Blondinen zur Zeit des Nationalsozialismus – Das Haarfärbeshampoo Nurblond

Die Konsumgeschichte des Nationalsozialismus ist bis heute nur oberflächlich untersucht. Volkswagen und Volksempfänger, Vollkornbrot und Sojamehl geben eine Ahnung von der Breite und Ambivalenz einer zunehmend unter staatlichem Einfluss stehenden Konsumwelt, doch Auto und Radio, Naturkost und Convenienceprodukte künden von einer raschen Entnazifizierung der Dinge in der folgenden „Wirtschaftswunderzeit“. Die für Konsumgütermärkte charakterisierende Vermischung ideologischer, politischer, technischer und ökonomischer Einflussfaktoren ist schwer aufzudröseln – und vermeintlich typisch nationalsozialistische Konsumgüter kaum auszumachen. Auch die NS-Zeit war konsumtiv vorrangig Teil einer „westlichen“, einer kapitalistischen Moderne.

Konsumgüter sind eben nicht eindimensional, sondern vieldeutig. Der Gebrauchswert eines Volksempfängers lag wohl vorrangig in leichter Muse, Nachrichten und familiärer Geselligkeit, weniger in den obligaten Reden der nationalsozialistischen Politiker und ihrer konservativen Bündnispartner. Er war Ausdruck des sozialen Status, erlaubte Distanz zum Alltagsgeschehen, zeitweiliges Wegtauchen, diente der Wohnungseinrichtung. Vergleichbare Ambivalenzen gelten auch für Produkte, deren ideologischer Gehalt vermeintlich sicher zu sein scheint. Ein gutes Beispiel hierfür sind Haarpflegeprodukte. Blickt man in die Literatur, so scheinen vor allem die seit Anfang der 1930er Jahre verstärkt beworbenen und verkauften Haarfärbeshampoos typisch nationalsozialistisch zu sein. Das betonen zumindest mehrere Autoren mit Blick etwa auf Nurblond, einem Shampoo für blonde Frauen und solche, die es werden wollten.

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Blond gleich „arisch“? Plakative Rezeption einer Nurblond-Werbung (Lenka Kopecká, Das Bild der Frau in der NS-Zeitschrift „NS-Frauen-Warte“, Bachelorarbeit Olomouc 2015, 46)

Einschlägige Anzeigen fanden sich erst einmal in historischen Dokumentationen, die seit den 1980er Jahren mit einer verstärkten musealen Aufarbeitung des Nationalsozialismus einhergingen (Sabine Kübler, Frauen im deutschen Faschismus 1933-1945, hg. v.d. Stadt Frankfurt a.M., Frankfurt a.M. 1980, 72-73; Norbert Hopster (Hg.), Träume und Trümmer. Der Nationalsozialismus von 1933 bis 1945, Bielefeld 1989, 192). Dieses Genre ist plakativ: Die Nurblond-Anzeigen standen für die spezifisch nationalsozialistische Unterdrückung der Frau, die auf ihre Körperlichkeit und Reproduktionsfunktion reduziert wurde. Blondinen galten demnach auch als Ausdruck des „Arischen“, plakatierten gleichsam die Idee einer auch für die Damenwelt geltende Herrenrasse (Gloria Sultano, Wie geistiges Kokain… Mode unterm Hakenkreuz, Wien 1995, 188; Anja C. Schmidt-Otto, „Die Frau hat die Aufgabe, schön zu sein und Kinder zur Welt zu bringen“. Das Bild der Frau im Dritten Reich – zwischen nationalsozialistischem Dogma und populären Frauenzeitschriften, in: Walter Delabar, Horst Denkler und Erhard Schütz (Hg.), Spielräume des einzelnen. Deutsche Literatur in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Berlin 1999, 254-264, hier 255-256). Die Autorinnen werteten strikt und eingängig: In Nurblond-Anzeigen – und solchen vergleichbarer Haarpflegeprodukte – manifestiere sich das „Schönheitsideal der deutschen Frau“, orientiert „an dem Vorbild des Frauenbildes der nordischen Rasse“ (Tanja Sadowski, Die nationalsozialistische Frauenideologie: Bild und Rolle der Frau in der ‚NS-Frauenwarte‘ vor 1939, Mainzer Geschichtsblätter 12, 2000, 161-182, 169). Alle diese Arbeiten nutzten Anzeigen, analysierten und kontextualisierten sie jedoch nicht. Die geschichtspädagogische Aufgabe überlagerte offenbar die fachwissenschaftliche. Es ging um eindimensionale Benennung und Kritik von ideologisch begründeter Mutterschaft, vom Hausfrauenideal, dem Dienst am Manne und der „Volksgemeinschaft“, von Körperertüchtigung und Gesundheitspflege. Es fehlte jedoch eine genauere Kenntnis und Definition der Produkte (und auch der ideologischen Konstrukte der NS-Frauen- und Biopolitik). Nur so ist zu erklären, dass in Abschlussarbeiten die Fotomotive der Nurblond-Anzeigen als „arisch“ bezeichnet werden können.

Ein derart plakativer Umgang mit historischen Zeugnissen mag zwar kritisch daherkommen, steht jedoch für mangelnde Kenntnisse der NS-Konsumgütermärkte im Allgemeinen, für die der herangezogenen Haarpflegeprodukte im Speziellen. Es scheint, dass hier alte Vorstellungen des „Blonden und Blauäugigen“ – vermeintlich kritisch gewendet – in die Literatur zurückkehren. Blond wird auf einen zu dekonstruierenden Marker reduziert, gerät unter Generalverdacht.

Im Folgenden werde ich am Beispiel von Nurblond versuchen, eine andere und substanziellere Analyse von Haarpflegeprodukten während der NS-Zeit zu geben. Erstens wird es darum gehen, die Vorgeschichte des Haarfärbens und Blondierens genauer einzufangen, denn der Markteintritt von Produkten hat seine Eigenlogik, folgt technischen Entwicklungen, Marketingentscheidungen sowie Veränderungen der Nachfrage. Zweitens gilt es sich das Produkt Nurblond genauer anzuschauen, dessen Herkunft und Werbung, dessen Darstellung von Frauen und Kaufmotiven. Drittens folgt ein vergleichender Blick auf einige Konkurrenzprodukte, um so den Stellenwert des nur einen Markenartikels zu präzisieren. Viertens ist der Blick über die Grenzen des deutschen Vermarktungsgebietes hinaus zu weiten, war Nurblond doch keineswegs „deutsch“, sondern ein unter verschiedenen Namen vertriebenes globales Produkt.

Färben und Blondieren: Gefährliche und mühselige Unterfangen

Blond zu sein ist etwas Besonderes, denn es ist rar und vergänglich. Bei vielen, so auch bei mir, ist es eine Erinnerung an die Kindheit, denn das Haar dunkelt nach, die blonde Farbe vergeht, kehrt sich um ins bräunlich-fahle bis schließlich die Färbung aussetzt, graues und weißes Haar vordringt, gar dominiert. Blond steht für die eigene Herkunft, für Reinheit, für Jungfräulichkeit: „Die schönste Jungfrau sitzet / dort oben wunderbar / ihr goldnes Geschmeide blitzet, / sie kämmt ihr goldenes Haar“ heißt es in Heinrich Heines Loreley. Auch Goethes Gretchen oder von Kleists Käthchen sind jung und rein, Figuren im Widerstreit zwischen Heim und fordernder Welt.

Blond ist zugleich eine schwindende Haarfarbe. Lange charakteristisch für den weit gefassten Ostseeraum, für Skandinavien, Norddeutschland, Nordpolen und die baltischen Staaten, geht der Anteil der Blonden stetig zurück, wird diese Farbe doch rezessiv vererbt. Naturwissenschaftlich lässt sich dies stofflich fassen. Melanine werden gebildet oder nicht gebildet, ihre Mischung entscheidet über die Haarfarbe. Diese prosaische Erklärung verhinderte nicht, dass zumal im 19. Jahrhundert das Blonde pseudowissenschaftlich geadelt wurde, zur Haarfarbe der imaginierten „Germanen“ mutierte, zu einem Merkmal recht beliebig benannter „Rassen“, zum Kennzeichen von Höherwertigkeit und eines kühlen Geistesadels. Friedrich Nietzsche hat daraus „die prachtvolle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie“ (Zur Genealogie der Macht, in: Ders., Werke in drei Bänden, Bd. 2, München 1954, 786) kondensiert, gedacht als Warnung vor der grausam-barbarischen Natur des vermeintlich kultivierten Hominiden, unkundig umgedeutet zum heroisch-agilen Herrenmenschen. Die Spannbreite des Blonden war also beträchtlich. Eine klare Verbindung von Blond und Rassismus, gar Nationalsozialismus lässt sich daraus jedoch nicht ziehen.

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Ändere Dein Leben – Wasserstoffperoxid hilft (P[aul] Börner und R[ichard] Henneberg (Hg.), Officieller Führer durch die allgemeine deutsche Ausstellung auf dem Gebiete der Hygiene und des Rettungswesens, Berlin 1883, Annoncen, 80)

Das gilt zumal, blickt man auf das blonde Haar im Alltag der bürgerlichen Gesellschaft. Reinheit, Seltenheit, Schönheit – dies betörte, hier bestand Nachfrage: Es galt im bürgerlichen Heiratsmarkt zu bestehen, das Matronendasein hinauszuzögern oder Attraktivität und Selbstwertgefühl zu steigern. Sich gegen das Nachdunkeln und Ergrauen zu stemmen, gar andersfarbiges Haar zu blondieren, war daher nicht ungewöhnlich. Blondieren war jedoch schwierig und aufwändig, verlangte nach Friseuren, nach Haarfärbespezialisten. Das änderte sich seit den späten 1860er Jahren mit dem Wasserstoffsuperoxyd (ab 1960 als Wasserstoffperoxid bezeichnet, vgl. Über Wasserstoffsuperoxyd, Zeitschrift des allgemeinen österreichischen Apotheker-Vereines 13, 1875, 145-149). Damals brachte der Londoner Pharmazeut Eugène Henri Thiellay das Geheimmittel „Eau fontaine de jouvence golden“ für stattliche sieben Francs pro 140-ml-Flakon auf den Markt, garniert mit Verweis auf eine goldene Medaille während der Pariser Weltausstellung 1867. Bei dem Wässerchen handelte es sich um verdünntes und durchaus wirksames Wasserstoffperoxid, dessen bleichende Wirkung überzeugte (A. v. Schrötter, Wasserstoffsuperoxyd als Cosmeticum, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin 7, 1874, 980-982). Die Chemikalie zerstörte die Haarpigmente, erlaubte damit entweder eine wasserstoffblonde Frisur oder aber recht beliebig gefärbtes Haar. Als „Golden Hair Water“ oder auch „Auricome“ weiter vermarktet, wurde es rasch zum unverzichtbaren Hilfsmittel des Friseurhandwerkes oder aber der wagemutigen Frau. Das recht hoch konzentrierte Wasserstoffperoxid war wirksam, auch aufgrund der anfangs beigemengten Salpetersäure. Es war nicht einfach zu handhaben, zersetzte sich an der Luft recht rasch, hinterließ bei unkundiger Anwendung kräftige Flecken auf Haut und Kleidung. Doch die Bleichung hielt acht bis zehn Wochen (Heinrich Paschkis, Kosmetik für Ärzte, 2. verm. Aufl., Wien 1893, 221).

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Schönheit und vermeintliche Dummheit der Blondinen (Jugend 7, 1902, 647 (l.); Lustige Blätter 15, 1900, Nr. 5, 5)

All dies schien akzeptabel, erinnerte das sonstige Angebot doch an einen Chemiebaukasten: „Die derzeit meist in den Handel kommenden Haarfärbemittel enthalten entweder Blei, Wismuth, Silber, Mangan, Kupfer, Eisen, Quecksilber oder sind vegetabilischer Natur“ (Max Schneider, Die Mittel zur Pflege des Haares. II. Haarfärbemittel, Pharmaceutische Post 34, 1901, 617-620, hier 617). Die Mittel überdeckten die vorhandene Haarfarbe von außen, wirkten deshalb nur kurze Zeit, regelmäßig wiederholte Anwendungen waren die Folge. Das ging am besten bei der Schwarz- und Rotfärbung (Henna) – zumal der Kampf gegen graue Haare das Färben dominierte. Dagegen war es äußerst schwierig Mittelfarben wie Hellbraun oder Blond zu rekonstruieren bzw. neu herzustellen. Immerhin, Curcuma führte zu semmelweißem Haar, Silber-, Kupfer- und Molybdänpräparate zu Hell- und Tizianblond (Paschkis, 1893, 216-220). Die immense Zahl der Haarfärbemittel – eine Untersuchung in Wien nach der Jahrhundertwende führte knapp fünfzig Präparate namentlich auf (Schröder, 1901) – spiegelte sowohl den Drang nach Farbe und Veränderung als auch den Mangel an wirklich überzeugenden Angeboten. Wasserstoffperoxidpräparate blieben deshalb allgemein üblich.

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Teerfarben machen alles möglich (Lustige Blätter 21, 1906, Nr. 18, 22)

Auch Teerfarben wurden ausprobiert und eingesetzt, auch hier blieb das Ergebnis zwiespältig. Dennoch wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg die kosmetische Manipulation der Haare im Bürgertum üblich: „Das Haarfärben und die Erzeugung der Haarfärbemittel beginnt sich zu einem wahren Gewerbe zu entwickeln. Das Hindernis beim Gebrauch der Mittel ist nur das, daß die öffentliche Meinung mit dem Resultate wenig zufrieden ist, die Manipulation verurteilt, einen Betrug in ihnen sieht und sie nicht als den Ersatz der Natur annimmt, was zum Grunde haben kann, daß bei uns die Kunst des Haarfärbens ziemlich unvollkommen ist, ausgenommen das Bleichen. Das Blondfärben gelingt gewiß schön und wer es verurteilt, tut Unrecht. Wenn sich jemand sein wirklich häßliches Haar in schönes Blond verwandeln läßt, das ist absolut nicht zu verurteilen. Ein gelungenes Färben ist schön, ist somit kein Betrug, sondern es ist damit der Natur ein Sieg abgerungen“ (Johann Deffert, Vom Haarfärben, Neue Wiener Friseur-Zeitung 30, 1913, Nr. 12, 1-2, Nr. 13, 2-3, hier 3). Das Bleichen war zu dieser Zeit deutlich billiger geworden, so dass es auch in ärmere Schichten Verwendung fand. Da dort jedoch seltener auf Friseure zurückgegriffen wurde, war zersplissenes und „ruiniertes“ Haar ein Alltagsproblem. Erste Fertigkoloraturen, wie das 1908 auf Basis der Forschungen des Chemikers Eugéne Schueller (1881-1957) in Paris einführte L’Oreal-Henne, blieben Ausnahmen, waren aufgrund des verwendeten Phenylendiamins auch gesundheitsgefährlich (Jos. Mayer, Gefärbtes Haar einst und jetzt, Friseurkunst der Mode 5, 1920, Nr. 4, 1-2).

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Erhöhtes Körperkapital dank Blondin (Das interessante Blatt 24, 1905, Nr. 49 v. 7. Dezember, 21)

Nach Ende des Ersten Weltkrieges gewannen pflanzliche Färbemittel an Bedeutung – zumeist Kombinationen von Henna und Reng mit anderen Pflanzenstoffen. Französische, aber auch deutsche Anbieter entwickelten daraus Komplettangebote, aus denen die Konsumenten scheinbar beliebig wählen konnten. Das Pulver Henné-Broux gab es beispielsweise in fünfzehn verschiedene Farbnuancen, darunter Blond, Hellblond, Goldblond, Dunkelblond, Aschblond, Rötlichblond, Hellgoldblond, Hell-Aschblond und Dunkel-Kastanienblond. Um zu färben, musste man das Färbepulver in eine Schale geben, nach und nach kochendes Wasser hinzufügen, bis sich unter Rühren ein schlagsahnenähnlicher Brei gebildet hatte. Die Haare mussten zuvor gereinigt, getrocknet und gekämmt werden. Der abgekühlte Brei wurde dann per Pinsel auf die Haare aufgetragen, das Haar zu einem Schopf zusammengelegt und für eine halbe Stunde mit einem Tuch bedeckt. Es folgte die Reinigung mit lauwarmem Wasser, die Haare sollten mehrfach ausgedrückt und dann getrocknet werden. Damit war das Ende nahe, doch noch nicht erreicht. Noch musste das dem Pulver beigefügte Fixiermittel in kaltem Wasser aufgelöst und mit einem Pinsel in die Haare gestrichen werden. Anschließend auskämmen: Fertig (Fachblatt der Friseure, Raseure und Perückenmacher 20, 1926, Nr. 6, 14). Aufgrund dieses hohen Aufwandes griff die Mehrzahl beim Blondieren weiterhin zum Wasserstoffperoxid – oder aber zu Hausmitteln, etwa einem Kamillensud oder einer Rhabarberabkochung (Karl Mausser, Haarfarben und Haarfärben, Die Bühne 1926, H. 82, 62).

All dies fand nicht im luftleeren Raum statt, sondern vor dem Hintergrund einer breit gefächerten und sozial höchst heterogenen Frauenemanzipation. Ihnen stand eine wachsende Zahl von Berufen offen, gerade im Angestelltenmilieu etablierten sich berufstätige junge Frauen als Teil einer urbanen Arbeits- und Konsumkultur. Zum Signet der neuen Zeit und der viel beschworenen „Neuen Frau“ wurde nicht nur ein schlanker und sportlicher Körper, sondern auch der Bubikopf. Diese kurz gehaltene Frisur brach mit den Konventionen der Vorkriegszeit, hob Kopfform und Haar markant hervor, ließ das Äußere zunehmend gestaltbar werden: „Haarfärben ist zur Mode geworden. Die Blondine will als Brünette, diese als Blondine erscheinen; individueller, oft launiger Geschmack sind maßgebend. Anderseits soll dem frühzeitig oder dem physiologisch eingetretenem Ergrauen Abhilfe geschaffen werden“ (Egon Karpelis, Sind die üblichen Haarprozeduren schädlich?, Die Bühne 1927, H. 140, 38).

All dies war umstritten und umkämpft. Kritikern galt Färben als „eine Art Gewaltakt“: „Das Haar ist ein schönes Geschenk Gottes und soll nicht mißhandelt werden, gefärbt soll immer erst werden, wenn es nötig ist, und zwar nur da, wo es nötig ist“ (Die Kunst des Haarfärbens, Prager Tagblatt 1927, Nr. 84 v. 9. April, Unterhaltungsbeilage, 5). Färben war zudem kein Einmalakt, sondern Einstieg in einen oft lebenslangen Gebrauch. Dieser erfolgte auch keineswegs freiwillig, schien vielmehr Folge des intensiveren beruflichen Wettbewerbs zu sein (Ernst Tannert, Darf man die Haare färben?, Kleine Volks-Zeitung 1932, Nr. 121 v. 1. Mai, 13). Haarfärbung stehe für eine artifizielle Welt der Künstlichkeit und des Überdeckens, stehe gegen die von der Lebensreform und der Sportbewegung gefeierte und geforderte Natürlichkeit. „Hand weg vom Haarfärben!“ (Hilde Hanna Sitte-Hutter, Blond—Braun—Schwarz?, Kärntner Volkszeitung 1933, Nr. 88 v. 4. November, 8) hieß es aber auch auf der politischen Agenda, darin stimmten viele Repräsentanten von KPD, SPD, Zentrum, DNVP und NSDAP überein. Schließlich sprachen wichtige gesundheitliche Gründe gegen das Färben (Edmund Saalfeld, Haarbleich- und -färbemittel. Ärztlicher Teil, in: Hans Truttwin (Hg.), Handbuch der kosmetischen Chemie, Leipzig 1920, 541-546). Bleipräparate waren schon 1906 verboten, kupferhaltige deutlich eingeschränkt worden. Silberhaltige Hilfsmittel hielten länger vor, wurden daher gerne genommen, mochten sie das Haar langfristig auch spröde machen (P. Martell, Ueber Haarfärbemittel, Pharmazeutische Post 66, 1933, 29-31). Beim Blondieren wiederum führte der öffentlich geführte Risikodiskurs zum verstärkten Einsatz von „natürlichen“ Kamillenabkochungen. Diese waren wirksam, erforderten jedoch stetig wiederholte Anwendungen.

Shampoo als neues Produkt

Mitte der 1920er Jahre gab es also eine wachsende Palette von Haarfärbemitteln, doch keines war ohne Risiko. Färben blieb daher eine Kernkompetenz der Friseure. Dennoch ermöglichten die zeitgleich entwickelten Färbeshampoos einer wachsenden Zahl von Konsumenten selbstständige und häusliche Haargestaltung. „Shampooing“ war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eine speziell amerikanische Form der Kopfwäsche bekannt geworden, die ab Mitte der 1870er Jahre hierzulande auch maschinell angeboten wurde (Augsburger Postzeitung 1859, Nr. 89 v. 14. April, 8; Nürnberger Presse 1875, Nr. 190 v. 9. Juli, 4). Das Waschmittel bereiteten die Friseure meist selbst zu, üblicherweise als eine Mischung aus Eiern mit Rosenwasser und Parfüm (G. Weidinger’s Waarenlexikon der chemischen Industrie und der Pharmacie, hg. v. T[homas] F[ranz] Hanausek, 2. gänzl. umgearb. Aufl., Leipzig 1898, 297). Für den Hausgebrauch entstanden parallel Shampoo-Pulver, Mixturen aus parfümiertem Seifenpulver mit Soda oder Borax. Der Begriff „Shampoo“ findet sich im deutschen Warenzeichenverzeichnis seit spätestens 1899 (Deutscher Reichsanzeiger 1899, Nr. 36 v. 10. Februar, 8), 1903 wurde „Ebert’s Shampoo Powder“ als Warenzeichen eines Pulvers „zum Shamponieren“ (Deutscher Reichsanzeiger 1903, Nr. 151 v. 30. Juni, 16) eingetragen.

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Vorgefertigtes „Shampoon“, häuslich anwendbar (Fliegende Blätter 119, 1903, Nr. 3045, Beibl. 10, 2)

Nachhaltigen Erfolg hatte das seit 1903 angebotene „Shampoon“ des Berliner Friseurs Hans Schwarzkopf (vgl. Geoffrey Jones, Beauty Imagined. A History of the Global Beauty Industry, Oxford und New York 2010, 45-52). Es handelte sich um ein vorgefertigtes Pulver, ein Convenienceprodukt, das häuslich angewandt werden konnte und deutlich bessere Ergebnisse erzielte als das gängige Haarwaschen mit Seife oder Soda. Es dauerte jedoch nochmals zwei Jahrzehnte, bis es hieß: „Haarfärben nur durch Haarwaschen!“ (Neue Wiener Friseur-Zeitung 42, 1925, Nr. 6, 22). Dieser Slogan stammte vom Berliner Friseur Friedrich Klein, dessen Kleinol zu den Pionierprodukten neuartiger Haarfärbeshampoos gehörte. Sein 1924 gegründetes und 1935 von Elida übernommenes Unternehmen verband zwei Entwicklungen zu einem Produkt. Das häuslich anwendbare Shampoo wurde mit der Palette neuartiger pflanzlicher Haarfärbemittel gekoppelt, die bisher vornehmlich beim Friseurbesuch verwandt wurden. Daraus entstanden rasch ausdifferenzierte Produkte, angeboten unter der Dachmarke „Kleinol Henna-Shampoos“ zur Aufhellung dunkler Haare: Darunter befand sich ein eigenes Blondier-Shampoo (platinblond) und abgestufte Henna-Shampoos (mattblond, hellblond, goldblond und tizianblond). Gefahrlos war auch das nicht, denn die aromatisierten Diamine des Kleinols konnten Hautreizungen hervorrufen (Neue Wiener Friseur-Zeitung 48, 1931, Nr. 7, 1-2, hier 2).

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Shampoo + Henna = Haarfärbeshampoo Kleinol (Sport im Bild 39, 1933, 877)

Das neue Prinzip der Färbeshampoos führte zu einer wachsenden Zahl von Rezepten, auch zu einer Vermengung mit Hausmitteln. Das betraf vor allem die Kamille: „Aus den Kamillenblüten wird ein Extrakt gebraut; mit diesem wird das Haar nach dem Waschen und auch sonst alle paar Tage benetzt, […]. Viele Blondinen gießen auch den Extrakt direkt zu dem aufgelösten Haarwaschpulver und waschen das Haar mit dieser Mischung“ (Tannert, 1932). Entsprechende Extrakte wurden auch gewerblich hergestellt, mit Shampoopulver vermengt und als Kombinationsprodukt angeboten. Wichtige Impulse für derartige Produkte kamen dabei aus dem wachsenden Sortiment von Wasch- und Putzmitteln. Dort ging es um Farbechtheit, die gewonnenen Kenntnisse über Verfärbungen konnten jedoch auch in anderen Märkten genutzt werden.

Die neuen Shampoos waren betriebswirtschaftlich äußerst reizvoll: „Durch das Shampoonieren mit Shampoo-Farbe wird die Frau daran gewöhnt, ihre Haare in der Farbe zu erhalten, in der sie es haben will. Sie wird daran gewöhnt, daß das Haar ein gesundes und frisches Aussehen behalten muß. Sie wird daran gewöhnt, es zu pflegen und ihm schon von Jugend an ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie fährt damit fort, wenn sie älter wird und geht nun leicht zur notwendig gewordenen Färbebehandlung über“ (Haarpflege – die Einnahmequelle der Gegenwart, Friseur und Fortschritt 1935, H. 10, 13). Es ging also nicht nur um eine neue Produktgruppe, sondern auch um zunehmend jüngere Konsumenten, begann das Nachdunkeln des blonden Haares doch schon mit Beginn des heiratsfähigen Alters. Wichtiger noch war eine zunehmende Verhäuslichung der Haarfärbung – und es war unklar, ob die Friseure vom insgesamt wachsenden Markt der Haarpflege profitieren oder aber unter dem vermehrten Färben der Laien leiden würden. Um 1930 setzten die Berufsvertreter noch auf die eigene Kompetenz und glaubten sich durch die Werbung für die neuen Färbeshampoos nicht irre machen zu müssen (Praktische Winke für den Haarfärber, Neue Wiener Friseur-Zeitung 48, 1931, Nr. 6, 8; Um und für die Schönheit der Frau, Internationale Frisierkunst und Schönheitspflege 22, 1934, Nr. 11, 3-7, hier 7).

Ein wachsender Markt: Der lange Schatten der Filmblondinen

Nurblond war eines dieser neuen Färbeprodukte. Seit Sommer 1930 erwerbbar, war es Teil allgemeiner Veränderungen des Haarpflegemarktes, also stetem, schon vor dem Ersten Weltkrieg einsetzendem Wachstum, der Ausdifferenzierung der Haarfärbemittel sowie der Entwicklung neuartiger häuslich nutzbarer Färbeshampoos. Anders als etwa Kleinol, das von Anfang an auf das gesamte Farbspektrum zielte und bei dem blondfarbige Angebote Teil einer Dachmarke waren, konzentrierte sich Nurblond jedoch allein auf Blondinen.

Das bedarf der Erklärung, denn der Anteil der Blonden an der Gesamtbevölkerung sank. Nurblond war einerseits eine unmittelbare Referenz an das aufstrebende Massenmedium Film, dessen Dramen neue Prominenz schufen. Filmstars wurden bewusst geschaffen, waren Teil eines Vermarktungssystems, das zuerst bei Universal Pictures entworfen, auf das Mitte der 1910er Jahre entstehende Hollywood übertragen und dann weltweit übernommen wurde. Illustrierte, Magazine und neuartige Filmzeitschriften konzentrierten sich auf reale und imaginierte Nachrichten und Stories der Schauspieler, der Schauspielerinnen, ihres Lebens und ihrer amourösen Abenteuer. Die Filmstudios schufen eine Parallelwelt abseits der anfangs zumeist kurzen und schematisch ablaufenden Stummfilme. Die Traumfabrik produzierte nicht nur Konsumgüter für die Leinwand, sondern Lebens- und Konsumentwürfe für die Zuschauer. Dies galt für die Filmdramen, galt aber in noch stärkerem Maße für das scheinbar erstrebenswerte Leben als Filmstar. Begabung, Glück und natürlich Schönheit waren Voraussetzungen für einen raschen Aufstieg, der scheinbar jedem offen stand. Charlie Chaplin (1889-1979) stammte aus den Armenvierteln Londons, Mary Pickford (1892-1979) war ein Waisenkind aus Toronto, Douglas Fairbanks (1883-1939) eines aus New York. Zusammen mit dem ebenfalls als Waise in Kentucky aufgewachsenen Regisseur David Wark Griffith (1875-1948) gründeten sie 1919 United Artists, eines der größten und erfolgreichsten Filmstudios Hollywoods. Diese prozierten Filme und Stars; Stars, die zumeist standardisierten Schönheitsidealen und Rollenerwartungen entsprachen. Der Schwarz-Weiß-Film präsentierte die Blonde als Widerpart zur Dunklen. Sie konnte naiv sein, weißes Gift, lasziv und verführerisch, kühl und berechnend. Die Blonde wurde zum Ideal, Mary Pickford selbst hatte hierfür den Weg gewiesen.

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Die Garbo – platinblond – und die deutsche „Miß Blond“ 1932 (Das interessante Blatt 51, 1932, Nr. 24 v. 16. Juni, 6 (l.); ebd., Nr. 11 v. 17. März, 6)

In Deutschland wurde dieses Star- und Studiosystem ansatzweise kopiert, ebenso die Produktion von begehrten und bewunderten Filmblondinen. Ende der 1920er Jahre hieß es pointiert: „Während noch vor etlichen Jahrzehnten die dämonischen Schwarzen den Schauplatz beherrschten, sind sie inzwischen vollkommen von den Blondinen verdrängt worden“ (Pilsner Tagblatt 1928, Nr. 54 v. 23. Februar, 2). Filmstars prägten Männer- und Frauenbilder, bewegten Konsumgütermärkte, waren Konsumvorbilder: „Ob blond oder dunkel: das entscheidet heute die Mode und – die Filmdiva“ (Der Wiener Tag 1932, Nr. 3436 v. 11. Dezember, 14).

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NS-Gegnerin Marlene Dietrich als blonder Vamp und als imaginiertes Gretchen (Revue des Monats 8, 1933/34, Nr. 2, 115 (l.); Uhu 8, 1931/32, Nr. 2, 31)

Die Filmindustrie etablierte ein zwar vielfach irreales und eskapistisches Paralleluniversum, doch sie weitete die möglichen Lebensentwürfe von Frauen auch deutlich aus. Gewiss, ein Mann musste gewonnen werden, doch dies häufig nur als Startpunkt für ein Leben in Wohlstand und Glamour (Verena Dollenmaier und Ursel Berger (Hg.), Glamour! Das Girl wird feine Dame – Frauendarstellungen in der späten Weimarer Republik, Leipzig 2008). Frauenbilder wurden jedoch nicht nur facettenreicher, sondern waren Ausdruck auch von Selbstverwirklichung und einem erweiterten Horizont. Wichtig: Sie wurden global verbreitet – immer verbunden mit einem Set ähnlicher Konsumgüter (Tani E. Barlow et al., The Modern Girl around the World: A Research Agenda and Preliminary Findings, Gender & History 17, 2005, 245-294; Alys Eve Weinbaum et al. (Hg.), The Modern Girl around the World. Consumption, Modernity, and Globalization, Durham and London 2008).

Blonde Haare waren nicht mehr länger Reminiszenz an eine vergangene Kindheit, sondern erlaubten den virtuellen Kontakt mit dieser Welt. Sie waren Teil eines immensen Wachstums der kosmetischen Industrie, die scheinbar Brücken in die Traumwelten ebnen konnte. Schönheit war nicht mehr länger nur gegeben, sondern sie wurde machbar. Blond konnte wiederhergestellt werden, war Ausdruck neuer Möglichkeitshorizonte, war gestaltbar – so wie vieles andere mehr. Rückfragen und Ideologiekritik wären hier gewiss nötig, Hinweise auf illusionäre Tagträume, auf die systemstabilisierenden Wirkungen der Filmindustrie, sei es gesellschaftlich, wirtschaftlich und in der Hierarchie der Geschlechter. Doch das wurde durchaus selbstreferentiell behandelt, etwa in Alfred Hitchcocks wenig bekannter Farce „Endlich sind wir reich“ (1931).

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Selbstbewusste emanzipierte Frauen – auch blond (Ulk 55, 1926, Nr. 20, 8 (l.); Kriminal-Magazin 3, 1931, Nr. 33, I)

Blond, das sollte deutlich geworden sein, war ein buntes, vielgestaltiges Thema, lässt sich nicht auf die Produktion naiv konsumierender Blondchen reduzieren oder aber – neumodisch – auf „white femininity with specific class attributes“ (Pam Cook, Because she’s worth it: the natural blond from Grace Kelle to Nicole Kidman, Celebrity Studies 7, 2016, 6-20, hier 6). Blond sein war nicht zwingend affirmativ, Schrumpfform menschlicher Möglichkeiten. Blondinen waren um 1930 vielfach emanzipierte und selbstbewusste Frauen, wählerisch und in der Lage zu wählen. Das galt natürlich auch für „ihren“ Typ, für ihre Erscheinung, für ihre Haarfarbe, denn „überall siegt das Lichte über das Dunkle, Henna, Nur-Blond oder das Geheimrezept des Friseurs über die schwärzesten Locken“ („Ich erinnere mich Ihrer dunkel, gnädige Frau!“, Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 11, 994-996, hier 994-995).

Nurblond: Markteinführung während der Weltwirtschaftskrise

Die Deutsch-Schwedische Nurblond Laboratorien GmbH wurde am 26. Juli 1930 in Berlin mit einem Stammkapital von 20.000 Reichsmark gegründet. Ziel war die Herstellung und Vertrieb „von pharmazeutischen und kosmetischen Artikeln, insbesondere die Herstellung von Shampoons für blonde Haare nach schwedischen Originalrezepten“ (Deutscher Reichsanzeiger 1930, Nr. 180 v. 5. August, 9). Nurblond wurde anfangs von zwei Geschäftsführern geleitet, einerseits vom US-amerikanischen Fabrikanten Robert Routh (New York), anderseits dem Journalist Fritz Krome. Letzter wurde Ende Mai 1931 von seiner Position entbunden (Deutscher Reichsanzeiger 1931, Nr. 124 v. 1. Juni, 6). Der promovierte Philologe schrieb später dann regimenahe Romane, etwa 1938 „Deutsche in Südamerika“ oder „Kampf um Münsterland“. Im Dezember 1931 wurde schließlich auch Routh abberufen. Die Geschäftsführung übernahm nun eine Frau, Clara Schulz, geborene Funk (Deutscher Reichsanzeiger 1932, Nr. 31 v. 6. Februar, 8). Im November 1933 erhielt die Firma schließlich einen neuen Namen, entledigte sich der deutsch-schwedischen Imagination, fungierte seither als Nurblond Laboratorien GmbH (Deutscher Reichsanzeiger 1933, Nr. 279 v. 29. November, 9).

Nurblond war ein typisches Geheimmittel, unterlag als Kosmetikum einer aus heutiger Sicht gewiss unzureichenden Regulierung. Die Zusammensetzung blieb unbekannt, stattdessen gab es inhaltsleere Allgemeinplätze: „Dieses neue Shampoo ‚Roberts NUR-BLOND“ ist ein natürliches Mittel. […] Es enthält weder Färbemittel noch schädliche Bleichmittel“ (Dresdner Neueste Nachrichten 1930, Nr. 226 v. 27. September, 17). Das Produkt hob seinen Alleinstellungsanspruch nur negativ hervor, schloss bestimmte Wirkstoffe aus: „Nurblond enthält keine Färbemittel, keine Kamille und auch kein Henna, kein schädliches Bleichmittel und ist frei von Soda“ (Das Blatt der Hausfrau 47, 1931/32, H. 7, 35). Auch der vielfach gängige graue Haarbelag durch Kalkseifen fehlte, stattdessen wurde auf den „seidigen Schaum“ des Präparates verwiesen (Neues Wiener Tagblatt-Wochen-Ausgabe 1935, Nr. 164 v. 15. Juni, 10). Mangelnde Transparenz wurde werblich umgedeutet, auf ein „Geheimrezept“ verwiesen. Nurblond blieb Imagination: „Ein Spezial-Shampoo, das wie strahlende Sommersonne wirkt“ (Das kleine Frauenblatt 14, 1937, Nr. 7, 9).

Friseure sahen dies anders, bezeichneten es als „Bleichshampoon“, das die Haare wenn nicht ruiniere, so doch zumindest schädige („Nur blond.“, Neue Wiener Friseur-Zeitung 50, 1933, Nr. 21, 10; Nur blond, Neue Wiener Friseur-Zeitung 50, 1933, Nr. 23, 12). Doch Wasserstoffperoxid dürfte das als Pulver dargebotene Nurblond nicht geprägt haben. Stattdessen wird man wohl von einem getrockneten Seifenprodukt mit Zusätzen aus Pflanzen- und Bleichmittelextrakten ausgehen dürfen. Nicht die Sonne stand an der Wiege, sondern kundige chemische Fachleute.

Nurblond wurde zu Beginn in Mehrfachpacks angeboten, „Kleinpackungen“ ergänzten das Angebot ab Herbst 1930, wenige Monate nach der Markteinführung (Das Magazin 7, 1930/31, Nr. 81, 5979). Die Papiertüten enthielten ein Pulver, das mit Wasser anzurühren und dann in die Haare einzureiben war. Die Empfehlung lautete: Einmal pro Woche. Parallel aber wurde das Präparat auch von Friseuren genutzt, wenngleich dies für die Anbieter nur zweite Wahl war: „Versuchen Sie NURBLOND noch heute, oder bestehen Sie darauf, daß Ihr Friseur es benützt“ (Das kleine Frauenblatt 15, 1938, Nr. 26, 8).

Der Absatz erfolgte über die damals gängigen Kanäle, also den Großhandel (Drogisten-Zeitung 48, 1933, 156) und dann die große Zahl von Drogerien, Friseurgeschäften, auch Kolonialwarenläden, Warenhäusern und Einheitspreisgeschäften. Der Preis war nicht niedrig, zielte aber auf ein Massenpublikum. Er wurde im Rahmen des Preisabbaus verringert, werblich dies als Folge des Erfolgs gedeutet: „NURBLOND jetzt 35 Pf. Jetzt kann es sich jede Blondine leisten, ihr Haar mit Nurblond zu pflegen. Große Erfolge, ständig steigende Umsätze und zeitgemäß verbilligte Materialpreise ermöglichen Preisermäßigung“ (Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 5, 471). Die Zielgruppe des Shampoos waren primär blonde Frauen im mittleren Alter. Doch auch Männer wurden angesprochen, teils um ihre Frauen zum Kauf zu bewegen, teils aber sicher auch für eigene Blondierversuche. Häufiger angesprochen wurden jüngere Frauen und auch Mädchen: „20 Jahre – die gefährliche Zeit für Blondinen“ (Das Magazin 8, 1931/32, Nr. 99, 117) hieß es dann; oder aber „Fräulein Blondine möchten Sie FRAU werden?“ (Das Magazin 7, 1930/31, Nr. 82, 6085). Das diente der Ausweitung des Marktes und der frühen Kundenbindung.

Nurblond-Werbung: Anzeigenmotive

Mangels Firmenunterlagen sind genauere Aussagen über die (Deutsch-Schwedische) Nurblond Laboratorien GmbH nur über gedruckte und veröffentliche Quellen möglich. Dabei stehen Anzeigen zwingend im Mittelpunkt. Sie galten als innovativ und modern: Der Wiener Zeichner und Trickfilmpionier Ladislaus Tuszynski (1876-1943) urteilte begeistert: „Geheiratet hat er sie? Wen denn? Und schon überfliegt man den kurzen Text, der ohne Umschweife das zum Kauf Verlockende herausschält. Sehen Sie, das ist eine ganz ausgezeichnete filmhafte Anzeige, die mutig auf die Hervorhebung der angepriesenen Ware verzichtet. Es gehört gar kein Mut dazu, wenn man mit Bild und Überschrift eine Motiv herausstellt, das wie aus einem Roman, wie aus einem Film gegriffen wirkt oder – wenn Sie so wollen: wie aus dem Leben der Menschen im Alltag“ (Strix, Inserenten: Greift ins Leben – zeigt den Alltag!, Die Reklame 24, 1931, 514-515, hier 514).

Eine Brücke zwischen Filmwelt und Alltag – just das bot die Nurblond-Werbung. Sie hatte damit beträchtlichen Erfolg, denn nach einer (nicht repräsentativen) Umfrage lag ihre Bekanntheit 1936 bei immerhin 43%. Das war deutlich weniger als bei den Marktführern Schwarzkopf (100%) und Elida (73%), doch der bei weitem höchste Wert für Spezialshampoos. Wettbewerber kamen auf deutlich niedrigere Bekanntheitswerte – je 16 % bei Palmolive und Kamilloflor, je 13 % für Auxolin, Heliopon und Blondoon sowie je 9 % bei Pixavon und 4711 (Otto Alexander Breyer, „Wer kennt die meisten Markennamen?“, Werben und Verkaufen 20, 1936, 164-175, hier 167). Schauen wir nun aber genauer hin – nicht zuletzt, um uns die vermeintliche Gleichsetzung von Blond und Nationalsozialismus vor Augen zu führen.

Blonde Diven

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Blonde Filmstars (Die Bühne 1932, H. 333, 25 (l.); Das Magazin 8, 1931/32, Nr. 96, 117)

Die Nurblond-Werbung gründete auf der Präsentation blonder Frauen, spiegelte damit die Zielgruppe des Produktes. Leitbilder waren die Diven aus Hollywood: Die oben gezeigte Joan Marsh (1914-2000) war Anfang der 1930er Jahre eine der führenden Vamps in Hollywood, machte später eine Zweitkarriere als Unternehmerin. Madge Evans (1909-1981) spielte bereits als Kind 1920 die Hauptrolle im ersten großen Heidi-Film und mutierte ab 1931 zum blonden Mägdelein in vielen, ja allzu vielen Romanzen. Anita Page (1910-2008) war demgegenüber eine der prägendsten Blondinen in Hollywoods Stummfilmära. Zu ihren zahllosen Fans zählte auch der italienische Diktator Benito Mussolini.

Das Filmdiven-Motiv wurde insbesondere in Illustrierten und Filmmagazinen genutzt, ließ die ohnehin kaum vorhandene Grenze zwischen redaktionellem und Anzeigenteil verschwimmen. Nurblond schien dadurch als Teil der fernen Welt der Stars, als Abglanz ihrer Aura. Doch auch redaktionelle Textanzeigen nutzen dieses Motiv zu Geschichten, die ebenso interessierten wie die meist kurzen Beiträge der Magazine. Ein Beispiel gefällig? Filmdiva erscheint am Set mit mattem, dunklem und farblosem Goldhaar. Allgemeine Erregung und Entsetzen. „Nur um die Lippen des Filmstars schwebt das bezaubernde Lächeln. ‚Nur immer mit der Ruhe, meine Herren! Nur keine Aufregung! Abwarten! Bei den Aufnahmen in 14 Tagen sehen wir uns wieder!‘ Und tatsächlich schimmert am ersten Aufnahmetag das Haar der Filmdiva wie gleißendes Gold. Erlöstes Aufatmen. Allgemeines Erstaunen und Bewunderung. Bis endlich die lächelnde Filmdiva des Rätsels Lösung verrät: Roberts Nurblond, das Spezial-Shampoo für Blondinen, […]“ (Panik im Tonfilmatelier, Neues Wiener Journal 1931, Nr. 13641 v. 12. November, 17).

Deutsche Blondinen in Hollywood

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Deutsche in Hollywood: Charlotte Susa und Camilla Horn (Die Bühne 1934, H. 380, 16 (l.); Illustrierter Beobachter 9, 1934, 372)

Doch die blonden Diven waren auch von dieser Welt. Hollywood war bekanntermaßen nicht nur eine Gründung vorrangig zugewanderter Unternehmer aus Mittel- und Osteuropa, sondern bediente sich auch der Schauspieler und Regisseure dieser vom Ersten Weltkrieg stark gebeutelten Länder. Deutsche Blondinen hatten zeitweilig Konjunktur im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der zeitlich klar befristeten Studioverträge. Sie schufen ein Band zur Heimat der Käufer von Nurblond, erschienen sie doch als eine von uns. Die heute kaum mehr bekannte Charlotte Susa (1898- 1976) reüssierte unter ihrem Geburtsnamen auf Opern-, Operetten- und Revuebühnen und begann 1926 ihre Filmkarriere. Als Femme fatale hatte sie Erfolg und erhielt 1932 einen Vertrag bei Metro-Goldwyn-Mayer – doch aus der internationalen Karriere wurde nichts, wenngleich sie noch in verschiedenen Ufa-Filmen zu sehen war. Camilla Horn (1903-1996) gelang bereits 1926 der Durchbruch als (dunkelblondes) Gretchen in Friedrich Wilhelm Murnaus (1888-1931) „Faust – eine deutsche Volkssage“. Anschließend erhielt sie einen Vertrag von United Artists, drehte in Hollywood einige Filme unter anderem mit Ernst Lubitsch (1892-1947) und Lewis Milestone (1895-1980), kehrte nach Deutschland zurück und wurde dort eine führende Ufa-Schauspielerin. Nurblond setzte verschiedene Fotos von ihr ein, nutzte ihre Prominenz auch für redaktionelle Werbung und scheinbare Einblicke in ihr Alltagsleben (Revue des Monats 6, 1931/32, Nr. 5, 108).

Projektionen des Nationalen

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Der deutsche Idealtyp: Ruth Eweler – und schöne amerikanische Blondinen (Illustrierter Beobachter 8, 1933, Sdrnr. Adolf Hitler, 50 (l.); Das interessante Blatt 57, 1938, Nr. 10, 12)

Wo bleibt nun die behauptete enge Verbindung zwischen Blondinen und Nationalsozialismus? Sucht man, so findet man eine Anzeige mit dem Konterfei Ruth Ewelers (1913-1947), die oben schon einmal als „Miß Blond“ erschienen ist. Darunter hieß es dann: „Blond und deutsch – das ist ein Begriff. Es ist Pflicht jeder deutschen Blondine, sich die sprichwörtliche Schönheit ihres Blondhaares für immer zu bewahren“(Illustrierter Beobachter 8, 1933, Sdrnr. Adolf Hitler, 50). Ja, das war eine Verbeugung vor dem weit verbreiteten Rassismus im Deutschen Reich, vor dem Zerrbild einer blonden deutschen Nation. Doch die beschworene Pflicht ist weniger die gegenüber dem deutschen Volke, sondern die gegenüber der Nurblond-Gesellschaft und ihres hilfreichen Shampoos. Motiv und Text wurden auch abseits der biographischen Sondernummer der NSDAP-Illustrierten „Illustrierter Beobachter“ über Adolf Hitler verwandt (Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 8, 763: Das Magazin 9, 1932/33, Nr. 106, 119) – dort nicht umgeben von braunen Marschbataillonen sondern von zarten Beinen einschlägiger Girls.

Doch selbst Bilder deutscher Blondinen milderten nicht den Zorn mancher Rassenkundler: Kurt Holler (1901-1981), deutscher Professor, NSDAP-Mitglied, Lektor im Rassenpolitischen Amt der NSDAP und Oberscharführer im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS wetterte: „Wie stark der Rassengedanke und das nordische Schönheitsbild im Volke wieder Fuß fassen – wenn auch oft noch oberflächlich und verzerrt – geht nicht zuletzt aus den ‚Nurblond‘ Reklamen, ‚blond und deutsch‘, ‚blonde germanische Locken‘ u.a. hervor, die sich die Volksstimmung zu geschäftlichen Zwecken zumute zu machen suchen. Es bedarf wohl kaum eines Hinweises darauf, daß die Nordische Bewegung dadurch nur geschädigt werden kann“ (Kurt Holler, Übersicht, Rasse 5, 1934, 254-261, hier 261). Der echte Nationalsozialist stand Nurblond-Blondinen kritisch, ja ablehnend gegenüber, denn bei ihnen war die wiederhergestellte Haarfarbe unecht, fassadenhaft: „Die unechte Blondine […] wird immer heimlich untreu, heimlich mokant, heimlich einen dunkleren Charakter beibehalten. Aber es gibt Männer, die echtes Blond von unechtem unterscheiden können“ (Willy Raetzke, Psychologische Betrachtungen über die blonde deutsche Frau, Illustrierter Beobachter 6, 1931, 697). Ja, da wirkte wohl das Negativbild der Wasserstoffblondinen nach, der berühmt-berüchtigten Asphaltgeschöpfe – auch dies Imaginationen des Blonden aus Film und Illustrierten.

Dennoch gab es Zeitgenossen, die Nurblond-Anzeigen als typisch nationalsozialistisch ansahen. Es waren Vertreter des hilflosen Antifaschismus, die in einer spöttisch-ironischen Glosse „Weihnachts-Tips für Nazis“ wiedergaben (Die Weltbühne 28, 1932, T. 2, 903-904). Sie hatten sich eine Ausgabe des Illustrierten Beobachters angeschaut, und stellten Nurblond neben SA- und SS-Puppen, Salem-Zigaretten und Hakenkreuz-Christbaumschmuck. Ach, diese Nazis sind ja so putzig und naiv, nicht recht ernst zu nehmen (Nachdruck ohne Quellenangabe auch in Arbeiter-Zeitung 1932, Nr. 354 v. 23. Dezember, 4). Während die Redakteure und Mitarbeiter der Weltbühne kurz darauf verhaftet, geschlagen, ermordet oder ins Exil getrieben wurden, blieb die Nurblond-Gesellschaft im Lande. Und das trotz der Kritik mancher NSDAP-Kämpen und auch trotz relativen Versagens im national(sozialistisch)en Sinne. Bei der Markteinführung wurde Nurblond nämlich noch als „dieses ursprünglich deutsche Präparat“ (Dresdner Neueste Nachrichten 1930, Nr. 226 v. 27. Juni, 17) beworben, doch dies blieb eine Ausnahme. Stattdessen warb man nun mit Blondinen aus dem gern als „jüdisch“ denunzierten Hollywood, propagierte Kopfschminke statt klarem Wasser. Und immer wieder hob man die Schönheit gerade der „amerikanischen Blondinen“ hervor, wohl wissend, dass sie Resultat kosmetischer Prozeduren war. Nurblond war eben kein deutsches, sondern ein global vermarktetes Shampoo. Die Werbung feierte das „modern girl“, wo immer dieses ein paar Groschen, ein paar Kronen, ein paar Cent auszugeben bereit war.

Sexuelle Attraktivität

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Die Attraktive mit dem Heiligenschein begeistert die Männer (Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 1, 91 (l.), Die Bühne 1935, H. 406, 5)

Das zeigte sich nicht nur am „Glamour“ der Werbedamen, sondern auch an deren stets beschworener sexueller Attraktivität. Explizite Küsse waren selten, doch Umarmungen zwischen haltenden Männern und gehaltenen Frauen ließen Raum für das kommende. Nein, die Nurblond-Damen waren keine sittenstrengen Tugendwächterinnen, sondern sie bezirzten und umgarnten Männer, spielten mit ihren Reizen. Die Anzeigentexte unterstützten die visuelle Botschaft, zitierten Koryphäen, die da summten: „Frauen mit natürlichem, lichtblonden Haar sind viel bezaubernder – viel begehrenswerter als Frauen mit braunblondem oder aschfarbenem Haar“ (Neues Wiener Journal 1936, Nr. 15378 v. 11. September, 7). Später sicherte man derartig flüchtige Eindrücke auch pseudowissenschaftlich ab: „Auf Grund wissenschaftlicher Versuche wird behauptet, daß hellblonde Frauen 47% mehr Sex Appeal haben als dunkelblonde“ (Das kleine Blatt 1938, Nr. 97 v. 8. April, 9).

Sehnsucht nach einem Ehemann

Und doch… Hafen der unruhig daherschwankenden Blondine war nicht der Mann, sondern der Ehemann. Wie im Film galt es eine Partie zu machen, einen liebevollen Mann zu finden, diesen vor den Traualtar zu bringen. Ja, die Emanzipation der blonden Frau hatte Grenzen, Grenzen, die der Realität niedriger Fraueneinkommen und rechtlicher Schlechterstellung entsprachen. Es hieß Schönheit und Blondheit gegen Sicherheit und Auskommen.

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Der Ehemann als Glück vieler Blondinen (Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 2, 189 (l.); Das Magazin 7, 1931, H. 7, 683)

Die Sehnsucht nach dem Ehemann blieb nicht abstrakt, sondern mündete in einen harten Wettbewerb, bei dem die Haarfarbe eine wichtige, ja entscheidende Ressource war: „Zwei Blondinen waren in ihn verliebt, aber die eine hatte nachgedunkeltes, farbloses Haar. Das Haar der anderen schimmerte in lichtem, natürlichem Goldglanz – dank Nurblond. Natürlich hat sie ihn bekommen, denn ihr Blondhaar war viel schöner als das ihrer Rivalin“ (Scherl’s Magazin 7, 1931, H. 8, 783). Blond sein war Kalkül, wusste man doch um die Schwächen der Männer, diesen triebgesteuerten Unholden, die der festen Leitung durch eine kluge Frau bedurften.

Dafür – und auch für sich selbst – war manches Opfer zu erbringen. Die kluge Blondine wusste um männliche Sehnsucht nach der Jugend, der Jungfräulichkeit. Hans Beckert, besser bekannt als M aus Fritz Langs Sittengemälde von 1931, schrie laut heraus: „Ich kann nicht anders!“ Und die Blondine, die darum wusste, präsentierte ihre Haare „im Lichten Goldton der Kinderjahre“ (Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 2, 189). Das Kindchenschema war sozialpräventiv, „Nurblond macht das Haar locker und duftig und gibt ihm den unwiderstehlichen Zauber der Kinderjahre“ (Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 3, 285). Frauen konnten damit dem Alter entfliehen, erhielten „die lichte Farbe der Kinderjahre“ zurück (Illustrierter Beobachter 11, 1936, 656) und banden den geehelichten Recken an sich, hielten ihn von der Straße fern, schufen ihm ein trautes Heim.

Familienfrieden dank dem Haarshampoo

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Blondes Heim, Glück allein (Das Magazin 7, 1930/31, Nr. 81, 5979 (l.); Die Bühne 1932, H. 320, 34)

Die Nurblond-Werbung spielte mit den Möglichkeiten des modernen Frauenlebens, den Tagträumen von Popularität und Glorienschein, der Erfordernis der sichernden Ehe, aber auch dem Aufgehen in Aufzucht und Hege des Nachwuchses. Nur Küchen- und Haushaltsarbeit blieben außen vor, denn im Traum hatte man – ach wie schön wäre es – Dienstboten. Blondinen gewannen den Ehemann dank Blondhaar, doch Nurblond half auch danach. Es bot Schutz vor der rohen Natur des Mannes, sicherte ein friedvolles Familienleben, „schon seinetwegen“ (Neues Wiener Journal 1932, Nr. 13965 v. 6. Oktober, 9).

Freundinnen

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Vorstadtglück bei Kartenspiel und Rat geben (Die Bühne 1932, H. 330, 48 (l.); Uhu 10, 1934, Nr. 9, 105)

Die Filmperspektive der Nurblond-Werbung schlug aber auch bei den Nebenfiguren durch. Männliche und weibliche Sphären waren voneinander getrennt, begegneten sich nur dank Schönheit und Begehren sowie der wöchentlichen, selten monatlichen Zahlung des Haushaltsgeldes. Hohe Bedeutung hatten dagegen die Freundinnen, mit denen frau in einer imaginierten Vorstadt, in der eigenen Wohnung, im eigenen Haus, Karten spielte und konsumierte. In dieser Konsumwelt tauschte frau sich aus, war gefragt und Ratgeberin. Und fröhlich heißt es, wir bleiben immer blond, „denn wir pflegen unser Blondhaar regelmäßig mit Roberts Nurblond, […]“ (Neues Wiener Journal 1932, Nr. 14000 v. 10. November, 9).

Der Spiegel

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Wahrheit im Spiegel (Das Magazin 9, 1932/33, Nr. 97, 115 (l.); Illustrierter Beobachter 11, 1936, 1550)

Und doch. Auch die Freundinnen verließen das traute Heim, die eigene Wohnung. Schnell Karten und Gläser wegräumen, denn er würde bald kommen. Kurz ein Blick in den Spiegel: Oh Graus, dieses grausam reale Ding zeigte immer wieder, dass das eigene Haar nachdunkelte, gar einen hässlichen Farbton annahm. Ja, sie wusste: „Natürliches lichtblondes Haar macht die Frau viel reizvoller und verlockender als bräunliches oder dunkel gewordenes Blondhaar“ (Illustrierter Beobachter 11, 1936, 989). Und sie handelte entsprechend. Dann war der Spiegel wieder ihr Freund, zeigte ein unwiderstehliches Äußeres, apart und zart, jung und wunderbar.

Appell auch an den Mann

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Der Schatten des Niedergangs (Das Magazin 8, 1931/32, Nr. 92, 7119)

Sollte dennoch einzelne Frauen diese Botschaft nicht vernommen haben und nicht entsprechend schäumen, so blieb dennoch Hoffnung. Denn auch der Mann konnte Retter sein, signalisierte seine kritisch-distanzierte Traurigkeit doch Einkaufsbedarf. Sollte selbst das nicht reichen, sie seine unausgesproche-nen Wünsche nicht wahrnehmen, dann wiesen hilfreiche Anzeigen auch dem Mann den Weg, denn „lassen Sie es nicht zu, daß sie den Reiz ihrer blonden Schönheit einbüßt, daß ihr Haar nachdunkelt oder farblos wird. Sorgen Sie dafür, daß Ihre Frau Nurblond benutzt“ (Neues Wiener Journal 1932, Nr. 13951 v. 27. September, 10). Wahre Liebe wurde auf Produkte übertragen – „und er verliebte sich von neuem in seine gescheite kleine Frau“ (Das Magazin 8, 1931/32, Nr. 93, 72).

Die Besonderheit der Blondine

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Blondinen sind etwas Besonderes (Das Magazin 9, 1932/33, Nr. 101, 113 (l.); Das Blatt der Hausfrau 48, 1932/33, H. 7, 180)

Man mag all das lesen als weibliche Drangsalierung, als Reduktion von Frauen auf Häuslichkeit, Körperlichkeit und Kreuzworträtsel. Doch das entsprach nicht nur der damaligen Lebensrealität der meisten Frauen, sondern wurde von vielen Frauen auch als spezifisch weiblich verstanden und geadelt. Die Nurblond-Werbung bestärkte derartige Stereotype jedoch nur ansatzweise. Sie stärkte nämlich Blondinen den Rücken, verbreitete Stolz auf ihre Attribute, auf ihren Körper. In der Werbung konnten sie über ihre Schönheit lesen – und das war nicht nur kommerzielles Kalkül: Sie sind etwas besonders, Sie besitzen Charme und Glanz (Neues Wiener Tagblatt-Wochen-Ausgabe 1935, Nr. 164 v. 15. Juni, 10). Blondinen konnten sich als zarte, empfindliche und empfindsame Wesen verstehen (Das kleine Blatt 1938, Nr. 124 v. 6. Mai, 11). Es gab mehr als die Fron des Alltags, den Dienst an irgendetwas.

Aktivierung: Kampf gegen das Alter

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Blond sein, ein steter, doch chancenreicher Kampf (Illustrierter Beobachter 11, 1936, 656 (l.); ebd., 436)

Die Nurblond-Werbung wäre keine Werbung, hätte sie das mitgeschaffene und bestärkte Selbstbewusstsein nicht gleich wieder in kommerzielle Bahnen gelenkt. Der Stolz auf die eigene Schönheit führte zu dauerhaftem Konsum, denn sie musste abgesichert werden. Wissen um kosmetische Möglichkeiten wurde dazu in schlechtes Gewissen umgemünzt: „Warum lassen Sie es zu, daß Ihr Haar zu einem unbestimmten Braunblond nachdunkelt?“ (Illustrierter Beobachter 11, 1936, 822) Das war nicht der Trommelschlag des Nationalsozialismus, sondern der Takt einer Konsumgesellschaft, die neue Realitäten schuf und nutzte.

Die Aura der Wissenschaft

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Typologisierung des Blonden sowie Erklärung des Nachdunkelns (Illustrierter Beobachter 11, 1936, 1952 (l.); Die Bühne 1934, H. 387, 13)

Diese neue Realität bestand aber nicht nur aus dem eigenen Körper und der auf ihn einwirkenden Produkte. Vielmehr mobilisierte die Werbung zeittypische Phänomene, etwa die voranschreitende Normierung und Verwissenschaftlichung des Alltags, um vermeintlich aufzuklären und Teilhabe zu suggerieren. Blond wurde ausdifferenziert und dann typologisiert – so wie zeitgleich Rassen voneinander geschieden wurden, Grundlage mörderischer Selektion. So wie aber auch Papierformate und Flaschengrößen normiert wurden, um die Wertschöpfung zu erhöhen und das Leben einfacher zu gestalten. Der Mensch als gestaltendes Wesen war durchaus Teil der Nurblond-Werbung – auch wenn der Friseur an die Stelle des sonst gern besetzten Wissenschaftlers trat.

Das kaum gezeigte Produkt

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Das Produkt adelt das natürliche Haar: Anzeige und Ladenaufsteller (Illustrierter Beobachter 11, 1936, 1756 (l.); Drogisten-Zeitung 48, 1933, 156)

Die Nurblond-Werbung zeigte und spiegelte seine Zielgruppen. Das Produkt selbst trat demgegenüber in den Hintergrund. Nur in Ausnahmefällen erschien die Verpackung in Anzeigen, vertraute man doch auf die Findigkeit der Käuferinnen, auf die Lockkraft der im Laden prangenden Blondinen und des Markenbegriffes. Dort wurden häufig Pappaufsteller genutzt, die den Weg zur Ware ebnen halfen. Es ging eben darum, eine Grundhaltung zum Blondieren zu internalisieren, würde der eigentliche Kaufakt dann doch zwingend nachfolgen. Aus diesem Grund blieb die Ausstattung der Ware bescheiden, zumal verglichen mit der anderer Kosmetika.

Fotogeschichten

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Bildgeschichte eines Filmstars – und die Alternative Mutterglück (Die Bühne 1933, H. 360, 17 (l.); Moderne Welt 14, 1932-33, H. 9, 59)

Die relative Modernität der Nurblond-Werbung zeigte sich aber nicht nur in der steten Nutzung psychologischer Momente, die dann in der Motivforschung ja seit den frühen 1940er Jahren fleißig Urstände feiern sollte. Sie gebrauchte auch neue serielle Techniken der Illustrierten und Unterhaltungsbeilagen, verwandte diese dann kommerziell. Das galt vor allem für kleine Fotogeschichten, die comichaft eine lange Geschichte auf den Punkt brachten und die zugleich aus dem gängigen Umbruch der Zeitschriften und Zeitungen hervorstachen. Sie unterstrichen auch, dass es sich bei dieser Werbung in deutschen und österreichischen Medien um prototypisch „amerikanische“ Techniken handelte.

Dies erklärt auch, dass Fotos und Text häufig recht beliebig miteinander vermengt wurden. Die Texte konnten von verschiedenen Motiven überwölbt werden, denn diese waren letztlich austauschbare Blickfänge. Anderseits setzte die Werbung auch auf redaktionelle Reklame, also kurze Geschichten resp. Wenigzeiler. Letztere wurden insbesondere in Tageszeitungen geschaltet, deren Druckqualität die Fotoanzeigen nur selten zur Geltung kommen ließ. Sie bestanden aus simplen Produkthinweisen, aber auch aus kurzen Geschichten, etwa um die vermeintlicher Eifersucht auf blonde Frauen (Das Magazin 9, 1932/33, Nr. 101, 113), über unbesorgtes Schwimmen und Strandleben für Blonde (Scherl’s Magazin 7, 1931, H. 8, 781) oder aber Modefragen (Das Magazin 8, 1932/33, Nr. 87, 6613). Die Werbung stand damit – wie auch Hollywood – für einen sehr speziellen westlichen und „weißen“ Lebensstil. Die Konsumwelt des Westens scheint unerreichbar, Höhepunkt menschlicher Zivilisation. Exkursionen in andere Weltregionen erfolgten kaum, glitten dann ab in Klischees über das ferne Morgenlande und die Weisen aus dem Abendlande (Prager Tagblatt 1931, Nr. 267 v. 17. November, 7). Dann durfte gar „Prinzessin Sonnenschein“ ihr Blondhaar zeigen (Das interessante Blatt 50, 1931, Nr. 47 v. 19. November, 11).

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Blondinenparade: Rechts die Siegerin Ruth Eweler (Das Magazin 8, 1931/32, Nr. 93, XII)

Die Nurblond GmbH schaltete jedoch nicht nur Anzeigen, sondern popularisierte ihr Produkt auch durch eigene Veranstaltungen. Breite Resonanz erzielte dabei der im März 1932 durchgeführte Wettbewerb um die schönste Blondine Deutschlands. Schon Monate vorher hieß es verheißend in den Magazinen: „Nurblond sucht die schönsten deutschen Blondinen! Barpreise und Filmengagement bei der Universal-Film A.-G. Lesen Sie die Bedingungen und alles Nähere im Prospekt, der jedem Beutel beiliegt“ (Modenschau 1931, Nr. 225, 37). Bildeinsendungen folgten, eine Vorauswahl ermittelte Kandidatinnen, der Jury gehörten bekannte Filmblondinen an, man traf sich zum Stelldichein im Berliner Hotel Kaiserhof. Hier hatte Adolf Hitler seinen Berliner Wohnsitz, war dort zwei Wochen zuvor eingebürgert worden. Doch das trat zurück, als die fünfzehnjährige Ruth Eweler, Tochter aus einer Plettenberger Fabrikantenfamilie mit gretchenhafter Schlichtheit den Sieg davontrug. Der Filmvertrag erlaubte ihr den Einstieg in eine erfolgreiche Karriere mit mindestens fünfzehn Unterhaltungsfilmen. Neben Camilla Horn war sie das wichtigste Vorzeigeblondine in den Nurblond-Anzeigen.

Expansion von Nurblond ins Ausland

Ewelers Fotos halfen auch bei der weiteren europäischen Expansion der Nurblond-Shampoos. In Österreich und der Tschechoslowakei erfolgte der Markteintritt Mitte 1931. Die Motive der Anzeigen deckten sich mit denen im Deutschen Reich – doch das wissen Sie bereits, denn mehrere oben gezeigte Motive entstammen den vorbildlich digitalisierten Beständen der Wiener Nationalbibliothek. Hierzulande, im digitalen Armenhaus Europas, gibt es nichts Vergleichbares. Nurblond expandierte im gleichen Jahr nach Polen, dort wurde das Wortzeichen „Roberts – Nurblond“ am 4. Dezember 1931 geschützt (Wiadomosci Urzedu Patentowego 9, 1932, 437). Es folgten Luxemburg und die Niederlande (De Reclame 11, 1932, Nr. 31, 10). Auch die dortige Werbung entsprach der im Deutschen Reich – und erschien in einschlägigen Fachzeitschriften als beispielhaft für die kommerzielle Ansprache der modernen Frau (De Veroveringspolitiek der Moderne Vrouw gezien door Adverteerders, Meer Baet 4, 1932, 1287-1288). „Arische“ Frauen sah man in diesen Werbebildern nicht. Die Vermarktung erfolgte ebenfalls analog, auch wenn die Preise in den Niederlanden länger auf den relativ hohen Einstiegsmargen gehalten und erst 1936 deutlich reduziert wurden (De Reclame 15, 1936, H. 4/5, 40). Auch in der Schweiz war Nurblond seit spätestens 1933 etabliert (La Liberté 1933, Nr. 257 v. 4. November, 2). Berlin war demnach Brückenkopf für eine Europäisierung des Nurblond, zugleich aber Teil einer globalen Markenstrategie der amerikanischen Mutterfirma.

Wandlungen von Produkt, Produktpalette und Werbung

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Trockenwäsche des Haares mit Nurblond-Haarpuder (Dresdner Neueste Nachrichten 1936, Nr. 154 v. 4. Juli, 12)

Zwischen Europa und den USA bestanden Unterschiede beim Absatz des Produktes. Das betraf jedoch kaum die Werbung. Doch anders als in den USA blieb Nurblond mehrere Jahre ein Soloprodukt. Erst 1936 erschien unter gleicher Dachmarke ein ergänzendes Haarpuder. Dieses sollte täglich genommen werden, doch der Erfolg dieser Ergänzung blieb bescheiden. Das lag nicht zuletzt an der stärkeren Stellung von Hautcreme im Deutschen Reich, die von Puderpräparaten kaum unterminiert werden konnte.

Die USA warfen dennoch einen langen Schatten auf den europäischen Markt. Dort stand die Mutterfirma unter staatlichem Druck, änderte daraufhin 1937 die Zusammensetzung des Shampoos. Nurblond folgte – und bewarb nun offensiv das neue Nurblond. Neue Motive kamen auf, Filmdiven verschwanden, nicht aber Fotos von Blondinen. Damit überspielte man eine veränderte Zusammensetzung und bewarb offensiv den Zusatz Linsol, einen Ölextrakt, der sprödes Haar und Schuppen beseitigen und die Haarwurzeln verjüngen sollte (Das kleine Blatt 1937, Nr. 319 v. 19. November, 7). Dieser war zuvor lediglich als Farbzusatz von Mineralöl bekannt gewesen (Chemical Age 29, 1933, 352). Mangels mir bekannter Analysen kann ich über die Zusammensetzung des Nurblond keine fundierte Aussage treffen. Die Werbung betonte, dass es „keine schädlichen Färbe- oder Bleichmittel“ (Das kleine Blatt 1938, Nr. 97 v. 8. April, 9) enthalte und „ein rein seifenhaltiges Shampoo ist, aus hochwertiger, besonders edler Reinseife hergestellt“ (Filmwoche 17, 1939, 251).

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Neue Zusammensetzung und tradierte Bildmotive (Das interessante Blatt 57, 1938, Nr. 16, 17 (l.); Film-Woche 17, 1939, 185)

Das neue Nurblond behielt seinen „amerikanischen“ Anklang, der bei der Markteinführung schon Pate gestanden hatte. In den ersten Anzeigen hieß es 1930 eben nicht nur, dass es in den USA als Blondex bekannt sei, sondern dass es dort über eine Million blonder Frauen benutzen würden (Dresdner Neueste Nachrichten 1930, Nr. 226 v. 27. Juni, 17). Etwas mehr als ein halbes Jahr später hieß es dann: „Über eine Million amerikanischer und schon jetzt hunderttausende deutsche Blondinen benutzen Naturblond mit größtem Erfolg“ (Die Bühne 1931, H. 305, 3). Fasst man die Analyse der Anzeigen zusammen, so ist festzuhalten, dass es sich bei Nurblond nicht um ein nationalsozialistisches Haarfärbeprodukt gehandelt hat, das darin auch keine „arischen“ Frauen präsentiert wurden. Es handelte sich vielmehr um die leicht eingedeutschte Variante eines globalen Markenartikels, der sich der „neuen Frau“ der späten 1920er Jahr andiente und sich dazu an die Trends der Filmindustrie anhängte.

Nurblond im Wettbewerb: Die breite Konkurrenz

Damit kommen wir zum dritten Teil der Analyse, dem Blick auf die unmittelbaren Konkurrenzprodukte des Nurblond. Schließlich ist es eine offene Frage, warum die eingangs aufgeführten Autoren just diesem Präparat den NS-Stempel aufgedrückt haben. Das könnte erklärbar sein, wenn die besonders ausgeprägte Werbung mit Blondinen bei der Konkurrenz unterblieben wäre.

Gehen wir zeitlich nochmals zurück, so finden wir Mitte der 1920er Jahre tradierte Haarfärbemittel, wie etwa das 1896 entwickelte Aureol der Berliner Firma J.F. Schwarzlose GmbH (Drogisten-Zeitung 20, 1905, 161; Der Welt-Spiegel 1925, Ausg. v. 30. März, 7). Wasserperoxyd war allgemein verbreitet, diente als preiswertes Bleichmittel. Erste Haarfärbeshampoos kamen auf, etwa das schon erwähnte Kleinol. Daneben aber finden sich erste Kamillen-Extrakte: „Die Blondine benützt nur Rausch’s Kamillen-Extrakt, welches dem Haar den pikanten Goldton gibt“ (Sport im Bild 31, 1925, 609). Der Markterfolg blieb jedoch begrenzt, obwohl allgemein bekannt war, dass regelmäßige Waschungen mit Eigelb und Kamillen das Haar blond erhielten (Tages-Post 1929, Nr. 226 v. 29. September, 14).

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Dachmarkenkonzept für Blonde und Dunkle von Schwarzkopf (Das Leben 6, 1928/29, H. 2, 103)

Während der Weltwirtschaftskrise wandelte sich dies unter dem Eindruck massiv einbrechender Umsätze bei Haarpflegemitteln und Kosmetika. Der Nischenanbieter Nurblond hatte den Markt verändert. Die ausdifferenzenden Haarfärbemittel auf Henna-Basis waren für immer mehr Menschen schlicht zu teuer, ließen jedoch Raum für preiswertere Nischenprodukte. Schwarzkopf hatte sich bereits 1928 diesem Trend angepasst, erweiterte sein „Schaumpon“ doch um eine parfümierte Variante und Angebote für Blonde und Dunkle.

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Extra-Blond – das „Schaumpon der Blondine“ aus dem Hause Schwarzkopf (Vorwärts 1932, Nr. 409-415 v. 3. September, 9)

Im Juli 1931 warf Schwarzkopf dann auch ein neues „Spezial-Shampoo für Blondinen“ auf den Markt. In roter Farbe geschrieben, blieb „Extra-Blond“ allerdings Teil der Shampoo-Kernmarke „Extra“. Seine Zusammensetzung war unklar, der Preis lag mit 30 Pfennig pro Packung deutlich unter dem von Nurblond (Vorwärts 1931, Nr. 351 v. 30. Juli, 4). Doch das galt nur vordergründig, denn der Hersteller empfahl, das Haar mit „Extra-Blond“ zu reinigen, anschließend aber mit dem zusätzlich zu kaufenden Kernshampoo nachzuspülen (Vorwärts 1931, Nr. 361 v. 5. August, 5). Die Einführungswerbung für „Extra-Blond“ wurde nach wenigen Monaten wieder zurückgefahren. Das Blondinenprodukt wurde nun integraler Bestandteil Teil der Dachmarkenwerbung für „Schwarzkopf-Extra“ (Vorwärts 1931, Nr. 389 v. 21. August, 5). „Extra-Blond“ selbst war ein Shampoo-Pulver, musste also in Wasser aufgelöst und angeschäumt werden. Als besonderen Marketing-Clou lag eine sog. Schaumbrille bei, also eine über den Kopf zu stülpende Hülle, die Schaum und Wasser von den Augen fernhielt (Vorwärts 1931, Nr. 291 v. 25. Juni, 7). Betrachtet man die später immer mal wieder ausgekoppelten Anzeigen für „Extra-Blond“, so waren diese deutlich gesetzter, deutlich edler und gutbürgerlicher als die Nurblond-Anzeigen (Die Bühne 1933, H. 363, 33; ebd., H. 365, 49).

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Pixavon für die blonde Wucht (Das interessante Blatt 51, 1932, Nr. 23 v. 9. Juni, 8)

Auch andere führende deutsche Kosmetikhersteller hatten derweil Haarshampoos herausgebracht. Das Frankfurter Unternehmen A. Albersheim vertrieb es unter seiner breiten Dachmarke Khasana fächerte es aber nicht weiter auf. Anders dagegen die Lingner-Werke. Deren Hauptprodukt war das Mundwasser Odol, doch sie brachten 1908 mit Pixavon auch eine erste auf Teerfarben beruhende flüssige Haarseife auf den Markt. Das auch durch seine extravagante Glasverpackung bekannte Produkt diente seit 1929 als Dachmarke für ein Pixavon-Shampoo, das dann nach einzelnen Haarfarben weiter ausdifferenziert wurde. Mitte 1931 kam ein Kamillen-Shampoo für Blonde auf den Markt. Es enthielt einen Extrakt aus römischer Kamille, besaß eine aufhellende Wirkung und bewahrte die natürliche Farbe des Haares (Neue Wiener Friseur-Zeitung 48, 1931, Nr. 10, 20). Pixavon war eine flüssige Alternative zu Nurblond oder Extra-Blond, wurde auch in Einzelpackungen vertrieben (Drogisten-Zeitung 47, 1932, 229). Die Werbung war deutlich glamouröser als die von Extra-Blond, blieb aber in ihrer Taktung deutlich hinter der von Nurblond zurück. Sie feierte blondes Haar, versprühte Lebensfreude in der Krise, besaß einen Hauch selbstbestimmter Emanzipation. Das Kamillen-Shampoo litt jedoch, wie Extra-Blond, unter der Fokussierung des Marketings auf das namensgebende Hautprodukt.

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Elida Shampoo Kamilloflor für „jedes Blondhaar“ (Der Welt-Spiegel 1932, Ausg. v. 21. August, 10)

Elidas Kamilloflor setzte ab Mitte 1931 schon durch den pointierten Produktnamen stärkere Akzente (Illustrierter Beobachter 6, 1931, 937). Die Werbung konzentrierte sich auf jüngere Frauen, spiegelte einen urbanen und ansatzweise unabhängigen Lebens- und Konsumstil. Doch auch hier überwölbte das 1925 eingeführte Hauptprodukt „Elida Shampoo“ rasch die Auskopplung für Blonde, mochte diese auch recht preiswert und 1933 mit einem zusätzlichen „Zitronenbad“ versehen gewesen sein (Neues Wiener Journal 1932, Nr. 13889 v. 21. Juli, 5; Prager Tagblatt 1933, Nr. 278 v. 28. November, 8). Während Nurblond das Blondsein stetig feierte, blieb Kamilloflor nur ein Ergänzungsprodukt.

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SYS, „Spezial-Shampoo der gepflegten Blondine“ (Die Frau und Mutter 21, 1932, H. 9, 31 (l.); Das interessante Blatt 51, 1932, Nr. 29 v. 21. Juli, 14)

Andere Produkte besaßen schon aufgrund geringer Kapitalausstattung kaum Chancen auf einen Breitenerfolg. Dafür steht etwa SYS, ein von der Wiener Firma Emil Weil 1932 präsentiertes „Spezial-Shampoo der gepflegten Blondine“. Die Werbung mutete modern an, Blondköpfe dominierten. Doch in der Krise fehlte die ökonomische Substanz, um das Präparat breitenwirksam zu vermarkten.

Es gab weitere Angebote, etwa Sandors Haarschaum-Extrakt Kamille (Neue Wiener Friseur-Zeitung 45, 1928, Nr. 7, 8), das Igemo-Shampoo der Berliner Kosmetikherstellers Mouson (Gebrauchsgraphik 1934, Junih., 77) oder das vor Kriegsbeginn verstärkt beworbene Blondoon (Filmwoche 17, 1939, 89, 119). Werblich präsenter waren dagegen weitere Haarpflegeprodukte, die gezielt mit blonden Frauen warben, etwa das Birkenwasser des Hamburger Unternehmens Georg Dralle (Illustrierter Beobachter 11, 1936, 655).

Fasst man diesen recht kursorischen Überblick der Konkurrenzprodukte von Nurblond zusammen, so resultierte dessen hohe Bekanntschaft und wohl auch unternehmerischer Erfolg auf einer konsequenten Spezialisierung auf die blonde Kundschaft, auf einer bewusst glamourösen Werbeansprache, auf deren Eingehen auf die realen und vermeintlichen Wünsche der Blondinen. Die deutschen und österreichischen Konkurrenten boten zwar an sich preiswertere und wohl auch „natürlichere“ Produkte an, doch ihre Werbung war teils kundenfern und wurde zumeist überdeckt durch halbherzig angewandte Dachmarkenstrategien, in der Einzelmarken nicht wirklich eigenständig präsentiert wurden. Festzuhalten auch: Alle Färbeshampoos präsentierten Blondinen auch fern der nationalsozialistischen Frauenideologie oder gar „arischer“ Idealtypen. Blond ließ sich zwar durchaus regimenah vermarkten, doch keines dieser Angebote war prototypisch nationalsozialistisch.

Blondex-Stablond-Nurblond als globale Marken

Damit kommen wir zum vierten und letzten Teil der Argumentation. Die verengte Deutung von Nurblond verkennt nämlich, dass Nurblond die mitteleuropäische Hülle eines global unter verschiedenen Namen vermarkteten Haarfärbeshampoos war, das „in allen Ländern der Welt“ (Revue des Monats 7, 1932/33, Nr. 5, 471) verbreitet war. Das in der von Land zu Land kaum voneinander abweichenden Werbung gefeierte „modern girl“ stand für ein selbstbestimmteres Frauenleben als es die Generation zuvor möglich schien. Dies zeigt sich auch an den von der Werbung – wie auch vom Film – teils verrückten sittlichen Grenzen. Die Werbung war durchaus anstößig, ja frivol. In den USA musste beispielsweise eine angedeutete Kussszene anders betextet werden, da „wahllose Küsserei“ unerwünscht war. Das Bild blieb, doch der Text stellte den zu küssenden Herrn nun als Verlobten der blonden Dame vor (Der Querschnitt 12, 1932, H. 8, 604).

Blondex, ein amerikanisches Haarfärbeshampoo

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Frühe Blondex-Werbung (The Pantagraph 1924, Ausg. v. 12. Juni, 6 (l.); Journal Gazette 1924, Ausg. v. 9. Oktober, 9)

Das Haarshampoo Blondex wurde seit dem 28. März 1924 vertrieben, das entsprechende Warenzeichen kurz darauf, am 27. Juli 1926, eingetragen (The American Perfumer and Essential Oil Review 21, 1926, 453). Hersteller war der New Yorker Pharma- und Kosmetikproduzent Guaranteed Products Inc., der als Vertriebsnamen die Bezeichnung Blondex Laboratories wählte. Dies sollte Wissenschaftlichkeit repräsentieren, ebenso wie Coolene Laboratories für die gleichnamige Fußcreme der gleichen Firma. Guaranteed Products resp. die Kalmo Company stellte auch ein entsprechendes Getränk her (Index of Patents 1926, Washington 1927, 1081). Der Markteinstieg von Blondex erfolgte mit Textanzeigen in Tageszeitungen, rasch wurden graphische Elemente ergänzt und nach wenigen Monaten fanden sich die hinlänglich bekannten Photo-Text-Anzeigen (Wilkes-Barre Times Leader 1924, Ausg. v. 1. Mai, 18; The Pantagraph 1924, Ausg. v. 26. Juni, 8).

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Blondinen als Blickfang der Blondex-Werbung (Motion Picture Magazine 30, 1926, Nr. 7, 107 (l.); ebd., Nr. 12, 108)

Wie im Deutschen Reich die Deutsch-Schwedischen Nurblond Laboratorien verwies der Hersteller von Blondex auf einen skandinavischen Ursprung des Mittels, bewarb es 1926/27 als „the new Swedish light shampoo“ (McCall’s Magazine 53, 1926, Nr. 11, 82). Dies war eine Reminiszenz an den durch zahlreiche Immigranten unterstrichenen Eindruck, Schweden sei das Kernland des natürlichen Blondhaars. Noch koppelte man sich nicht an die Filmdiven Hollywoods, denn die Karriere der Schwedin Greta Garbo (1905-1990) begann dort 1926 mit Darstellungen dunkelhaariger südamerikanischer Schönheiten. Doch das sollte sich rasch ändern – und Blondex bot die Vorlagen für die deutsche Nurblond-Auskoppelung.

Diese war nur aufgrund des deutschen Markennamens ungewöhnlich, lag ansonsten im Trend der zunehmen multinationalen Expansion von Guaranteed Products. Blondex wurde ab 1931 auch in Skandinavien vertrieben. Dänemark machte wohl den Anfang, dort wurde das Warenzeichen am 27. Juli 1931 für A.-S. Hother Hellenberg eingetragen (Registrerings-Tidende for Vare- og Faellesmaerker for Aaret 1931, Kopenhagen 1932, 576). Wie im Deutschen Reich entstanden jeweils selbständige Firmen mit geringer Kapitalausstattung, die teils von US-Geschäftsleuten, im Regelfall aber von nationalen Gewährspersonen geleitet wurden. Auch in Schweden, dem vermeintlichen Ursprungland des Haarshampoos, setzte die Blondex-Werbung 1931 ein (Svenska Dagbladet 1931, Ausg. v. 18. Oktober, 10). Finnland folgte, dann auch Frankreich.

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Blondex-Werbung in Finnland und in Frankreich (Kotiliesi 16, 1938, 516 (l.); Nouveauté 3, 1937, Nr. 5, 36; Gebweiler Neueste Nachrichten 1935, Nr. 178 v. 29. Juni, 3 (r.))

Die multinationale Expansion erfolgte auch auf dem amerikanischen Kontinent, so etwa in Kanada. Blondex war Anfang der 1930er Jahre ein gängiges Alltagsprodukt, vornehmlich vertrieben über Drogerien und Kettenläden. Während die eingangs aufgeführten Autoren Nurblond als Beispiel einer nationalsozialistischen Frauenbildes deuteten, erschien Blondex US-Historikern als typisches Produkt der Depressionszeit (Robert Heide und John Gilman, Dime-Store Dream Parade. Popular Culture, 1925-1955,New York 1979, 30; Dies., Popular Art Deco. Depression Era Style and Design, rev. ed., New York 2004, 129).

Die Werbung von Blondex wurde ab 1937 auf Druck der Federal Trade Commission allerdings deutlich eingeschränkt. Deren Regulierungsmöglichkeiten wurden durch den Wheeler-Lea Act vom 21. März 1938 beträchtlich erweitert, doch schon zuvor „unfaire“ Werbepraktiken eingedämmt. Guaranteed Products durfte unter anderem nicht mehr behaupten, dass Blondex keine Färbe- oder Bleichmittel enthalte, dass es das Haar gesund erhalte, dass es den Effekt eines Sonnenbades habe, dass es dunkelblondes Haar unmittelbar in hellblondes aufhellen können und die natürliche Farbe des Haares wiederherstellen könne und einiges andere mehr (Federal Trade Commission Decisions, Bd. 26, Washington 1938, 1400). Kurzum: Die Wirkung von Blondex war deutlich geringer als von der Firma angepriesen. Guaranteed Products reagierte hierauf schon 1937, etablierte das Shampoo-Puder „New Blondex“, bewarb dieses mit noch blumigeren und kaum aussagefähigen Worten. Einmal pro Woche angerichtet, sollte es die bekannten blondierenden Wirkungen hervorrufen. Anders als Nurblond wurde es in einer mit Cellophan ummantelten Papierschachtel verkauft, in dem je ein Papierumschlag mit dem Shampoo-Pulver und der Spülung enthielt (Ruth Hooper Larisson, Packaging the Ten Cent Product, The American Perfumer 36, 1938, Nr. 2, 38-39, hier 38).

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Werbung für „New Blondex“ (Motion Picture 57, 1939, Nr. 4, 78 (l.); ebd., Nr. 3, 68)

Das Haarfärbeshampoo Blondex überstand diesen Wandel ohne größere Einbußen. Es wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter erfolgreich vermarktet, zumal in europäischen Märkten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es historische Arbeiten gibt, die Blondex als ein typisches Produkt just dieser Zeit und ihrer Wertschätzung blonder Hollywooddiven, des American Way of Life und allgemeiner Amerikanisierung deuten.

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Blondex und Konkurrenzprodukte (The American Perfumer 36, 1938, Nr. 2, 39)

Stablond für Großbritannien und Teile des Commonwealth

Das amerikanische Haarfärbeshampoo Blondex wurde global vermarktet – und da durften Großbritannien und das Commonwealth nicht fehlen. Wohl aus markenschutzrechtlichen Gründen wählte man auch dort einen anderen Namen: Stablond Laboratories Ltd. wurde 1932 in London etabliert. Robert Rough, der ja schon Geschäftsführer der deutschen Nurblond GmbH gewesen war, war Direktor, ebenso Richard Millett und der Chemiker Alexander Kowarsky (Lesley Richmond, Julie Stevenson und Alison Turton, The Pharmaceutical Industry. A Guide to historical Records, Aldershot 2017, s.p. (E-Book)).

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Werbephrasen für Stablond (Picturegoer 3, 1934, Nr. 151 v. 14. April, 3 (l.); ebd. 1937, Nr. 147 v. 24. März, 39)

Die Stablond Laboratories boten nicht nur Haarpflegeprodukte an. Wie in die USA wurde das Shampoo in verschiedenen Konsistenzen angeboten: „Stablond Regular“ wurde durch „Stablond Liquid Soapless“ und „Stablond Powder Soapless“ ergänzt. Die Produktpalette umgriff jedoch nicht nur Angebote für Blondinen: Viklep-Tabletten sollten beispielsweise auch dürren Damen zu begehrenswerten Rundungen verhelfen, wurden auch für Heranwachsende beworben (Picturegoer 3, 1934, Nr. 141 v. 3. Februar, 36). Dunkelhaarige Modelle bebilderten die Anzeigen – doch auch für diese hielt man mit Brunitex ein Pflegeprodukt bereit. Stablond war im deutlich umkämpfteren britischen Markt gewiss weniger wichtig als Nurblond im Deutschen Reich. Regelmäßige umfangreiche Werbekampagnen sorgten jedoch für allgemeine Bekanntheit (The Chemist and Drugist 130, 1939, Nr. 3077, 8).

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Ob blond, ob braun, wir shampoonieren alle Frauen – Stablond- und Brunitex-Anzeigen in Australien (Australian Women’s Weekly 2, 1934/35, Nr. 52 v. 1. Juni, 43 (l.); ebd. 8, 1940/41, Nr. 9 v. 3. August, 31)

Von London aus wurden auch große Teile des Commonwealth beliefert. Anfangs nutzte die Londoner Zentrale für die Werbung vielfach die Köpfe deutscher Blondinen, doch nach Kriegsbeginn wurden diese gegen nicht zu personalisierende Graphiken und Bilder ausgetauscht. Auf die englische Herkunft wurde stolz verwiesen (Australian Women’s Weekly 7, 1939/40, Nr. 48 v. 4. Mai, 33). Doch die gleichen Werbeköpfe fanden sich zu dieser Zeit auch in deutschsprachigen Zeitschriften.

Stablond blieb ein aktiver Nischenproduzent, der seine Produkte auch nach dem Zweiten Weltkrieg mit nur gering verändertem Marketing an die Frau brachte (The Chemist and Drugist 165, 1956, Nr. 3983, 25). Die Firma wurde 1979 von dem Pharmakonzern Beecham aufgekauft, der unter anderem auch Herrenpflegeartikel anbot. Stablond-Produkte wurden bis 1992 verkauft. Die Geschichte der Stablond Laboratories endete 1993 im Rahmen sog. Umstrukturierungen der Beecham Group.

Zweiter Weltkrieg und das späte Ende von Nurblond

Die Nurblond Laboratorien GmbH warb auch nach Kriegsbeginn weiter mit Blondinenbildern, nutzte dazu aber neue Fotos. Die Werbung endete 1940, schon lange vor der deutschen Kriegserklärung an die USA im Dezember 1941. Die Gesellschaft bestand weiter, residierte im Berliner Grunewald in der Humboldtstraße 22-24 (Berliner Adreßbuch 1941, 2191; ebd. 1943, 2123).

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Nurblond: In der ganzen Welt und auch für Auslandsdeutsche (Banater Deutsche Zeitung 1940, Nr. 108 v. 16. Mai, 7)

Die Nurblond-Gesellschaft bestand auch nach dem Zweiten Weltkrieg, war erst in Charlottenburg, ab 1953 dann in Tempelhof, in der Boelkestraße 131 gemeldet (Amtliches Fernsprechbuch für Berlin 1952, 346; ebd. 1953, 388). In den Berliner Stadtadressbüchern findet sie sich bis 1961 (Berliner Stadtadressbuch 1961, T. 1, 1155) – und es ist davon auszugehen, dass es das Haarfärbeshampoo für Blondinen weiter beworben und verkauft wurde. Das aber ist für unsere Fragestellung nicht mehr relevant. Denn schon auf Grundlage der hier verfolgten vier Argumentationsstränge, ist die Antwort auf die Ausgangsfrage klar.

Sehen wir nur, was wir sehen wollen?

Nurblond war erstens ein typisches Haarpflegeprodukt der 1920er Jahre, Teil einer sich dynamisch entfaltenden Kosmetik- und Schönheitsindustrie. Es steht für die Fortschritte der chemischen Industrie aber auch für eine verstärkte Nachfrage auf Seiten junger, urbaner, durch neue Populärmedien sozialisierten Frauen. Zweitens bediente die Nurblond-Werbung die Wünsche und Sehnsüchte dieser Käuferinnen, stützte und verstärkte ein vom Film geprägtes vielgestaltiges Frauenbild. Sie orientierte sich am international prägenden Bild des „modern girl“, war damit nationalsozialistischen Verengungen fremd, stellte vielmehr ein konträres und als undeutsch kritisiertes Frauenbild dar. Dies ließ äußerliche Überlappungen zu, eine starke Orientierung auf Körperlichkeit, Familienorientierung und Eheglück. Doch es setzte zugleich eine Dynamik frei, die bei weniger engen rechtlichen und materiellen Rahmenbedingungen auch emanzipatorischen Gehalt haben konnte. Nurblond unterschied sich drittens von der doch beachtlichen Zahl der Konkurrenzprodukte durch eine klarer Zielgruppenfokussierung und eine darauf konsequent zugeschnittene Werbung. Die Konkurrenz nutzte zugleich Frauendarstellungen, die teils stärker häuslich, weniger international, im Ganzen auch weniger glamourös waren. Viertens war das Marketing von Nurblond eine nur leicht variierte Kopie des amerikanischen Blondex, das unter verschiedenen Markennamen in den frühen 1930er Jahre global präsent war. Es stand für die Schönheit „weißer“ Blondinen, für deren wachsende Konsumoptionen, für deren Leben im nichtprekären Wohlstand. Mag dies mit dem Abstand von einem Jahrhundert auch nicht mehr zeitgemäß erscheinen, so ist die Verengung auf Zerrbilder „arischer“ Frauen oder tradierter Mütterlichkeit doch unzutreffend, ja irreführend.

Nurblond steht für die auch während des Nationalsozialismus bestehende Widersprüchlichkeit und Vielgestaltigkeit der Konsumgüter und der für sie betrieben Werbung (so auch Sharon Ringel, Representations of the German woman’s body in the official Nazi woman’s magazine, Feminist Media Studies 20, 2020, 238-255). Nicht zuletzt aus diesem Grund konnte die Mehrzahl starker Markenartikel nach Ende des Nationalsozialismus mit teils nur marginalen Änderungen weiter beworben und vertrieben werden.

Zu fragen ist schließlich aber auch, warum offenkundig einseitige, verkürzte und irreführende Deutungen wie die der Nurblond-Werbung unkritisch bestehen konnten, warum sie gar Teil eines vermeintlich kritischen und aufklärerischen Umgangs mit dem NS-Regime und seiner Konsumkultur werden und bleiben konnten. Die Antwort liegt erstens in den nur geringen empirischen Kenntnissen über diese Zeit, insbesondere in der kaum ausgeloteten NS-Konsumwelt. Dies ist jedoch, wie insbesondere Götz Aly treffend dargelegt hat, ein wichtiges Element, um auch allgemeine Fragen nach der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer mörderische Stabilität zu stellen und ansatzweise zu beantworten. Zweitens sind die plakativen Deutungen von Nurblond Ausdruck eines vielfach eben nur pseudokritischen Umgangs mit der NS-Zeit, die primär heutigen Debatten und Deutungskämpfen verpflichtet ist, sich einer konkreteren historische Analyse jedoch häufig entzieht. Dies gilt nicht nur für die oft vergessenen Vorgeschichte, sondern auch für den eben vielfach nicht vollzogenen Neubeginn nach 1945, für die massiven Kontinuitäten, die durch bequeme Bruch- und Befreiungsmetaphern gern über- und verdeckt werden. Drittens handelt es sich bei einschlägigen Deutungen auch um eine Weigerung, den Nationalsozialismus anders als primär ideologisch zu verstehen. Für Millionen deutscher Konsumenten waren Haarshampoos jedoch wichtiger als das real existierende NS-System, von dem sie nur indirekt betroffen waren, von dessen Auswirkungen sie anfangs dankbar profitierten. Die Sinnangebote der Konsumkultur waren für sie zumindest ebenso bedeutsam, wenn nicht bedeutsamer. Aber sie halfen anderen den Weg zu bereiten, waren in ihrer Selbstbezüglichkeit und ihrem Eskapismus auch Teil der zerstörerischen Dynamik des NS-Regimes.

Das lässt durchaus Rückschlüsse auf die Gegenwart zu, in der die materielle Grundversorgung und Absicherung der Bürger scheinbar alternativlos ist – und andere Gehalte des Politischen gering geachtet werden. Der britische Journalist George Orwell hat in seiner Besprechung von Hitlers „Mein Kampf“ diesen Punkt deutlich angesprochen: „Fast das gesamte westliche Denken seit dem letzten Krieg, sicherlich alles ‚fortschrittliche‘ Denken, ist stillschweigend davon ausgegangen, dass der Mensch nichts anderes will als Bequemlichkeit, Sicherheit und Vermeidung von Schmerz. In einem solchen Leben ist zum Beispiel kein Platz für Patriotismus und die militärischen Tugenden. […] Hitler weiß, weil er es in seinem eigenen freudlosen Geist mit außerordentlicher Stärke spürt, dass die Menschen nicht nur Komfort, Sicherheit, kurze Arbeitszeiten, Hygiene, Geburtenkontrolle und im Allgemeinen gesunden Menschenverstand wollen; sie wollen auch, zumindest zeitweise, Kampf und Selbstaufopferung, ganz zu schweigen von Trommeln, Fahnen und Treueparaden“ (eigene Übersetzung von Review of Adolf Hitler, Mein Kampf, London 1939, New English Weekly 1940, Ausg. v. 21. März, in: George Orwell, Collected Essays, Journalism, and Letters, Bd. 2: My Country Right or Left, 1940-1943, London 1968, 12-14, hier 14). Nurblond war ein modernes amerikanisches Konsumgut, das gleichermaßen in Diktaturen und in Demokratien gekauft wurde. Es stand nicht für Rassismus und Frauenfeindlichkeit, wohl aber für moderne Konsumgesellschaften, deren Sinnangebote die eigenen Grundlagen tendenziell unterminieren.

Uwe Spiekermann, 15. Februar 2021