehefrauen, Wochenbericht der Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine (WGEG) 7, 1900, Nr. 24, 4-5; Nr. 25, 5). Konsumgenossenschafter insbesondere in Sachsen wollten dies nicht wahrhaben, doch Gerichtsurteile bestätigten die Zulassung (Die Gleichheit 12, 1902, 23). Damit bot sich zumindest die Chance, eigene Anliegen bei Mitgliedsversammlungen anzusprechen und gar durchzusetzen. Drittens gab es Anregungen von anderen, ausländischen Konsumgenossenschaften. England war europaweit führend, hier hatte sich bereits 1883 eine Frauen-Genossenschaftsgilde gegründet. Schottland folgte 1892. Auch in Belgien, ebenfalls Vorreiter sowohl der Industrialisierung als auch der Genossenschaftsbewegung, wurde 1900 in Antwerpen ein Genossenschafts-Frauenbund etabliert. Heinrich Kaufmann hatte dies begrüßt, wollte aber nicht selbst aktiv werden: „Da schon heute bei uns eine ganze Anzahl hervorragender Frauen eifrige Förderinnen der Genossenschaftsbewegung sind, so kann es doch an geeigneten Personen für eine thatkräftige Initiative nicht fehlen. Jedenfalls muss die Sache von den Frauen selbst in die Hand genommen werden“ (Eine Frauen-Propaganda-Vereinigung für Genossenschaftswesen in den Niederlanden, WGEG 7, 1900, Nr. 40, 8). Im von ihm herausgegebenen Wochenbericht der Großeinkaufsgesellschaft richtete er parallel schon eine Rubrik „Genossenschaftliche Beteiligung der Frauen“ ein.

Viertens stimmte man in einer wachsenden Zahl der männlich dominierten Konsumgenossenschaften darin überein, dass ohne die aktive Mithilfe der Frauen der rasche Aufschwung von Mitgliederzahlen und Umsatz ins Stocken geraten könnte. Wachstum aber schien wichtig, um die Bewegung zu stärken, eine Bewegung, die unter wachsendem Druck stand. Die neuen „Arbeiterkonsumgenossenschaften“ betonten zwar ihre parteipolitische und weltanschauliche Neutralität und wurden von der SPD-Führung nach wie vor als revisionistische Kräfte kritisiert, doch faktisch gab es eine gewisse Sozialdemokratisierung. Die Konsumgenossenschaften standen zugleich unter Druck ihrer Wettbewerber, vor allem mittelständischer Kleinhändler, die staatlichen Schutz verlangten und für Sondersteuern agitierten. Der Allgemeine Verband beschirmte lange Zeit, doch die beherzte Aufbauarbeit der „Arbeiterkonsumgenossenschaften“ der sog. Hamburger Richtung stieß zunehmend auf interne Kritik durch Produktions- und Agrargenossenschaften. 1902 kam es zum Bruch, zahlreiche Konsumgenossenschaften wurden aus dem Allgemeinen Verband ausgeschlossen, noch mehr folgten freiwillig. 1903 schlossen sich diese im Zentralverband Deutscher Konsumvereine zusammen, der zum Erfolg verdammt war, wollte er seine ökonomische Handlungsfähigkeit und öffentliche Stellung zumindest behaupten oder gar ausbauen. Ohne Mithilfe der Frauen schien dies nicht möglich.

Die Gründung des Frauen-Genossenschaftsblattes

Gleichwohl, die Frauen preschten nicht voran. Die durch die Gründung der Hamburger „Produktion“ ausgelöste Debatte über den Stellenwert der Genossenschaften innerhalb der Sozialdemokratie mündete in eher allgemeines Fahrwasser: Es ging nicht um Männer und/oder Frauen, sondern um die praktische Verbesserung der Lebensbedingungen des Proletariats, um geschlechtslose Zwischenorgane auf dem langen Weg zur Überwindung des Kapitalismus – so gleichermaßen männliche und weibliche Diskutanten (Gertrud David, Die Konsumgenossenschaft und die sozialistische Theorie, Sozialistische Monatshefte 5, 1899, 112-118; Dies., Die Bedeutung der Konsumgenossenschaft für die wirthschaftliche Entwickelung, ebd., 167-177). Die Konsumgenossenschafter waren in den Augen sozialdemokratischer Revisionisten allerdings eine Avantgarde, just weil sie sich zurücknehmen konnten und bereit waren, kurzfristige materielle Vorteile zugunsten des Aufbaus einer alternativen Einkaufs- und Produktionswelt zurückzustellen: „In den Konsumvereinsläden verkehrt der geistig regsamste Teil unserer Arbeiterschaft“ (Kobelt, Die Konsumvereine im Dienste der Volksbildung, WGEG 8, 1901, 598). Diesen Idealismus galt es für einen gleichsam namenlosen Aufbau zu nutzen: „Das ist das schönste Amt der Geister, / Daß jeder als ein kleiner Meister, / Fürs große Allgemeine wirkt“ (Konsumgenossenschaftliche Rundschau (KR) 4, 1907, 146). Konsumgenossenschafter waren demnach wie Frauen: Selbstverleugnung war ihre Tugend.

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Helma Steinbach und Heinrich Kaufmann (Die Produktion in Hamburg, Hamburg 1924, 136 (l.); Heinrich Kaufmann, Die Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine […], Hamburg 1919, Bildanhang, s.p.)

Praktiker verwiesen dagegen auf die durchaus andere „Realität“: Von hundert Mitgliedern, hieß es in Momenten gedrückter Laune, seien 99 Krämer und nur ein Genossenschafter (Joseph Cernesson, Die genossenschaftliche Erziehung, WGEG 8, 1901, 322-323, hier 322). Doch derartige, primär an materiellen Vorteilen interessierte „Realität“ galt es zu zwingen: Ziel müsse es sein, nicht nur Mitglieder zu gewinnen, sondern diese in Genossenschafter zu verwandeln. Diese Meinung teilten auch Frauen. Helma Steinbach, Mitgründerin und Aufsichtsratsmitglied der „Produktion“, benannte selbstkritisch das Problem: „Wenn heute die Konsumvereine noch nicht überall auf der Höhe stehen, auf der sie stehen sollen, so ist es dem Umstande zuzuschreiben, dass die Frau den Wert der Konsumvereine vielfach noch nicht begriffen hat. […] Im Interesse der Frauen vor allen Dingen liegt die Förderung der Konsumenten-Organisationen, denn die Frauen sind es, die den Hausstand führen und mit ihren Mitteln zu rechnen haben. Vom Standpunkte der Frau darf nichts geschehen, was die Entwicklung der Konsumvereine hemmt.“ Hier wurde ihre Rede auf dem Kreuznacher Genossenschaftstag vom Gelächter männlicher Vertreter der Kreditgenossenschaften unterbrochen. Steinbach setzte fort, wurde dann jedoch niedergeschrien. Mäßigungsforderungen überging der befrackte Mob, denn, so ein wahrer Herr, sie sei „keine Dame, sondern eine Sozialdemokratin“ (Der 43. Allgemeine Genossenschaftstag in Kreuznach, WGEG 9, 1902, 768-779, hier 773).

In diesem Klima der Zurückweisung und des Pöbelns schritten dennoch Männer voran, um eine konsumgenossenschaftliche Zeitschrift für Frauen zu schaffen. Heinrich Kaufmann hatte entgegen seines Verweises auf die Frauen einen ausgefeilten Plan vorgelegt und zur Diskussion gestellt. Agitation, nicht Produktwerbung, schien ihm die Kernaufgabe für das weitere Wachstum zu sein. Diese dürfe jedoch nicht nur bei Leitungskadern stehen bleiben: „Für die Allgemein-Agitation muss ein billiges, gern gelesenes und gutes Massen-Organ geschaffen werden. Dasselbe wird sich vor allen Dingen an die Frauen, als die eigentlichen Trägerinnen der Konsumgenossenschaftsbewegung zu wenden haben. Die Frauen sind es, die für die Konsumgenossenschaftsbewegung nicht bloss materiell, sondern auch ideell gewonnen werden müssen. Die Frauen sind es, welche die Einkäufe machen, welche sich die Mühe geben müssen, in die Verkaufsstellen zu kommen. Nur wenn wir die Frauen gewinnen, können wir den Durchschnittsumsatz, den Umsatz in den Verkaufsstellen und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unserer Vereine steigern. Die ideell für die Sache begeisterten und aufgeklärten Frauen sind zugleich die besten und erfolgreichsten Agitatorinnen für die Idee der Konsumgenossenschaftsbewegung. Das zu schaffende Massenorgan muss ein Frauen-Genossenschaftsblatt sein“ (Heinrich Kauffmann, Ein Frauen-Genossenschaftsblatt für die deutschen Konsumvereine, WGEG 8, 1901, 729-730, hier 729 (auch für das folgende Zitat)). Der Aufbau des neuen Organs folgte dem gängiger bürgerlicher Hausfrauenzeitschriften, der Inhalt aber sollte ein anderer sein: Zu Beginn ein genossenschaftlicher Artikel, ein Fortsetzungsroman, Fallstudien aus der konsumgenossenschaftlichen Praxis, Novellen, Gedichte, etwas Kunst, Gemeinnütziges, Lustiges, Rätselhaftes, Spielerisches und dann noch etwas Genossenschaftliches. „Ein solches im genossenschaftlichen Geiste geleitetes Frauen- und Familienblatt (im besten Sinne des Wortes) würde von den Frauen gelesen werden, es würde ihr Blatt sein, sie würden demselben im reichsten Masse ihr Interesse zuwenden. Selbstverständlich würden für die genossenschaftlichen, litterarischen und praktischen Abteilungen des Blattes erste Kräfte als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu gewinnen sein. Für die Frauen unseres Volkes ist das beste nicht zu gut.“

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Parallele Anstrengung: Titelvignette des Schweizer „Genossenschaftlichen Volksblattes“ (Genossenschaftliches Volksblatt 1, 1902, Nr. 2, 1)

Kaufmanns Vorstoß erfolgte in einem Umfeld allgemeiner Bewegung. Zum einen war man im Ausland bereits vorangegangen. In der Schweiz sollte ab Anfang 1902 alle 14 Tage ein populäres „Genossenschaftliches Volksblatt“ in einer Auflage von 40.000 Exemplaren erscheinen (Das »Genossenschaftliche Volksblatt«, das Organ des Verbandes Schweizerischer Konsumvereine, WGEG 9, 1902, 191). Wie im Deutschen Reich ergänzte es die 1901 in „Der Schweizerische Konsum-Verein“ umbenannte Fachzeitschrift „Correspondenzblatt des Verbandes schweizerischer Konsumvereine“. Das neue Volksblatt enthielt einen „Sprechsaal für die Hausfrauen“ und gewann rasch an Auflage und Bedeutung. Als Coopzeitung ist sie heute das reichweitenstärkste Periodikum in der Schweiz. Wichtiger noch dürften die lokalen und regionalen Bestrebungen deutscher Konsumgenossenschaften gewesen sein. In Leipzig wurde schon seit Jahren über ein Informations- und Agitationsblatt für Mitglieder und Interessierte diskutiert. In Hamburg publizierte die „Produktion“ seit 1901 vierseitige „Genossenschaftliche Mitteilungen“. Noch waren diese frühen Kundenzeitungen lediglich eine Mischung aus Preislisten, Bekanntmachungen und Mitteilungen, doch mehr schien möglich. Für die Leitung der Konsumgenossenschaften war dies Hoffnungsschein und Warnzeichen zugleich: Kräftezersplitterung drohte, ein zentrales Blatt schien im Sinne einer einheitlichen Bewegung erforderlich.

Kernproblem blieb jedoch die Finanzierung der „Herausgabe eines 8seitigen, halbmonatlich erscheinenden Frauengenossenschaftsblattes im »Jugend« Format“ (Kauffmann, Frauen-Genossenschaftsblatt, 1901, 729). Als Verkaufszeitschrift wäre die Auflage angesichts der begrenzten Kaufkraft der Mitglieder viel zu niedrig gewesen, wie etwa die sozialdemokratischen Frauenzeitungen „Die Gleichheit“ oder „Arbeiterinnen-Zeitung“ unterstrichen. Gewiss, es gab damals enorm erfolgreiche Illustrierte, etwa „Die Woche“ oder „Illustrirte Zeitung“, doch deren Anzeigeneinkünfte waren nicht nur aufgrund der relativen Werbeabstinenz der Konsumgenossenschaften undenkbar. Erfolgreiche Frauenzeitungen, etwa „Der Bazar“ oder aber „Vobachs Frauen- und Modenzeitung“ zielten auf ein zahlungskräftigeres mittelständisches Klientel, dessen Interessen und Sorgen doch deutlich andere waren.

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Für den bürgerlichen Haushalt: Titelvignette einer gängigen Hausfrauen-Zeitung der Jahrhundertwende (Das Blatt der Hausfrau 11, 1909, H. 8, 173)

Entsprechend entschied man sich bei der Großeinkaufsgesellschaft für eine von den lokalen Konsumgenossenschaften zu bezahlende Gratiszeitschrift für Mitglieder. Die Rechnung war einfach: Die Kosten würden bei etwa 0,1% bis 0,15% des Umsatzes liegen, doch diese Investition sich rasch amortisieren, wenn der Umsatz pro Leser erwartungsgemäß ansteigen würde. Im Interesse der lokalen Genossenschaften optierte man nicht für ein überall identisches Druckorgan, sondern für eine Mantellösung. Die abonnierenden Einzelvereine hatten die letzte Seite auf Selbstkostenbasis zur freien Verfügung, konnten dergestalt Preislisten, Ankündigungen oder Nachrichten zielgenau für ihre Mitglieder einbinden. Eine Werbezeitung mit Niveau, lokal gefärbt: So war das Angebot.

Es folgte eine reichsweite Werbung für den Plan – und die Resonanz war großenteils positiv. Zusagen wurden gemacht, eine Auflage von 90.000 Exemplaren war nach kurzer Zeit gesichert. Anfang 1902 entschloss sich der Aufsichtsrat der Hamburger Großeinkaufsgesellschaft zur Tat, zur Herausgabe des Frauen-Genossenschaftsblattes in einer Auflage von mindestens 100.000 Exemplaren (Die Herausgabe des Frauen-Genossenschaftsblattes, WGEG 9, 1902, 27). Für die Leitungskader war dies eine wichtige Wegmarke hin zu einer besseren, gerechteren Gesellschaft: „Mit unseren Augen sehen wir hier das Wachsen und Werden einer neuen volkswirtschaftlichen Organisation. Wir sehen, wie sich Knospe an Knospe, Zweig an Zweig fügt, wir sehen die innere Notwendigkeit und Gesetzmässigkeit des volkswirtschaftlichen Werdens in gleicher Weise, wie wir in der Natur die wunderbare Gesetzmässigkeit in dem Aufbau der organischen Wesen bewundern“ (Heinrich Kauffmann, Die Grosseinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine im Jahre 1901, WGEG 9, 1902, 282-284, 302-304, hier 282).

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Selbstermunterung in der Konsumvereinspresse (WGEG 8, 1901, 773)

Der Ankündigung folgte obligate Zustimmung in den Publikationen der Großeinkaufsgesellschaft. Landwirtschaftliche Genossenschaften begrüßten derart rührige genossenschaftliche Agitation (Das Frauen-Genossenschaftsblatt und die landwirtschaftliche Genossenschaftsbewegung, WGEG 9, 1902, 9). Der Heidelberger Genossenschafter und Nationalökonom Max May hoffte auf rasches Wachstum, gar auf eine künftige „Millionenauflage“ (Max May, Propaganda für Konsumvereine, WGEG 9, 1902, 42-43, hier 43). Dazu müsse man die Zeitschrift allerdings weiter verbreiten, sie in Wirtschaften und Lesezimmern auslegen, der Allgemeinheit zugänglich machen. Auch der SPD-Reichstagsabgeordnete Heinrich Pëus (1862-1937) – der 1925 zusammen mit dem DDP-Oberbürgermeister Fritz Hesse (1881-1973) die Übersiedlung des Bauhauses nach Dessau ermöglichen sollte – begrüßte das Frauen-Genossenschaftsblatt „mit tausend Freuden“ (Konsumvereine und Lokalpresse. (Eine bescheidene Antwort.), WGEG 9, 1902, 128-129, hier 129). Doch warnend fügte er hinzu, dass der Ausbau einer konsumgenossenschaftlichen Presse nicht dazu führen dürfe, deren Anliegen in der Lokalpresse zu vernachlässigen, sich also von der Allgemeinheit säulenhaft abzuschotten. Generell dominierte die Freude über „einen beispiellosen Erfolg der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung“ (WGEG 9, 1902, 26). Anfang April hatten 127 Vereine 120.000 Stück geordert, die Druckauflage der ersten Ausgabe betrug stattliche 153.000 Exemplare.

Die imaginierte Hausfrau und Konsumentin

Bevor wir näher auf den Inhalt und die weitere Entwicklung des Frauen-Genossenschaftsblattes eingehen, gilt es die damaligen Vorstellungen von Hausfrauen und Konsumentinnen in der Sozialdemokratie und der Konsumgenossenschaftsbewegung kurz zu beleuchten. Dazu fehlt Forschung (zu Österreich vgl. Andrea Ellmeier, Handel mit der Zukunft. Zur Geschlechterpolitik der Konsumgenossenschaften, L‘Homme 6, 1995, 62-77, insb. 66, mit Schwerpunkt auf den späten 1920er Jahren), im Gegensatz etwa zur objektiv recht unbedeutenden bürgerlichen Konsumentenbewegung. Festzuhalten ist, dass aus Sicht der Genossen erstens Klassengegensätze generell dominierten. Solidarität unter Frauen oder auch nur deren einheitliche Interessenartikulation waren in einer kapitalistischen Gesellschaft daher kaum möglich. Die Unterdrückung der Arbeiterfrau war auch eine Unterdrückung durch bürgerliche Hausfrauen, die breit diskutierte Ausbeutung von Dienstbotinnen schien dafür ein beredtes Menetekel.

Zweitens aber dominierte produktivistisches Denken: Frauen wurden als tätig, als schaffend angesehen, weit erhoben von der allein konsumierenden bürgerlichen Hausfrau: „Das Kapitalistenweib ist etwas Ueberflüssiges im Vergleich zur Bürgerin der ‚guten alten Zeit.‘ Damals, als die Produktion für den Hausbedarf wesentlich häusliche Produktion war, hatte das Eheweib einen wirthschaftlichen Zweck, nämlich den, diese Produktion zu leisten oder wenigstens zu leiten. Aber heute, in dem Zeitalter der Bäcker-, Butter-, Schlächter-, Wurst-, Kolonialwaaren-, Posamenten- und Kleiderläden, heute, wo es für die wohlsituirte Hausfrau nichts zu backen, zu buttern, zu schlachten, zu wursten, zu spinnen, zu weben und zu schneidern giebt, und wo das Bischen, was von häuslicher Produktion übrig geblieben ist, von Köchinnen, Stubenmädchen, Wäscherinnen, Plätterinnen und Schneiderinnen besorgt wird, heute, wo die ‚höhere Tochter‘ ‚j’aime‘ und ‚es‘, Kunstgeschichte und Erüden, Mythologie und Komplimentirbuch zu studiren hat – heute ist die ‚Hausfrau‘ in wirthschaftlicher Hinsicht ziemlich überflüssig, und dies am meisten in der wohlhabenden Welt“ (Sozialistische Spaziergänge, Berliner Volks-Tribüne 1890, Nr. 19 v. 5. Mai, 5-6, hier 5). Die Arbeiterfrau war dagegen weiterhin produktiv, nicht nur aufgrund der vorrangig diskutierten außerhäuslichen Erwerbsarbeit, erforderlich aufgrund der vermeintlich üblichen Hungerlöhne der männlichen Familienernährer. Sie hatte zudem mit dem wenigen umzugehen, daraus das Beste zu machen. Arbeiterhaushalte waren daher Leidensgemeinschaften: „An jedem Talerstück, das in dem Geldbeutel der Hausfrau kommt, hängt Schweiß und Blut des Mannes, hängt alles, was die kapitalistische Ausbeutung an ihm sündigt. Und an jedem Zehner, der aus dem Haushalt geht, hängt die Mühe und Sorge der Frau, und was sie leiden und entbehren muß, dank der heutigen Ordnung oder richtigen Unordnung“ (Wilh[elm] Bechstein, Aus der Bewegung, Die Gleichheit 16, 1905, 94).

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Der Konsumverein als Schutz vor kapitalistischen Profitjägern (FGBl 1, 1902, 106)

Drittens verdichteten Konsumgenossenschafter diese unterschiedlichen (und doch ähnlichen) Unterdrückungserfahrungen von Männern und Frauen in die Idee einer doppelten Ausbeutung, wie sie ja sowohl im marxistischen als auch im liberalen Denken seit langem diskutiert worden war: Als Verkäufer der Ware Arbeitskraft wurden sie ebenso ausgebeutet wie als Käufer von Waren. Vereinzelt waren sie dagegen schutzlos, den Marktmechanismen als Produzent und als Konsument ausgeliefert. Erst Kollektivorganisationen der Schwachen konnten Abhilfe schaffen: „Gerade so gut, wie der Arbeiter durch Gewerkschaften zu Disziplin und Solidarität erzogen wird, muß er durch Genossenschaften zur Erkenntnis und zur Vertretung seiner Interessen als Konsument erzogen werden. […] Konsumenten-Erziehung – so heißt die Parole der Gegenwart!“ (Franz Laufkötter, Konsumentenerziehung, KR 3, 1906, 223-224)

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Der ausgebeutete Konsument (FGBl 1, 1902, 105)

Viertens stand hinter dieser Parole die Vorstellung von der Arbeiterfrau als konsumtives Mängelwesen. Ebenso wie sich die Männer in der Produktionssphäre durch tradierte Vorstellungen von Arbeitsehre, handwerklicher Schaffenskraft und vermeintlich gleichlaufenden Interessen von Unternehmern und Arbeiterschaft vom Kern des Klassenkonfliktes abbringen ließen, ließen sich Frauen im Konsumsektor darüber hinwegtäuschen, dass auch die Händler primär Ausbeuter waren. Konsum war ein Ringen um knappe Ressourcen. Darüber durfte Reklame, durfte die Umgarnung durch beredte Kleinhändler/innen und abhängige Verkäufer/innen nicht hinwegtäuschen. Getragen von vielfach auch antisemitisch konnotierten Vorstellungen von Ausbeutung auf der gesamten Wertschöpfungskette, schien ein Bruch mit der kapitalistischen Wirtschaft erforderlich. Das unterschied die engagierten Konsumgenossenschafter von der damals sich langsam entwickelnden bürgerlichen Konsumentenbewegung. Deren Ziel war die Versittlichung des Konsums, nicht aber der Aufbau einer konsumtiven Gegenwelt. Gewiss, damit konnten begrenzte Verbesserungen erzielt werden, seien es Sitzgelegenheiten für Verkäuferinnen in den Läden, seien es verbesserte Arbeitsbedingungen für Heimarbeiterinnen (Julie Eichholz, Die Genossenschaftsbewegung und die Frauen, Neues Frauenleben 16, 1904, Nr. 12, 12-15; Gabriele Werner, Konsumenten-Moral, ebd. 18, 1906, Nr. 6, 5-14). Doch derartige Fürsorge – so die Kritik – sei vorrangig Ausdruck moraltriefender Selbstbeweihräucherung des Bürgertums, richte sie sich doch nur auf Symptome der Ausbeutung, nicht aber auf deren Ursachen.

Die Vorstellung der (Arbeiter-)Frau als konsumtives Mängelwesen wurde fünftens jedoch mit dem Aufbauwerk der Konsumgenossenschaften verbunden, denn nur so war sie wirkmächtig, nicht denunzierend. Das erforderte Erziehungsarbeit einer Avantgarde, denn die objektiven Lebensumstände standen reflektiertem Erkennen und Handeln entgegen: „Die Arbeiterfrau hat für ihre Wirtschaft in der Regel wenig Zeit. Gleich dem Manne steht sie mitten im Erwerbsleben. Sie muß mitkämpfen im Kampf um Brot, das schmale Einkommen zu erhöhen. Von früh bis spät muß sie sorgen und schaffen, der Haushalt wird so gut oder schlecht es eben geht, ‚nebenbei‘ im Fluge besorgt. Müde und abgehetzt kommt sie mittags auf ein paar Minuten in die Küche, um rasch in atemloser Hast das Mittagsmahl herzurichten“ (Das Dörrgemüse, Frauen-Genossenschaftsblatt (FGBl) 2, 1903, 189-190, hier 190). Die beklagte Rückständigkeit der Frauen war also erklärbar, folgerte aus ihrer Doppelbelastung und ihrer doppelten Ausbeutung. Just diese Rückständigkeit galt es zu durchbrechen. Die Nationalökonomin Henriette Fürth (1861-1938) – sozialdemokratische Propagandistin einer einheitlichen, nicht in Arbeiterinnen und Bürgerliche getrennten Frauenbewegung – plädierte entsprechend für Realismus, für eine Konsumentinnenerziehung, die persönlichen Nutzen und gesellschaftliche Fortentwicklung miteinander verband: „Sagt uns denn nicht das kleinste Nachdenken, daß eine Vereinigung, die keinen privaten Nutzen herauswirtschaften, sondern nur im Interesse der Vereinigten selbst tätig sein will, unbedingt leistungsfähiger ist als der privatwirtschaftende Krämer, der dazu nicht selten durch Zahlungsschwierigkeiten mannigfacher Art beim Einkauf gehemmt ist? […] Die einsichtige Hausfrau muß sich darüber klar sein, daß der Großeinkauf unendliche Vorteile bietet gegenüber der Erstehung in kleinen und kleinsten Quantitäten, und nichts anderes als Großeinkauf der Kleinen, als die zusammengefaßte Macht der wirtschaftlich Schwachen ist der Konsumverein“ (Henriette Fürth, Konstituierender Genossenschaftstag in Dresden, Die Gleichheit 13, 1903, 100-101, hier 101).

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Sehnsucht nach Ruhe und Zwang zum Handeln: Titelvignette (FGBl 1, 1902, 81)

Doch wie aus der Begrenztheit kurzfristiger Nutzenkalküle hinauskommen, wie die Tür hin zur langfristig erstrebenswerten Gemeinwirtschaft öffnen? Das Frauen-Genossenschaftsblattes sollte hierauf eine Antwort geben. Wie in der allgemeinen konsumgenossenschaftlichen Agitation vertraute man auf eine Mischung von volkswirtschaftlicher Aufklärung einerseits, der Moralisierung des alltäglichen Einkaufs anderseits. Dazu hielt man den Käufern, hielt auch der Organisation selbst einen Spiegel vor: Kritisiert wurde „gieriges Haschen nach Überschüssen, die sogenannte Dividendenjägerei“, da derartiger Eigennutz Kapitalismus in Reinkultur sei. Das galt auch für Konsumvereine, die „sich als Arbeitgeber schäbigster Art beweisen und durch unwürdige Lohn- und Arbeitsbedingungen die Überschüsse in die Höhe zu treiben“ (Simon Katzenstein, Die Konsumgenossenschaft als wirtschaftliches Erziehungsmittel, Die Gleichheit 16, 1906, 8-9, hier 9 (beide Zitate)) versuchten. Kontrastiert wurde dies mit einer licht ausgemalten konsumtiven Gegenwelt, getragen von Flaggenbegriffen wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Würde. All dies war ernst gemeint, doch die Genossenschafter wussten zugleich um die konstitutive Kraft ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Das Frauen-Genossenschaftsblatt wollte aufklären und unterhalten, anregen und die Sinne weiten. Ökonomisch aber war es Teil des wirtschaftlichen Ausbaus der konsumgenossenschaftlichen Organisation, war PR und zwingend gebotene Intensivierung: „Sehr wenige Hausfrauen erzielen im Konsumverein einen Umsatz von mehr als 200 bis 300 Mark im Jahre. Fast jede aber könnte, wenn sie wirklich alle Bedarfsartikel im Konsumverein einkaufen würde, einen Umsatz von 400 bis 600 Mark erzielen, also ihren Umsatz verdoppeln. Eine Verdoppelung des Umsatzes hat denselben Effekt, wie eine Verdoppelung der Mitgliederzahl und würde eine gewaltige Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Konsumvereine bedeuten“ (Heinrich Kaufmann, Die Ueberlegenheit der Konsumvereine, FGBl 2, 1903, 161-162, hier 161).

Struktur und Mitarbeiter des Frauen-Genossenschaftsblattes

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Werbung für die Zeitschriften der GEG durch eine Berliner Konsumgenossenschaft (Vorwärts 1902, Nr. 229 v. 1. Oktober, 7)

„Das treffliche Frauen-Genossenschaftsblatt“ (Zürcher Wochen-Chronik 1904, Nr. 34 v. 20. August, 269) besaß eine klare, jede Ausgabe prägende Struktur und ein einheitliches Erscheinungsbild. Die Zeitschrift war illustriert, doch keine Illustrierte. Sie enthielt Graphiken und Zeichnungen, nicht aber Photographien. Zugleich fehlten Werbeanzeigen, zumindest solche für nicht konsumgenossenschaftliche Waren. Damit distanzierte man sich auch von dem Schweizer „Genossenschaftlichen Volksblatt“, das seit Anfang 1903 Anzeigen auch der privatwirtschaftlichen Konkurrenz schaltete (Genossenschaftliches Volksblatt 2, 1903, Nr. 3, s.p. (3)).

Das Frauen-Genossenschaftsblatt wies Nummer für Nummer gleichbleibende Rubriken auf. Am Anfang stand erstens ein einführender Artikel erzieherischen oder aber agitatorischen Charakters. War dieser kürzer, also nur eine Seite lang, so wurde er häufig ergänzt durch einen weiteren kurzen Artikel über konsumgenossenschaftliche Themen. Die Leitartikel erläuterten, benannten, boten Informationen, waren jedoch durchweg aus Sicht der Leitungskader geschrieben. Diskussionen erfolgten nicht, wenngleich eine belesene Zeitgenossin die Artikel gewiss in den damaligen Diskussionskontext hätte einbetten können. Die einführenden Artikel präsentierten die große Welt und die kleine Aufbauarbeit aus Sicht der Konsumgenossenschaften. Sie boten Lesarten an, grenzten sich ab von den Anwürfen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegenspieler, insbesondere mittelständischen Einzelhändlern, aber auch den großkapitalistischen Antipoden, etwa den Warenhäusern oder aber Filialbetrieben. Derartige Deutungen sollten natürlich den Einkauf auf die eigenen Geschäfte lenken, sollten Argumente für Debatten auch des Alltags liefern. Wichtig war aber zugleich eine Horizonterweiterung: Stolz auf die eigenen Einrichtungen war allgegenwärtig, die Leserin konnte sich als Teil einer Heilsbewegung verstehen. Dazu dienten nicht nur Zeichnungen von Zentralen und Geschäften konsumgenossenschaftlicher Betriebe, sondern auch biographische Verweise. Rollenvorbilder wurden präsentiert, darunter sehr selten auch Frauen. Das waren säkularisierte Heilsgeschichten voller Bekennermut und Glaubensfestigkeit.

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Vorbilder: William Maxwell (1841-1929), führender Repräsentant der Scottish Co-operative Wholesale Society (FGBl 3, 1904, 45) und die Genossenschafterin und Schriftstellerin Adele Gerhard (FGBl 1, 1902, 5)

Es folgten zweitens Erzählungen. Meist handelte es sich um Fortsetzungsgeschichten, nicht allzu lang, nicht allzu schwer. Klassische Autoren dominierten, solche des 19. Jahrhunderts, keine Revolutionäre. Die Erzählungen waren meist konkret, naturalistische Darstellungen dominierten, Herz-Schmerz war seltene Ausnahme. Sozialdemokratischen Autoren bot man ein Forum, etwa dem Dichter und Schriftsteller Ludwig Lessen (1873-1943). Für eine reichsweit vertriebene Zeitschrift war zudem bemerkenswert, dass norddeutsche Autoren, wie etwa Timm Kröger (1844-1918), überdurchschnittlich zu Worte kamen. Auch ausländische Autoren band man ein, etwa den französischen Dramatiker Leon Xanrof (1867-1953) oder den spätere Literaturnobelpreisträger Henrik Pontoppidan (1857-1943). Autorinnen waren Ausnahmen, beispielsweise Margarethe Wolff-Meder und Elisabeth Fischer-Markgraff. Insgesamt boten die Erzählungen durchaus Erbauung, hoben sich jedoch von den Kolportageträumen bürgerlicher Hausfrauen- und Familienzeitschriften ab. Man setzte auf Bildungsgut literarischer Art. Die Konsumgenossenschaften verstanden sich als Bildungsbewegung, Gedichte und Aphorismen fanden sich auch im Geschäftsbetrieb der Genossenschaftstage und Kaderpublikationen. Spezifisch weibliche Themen – wenn es diese in einer konsumtiven Emanzipationsbewegung denn geben sollte – wurden jedoch nicht behandelt.

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Populäre Stoffe, keine revolutionäre Literatur: Weihnachtsangebot an die Leserinnen (FGBl 5, 1906, 167)

Der Literatur folgten drittens Nachrichten aus den Konsumgenossenschaften. Dabei handelte es sich häufig um Berichte aus einzelnen Genossenschaften, insbesondere aus Mitteldeutschland. Auch hier ging es um Vorbilder, um einen realen Abglanz des Erstrebten. Dabei blickten die Autoren wieder und wieder über die Grenzen des deutschen Vaterlandes hinaus. Die Schweiz galt als Land des pragmatisch Machbaren, das eigentliche Vorbild aber bildeten die britischen Konsumgenossenschaften. In England und auch in Schottland waren eben schon Teile dessen erreicht, was man im Deutschen Reich erst schaffen wollte. Das war gewiss Männerwerk, doch die Fabian Society und insbesondere die Sozialreformatorin und Konsumvereinstheoretikerin Beatrice Webb (1858-1943) wurden immer wieder erwähnt.

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Vorbild Großbritannien: Konsumgenossenschaftliche Zentralinstitutionen im englischen Leeds (FGBl 4, 1905, 76)

Erst danach folgte viertens Informatives und Erzieherisches zu Hauswirtschaft, den Kindern oder einzelnen Konsumgütern. Hier deckte sich das Frauen-Genossenschaftsblatt vielfach mit ähnlichen, dann jedoch ausführlicheren Sektionen in bürgerlichen Frauen- und Familienzeitschriften. Der Kindeserziehung wurde viel Platz eingeräumt, reformpädagogisches Denken war gepaart mit Verweisen auf Klassiker wie etwa Karl Friedrich Fröbel (1807-1894) und dessen Onkel Friedrich Wilhelm August Fröbel (1772-1852). Zugleich informierte man über die verschiedenen Reformbestrebungen der Jahrhundertwende, etwa die vielgestaltige Kleiderreform.

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Alternativen am Leibe: Reformkleidung (FGBl 2, 1903, 133 (l.); ebd. 3, 1904, 109)

Es folgten dann kürzere Sektionen, teils nur eine Spalte lang, stets aber eingeleitet durch einschlägige graphisch gestaltete Rubrikenüberschriften. Da gab es fünftens die genossenschaftliche Übersicht, vornehmlich Jahresbilanzen und Nachrichten aus den verschiedenen Kämpfen der Konsumgenossenschaftsbewegung. Dies diente der Information, auch der Benennung der Gegner. Zugleich bestärkte die Rubrik die Grundhaltung, Kämpferin für eine gute Sache zu sein, sich gegen die alltägliche Ungerechtigkeit mit dem Einkaufskorb unterm Arm wenden zu können. Sechstens folgte die Rubrik Rezepte und hauswirtschaftliche Winke, die überraschend kurz ausfiel, nur etwa fünf Speisen pro Ausgabe behandelte. Dabei dominierten einfache und schnell zuzubereitende Gerichte. Die Rezepte enthielten kaum Produktwerbung, gewiss auch Reflex des noch nicht weit ausgebildeten Eigenmarkenangebots der Konsumgenossenschaften. Vereinzelt wurden allerdings die Grenzen zur Privatwirtschaft durchbrochen, etwa bei Verweis auf die Küchenhelfer von Maggi (FGBl 2, 1903, 167). Auch hier vermittelte man der arbeitenden Hausfrau praktische Kenntnisse, etwa durch Hinweise auf preiswerte Kochkisten, mit denen sie ein vorgekochtes Gericht kostengünstig weiterkochen lassen konnte. Dass dabei ein Großteil der Vitamine zerstört wurde war damals noch nicht bekannt.

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Hauswirtschaftliche Erläuterungen: Vorstellung der Kochkiste (FGBl 5, 1906, 60)

Es folgten siebtens die Rubriken Rätsel und Scherze, die kurzweilige Ablenkung boten, und achtens vermischte Nachrichten. Dabei mag man ursprünglich an ein Forum auch für Leserinnen gedacht haben, doch zunehmend handelte es sich um Informationen der Redaktion über verschiedene konsumgenossenschaftliche Themen.

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Rubrikenüberschriften (FGBl 1, 1902, 7)

Die letzte, die achte Seite blieb der lokalen Konsumgenossenschaft vorbehalten und diente der Information der Mitglieder. Wurde es nicht genutzt, so wurden vermischte Nachrichten ergänzt.

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Beispiel für die Werbeseite der abonnierenden Konsumgenossenschaften (FGBl 1, 1902, 16)

Fasst man zusammen, so verband das Frauen-Genossenschaftsblatt eine dezidiert institutionelle Perspektive mit der Lebenswelt ordentlicher Arbeiterinnen. Es zielte nicht auf Proletarierinnen, nicht auf revolutionäre, sondern auf evolutionäre Veränderungen. Es war Teil und Ausdruck des sozialen Aufstieges hunderttausender Arbeiter und Arbeiterinnen, nutzte liberale und bürgerliche Elemente, ging aber nicht vollends in Theoremen der Verbürgerlichung auf. Das Frauen-Genossenschaftsblatt war ein Versuch, die männliche Welt der konsumgenossenschaftlichen Organisationen mit der Lebenswelt der Hausfrauen zu verbinden. Das gelang nur teilweise, denn der erzieherisch-fordernde Charakter der Artikel gewann im Laufe der Jahre an Bedeutung, während der Umfang konkreter Hilfestellungen für den Haushalt tendenziell abnahm. Diese bedingte Vermännlichung des Inhalts spiegelte sich auch in den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Frauen-Genossenschaftsblattes.

Neben Heinrich Kaufmann, dem verantwortlichen Redakteur und regelmäßigen Artikelschreiber prägte vor allem der Hamburger Maler Heinrich Rudolph das Blatt, schuf er doch eine bei anderen Zeitschriften sehr seltene Einheitlichkeit des Frauen-Genossenschaftsblattes. Das betraf nicht allein die jeweils variierten Titelvignetten, die Rubrikenüberschriften und stimmungsvolle Zeichnungen. Angesiedelt zwischen Naturalismus und Jugendstil schuf Rudolph eine idealisierte Traumwelt mit Natur und Frauengestalten, mit Versatzstücken von Märchen und Landschaftsmalerei. Kurzum, hier wurde der Idealismus der Konsumvereinsbewegung visuell gebannt. Rudolph prägte zudem viele Druckwerke der Verlagsanstalt des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine(KR 1, 1904, 825), seien es deren Preislisten oder aber die erste Selbstdarstellung der Großeinkaufsgesellschaft.

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Ein anderes Leben: Titelvignette (FGBl 4, 1905, 41)

Die große Mehrzahl der Mitarbeiter waren Männer. Dabei handelte es sich zumeist um Genossenschafter, etwa den Sozialphilosophen Franz Staudinger (1849-1921), den Schweizer Konsumgenossenschaftstheoretiker Hans Müller (1867-1950), den Heidelberger Kaufmann Max May oder den Journalisten Martin Krolik. Hinzu kamen sozialdemokratische und gewerkschaftliche Vertreter, etwa Emil Krause (1870-1943), Franz Laufkötter (1857-1925) oder Heinrich Pëus. Zu nennen sind ferner Schriftsteller und Dichter, etwa Georg Breuker (1876-1964) oder Ernst Lime (d.i. Emil Utitz, 1883-1956). Weitere Namen wäre zu nennen – Johannes Ernst, Heinrich Hinze, G. Jährig, P. Straelen, E. Wetzleben –, doch diese sagen nur noch Spezialisten etwas. Das gilt selbst für den Nationalökonom Reinhold Riehn, damals kampferprobter Streiter für die Konsumgenossenschaften. Alle diese Männer verkörperten pragmatische Reformpolitik, angesiedelt im weiten Bereich zwischen Liberalismus und Sozialismus. Das galt auch für den Architekten und Kunsttheoretiker Paul Schultze-Naumburg (1869-1949), unabhängig von seiner späteren Wendung zum Völkisch-Nationalen und zum Nationalsozialismus. Summa summarum war dies eine ausdrucksstarke Gruppe, die für 10 Pfennig Zeilengeld und mögliche Extrahonorare Artikel beisteuerte (Blaetter für die gesamten Staatswissenschaften 4, 1908, 126). Einige der Konsumgenossenschafter waren auch fest beschäftigt, wenngleich eher beim Wochenbericht der Großeinkaufsgesellschaft bzw. dessen 1904 gestarteten Nachfolger Konsumgenossenschaftliche Rundschau.

Und wo waren die Frauen im Frauen-Genossenschaftsblatt? Nun, es gab sie. Und mit Gertrud David, Henriette Fürth und Fanny Imle schrieben zu Beginn wahrlich führende Genossenschafterinnen einzelne Artikel. Doch nach etwa einem Jahr wurden Autorinnen Ausnahmen. Zu erwähnen sind Alice Matz, die Frauenrechtlerin Auguste Staudinger (1852-1944) sowie vor allem die Hamburger Schriftstellerin Marie Bessmertny (1854-1934), deren Ideal der Frau jedoch just aus Schillers „Lied von der Glocke“ stammte (FGBl 3, 1904, 46). Damit lag der Autorinnenanteil des Frauen-Genossenschaftsblattes deutlich unter dem bürgerlicher und konfessionell gebundener Frauen- und Hauswirtschaftszeitungen. Das Frauen-Genossenschaftsblatt war als Blatt für Frauen gedacht, doch es wurde vorrangig von Männern geschrieben.

Frauen-Genossenschaftsblatt und Arbeiterpresse

Die konsumgenossenschaftliche Melange traf keineswegs auf allgemeine Unterstützung. Widerstand kam nicht zuletzt von den vermeintlichen Bundesgenossen in der SPD. Die Sozialdemokratisierung der im Zentralverband organisierten Konsumgenossenschaften darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass unter dem breiten Deckmantel der SPD sehr heterogene Kräfte gärten, die durch die Parteiführung um August Bebel (1840-1913) nur mühsam zusammengehalten wurden. Die erst 1910 erfolgte parteiamtliche Anerkennung der Konsumgenossenschaften als eine Säule der Arbeiterbewegung überrascht daher nicht. Gerade in Sachsen wurde das rote Banner der Revolution hoch gehalten. Unbedingte Sozialisten hielten den Aposteln des Genossenschaftswesens Versimpelung und Verflachung der marxistischen Theorie vor: „Damit vernichten sie oder erschweren wenigstens ganz ungemein die mühsame Arbeit der Aufklärung, welche die Partei seit Jahrzehnten mit langsamem, aber schönem Erfolge betreibt; damit hindern sie die Arbeit, welche die Erkenntnis der wirklichen Ursachen der sozialen Krankheit zum Ziele hat; damit rücken sie von den Bestrebungen ab, die Krankheit zu heilen, und kehren wieder zum bloßen Herumkurieren an Symptomen zurück, vom sozialistischen Standpunkt zum liberalen. […] So können diese Lehren mit ihrer selbstgefälligen Hervorkehrung des sogenannten ‚praktischen‘ Standpunktes, mit ihrer ostentativen Verachtung aller gründlicheren theoretischen Durchbildung allerdings dazu führen, die Arbeitermassen vom Sozialismus ab und einem halben, schwächlichen Reformismus zuzuwenden“ (Ueber Genossenschaftswesen, Leipziger Volkszeitung 1902, Nr. 177 v. 4. August, 1-2, hier 2). Zeithistorisch mochte derartige Radikalität nachvollziehbar sein, denn während SPD-Kandidaten 1898 die große Mehrzahl der Reichstagssitze in Sachsen gewonnen hatten, verloren sie aufgrund des zuvor verschärften Dreiklassenwahlrechtes 1901 ihr einziges Mandat in der 2. Kammer der sächsischen Ständeversammlung. Gut-Böse-Schemata dominierten, schlossen die „Hamburger Neutralität“ aus, mochte diese auch aufgrund des Genossenschaftsgesetzes erforderlich sein. Die Vorwürfe waren hart und zermürbend: Konsumgenossenschaften seien profitorientierte Unternehmen, deren einziger Vorteil für die Proletarier etwas preisgünstigere Lebensmittel seien. Ein utopisch-emanzipatorisches Ziel wurde verneint, die Druckwerke des Zentralverbandes galten als „verdummend“ und gegen die „Aufklärungsarbeit der Partei“ (Ueber Genossenschaftswesen, Leipziger Volkszeitung 1902, Extraausgabe v. 19. November, 1-2, hier 1) gerichtet. Doch es kam noch ärger, hieß es doch zum Frauen-Genossenschaftsblatt: „»Die prächtige Gelegenheit, proletarische Literatur unter die Arbeiterfrauen zu bringen, wird der krämerhaften Rücksicht, möglichst viel Frauen zu gewinnen, geopfert. – Die Konsumvereine sind ebensowenig sozialdemokratische Einrichtungen als diese Sorte Literatur sozialdemokratischen Charakters ist«“ (zit. n. Arno Pfütze-Grottewitz, Konsumvereine und Detailhandel im Königreich Sachsen, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 64, 1908, 346-367, hier 366, Fußnote 1). Doch diese in Selbstbezüglichkeit geflüchtete sächsische SPD konnte weder das rasche Wachstum gerade der sächsischen Konsumvereine bremsen, noch die Aufwärtsentwicklung des Zentralverbandes.

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Die Fülle der Natur: Titelvignette (FGBl 2, 1903, 83)

Stattdessen stärkte der Zentralverband seine Presse – und damit auch das Frauen-Genossenschaftsblatt – durch die mit Wirkung zum 1. Januar 1904 neu gegründete Verlagsanstalt des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine von Heinrich Kaufmann & Co. Dabei handelte es sich um eine offene Handelsgesellschaft, deren Gewinne ein wichtiger Faktor für die Fortentwicklung des Zentralverbandes wurden. Die Verlagsanstalt nutzte auch die Gewinne aus dem Vertrieb des Frauen-Genossenschaftsblattes für weitere Agitation mit anderen Medien und Mitteln (Paul Mombert, Die Konsumvereinsbewegung in Deutschland, Badener Zeitung 1907, Nr. 7 v. 23. Januar, 4). Gleichwohl blieb die Auflagenentwicklung hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Regelmäßig wurden die Vereine aufgefordert mehr als das eine ihnen zustehende Freiexemplar zu beziehen. Hundert Stück kosteten lediglich 1,25 M, und mittlere Vereine wie die in Hohenmölsen und Ilmenau nahmen 1000, der Konsumverein Meuselwitz gar 1200 Exemplare ab (KR 1, 1904, 481).

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Demokratisierung des Konsums: Genossenschaftliches Kaufhaus im sächsischen Schedewitz (FGBl 1, 1902, 125)

Diese relative Gleichgültigkeit in vielen Konsumgenossenschaften führte zu selbstkritischen Rückfragen. Gertrud David veröffentlichte 1905 eine stark nachgefragte Agitationsbroschüre für Arbeiterfrauen, in der sie einen Bogen von der Lebenssituation der Arbeiterin, den Zielen und Zwecken der Bewegung hin zur moralischen Verpflichtung zum treuen Einkauf spannte (Was bietet der Konsumverein der Arbeiterfrau?, Hamburg 1905 – Neuauflage ab 1909 unter dem bezeichnenden Titel Was bietet der Konsumverein der Hausfrau?). Franz Staudinger entwickelte daraus konkrete Rückfragen, die auch an seine Bemühungen im Frauen-Genossenschaftsblatt anknüpften, nämlich ob „die Sprache zu schwierig war, ob auf kurzem Raum zu viel zusammengedrängt wurde“. David habe sich für „die größte Kürze, die sorgsamste Auswahl des leichtverständlichen Stoffes und Gedankenzusammenhanges und die einfachste Darstellungsart“ entschieden. Sollte Arbeit, Leben und Konsum wirklich in leichter Sprache fassbar sei? Staudinger nahm stattdessen auch die Männer in die Pflicht, die mit ihren Frauen über die Verbindung von Konsum- und Arbeitssphäre reden sollten: „Der Riesenbaum der Gleichgültigkeit fällt noch weniger als andere auf einen Streich.“ (F[ranz] Staudinger, Was bietet der Konsumverein der Arbeiterfrau? Ein Werbebüchlein für die Frauen, KR 2, 1905, 1166-1167, hier 1166). Die Konsumgenossenschaften aber befanden sich in einer Zwickmühle, denn mit agitatorisch gebotener Vereinfachung wäre die Kritik theoretisch geschulter Marxisten wieder stärker geworden. Sie zielten daher eher auf direkte Aktionen, die Werbung vor Ort, das Gespräch mit dem Nachbarn, der Nachbarin – und die Überzeugungskraft von Waren und Preisen. All das wirkte, doch zugleich wurde die beschränkte Schlagkraft des Frauen-Genossenschaftsblattes deutlich.

Wirkungen des Frauen-Genossenschaftsblattes

Diese beschränkte Schlagkraft resultierte erst einmal aus der nur langsamen Steigerung der Auflage. Gewiss, eine Druckauflage von 153.000 Exemplaren beim Start einer Zeitschrift war außergewöhnlich, doch die Zukunftserwartungen waren entsprechend. Von 1902 bis 1907 stieg die Zahl der fest abonnierten Blätter um fast 50% von 115.000 auf 171.682, doch dies entsprach lediglich dem Wachstum der Konsumvereinsmitglieder.

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Fest abonnierte Auflage des Frauen-Genossenschaftsblattes 1902-1907 (zusammengest. n. Spiekermann, 1995, 162)

Trotz steter Werbung und regelmäßigen Ermahnungen durch die Verbandsspitze konnte der Quotient zwischen Auflage und Mitgliederzahl reichsweit nicht gesteigert werden. Er betrug 1903 23%, d.h. eine Zeitschrift für jedes vierte Mitglied, erreichte 1906 mit 25% einen Höchstwert, um 1907 mit 22,5% unter den Ausgangswert zu sinken. Da Einzelabonnements trotz niedriger Bezugspreise eher selten waren, hing der Bezug von den Leitungen der einzelnen Konsumgenossenschaften ab – und die blieben in ihrer Mehrzahl zurückhaltend. Anfang 1903 orderten lediglich 300 Vereine das Frauen-Genossenschaftsblatt, 1904 270, 1905 dann 258 und 1906 schließlich 309 (Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine 1, 1903, 163; ebd. 5, 1907, T. 1, 172). In der Mehrzahl der Konsumgenossenschaften war das Frauen-Genossenschaftsblatt demnach nicht verfügbar.

Die Auflage stieg zwar, blieb jedoch hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück, war begrenzt von breiter Ablehnung innerhalb der Konsumgenossenschaftsbewegung. Der hochtönende Idealismus der Anfangszeit wog dadurch noch schwerer, war das Frauen-Genossenschaftsblatt zwar erfolgreich, nicht aber „ein fruchtendes Denkmal genossenschaftlicher Treue“ (FGBl 1, 1902, 6). Die Auflage galt jedoch als Indikator für den Erfolg, wurde von der sozialdemokratischen Presse auch entsprechend präsentiert (Simon Katzenstein, Genossenschaftliche Rundschau, Die Gleichheit 15, 1905, 82-83, hier 82; Gertrud David, Genossenschaftsbewegung, Sozialistische Monatshefte 10, 1906, 337-338, hier 337). Die Kraft einer unaufhaltsam wachsenden Bewegung konnte am Frauen-Genossenschaftsblatt aber nicht wirklich festgemacht werden. Entsprechend unterblieben die anfänglich gestreuten Erfolgsnachrichten bald, nach denen das Gewicht der 1902 erschienenen Ausgaben 33 Tonnen betragen und alle Seiten eine Linie von Hamburg bis nach Mailand ergäben hätten (FGBl 2, 1903, 23). Für derartige Tonnenideologie fehlte der begeisterte Widerhall.

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Deutsche Vorzeigekonsumgenossenschaft: Zentrale von „Vorwärts“ Dresden (FGBl 3, 1904, 21)

Welche Wirkung billigte man dem Frauen-Genossenschaftsblatt dennoch zu? Es galt vorrangig als Agitationsinstrument, sollte das ideelle Moment stärken und die Einkaufstat anregen: „Die Frauen müssen für die Konsumgenossenschaftsbewegung geistig interessiert werden, dieselbe muss ein fester Bestandteil ihres täglichen Gedankenkreises und ein liebes Gesprächsthema werden. Wenn das der Fall ist, dann stellt auch die »Bedenksamkeit« sich mehr und mehr ein, und die Herren Geschäftsführer unserer Vereine werden mit vergnügtem Schmunzeln steigende Ziffern des Durchschnittsumsatzes in ihren Jahresberichten feststellen“ (Heinrich Kauffmann, Zur Agitation für Konsumvereine, WGEG 7, 1900, Nr. 21, 2-3, hier 2). Neben derartige Intensivierung trat jedoch auch die Mitgliederwerbung, also die Extensivierung. Das Frauen-Genossenschaftsblatt war ein Werbemittel, sollte die Bewegung repräsentieren, sie attraktiv erscheinen lassen (Heinrich Kaufmann, Die deutsche Konsumgenossenschaftsbewegung im Jahre 1904, KR 1, 1904, 1390-1392, hier 1391). Diese doppelte Zielsetzung wurde auch seitens der bürgerlichen Frauenbewegung geteilt (Dokumente der Frau 6, 1901/02, Nr. 18 v. 15.12., 520), die zugleich die politische und religiöse Neutralität hervorhob und weitergehende „Kunstfragen und Arbeiten künstlerischer Natur“ (Dokumente der Frauen 7, 1902/03, Nr. 1 v. 1. April, 19).

Innerhalb der Konsumgenossenschaftsbewegung galt es zugleich aber auch als Abwehrinstrument, mit dem man der Agitation der Gegner trotzen, den Verlockungen der Einzelhändler begegnen konnte: „Es ist den Verwaltungen der Konsumvereine nicht möglich, alle die auf die Genossenschaften niederhagelnden Angriffe einzeln zu widerlegen, weil sie dazu die Zeit nicht haben und ihnen oft auch eine Zeitung am betreffenden Orte nicht zur Verfügung steht. […] Darum kann es den Verwaltungen der Konsumvereine nicht dringend genug empfohlen werden, über das gerade zum Zwecke der Konsumentenerziehung geschaffene Organ, das ‚Frauen-Genossenschaftsblatt des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine‘, einzuführen und an die Mitglieder der Vereine zu verteilen“ (Systematische Konsumentenerziehung, KR 1, 1904, 1371-1372, hier 1372). Dies schien auch deshalb wichtig, da viele Konsumgenossenschaften – im Gegensatz zu den Einzelhändlern – keine Anzeigen in den lokalen Tageszeitungen schalteten, und ihre Argumente daher geringen publizistischen Widerhall erzeugten (Max May, Wie ist die Presse für die Konsumvereine nutzbar zu machen?, KR 2, 1905, 1355-1356). Diese Abwehraufgabe betraf die Frauen in besonderem Maße, denn „gerade unsere Frauen bedürfen der Schulung, Aufklärung und Aufmunterung gegenüber den gegnerischen Einflüssen, denen sie ja am meisten ausgesetzt sind“ (P. Straelen, Praktische Kleinarbeit, KR 3, 1906, 3-5, 28-29, hier 4). Das Frauen-Genossenschaftsblatt war damit auch männlicher Schutz von Frauen in ihrer Sphäre, der der Hauswirtschaft und des Einkaufens.

Wirksam war das Frauen-Genossenschaftsblatt aber auch als eine Nachrichtenbörse abseits des täglichen Einkaufs. Dieser war zwar vom Plausch mit anderen Mitgliedern geprägt, doch schon der eigentliche Einkaufsakt kündete nicht von der Größe der Genossenschaft, sondern diente dem raschen Abarbeiten des eigenen Einkaufszettels. Der Eintritt in eine Konsumgenossenschaft erfolgte vielfach aufgrund der günstigeren Preise, der jährlichen Rückvergütung und des lokalen Arbeitermilieus. Die den Leitungskadern vorschwebende Binnenwelt der Genossenschaften blieb unbekannt, wurde im Alltag auch wenig thematisiert. Das galt beispielsweise für die ausgeprägte Sprachpolitik. Schon „Rückvergütung“ ersetzte den ehedem gängigen, jedoch „kapitalistischen“ Begriff der „Dividende“. Der „Laden“ wurde „Abgabestelle“ genannt, „Gewinn“ mutierte zu „Ersparnis“. Dutzende Begriffe des Geschäftslebens wurden so umdefiniert, viele erfolgreich, manche erfolglos (etwa „Schaffner“ und „Schaffnerin“ anstelle von „Verkäufer“ und „Verkäuferin“) (KR 2, 1905, 402). Auch im Frauen-Genossenschaftsblatt wurde die konsumgenossenschaftliche Sprache vielfach verwandt, teils auch erläutert, wurde damit den Lesern direkt und indirekt nahegebracht. Die Wirkung derartiger Sprachspiele blieb jedoch begrenzt. Wichtiger waren wohl warenkundliche Hinweise, die innerhalb des Blattes vielfach allgemein gehalten waren. Es ging um Qualitätskriterien, um Maße und Gewichte, um Verpackungen und die Gefahr von Lebensmittelzusätzen. Hinzu kamen Informationen über die Produktwelt der Konsumgenossenschaften, die ja nicht überall gleich war, da ein Großteil der Waren nicht von der GEG geliefert wurde. Die neuen Eigenprodukte wurden vorgestellt, zugleich die Eigenproduktion der Konsumgenossenschaften angeregt. Neben dieser Binnenwelt des Zentralverbandes stand jedoch auch das alltägliche wirtschaftliche Leben, über das die Alltagspresse ja nur rudimentär berichtete: „Viele genossenschaftliche Fragen von großer Wichtigkeit gelangen entweder nicht oder nur teilweise und unvollständig zur Kenntnis unserer Mitglieder: ich erinnere nur an die Steuerfrage, Revisionsverbände, Einkaufsvereinigungen, die allgemeinen Anschläge unserer Gegner, Rabattsparvereine, Dividendenjägerei usw.“ (Math[ias] Pellender, Zur Pressfrage, KR 2, 1905, 402-403, hier 403). Das Frauen-Genossenschaftsblatt bot in diesen Fällen Ordnungswissen, wenngleich es unklar ist, ob diese Rubriken auch gelesen wurden.

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Vorstellung erster Eigenmarken der GEG: Kakao- und Teeverpackungen (FGBl 2, 1903, 6 (l.) und 38)

Doch das Frauen-Genossenschaftsblatt wirkte nicht nur nach innen, sondern ebenso nach außen. Das galt sowohl für die politischen Gegner der Sozialdemokratie als auch für die wirtschaftlichen Wettbewerber der Konsumgenossenschaften. Für Konservative und das Zentrum war die neue Zeitschrift eine Gefahr, Ausdruck der Zersetzung von Staat und Familie: „Nistet sich auf diese Weise die Sozialdemokratie sogar am häuslichen Herde ein, so ist natürlich auch jede Schutzwehr gegen den Einfluß der Sozialdemokratie auf das heranwachsende Geschlecht niedergerissen“ (Die Frau und der Sozialismus, Vorarlberger Volksblatt 1904, Nr. 129 v. 9. Juni, 1). Derartige Ablehnung war aber auch Teil eines Lernprozesses, konstatierte man doch, dass diese an sich feindliche Presse „sehr geschickt geleitet“ (Wirtschaftspolitik der Sozialdemokratie, Leipziger Tageblatt 1903, Nr. 382 v. 30. Juli, 1) sei. So würdigte die zentrumsnahe Leipziger Volkszeitung den „frischeren Zug“ innerhalb der Konsumgenossenschaften seit Gründung des Zentralverbandes 1903, würdigte das Frauen-Genossenschaftsblatt als Teil breiter Bemühungen um weibliche Mitglieder: „Wir meinen, die Detaillisten sollen an diesem Berichte [Jahresbericht des Zentralverbandes, US] nicht achtlos vorübergehen. Er zeigt evident den Vorteil zentralisierter, genossenschaftlicher, zielbewußter Arbeit“ (Der Zentralverband deutscher Konsumvereine, Sächsische Volkszeitung 1905, Nr. 161 v. 17. Juli, 1). Einzelhandelsvertreter beobachteten die neue Zeitschrift in der Tat recht genau, auch wenn sie – spiegelbildlich zu den Konsumgenossenschaften – ihrerseits die „Angriffe“ und die Agitation in den Vordergrund stellten: Heinrich Beythien (1873-1952), Vorsitzender der deutschen Rabattsparvereine, einer Selbsthilfeorganisation gegen Konsumvereine und das „Großkapital“ im Handel, kritisierte das Frauen-Genossenschaftsblatt entsprechend hart: „Dieses Blatt lobt alle Einrichtungen der Konsumvereine über den grünen Klee, während es andererseits an Handel und Gewerbe des Mittelstandes kaum einen guten Faden läßt. Wenn man nicht wüßte, daß die Konsumvereine des Zentralverbandes unter sozialdemokratischer Leitung stehen, dann würde der Ton, der in dem Genossenschaftsblatte angeschlagen wird, es beweisen. Diesen Hetzereien müsse energisch entgegengearbeitet werden“ (5. Verbandstag der Rabatt-Spar-Vereine Deutschlands, Badische Presse 1907, Nr. 338 v. 24. Juli, 1). Abseits derartiger Rhetorik regte er jedoch an, auch seitens der Rabattsparvereine eine entsprechende Zeitschrift zu gründen. Dies misslang, unterstrich jedoch die Prägewirkung, die das Frauen-Genossenschaftsblatt abseits der Konsumgenossenschaften entfaltete. Auch der Einzelhandel wandte sich nun stärker an die nun langsam wahrgenommenen Kunden. Kundenzeitschriften, vermehrte Werbung und ein verstärkter Zusammenschluss von Einzelhändlern, etwa zu Einkaufsgenossenschaften, waren die Folge. Die Konsumgenossenschaften sollten ihren Vorsprung gegenüber der Konkurrenz jedoch bis weit in die Weimarer Republik zumindest behaupten können. Das lag auch an massiven Fortbildungsbemühungen innerhalb der Organisation, die auch weibliche Mitglieder und Verkäuferinnen umfassten. Es ging eben nicht um die kommerzielle „Verdummung der unteren Volksschichten“ (Otto Lindecke, Genossenschaftliche Erziehungsarbeit in Deutschland und England, KR 1, 1904, 1291-1292, hier 1291), sondern um deren Bildung – auch durch das Frauen-Genossenschaftsblatt.

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Brot, Rosen – und Stiefmütterchen: Titelvignette (FGBl 3, 1904, 121)

Die Frage nach dessen Wirksamkeit muss den Blick schließlich auf die Entwicklung der weiblichen Mitglieder in den Konsumgenossenschaften des Zentralverbandes lenken. In absoluten Zahlen war das Wachstum beträchtlich, stieg von 1903 31.796 Frauen über 1904 67.285, 1905 67.366 und 1906 71.853 auf 1907 91.107 (Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine 6, 1908, T. 1, 378). Relativ bedeutete dies eine anfangs beträchtliche Steigerung von 6,3% 1903 auf 13,6% 1904. Dann aber sank der Frauenanteil, erreichte 1907 nur 12,3%. Diese Entwicklung resultierte vorrangig aus dem veränderten rechtlichen Rahmen, sodann aus dem Austritt vieler männlicher Unterbeamte und städtischer Angestellter nach der Gründung des „roten“ Zentralverbandes. Die Annahme, dass die höhere Zahl weiblicher Mitglieder auch auf das Frauen-Genossenschaftsblatt zurückzuführen gewesen sei, tritt demgegenüber in den Hintergrund.

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Männliche und weibliche Mitglieder im Zentralverband Deutscher Konsumvereine 1903-1907 (zusammengest. n. Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine 6, 1908, T. 1, 378)

Das mag allerdings auch mit dem zunehmend realitätsfernen Frauenbild einiger Mitarbeiter zusammenhängen. Aus den selbstbewussten Arbeiterfrauen der Anfangszeit wurden teils betreuungsbedürftige Hausfrauen, die in einer Weise angesprochen wurden, die viel über das patriarchale Denken im späten Kaiserreich aussagt. Ein Beispiel mag genügen: „Siehst Du, liebe Leserin und treue Hausfrau, hier findest Du ein reiches Feld stiller opferfreudiger Agitation. Keine großartigen Aktionen sind es, die Dir hier zugemutet werden, nein, es ist das still im Verborgenen blühende Veilchen treuer Pflichterfüllung, opferfreudiger Erziehung im genossenschaftlichen Geiste, das Du hegen und pflegen sollst am häuslichen Herde, still und unscheinbar, aber darum desso [sic!] wirksamer ist diese Agitation so recht Deinem Wesen angepaßt. Gehe hin und wirke!“ (P. Straelen, Genossenschaftliche Agitation unserer Hausfrauen, FGBl 4, 1906, 42-43, hier 43) Wer so schrieb, schrieb für imaginierte Mütterchen, nicht aber für selbstbewusste Mitstreiterinnen.

Agitation und Frauenfrage: Das Ende des Frauen-Genossenschaftsblattes

Die interne Kritik am Frauen-Genossenschaftsblatt nahm 1905 deutlich zu, intensivierte sich 1906 und auf dem 4. Genossenschaftstag des Zentralverbandes beschloss man am 17. Juni 1907 dessen Ende. Ende? Nun, es sollte verwandelt, als „Konsumgenossenschaftliches Volksblatt“ mit neuer Kraft und anderem Konzept fortgeführt werden. Die Gründe für das Ende des Frauen-Genossenschaftsblattes waren gewiss nicht finanzieller Art, denn die Herausgabe war, zumindest für die 1904 gegründete Verlagsanstalt des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine, profitabel. Die Einnahmen betrugen 1905 46.174,68 M und 1906 49.857,50 M, die Ausgaben 1905 28.634,42 M und 1906 30.758,62 M (Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine 5, 1907, 176). Für den Gewinn hätte man fast 20.000 Exemplare abonnieren können.

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Des Lebens Kreislauf: Titelvignette (FGBl 1, 1902, 41)

Das Frauen-Genossenschaftsblatt scheiterte vorrangig an den hohen Erwartungen der Leitungskader, denen die lokalen Konsumvereine nicht entsprachen. Die 50-prozentige Steigerung der Auflage schien zu gering, zumal die Art der Verteilung den eigentlichen Auftrag teils ad absurdum führte: „Nicht immer dem eigenen Triebe, sondern vielfach der Not gehorchend, wurden so und so viele hundert oder tausende ‚Frauen-Genossenschaftsblätter‘ bestellt und in die Verkaufsstelle gelegt, wo die schemamäßig in einem wie im anderen Verein an alle verteilt wurden oder liegen blieben, ohne Nutzen gestiftet zu haben, höchstens hin und wieder noch in den Generalversammlungen der Agitation dienend“ (Die Verbreitung des „Konsumgenossenschaftlichen Volksblattes“, KR 4, 1907, 1381). Das Frauen-Genossenschaftsblatt scheiterte demnach an der Gleichgültigkeit bzw. dem moderaten Widerstand in den durchweg von Männern geleiteten Einzelvereinen. Die regionale Verbreitung differenziert dieses Bild, ändert es aber nicht. Demnach lagen die Abonnements vor allen in Brandenburg, Thüringen, Nordwest- und Süddeutschland deutlich unter dem Durchschnitt, während mitteldeutsche, sächsische und rheinisch-westfälischen Konsumgenossenschaften überdurchschnittlich orderten (Jahrbuch des ZDK, 6, 1908, 365). Ein klares Muster ergibt sich hieraus nicht, zu breit war die kaum ausgesprochene Ablehnung durch die lokalen Leitungsgremien.

Sie wollten offenbar eine andere Agitationszeitschrift, in einer neuen Form „als in der jetzigen ausschliesslich auf die Gewinnung der Frauen zugespitzten“ (Gertrud David, Genossenschaftsbewegung, Sozialistische Monatshefte 11, 1907, 488-490, hier 490). Das Frauen-Genossenschaftsblatt schien zu eng angelegt, zu stark geprägt von einer Pionierrolle der einkaufenden Frauen. Sie schien ein Theoriegespinst zu sein, in der sozialen Realität nicht auffindbar. Pointierter formuliert: Das Frauen-Genossenschaftsblatt scheiterte an seiner relativen Modernität, mochte die anfängliche Hinwendung zu den Frauen auch patriarchalisch-gönnerhaft geprägt gewesen sein. Vor diesem Hintergrund war die abnehmende Zahl von Autorinnen und das Vordringen scheinbar überholt-männlicher Geschlechterbilder ein Versuch der Neujustierung angesichts einer unbefriedigenden Resonanz auf Seiten der Arbeiterfrauen.

Das neue „Konsumgenossenschaftliche Volksblatt“ sollte die Belange der Frauen weiterhin berücksichtigen, doch sein Kern die Agitation für die großenteils geschlechtslos gedachten Genossenschaften selbst sein. Angesichts der weiterhin zu erwartenden Gewinne stand eine Einstellung nicht zur Debatte, auch die derweil gewachsene Zahl lokaler Werbe- und Informationsblätter machte eine zentrale Publikation aus Sicht des Zentralverbandes erforderlich. Die Erwartungen an das neue Druckerzeugnis wurden gleichwohl weiter hochgeschraubt, gewissermaßen der moralische Preis für die moderate Kurskorrektur der Genossenschaftsspitze. Heinrich Kaufmann gab als Ziel „mindestens 300.000“ (Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine 5, 1907, T. 1, 172) Exemplare vor. Ob dies realistisch war, stand 1907 in den Sternen: „Es wird der Versuch zu machen sein, ob sich ein solches Massenorgan bewährt. Ob der Erfolg die eminenten Kosten eines solchen Massenorgans rechtfertigt und ob ein solches Organ die bereits in den verschiedenen Vereinen vorhandenen Vereinsorgane ersetzen kann, bleibt dahingestellt“ (J. Dejung, Der weitere Ausbau der Organisation, KR 4, 1907, 508-509, hier 508).

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Das Element der Bewegung: Zierbordüre (FGBl 6, 1907, 69)

Um die hochgesteckten Ziele zu erreichen, band man die genossenschaftlichen Revisionsverbände stärker ein, reservierte ihnen pro Ausgabe eine Spalte. Formal sollte sich wenig ändern: Es blieb bei 24 achtseitigen Ausgaben pro Jahr, den lokalen Vereinen wurde bei Interesse weiterhin die letzte Seite zur Verfügung gestellt. Der Neuerscheinung im Januar 1908 ging jedoch eine beispiellose interne Werbekampagne voraus. Eine Probenummer wurde gedruckt und an alle Vereine ohne Abonnement verschickt. Wiederholte Aufforderungen folgten, nun endlich zur Tat zu schreiten. Um die Verweigerer zu überzeugen, wurden gar neuartige statistische Berechnungen durchgeführt, die zeigen sollten, dass Abonnenten des Frauen-Genossenschaftsblattes höhere Umsatzsteigerungen aufzuweisen gehabt hätten als Nichtabonnenten (Rich[ard] Pflug, Abonnieren wir für unsere Mitglieder das „Konsumgenossenschaftliche Volksblatt“?, KR 4, 1907, 1406-1407, hier 1406). Am Ende war die Zahl der abonnierenden Vereine auf 415 gestiegen, also auf einen Anteil von knapp 40%. 198.312 Exemplare waren sicher abonniert, d.h. 22,5% der Einzelmitglieder konnten ein Exemplar erhalten (Jahrbuch des Zentralverbandes Deutscher Konsumvereine 6, 1908, 364). Das war enttäuschend – und ließ grundsätzlichere Fragen nach dem Engagement vor Ort aufkommen.

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Titelinformation des Konsumgenossenschaftlichen Volksblattes (Konsumgenossenschaftliches Volksblatt 1, 1908, 1)

Das neue Agitationsorgan wurde vom Sozialdemokraten August Müller (1873-1946) geleitet, kurz danach Vorstandsmitglied des Zentralverbandes und nach der Novemberrevolution erster Reichswirtschaftsminister (damals Staatssekretär im Reichswirtschaftsamt). Seine programmatischen Worte hoben sich von denen Heinrich Kaufmanns deutlich ab. Dem Frauen-Genossenschaftsblatt billigte er zu, „immer strebend sich bemüht“ (Zum Geleit, Konsumgenossenschaftliches Volksblatt 1, 1908, 1-2, hier 1) und seine begrenzte Mission erfüllt zu haben. Nun aber appellierte er an „die Pflicht, die Einheit des Genossenschaftsgedankens und der Genossenschaftstat zu lehren.“ Es gelte die bestehenden Probleme zu überwinden, „Indolenz und Trägheit, Kleben am Althergebrachten in den Reihen der Konsumenten, gärenden Haß und wütende Feindschaft beim Händlertum, das sich in seinem Anrechte auf ungestörte Ausnutzung der Konsumenten bedroht sieht [… Das Konsumgenossenschaftliche Volksblatt, US] will helfen, die Schar der bereits den Konsumgenossenschaften gewonnenen Mitglieder zu vergrößern, es will zu seinem Teil alles was es mag, dazu beitragen, daß aus organisierten Konsumenten überzeugte Genossenschafter werden, es will die Gegner beobachten, ihre Methoden studieren, ihre Waffen prüfen und Argumente zu ihrer Bekämpfung liefern“ (ebd., 2). Massenagitation war die neue Zielsetzung. Und die Frauen? Man vergaß sie nicht, denn es gab die regelmäßige Kolumne „Unseren Frauen“, in der Haushaltswinke, Rezepte und kleine Artikel dominierten. Der Erfolg blieb anfangs hinter den Erwartungen zurück, doch die wachsende Stärke der Konsumgenossenschaftsbewegung allgemein, des Zentralverbandes im Besonderen, führten schon nach wenigen Jahren zu deutlichem Umsatzwachstum. Das „Konsumgenossenschaftliche Volksblatt“ wurde ein Vorzeigeprojekt der modernen Massenpresse. Doch das ist eine andere Geschichte.

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Das Frauen-Genossenschaftsblatt als Beginn konsumgenossenschaftlicher Massenpresse: Auflagenentwicklung 1902-1932 (zusammengest. n. Spiekermann, 1995, 162)

Eine abgeschlossene Geschichte?

„In Ihrer Hand, geehrte Frau, liegt die Zukunft“ (Kauffmann, Geehrte Frauen, 1902, 2) – von diesem Tenor blieb innerhalb der Konsumgenossenschaftsbewegung wenig erhalten, auch wenn der Frauenanteil an den Mitgliedern auf knapp 20% Ende der 1920er Jahre steigen sollte. Die Konsumgenossenschaften blieben eine patriarchale Organisation, mochte die lokale Genossenschaftskultur auch stark von Frauen geprägt worden sein. Leitungsfunktionen blieben fast durchweg Männern vorbehalten, Heinrich Kaufmanns Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der GEG listete im Bildanhang lediglich Männer auf (Die Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine […], Hamburg 1919). Publizistisch wandte man sich von den Arbeiterfrauen ab, beschwor nun die Hausfrauen, deren Stellung tradierte Geschlechterstereotype prägten (viel Freude bei Hans Legi, Meine Frau und der Konsumverein, Konsumgenossenschaftliches Volksblatt 4, 1911, 133 sowie August Metzinger, Die Frau in der Genossenschaft, Der Konsumverein 15, 1922, 33 (der Zeitschrift des zentrumsnahen Reichsverbandes Deutscher Konsumvereine)). Auch Ende der 1920er Jahre lehnte der Zentralverband Doppelmitgliedschaften oder aber die Übertragung der Mitgliedschaft vom Mann auf die Frau, „lediglich um weibliche Mitglieder in den Aufsichtsrat, in die Vertreterversammlung usw. gewählt zu erhalten“ (Robert Schweikart, Das konsumgenossenschaftliche Fortbildungswesen, Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine 27, 1929, Bd. III, hier 106-114, hier 113) klar ab. Schließlich böten sich der Frau innerhalb der Konsumgenossenschaften genügend Tätigkeitsfelder: „Der Mann ist von Natur aus Träger des Organisationsgedankens, ist Kämpfer, Streiter mit den Widersachern seiner Wirtschafts- und Kulturinteressen. Das ist oft ein unschönes Handwerk, das Ausdauer und starke Nerven erfordert. Die Frau ist die mit Gefühl und Empfindungen ausgestattete Sachwalterin des Haushalts, ist Erzieherin der Kinder, hat auch nicht selten viele hauswirtschaftliche Sorgen zu bannen, und schon darum ist die Zahl der Frauen, die im öffentlichen, auch genossenschaftlichen Leben praktisch mitwirken können, sehr beschränkt. Eine gewisse Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau tut sich da auf, die auch wir respektieren müssen“ (ebd., 114). Die Genossenschaftsidee schien in Gänze vornehmlich Männern zugänglich – daran änderten in den 1920er Jahren auch die zahlreichen Frauenversammlungen und die Gründung einer Frauengilde innerhalb des Zentralverbandes nichts (vgl. Spiekermann, 1995, 174).

Vor diesem Hintergrund markierte das Frauen-Genossenschaftsblatt ein kurzes Zeitfenster des Aufbruchs, mochte es auch patriarchal gedacht gewesen sein. Frauen wurden in ihrer Rolle als Akteurinnen des Konsums angesprochen, ihre aktive Mitarbeit beschworen. Das schuf grundsätzlich Handlungsräume, mochte der Blick primär auf den Konsumvereinsumsatz diese auch beengen. Die ab 1903 sich langsam von der Arbeiterfrau auf die Hausfrau verlagernde Perspektive und die abnehmende Zahl von Mitarbeiterinnen schufen jedoch auch Enttäuschungen. Adele Gerhard wandte sich von den Konsumgenossenschaften ab und widmete sich schon vor ihrem Übertritt zum Protestantismus einer ethischen Kultur, fernab der Enge des Arbeiterinneneinkaufskorbes. Fanny Imle trat 1904 aus der SPD aus, konvertierte zum Katholizismus, promovierte und wurde 1912 Franziskanerin. Die Zahl der vielen unbekannten Konsumgenossenschafterinnen, die über das sich schließende Zeitfenster enttäuscht waren, dürfte deutlich größer geworden sein. Frauen blieben innerhalb der Bewegung zwar die personifizierte Einkaufskraft, doch das blieb eine ebenso inhaltsleere Abstraktion wie etwa der vielbeschworene König Kunde der Privatwirtschaft.

Das Frauen-Genossenschaftsblatt war gewiss keine führende Zeitschrift des Kaiserreichs, doch als populäres Blatt für arbeitende Frauen und Männer war sie einzigartig. Es ging um das Einkaufen für eine bessere Welt, um ein Arbeiten, Leben und Konsumieren, das den hehren Ansprüchen von Gleichheit, Gerechtigkeit und Würde entsprechen sollte. Die damaligen Konsumgenossenschaften standen für einen Aufbruch, der die ökonomischen Kernkonflikte der Gesellschaft noch ernst nahm und zugleich gespeist war von einer Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Sie standen am Anfang einer langen Suche nach einem verantwortbaren moralischen Konsum, der heute gewiss ebenso wichtig ist wie 1902, als Heinrich Kaufmann die Gestaltung der Zukunft in die Hände der Frauen legte.

Uwe Spiekermann, 30. Dezember 2020

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