Wie funktionierte NS-Propaganda? Die historische Forschung über diese für das Verstehen des Nationalsozialismus zentrale Frage ist nach wie vor dominiert von den großen politischen Inszenierungen, also der Selbstdarstellung des Regimes. Doch eine Propaganda des Nationalsozialismus gab es nicht, eben so wenig wie eine Verfolgung, eine Gewalt, eine Sprache, eine Kunst und eine Werbung. Der Nationalsozialismus war modern – und daher vielgestaltig. Dies war entscheidend für die mörderische Dynamik des Regimes, für seinen irritierenden Zusammenhalt bis zur totalen Niederlage. Die Vorstellung einer NS-Propaganda verdeckt daher mehr als sie enthüllt.
Das liegt auch daran, dass Propaganda eben nicht spezifisch nationalsozialistisch war und ist, sondern ein Grundelement moderner technischer Gesellschaften (Jacques Ellul, The Technological Society, New York 1964 [französisches Original von 1954]; ders., Propaganda. Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird, Frankfurt/M. 2021 [erstmals 1962]). Propaganda im engeren Sinne entstand in demokratischen Gesellschaften, vorwiegend in Großbritannien, Frankreich und den USA im späten 19. Jahrhundert. Propaganda war nicht vorrangig politisch, sondern Notwendigkeit einer effizienten arbeitsteiligen Gesellschaft, ermöglichte dem Einzelnen Orientierung, koordinierte Individuen und Gruppen, verringerte die Kosten des verzahnten Miteinanders unterschiedlicher Interessen, unterschiedlicher Praktiken. Ein beträchtlicher Teil der nationalsozialistischen Propaganda findet sich – wenngleich in modifizierter Form – auch in anderen Staaten wieder. Denken Sie an Verkehrserziehung, Brandschutz, Zivilverteidigung, Hygiene, Gesundheitsfürsorge, Sparsamkeitsappelle und vieles andere mehr. Dies macht die Frage nach dem Besonderen, gar dem Spezifischen der NS-Propaganda nochmals schwieriger (Daniel Mühlenfeld, Was heißt und zu welchem Ende studiert man NS-Propaganda?, Archiv für Sozialgeschichte 49, 2009, 527-559; Stefan Scholl, Für eine Sprach- und Kommunikationsgeschichte des Nationalsozialismus. Ein programmatischen Forschungsüberblick, Archiv für Sozialgeschichte 59, 2019, 409-444).
Will man genauer hinschauen, will man die Bindekraft des Nationalsozialismus präziser verstehen, so ist daher zudem eine detaillierte Analyse einzelner Kampagnen des Staates, der NSDAP und der nationalsozialistischen Zivilgesellschaft erforderlich. Wie funktionierte die Winterhilfe der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt? In welchem Kontext standen Verbrauchslenkung und Kampf dem Verderb? Welche Bedeutung besaßen die inner- und außerbetrieblichen Kampagnen der Deutschen Arbeitsfront? Wie wurde deutsche Kultur definiert, präsentiert und genutzt? Wie änderte sich die Propaganda während des bewusst herbeigeführten Krieges? Solche genaueren Blicke sind erforderlich, um Verbindungen zu knüpfen zwischen Alltagsproblemen und ihrer propagandistischen Einfärbung. Sie sind aber auch erforderlich, weil sich die stets eingeforderte nationalsozialistische Moral hierin stärker spiegelte als in den Marschkolonnen auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände oder den Redeinszenierungen im Reichstag. Dabei stellt sich die Frage, wie man mit gebotener analytischer Distanz aus den ja bewusst öffentlichen Quellen schöpfen kann. Die nationalsozialistische Propaganda war eben nicht geheim, Führer suchten Volk, offerierten Orientierung, zielten auf ein effizienteres Handeln im Sinne des Regimes.
Doch auch dann gilt es weiter zu fragen, genauer zu analysieren. Die in der damaligen publizistischen Wirkungsforschung noch prägende Vorstellung von eindeutigen Sendern und eindeutigen Empfängern, von klar abgrenzbaren, gleichsam für sich stehenden und zu analysierenden Kampagnen ist hochgradig fraglich. Nicht nur, dass sie aufeinander aufbauten, das immer Gleiche in immer neuer, immer wieder variierter Form präsentierten. Die Kampagnen selbst standen nicht für sich, sondern wurden aufgegriffen, fortgeführt, dadurch genutzt und popularisiert. Just innerhalb der offiziellen Propaganda gab es bewusst eröffnete Freiräume, die dann regimenah, regimedienend genutzt wurden. Wer bei Kampagnen wie Groschengrab (1938/39) oder Roderich das Leckermaul (1939) allein auf die überschaubare Zahl der offiziellen Zeichnungen und Comicstreifen blickt, verkennt Breite und Bedeutung dieser propagandistischen Anstrengungen. Sie erschließen sich erst, wenn auch die umkränzenden Artikel und Rezepte, Bildgeschichten und Gedichte in die Analyse mit einbezogen werden. Dies aber fehlt in der historischen Forschung, entsprechend eng ist und bleibt die Analyse der NS-Propaganda.
Der vorliegende Beitrag wird an einem an sich wenig bedeutsamen regionalen Beispiel untersuchen, wie innerhalb einer NS-Propagandakampagne solche Weitungen und Häutungen erfolgten. Als Bezugsrahmen dient die wichtigste, kostenträchtigste und wahrscheinlich besterinnerte Kampagne während des Zweiten Weltkrieges. Kohlenklau war seit Ende 1942 allgegenwärtig. Eine bedrohlich-groteske Figur wurde genutzt, um in steter Abfolge und mit immer wieder anderen Akzenten zentrale Probleme der Kriegswirtschaft zu adressieren, um zugleich aber auch zu unterhalten, dem Ernst Humor unterzumengen. Doch dabei blieb es nicht, denn es entstanden dezentral zahlreiche weitere Unterkampagnen, von denen hier die der Wasserplansche, der imaginierten Frau des Kohlenklaus, beispielhaft hervorgehoben werden wird.
Kohlenklau – Konturen einer unterschätzten Kampagne
Die Kohlenklau-Kampagne wird in der historischen Forschung immer mal wieder erwähnt, doch sie dient in den Darstellungen der Kriegsgeschichte vornehmlich als kolorierendes Beiwerk, wird kaum gesondert untersucht. Auch genauere Untersuchungen schielen, denn sie verfolgen andere, ihrerseits durchaus wichtige und spannende Fragestellungen. Der Regisseur und Comicverleger Ralf Palandt stellte Kohlenklau unlängst in den Kontext zahlreicher Energiesparmaßnahmen der Nachkriegszeit (Ralf Palandt, Propaganda-Figuren: vom Kohlenklau zum Wattfraß, in: Eckart Sackmann (Hg.), Deutsche Comicforschung. Register der Bände 2005-2024, Leipzig 2023, 6-18). Fachwissenschaftlich näher sind die Arbeiten des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Reinhold Reith (Reinhold Reith, Kohle, Strom und Propaganda im Nationalsozialismus: Die Aktion „Kohlenklau“, in: Theo Horstmann und Regina Weber (Hg.), „Hier wirkt Elektrizität“. Werbung für Strom 1890-2010, Essen 2010, 142-157). Erst 2023 ergänzt und erweitert, geht es in seinen Beiträgen jedoch nicht vorrangig um Propaganda, sondern um die breiter gefasste Ressourcenpolitik des NS-Regimes (Reinhold Reith, Die »Kohlenkalamität« und der »Kohlenklau«. Kohle in der Ressourcenpolitik des »Dritten Reiches«, in: Lutz Budraß, Torsten Meyer und Simon Große-Wilde (Hg.), Historische Produktionslogiken technischen Wissens, Münster und New York 2023, 107-137; ders., Stromsparen/Kohlenklau (1943). Propaganda in der Kriegswochenschau, in: Nicolai Hannig, Annette Schlimm und Kim Wünschmann (Hg.), Deutsche Filmgeschichten, Göttingen 2023, 69-75). Reith liefert wichtige Informationen zum Kriegsalltag, zur Kohlenknappheit im eiskalten Winter 1939/40, der Kürzung der ohnehin engen Hausbrandversorgung um 10 Prozent erst 1942 und dann nochmals 1943, zur dann folgenden Kohlennot 1944/1945 – und analysiert all dies als Teil der Konsumgeschichte des Weltkrieges. Die Darstellung der Kampagne selbst ist allerdings lücken-, teils fehlerhaft; wohl auch, weil die herangezogenen Quellen lückenhaft sind. Die Geschichte des Nationalsozialismus ist eben keineswegs „ausgeforscht“. Insbesondere die zunehmend digitalisierten Tageszeitungen erlauben vielfältige tiefere Einblicke nicht nur in das lokale Geschehen. Sie bilden eine wichtige Erweiterung zu den – im Bereich des Reichsministeriums für Propaganda und Volksaufklärung – großenteils vernichteten Archivalien.

Stete öffentliche Präsenz: Litfaßsäule in Münster und Kohlenklau-Plakat (Westfälische Tageszeitung 1943, Nr. 23 v. 24. Januar, 5 (l.); Tagebuch einer Straße. Geschichte in Plakaten, hg. v. d. Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Wien 1981, 251)
Blicken wir nun genauer auf die Kohlenklau-Kampagne, die nach Aussage des Journalisten und Sprachstilisten Wolf Schneider (1925-2022) „ein öffentliches Anliegen geschickt“ personifizierte, „in der zutreffenden Annahme, daß dies mehr Sparsamkeit bewirken würde, als abstrakt vor ‚Verschwendung‘ zu warnen“ (Wolf Schneider, Wörter machen Leute. Magie und Macht der Sprache, München und Zürich 1976, 162). Die Figur war markant, etwas Neues: „Das rechte Auge geschlitzt wie eine Katze, die mausend und miauzend durchs Dunkel streift, das linke aufgeblendet wie den Kegel einer diebisch zuckenden Taschenlampe ins finster Schleichende haltend, – ha, so duckt er sich dahin, der Millionendieb. Seine Faust ist schwarz, seine Kappe sitzt bedrohlich, sein Schnurrbart sträubt sich gefährlich. Man möchte ihm nicht im Dunkel begegnen, diesem Burschen“ (Der Millionendieb, Hakenkreuzbanner 1942, Nr. 353 v. 22. Dezember, 3). Ihn einzuladen, in die Wohnung zu lassen, schien gefährlich, denn in seinem Sack verschwanden die Erträge völkischer Arbeit, Heizkraft, Dampfkraft, Gaskraft, Stromkraft.
Die Figur blieb in der Erinnerung haften, machte Karriere sowohl in der Nachkriegsliteratur (Günter Grass, Die Blechtrommel, 20. Aufl., Darmstadt und Neuwied 1983, 301ff.), als auch in Dutzenden Erinnerungen an die kriegsgebrochene Kindheit: „Der Kohlenklau war faszinierend, ängstigend und universal wie der schwarze Mann, mit dem man im Kleinbürgertum den Kindern Angst machte. Im kindlichen Bewußtsein muß er auch eine gewisse Verwandtschaft mit dem Wassermann besessen haben, der ja von den Grimms her bekannt war und sich beim Ablaufen des Badewassers grunzend bemerkbar machte. […] Aber Kohlenklau war jemand; ein Bild des Volksschädlings, der dem eigenen Volk in einer Zeit, wo jedes Brikett gebraucht wurde, in den Rücken fiel“ (Dieter Hoffmann-Axthelm, Das Kind und der Kohlenklau. Erinnerungsfunde 1943-1945, in: Johannes Beck et al. (Hg.), Terror und Hoffnung in Deutschland 1933-1945. Leben im Faschismus, Reinbek b. Hamburg 1980, 315-321, hier 320). Solche Veröffentlichungen waren bereits reflektiert, spiegelten auch daher nur unzureichend die Faszination des Ungeheuers: „Da ist er wieder! / Sein Magen knurrt, sein Sack ist leer, / und gierig schnüffelt er umher. / An Ofen, Herd, an Hahn und Topf, / an Fenster, Tür und Schalterknopf / holt er mit List, was Ihr versaut. / Die Rüstung ist damit beklaut, / die auch Dein bißchen nötig hat, / das er jetzt sucht in Stadt und Land. / Fasst ihn!“ (Horst Bosetzky, Brennholz für Kartoffelschalen. Roman eines Schlüsselkindes, München 1997, 12) Ja, man sollte ihn fassen, sein Handeln an die Imperative des schon lange vor Stalingrad ausgerufenen totalen Krieges sparend anpassen. So wie 1938/39 bei Groschengrab. Doch fern der reflektierten Erinnerung blieb da eine Faszination am Abweichler, an einer Figur, die all das tun durfte, was in der Drangsal des Krieges nicht geboten schien. Das vom humoristischen NS-Zeichner und späterem Tagesspiegel-Karikaturisten Hans Kossatz (1901-1985) gezeichnete Groschengrab wurde aus diesem Grunde populär. Das galt auch für Kohlenklau, dessen Abenteuer (wenngleich ohne Quellenhinweise) heute noch (wenngleich nur zum Teil) einfach greifbar sind (energieverbraucher.de | Im Energiesparmuseum: Der Kohlenklau: Energiespar-Propaganda im Zweiten Weltkrieg).
Kohlenklau hatte viele virtuelle Vorläufer in den zahllosen, seit dem Vierjahresplan 1936 verstärkt einsetzenden Appellen an Sparsamkeit und Ressourcensensibilität in der nationalsozialistischen Mangelökonomie. Ende 1940 bündelten der Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung, der Reichskohlekommissar, die Reichsarbeitsgemeinschaft Holz und die Reichsarbeitsgemeinschaft Schadenverhütung diese zu einer ersten reichsweiten Kampagne für sparsames Heizen, visualisiert durch den freundlichen Kobold „Flämmchen“. Bis Ende 1942 wurden von der Deutschen Arbeitsfront offiziell 150.000 Männern in den „Schulgemeinschaften“ der „Heize Richtig“-Kampagne angelernt, die häuslichen Brandstätten möglichst energiearm laufen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Vorbereitungen für eine neue, dieses Mal jedoch weit umfassendere Kampagne zum Energiesparen, längst begonnen.
Vertreter der „Kohlen-, Energie- und Gaswirtschaft“ hatten Anfang Mai 1942 eine Energiesparpropaganda für mindestens zwei Millionen Reichsmark angeregt, die ab dem 15. Juli 1942 in drei gesonderten Wellen die „Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit der Bevölkerung beim Kohle-, Gas- und Energieverbrauch“ beheben sollte (Propagandavorschlag für eine Sparaktion bei Kohle, Energie und Gas v. 6. Mai 1942, Bundesarchiv Lichterfelde, NS 18/138, Bl. 23-33, hier 32). Das war aufgrund der Kriegslage, der angespannten Personal- und Materialsituation der deutschen Energiewirtschaft und auch der Lieferverpflichtungen gegenüber Verbündeten durchaus geboten, doch angesichts der bereits strikten Hausbrandrationierung schien der NSDAP-Reichsleitung folgenloses Mahnen eher problematisch. NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann (1900-1945) monierte am 20. Juli: „Dergleichen könnte leicht wie Hohn wirken! Die Bevölkerung hat ja nur ungenügend Kohle, kann also alles anders als verschwenden. […] An dieser Propaganda-Aktion werden wir uns aus genanntem Grund nicht beteiligen! Wir wollen uns nicht lächerlich machen“ (Vorlage. Betrifft: Kohlenwirtschaft; Versorgungslage v. 15. Juli 1942, ebd., 15-17, hier 17). Die Reichsministerien rangen in der Folge weiter darum, die vom Reichsrüstungsminister Albert Speer (1905-1981) geforderten Einsparungen sicherzustellen: Aktivierung der Hausfrauen zum Gas- und Elektrizitätssparen, verstärkter Einsatz von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen mit auskömmlichen Rationen oder größere Transportkapazitäten – die Lösung des Ressourcenmangels glich der Quadratur des Kreises (vgl. insb. Ministervorlage von Tieseler v. 31. Juli 1942, ebd., Bl. 9-10).
Die Kohlenklau-Kampagne wurde schließlich vom Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung in enger Kooperation mit den Reichspropaganda- und Reichsrüstungsministerien durchgeführt, durch die Interessenvertretungen der Energiewirtschaft vielfach gefördert (Heinrich Lepthien, Kohlenklau und seine ersten Lebenstage, Die Deutsche Werbung 36, 1943, 75-79). Sie war reichsweit getaktet, die Presseanweisungen diktierten regelmäßige und – fast bis zum Schluss – vollständige Anzeigenserien.

Deutsche Mahnsprüche – Begleitreime der frühen Kohlenklau-Kampagne (Solinger Tageblatt 1942, Nr. 297 v. 18. Dezember, 3 (l. o.); Nr. 302 v. 24. Dezember, 4; 1943, Nr. 4 v. 6. Januar, 3 (l. u.); Nr. 5 v. 7. Januar, 3 (r. o.); Nr. 9 v. 12. Januar, 3 (r. M.); Nr. 15 v. 19. Januar, 3 (r. u.))
Ab dem 7. Dezember 1942 erklangen im Rundfunk einschlägige Durchsprüche, also kleine, nicht allzu billige Werbejingels, in denen freundlich mahnend Ratschläge für die kleinen Verbesserungsmöglichkeiten im Alltag gegeben wurden. Nachhaltiger waren gewiss die ab dem 10. Dezember 1942 in der Tagespresse geschalteten Mahnsprüche. Bis Ende Januar finden sich mindestens zwanzig einheitlich umsäumte Reime: „Der spart an Gas, der sehr geschickt / zwei Töpfe aufeinanderrückt!“ (Straßburger Neueste Nachrichten 1942, Nr. 346 v. 15. Dezember, 5) Die eigentliche Kampagne begann mit dem Auftritt des zuvor nicht benannten Protagonisten in der seit dem 19. Dezember 1942 abgedruckten Einführungsanzeige „Wer ist Kohlenklau?“

„Die Jagd auf Kohlenklau geht los!“: Einstiegsanzeige und erstes Motiv der Serie „Kohlenklau’s schmähliche Niederlage“ (Stuttgarter NS-Kurier 1942, Nr. 348 v. 19. Dezember, 6 (l.); Hakenkreuzbanner 1942, Nr. 355 v. 24. Dezember, 5)
Theorie und Praxis waren fast deckungsgleich, innerhalb von vier Tagen war Kohlenklau Deutschlands Zeitungslesern bekannt (auch Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung 1942, Nr. 350 v. 20. Dezember, 3; Mittagsblatt 1942, Nr. 299 v. 21. Dezember, 7; Bochumer Anzeiger 1942, Nr. 300 v. 22. Dezember, 3, Hamburger Tageblatt 1942, Nr. 353 v. 23. Dezember, 3). Dazu diente aber auch der massive Flankenschutz durch bis zu 120.000 Plakate und eine gezielte Kinowerbung. Die imaginierte Hassfigur wurde durch das Würfel- und Brettspiel „Jagd auf Kohlenklau“ (Würfel- und Brettspiel), das Quartett „Sei schlau, sonst wirst du Kohlenklau“, durch Postkarten, Streichholzschachteln, Sammelmarken, Ankleber, Diapositive und vieles andere mehr verbreitet. Die Kosten hierfür stellten alle früheren Kampagnen weit in den Schatten, angesetzt waren im Winter 1942/43 5,4 Mio., im Sommer 1943 2,45 Mio. und im Winter 1943/44 5 Mio. Reichsmark (Reif, 2010, 149). Kohlenklau war eine multimediale Kampagne, bis 1944 wurden einschlägige Werbefilme produziert, waren Teil des gerade im Kriege üblichen Kinogangs (Kohlenklau – Animation 1944 (Will Dohm) – YouTube; Zugluft 1944 (Will Dohm) – YouTube). Den Kern aber bildeten, nicht zuletzt finanziell, die Anzeigenserien in Zeitungen und Zeitschriften.

Kampf gegen Kohlenklau: Beispiele aus der ersten und letzten Anzeigenserie (Badische Presse 1943, Nr. 16 v. 20. Januar, 4 (l.); Lippische Staatszeitung 1945, Nr. 72 v. 31. März, 3)
Die Kohlenklau-Kampagne wurde zu einem der seltenen Dauerläufer der NS-Propaganda, der ersten Serie folgten immer wieder neue. Das hatte mit der immer schwierigeren Ressourcenlage des NS-Regimes zu tun, aber auch mit der Attraktivität der an sich bedrohlichen Figur des Dauerdiebes. In den spätestens nach der Niederlage in Stalingrad immer dünneren, vor allem aber zunehmend bildarmen Zeitungen und Zeitschriften war Kohlenklau ein durchaus willkommener, das Einerlei durchbrechender Gast, mochte er auch an staatspolitisch zentrale Pflichten erinnern.
Die erste Serie „Kohlenklau‘s schmähliche Niederlage“ erschien vom Dezember 1942 bis zum April 1943 und umfasste zwanzig Einzelmotive, meist im wöchentlichen Abstand gedruckt. Die Nachfolgekampagne „Denk jetzt im Sommer schon an den Winter“ verzichtete auf den Kohlenklau, präsentierte die Alltagprobleme beim Energiesparen, vor allem aber bei der Pflege und Vorbereitung der Herde und Heizungen für die Winterzeit. Sie stand noch stark in der Tradition der Flämmchen- und der Heize Richtig-Kampagnen, erneuerte vielfach Ratschläge aus der vom Reichsausschuß für Volkswirtschaftliche Aufklärung in Millionenauflage verteilten 16-seitigen Broschüre „‚Flämmchen‘ antwortet auf die Frage: Wie heize ich richtig?“. Technische Zeichnungen dominierten die von Mai bis August 1943 laufende Kampagne, doch in den fünfzehn Anzeigen fanden sich lediglich zwei Männer, sieben Mal jedoch aktive Hausfrauen. Mindestens fünf gereimte Mahnsprüche flankierten die vorrangig auf den Kohleverbrauch zielende Serie.

Meisterdetektiv Styx auf Kohlenklaus Fährte (Die Bewegung 11, 1943, 62)
Kohlenklau trieb derweil weiter andernorts sein Werbewesen: Im Frühjahr 1943, genauer im März, setzte sich der Meisterdetektiv Styx viermal auf seine Fährte. Das dürfte auch eine Referenz an den im Jahr zuvor aktiven Detektiv Pelle gewesen sein, der gegen Schleichhandel und Wucher ermittelte, auch im Kleingarten und Kartoffelkeller nach dem Rechten sah. Gezeichnet vom NS-Karikaturisten Manfred Schmidt (1913-1999), war er eines der Vorbilder für seinen Meisterdetektiv Nick Knatterton, der ab 1950 ein kommerzieller, auch später mehrfach revitalisierter Erfolg werden sollte. Kohlenklau wurde durch solche Serien zunehmend populär, verlor seinen bedrohlichen Kern, wurde mahnender Alltagsbegleiter. Das unterstrich auch die zehnteilige Kampagne „Steckbrief Kohlenklau“, die Mitte 1943 ebenfalls in Zeitschriften erschien. Sie war aufwendig gestaltet, zielte auf ein sparsames Haushaltshandeln, rechnete dieses unmittelbar in Waffen um, die durch die nötige Achtsamkeit produziert werden konnten. Nun wurden auch verstärkt Pimpfe und Jungmädel auf das „Gespenst“ angesetzt, Beginn einer verstärkten Mobilisierung der Jugend für die energie- und kriegspolitischen Ziele des NS-Regimes (Müglitztal- und Geising-Bote 1943, Nr. 42 v. 8. April, 3).

Die Volksgemeinschaft als Karikatur: Fräulein Etepetete und Bruder Leichtfuß als Beispiele einer unernsten, doch bekehrungswilligen Bevölkerung (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 260 v. 6. November, 4 (l.); Schwarzwald-Wacht 1944, Nr. 42 v. 19. Februar, 4)
Derweil wurde Kohlenklau immer mehr zum Klamauk, zu einem kleinen Lacher mit ernstem Hintersinn. Die in den Tageszeitungen abgedruckte Serie „Kohlenklau‘s Helfershelfer“ setzte im Oktober 1943 ein, die zwanzig Motive erschienen bis März 1944. Altbesetzung Kohlenklau trumpfte in seiner bewährten Rolle als gieriger Energiedieb auf, doch interessanter waren die neuen Charaktere. Die Volksgemeinschaft erschien nicht mehr stählern, sondern voller unernster, selbstbezüglicher Typen, die Kohlenklaus Raubzug immer neue Chancen eröffneten. So sehr die Texte das Hauptthema der Energieverschwendung in immer neuen, doch altbekannten Weisen präsentierten, dürfte das Interesse vieler eher der nächsten ironisch gezeichneten Knallcharge gegolten haben: Direktor Hochglanz oder Frau Erstkommich, Ella Fassade oder Lilo Hastig erinnerten allgesamt an Bekannte und Freunde, ein wenig auch an einen selbst. Gemäß dem Ideal nationalsozialistischer Moral führte das zu einer Gesellschaft rücksichtsvoller, doch erforderlicher Korrekturanstrengungen – im Alltag aber etablierte sich eher eine Kultur des Neids und der Denunziation. Kohleklau war etablierter Propagandaakteur, er verlor jedoch seine Härte und sein anfangs intendiertes Grauen.

Vollbad als Fehlverhalten: Kohlenklaus Rechenbuch Nummer 9 (Illustrierter Beobachter 19, 1944, Nr. 12, 9)
Zwei weitere Einzelkampagnen schlossen sich an: Im Frühjahr 1944 knüpfte „Kohlenklau‘s Rechenbuch“ an die Steckbrief-Serie an. In den nicht mehr allzu vielen Zeitschriften wurde ressourcenintensives Fehlverhalten wieder in Rüstungsgüter umgerechnet – während parallel die Kriegswirtschaft in diesem Jahr in der Tat ihren höchsten Ausstoß erreichen sollte. Ab November 1944 folgte die abermals zwanzigteilige Zeitungskampagne „Waffen gegen Kohlenklau“. Der gierige Held erschien nun im Umfeld der Alltagsdinge; und Handfeger und Sodawasser, Hilfsbrikett und Kellerschlüssel halfen den Deutschen, den Energieverbrauch verlässlich zu begrenzen. Kohlenklau erschien als Getriebener, als stetig Fehlender, als ein Mime ohne Fortune. Nicht alle Motive kamen noch zum Abdruck, angesichts des nahenden Endsieges wurde die anfangs getreulich begonnene Einzelzählung nach kurzer Zeit aufgegeben. Doch die meisten verbliebenen Zeitungen druckten und druckten – wie parallel im Februar/März eine Reichsbahn-Kampagne über angemessenes Verhalten bei Fliegergefahr. Der NS-Staat sorgte, warnte und lenkte bis zum Ende des Schlachtens.
Künstler für das NS-Regime: Hans Landwehrmann
Soweit die immer wieder veränderte NS-Propaganda-Kampagne, die aber nur den kleineren Teil der Auftritte Kohlenklaus in Zeitungen und Zeitschriften umgriff. Bevor wir darauf eingehen, gilt es sich aber noch mit dem Zeichner der Kernkampagnen zu beschäftigen; auch wenn es auf den Druckwerken keine einheitliche Signatur gab. Hans Landwehrmann (1895-1976) bricht nämlich mit den so bequemen und zugleich so fraglichen Vorstellungen einer klar voneinander zu scheidenden Kultur der demokratischen Weimarer Republik und des nationalsozialistischen Regimes. Von den so gern als Vorläufer der demokratischen Bundesrepublik Deutschland präsentierten mehr als 1.250 Bauhausstudierenden blieben beispielsweise ca. 900 im Deutschen Reich. Von diesen engagierten sich nicht weniger als 188 in der NSDAP (Anke Blümm und Patrick Rössler, Bauhaus und Nationalsozialismus. Eine statistische Annäherung, in: dies. u. Elizabeth Otto (Hg.), Bauhaus und Nationalsozialismus, 2. Aufl., Weimar und München 2024, 72-77, insb. 75, 77).

Hans Landwehrmann zeichnet den Kohlenklau (Westfälische Zeitung 1943, Nr. 271 v. 18. November, 3)
Hans Landwehrmann wurde am 13. Oktober 1895 als Sohn des Küsters und Rendanten der Neustädter Marienkirche Hermann Heinrich Paul Landwehrmann (1857-1931) und seiner Gattin Johanne Wilhelmine Friederike, geb. Horstmann (1868-1941) in Bielefeld geboren (Ancestry Person; Adreß-Buch von Bielefeld 1894/95, 100; ebd. 1896, 111). Hans, geboren als Johannes Theodor Walter, war das dritte von vier Kindern, dem schon 1911 verstorbenen Hermann (*1889), Elisabeth (*1892) und Marianne (*1902) (Ancestry Person). Hans war schon früh zeichnerisch aktiv, Arbeiten des Fünfzehnjährigen wurden bereits gedruckt (Illustrationen zu Walter Schulte von Bruhl, Vom westfälischen Dorfe, Die Gartenlaube 58, 1910, 1083-1087). Er besuchte von 1912 bis 1914 die 1907 gegründete Staatlich-Städtische Handwerkerschule mit kunstgewerblichen Tagesklassen in Bielefeld, die anfangs vom Architekten und Mitbegründer des Deutschen Werkbundes Wilhelm Thiele (1873-[? 1945]) geleitet wurde. 1914 wechselte Landwehrmann an die Königliche Kunstakademie in Düsseldorf, wurde 1916 zum Kriegsdienst eingezogen, war bis Kriegsende Soldat. In Bielefeld wurde er dann Mitglied der Künstlergruppe „Rote Erde“, trat bei Ausstellungen als Landschaftsmaler hervor (Westfälische Zeitung 1920, Nr. 234 v. 11. Oktober, 5: Westfälische Neueste Nachrichten 1920, Nr. 152 v. 6. Juli, 2). Vor der Inflation war er in Dortmund tätig (s. unten), lebte dann zumindest kurzzeitig in Bremen (und bedingt Worpswede) (Handbuch des Kunstmarktes, Berlin 1926, 156), zeichnete ab Ende 1925 unter anderem für die sozialdemokratische Karikaturzeitschrift „Lachen Links“ (Volkswille 1925, Nr. 276 v. 25. November, 5: Lachen Links 3, 1926, 290, 366). Er siedelte nach Berlin über, wo er allerdings erst seit 1929 sicher nachweisbar ist (Amtliches Fernsprechbuch für Berlin und Umgegend 1929, 665). Auch dort pflegte er weiterhin kritische Kunst im Umfeld der Sozialdemokratie (Lübecker Volksbote 1931, Nr. 162 v. 15. Juli, Der Spatz, Nr. 29, 2). Landwehrmann gilt auch in der einschlägigen publizistischen Forschung als ein republikanischer Künstler (Frank Zeiler, Verfassungsbildsatiren zwischen Republikfeindschaft, Vernunftrepublikanismus und Republiktreue, Jahrbuch der Juristischen Zeitschrift 17, 2016, 395-435, hier 421, FN 104; Winfried Nerdinger und Ute Brüning, Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus, 1993, 46; Klaus Haese und Wolfgang U. Schütte, Frau Republik geht pleite. Deutsche Karikaturen der zwanziger Jahre, Leipzig 1989, 125, 127). Auch als Kunstmaler war er weiter aktiv, erreichte über die Illustrirte Zeitung ein gehobenes Massenpublikum (Tages-Post 1931, Nr. 295 v. 23. Dezember, 9).

Eigenwerbung des Graphikers Hans Landwehrmann 1932 und 1936 (Seidels Reklame 16, 1932, H. 1, XI; Gebrauchsgraphik 13, 1936, Nr. 11, 11)
Das Hauptgeschäft aber verlagerte sich auf die Werbung, wobei Landwehrmann nicht nur Markenartikelwerbung etwa für Blauring-Pfeifentabak, sondern auch Gemeinschaftswerbung für Bohnenkaffee oder aber Agrarwerbung für deutsches Obst und Gemüse gestaltete (Seidels Reklame 16, 1932, 109, 111, 113; Dokumente deutscher Werbearbeit: Der Gebrauchsgrafiker Hans Landwehrmann, Berlin, ebd. 195-197). Ob die Machtzulassung der NSDAP und ihrer nationalistischen Koalitionspartner für Landwehrmann einen tieferen Einschnitt bedeutete, ist unklar. Er arbeitete jedenfalls weiter als Werbegraphiker, zeichnete dabei auch weiterhin modern, wie etwa die Fotos und Zeichenfiguren verbindende Werbung für den Adressograph der kurz zuvor arisierten Adrema unterstrichen (Werben und Verkaufen 20, 1936, 290).
1942 beteiligte sich Hans Landwehrmann schließlich an der Ausschreibung für die Energiesparkampagne und gewann den ersten Preis. Dies gab relative Sicherheit, recht hohe Honorare, zudem öffentliches Renommee, wusste doch jeder: „Kohlenklau ist wohl im Augenblick die populärste Figur der deutschen Werbung“ (Ein Westfale schuf den ‚Kohlenklau‘, Die Heimat am Mittag 1944, Nr. 8 v. 11. Januar, 4). Ende 1943, Anfang 1944 präsentierten zahlreiche Artikel den „Vater“ Kohlenklaus. Seine Biographie wurde umgeschrieben, die Aufstiegsgeschichte eines Frontsoldaten präsentiert, der sich in Berlin als „Pressezeichner, Industriegraphiker, Buchillustrator“ durchgesetzt hatte (Hans Niemeier, Der Zeichner „Kohlenklaus“ Westfale, Bochumer Anzeiger 1943, Nr. 304 v. 28. Dezember, 3), der zugleich aber als Modell eines deutschen, eines kernig westfälischen Künstler diente: „Ein buntes, unruhiges Leben. Erfüllt von Arbeit und der Liebe zu allem Schönen, zur Musik, zur Literatur. Ein guter Goethe-Kenner, ein stiller Lyriker, Aphorismenschreiber – vor allem ein Mann voll warmer Menschlichkeit, ein alle Situationen meisternder Humor“ (Ders., Kohlenklaus Schöpfer, DGA. Generalanzeiger 1943, Nr. 350 v. 19. Dezember, 8; ähnlich ders., Der Zeichner „Kohlenklaus“. Hans Landwehrmann: Ein westfälischer Künstler, Westfälische Tageszeitung 1944, Nr. 5 v. 7. Januar, 3; gekürzt auch in Die Heimat am Mittag 1944, Nr. 8 v. 11. Januar, 4; Tremonia, Ausg. E, 1944, Nr. 6 v. 8. Januar, 3).
Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Spitzen der NS-Propaganda öffnete Landwehrmann zudem Türen zu weiteren Aufträgen. So entwickelte er eine positive Gegenfigur zum Energiedieb Kohlenklau. Der Knobelmann war „der als Vorbild herausgestellte Gefolgsmann, der nach der gewissenhaften Erledigung seines Tagespensums sich mit Verbesserungsvorschlägen befaßt, die die Arbeitskameraden anspornen wollen und neue technische Höchstleistungen anstreben. Auf dieser Linie liegt überhaupt die Arbeit Landwehrmanns, der sein künstlerisches Schaffen vorbehaltlos kriegswichtigen Dingen zugewendet hat. Er zeichnet Figuren, die den Gedanken propagieren, alles zu tun und nichts zu unterlassen, um den Sieg zu erreichen“ (Kohlenklau sieht in den Spiegel, Die Glocke, Ausg. D, 1944, Nr. 316 v. 30. November, 4). Knobelmann erlangte während der NS-Zeit keine größere Bedeutung, doch in der DDR wurde Oskar Knobelmann Vorreiter einer Knobelmann-Bewegung für Verbesserungsvorschläge (Sozialistische Finanzwirtschaft 15, 1961, 219): „Sei ein Knobelmann, / streng Dein Köppchen an, / hilf, / wo man helfen kann“ (Elise Riesel, Lexikalische Auflockerung als Stilmittel und als sprachliche Umnormung, in: Probleme der Sprachwissenschaft. Beiträge zur Linguistik, The Hague und Paris 1971, 477-485, hier 482). Die Figur war Teil einer regimeübergreifenden Brigade der Verbesserer, stand Seit an Seit mit Bastelfritz, Kollege Denkmit, Peter Grips, Kollege Tüftel, Frieda Findig oder auch der Brigade Zack.
Nach 1945 knüpfte Landwehrmann ohne größere Brüche an seine Arbeit als Gebrauchsgraphiker in den 1930er Jahren an, zuerst in Essen (Adreßbuch Essen-Mülheim 1953, 428; Charlotte Fergg-Frowein, Kuerschners Graphiker-Handbuch. Deutschland, Österreich, Schweiz, Berlin/W. 1959, 101), ab 1957 dann in Frankfurt/M. (Dies., Dass., 2. erw. Aufl., Berlin/W. 1967, 169; Amtliches Fernsprechbuch […] Frankfurt am Main 1957, 176). Hans Landwehrmann, der nach 1945 unter dem Namen Johannes Landwehrmann arbeitete, illustrierte anfangs auch Jugendbücher (Die Raabe-Post, Berlin 1950). Er starb am 9. November 1976. Zu Kohlenklau und seiner Rolle als Zeichner der wichtigsten NS-Propagandakampagne der Kriegszeit hat er sich nicht näher geäußert. Dabei lautete doch ein Kohlenklau-Werbeslogan: „Halt dir den Spiegel vor’s Gesicht…“.
Alliierte Pendants: Sparsamkeit als Teil jeder Kriegsanstrengung
An diesem Punkt enden die üblichen Darstellungen von NS-Propagandakampagnen, denn deren Konturen, deren zeithistorischer Kontext, deren Macher wurden benannt. Drei Aspekte sind jedoch zwingend zu ergänzen, um einer solchen propagandistischen Anstrengung gerecht zu werden. Erstens fehlt eine vergleichende Perspektive, die über die Grenzen des Deutschen, des Großdeutschen Reiches hinausweist. Mitte 1943 wurde in Großbritannien „Squander Bug“ von der Kette gelassen, eine kleine, mit Hakenkreuzen übersäte Wanze, die vor überbordender Verschwendung warnte und britische Konsumenten dazu bringen sollte, stattdessen britische Kriegsanleihen zu kaufen (Paradox of the Squander Bug, Britain 3, 1943, 20-22). Entwickelt vom Graphiker Phillip Boydell (1896-1984) und lanciert von der bereits während des Ersten Weltkriegs aktiven National Savings Movement, wurde das tuschelnde Ungeheuer im Deutschen Reich als „eine kleine Anleihe bei der so erfolgreichen deutschen Kohlenklaufigur“ präsentiert und als Methode „der geschäftlichen Reklame“ denunziert (Grosse Reklame zur Deckung der Kriegskosten, Illustrierter Beobachter 19, 1944, Nr. 23 v. 8. Juni, 3).

Alliierte Kohlenklau-Pendants: Squander Bug in den USA (l.) und Großbritannien (Gwiadzda Zachodu 1944, Nr. 10 v. 3. März, 4 (l.); Evening Star 1943, Nr. 3671 v. 30. November, A-03)
Squander Bug wurde in Australien, vor allem aber in den USA aufgegriffen und als Propagandafigur neu gestaltet (Diana Noyce, The Squander Bug: Propaganda and its Influence on Food Consumption in Wartime Australia, in: Mark McWilliams (Hg.), Food & Communication, London 2016, 305-318). In den Vereinigten Staaten beauftragte die War Finance Division des Finanzministeriums keinen geringeren als den Karikaturisten und Kinderbuchautoren Dr. Seuss, Theodor Seuss Geisel (1904-1991), mit der Vorlage für eine wie in Großbritannien multimediale Propagandakampagne (Charles D. Cohen, The Seuss, the whole Seuss, and nothing but the Seuss. A visual biography of Theodor Seuss Geisel, New York 2004, 254-257; The „Squander Bug”, Monthly Bulletin. Interdepartmental War Savings Bond Committee 1944, No. 2, 10). Trotz breiter Akzeptanz erreichten Kohlenklaus alliierte Pendants jedoch nie die Alltagspräsenz des deutschen Diebes. Umgekehrt bezichtigte der US-amerikanische Schriftsteller John Scott Landwehrmann (ungerechtfertigt), seine Figur an den Stil des US-Karikaturisten Peter Arno (1904-1968) angelehnt zu haben, einem der bekanntesten Zeichner der Zeitschrift „The New Yorker“ (John Scott, Europe in Revolution, Boston 1945, 164). Für unsere Argumentation ist dieses Hin und Her wichtig, da es die Frage nach dem spezifisch nationalsozialistischen Charakter Kohlenklaus nochmals schärfer stellt. All diese Figuren waren Antigeneralisierungen von Kriegsnotwendigkeiten, mochten sie sich auch formal und in Bezug auf ihre spezifischeren Zielsetzungen deutlich voneinander unterscheiden.
Kleinkampagnen: Markenartikelhersteller präsentieren Kohlenklau
Die stete Abfolge immer neuer Kampagnen und auch die Lagebeurteilen des Sicherheitsdienstes der SS zeugen von einer insgesamt positiven Aufnahme der Propaganda: „Die Energie-Sparaktion („Kohlenklau“-Propaganda) hat […] fast überall eine gute Aufnahme gefunden. „Kohlenklau“ sei rasch eine volkstümliche Figur geworden, und sehr häufig werde beobachtet, daß Volksgenossen sich, wenn irgendwo ein Fenster oder eine Tür offen steht, gegenseitig durch den Zuruf: „Kohlenklau“ zum Sparen anhalten. Die zeichnerische Gestaltung des „Kohlenklau“ sei recht originell und die Knittelverse sowie die übrigen Texte recht gelungen. Vor allem die Jugend habe ihren Spaß daran und trage viel dazu bei, die Gestalt und die damit verbundenen Sparparolen durchzusetzen“ (Meldungen aus dem Reich, Bd. 12, Herrsching 1984, 4718). Diese Meldungen unterstrichen zugleich eine differenzierte Beurteilung der Propaganda. Rundfunksendungen galten als Kinderkram, das propagierte Turmkochen wurde schon deshalb belächelt, weil es im mächtigen Deutschen Reich nicht mehr genügend Töpfe dafür gäbe. Bei Strom und Gas könne man wohl noch sparen, nicht aber bei der Kohleheizung. Bezeichnend war auch eine bemerkenswerte Umdeutung der Kampagne: „Die breiten Schichten der Bevölkerung bezögen deshalb den Appell zum Sparen nicht so sehr auf sich und meinten, daß in der ‚Kohlenklau-Propaganda‘ nicht nur Beispiele dafür gebracht werden sollten, wie noch mehr gespart werden könne, sondern vor allem solche Beispiele, die eine regelrechte Verschwendung sichtbar machten und den Aufruf zum Sparen deutlicher an die Kreise richteten, die es in erster Linie angeht“ (Ebd., 4719). Kohlenklau spiegelte demnach auch die allseits bekannte und hinter der Hand strikt kritisierte Korruption und den Protz führender NS-Repräsentanten.
Anderseits entsprach die Kohlenklau-Kampagne den Vorstellungen der zwar regulierten und gelenkten, durchaus aber noch eigenständigen Privatwirtschaft. Es ging um die Herstellung einer völkischen Effizienzgemeinschaft, die sich im Angesicht der Krise bewährte, die individuelle Bedürfnisse zurücknahm, um den Rüstungs- und Kriegsanstrengungen zu genügen. Kohlenklau verkörperte ein schon in den Rationalisierungsdebatten der Weimarer Zeit stetig präsentes Ideal unternehmerisch rationaler Mittelverwendung: „Heute arbeitet man so nicht mehr. Heute soll man aber auch auf Kohlenklau achten“ (Maurerschweiß, Hakenkreuzbanner 1943, Nr. 22 v. 22. Januar, 4). Der einzelne Arbeitnehmer, insbesondere aber die im Gegensatz zu disziplinierten Betriebsgemeinschaften noch undisziplinierten Hausfrauen sollten dies endlich umsetzen: „Hausfrauen sollen heute nicht nur Kochfrauen, sondern Kochkünstlerinnen sein, auch was das Ersparen des Brennstoffes betrifft, dann kommen wir alle mit kleinsten Rechnungen auf unsere Rechnung, nur Kohlenklau nicht“ (Schwarz auf weiß, Straßburger Neueste Nachrichten 1943, Nr. 313 v. 12. November, 6). Auch der Alltag sollte effizient umgestaltet werden, das alte Mittelstandsideal von Leben und Leben lassen war veraltet. Selbstmobilisierung war just im Kleinen erforderlich, etwa bei nicht schließenden, zugigen Türen: „Dann malte ich, der Untermieter, zwei Schilder und hing sie draußen und drinnen an die Tür: Zugemacht, ist halb gelacht! Sei du schlau, nieder mit’m Kohlenklau!“ (Selbstgespräch, Hakenkreuzbanner 1943, Nr. 45 v. 14. Februar, 4) Kohlenklau war daher viel mehr als ein neugewandter schwarzer Mann. Er fungierte als eine Art schlechten Gewissens, erlaubte damit Kritik an gängigen Handlungen, ohne jedoch die eigentlichen Akteure bloßzustellen. Nicht die Hausfrau, die dumme, unaufmerksame, ließ den Eintopf zu lange kochen, sondern es war Kohlenklau (Der Führer. Aus der Ortenau 1943, Nr. 52 v. 21. Februar, 6). Man wusste, dass Anleitung und Lenkung achtsam erfolgen musste, wertschätzend. Die tägliche Denunziation und Volksschädlingsexekutionen gehörten gewiss zur Realität des NS-Regimes, doch der verpackte Hinweis war weiter verbreitet, bekam just dadurch Gewicht.
Es ist daher nicht überraschend, dass ab Februar 1943 die Markenartikelindustrie Kohlenklau nutzte, um einerseits ihre Anzeigen mit einer attraktiven Werbefigur zu zieren, andererseits ihr Effizienzideal gegenüber den Konsumenten hochzuhalten. So breit die Kohlenklau-Kampagne auch sein mochte, so wurde sie zahlenmäßig von der nun einsetzenden privaten Kohlenklau-Werbung deutlich übertroffen. Mit dieser Neugestaltung der Unternehmenskommunikation arbeiteten die Unternehmen dem Führer entgegen, folgten dabei aber immer auch eigenen Zwecken. Angesichts zumeist hoher Kriegsgewinne war zielgerichtete Kooperation mit dem NS-Staat unternehmerisch rational: „Auf fast allen hier genannten Gebieten ist die Privatwirtschaft in der einen oder andern Form im Sinne der Staatsinteressen mit tätig“ (Alfred Helzel, Der RVA und die private Wirtschaft, Werben und Verkaufen 27, 1943, 123-124).

Sparsamkeit bei Zahnpasta und heißem Wasser: Solidox-Werbung mit Kohlenklau (Junge Welt 5, 1943, H. 5/6, III (l.); Das Deutsche Mädel 1943, Nr. 11/12, III (M. o.), Illustrierter Beobachter 19, 1944, Nr. 18, 9 (M. M.); Das Deutsche Mädel 1943, H. 7/8, IV (M. u.); ebd. 1944, H. 5/6, 20)
Ein Beispiel mag genügen: Solidox war eine seit 1935 im Deutschen Reich als Mittel gegen Zahnstein vermarktete Zahnpasta (Deutscher Reichsanzeiger 1935, Nr. 215 v. 14. September, 7). Sie war Teil des Markenportfolios von Unilever resp. Elida und profitierte ab 1938 von den neuen Absatzchancen im großdeutschen Markt. Angesichts der strikten Regulierung des Fettmarktes, aber auch aufgrund der nichtdeutschen Kapitaleigner agierte die Berliner Solidox Gesellschaft für Zahnhygiene mbH regimenah, unterstützte die allgemeine Propaganda für Volks- und Zahngesundheit. 1943 gab es die allseits üblichen Produktionskürzungen und Lieferschwierigkeiten, doch Kohlenklau machte die Anzeigenwerbung staatspolitisch wichtiger. Die neuen Motive zielten dabei unter anderem auf eine Abkehr vom Zähneputzen und Gurgeln mit heißem Wasser – eine den meisten Nachgeborenen wohl bereits völlig undenkbare Praxis. Der Schlagschatten sparsamen Kriegshandelns war lang.

Markenartikelwerbung mit Kohlenklau 1942-1945: Eine Auswahl aktiver Unternehmen
Untersucht man die Anzeigen in den Zeitungen und Zeitschriften ab Anfang 1943, so findet man dutzende Firmen mit ähnlichen Kohlenklau-Kampagnen. Die Übersicht enthält zwei Dutzend Firmen, ist aber unvollständig. Das Hamburger Unternehmen Beiersdorf, „entjudet“ und regimetreu (Alfred Reckendrees, Beiersdorf. The Company behind the Brands NIVEA, tesa, Hansaplast & Co., 96-138, allerdings ohne Eingehen auf die Kriegswerbung), stellte schon im März 1943 sein Sortiment in den Dienst der Kohlenklau-Kampagne (Solinger Tageblatt 1943, Nr. 55 v. 7. März, 7; ebd., Nr. 61 v. 14. März, 8). Neben die Markenartikelwerbung einzelner Firmen trat zudem Gemeinschaftswerbung mit Kohlenklau. Angesichts dieser breit gefächerten Aktivitäten erscheint Kohlenklau nicht mehr länger als Kampagne staatlicher Akteure und der Energiewirtschaft, sondern auch als privatwirtschaftliche Anstrengung. Der Blick vorrangig auf die staatliche NS-Propaganda verkennt und verdeckt ihre zunehmend breitere Trägerschaft.
Wasser als zunehmend gefährdetes Grundgut
Das Effizienzideal der Kohlenklau-Kampagne konzentrierte sich auf den Umgang mit Kohle, Strom und Gas, griff jedoch von Anbeginn darüber hinaus. Ressourcenschonendes Handeln ist im Idealfall nur schwer zu begrenzen, führt zu allgemeiner Sparsamkeit. Entsprechend gab es immer wieder Anklänge, den Verbrauch auch von Grundgütern wie Wasser auf das notwendige Maß zu reduzieren. In der staatlichen Kohlenklau-Kampagne wurde mehrfach eine mit Warmwasser gefüllte Badewanne gezeigt. Ähnliches galt auch für die eigenständige Fortführung der Propaganda in den Werkszeitungen der Industrie. Diese zeichneten, wie im folgenden Bild des Mannheimer Landmaschinen- und Rüstungsproduzenten Lanz, ihren eigenen Kohlenklau, modifizierten den Ressourcendieb für ihre eigenen Zwecke.

Kohlenklau als Wasserdieb: Serienmotiv und Fortzeichnung der Serie in der Industrie (Straßburger Neueste Nachrichten 1943, Nr. 41 v. 10. Februar, 4 (l.); Energie 22, 1943, H. 7/8, IV)
Wasser war 1942/43 an sich genügend vorhanden, die Trinkwasserversorgung funktionierte, die Qualität war ausreichend. Der immer stärkere Druck der alliierten Bomberangriffe unterstrich jedoch, dass sich dies rasch ändern konnte, denn die an sich geltenden völkerrechtlichen Regeln waren für alle kriegsführenden Parteien längst Makulatur. Das von den Talsperren und Wasserreservoirs im Sauerland und in Waldeck abhängige Ruhrgebiet sollte dies zu spüren bekommen, nachdem Spezialeinheiten der britischen Royal Air Force in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 die Eder- und Möhnetalsperren massiv treffen konnten. Knapp 1.600 Menschen, darunter mehr als eintausend Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, wurden bei dieser Operation Chastise durch Wassermassen und ihre Folgeschäden getötet. Die Wasserversorgung wurde erheblich beeinträchtigt, Notmaßnahmen und Rationierungen waren die Folge. Auch wenn die Angriffe ihre strategischen Ziele nicht erreichen konnten, und die Wasserversorgung Ende Juni 1943 wieder vollständig hergestellt war, wurde Wasser zu einem öffentlichen Thema.

Wasserknappheit als Drohung: Temporäre Versorgungseinrichtungen nach der Zerstörung der Eder- und Möhnetalsperre durch die Royal Air Force am 17. Mai 1943 (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 117 v. 21. Mai, 5)
Der recht trockene Sommer 1943 verschärfte die Versorgungssituation. Seit August 1943 begannen im Rhein-Ruhrgebiet neuerlich Kampagnen für das Wassersparen. Getragen vor allem von den jeweiligen Stadtwerken beinhalteten sie zumeist praktische Ratschläge für Hausfrauen und Haushalte – und knüpften dabei vielfach an die Kohlenklau-Motive an: Die Wanne sollte nur zum Teil gefüllt werden, das damals noch eher unübliche Duschen sei eine gute Alternative. Das Warmwasser für Heißgetränke und das Spülen sollte vorab ausgemessen werden (Lippische Staatszeitung 1942, Nr. 208 v. 2. August, 5): „Wer Wasser spart, spart Kohle!“ (Annener Zeitung 1943, Nr. 55 v. 6. März, 3) Und auch beim Wassersparen galt: „Jeder Tropfen Wasser, der im Haushalt nutzlos abfließt, fehlt an wichtiger Stelle für die Rüstung“ (Wasser sparen!, Rheinisch-Bergische Zeitung 1943, Nr. 193 v. 19. August, 3). Die regionale Propaganda appellierte an Einsicht und Rücksichtnahme. Ein echter Deutscher könne sich auf die berechtigten Belange der Volksgemeinschaft einrichten, seinen eigenen Bedarf einsichtig zurückfahren (Wie kann man Wasser sparen?, Langendreerer Zeitung 1943, Nr. 186 v. 11. August, 4). Diese Selbstzucht, diese Pflege der technischen Infrastruktur sei kriegswichtig: „Wasser sparen bedeutet Beihilfe zum Endsieg!“ (Aachener Zeitung 1943, Nr. 188 v. 16. August, 4) Die andauernde Trockenheit ließ die Vorgaben bedrohlicher werden, Verschwendung würde „im Sinne der bestehenden gesetzlichen Vorschriften geahndet werden“ (Spart mit dem Wasser! Eine saisonbedingte Mahnung, Völkischer Beobachter 1943, Nr. 237 v. 25. August, 3). Freiwillige Einschränkungen könnten vor „Zwangsmaßnahmen“ bewahren (Es bleibt beim freiwilligen Energiesparen, Aachener Zeitung 1943, Nr. 224 v. 27. September, 4). Adressat all dessen war vorrangig die Hausfrau (Auch die Hausfrau hilft mit!, Lippische Staatszeitung 1943, Nr. 253 v. 15. September, 3). Im Betrieb würde ohnehin gespart, doch auch der Hausfrauenarbeitsplatz dürfe nicht schwimmen.

Wasserplansche und Kohlenklau im Hochzeitsornat (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 262 v. 9. November, 5)
Vor diesem Hintergrund erscheint das Auftauchen der Wasserplansche nachvollziehbar. Ein neues Ungetüm, eine Ausgeburt der Verschwendung. Doch als sie am 9. November 1943 erstmals gedruckt wurde, just zwanzig Jahre nach dem in München zusammengeschossenen „Blutmarsch“ der Hitler-Bewegung und ihrer Bündnisgenossen, hatte sie Kohlenklau an ihrer Seite. Der galt als bedrohlich, war als Monster und Feind eingeführt worden. Das wurde auch der Wasserplansche nachgesagt, doch richtig ernst zu nehmen war das offenbar nicht: „Kohlenklau / Ei, wie schlau, / Nimmt sich eine reiche Frau. / Wasserplansche ist der Name / Dieser wassergier’gen Dame. / Er stiehlt Kohlen, Licht und Gas, / Ihr macht’s Wasserplanschen Spaß. / Wasserplansch und Kohlenklau, / Dieser Mann und diese Frau, / Sind im Kriege böse Geister, / Im Verschwenden große Meister. // Sollten sie sich mal verstohlen / Bei euch neue Beute holen, / Sperrt sie ein und laßt sie flittern, / Bis sie ihre Strafe wittern. / Denn Strafe folgt, das ist doch klar – Für dieses saub’re Ehepaar“ (Treliko, Kohlenklau macht Hochzeit, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 262 v. 9. November, 5). Obacht, Volksgenossen, war der Tenor der neuen Kampagne. Doch angesichts der schon viele Wochen laufenden Großkampagne „Kohlenklau’s Helferhelfer“ war tiefer Ernst auch in bedrohlicher Kriegslage kaum mehr aufzubringen.
Die Wasserplansche war eine Erfindung der Redaktion der nationalsozialistischen Parteizeitung „Westfälische Landeszeitung – Rote Erde“ in Dortmund. Die „Westfälische Landeszeitung. Rote Erde“ war seit dem 30. Januar 1934 die Parteizeitung der NSDAP und amtliche Zeitung des Gaus Westfalen-Süd. Sie folgte auf den „General-Anzeiger für das gesamte rheinisch-westfälische Industriegebiet“, der bis zum 20. April 1933 vom Dortmunder Verlagshaus Krüger herausgegeben, dann enteignet und unter dem tradierten Namen erst einmal fortgeführt wurde. In ihr ging ab Anfang Mai 1933 die vorherige NSDAP-Parteizeitung „Rote Erde“ auf. In den Folgejahren etablierte sie sich mit einer Druckauflage von 1937 205.000 und 1939 225.000 Exemplaren und acht Bezirksausgaben als reichweitenstärkste Tageszeitung Westfalens (Kurt Peschel, Von der Asphaltpresse zur Presse des neuen Reiches, Unser Wille und Weg 8, 1938, 247-253, hier 252; Schlag nach!, 2. erw. u. verb. Aufl., Leipzig 1939, 506; Nationalsozialistisches Jahrbuch 13, 1939, 322).
Das Erscheinen der Wasserplansche war Resultat des Zusammenwirkens von Texter und Pressezeichnerin, das wir weiter unten noch genauer auffächern werden. Doch es knüpfte auch an das besondere Renommee des Kohlenklau-Zeichners Hans Landwehrmann an, der 1922/23 in Dortmund als Graphiker der Dortmunder West-Werbe-Gesellschaft tätig war und auf Anregung des Stadtbaurates Hans Strobel (1881-1953) auch Notgeld gestaltete (Das Westfalenlied als Notgeldschmuck, Düsseldorfer Zeitung 1922, Nr. 344 v. 11. Dezember, 2). Die Stadt habe dadurch „auf ihren soeben zur Ausgabe gelangten Notgeldscheinen zu 25 und 50 Mark nicht nur Kirchturmspolitik getrieben, sondern weitherzig die Ehre und Schönheit der Roten Erde, deren größte Stadt sie ist, gepriesen zu haben und so aller Welt zu verkünden“ (Das Westfalenland im Bilde, Wittener Tagblatt 1922, Nr. 292 v. 13. Dezember, 5). Landwehrmann malte damals auch Landschaftsbilder Dortmunds, Industriebilder, der Härte der Montanregion angemessen und stellte 1923 in der Stadtbibliothek Dortmund einen Zyklus „Der Reinoldus“ aus, gewidmet dem Stadtpatron der größten Stadt Westfalens (Gemäldeausstellung bei C.L. Krüger, Dortmunder Zeitung 1923, Nr. 309 v. 30. November, 2; Erich Schulz, Stadtbibliothek Dortmund. Kurzer Bericht über die ersten 25 Jahre, Dortmund 1932, 20). Die Wasserplansche dürfte daher auch eine Hommage an einen früheren Künstler im Land der Roten Erde gewesen sein.

Der machtlose Staat und das Duo der Verschwendung (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 268 v. 16. November, 5)
Eine Woche nach dem Hochzeitsbild begann ein von einem Lesergedicht eingeleitetes Pas de Deux zwischen Zeichnerin und Texter. Sie setzten sich zusammen, fabulierten über die Fortsetzung, sie zeichnete, er schrieb, am Ende stand ein ernst gefasstes und humoristisch präsentiertes Duett. Anlass war die beträchtliche Resonanz aus der Leserschaft. Demnach habe sich das Staatliche Gesundheitsamt Klaustedt gemeldet, um die Ehe von Wasserplansche und Kohlenklau für ungültig zu erklären. Schließlich handele es sich um zwei organisch missgebildete Personen, die daher vor Eheschluss hätten sterilisiert werden müssen. Dieser Nachweis aber fehle. Im Gegenteil, ein Leser habe bereits über den Sohn der beiden geschrieben, offenbares Zeichen nicht praktizierter Eugenik. Der Humor verschwand, schließlich wurden aufgrund des im Juli 1933 erlassenen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert, wobei knapp 5.000, meist Frauen, an den Folgen des Eingriffes starben. Das war, wie der Judenmord, zu dieser Zeit ein offenes Geheimnis. Und die Humoreske gebar den Feind, Wasserplansche und Kohlenklau „werden in wilder Ehe weiterleben, uns Schaden zufügen, wo sie können, an Strom und Kohle, Wasser, Licht und Gas räubern, was sich räubern läßt, und wir wollen nur hoffen, daß der ‚Dr. Pforgaff‘ (der Name ist leider nicht zu entziffern, aber dafür ist es ja auch ein Doktor!) ebenso eifrig, wie er den Paragraphen schwingt, auch Licht ausknipst und die Wasserhähne schließt! Denn mit Paragraphen allein ist nichts voran zu bringen…“ (Kondi, Die Vertreibung aus dem Paradies oder „Kohlenklau und das Gesundheitsamt“, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 268 v. 16. November, 5).
Autor Kondi hat von Ende 1943 bis Herbst 1944 mindestens 28 Beiträge in der Westfälischen Landeszeitung veröffentlicht, zumeist Kommentare über Alltagsfragen, die teils in der Kolumne „Sowas gibt es heutzutage…!“ im Sinne des Regimes erläutert und bewertet wurden. Derartiger Anleitungsjournalismus prägte ab April 1944 auch die Kolumne „Auf die Art geht’s besser“. Bei der Sorge für das Ganze ging es allein um das Ganze der fast beliebig zu definierenden Volksgemeinschaft.

Wasserplansche und Kohlenklau als trautes Paar (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 271 v. 19. November, 5)
Getragen von Leserzuschriften und -anfragen wurde das missgebildete Paar jedoch weiter präsentiert, voller Gier, auf der Suche nach Kohle und Wasser. Sie wurden nicht gefürchtet, sondern belacht – und das war gefährlich, denn auch sie lachten den Leser aus, ergötzten sich an dessen unbedachtem Handeln, das sie nährte: „Hilfe! Rettung! Kohlenklau und Wasserplansch [sic!] bedrohen mich!“ (Kondi, Da blüht der Weizen…, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 271 v. 19. November, 5)

Familie Kohlenklau beim Spaziergang (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 278 v. 27. November, 5)
Am 27. November ging es weiter, ein Leser konnte nun endlich die schon bekannte Nachricht über neues Glück und neues Leben formgerecht verbreiten: „Kohlenklau ist sehr benommen, / er hat einen Sohn bekommen, / der der ganze Vater ist, / am ersten Tag gleich Kohlen frißt. // Grausam ist’s mit anzuschau’n, / wie sie Strom und Gas uns klau’n, / bringt die Schlingel zum Gericht, / Gnade gibt es für sie nicht. // Frau Wasserplansche will versuchen, / am Waschtag Frauen zu besuchen. / Liebe Hausfrau’n, habet acht, / wie Wasserplansch euch Schaden macht! // Sie schwatzt gar lang und schwatzt gar breit / stiehlt schwatzend euch nicht nur die Zeit, / nein, auch noch Wasser, Kohle, Licht! / Seid wachsam, Frau’n und duldet’s nicht!“ (Rudi Simoneit, Kohlenklau – hat einen Sohn…, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 278 v. 27. November, 5)
Andere, leider nicht näher bezeichnete Quellen, diskutierten sogleich seinen Namen, warnten zugleich aber davor das wachsende Monster als Kind misszuverstehen, es gar zu füttern. Im Reimmodus der an Mahnsprüche gewöhnten deutschen Nation mutierte das gleich zum Totschlag: „Kohlenklau hat einen Sohn! / Ist das nicht ein großer Hohn? / Und sein Nam‘ ist Kohlenkläuschen. / Das junge Paar ist aus dem Häuschen. / Es will das Kläuschen so erzieh’n, / Daß es kann auf Raub ausgeh’n. // Wasserplansch, Kohlenklau und Klaus, / Faßt sie, schmeißt sie raus! / Nichts soll ihnen mehr gelingen, / Wir wollen alle drei umbringen! / Drum helft uns nun alle mit, / Gebt ihnen den verdienten Tritt!“ (Wie soll der „Knabe“ heißen?, https://www.energieverbraucher.de/de(kk-s-familie__1461)
Parallel begann jedoch eine Selbstreflektion innerhalb der Westfälischen Landeszeitung, die den offenkundigen Spaß der Leser an den selbst kreierten, zunehmend aber fremd imaginierten neuen Gefährten Kohlenklaus einzufangen hatte: Sie alle seien westfälische Geschöpfe, entstammten somit der Roten Erde: „Jedenfalls stammt der Zeichner, der den Herrn Kohlenklau erdacht hat, aus Westfalen. Und die Frau Kohlenklau, geborene Wasserplansche, hat ihre geistigen Eltern in der Schriftleitung der ‚Roten Erde‘. Als drittes hat der Sprößling der beiden bei unseren Lesern seine geistigen Urheber, und würden wir die Kohlenklau-Familiengeschichte nicht schleunigst beenden, dann würden wir in kurzer Frist ein eigenes Kohlenklau-Familienblatt herausgeben müssen. Wir haben so viele Gedichte und andere Beiträge zur Familiengeschichte der sauberen Spitzbuben-Familie bekommen, daß wir beim besten Willen mit dem Abdruck nicht nachkommen können. Wir machen also einen dicken Strich und lassen die Familiengeschichte der Kohlenklaus nunmehr auf sich beruhen“ (Kondi, Die Kohlenklau-Familiengeschichte, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 283 v. 3. Dezember, 5). Denn noch vergnüglicher als das Umfeld der Wasserplansche sei die Zeit nach dem Sieg, dem über Familie Kohlenklau, dem über die Alliierten. “Kohlenklau, Wasserplansche und ihr Sprößling sind zwar die heitere Form, ernste Dinge zu behandeln, aber davon werden diese ernsten Dinge nicht aus der Welt geschafft. Ueber Kohlenklauscherze wollen wir lachen, aber im Ernst wollen wir das tun, was damit doch immer wieder geraten wird: Kohlen sparen, Licht sparen, Strom sparen, Wasser sparen, bei sich und auch bei andern und wo es heutzutage noch ‚so etwas‘ gibt, dort wollen wir energisch zupacken!“ (Ebd.)

Doppelte Verschwendung im Brausebad (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 290 v. 11. Dezember, 5)
Doch die Schriftleiter wurden die Geister nicht mehr recht los, die sie einst gerufen hatten. Wohl auf Ansinnen der Leser folgten noch weitere Episoden, nun aber in ernster, mahnender Manier. Herren im Brausebad verschwendeten heißes Wasser – und schon tauchen sie auf, „Kohlenklau und Wasserplansche, das saubere Ehepaar; er begierig nach sinnlos vergeudeter Kohle und sie in vollen Zügen nutzlos verplanschtes Wasser schlürfend“ (Kondi, Kohlenklau im Bade, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 290 v. 11. Dezember, 5). Und die beiden Herren redeten derweil, vielleicht gar über die gierigen Ungeheuer, die sie doch nährten.

Familienstreit um Wasser und Kohlen (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 298 v. 21. Dezember, 5)
Familie Kohlenklau blieb auch danach Gesprächsthema in Westfalen. Die Texte kreisten stärker um das Thema der Energie- und Wassereinsparung, doch die Familiengeschichte wurde mit dem ersten Krach der jungen Ehe fortgesetzt. Sie wollte Wasser, er Kohle, man stritt um die Wasserleitungen, ob diese gefroren platzen oder aber mit loderndem Feuer zum Fließen gebracht werden sollten. Da kannte die Wasserplansche keinen Spaß, begoss wutrasend Vater und Sohn. Die Moral war klar: „Aber irren wir uns nicht, sie sind bald wieder einig und ziehen wieder zusammen aus, Wasser, Kohlen, Licht, Strom und Gas gemeinsam zu stehlen, wo sie können! Drum lacht über sie – aber legt ihnen das Handwerk!“ (Krach im Hause Kohlenklau, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 298 v. 21. Dezember, 5)

Das Über-Ich der Volksgemeinschaft: Wasserplansche und Kohlenklau beobachten alle (Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 304 v. 29. Dezember, 3)
Und da waren sie schon wieder, nutzten die gute Laune und den laufenden Wasserhahn freudig aus. Und schon nahte der mahnende Zeigefinger des NS-Texters: „Nein, wenn auch noch so gut rasiert, gute Laune kann man bei solchem Unfug nicht mehr haben!“ (Kondi, Frisch rasiert – gut gelaunt!, Westfälische Landeszeitung 1943, Nr. 304 v. 29. Dezember, 3)

Familie Kohlenklau unter Druck (Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 1 v. 3. Januar, 6)
Mahnung und Gewissenserforschung gingen jedoch miteinander einher. Die Leser wurden ernst genommen, gar ein Kohlenklau-Jahr ausgerufen. Sein Sinn aber wurde umgedeutet, Ausdruck spezifisch deutschen Humors. „Humor ist, Wilhelm Busch sagt es uns, wenn man trotzdem lacht. Und Kohlenklau ist Humor, ist die heitere Behandlung einer bitterersten Sache. Ist kein Witz, der leicht dahertändelt, sondern handfester Humor, der eine Sache derb und fest und humorig sagt, wie sie ist. […] Weiß Gott, dieser Krieg ist eine harte Schule, aber sie ist gut und leider für viele auch notwendig. Seien wir dankbar, auch wenn es wehe tut, auch wenn wir weinen müssen, auch dann, wenn wir nicht mehr lächeln, sondern nur noch grimmig grinsen, wenn wir nur hinter zusammengebissenen Zähnen lachen können. – Das kann man! Rüsten wir uns auf ein Kohlenklaujahr! Auf ein Jahr, das schwer, hart, vielleicht sogar noch ärger wird. Rüsten wir uns darauf, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, sie zu nehmen und dabei doch zu lachen.“ Der Krieg erfordere Humor, „heitere Herzen, steife Nacken, zähen Willen, feste Zuversicht“. Dann werde man die Feinde, werde auch Wasserplansche und Kohlenklau besiegen: „Rückt ihnen auf den Leib, jagt sie hinaus, laßt sie verhungern und verdursten und mit ihnen alle [sic!, US] Kleinmut, alle Zaghaftigkeit, alles Wehleidige und Müde – nun erst recht!“ (Kondi, Das Kohlenklau-Jahr, Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 1 v. 3. Januar, 6)

Wasserplansche, Kohlenklau und Söhnchen Kohlenklaus mit reicher Jahresernte (Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 1 v. 3. Januar, 6)
Fast schien es, als sei dadurch das letzte Wort geschrieben, die Kampagne beendet. Doch bei einer Auflage von über 200.000 Exemplaren finden sich immer Zuschriften, die nicht übergangen werden konnten. Elf Dortmunder, Reichsarbeitsdienstmännern im „Hohen Norden“, beschrieben ihren eifrigen Kampf gegen den unrühmlich bekannten Energiefeind Kohlenklau. Das beigefügte Gedicht entsprach allerdings nicht den Grundansprüchen an deutsche Reimkunst. Daher wurde es graphisch umgesetzt, und die regimetreue Moral in verbesserten Reimen dargeboten: „Nun, liebe Leute, seid ganz Ohr: / kommt sowas auch bei ihnen vor? / Habt ihr Kohlenklau im Haus, / schmeißt ihn gleich zur Tür hinaus! / Dann wird so ein Tag gewonnen, / spart der Rüstung viele Tonnen“ (Kohlenklau im RAD, Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 24 v. 29. Januar, 5).

Ergänzung der Kohlenklau-Kampagne aufgrund einer Leser-Zuschrift (Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 24 v. 29. Januar, 5)
Danach ebbte der Zufluss offenbar ab. Doch für ein Grande Finale war noch Raum. Im Frühling wurde nochmals des schnurrigen Kohlenklaus gedacht, der „uns im Winter viel Spaß gemacht“ hat. Die Gefahr der Kohleverschwendung sei durch das Ende der Heizperiode verringert, auch wenn weiterhin „die Dame Wasserplansch, die wir dem wüsten Kohlenfresser angetraut haben, umso fleißiger nach allem umtun [wird, US], was sich schlucken läßt.“ Doch es galt nun die Blicke zu weiten, hin auf neue Schädlinge. Kohlenklau, dessen Helfershelfer im Märzen just alle besiegt waren, habe allen die Augen geöffnet, ebenso die Wasserplansche: „Den Kohlenklau sind wir los, seine Trabanten, die Schädlinge jeder Art, wollen wir aber weiter jagen, wo sie sich zeigen“ (O. Schr., Abschied von Kohlenklau, Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 74 v. 28. März, 3). Das war der letzte Auftritt von Wasserplansche, Kohlenklau und Kohlenkläuschen – noch wusste man nichts von den Fortsetzungen der staatlichen Propaganda, von den „Waffen gegen Kohlenklau“. Nun standen wieder andere Fraßfeinde im Mittelpunkt, die Motten, die Ratten, die Kartoffelkeime, der abzuwehrende Verderb.

Familie Kohlenklau im Umfeld weiterer „Volksschädlinge“ (Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 74 v. 28. März, 3)
Leisten wir uns nach alledem ein wenig Abstand: Die Wasserplansche erschien exklusiv in der führenden westfälischen Tageszeitung von November 1943 bis März 1944 an der Seite ihres Gatten Kohlenklaus, häufig mit ihrem Sohn Kohlenkläuschen. Die Familienerweiterung war eine Folge der zunehmend humoristischen Perzeption der staatlichen Hauptserie und deren zunehmender Umdeutung durch das lesende und schauende Publikum. Zeichner und Texter der Westfälischen Landeszeitung gaben dem anfangs nach, wurden dann jedoch vom Druck des Volkes teils unwillig mitgerissen. Der Ernst des Kampfes gegen Energie- und Wasserverschwendung ging zunehmend verloren, wurde zugleich aber umso stärker beschworen. Die Fortführung der Geschichte von Wasserplansche und Kohlenklau war eine Konzession an ein Publikum, das Unterhaltung wollte, ein wenig Amusement im brutalen Tagestrott, das Sparsamkeit zumal bei denen einforderte, die von diesem Regime profitierten. Diese Tendenz schwindender Wirksamkeit wohnte auch der staatlichen Kohlenklau-Kampagne inne, konnte dort durch Berücksichtigung der spielerischen und humoresken Akzente der Hauptfigur aber begegnet werden. In den Nebenkampagne aber zeigten sich die Grenzen der Propaganda auch und gerade des Nationalsozialismus. Zeitgleich optierte das Publikum in der Ende 1943 einsetzenden Liese-Miese-Kampagne, zumindest in den Kinos, eher für die eigensüchtig agierende Miese statt für die blonde linientreue Liese (Brigitta Mira, Kleine Frau, was nun? Erinnerungen an ein buntes Leben, München 1988, insb. 100). Auch Wasserplansche war so wie man gerne hätte sein wollen, ein wenig eigensüchtig, ein wenig verschwenderisch. Dennoch hat diese Figur dem realen Problem der Wasserverschwendung ein Bild gegeben. In den weiter gepflegten Hilfsangeboten der Tageszeitungen fragten Leser nicht nur wie man Verluste im Wasserkasten der Toilette begrenzen könne, sondern direkt, „wie der Wasserplansche“ beizukommen sei (Wenn der Wasserkasten im WC dauernd läuft, Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 109 v. 11. Mai, 3). Die Nebenkampagne wurde in der Nachkriegszeit und auch der Erinnerungskultur allerdings rasch vergessen.
Künstlerin für das NS-Regime: Erika Beccard-Pilius, Pressezeichnerin und Kampagnenhelferin
Damit könnten wir eigentlich ein allgemeineres Fazit ziehen – und Herunterscrollen ist Ihr Privileg. Doch angesichts der biographischen Näherung an Hans Landwehrmann scheint mir ein paralleles Eingehen auf Erika Beccard-Pilius, die Schöpferin der Wasserplansche, hilfreich und notwendig. Eine Pressezeichnerin als NS-Propagandistin, das ist auf den ersten Blick besonders spannend: Die „Interpress“, von 1940 bis 1942 führende Bildagentur für politische Zeichnungen, vertrieb Arbeiten von mindestens 80 Männern – und von keiner Frau. Für die Bild- und Textagentur „Bilder und Studien“ zeichneten mindestens 26 Männer – und auch darunter kein weibliches Wesen. Doch dies ist eine Einseitigkeit, die das Vordringen von Frauen im NS-Pressewesen unterschlägt. Nicht nur bei Mode- und Kinderzeichnungen oder ein wenig Kunst, sondern auch im Alltagsgeschäft konnten sie sich während der NS-Zeit zunehmend etablieren. Neben Erika Beccard-Pilius ist im westfälisch-rheinischen Gebiet an Erika Feder (Remscheider General-Anzeiger), Magdala Häußer-Poly (Bonner General-Anzeiger) und insbesondere an Gerda Schmidt (Essener Allgemeine Zeitung) zu erinnern, die 1942 auch eigene Beiträge für die ebenfalls ausfransende Propaganda-Kampagne um Herr Bramsig und Frau Knöterich zeichnete. Der Anteil von Frauen bei den Schriftleitern (inklusive der Pressezeichnerinnen und Fotografinnen) lag 1935 reichsweit bei ca. 5,6, 1939 dagegen schon bei 8,8 Prozent (Susanne Kinnebrock, Frauen und Männer im Journalismus. Eine historische Betrachtung, in: Martina Thiele (Hg.), Konkurrierende Wirklichkeiten, Göttingen 2005, 101-132, hier 122, FN 29). Dieser Anteil stieg während des Krieges weiter, allerdings in einem insgesamt schrumpfenden Arbeitsmarkt.

Erika Beccard-Pilius im Selbstporträt (WLZ am Sonntag 1934, Nr. 52 v. 30. Dezember, 8)
Erika Beccard – der Name verweist auf hugenottische Vorfahren – war die Tochter der Bürovorstehers Wilhelm Beccard und seiner ihm 1903 angetrauten Gattin Luise (1881-1956), die unter dem Doppelnamen Beccard-Blensdorf bis heute als „Siegerländer Heimatdichterin“ gilt (Dortmunder Adreßbuch 1903, T. 2, 19; Siegener Zeitung 1903, Nr. 242 v. 16. Oktober, 3). Ihre Lyrik, gedruckt vor allem in der Siegener Zeitung, wurde 1909 in „Gedichte“, dann 1918 in „Aus Sturm und Stille“ gebündelt. Sie verband protestantische Innerlichkeit mit einer Vergötterung der Natur, mit melancholisch-hymnischem Nationalismus. 1936 folgte „Nachsommer“ mit einer Einbandzeichnung von Erika und Scherenschnitten ihrer Schwester Hanna (Münsterischer Anzeiger 1939, Nr. 435 v. 23. September, 2). Eine dritte Schwester, Trude, ist nachweisbar (Siegener Zeitung 1926, Nr. 301 v. 24. Dezember, 4).
Das junge Ehepaar Beccard-Blensdorf zog spätestens 1906 nach Bielefeld, wo Wilhelm als Generalagent einer Schweizer Versicherung tätig war, wo 1906 Hanna und 1909 eine weitere Tochter, wahrscheinlich Erika, geboren wurden (Bielefelder General-Anzeiger 1907, Nr. 171 v. 1. Juli, 8; ebd. 1906, Nr. 72 v. 26. März, 10; Volkswacht 1909, Nr. 278 v. 29. November, 8). Die Familie zog ca. 1912 nach Dortmund. Wilhelm arbeitete auch dort als Generalagent, seit Kriegsbeginn als Buchhalter, in den frühen 1920er Jahren als Versicherungs- resp. Bürobeamter und war seit 1929 schließlich wieder als Generalagent tätig (Dortmunder Adreßbuch 1912, T. 2, 18; 1915, T. 2, 21; 1924, T. 2, 29; 1929, T. 2, 28). Erika dürfte also im gesicherten bildungsbürgerlichen Umfeld aufgewachsen sein. Ihre Schwester Hanna reüssierte schon früh mit ihren Scherenschnitten, Erika steuerte 1929 Zeichnungen zum Heft „Dortmunder Fasching“ bei (Siegener Zeitung 1918, Nr. 69 v. 22. März, 2; ebd. 1926, Nr. 161 v. 13. Juli, 7; Dortmunder Zeitung 1929, Nr. 57 v. 3. Februar, 7). Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits als „Helferin“ tätig, eventuell in der Imkerei, wie zuvor ihre Schwester Trude (Dortmunder Adreßbuch 1928, T. 2, 19; Landwirtschaftliche Mitteilungen für das Siegerland 1925, Nr. 15 v. 22. Juli, 4).
Die Biographie Erika Beccard-Pilius ist nur ansatzweise zu rekonstruieren, Archivalien fehlen, Widersprüche bleiben. Doch es handelt sich um das Hereinwachsen einer jungen begabten Frau in das NS-Regime, um das Werden einer gläubigen Propagandistin abseits des Martialischen. Sie präsentierte 1933 jedenfalls „elegante Farbzeichnungen“ bei einer Ausstellung, erschien damals auch erstmals mit einem Doppelnamen – analog zu ihrer Mutter („Fleiters gute Stuben“, Dortmunder Zeitung 1933, Nr. 525 v. 9. November, 7). Ihr Gatte dürfte Hans Pilius gewesen sein, der 1930 als Baupraktikant firmierte, dann als Schlosser, ab 1934 als Zeichner, seit 1938 als Polier, schließlich als Bauführer (Dortmunder Zeitung 1930, Nr. 26 v. 11. Juni, 7; Dortmunder Adreßbuch 1930, T. 3, 21; ebd. 1934, T. 2, 421; ebd. 1938, T. 2, 441). Möglich, dass sich das Paar 1938 getrennt hat, jedenfalls signierte die Zeichnerin von 1938 bis 1941 meist als Erika Beccard. Im Dortmunder Adreßbuch tauchte sie 1938/39 noch als „Erika Pilius, Ehefr[au]“ auf, ab Ende 1939 als „Pressezeichnerin“ Erika Beccard (Dortmunder Adreßbuch 1938, T. 2, 441; 1939, T. 2, 444; 1940, T. 2, 25). Erika Pilius-Beccard dürfte zuvor hinter ihrem Mann als Haushaltsvorstand verschwunden sein. Ob die Trennung mit einem 1940 gegen Hans Pilius geführten Prozess zusammenhing ist unklar (Bundesarchiv Lichterfelde R 3001/114014, NS 14/313). Die Ehe blieb jedenfalls kinderlos, während Erika, die auch den Doppelnamen Pilius-Beccard wählte, sich innerhalb der NSDAP-Gauzeitung etablierte.
Dort zeichnete und textete sie anfangs Mode- und vor allem Kinderzeichnungen, schwärmte darin „von der großen Aufbauarbeit unseres deutschen Volkes“ (Erika Pilius Beccard, Deutsche Frühjahrs-Moden, Westfälische Landeszeitung 1934, Nr. 83 v. 25. März, Beil. Wir Frauen, 10). 1934 nahm die Zahl ihrer Zeichnungen in der Westfälischen Landeszeitung rasch zu, sie illustrierte teils mit ihrem Namen, teils mit ihrem Kürzel ebp, teils aber auch ohne jede Signatur die wöchentliche Kolumne „Von Sonntag zu Sonntag“, lieferte zudem zahlreiche Beiträge für die illustrierte Wochenbeilage „WLZ am Sonntag“. Ende des Jahres zeichnete sie sich als selbstbewusste junge Frau, die Neid und Klatsch den Kampf ansagte, die das Leben einfing und feierte: „Strömt herbei zur ebp, es wird gemalt und tut nicht weh“ (WLZ am Sonntag 1934, Nr. 52 v. 30. Dezember, 8).

Alltags- und Kinderwelten: Wochenendfahrt ins Hochsauerland und der Osterhase (Westfälische Landeszeitung 1935, Nr. 42 v. 11. Februar, 6 (l.); WLZ am Sonntag 1936, Nr. 15 v. 12. April, 6)
Erika Beccard-Pilius illustrierte vorrangig Unterhaltungsartikel, visualisierte Alltagseindrücke, sei es den Wochenendausflug ins Hochsauerland oder den Bratwurststand in Dortmund. Dabei kooperierte sie eng mit den virtuell federführenden Textern. Zugleich aber begann sie das politische Geschehen freundlich und anheimelnd zu illustrieren (Hans Terlinden, Deutsche Jugend heraus zum Wettkampf!, Westfälische Landeszeitung 1935, Nr. 48 v. 17. Februar, 16). Urlaub, Alltags- und Wochenendfreuden, Trinken und Betrunkensein, Liebe und Familienthemen waren ihr Beritt, sie zeichnete die Freuden des Alltags, die guten Dinge der neuen Ordnung. Hinzu traten vielfältige Hilfen zur Alltagsgestaltung, kleine Anleitungen im Sinne des NS-Regimes.

Zeichnungen als Alltagshilfe: Aufhängen nasser Kleidung und Vorgartenentrümpelung (Beobachter für das Sauerland 1939, Nr. 6 v. 7. Januar, 1 (l.); Westfälische Landeszeitung 1938, Nr. 317 v. 22. November, 7)
Parallel illustrierte sie Jugendbücher, etwa das in der Tschechoslowakei später verbotene „Jungmädelleben“ der Gauführerin und Pressereferentin in der Reichsjugendführung Trude Höing (Trude Höing, Jungmädelleben. Ein Jahrbuch für 8-14jährige Mädel, Leipzig 1934; Lippische Staatszeitung 1934, Nr. 325 v. 12. Dezember, 6; Illustrirte Zeitung 185, 1935, 388). Erika Beccard-Pilius visualisierte das NS-Frauenbild, zeigte, „wie das Jungmädel als Glied seiner Organisation auf das kampf- und arbeitsreiche Leben einer deutschen Frau vorbereitet wird“ (National-Zeitung 1936, Nr. 265 v. 12. November, 8). Hinzu traten „Kulturarbeiten“ im Umfeld der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (Wolfgang Hirschfeld, Die Betreuung des Dorfes, 31.-35. Tsd. Berlin 1937). Sie lieferten im Kampf gegen die „Landflucht“ Anregungen für Dorfgemeinschaftsabende, insbesondere Theaterarbeit, Musik, Gesang und Marionettentheater (Kulturarbeit auf dem Lande, Beobachter für das Sauerland 1937, Nr. 208 v. 4. August, 3). Der Kontext war agrarromantisch, auch rassistisch (Wolfgang Hirschfeld, Bäuerliche Volkstumsarbeit auf rassischer Grundlage, Rasse 2, 1935, 336-345). Beccard-Pilius‘ Zeichnungen waren freundlich, nett, visualisierten Vorstellungen einer gelingenden Volksgemeinschaft, traditionsbewusst und schollengebunden (Otto Schmidt (Hg.), Feste und Feiern im Jahresring, Berlin 1940; Wilhelm Schleef, Düet es dat Bauk van Schulte Wuordelbuk, hg. aus Anlass d. 800-Jahrfeier d. Ortsteils Dortmund-Sölde v. d. Bauerschaft Sölde in Verb. mit der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ Kreis Dortmund, Abt. Volkstum-Brauchtum, Dortmund 1938). Wilhelm Schleefs (1889-1968) Band wurde 1971 von der Stadtsparkasse Dortmund neu aufgelegt, unverändert, mit einer Schallplatte ergänzt.
Die junge Zeichnerin etablierte sich lokal, lieferte die Dekoration für das Dortmunder Pressefest 1937 (1500 vergnügte Menschen, Tremonia 1937, Nr. 66 v. 8. März, 5), begann einzelne Zeichnungen über den Deike-Materndienst auch überregional zu platzieren (Ebd. 1937, Nr. 222 v. 25. September, 21; Zeno-Zeitung 1937, Nr. 203 v. 25. Juli, 14). Sie waren zumeist „unpolitisch“, Kinderthemen, Landschafts- und Stadtansichten. 1939 zeichnete sie den Weihnachtsgruß für die Branchenzeitschrift „Deutsche Presse“ (Ebd. 29, 1939, 420). Erika Beccard-Pilius war lokal verwurzelt und überregional bekannt. Politische Themen bediente sie selten, doch sie bediente sie. Frausein mochte helfen, die Simplicissimus-Karikaturistin Franziska Bilek (1906-1991) konnte mit dem Verweis, dass Politik nur etwas für Männer sei, die gängigen, vielfach antisemitischen und antibolschewistischen Hetzzeichnungen dieser bis heute gern als „kritisch“ verklärten NS-Zeitschrift großenteils vermeiden. Erika Beccard-Pilius näherte sich staatpolitisch unmittelbar relevanten Themen in kleinen Schritten, etwa in Zeichnungen gegen die insbesondere von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (1897-1945) seit 1934 immer wieder kritisierten Miesmacher und Meckerer, Spießer und Klatschbasen, präsentierte den Nationalsozialismus als jugendliche Kraft überlegener Moral und wechselseitiger Rücksichtnahme (Westfälische Landeszeitung 1935, Nr. 357 v. 31. Dezember, 18). Ihr Harmonieideal war das der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Gleichsam folgerichtig lieferte sie auch eigene, ergänzende Beiträge zu staatlichen Propagandakampagnen, etwa den Eintopfsonntagen oder der Groschengrab-Kampagne.

Beiträge zu staatliche Propagandakampagnen: Groschengrab und Eintopfsonntag (Beobachter für das Sauerland 1939, Nr. 219 v. 15. August, 1 (l.); Bremer Zeitung 1939, Nr. 71 v. 12. März, 14)
Während des Weltkrieges zeichnete Erika Beccard-Pilius unverdrossen weiter, meist schöne und nette Alltagsgeschichten, ebenso Landschaften und viele markante Gebäude. Doch sie veröffentlichte zugleich Arbeiten, die im Sinne des NS-Regimes freundlich anleiteten, nationalsozialistische Moral vor Augen führten. Höflichkeit und wechselseitiger Respekt wurden (im Rahmen und in Weitung einschlägiger staatlicher Kampagnen) vor Augen geführt – und das ging bis hin zum Umgang mit den Exkrementen der Mitte des Krieges nicht mehr allzu zahlreichen Hunde.

Für Höflichkeit zwischen Verkäuferinnen und Käuferinnen, für die Beseitigung der Exkremente des eigenen Hundes (Westfälische Landeszeitung 1942, Nr. 63 v. 5. März, 5 (l.); ebd. 1942, Nr. 186 v. 16. Juli, 5)

Ausgrenzung der Gemeinschaftsfremden: Anonyme Briefschreiberin und – im historischen Umfeld – der jüdische Hausierer (Westfälische Landeszeichnung 1944, Nr. 70 v. 23. März, 3; ebd. 1944, Nr. 76 v. 30. März, 3)
Nationalsozialistische Moral sollte die Volksgemeinschaft prägen, definierte und bekämpfte zugleich auch Gemeinschaftsfremde. Sie waren teils grotesk-drastisch, wie das obige Porträt einer anonymen Briefschreiberin, teils stereotyp wie die nebenstehende Illustration eines jüdischen Hausierers. Beccard-Pilius stellte ihre Arbeiten auch aus, als Teil der nationalsozialistischen Künstler der Gegenwart (Ausstellung im „Dietrich-Eckart-Haus“, Westfälische Landeszeitung 1942, Nr. 163 v. 20. Juni, 8). Dominant aber blieben, zumal in der Kolumne „Das bunte Leben“, Eindrücke aus dem kleinbürgerlichen Alltagsleben, dann vielfach eskapistische Naturzeichnungen resp. Abbilder der imaginierten friedlichen und guten Welt vor dem Krieg, eines schönen Septembertages, eines trommelnden Spechtes oder aber der Weinlese. Insgesamt harrt eine vierstellige Zahl von Zeichnungen ihrer stärker systematischen Erschließung.

Wassersparen als Aufgabe der Hausfrau (Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 98 v. 27. April, 4 (l.); ebd. 1943, Nr. 258 v. 4. November, 5)
Die Schaffung und Zeichnung der Wasserplansche passte in dieses Umfeld, die mit der Wasserversorgung verbundenen Alltagsfährnisse fanden auch nach Ende dieser Nebenkampagne zu Kohlenklau weiter Beachtung. Auch Texter Kondi bediente kontinuierlich das Feld: „Wasser, das zwar noch keine Kostbarkeit ist, wie in der Wüste, das wir aber trotzdem so behandeln wollen, wie alle Dinge, die wir brauchen: sinngemäß, vernünftig und so, daß sie den größten Nutzen für unsere Kriegsanstrengungen bringen!“ (Kondi, Hier muß was zugedreht werden…, Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 258 v. 4. November, 5). Erika Beccard-Pilius zeichnete bis Ende 1944, dann erfolgte ein Bruch, erst 1949 findet man vereinzelte Anknüpfungen an die produktive Arbeit während der NS-Zeit (Westfälische Landeszeitung 1944, Nr. 278 v. 28 November, 3; Westfälische Nachrichten 1949, Nr. 85 v. 21. Juli, 4).
Näheres zum Umbruch, zur Entnazifizierung, zum Neubeginn gibt es kaum. Die nun durchweg als Erika Pilius-Beccard erscheinende Zeichnerin nahm 1947 erstmals wieder an einer regional ausgerichteten Ausstellung im Hagener Karl-Ernst-Osthaus Museum teil (Martin Papenbrock, „Entartete Kunst“, Exilkunst, Widerstandkunst in westdeutschen Ausstellungen nach 1945. Eine kommentierte Bibliographie, Weimar 1997, 226). In den Vordergrund traten jedoch Illustrationen für Fibeln und Kinderbücher: Die nicht mehr als solche tätige NS-Pressezeichnerin schuf eine heile Welt für Kinder, für Leseunterricht in der Grundschule (Dietrich Rodenbeck (Bearb.), Das offene Tor. Fibel für unsere Kleinen, Leipzig und Frankfurt a.M. 1947; Lüdenscheid 1947; ebd. 1948, 1951 und 1953). Pilius-Beccard nutzte ihre persönlichen Kontakte für Arbeitsmöglichkeiten, sicher auch für gebrochene Formen der Selbstfindung. Zum Kinderbuch „Die ertrunkene Sonne“ (Frowalt von Woldenberg [d.i. Karl Heinrich Schmidt], Die ertrunkene Sonne und andere Märchen, Recklinghausen 1943, Leipzig und Frankfurt a.M. 1948; 1-5. Tsd. und 6.-10. Tsd. Recklinghausen 1948) hieß es beredt: „Das titelgebende Märchen ist noch ganz vom Trauma des Zweiten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt.“

Bildwelten in der Nachkriegszeit (Dietrich Rodenbeck (Bearb.), Das offene Tor. Fibel für unsere Kleinen, Lüdenscheid 1948, 34)
Weitere Illustrationsarbeiten folgten (Otto Blensdorf, Was sollen wir spielen und singen. Spielturnformen und daraus entstandene Spiel- und Bewegungslieder für Kindergarten, 1. und 2. Schuljahr, Bad Godesberg 1947; Paula Münster, Walddorle und andere Märchen, Leipzig und Frankfurt a.M. 1948; Recklinghausen 1948; Georg Breuker, Es klopfte dreimal an mein Tor. Ein Sommeridyll, Bochum 1950). Doch dann endeten einschlägige Arbeiten, mit Ausnahme der Illustration eines späten Buches des Bochumer Schriftstellers Georg Breuker (1876-1964) (Gedichte eines Bergmanns, Hattingen 1961).
Fassen wir zusammen, so unterschied sich Erika Beccard-Pilius Karriere deutlich von der Hans Landwehrmanns. Als Frau leistete sie mit der Wasserplansche einen ergänzenden Beitrag zur Kohlenklau-Kampagne, der versuchte, nationalsozialistische Propagandaziele mit den nur teils deckungsgleichen Wünschen der Leserschaft miteinander in Balance zu bringen. Dazu war ihre Arbeit besonders geeignet, denn sie chargierte während der NS-Zeit zwischen schönen Bildern eines fröhlichen und guten Lebens und den aus ihrer Sicht berechtigten Anforderungen der Volksgemeinschaft und des Regimes. Erika Beccard-Pilius steht für die Einbindung und Nutzung eines zerbrechenden nationalen Bildungsbürgertums, das mit dem Nationalsozialismus kooperierte, ihm gläubig diente, ohne aber in ihm aufzugehen. Diese in den Bildern auch und gerade der Wasserplansche offenkundige Differenz ermöglichte zugleich eine breitere Wirkung der staatlichen Propagandakampagne. Erika Beccard-Pilius baute Brücken, begünstigte das letztlich willige Mitmachen in zunehmend kritischer Zeit, war Teil einer bis zur totalen Niederlage selbstverachtend mitziehenden Volks- und Kampfgemeinschaft.
Humor als popularisierendes Element der Sparsamkeitsappelle
Die Wasserplansche war gewiss der groteske Höhepunkt in der Ausdifferenzierung der Kohlenklau-Kampagne. Sie unterstrich deren Vielgestaltigkeit, die so gewiss nicht geplant war, die aber wesentlich zu ihrer Popularität, eventuell auch zu begrenzten Erfolgen im Sinne des NS-Regimes führte. Während die Wasserplansche-Zeichnungen jedoch noch einen inneren Zusammenhalt besaßen und eine zusammenhängende Geschichte ermöglichen, gilt dies kaum für die abschließend nur anzureißenden vielen kleinen Einzelinitiativen im Umfeld der Kohlenklau-Kampagne. Sie spielten mit den Vorlagen der staatlichen Propaganda, machten sie handhabbar, zu etwas Eigenem. Doch war es NS-Propaganda, wenn Klein-Erika im zur Ersatzbadewanne mutierten Kohleneimer posierte? War dies nicht eher Ausdruck von nicht stillzustellender und doch lenkbarer Phantasie, die für die Leistungsfähigkeit jedes Systems unabdingbar ist? Und was bedeutet dieses Eindringen der Propaganda in die Alltagsbilder für die Analyse der NS-Propaganda als solcher?

Kohlenklau ein Schnippchen schlagen: Humoristische Überdeckung der Alltagsenge (NS Frauen-Warte 12, 1944, 174)
Viele professionelle Zeichner vermengten die politische Zeichnung, die regimetreue Verächtlichmachung des Feindes, mit der Kohlenklau-Kampagne. Dafür gab es keine Anweisung, so etwas erfolgte eigenständig. Das galt auch für die Schaufensterdekoration in der 1809 gegründeten Karlsruher Eisenwarenhandlung Hammer & Helbing: Turmtöpfe lenkten auf das eigene Angebot. Doch im Hintergrund lugte Kohlenklau, gierte nach Energie, auch nach Zuschauern der Inszenierung seiner Schandtaten (Der Führer 1943, Nr. 83 v. 24. März, 3). Endlich ein Schauspiel „Alle gegen Einen“ (Ebd. 1943, Nr. 120 v. 1. Mai, 4).

Kohlenklau als Statthalter Churchills (Oldenburgische Staatszeitung 1943, Nr. 169 v. 25. Juni, 6)
Die Vielgestaltigkeit der Kampagne spiegelte sich auch in immer neuen Sprachkreationen. Groschengrab und Kohlenklau galten nicht nur als Energie-, sondern auch als „Zeitdiebe“ (Nur eine halbe Stunde!, Die Bewegung 11, 1943, 67). Der NS-Vorzeigehumorist Emmerich Huber (1903-1979) visualisierte den „Stundenklau“, auch den „Kartoffelklau“ (Arbeitertum 12, 1943, Nr. 10, 8; ebd. 13, 1944, Nr. 9, 8). Im Lexikon der deutschen Gegenwartssprache finden sich weitere Komposita, unter anderem der Nervenklau.
Auch visuell schrieb man die Kohlenklau-Kampagne fort: Hans Landwehrmann zeichnete 1943/44 für den Reichsausschuß für volkswirtschaftliche Aufklärung den „Dreckspatz“ für Kampagnen zum schonenden und chemikalienarmen Wäschewaschen (Kohlenklau als Wäschemarder, Pforzheimer Anzeiger 1943, Nr. 153 v. 4. Juli, 4). Kohlenklau inspirierte neue NS-Propagandawelten, auch wenn die von Erika Beccard-Pilius geschaffene Wasserplansche kein Pendant hatte. All dies war funktional für die neuerliche Mutation des Kohlenklaus in der Nachkriegszeit, in der er begründete Widerständigkeit verkörperte, den Diebstahl von Kohle und mehr für das eigene Wohlbefinden oder gar das Überleben insbesondere im Winter 1946/47.
Fazit: Die Vielgestaltigkeit der NS-Propaganda
Wie funktionierte NS-Propaganda? Unsere empirisch valide, gleichwohl teils nur an der Oberfläche kratzende Analyse konnte belegen, dass von einer gleichsam in sich geschlossenen Kohlenklau-Kampagne auch nicht ansatzweise die Rede sein kann. So gewichtig und alltagsprägend die Propaganda auch war, so war sie doch nicht einzigartig, denn „Squander Bug“ verweist auf ähnliche, aber doch anders ausgerichtete Kampagnen der westlichen Demokratien, deren Kriegswirtschaft ähnliche Probleme wie das NS-Regime zu bewältigen hatte und zu ähnlichen Negativgeneralisierungen griff. Kohlenklau war die umfangreichste NS-Propagandakampagne während des Zweiten Weltkrieges. Doch sie wurde durch die vielfach eigenständigen Parallelaktionen der Privatwirtschaft nicht nur umkränzt, sondern von der Motiv- und Anzeigenzahl her übertroffen. Werkzeitungen und Annoncen griffen die Kohlenklau-Figur folgsam und doch eigenständig auf, nutzten deren Popularität für eigene Zwecke in den Betrieben und bei der Vermarktung. Die Wasserplansche-Kampagne schrieb die Hauptgeschichte weiter, machte Kohlenklau zum Anhängsel, zur Unterhaltungsware, zur Lachnummer. Dies entsprach der Wahrnehmung der Figur durch die Volksgenossen, die sich in ihrem Alltag an vielen weiteren Fortschreibungen erfreuten. So sehr die Sparsamkeitsideale des NS-Regimes und der Privatwirtschaft auch grundsätzlich geteilt wurden, so enthielt Kohlenklau doch zugleich ein kritisches, rückfragendes, auf die Praxis der NS-Eliten gerichtetes Moment. Die kriegsbedingte Einschränkung der Zeitungen und Zeitschriften hob Kohlenklau unverdient besonders hervor, die Kunstfigur wurde eine auch eigenständig genutzte Projektionsfläche für Ansprüche abseits der Kriegsnotwendigkeiten. Diese Vielgestaltigkeit, teils auch Widersprüchlichkeit machten Kohlenklau zur besterinnerten Kampagne ihrer Zeit, waren auch Garanten für ihre Uminterpretation in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Wie funktionierte NS-Propaganda? Gewiss nicht so, wie es uns die großen politischen Inszenierungen, die Selbstdarstellung des Regimes und auch deren zu enge Analyse in der Geschichtswissenschaft nahelegen.
Uwe Spiekermann, 19. April 2025
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