Coca-Cola war lange die wertvollste Marke der Welt. Das braune Getränk stand und steht für den American Way of Life, für die Koppelung von Massenproduktion, Massenkonsum und Markenartikelwerbung. Coca-Cola steht aber auch für globale Probleme des Kapitalismus, für Wasser- und Ressourcenverschwendung, für Steueroptimierung und Lobbyismus (Bartow J. Elmore, Citizen Coke. The Making of Coca-Cola Capitalism, New York und London 2015 (lesenswert!); Amanda Ciafone, Counter-Cola. A Multinational History of the Global Corporation, Oakland 2019; Robert Crawford, Linda Brennan und Susie Khamis (Hg.), Decoding Coca-Cola. A Biography of a Global Brand, London und New York 2021). Das gilt auch für Deutschland. Gleichwohl wird Coca-Cola hier immer auch mit dem Lebensgefühl der „Wirtschaftswunderzeit“ verbunden, also der außergewöhnlichen Wachstumsphase der 1950er und frühen 1960er Jahre und der Reintegration Westdeutschlands in die globale Wirtschaft (Jeff R. Schutts, Coca-Cola History: A “Refreshing” Look at German-American Relations, GHI Bulletin 40, 2007, 127-142; Milena Veenis, Cola in the German Democratic Republic. East German Fantasies on Western Consumption, Enterprise & Society 12, 2011, 489-524). Dies ist überraschend, denn Coca-Cola wurde seit 1900 – wenn auch in kleinen Mengen – ins Deutsche Reich exportiert, und seit 1929 übernahmen zwei deutsche Ableger Produktion und Vertrieb vor Ort. Coca-Cola war Teil und zugleich später Widerhall der Amerikanisierung der späten 1920er Jahre, wurde dann auch integraler Teil der NS-Konsumgüterindustrie. Über die Verbindung von Coca-Cola und NS-Regime ist bereits einiges veröffentlicht worden, während über die Anfänge in Deutschland nur wenig bekannt ist. Dank der unlängst erfolgten Digitalisierung einschlägiger Essener Tageszeitungen ist es nun jedoch möglich, ein genaueres Bild der Anfänge der Coca-Cola GmbH zu zeichnen und diese zugleich in die Konsum- und Wirtschaftsgeschichte der Zeit breiter einzubetten (Dank an Michael Herkenhoff und die Mitarbeiter von https://zeitpunkt.nrw).
Ein kaum bekannter Trank im fernen Amerika
Coca-Cola war im Deutschen Reich schon während des Kaiserreiches bekannt. Doch verglichen mit anderen Besonderheiten der amerikanischen Konsumkultur, etwa dem Kaugummi, blieb die Zahl der Nennungen überraschend gering (Philipp Berges, Welt-Ausstellungs-Fahrt nach St. Louis. XV., Hamburger Fremdenblatt 1904, 154 v. 3. Juli 1904, 13; Lene Haase, In Bluffland, Württemberger Zeitung 1912, Nr. 131 v. 7. Juni, 17-18, hier 18 und Nr. 143 v. 22. Juni, 34, hier 34). Coca-Cola war in den USA anfangs eines der vielen Geheimmittel, mit denen man dort – so die Anpreisung – Alltagskrankheiten erfolgreich bekämpfen konnte, ohne den Arzt konsultieren zu müssen. John S. Pembertons (1831-1888) 1887 geschützte Rezeptur wäre jedoch ohne die Marketingkompetenz von Asa G. Candler (1851-1929) nur noch Kennern bekannt. Der Methodist und Abstinenzler wurde zum eigentlichen Promoter des ungewöhnlichen und von vielen Mythen umrahmten Getränkes. Er propagierte Coca-Cola erst in den Südstaaten, dann in der ganzen Union erfolgreich als schmackhafte Alternative zu den von ihm bekämpften Alkoholika – und als Trank der US-Prohibition wurde es dann während den frühen 1920er Jahren auch in Deutschland immer stärker wahrgenommen (Mark Pendergrast, Für Gott, Vaterland und Coca-Cola. Die unautorisierte Geschichte der Coca-Cola-Company, München 1995; Christa Murken-Altrogge, Coca-Cola art. Konsum, Kult, Kunst, München 1991).

Das gute Produkt verkauft sich: Die Masse der Konsumenten im frühen Coca-Cola Marketing (American Food Journal 15, 1920, Nr. 12, 34)
Auch wenn die gespaltene deutsche Temperenzbewegung nicht zuletzt vor dem Hintergrund von eugenischen und gesundheitspolitischen Debatten damals durchaus wichtig war, waren es vor allem der ökonomische Erfolg und die massive Werbung, die deutsche Berichterstatter an Coca-Cola interessierten (Amerikanische Reklame-Etats, Der Zeitungs-Verlag 26, 1925, Sp. 547-548, hier 548). Werbefachleute bewunderten beispielsweise die „Ideenverbindung von charakteristischen Merkmalen“ (Ernst Schmidt, Der rote Faden in der Reklame, Seidels Reklame 11, 1927, 153-155, hier 153). Die Anzeigenmotive mochten kommen und gehen, doch die Verankerung des Coca-Cola-Namenszuges und der erst seit 1915 in der „klassischen“ Form entstandenen Glasflasche hatten die Marke als Alltagsbegriff und Marktführer etabliert. Zudem erwähnten seit Mitte der 1920er Jahre zahlreiche Reiseberichte dieses vermeintlich typisch amerikanische Getränk (Mexikanische Abenteuer, Kölnische Zeitung 1928, Nr. 212b v. 17. April, 1; Arnold Höllriegel, Abenteuer im Wilden Westen, Berliner Tageblatt 1928, Nr. 343 v. 22. Juli, 21). Das fremde Produkt schmeckte allerdings nur den wenigsten Besuchern. Aus Kalifornien hieß es entsprechend: „Auf den Tischen sieht man alle möglichen Fruchtsäfte, Limonaden, Orangeaden, Coca Cola und endlich als Erträgliches die Flasche Ginger Ale aus Kalifornien – alles eisgekühlt, aber wässerig, Wasser mit verstohlenem Fruchtgeschmack, nur nicht das, wonach der Europäergaumen lechzt, besonders im Sommer: Bier!“ (Maximilian Hartwich, Im ‚Apollo‘ in der 86. Straße, Neues Wiener Tagblatt 1930, Nr. 156 v. 7. Juni, 2-3) An einen Erfolg von Coca-Cola in Deutschland glaubten nur wenige. Lieber ließ man sich in seinen Vorurteilen über die USA bestätigen, indem man über den vermeintlich letzten Schrei, die Mischung aus Coca-Cola und Aspirin in Studentenkreisen berichtete (Amerikanisches Allerlei, Badische Presse 1927, Nr. 508 v. 1. November, 3).
Internationalisierung: Coca-Colas moderate Expansion in Europa
Die ersten Exporte von Coca-Cola ins Deutsche Reich zielten vornehmlich auf die Versorgung der dort lebenden amerikanischen Staatsbürger. Sie waren noch nicht Bestandteile einer unternehmerischen Expansionsstrategie. Die Coca-Cola Company konzentrierte sich vorrangig auf die systematische Durchdringung des heimatlichen Marktes, die erst Ende der 1920er Jahre erreicht war (Robert W. Woodruff, After National Distribution-What?, Nation’s Business 17, 1929, Nr. 9, 125-127, hier 126-127). Erste ausländische Abfülllizenzen wurden im Gefolge des Einsatzes des amerikanischen Expeditionskorps – mehr als einer Million Soldaten – im Ersten Weltkrieg 1919 in Frankreich vergeben. Eine Ausweitung über die auch als Besatzungs- und Interventionstruppen im Deutschen Reich eingesetzten US-Soldaten scheiterte 1922 allerdings an massiven Hygieneproblemen, die den Coca-Cola-Absatz in Frankreich fast zum Erliegen brachten – die Kronkorken waren nicht sachgemäß desinfiziert worden (Pendergast, 1995, 260).

Eintragung des Warenzeichens „Coca-Cola“ in der Schweiz 1923 (Schweizerisches Handelsamtsblatt 41, 1923, 564)
Die während der 1920er Jahre dennoch vorangetriebene multinationale Expansion war Folge der nach dem Weltkrieg günstigen Investitionsbedingungen in Europa, dessen Kapitalarmut und der während des Krieges nochmals intensivierten Massenproduktion in den USA. Sie war zugleich Folge des Verkaufs von Coca-Cola durch Asa Candlers Erben an eine von Ernest Woodruff (1863-1944) angeführte Investorengruppe. Sein Sohn Robert W. Woodruff (1889-1985) übernahm 1923 die Präsidentschaft der in Atlanta ansässigen Coca-Cola-Company, die im Gefolge der Nachkriegsrezession und massiv gestiegener Zuckerpreise kränkelte (August W. Giebelhaus, The pause that refreshed the world. The evolution of Coca-Cola’s global marketing strategy, in: Geoffrey Jones und Nicholas J. Morgan (Hg.), Adding Value. Brands and Marketing in Food and Drink, London und New York 1994, 191-214, hier 195-196). Er führte das Unternehmen wieder auf eine höchst profitable Erfolgsspur und vergab bis Ende der 1920er Jahre Abfüllkonzessionen in mehr als 20 Ländern – mit allerdings sehr unterschiedlichem Erfolg (Jeff R. Schutts, Born Again in the Gospel of Refreshment? Coca-Colonization and the Re-Making of Postwar German Identity, in: David F. Crew (Hg.), Consuming Germany in the Cold War, Oxford und New York 2003, 121-150, hier 122).

Weiße und wohlhabende Kunden: Coca-Cola-Werbung 1929 (The American Girl 1929, Juli-Nr., 43)
Coca-Cola war eben ein Getränk für weiße Konsumenten der amerikanischen Mittelschicht. Ihre Lebens- und Konsumwelt wurde in der Werbung der Firma gefeiert – und damit die Alltagsrealität nicht nur vieler Amerikaner, sondern mehr noch vieler Europäer schlicht ignoriert. Sie entsprach gleichwohl idealisierten Vorstellungen des aufwändigen, ja verschwenderischen Lebens in den USA, das in Hollywood-Filmen und zahlreichen US-Illustrierten präsentiert und auch zelebriert wurde (die beste Analyse dieser Interaktion bietet Mary Nolan, The Transatlantic Century: Europe and America, 1890-2010, Cambridge und New York 2012).

Transport von Coca-Cola in Barcelona und in den Niederlanden (Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 112 v. 23. April, 10)
Die Firmengründungen im Ausland galten den US-Muttergesellschaften – einmal der Firmenzentrale in Atlanta, Georgia, zum anderen der Exportzentrale im steuerbegünstigen Wilmington, New Jersey – als weitere Belege für die Einzigartigkeit ihres Getränks. Doch Coca-Cola war nur als Werbeimagination einzigartig und einheitlich. Die Konzessionsvergabe erfolgte an formal unabhängige Lizenznehmer, deren vorrangige Aufgabe es war, das Franchisesystem mit jeweils nationalen Konzessionären zu etablieren. Diese mussten sich verpflichten, „den Coca-Cola-Sirup zu kaufen und mit Wasser und Kohlensäure auf Flaschen aufzufüllen. Außerdem haben sie sich zur Hälfte an den Kosten der Werbung zu beteiligen. Vor allem aber haben die Abfüller – im eigenen Interesse – dafür zu sorgen, daß die Ware an den Mann gebracht wird.“ (Willi Bongard, Coca-Cola. Das große Geschäft mit der kleinen Pause. Vom Aufstieg und Niedergang eines großen Slogans, in: Ders., Fetische des Konsums. Portraits klassischer Markenartikel, Hamburg 1964, 80-89, hier 87; ähnlich Seidels Reklame 14, 1930, 299). Die Dezentralisierung der Produktion war aufgrund der Transportkosten des Massengutes sachlich geboten. Die Konsequenz war aber auch, dass es abseits des einheitlichen Marketingdaches kein einheitliches Produkt geben konnte. Die Zusammensetzung von Wasser variierte nicht unerheblich, ebenso die des Zuckers. Coca-Cola war zudem in vielen Ländern nicht preisgebunden, die Preisgestaltung also nicht nur national, sondern auch regional unterschiedlich.

Amerikanischen Ursprungs, doch zugleich ein Weltgetränk (The City Builder 1929, Nr. 8, II)
Die wachsende Präsenz von Coca-Cola war spürbar, zugleich aber kaum vergleichbar mit den Folgen massiver Direktinvestitionen führender US-Unternehmen in Deutschland, etwa dem Kauf der Adam Opel AG in Rüsselsheim durch General Motors 1929 oder aber der Gründung des 1925 in Berlin etablierten, 1929/30 dann nach Köln übergesiedelten Ford-Werkes. Auch die Gründung der Wrigley-Kaugummiwerke in Frankfurt a.M. 1925 und die ein Jahr später in Berlin begonnene Fabrikation von Frigidaire-Kühlschränken entsprachen dem Standardmuster multinationaler Auslandspräsenz. Coca-Cola nutzte eine gänzlich andere ökonomische Strategie, wurde aber gleichwohl im allgemeinen Umfeld der kontrovers diskutierten Amerikanisierung der deutschen Wirtschaft bewertet: „Eine Überschwemmung mit amerikanischer Limonade droht allmählich Europa, nachdem die größte Fabrikantin alkoholfreier Getränke in Amerika, die Coca Cola Company, für den Ausbau ihrer europäischen Interessen eine Dachgesellschaft in Luxemburg gegründet hat“ (Stuttgarter Neues Tagblatt 1931, Nr. 159 v. 4. August, 11). Frühere Konzessionsvergaben in der Schweiz und auch in Österreich waren allerdings wenig erfolgreich gewesen (Irene Bandhauer-Schöffmann, Die Amerikanisierung des Geschmacks: Coca-Cola in Österreich, Historicum 1995, Herbstnr., 22-28; Georg Kreis, Coca-Cola erobert den Schweizer Markt, Schweizer Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 70, 2020, 369-390). Im Deutschen Reich sollte dies anders werden – so jedenfalls die Hoffnung der amerikanischen Repräsentanten von Coca-Cola.
Amerikanisierung im Widerstreit
Die Amerikanisierung während der späten 1920er Jahre war begrenzt und widersprüchlich. Sie machte sich vor allem an den Kulturimporten fest, am Jazz, an schwarzen Unterhaltungskünstlern, an neuen Tänzen, neuen Filmen, vor allem auch an einer neuen Frauenrolle. Der Zuschauersport mit seinen neuen Heroen war amerikanisch angehaucht, das Boxen zumal. Und die Girls der Revuen verwiesen nicht nur indirekt auf Florence Ziegfelds Broadway-Shows. Sie alle gewannen Aufmerksamkeit, prägten zahlreiche Zeitgeistillustrierte, wurden belebt durch die immer stärkere Sichtbarkeit des Amerikanischen durch die Fotopresse. Doch man sollte dies nicht gar zu sehr zum Kennzeichen der Epoche machen, zumal es sich ja vielfach – Hollywood ist dafür ein beredtes Beispiel – um Reimporte europäischer und insbesondere auch deutscher Einwandererunternehmer handelte. Hinter „Amerikanisierung“ verbarg sich nämlich eine schon während des Kaiserreichs immer wieder neu, immer wieder engagiert geführte Debatte um die Identität des aufstrebenden Deutschen Reiches und den Stellenwert von Hoch- und Konsumkultur. Seit den 1870er Jahren gab es immer wieder neue Konsumgüter aus den USA, die teils übernommen und verbessert wurden, die teils aber auch schlicht scheiterten. Man denke nur an das Liebig-Horsfordsche Backpulver, Edisons Phonograph, Gillettes Rasierapparate, Wilsons Rasierseife, Potter-Braces Hosenträger, eine wachsende Palette von Automobilen, Autoreifen, Fahrradnaben, Uhren, Kosmetika, Gartengeräten, Füllfederhaltern, Korsetts, Schuhen usw. Und was wäre Deutsche Weihnacht ohne die amerikanischen Nüsse gewesen…
Die Deutschen kannten und schätzten die standardisierten und zumeist praktischen Angebote aus dem Westen, waren sich zumeist jedoch sicher, Besseres bieten zu können. Nach dem verlorenen Weltkrieg schwand diese Zuversicht. Zugleich aber waren immer mehr Deutsche fasziniert von dem deutlich höheren Lebensstandard in den USA, der sich nicht nur am Dollar festmachte, dieser Bezugsgröße des inflationären Niedergangs 1922/23, sondern auch im Kaufrausch der US-Touristen nach Ende des Weltkriegs. Man war zurückgefallen, man war relativ arm: „Für etwa die gleiche Arbeitszeit wie hier kann der amerikanische Arbeitnehmer die gleiche Lebenshaltung wie sein deutscher Kollege genießen und hat darüber hinaus mindestens den gleichen Betrag wie für diese deutsche Lebenshaltung an Kaufkraft noch einmal frei für höheren Lebensgenuß, für Ersparnis oder Anschaffung – oft auch einen noch erheblich größeren Betrag“ (Julius Hirsch, Das amerikanische Wirtschaftswunder, Berlin 1926, 36-37). Amerikanisierung bedeutete daher Lernen, Übernehmen, aber immer auch ein Adaptieren, Verbessern und Überholen – so wie man dies mit den überlegenen Angeboten Großbritanniens im 19. Jahrhundert getan hatte.

Der Kampf gegen die kulturelle Amerikanisierung und die Faszination des Fortschrittsversprechens des Fordismus (Fliegende Blätter 168, 1928, 1 (l.); BZ am Mittag 1929, Nr. 122 v. 6. Mai, 16)
Die Amerikanisierung war daher in den späten 1920er Jahren immer ambivalent, zielte auf ein neues Erfolgsrezept für die geschundene Nation (zur Ambivalenz dieser Zeit vgl. Harald Jähner, Höhenrausch. Das kurze Leben zwischen den Kriegen, Bonn 2023). Mögen in den üblichen Gesamtdarstellungen auch die kulturellen Aspekte im Mittelpunkt stehen, so waren für die politischen, wissenschaftlichen und insbesondere wirtschaftlichen Eliten doch Fragen einer betrieblichen Rationalisierung, verbesserter Massenproduktion und Marktforschung wichtiger (Adelheid v. Saldern und Rüdiger Hachtmann, Das fordistische Jahrhundert: Eine Einleitung, Zeithistorische Forschungen 6, 2009, 174-185; Stefan Link, Rethinking the Ford-Nazi Connection, Bulletin of the German Historical Institute Washington 49, 2011, 136-150). Das galt auch für die Konsumgütermärkte: „An oberster Stelle steht heute der schlagfertige, straff geleitete Vertriebsapparat, der wie ein feinmaschiges Netz den ganzen Markt bedeckt, dessen weite Verästelungen wie die eines Nervensystems alle Beobachten an die Zentrale weitergeben und doch auch selbständig mit geschickten Reflexbewegungen auf jede Einwirkung von außen so reagieren, wie es die Zentrale nachträglich als allein richtig bestätigt“ (Victor Vogt, Absatzprobleme, Bd. 1, Stuttgart und Wien 1929, 7).

Importierte Coca-Cola im Amerikanischen Restaurant Roberts in Berlin (Der Welt-Spiegel 1928, Nr. 20 v. 13. Mai, 14)
Das zeigte sich auch im direkten Umgang mit amerikanischer Konsumkultur. Im April 1928 wurde am Berliner Kurfürstendamm beispielsweise das Amerikanische Restaurant Roberts eröffnet, dessen Eröffnung viele Monate von Geheimnissen umrankt war. Ein deutscher Architekt und amerikanische Geldgeber hatten dort einen kulinarischen Kunstraum geschaffen, der nicht nur eigenartige Speisen, sondern in einer fast echten Soda-Fountain auch Getränke am Bartisch bot: „Limonaden aus frischen Früchten, Coca Cola, Ice Creames mit Sodawasser, Frappes mit allerlei Früchten, Milchfrappees, Malzmilchfrappees, Frappees mit Milch und Ei und viele andere geheimnisvolle Drinks“ (Wir essen amerikanisch, Deutsche Allgemeine Zeitung 1928, Nr. 163 v. 5. April, 8). Andere Städte waren vorausgegangen, doch erst die Berliner Gründung machte qua Presseagenturen die Deutschlandrunde (Ein amerikanisches Restaurant in Berlin, Jeversches Wochenblatt 1928, Nr. 86 v. 12. April, 8). Das Fremde wurde beim Namen genannt, konnte ausprobiert und einverleibt werden. Und es wurde zeitweilig ein großer Erfolg, denn schon im August hieß es resümierend: „Es ist in Mode gekommen, und an den schönen Sommertagen ist die Terrasse draußen vor der Tür immer voll. […] So sieht man denn schon am Nachmittag viele Kurfürstendamm-Jünglinge mit ihren Begleiterinnen hier sitzen, sie bevölkern die niedrigen Barstühlchen, die zum Aufklappen eingerichtet sind, radebrachen Englisch und kommen sich ganz international vor“ (Oskar Mysing, Gewitter am Kurfürstendamm, Kölnische Zeitung 1928, Nr. 428b v. 6. August, 2). Coca-Cola gehörte dazu. Es schien Zeit zu sein für „dieses vom Europäer zunächst mit besonderer Verachtung gestraften Getränkes“ (Max R. Kaufmann, Dollarmillionen aus Wasser und Zucker, Münchner Neueste Nachrichten 1932, Nr. 100 v. 13. April, 3).
Zwischen Atlanta, Köln und Essen: Konturen der Firmengeschichte
Die Gründung der deutschen Coca-Cola-Ableger erfolgte knirschend, war anfangs von persönlichen Rivalitäten und einem doch recht bescheidenen Ertrag überschattet. Und doch sollte es sich bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs zur wichtigsten europäischen Coca-Cola-Dependance entwickeln (Giebelhaus, 1994, 199). Am 13. April 1929 wurde ins Handelsregister der Ruhrgebietsmetropole Essen die „Essener Vertriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung für Naturgetränke“ eingetragen (Essener Anzeiger 1929, Nr. 92 v. 21. April, 20). Sie war mit einem Stammkapital von 20.000 RM ausgestattet, Geschäftsführer wurde der aus Atlanta stammende Ray Rivington Powers (Deutscher Reichsanzeiger 1929, Nr. 96 v. 25. April, 22). Coca-Cola-Präsident Robert W. Woodruff hatte dafür persönlich grünes Licht gegeben – und diese neue Firma lancierte auch die ersten Werbekampagnen für Coca-Cola in Deutschland 1929/30. Anfang Juni folgte dann die von der Export-Abteilung in Wilmington initiierte „Coca-Cola GmbH“ mit Sitz in Köln und einem Stammkapital von 300.000 RM. Sie sollte die weitere Herstellung und den Vertrieb von Coca-Cola im Deutschen Reich, in Danzig und im Saargebiet flankieren, geleitet von dem in Brüssel ansässigen Repräsentanten Donald Shaw Hawkes (Kölnische Zeitung 1930, Nr. 2302 v. 3. Juni, 3). Nur eine Woche später folgte eine weitere Gründung, abermals in Köln, dieses Mal die „Deutsche Vertriebs-Gesellschaft mit beschränkter Haftung für Naturgetränke“. Powers war abermals Geschäftsführer, doch dank Krediten Woodruffs verfügte er nun über ein Stammkapital von 470.000 RM, mit dem er den gleichen Zweck wie die Coca-Cola GmbH verfolgen sollte (Deutscher Reichsanzeiger 1930, Nr. 137 v. 16. Juni, 18). Reibereien und Zuständigkeitsprobleme waren die Folge, das schwache Wachstum der Anfangsphase hatte auch hierin ihre Ursache.
Die Coca-Cola GmbH wurde im Juni 1931 nach Essen verlegt, Geschäftsführer Hawkes musste dem neuen Brüsseler Repräsentanten Albert Hammond Staton weichen (Deutscher Reichsanzeiger 1931, Nr. 131 v. 12. Juni, 21). An der doppelten Unternehmensstruktur änderte sich jedoch erst einmal nichts (Deutscher Reichsanzeiger 1931, Nr. 146 v. 26. Juni, 32). Immerhin siedelte im Oktober auch die „Deutsche Vertriebsgesellschaft mbH. für Naturgetränke“ nach Essen über, so dass die Entscheidungen nun einem Ort gebündelt waren (Bergisch-Märkische Zeitung 1931, Nr. 282 v. 17. Oktober, 16; Deutscher Reichsanzeiger 1931, Nr. 244 v. 19. Oktober, 5). Doch erst im Jahre 1937 etablierte sich eine einheitliche Zentrale. Im März wurde Geschäftsführer Staton durch den Deutschen Max Keith (1903-1987) ersetzt, zugleich das Stammkapital auf ein Drittel gesenkt (Deutscher Reichsanzeiger 1937, Nr. 66 v. 20. März, 25). Anschließend erfolgte im April die Zusammenlegung der Deutschen Vertriebsgesellschaft mbH für Naturgetränke und der Coca-Cola GmbH – als Name beließ man es bei der Coca-Cola GmbH (Deutscher Reichsanzeiger 1937, Nr. 79 v. 8. April, 12). Die Export-Abteilung behauptete ihren Einfluss, mit ihren Einlagen wurde das Stammkapital wieder erhöht. Powers, der 1938 tödlich verunglückte, wurde angemessen entschädigt (Giebelhaus, 1994, 199). Die weitere Unternehmensgeschichte während der Ära Keith ist für unsere Fragestellung nicht mehr von Belang, auch wenn sie den institutionellen Behauptungswillen der Coca-Cola GmbH unter Beweis stellt. Gleichwohl waren die Anfangsjahre kein Glanzstück unternehmerischer Führungskultur.

Präsenz zeigen: Coca-Cola-Wagen im Korso der Essener Rosenfahrt 1929 (Essener Anzeiger 1929, Nr. 170 v. 23. Juli, 9)
Die ersten Werbekampagnen 1929/30 waren demnach Ausdruck des Gestaltungswillens der von Powers geleiteten Essener Vertriebsgesellschaft. Sie standen für die Leistungsfähigkeit und die Gestaltungsmöglichkeiten regionaler Repräsentanten. Weiteren Lizenznehmern sollte dadurch ein Beispiel für ihre regional begrenzte Arbeit gegeben werden. Atlanta und Wilmington waren fern, mochten helfen. Doch – so hieß es in den USA „die Vertriebssorgen haben sie auf die Schultern der ‚Abzieher‘ und des Zwischenhandels abgeschoben. Die Abzieher verdünnen den Syrup mit Sodawasser, füllen das fertige Getränk in Flaschen ab und verkaufen es an die Erfrischungsstände in den Städten und an den Autostraßen sowie an die Spezereiwarenhändler“ (Kaufmann, 1932). Über die Anfänge in Essen gibt es mehrere retrospektive Berichte, die allerdings immer von der späteren Wachstumsgeschichte eingefärbt waren.
Der aus Essen stammende Marketing-Experte Hubert Strauf (1904-1993), der mit seiner Firma „Werbe-Strauf“ die Coca-Cola-Werbung seit den 1930er Jahren mitbestimmte und in den 1950er Jahren zu einem der führenden westdeutschen Werbetexter werden sollte, berichte in einem späteren Interview: „‚Ich begegnete Coca-Cola zuerst in amerikanischen Prospekten, die damals in Essen ins Deutsche übersetzt werden sollten. Das waren ganz billige kleine Prospekte, wo vorne drauf ein großes Wort stand: ‚Was ist Coca-Cola‘, Fragezeichen. Und dann machte man das auf und da lag da quer die Flasche und drunter stand: ‚Coca-Cola ist das eingetragene Warenzeichen für das einzigartige Getränk der Coca-Cola-Gesellschaft‘. Cé tout (lacht). Auf der Rückseite waren solche amerikanischen Beschäftigungsspiele, Quiz, Rätsel, das wurde dann auf der Straße, in den Gaststätten und bei Sportveranstaltungen verteilt. Die erste Coca-Cola-Flasche wurde damals in Essen 1929 abgefüllt, in einer winzigen Baracke von Krupp aus der Kriegszeit.‘ Essen war von den Amerikanern ausgewählt worden, weil es als Zentrum der Arbeit die nötige Gewähr für den großen Durst zu bieten schien – zum Freizeitgetränk sollte Coca-Cola erst später werden. Außerdem hoffte man unter den dort ansässigen Brauereien die ersten Cola-Konzessionäre zu finden: ‚Die Leute, die dafür in Frage kamen, die Selterswasserfabrikanten, die Bierverleger, die probierten das und sagten dann auf gut Ruhrdeutsch: ‚Dat tüch, dat süpt hier nemmes!‘ Das Zeug, das trinkt hier keiner. Schließlich hat er [Powers, US] sich die ersten Flaschen selbst abgefüllt – mit einem einzigen Arbeiter. Mit dem ist er dann mit einer Blechkarre und der ersten Produktion von drei oder vier Kisten an die Ruhr gefahren, zur sog. Hügelregatta und hat die ersten Flaschen Coca-Cola selbst verkauft, der Amerikaner in einem schönen Marengo-Überzieher und steifem Hut, ein Mann wie ein Schrank, der rief: Trinken sie Coaca-Coala, eiskalt, koöstlich und erfrischt…‘“ (sämtlich zit. n. Helmut Fritz, Das Evangelium der Erfrischung. Coca-Cola – Die Geschichte eines Markenartikels, Siegen 1980, 21).
Ein zweiter Bericht entstammt der PR-Abteilung von Coca-Cola, beschrieb die kargen Anfänge vor dem Hintergrund einer sich seit 1949 rasch zu neuen Höhen aufschwingenden Absatzbewegung: „Der erste Essener und der erste deutsche Abfüllbetrieb für COCA-COLA in der Essener Hammerstraße, mit selbstverständlichem Sinn für tadellose Sauberkeit und Hygiene errichtet, und am 8. April 1929 in Betrieb genommen, war alles andere als ein moderner Großbetrieb. Damals bediente ein junger Essener, Josef Ignasiak, eine automatische 6-Flaschen-Abfüllmaschine und schickte die ersten Sendungen COCA-COLA mit einem Pferdefuhrwerk auf die Reise. Heute ist der kleine Angestellte von damals Fabrikmeister in der Essener Fabrik auf dem Kaninchenberg. An einem Tage füllen die von ihm betreuten Maschinen heute mehr Flaschen ab, als während des ganzen Jahres 1929“ (Die Idee der erfrischenden Pause, Deutscher Kantinen-Anzeiger 29, 1954, H. 9, 6-8, hier 7). Das PR-Narrativ des Aufstiegs aus kleinsten Anfängen hin zu späterer Größe charakterisierte auch eine spätere Jubiläumsschrift, die alle negativen Aspekte dieses Genres peinlich bündelte: „‚Es war ein bescheidener Anfang. Wir hatten einen halbautomatischen Füller, und mit viel Geschick gelang es uns, bis zu 35 Kisten Coca-Cola pro Stunde abzufüllen,‘ erinnert sich Josef Ignasiak, Mann der ersten Stunde von Cola-Cola in Deutschland. Der Absatz entwickelt sich langsam. Die Deutschen müssen erst auf den Geschmack kommen. […] Die Wirte sind skeptisch. Sie kaufen nur zwei, höchstens einmal sechs Flaschen. Probeweise wollen sie Coca-Cola, die als ‚köstlich – erfrischend‘ beworben wird, an ihre Gäste ausschenken. Der Verkauf von 24 Flaschen am Tag ist absoluter Rekord. Die Ware wird in der legendären ‚Seufzertasche‘ transportiert. Eine Art Aktentasche, mit Zink ausgeschlagen und mit Eiswasser gefüllt, sorgt für die richtige Trinktemperatur. Ihr Gewicht und die mageren Umsätze sind noch Anlass für Stoßseufzer. Doch die Pioniere halten durch“ (75 Jahre Coca-Cola in Deutschland, hg. v.d. Coca-Cola GmbH, Essen 2004, 8-9).
Derartige Beschreibungen sind natürlich nicht als Abbild der Anfänge in Essen zu verstehen, sondern sind wichtige Ergänzungen zu den dokumentierbaren Werbeaussagen 1929/1930. Die Berichte erinnern in ihrem einseitigen Blick auf die Widrigkeiten zugleich an die vielgestaltigen Erzählungen von Missionaren und Entdeckern im Umgang mit Ungläubigen und Eingeborenen. Konsum hat eben auch etwas mit Glauben und Bekehrung zu tun.
Essen, nirgendwo sonst: Die Anfänge der Coca-Cola-Werbung
Kommen wir nun endlich zu den ersten deutschen Werbekampagnen für Coca-Cola. Es handelte sich dabei um Zeitungsanzeigen, also nur ein Element der oben schon angerissenen Werbeanstrengungen der „Pioniere“. Coca-Cola wurde zudem mittels Direktwerbung, also Broschüren und Werbezetteln, mittels Plakaten und Giebelwerbung, Proben und Ausstellungen angepriesen: Das verbindende Element war dabei nicht nur das Getränk, sondern immer auch die zwei stetig präsentierten Hauptelemente der Werbeanstrengungen, nämlich der Namenszug und die seit 1915 nicht veränderte Glasflasche mit einem Inhalt von 0,192 Liter, also 6,5 Unzen (Norman L. Dean, The Man behind the Bottle, s.l. 2010). „Flaschenform wie Warenzeichen zeigen: Das ist »Coca-Cola«!“ (Wiener Illustrierte 61, 1942, Nr. 21, 12) – so hieß es bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein.

Start des anvisierten Siegeszuges (Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 115 v. 26. April, 5)
Die Anzeigen stammen aus drei lokalen Tageszeitungen: Der zentrumsnahen „Essener Volks-Zeitung“ des Verlages Fredebeul & Koenen, dem „Essener Anzeiger“ des Reismann-Grone-Verlags, dessen Besitzer Theodor Reismann-Grone (1863-1949) 1933 NSDAP-Oberbürgermeister Essens werden sollte, und der nationalen „Essener Allgemeine Zeitung“ des Giradet-Verlages. Die im Verlag Franz Gemoll erscheinende sozialdemokratische „Volkswacht“ wurde nicht mit Coca-Cola-Anzeigen bedacht. Arbeiter bildeten eben nicht die Zielgruppe des neuen, relativ teuren Getränks. Coca-Cola war ein Angebot für die urbanen Mittelschichten. Die Firmenleitung hielt engen Kontakt mit den Presseorganen, die wiederum an potenten Anzeigenkunden interessiert waren. Und mehr als das: Kurz vor der Produkteinführung betonte der Dokumentarfilmer Dietrich W. Dreyer (1887-1961) in einem in Essen gehaltenen Vortrag einige Hintergedanken: „Wenn wir Amerika in seiner ganzen Größe und Kraft gesehen haben, müssen wir fast unser gutes, altes Europa bedauern, doch eins haben wir, was die Amerikaner nicht einfach importieren und dreimal vergrößern können, Kultur und Tradition. Dennoch wollen wir lernen von Amerika, was uns in Wirtschaft und Weltgeltung helfen kann“ („Das schaffende Amerika.“, Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 97 v. 8. April, 3).
Lernen konnte man gewiss die gängigen Abläufe einer Werbekampagne: „Seit Wochen prangen nämlich tiefgroße Plakate an den Anschlagsäulen mit den geheimnisvollen zwei Worten Coca-Cola. Man blieb davor stehen, schüttelte den Kopf und glaubte wohl, daß eine neue Zigarette im Anmarsch sei. […] Neue Plakate tauchten in diesen Tagen auf; sie lüfteten das Geheimnis: ‚Coca-Cola ist ein herrliches Getränk‘“ (Mister Powers erklärt: „Coca-Cola ist ein herrliches Getränk“, Essener Anzeiger 1929, Nr. 92 v. 20. April, 7 – auch für die folgenden Zitate). Powers stand im Mittelpunkt der lokalen Presseberichterstattung: „Er hat einen Stab von sehr smarten Amerikanern um sich, die die Fabrikation leiten und die Organisation des Verkaufes durchführen. Ihre Zelte haben sie an der Hammerstraße aufgeschlagen, und zwar dort, wo die Firma Alfred Paas ihre riesigen Niederlassungen hat. Die Amerikaner sind sehr praktische Geschäftsleute; sie fangen klein an und bauen den Betrieb nach den Bedürfnissen der Konsumenten aus. Einstweilen produzieren drei Maschinen täglich 7000 Flaschen. Mister Powers will es dabei aber nicht bewenden lassen“. Er wollte den Markt auch in Deutschland erobern – das Produkt sei überlegen, die für den deutschen Geschmack viel zu kleinen Flaschen seien Teil eines für die Konsumenten notwendigen Lernprozesses: „‚Das Trinken ist eine Frage der Erziehung. Nicht die großen Mengen erfrischen, sondern das richtige Quantum zur richtigen Zeit.‘“ Rückfragen nach einer vermeintlich amerikanischen „Invasion“ wies Powers jedoch zurück. Er wolle Geld in Deutschland anlegen – und dieses werde vor allem Deutschen zugutekommen.
Neben derartigen Selbstdarstellungen gab es auch gängige Produktpräsentationen: Unter dem Mantel der Information wurde das neue Getränk den Lesern in Form eines redaktionellen Artikels präsentiert. Coca-Cola erschien – wie in der Werbebroschüre – als eine „raffinierte Mischung von Frucht-, Blätter- und Nußsäften (vierzehn an der Zahl), die aus den verschiedensten Ländern stammen […], als ein reines Naturprodukt, das keinerlei chemische oder künstliche Produkte enthält. Nur die besten Materialien werden zur Fabrikation benutzt, bester Kristallzucker, eiskaltes, klares, filtriertes, kohlensäurehaltiges Wasser und der mit größter Sorgfalt behandelte Sirup, die Seele des Getränkes“ (Was ist Coca-Cola?, Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 112 v. 23. April, 10; auch für die weiteren Zitate). Die von Struff benannte winzige Baracke mutierte zur „blitzsauberen Fabrik“, die Essener Bürger fanden sich auf Augenhöhe mit den Bewohnern Shanghais, San Franciscos und Roms. Essen war auserwählt als „Ausgangspunkt für Deutschland“ – und zugleich vergewisserte man, dass „nur ein ganz winziger Teil des Ertrages […] durch die Einfuhr von verschiedenen Fruchtsäften ins Ausland“ fließe. Der werbefrohe Artikel schloss mit der hoffnungsfrohen Kunde: „Coca-Cola wird sich in Kürze wegen seiner naturreinen Qualität in Deutschland derselben Beliebtheit erfreuen, die es über die ganze Welt besitzt, es ist der Champagner der alkoholfreien Getränke.“

Coca-Cola als Genussmittel (Essener Anzeiger 1929, Nr. 101 v. 1. Mai, 9)
Entsprechend hochwertig präsentierten die Anzeigen das braune Zuckerwasser: Nicht Erfrischung stand im Vordergrund, sondern „Genuß“. Die zweite Anzeige war mit „Eine Neuigkeit für Feinschmecker“ überschrieben, erlaubte einen Blick in ein gehobenes Café mit gut gewandten „modernen“ Menschen und durchweg „neuen“ Frauen (Essener Anzeiger 1929, Nr. 99 v. 28. April, 7; auch für das folgende Zitat). Gleichwohl war dieser naturreine Wonnennektar auch in Essen überall erhältlich: „Nach Spaziergängen, im Büro, im Café, bei Ihrem Kolonialwarenhändler – verlangen Sie Coca-Cola“ – so könne man 14 verschiedene Fruchtarten aus neun Ländern in nur einem Getränk genießen.

Das Lieblingsgetränk von vielen Tausenden? Ein neues Getränk sorgt für virtuelle Furore (Essener Anzeiger 1929, Nr. 104 v. 4. Mai, 5)
Die ersten Anzeigen verbeugten sich verbal vor den potenziellen Kunden der Ruhrmetropole, hießen sie willkommen in einem exklusiven internationalen Kreis der Millionen: „Ganz Essen spricht von Coca-Cola“ (Essener Volkszeitung 1929, Nr. 126 v. 7. Mai, 4). Die Anzeigen selbst hatten eine klare, gut wiedererkennbare Struktur: Neben Flasche und Namenszug traten einfache Graphiken von Menschen, die zumeist im freudigen Miteinander präsentiert wurden. Die Schriftart war einheitlich, klare Überschriften korrespondierten mit der aus der Rolle fallenden und daher besonders hervorgehobenen Spencerian Script-Typographie des 1886 geschaffenen Namenszuges.

Das deutsche Publikum klar verfehlt (Essener Volks-Zeitung, Nr. 140 v. 22. Mai, 7 (l.); ebd., Nr. 144 v. 26. Mai, 11)
Der Verbeugung vor den Essener Bürgern folgten Einblicke in die imaginierte Lebenswelt der amerikanischen Coca-Cola-Trinker. Schicke Wagen, schicke Kleidung, Club und Ober – die Bildsprache der Folgeanzeigen war fern vom Alltag im industriellen Herzen des Deutschen Reiches, in einer von Stahl, Maschinen und Energiewirtschaft geprägten Stadt, die zugleich die reichsweit wohl modernste Einzelhandelsstruktur aufwies: Zwei große Konsumgenossenschaften, katholisch und sozialdemokratisch, Krupps Konsumanstalt, leistungsfähige Filialbetriebe wie Tengelmann, Kaisers Kaffeegeschäft oder Hill. Die lokalen Berater wussten um das Schielen derartiger Werbung, rangen mit dem Sendungsbewusstsein der amerikanischen Markteroberer: „The Americans always told us to only translate the ads” (zit. n. Jeff R. Schutts, „Die erfrischende Pause“: Marketing Coca-Cola in Hitler’s Germany, EBHA paper 2005 (Ms.), 7. Erschienen in: Pamela E. Swett, S. Jonathan Wiesen und Jonathan R. Zatlin (Hg.), Selling Modernity. Advertising in Twentieth Century Germany, Durham 2007, 151-181), so Hubert Struff. Er hob zugleich lokale Bemühungen des Umpolens derartiger Anzeigen hervor. Es ging um die Lokalisierung des US-Getränks, um einen glaubhaften Bezug zu den nominellen Zielsubjekten derartiger Werbung. Dafür zentral wurde ein im Mai 1929 ausgelobtes Preisausschreiben: „Trinken Sie 2 bis 3 Glas Coca-Cola, und sagen Sie uns, was Sie davon halten – Ihr Urteil interessiert uns! Bedingungen: Schreiben Sie in höchstens 20 Worten, warum Sie Coca-Cola mögen / Es sind 12 Preise ausgesetzt: 1. Preis: Mk 500,- für das beste Urteil / 2. Preis: Mk. 250,- für das nächstbeste Urteil / 10 Preise à Mk 100,- / Ferner erhalten die Einsender der 20 weiteren besten Beurteilungen je 6 Flaschen Coca-Cola“ (Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 142 v. 24. Mai, 3).
Preisausschreiben waren keineswegs neu, sie kamen im Deutschen Reich kurz nach der Jahrhundertwende auf. Schwerpunkte waren Markenartikel, zumeist des Lebensmittelsektors, optische Instrumente und auch Druckwaren. In den 1920er Jahren nahm ihre Bedeutung leicht ab, doch gerade bei Innovationen blieben sie ein wichtiges Werbemittel – allerdings auch eine vorrangig kleinbürgerliche Passion (Preisausschreiben der modernen Welt, Moderne Welt 14, 1932/33, H. 1, 7). Bei den amerikanischen Firmen ragten die regelmäßigen Preisausschreiben von Kodak hervor.
Während eine Reihe Essener Bürger ihre Reime schmiedeten und die Coca-Cola-Repräsentanten auf die Ergebnisse warteten, waberte die Anzeigenwerbung ohne rechte Richtung dahin: Zum einen wurden Anzeigen geschaltet, die abermals die Cola-Flasche in den Mittelpunkt rückten, die nun „abends im Familienkreise“ getrunken werden sollte. Entsprechend erweiterte sich der Verkaufskreis: „Ihr Kolonialwarenhändler führt es“ (Essener Anzeiger 1929, Nr. 132 v. 8. Juni, 7). Zum anderen präsentierte man weiterhin mondäne US-Anzeigen, deren Bildmotive Verzehrssituationen der gehobenen Mittelschicht präsentierten, die sich im Straßen- oder Strandcafé erfrischten, die zugleich aber nur sich selbst gertenschlank oder männlich-durchtrainiert repräsentierten (Essener Anzeiger 1929, Nr. 109 v. 11. Mai, 11; Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 172 v. 22. Juni, 3; ebd., Nr. 175 v. 25. Juni, 3; Essener Anzeiger 1929, Nr. 156 v. 6. Juli, 9). Parallel veränderte sich die Periodizität der Anzeigen. Gab es anfangs alle drei Tage eine Annonce, so schaltete man seit Juli nurmehr alle sechs Tage eine Beschwörung des Erfrischungskaufes. Einzelne Motive wurden mehrfach gedruckt, schon bekannte Bild- und Textelement neu rekombiniert. Doch mit ca. 30 Einzelanzeigen handelte es sich um eine elaborierte Werbekampagne, deren Umfang und Ausstattung viele andere dieser Zeit in den Schatten stellte.

Das Preisausschreiben als lokales Ereignis (Essener Allgemeine Zeitung 1929, Nr. 273 v. 15. Juni, 4 (l.); ebd., Nr. 334 v. 18. Juli, 12)
Das Preisausschreiben ermöglichte zudem eine neuerliche Lokalisierung der Werbung: Frau Antonie Zierau, Inhaberin eines Essener Schönheitssalons, präsentierte sich zwar in etwas rüschiger Bluse: Doch mit einem Bubikopf nebst angedeuteten Herrenwinkern machte sie Louise Brooks (1906-1985) durchaus Ehre, der Hollywoodbelle, die 1929 für zwei Filme nach Deutschland gekommen war. Präzise hatte sie die Wortgrenze ausgenutzt – und strich 500 RM Preisgeld ein, die sie gleich in eine Reise an die Ostsee investierte: „Coca-Cola, Trank der Götter, / Jedem Sportler Siegesretter, / Jedem Wandrer unentbehrlich, / Jeder Hausfrau zugehörig, / Labetrunk der neuen Zeit, / Herzlichster Bekömmlichkeit.“ Nun gut, es ging um ein Lebensgefühl, auf dessen Wellen die Produkteinführung gelingen sollte. Und das Gedicht besaß eine gewisse Eigenständigkeit, anders als das Reimwerk des Zweitplatzierten, eines Essener Buchhändlers, der die Werbeattribute der Coca-Cola-Macher nur leicht variierte, diesen damit aber Selbstbestätigung ermöglichte. Weitere Einsendungen posaunten werbeträchtig: „Siegreich dringst in alle Zonen, / Du Getränk der Millionen, / Herb, erfrischend, ohnegleichen, / Wirst Dein Ziel bestimmt erreichen“ (Essener Anzeiger 1929, Nr. 143 v. 21. Juni, 17). Entsprechende Auszüge mixten die Werbeverantwortlichen in die visuell weiterhin fremd-amerikanisch geprägt Anzeigen, boten so kreolisierende Anreize für Essener Bürger – nicht unbedingt für den Durchschnittsmalocher (Essener Anzeiger 1929, Nr. 145 v. 23. Juni, 17; Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 179 v. 29. Juni, 3; ebd., Nr. 184 v. 4. Juli, 3). Wie wichtig den Machern diese lokale Erdung war, unterstricht die Wiederholung einzelner Anzeigen (Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 194 v. 14. Juli, 5). Damit konnte man zugleich die relative Erfolglosigkeit der Anfangsphase überspielen. Am Ende blieben Slogans übrig: „Erfrischend… gibt geistigen Schwung!“, „Erfrischend, stärkend und pikant“, „Was Millionen heut erfrischt“ und natürlich „Labetrunk der neuen Zeit…“ (Essener Anzeiger 1929, Nr. 171 v. 24. Juli, 7; Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 203 v. 23. Juli, 3; Essener Anzeiger 1929, Nr. 174 v. 27. Juli, 9; ebd. 1929, Nr. 182 v. 6. August, 15). So verging in Essen der Sommer, begleitet von nunmehr schon bekannten Bildern und Appellen.

Zielgruppendifferenzierung in der Coca-Cola-Werbung: Golfer (Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 263 v. 26. September, 3)
Erst im September änderte man die Strategie – und griff dabei wiederum auf vermeintlich bewährte Vorlagen aus den USA zurück. Außergewöhnlicher war jedoch, dass man am Ende des Sommers nicht auch die Werbeanstrengungen einstellte. Im Deutschen Reich war das nur bei Heilwassern üblich, zudem vor Weihnachten und Ostern. Doch optimistisch erklang nun: „Früchte schmecken und erfrischen zu jeder Jahreszeit. […] Coca-Cola ist das ideale Erfrischungsgetränk zu jeder Jahreszeit“ oder „Im Wechsel der Jahreszeiten gleichbleibender Genuss“ (Essener Volks-Zeitung 1929, Nr. 277 v. 5. Oktober, 13; Essener Allgemeine Zeitung 1929, Nr. 441 v. 1. Oktober, 13). Neben die Naturmystik des eigenen „naturreinen“ Getränkes trat in der dunkleren Jahreszeit zudem eine Art Sonnenkult, der auch die Essener erwärmen sollte: „Die Naturkraft der Sonne in jeder Flasche dieses köstlichen Getränks!“ (Essener Anzeiger 1929, Nr. 238 v. 10. Oktober, 7). Sprachlich baute man durchaus Brücken zum Alltagsleben, sprach von „Feierabend“ nach „anstrengender Tagesarbeit“, präsentierte zugleich aber weiter Werbebilder fern dieser Massenrealität (Essener Allgemeine Zeitung 1929, Nr. 455 v. 15. Oktober, 6).
Die Differenz zwischen Alltag und Traumwelt schien durch das mit 30 Pfennig pro Glas resp. Flasche recht teure Getränk überbrückt werden können – doch diese Diskrepanz war nicht unbedingt erwünscht, spiegelte die für viele US-Unternehmen (und auch deutsche) typische Ignoranz der formal adressierten Konsumenten. Und so wurde im November von der „Erhitzung des Tanzes“ gesprochen, garniert mit Armbändern für die Upper Class, vor Weihnachten dagegen von der Ermüdung durch Weihnachtsbesorgungen (Essener Anzeiger 1929, Nr. 275 v. 23. November, 7; ebd. 1929, Nr. 293 v. 14. Dezember, 11). Ebenso unpassend dürfte die stete Gleichsetzung von Coca-Cola mit einem Fruchtgetränk gewesen sein – da erschien die langsam einsetzende Werbung für deutschen Süßmost doch glaubwürdiger (Uwe Spiekermann, Künstliche Kost, Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute, Göttingen 2018, 535-543). Das Konzentrat sollte aus 14 verschiedenen „Früchten“ komponiert worden sein, Coca-Cola sei „Gesund – wie frische Früchte“ (Essener Anzeiger 1929, Nr. 264 v. 9. November, 11), ja im Getränk seien „Aufgespeicherte Sonnenstrahlen“ (Ebd, Nr. 303 v. 28. Dezember, 15) enthalten. Heutzutage wäre das wohl irreführend.
Insgesamt haben die Essener „Pioniere“ massiv in die Anzeigenwerbung investiert, nutzten den Lockreiz ferner US-amerikanischer Lebenswelten, führten ein gut dotiertes Preisausschreiben durch, verbeugten sich immer mal wieder vor den Essener Konsumenten, warben für den Coca-Cola-Genuss bis zum Jahresende. Danach endete die Werbekampagne. Und das Resultat? Im ersten Jahr wurden 5.840 Kisten des braunen Nasses verkauft. Für knapp 650.000 Einwohner war das nicht gerade viel. Es ist nachvollziehbar, dass die Export-Abteilung in Wilmington nun auf die Ausweitung der Lizenzvergabe drängte – und dem mit der Gründung der Coca-Cola GmbH in Köln auch Nachdruck verlieh.

Erweiterung des Vertriebsnetzes (DGA. Duisburger General-Anzeiger 1930, Nr. 322 v. 12. Juli, 9; Remscheider General-Anzeiger 1930, Nr. 161 v. 12. Dezember, 13)
Die Folgen spiegeln sich in einer zweiten, deutlich kleineren Werbekampagne, die in Essen, aber auch vom neuen Lizenznehmer am Niederrhein durchgeführt wurde. Neuerlich wurde die lokale Bevölkerung direkt angesprochen. Flasche und Namenszug traten noch stärker hervor, wurden neu umrahmt. Die Mischung von Bild und Text wurde beibehalten, doch nun auf Fotos gesetzt. Anders ausgedrückt: Die „Pioniere“ lernten aus dem Desaster der ersten Werbekampagne. Die Anzeigen erhielten kräftigere, durch Großschreibung unterstrichene Schlagzeilen. Vor allem aber versuchte man, andere Lebenswelten anzusprechen, solche, mit denen deutsche Käufer ansatzweise Verbindung hatten. Die Anzeigen propagierten Coca-Cola nun kaum mehr als Genussmittel, sondern als Erfrischungsgetränk. Nicht mehr die mondäne Welt der sich seit dem Börsenkrach in New York in freiem Fall befindlichen USA wurde beschworenen, sondern ehrliche Sportler, von denen man mit realen Leistungen in der Presse lesen konnte.

Werbung mit nationalen Sportgrößen: Hans Wichmann (1905-1981), Victor Rausch (1904-1985) und Gottfried Hürtgen (1905-?) (DGA. Duisburger General-Anzeiger 1930, Nr. 370 v. 9. August, 5 (l.); ebd. 1930, Nr. 406 v. 30. August, 9)
Den Anspruch relativer Exklusivität bediente man mit schönen Frauen aus Hollywood, aber auch aus Deutschland. Diese Frauen mochten zwar in einer Traumwelt leben, doch sie waren nahbarer als die seelenlosen Bleistiftfiguren, die 1929 für Coca-Cola warben.

Weiblichen Pendants aus der Welt des Glamours: Filmschauspielerin Lisa Lee (1902/7-2001) und die spätere Miss Germany Ruth Ingrid Richard (Essener Volks-Zeitung 1930, Nr. 232 v. 22. August, 9 (l.), ebd., Nr. 239 v. 29. August, 6)
Es wäre dennoch verfehlt, die in dieser zweiten Werbekampagne sichtbar werdenden Lernprozesse zu stark zu gewichten. 1930 verkaufte Coca-Cola in Deutschland lediglich 9.439 Kisten (Schutts, 2005, 5), so dass angesichts des gewachsenen Absatzgebietes von einer Trendwende nicht gesprochen werden konnte. Wichtiger als verbesserte Werbung – und das war der eigentliche Lernprozess – waren massive Verbesserungen der Vertriebsstruktur. Entsprechend stellte die Firma weitere Anzeigenkampagnen ein – und nahm diese erst 1936 wieder auf. Die ersten Werbekampagnen 1929/30 spiegelten demnach ein überbordendes Vertrauen in die Kraft der Werbung – doch dies war in Deutschland nicht nur während der Weltwirtschaftskriese eine Chimäre.
Abseits der Werbung: Die nur langsame Verankerung vor Ort
Der Fehlschlag von Coca-Cola war nicht allein Folge der eigenen innerorganisatorischen Probleme, der zu stark an US-Vorlagen orientierten Anzeigenwerbung und dem fremden Geschmack eines recht teuren Getränkes. Es gab eine Reihe weiterer Ursachen, die allesamt außerhalb der Kontrolle der Amerikaner waren, die eine mehr als oberflächliche Marktanalyse jedoch hätte vorab kennen müssen.
Erstens war es für Coca-Cola recht schwierig, ihr Produkt als eisgekühltes Getränk anzubieten – und warme Coca-Cola ist in der Tat eine geschmackliche Herausforderung. Das Deutsche Reich war zwar im Felde der Großkältemaschinen auf Augenhöhe mit den amerikanischen Konkurrenten, doch bei der häuslichen und auch kleingewerblichen Kühlung lag es weit, weit zurück. In ganz Berlin, einer voll elektrifizierten Weltmetropole, gab es Anfang 1929 erst 1.126 Kühlschränke – trotz der Präsenz des weltgrößten Herstellers Frigidaire vor Ort (Elektrizitätswirtschaft 28, 1929, 528-529). In den USA gab es 1929 dagegen bereits 840.000 elektrische Kühlschränke, 1934 dann 1,39 Mio. (Helios 11, 1935, 698). Bis 1939 sollte die Zahl in Deutschland auf ca. 250.000 steigen, ergänzt durch deutlich mehr mit Kunsteis betriebenen Eisschränken. Während Ausfluglokale und Gaststätten seit den späten 1920er Jahren langsam in Kühlräume investierten, waren diese, ebenso wie kleinere Kühltruhen, im Einzelhandel und bei den meisten Gaststätten unüblich. Eine Kühlkette bestand nicht. Entsprechend hatte Coca-Cola beträchtliche Probleme, ihr Produkt durchweg kühl anzubieten. Damit entfielen auch gängige Vertriebsmöglichkeiten über den Einzelhandel, denn für die in den USA schon üblichen Six-Packs fehlte schlicht die Kühlinfrastruktur. Entsprechend konzentrierte sich der Absatz auf Gaststätten, wurde in der frühen Werbekampagne nur mit Erfrischung, kaum aber mit „eisgekühlt“ oder aber „eiskalt“ geworben (Pendergast, 1995, 329-331).
Zweitens hatte man in den USA die deutsche Getränkekultur nur unzureichend studiert. Neben Wasser bildeten (Ersatz-)Kaffee, Bier und Milch die wichtigsten Getränke. Nicht alkoholische Getränke besaßen – auch mangels Prohibition – eine deutlich geringere Bedeutung als in den USA. Der Tafel- und Heilwasserkonsum lag 1928 bei mehr als 2,5 Liter pro Kopf. Limonaden galten lange als Kinder- und Frauengetränke, doch während des Ersten Weltkrieges stieg ihr Konsum auf bis zu 10 Liter pro Kopf. Es handelte sich vielfach um Ersatzmittel mit schlechtem Geschmack – und dieses Negativimage war entscheidend für den raschen Niedergang der Branche nach dem Kriege (U[we] Spiekermann, Grundlagen der modernen Getränkekultur. Ein historischer Rückblick, Aktuelle Ernährungsmedizin 21, 1996, 29-39, hier insb. 32-34). Gleichwohl gab es immer wieder neue Brausen, Erfrischungsgetränke, die als Saisonangebote jedoch nur selten wirklich lukrativ waren. Der heutzutage wichtige Fruchtsaftkonsum setzte erst langsam ein. Insgesamt lag der Konsum nichtalkoholischer Kaltgetränke 1937 bei 8 Liter pro Kopf – so dass die Wachstumsmöglichkeiten auch für Neuentwicklungen strukturell begrenzt waren (Helmut Cron, Wandlungen im Genußmittelverbrauch, Stuttgarter Neues Tagblatt 1940, Nr. 302 v. 2. November, 15).
Drittens war der Konsum noch stark regional geprägt. Die bei Powers deutlich hervortretende Attitüde, dass man den Konsumenten über belehrende Reklame an ein neues, national vertriebenes Produkt heranbilden könne, war daher ignorant (H.F. Simon, Amerikas Industriesystem, Der deutsche Volkswirt 6, 1931/32, 187-190, 220-222, 251-254, hier 189).
Die weitere Entwicklung lag daher in der grundsätzlichen intellektuellen Abkehr von der Leistungskraft amerikanischer Vertriebssysteme, der Gewinnung neuer Konzessionäre und Absatzmöglichkeiten sowie einer teils deutlich anderen Marktpositionierung von Coca-Cola. Dies bedeutete eine begrenzte De-Amerikanisierung und Nationalisierung von Coca-Cola. All das kann hier nicht im Detail diskutiert werden, doch auf einige Besonderheiten ist hinzuweisen.

Deutsche Besonderheit: Coca-Cola als Katermittel (Iserlohner Kreisanzeiger 1938, Nr. 306 v. 31. Dezember, 12)
Erstens wurde Coca-Cola im Deutschen Reich stets auch als Katermittel vermarktet. Das war in den „trockenen“ USA kaum opportun – obwohl ja der Alkoholkonsum während der Prohibition kaum gesunken war (Thomas Welskopp. Amerikas große Ernüchterung. Eine Kulturgeschichte der Prohibition, Paderborn 2010, 125-159). Coca-Cola galt als Mittel gegen „Spitz und Kater“, gegen den „Affen“, war „Katervertilgungsmittel“ (Grenzwarte 1930, Nr. 315 v. 18. November, 3; ebd., Nr. 354 v. 31. Dezember, 3; ebd., Nr. 353 v. 30. Dezember, 3). Coca-Cola war ein Präventivmittel gegen die Wirkungen des Alkoholkonsums, unterstützte diesen also indirekt: „Deshalb trinken wir zum Appetitanregen vor dem Abendbrot etwas Asbach-Uralt, anschließend Coca-Cola“ (Grenzwarte 1931, Nr. 5 v. 7. Januar, 3). Und nach durchgezechter Nacht galt es als Heil- und Linderungsmittel: „Da habe ich ihm zunächst mal zärtlich sein pupperndes Pulschen gefühlt, ihm einen Eisbeutel aufs Kahle Asten-Haupt gelegt […] dann habe ich eisgekühltes Coca Cola eingeflözt (!). So kam er denn langsam, aber sicher wieder zu sich“ (Grenzwarte 1930 v. 16. Dezember 1930, 3). Die Fremdbezeichnung als „Gesundheitsgetränk“ (Volkswacht 1931, Nr. 207 v. 5. September, 6) gewann so auch abseits der Temperenzbewegung an Kontur. Coca-Cola war in Deutschland eben kein Mittel der Enthaltsamkeit.
Zweitens findet man Anfang der 1930er Jahre eine verstärkte Integration in die Freizeitkultur – teils durchaus im Einklang mit den US-Konsummustern. So wurde – Kühlung vorausgesetzt – Coca-Cola etwa in Kinos angeboten, halfen Gutscheine und Proben bei der Gewinnung von Kunden.

Coca-Cola als Getränk im Kino (Ohligser Anzeiger 1932, Nr. 256 v. 31. Oktober, 12 (l.); Essener Anzeiger 1934, Nr. 82 v. 23. März, 16)
Auch im alkoholschwangeren Karneval fand es einen Platz: „In diesem Lokal herrscht nur Frohsinn und Heiterkeit. / Vergiß die Alltagssorgen, fühl dich als Mensch. / Trinke, lache und lebe! / Coca-Cola, der Sekt der alkoholfreien Getränke regt zu neuen Taten an“ (Essener Anzeiger 1932, Nr. 38 v. 14. Februar, 11). Das war ein Appell an relative Nüchternheit, an Feiern mit Verweis auf die Folgen eines Rausches.

Marktausweitung: Coca-Cola als Angebot eines Konzertcafés (DGA. Duisburger General-Anzeiger 1930, Nr. 471 v. 12. Oktober, 14)
Drittens investierte die Coca-Cola GmbH vermehrt in Ausstellungen. Hier konnten sowohl Konsumenten, zugleich aber auch potenzielle Konzessionäre und Großhändler mit Proben versorgt werden. Coca-Cola war dabei ein gern gesehener Gast, etwa auf der Braunen Messe in Solingen, wo der Stand sich „regsten Besuches“ erfreute und „dieses dunkle Getränk mit Behagen“ vertilgt wurde („Braune Messe“ in Solingen, Bergische Post 1934, Nr. 230 v. 3. Oktober, 3). Der Erfolg derartigen Direktmarketings war groß, so dass später sogar die Größe der Werbeflaschen auf 100 ccm begrenzt wurden, um Werbeexzesse einzudämmen (Weihnachtstagung des Gaststättengewerbes, Ohligser Anzeiger 1938, Nr. 292 v. 14. Dezember, 4).
Viertens weitete die Coca-Cola GmbH langsam – während der Weltwirtschaftskrise sehr langsam – ihr Vertriebsnetz aus. Sie nutzte dazu den Anfang der 1930er Jahre stark gesunkenen Bier- und Mineralwasserkonsum, bot sich insbesondere Großhändlern als langfristig volumenträchtiger Lückenfüller an. Entscheidend war die Expansion über das Rhein-Ruhrgebiet hinaus, wobei die Gründung eines zweiten Abfüllbetriebes in Frankfurt a.M. 1934 entscheidend war. Weitere folgten einige Jahre später in Breslau und dann – im Anschluss an den Anschluss Österreichs – auch in Wien.

Andockstelle für Gaststätten, dann auch Einzelhändler: Werbung der Konzessionäre (Niederrheinisches Tageblatt 1933, Nr. 212 v. 9. September, (l.); Dorstener Volkszeitung 1933, Nr. 291 v. 21. Oktober, 14)
Fünftens spiegelte sich der relative Erfolg Coca-Colas in wachsender Konkurrenz. Afri-Cola wurde seit 1931 angeboten, 1934 erweiterte der Marktführer Sinalco sein Angebot um Sinalco-Cola. Sie waren Konkurrenten, gewiss, ebneten der Verbreitung von Cola-Getränken jedoch ebenfalls den Weg.

Der Erfolg all dieser inkrementalen Veränderungen war beträchtlich: 1933 wurden im Deutschen Reich 111.720 Kisten abgesetzt (Schutts, 2005, 5). Zur Erfolgsgeschichte wurde Coca-Cola jedoch erst den Folgejahren. Sie war Folge einer strikten Anpassung der Coca-Cola GmbH und ihrer Konzessionäre an die Spielregeln des NS-Regimes.
Erfrischung für die Volksgenossen: Anpassung und wirtschaftlicher Erfolg während der NS-Zeit
Über die NS-Zeit liegen einige genauere Analysen vor, die gleichwohl große blinde Flecken aufweisen. Anfangs herrschte in der Forschung gar Erstaunen über den relativen Erfolg der „amerikanischen“ Coca-Cola während der NS-Zeit (Hans Dieter Schäfer, Das gespaltene Bewußtsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945, München 1983). Andere behaupteten – leider ohne unmittelbaren Quellenbezug – eine weitgehende „Germanisierung“ des Getränkes, die dann nach 1945 in eine Re-Amerikanisierung gemündet sei (Silke Horstkotte und Olaf Jürgen Schmidt, Heil Coca-Cola! – Zwischen Germanisierung und Re-Amerikanisierung. Coke im Dritten Reich, in: Heike Paul und Katja Kanzler (Hg.), Amerikanische Populärkultur in Deutschland, Leipzig 2002, 73-86). Dabei zeigen genauere Analysen, etwa des Haarfärbemittels Nurblond, dass hybride nationale (und bedingt auch ideologische) Zuschreibungen integraler Bestandteil der Bedeutungsproduktion und Ästhetisierungen moderner Konsumgesellschaften sind.
Fünf Punkte gilt es abschließend anzusprechen, wohl wissend, dass diese sämtlich genauer und quellengesättigter diskutiert und breiter eingebettet werden müssten. Erstens stand Coca-Cola während der NS-Zeit unter beträchtlichem ideologischem Druck. Die antikapitalistischen und antiamerikanischen Kräfte in der NSDAP fanden nach der Machtkonsolidierung weiterhin Gefallen an Denunziationen in der Tradition des Amerikanisierungsdebatten der späten Weimarer Republik. Auch in Essen hieß es 1933: „Die Firma Coca-Cola behauptet immer, daß sie ganz und gar deutsch sei. Die Kundenwerbung, die sie losläßt, ist aber bestimmt amerikanisch!“ (Essener Anzeiger 1933, Nr. 319 v. 24. Dezember, 11) Gravierender waren die 1935 aufkommenden Denunziationen in der wöchentlich erscheinenden antisemitischen Zeitung „Der Stürmer“. Über Stürmerkästen in einer wachsenden Zahl deutscher Städte prangerhaft präsentiert, hatte die 1935 in einer Auflage von fast einer halben Millionen Exemplare gedruckte Zeitschrift Coca-Cola als eine „jüdisch-amerikanische“ Firma gebrandmarkt. Dagegen wurde lokal protestiert, wurde lokal das „Deutschtum“ der Firma und ihrer Konzessionäre betont. Dabei vermeldete man, dass es innerhalb der Firmen „keinerlei jüdischen Einfluß“ gäbe. Zugleich umgarnte man die Denunziatoren, schaltete man doch in der Folge Anzeigen im Stürmer. All das führte wiederum zu kritischen Rückfragen in den USA: Der Aufbau, eine deutsch-jüdische Exilzeitschrift, betonte angesichts dieser relativen Liaison: „Unsere Leser werden daraus die nötige Konsequenz ziehen“ (Zur Beachtung!, Aufbau 1935, Nr. 10 v. 1. September, 5). Das erfolgte 1935, also vor den in der Literatur vielfach erwähnten Denunziationen des Kölner Afri-Cola-Produzenten Karl Flach (1905-1997). Coca-Cola-Konzessionäre erwirkten insbesondere 1936 mehrere einstweilige Verfügungen, die gegen Haftstrafen Behauptungen untersagten, „das Coca-Cola-Getränke sei ein jüdisches Erzeugnis“ (Der Führer 1936, Nr. 261 v. 20. September, 8; Badische Presse 1936, Nr. 225 v. 19. September, 15).

Ein deutsches Unternehmen ohne jeglichen jüdischen Einfluss: Stellungnahme und Beschwichtigungswerbung (National-Zeitung 1935, Nr. 108 v. 8. Mai, 12 (l.); Der Stürmer 13, 1935, Nr. 28, 11)
Zweitens – und dies müsste gewiss weiter aufgefächert werden – führten diese vor Gericht fast durchweg erfolgreichen Abwehrerfolge gleichwohl zu einer tendenziellen Überkompensation. Selbstbehauptung ging einher mit einer bewusst regimetreuen Außenkommunikation. Coca-Cola bezeichnete sich vielfach als ein „rein arisches Unternehmer“ (gleich doppelt etwa in Neue Mannheimer Zeitung 1938, Nr. 439 v. 22. September, 3), ließ damit wohlwollende Akzeptanz der antijüdischen Politik des NS-Regimes erkennen. Entsprechend finden sich in den führenden NSDAP-Zeitschriften – etwa dem „Illustriertem Beobachter“ oder dem „Völkischen Beobachter“ – Werbeanzeigen von und für Coca-Cola. Auch die Aufrüstung bot Marktchancen, die Anzeigen in der Zeitschrift „Die Wehrmacht“ belegen dies.

„Rein arisches Unternehmen“: Coca-Cola als Unterstützer der NS-Judenpolitik (Hakenkreuzbanner 1938, Nr. 439 v. 22. September, 7)
Drittens unterstützte Coca-Cola die für die Akzeptanz des NS-Regimes recht wichtigen sportlichen Großereignisse: „In Berlin wurden bei den Olympischen Spielen Unmengen Coca-Cola getrunken, bei den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen gab es einen Rekordumsatz, auf dem Nürburgring, bei den Schmeling-Kämpfen“ (Der Führer 1939, Nr. 193 v. 15. Juli, 14). Insbesondere die beiden Olympiaden waren für die Coca-Cola GmbH entscheidende Wegmarken für die Akzeptanz der Marke im Deutschen Reich und für die Entwicklung hin zur wichtigsten europäischen Auslandsdependance des amerikanischen Mutterunternehmens. Die nun wieder einsetzenden Werbekampagnen nutzten dies, gingen mit der Sportpolitik des Regimes Hand in Hand. Dies fand zunehmend bei Kindern und Jugendlichen Widerhall. Eine 1939 durchgeführte Befragung Braunschweiger Jugendlicher ergab, dass die große Mehrzahl Selterswasser, Brause und Sprudel an die Spitze der ihnen bekannten antialkoholischen Getränke stellte, doch mehr als ein Viertel nannte Coca-Cola, mehr Nennungen als Limonade, Apfelsaft, Milch und Traubensaft (W[alter] Hermannsen, Erzieher und Erzieherinnen! Ein Wort an Euch!, in: Ders. und Heinz Lübke, Erzieher, Erzieherinnen, ein Wort an Euch!, Berlin-Dahlem 1940, 3-19, hier 14).

Arbeit, Pause, Arbeit – nicht nur in der Welt des Sports (Essener Anzeiger 1936, Nr. 188 v. 10. Juli, 11 (l.); Essener Volks-Zeitung 1936, Nr. 181 v. 3. Juli, 11)
Viertens konnte sich Coca-Cola ab 1936 langsam von dem zuvor dominanten Geschäft mit Gaststätten und dem Außer-Haus-Konsum emanzipieren. Bis daher zierten die meisten Anzeigen Verweise wie: „In Gaststätten und Cafés erhältlich“ (Stuttgarter Neues Tagblatt 1936, Nr. 306 v. 3. Juli, 14; ebd., Nr. 330 v. 17. Juli, 14). Die Werbung verwies nun immer stärker auf „Eisgekühltes Coca-Cola“, „immer eisgekühlt“ (Stuttgarter Neues Tagblatt 1936, Nr. 354 v. 31. Juli, 8; ebd., Nr. 404 v. 29. August, 8; Der Führer 1937, Nr. 255 v. 16. September, 7). Wachsende Bedeutung gewann zudem eines von Hitlers Lieblingsadjektiven, war Coca-Cola doch „stets eiskalt resp. „Immer eiskalt!“ (Riesaer Tageblatt 1937, Nr. 104 v. 7. Mai, 4; Essener Anzeiger 1939, Nr. 197 v. 22. Juli, 10). Ab 1938 finden sich jedoch zunehmend Hinweise auf die „bekannten Schilder“ für das Erfrischungsgetränk (Illustrierter Beobachter 13, 1938, 1820). Sie verwiesen immer häufiger auf Einzelhandelsgeschäfte: 1937 übertraf der Flaschenabsatz im Einzelhandel erstmals den in der Gastronomie (Schutts, 2005, 6). Dies war Folge einer wachsenden Zahl von Kühlanlagen insbesondere in Filialbetrieben, teils Vorläufer der im Rahmen des Vierjahresplanes vorangetriebenen Tiefkühlkost. Es war aber auch Folge staatlich erzwungener Preisreduktionen: 1938 wurden Höchstpreise für Coca-Cola eingeführt. Der Einstandspreis pro Flasche lag seither bei 15 Pfennig – eine Halbierung gegenüber den 1929 ursprünglich geforderten Preisen, die sich anschließend weiter reduziert hatten (Anordnung über die Festsetzung von Höchst-Preisen für Coca-Cola, Der Führer 1938, Nr. 173 v. 26. Juni, 5). Eingehalten wurden sie vielfach jedoch nicht (Oberbergischer Bote 1940, Nr. 206 v. 31. August, 7). Trotz des beträchtlich gestiegenen Absatzes – 1939 wurden erstmals mehr als eine Million Flaschen Coca-Cola im Deutschen Reich abgesetzt (Schutts, 2005, 6) – darf man die Resultate jedoch nicht überschätzen. Coca-Cola war vor Kriegsbeginn das erfolgreichste nichtalkoholische Markenprodukt im Deutschen Reich; doch es hatte nur einen Marktanteil von 15% in diesem weiter von Mineralwasser dominierten Segment erobert können (Schutts, 2003, 125).

Grundlage steigenden Konsums: Kühltechnik erlaubt die Verbreitung in Filialbetrieben (Bochumer Anzeiger 1938, Nr. 188 v. 13. August, 25 (l.); Badische Presse 1936, Nr. 167 v. 20. Juli, 12)
Fünftens blieb Coca-Cola während der NS-Zeit trotz aller Erfolge umstritten. 1939/40 dominierten die Kritik allerdings schon zuvor artikulierte gesundheitliche Argumente gegen das koffeinhaltige „Genußgift“ (Coca-Cola und Jugendliche, Zahnärztliche Mitteilungen 30, 1939, 834). Schon während der Olympiade hatte man für einschlägige Getränke eine Kennzeichnungspflicht – koffeinhaltig – eingeführt (Anordnung des Werberates der Deutschen Wirtschaft über die Kennzeichnungspflicht koffeinhaltiger Erfischungsgetränke [sic!]. Vom 17. Juli 1936, Reichs-Gesundheitsblatt 11, 1936, 684). 1938 wurde sie reichsweit verpflichtend (vgl. Essener Anzeiger 1939, Nr. 197 v. 22. Juli, 10). Die Coca-Cola GmbH halbierte parallel den durchschnittlichen Koffeingehalt des Getränkes, ohne dadurch aber Verbotsforderungen für Jugendliche unterbinden zu können (Constant Griebel, Der Koffeingehalt von „Coca-Cola“, Die Ernährung 5, 1940, 260-262; Wiener Pharmazeutische Wochenschrift 73, 1940, 117; Kurt Oxenius, Gegen Koffeinmißbrauch Jugendlicher, Münchener Medizinische Wochenschrift 86, 1939, 1586-1587). Die NS-Gesundheitsaktivisten nahmen für sich in Anspruch, dass der Konsum nach Kriegsbeginn aufgrund einschlägiger Propaganda „erheblich“ zurückgegangen sei ([Hanns] D[erstro]ff, Ein neues kohlensäurehaltiges Fruchtsaft-Milch-Mischgetränk und seine Beurteilung, Zahnärztliche Mitteilungen 33, 1942, 155-156, hier 155), doch das dürfte ein unbegründetes Selbstlob gewesen sein. Den Coca-Cola-Produzenten machten vielmehr erst abnehmende Zuckerkontingente zu schaffen, dann auch wachsende Probleme, das Konzentrat zu importieren. Coca-Cola wurde jedoch bis Oktober 1942 aktiv beworben (Hamburger Tageblatt 1942, Nr. 279 v. 10. Oktober, 8). An seine Stelle trat seit 1941 die in Essen entwickelte Kriegslimonade Fanta, die bis Anfang 1945 erfolgreich angeboten wurde (Werben und Verkaufen 25, 1941, 237; Zeitschrift für Volksernährung 17, 1942, 322).

Pausengetränk der Volksgemeinschaft: Beispiel für die regelmäßige Coca-Cola-Werbung in der führenden NSDAP-Illustrierten (Illustrierter Beobachter 13, 1938, 1429)
Seit 1929 hatte sich Coca-Cola als Pausengetränk der Volksgemeinschaft etabliert, hatten die „Pioniere“ Lernfähigkeit, Selbstbehauptungswillen und Systemnähe demonstriert. Ab 1949 sollten diese Eigenschaften zu neuen, zuvor undenkbaren Absatzrekorden führen – und sich das Getränk zu einem Symbol des Wiederaufbaus und der westdeutschen Demokratie wandeln.
Uwe Spiekermann, 11. September 2023
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