1932 – Das Jahr des Jo-Jos

„Wir spielen als Kind, als Knabe, als Jüngling, als Mann, als Frau, als Greis und als Matrone mit gleichem Vergnügen; der Hang, die Lust daran bleibt immer dieselbe, nur die Spielzeuge ändern sich“ (Friedrich Justin Bertuch, Ueber das Joujou de Normandie, und die Moden der Joujous überhaupt, Journal des Luxus und der Moden 7, 1792, 4-13, hier 4). Spielen erschien dem Verleger und Aufklärer Friedrich Justin Bertuch (1747-1822) etwas zutiefst Menschliches – und sein Weimarer Geistesbruder Friedrich Schiller (1759-1805) würdigte in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen Spiel und Spieltrieb wenig später als Ausdruck wahren Menschentums. Und doch… Spielen ist mehr als ein erstrebenswertes Ideal, gar eine anthropologische Konstante. Der „Homo Ludens“ war nie nur er selbst, sondern immer auch Abbild und Ausdruck einer, eben seiner Zeit. Spielen charakterisiert die Zeitläufte, die sozialen und ökonomischen Formationen, erlaubt dadurch einen anderen Blick auf Vergangenheit. Die Ludologie, die Wissenschaft vom Spiel(en), hat dies, (zu)recht ernst und vielfältig analysiert, vornehmlich in der Pädagogik, der Kulturanthropologie und der Theologie. Doch bevor wir uns im Spiel der Worte verlieren, hin zum Thema, der Geschichte des Jo-Jo-Spiels. 1932, so sagen wir Historiker, war ein Jahr der Weltwirtschaftskrise, des Aufstieg des Nationalsozialismus, des Bürgerkrieges auf den Straßen, von Massenarmut und Not. Doch 1932 war zugleich das Jahr des Jo-Jos.

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Alltagsvirtuosität 1932 (Nebelspalter 59, 1933, Nr. 1, 6 – Nachdruck aus dem Punch)

Blicken wir etwa nach Wien, wo es überzeichnend hieß: „Die ganze Firma spielte Yo-Yo. Keiner war fähig, an etwas zu denken. Das Telephon wurde abgeschaltet, damit sein Klingeln nicht störte. Kundschaften wurden unhöflich behandelt und schlecht oder gar nicht beliefert, so daß sie zur Konkurrenz gingen. Zahlungstermine wurden vergessen. Einige große Schuldner gingen in den Ausgleich. Die Forderungen wurden nicht angemeldet, das Geld verloren. Wechsel wurden fällig und nicht bezahlt. Das Warenlager wurde gepfändet, die Bureaueinrichtung wurde gepfändet, aber in der Firma wurde nur Yo-Yo gespielt“ (George Stoeßler, Der Bankrott, Das interessante Blatt 50, 1932, Nr. 43 v. 27. Oktober, 11).

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Jo-Jo-Spiel im Büro (Das interessante Blatt 50, 1932, Nr. 43 v. 27. Oktober, 11)

Nein, Jo-Jo hat die Weltwirtschaftskrise weder bewirkt, noch verschärft – und doch. Das Spiel breitete sich 1932 binnen weniger Monate in Europa aus, erst im Westen, dann in der Mitte, schließlich auch im Osten. Während die ökonomischen Strukturen zerbrachen, alter und neuer Mittelstand gärten, sich Bauern und Teile der Arbeiterschaft radikalisierten, schien Jo-Jo den Alltag stillzulegen und zugleich mit neuem Zauber zu versehen.

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Alltag im Aufruhr (La Lutte Syndicale 1933, Nr. 14 v. 8. April, 2)

Karikaturisten gewannen dem spielerischen Treiben vielfältige Aspekte ab, auch hoffnungsfrohe. Das Auf und Ab der Politik spiegelte sich im Spiel der Jo-Jo-Scheiben. Und siehe da, Völkerverständigung schien möglich, Abrüstung und Frieden, der Mensch wurde ganz Mensch, verbindende Linien waren sichtbar: „Es gibt keine Zwistigkeiten mehr, denn Jo-Jo überbrückt alles und zieht jeden in seinen Bann. Wie der Hypnotiseur sein Medium auf eine Kugel starren läßt, so ist der Spielende von einer kleinen glänzenden Scheibe fasciniert. Stundenlang halten die vom Jo-Jo Besessenen den dünnen Faden in der Hand, um mit der größten Aufmerksamkeit die rotierende Scheibe zu beobachten“ (Josef Kostelnik, Yo-Yo erobert sich die Welt! Ein Spiel beherrscht den Kontinent, Neue Zürcher Nachrichten 1932, Nr. 271 v. 5. Oktober, 4).

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Jo-Jo als Chance für die „große“ Politik (Nebelspalter 58, 1932, Nr. 44, 3)

Folgt man den Tageszeitungen, so kam die Welle aus Kanada, erreichte im Frühsommer Großbritannien. Korrespondenten berichteten über ein scheinbar leichtes, letztlich aber forderndes Spiel, angegangen, um Aufmerksamkeit zu erregen und „Langeweile zu bannen“ (Wie sich die Londoner Gesellschaft amüsiert, Neues Wiener Journal 1932, Nr. 13856 v. 18. Juni, 6). Frankreich folgte mit noch stärkerer Resonanz. Am Anfang standen die Badeorte, standen auch publizistisch gezielt gestreute Gerüchte; etwa über einen jungen, scheinbar geisteskranken Amerikaner im mondänen französischen Badeort Deauville, der am Strande tagaus, tagein Jo-Jo spielte: „Eine Woche später wurde im Hotel ‚Normandy‘ in Deauville ein ‚Gala-Yo-Yo-Abend‘ abgehalten. Wieder eine Woche später hatte das Yo-Yo Paris erobert, dann Cannes, Juan-les-Pins, Rom, Berlin, London, Budapest, Wien, ganz Europa“ (Kostelnik, 1932).

All dies geschah im Sommer 1932, Anfang September. Der Berliner Soziologe und Journalist Siegfried Krakauer (1889-1966) weilte damals im französischen Seebad Royan. Er deutete das Phänomen als Teil allgemeiner Amerikanisierung, Jo-Jo war für ihn „eine Art Kaugummi für die Hand“ (Berliner Nebeneinander. Ausgewählte Feuilletons 1930-33, Zürich 1996, 298). Seitdem war das Spiel europäisches Pressethema und Alltagspraxis – und blieb es über den Herbst bis in die frühe Winterzeit (Le Nouveau Jeu. Le Yo-Yo, L’Elclaireur 1932, Nr. 20 v. 25. Oktober, 1; Robert Delys, Les Jeux à la Mode, Le Progrès 1932, Nr. 1929 v. 27. Oktober, 2; Yo-yo-mani, L’Eveil de l’AEF 1932, Nr. 31 v. 3. Dezember, 12). In Deutschland staunte man zu Beginn über die Manie im Westen, doch die Übernahme des neuen „Geduldspiels“ folgte auf dem Fuß: „Uns Deutschen wird dieses Spiel besonders liegen. Wir sind daran gewöhnt, Geduld haben zu müssen. Uns ist es seit vielen Jahren gegangen wie dem Jo-Jo, immer auf und runter“ (Das Geheimnis des Jo-Jo, Hamburger Nachrichten 1932, Ausg. v. 28. September, 7).

Die Jo-Jo-„Manie“ als gemachter Trend: Das Yo-Yo in den USA

Dabei könnte man es belassen. Doch kurzfristige Moden wie die des Jo-Jos sind ein konstitutives Element moderner Konsumgesellschaften. Sie stehen für Dynamik, für Wahlhandeln, für die Attraktion des Neuen. All das ist brüchig – und die Geschichte des Jo-Jos erlaubt einen Blick hinter das vordergründige Geschehen einer solch kurzfristigen Sonderkonjunktur.

Zuvor vielleicht aber noch wenige Sätze zum Objekt der Begierde. Ein Jo-Jo besteht aus zwei durch einen Mittelsteg verbundene Scheiben. Das Spielzeug wird durch eine am Mittelsteg befestigte Schnur in Bewegung gesetzt; und die Kunst besteht darin, dem Auf und Ab Dauer und Virtuosität zu verleihen. Das Jo-Jo ist spielerisch angewandte Physik (detailliert hierzu Wolfgang Bürger, The Yo-yo: A Toy Flywheel, American Scientist 72, 1984, 137-142): „Wer das Geheimnis dieses Auf- und Niederrollens physikalisch ergründen will, wird bei jener wunderbaren und herrlichen Naturkraft landen, der wir so viele schöne Dinge verdanken, der sogenannten Trägheit. Ich versetze die Doppelscheibe mit einem seitlichen Anstoß – Stümper und Anfänger rollen die ganze Schnur auf – und die Schwerkraft zieht meine Scheibe nach unten. Da sie aber an der Schnur hängt, muß sie sich drehen, und weil sie sich dreht, so will sie sich auch dann noch drehen, wenn es eigentlich gar nicht mehr notwendig wäre, und so wickelt sich das Scheibchen wieder verkehrt an der Schnur auf und das Spiel beginnt von neuem“ (Spielen Sie schon Yo-Yo?, Salzburger Chronik für Stadt und Land 1932, Nr. 244 v. 22. Oktober, 8). 1932 handelte es sich fast durchweg um Holzspielzeug, Blech wurde nur selten verwandt. Auch andere Werkstoffe wurden herangezogen, erlaubten Marktdifferenzierung bis hin zu teuren Anfertigungen aus Silber oder Elfenbein. Doch es soll hier nicht um das Objekt selbst, sondern vielmehr um das gesellschaftliche Ereignis im Jahre 1932 gehen, um die Wucht einer Mode, der sich damals kaum jemand entziehen konnte.

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Jo-Jos als Ware: Hausierer mit Bauchkasten in Wien 1932 (Wiener Magazin 7, 1933, Nr. 2, 30)

Sie gilt es jedoch nicht zu feiern, sondern zu analysieren. All den netten Berichten und Bildern zum Trotz war die Jo-Jo-Mode eben kein naturwüchsiges Ereignis, sondern eine kühl geplante kommerzielle Landnahme. Der Trend wurde rational in Gang gesetzt und in Gang gehalten, sein Ziel war ökonomischer Gewinn. Berichte über die Jo-Jo-„Manie“ waren Bestandteil umfassender Presse- und PR-Arbeit. Gewiss, Moden und Kaskadeneffekte sind nicht vollends zu berechnen oder gar zu beherrschen; die wechselhafte Geschichte der Schnellballsysteme unterstreicht dies. Die plötzliche Alltagsmacht des Spieles galt damals jedoch als Beleg für erfolgreiches „social engineering“, also die systematische und erfolgreiche Beeinflussung der öffentlichen Meinung, der Wähler und Konsumenten. Die junge Marketing-“Wissenschaft“ ging damals noch von schwachen Konsumenten und starken kommerziellen Reizen aus, Märkte und Politiken schienen machbar (Walter Lippmann, Public Opinion, Washington 1922; Edward L. Bernays, Propaganda, New York 1928).

Die unmittelbaren Anfänge der europäischen Jo-Jo-Mode des Jahres 1932 lagen in den USA. Als „Erfinder“ wird gemeinhin der philippinische Einwanderer Pedro Flores (1896-1964) genannt. Er studierte Jura in Berkeley und San Francisco, verließ die Hochschulen jedoch ohne Abschluss. Mitte der 1920er Jahre entwickelte er den „Yo-Yo“ zu einem Konsumgut, charakterisiert durch eine neuartige Schleifenaufhängung der Schnur. Gegenüber der tradierten einfachen Befestigung am Mittelsteg ergaben sich dadurch neuartige, virtuos anzuschauende Spielarten. Flores gründete 1928 im kalifornischen Santa Barbara die “Yo-Yo Manufacturing Company”, die er mit Hilfe lokaler Investoren rasch ausbaute (David F. Crosby, The Yo-Yo: Its Rise and Fall, American History 2002, August, 52-56). Der Einwandererunternehmer setzte auf Direktmarketing, auf Produktdemonstrationen, bei denen die Teilnehmenden die Möglichkeiten des Spielzeugs sehen und es selbst ausprobieren konnten. 1929 verkaufte er bereits 300.000 „Flores Yo-Yos“, 1930 ließ er sich den Begriff “Yo-Yo” schützen (https://www.thoughtco.com/pedro-flores-inventor-1991879). Zum eigentlichen Macher wurde jedoch der Detroiter Investor Donald F. Duncan (1892-1971).

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Pedro Flores (1896-1964, l.) und Donald Franklin Duncan (1892-1971) (National Museum of American History, Duncan Family Yo-yo Collection, AC0807-0000049)

Duncan hatte bereits ein Vermögen mit dem Absatz von Speiseeis gemacht, war Mitgründer der in seinem Geburtsstaat Ohio 1920 gestarteten Firma „Good Humor“. Sie war bekannt für die Einführung des „Eskimo Pies“, eines mit Schokolade überzogenen Vanilleeises am Stil, und ihre die Vororte durchfahrenden Verkaufswagen. Bei einer Yo-Yo-Demonstration realisierte Duncan 1929 das Marktpotenzial des neuen Spielzeuges. 1930 gründete er die „Donald F. Duncan Inc.“ in Detroit mit einem Kapital von 25.000 Dollar, die Flores im gleichen Jahr inklusive der Markenrechte aufkaufte. Flores arbeitete von nun an für Duncan, ebenso wie weitere philippinische Einwanderer, etwa der Marketingspezialist Tom Ives. Übernahmen kleinerer Yo-Yo-Produzenten schlossen sich an (National Museum of American History, Duncan Family Yo-yo Collection, AC0807-0000031).

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Promotiontour von Tom Ives, Duncan Yo-Yo Corp., 1931 (National Museum of American History, Duncan Family Yo-yo Collection, AC0807-0000005)

Duncan hatte das Kapital und die Kontakte, um insbesondere den bevölkerungsreichen Mittleren Westen und die Ostküste der USA zu durchdringen, Flores selbst steuerte sein bewährtes Absatzsystem bei. Außerdem erlaubten seine Kontakte zu philippinischen Einwandererkreisen das von ihm geschaffene Narrativ der vermeintlich philippinischen Ursprünge des Yo-Yos fortzuspinnen. US-weit halfen jedenfalls ab 1931 immer mehr junge philippinische und auch einige chinesische „Champions“ das Yo-Yo zu verbreiten. Sie etablierten Produkt und Namen, während die durchaus vorhandene Konkurrenz sich mit umschreibenden Markennamen begnügen musste, etwa “come-back” oder “whirl-a-gig” (Marv Balousek, Famous Wisconsin Inventors and Entrepreneurs, Verona 2003, 105).

Bevor wir auf die Vermarktung genauer eingehen, einige abschließende Worte zu Duncan. Dieser produzierte bis in die späten 1950er Jahre Yo-Yos, obwohl er sich ab 1935 durch den Erwerb von Rechten für Parkuhren einen noch profitableren Geschäftszweig eröffnet hatte. Er übergab das Geschäft an seinen Sohn, Donald F. Duncan Jr., der massiv investierte, um den Weg ins Kunststoffzeitalter zu ebnen und die Zahl der Spielwaren zu erhöhen. Seine Strategie scheiterte, die Firma ging 1965 Bankrott – vor allem nachdem sie die Markenrechte verlor. Yo-Yo sei ein Alltagsbegriff geworden, der nicht länger geschützt werden könne (Parking meter, Yo-Yo promoter dead at 79, Daily Reporter 1971, Ausg. v. 17. Mai, 8; New Braunfels Herald-Zeitung 1998, Ausg. v. 16. Dezember, 5). Der Kunststoffproduzent Flambeau Products Corp. übernahm Duncan und machte das Tochterunternehmen wieder profitabel (Lisa Berman, Yo-Yo up when Business down, The Independent 1975, Ausg. v. 13. Februar, 33). Donald F. Duncan Sr. stieg Anfang der 1970er Jahre nochmals in den Spielzeugsektor ein, vermarktete nun neuartige Plastik-Yo-Yos. An die Erfolge der 1930er bis 1950er Jahre – mit jährlichen Absatzzahlen bis hin in den zweistelligen Millionenbereich – konnte er jedoch nicht mehr anknüpfen (Cassie Domek, Guide to the Duncan Family Yo-yo Collection, Washington 2002, 2). Dennoch: Duncan machte das Yo-Yo zum Alltagsgegenstand – wie Asa Griggs Candler (1851-1929) Coca-Cola oder Ray Kroc (1902-1984) McDonald’s –, indem er es zu einer Ware reduzierte, die produkt- und erlebnisnah vermarktet wurde.

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Ein Markenartikel: Duncans Yo-Yo (Brooklyn Daily Eagle 1931, Ausg. v. 28. August, 7)

Das Yo-Yo wurde seit 1930 als Markenartikel verankert, Duncan und Yo-Yo wurden rasch Synonyme. Flores war ähnlich vorgegangen, seine Werbetouren vermarkteten explizit „Flores Yo-Yo“ (Yo-Yo Contest of Clarksdale Fans Will be Held Wednesday at Marion, Clarksdale Press Register 1929, Ausg. v. 2. September, 8). Doch der Absatz wurde noch begleitet von einer Do-it-Yourself-Kultur, die Jungen aufforderte, sich ihr philippinisches Yo-Yo selbst zu basteln (Hi Sibley, Make a Filipino „Yo-Yo“, Popular Mechanics 52, 1929, Nr. 7, 135-136). Ab 1930 wurde dies eine Ausnahme – auch aufgrund der geringen Verkaufspreise. Mit einem „Dime“, zehn Cents, konnte man einsteigen und mitmachen.

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Geschichtsklitterung als Geschäftsmasche (Brooklyn Daily Eagle 1931, Ausg. v. 28. August, 7)

Der Markenartikel wurde mit einer Ursprungsgeschichte verbunden, die Kinder ansprach und nach Abenteuer klang. Strikt kontrafaktisch wurde das Spielzeug als handliche Variante einer philippinischen Waffe der indigenen Krieger vermarktet, als „an obscure Asian jungle-fighting weapon” (Marketer Of Yo-Yo, Parking Meter Dead, The Herald 1971, Ausg. v. 17. Mai, 17). Dies war wirksam in einem Land, das die Philippinen 1898 nicht einfach von den Spaniern erobert, sondern dass die philippinische Unabhängigkeitsbewegung mit massiver Gewalt unterworfen hatte. Bis zu einem Fünftel der Einheimischen kam dabei ums Leben. Der letzte organisierte Widerstand wurde erst während des Ersten Weltkrieges gebrochen, von Kämpfen mit Filipinos konnte man immer wieder lesen. In der Werbung war das kein Thema, wohl aber wurde eine fiktive Begegnung von Flores und Duncan in San Francisco geschildert, die Entdeckung eines armen, aber gewitzt geschickten Einwanderers und seines Yo-Yo durch einen etablierten Repräsentanten des weißen Amerikas. Zähmung des Wilden und Vermarktung des Neuen gingen Hand in Hand, gaben zugleich eine gute Begründung für die Rekrutierung junger philippinischer Billigangestellter als Verkaufsrepräsentanten und Yo-Yo-„Champions“.

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Philippinische Yo-Yo-Virtuosen (Brooklyn Daily Eagle 1931, Ausg. v. 27. September, 68)

Yo-Yo war exotisch, ein “Filipino fun bug that climbs merrily up and down a string” (Brooklyn Daily Eagle 1931, Ausg. v. 6. Oktober, 11). Der Verkauf erfolgte über Kioske, Lebensmittel- und Drogerieläden, Warenhäuser und den Fachhandel, das neue Spielzeug war ein billiger Mitnahmeartikel. Doch diese indirekte Nähe zum Kunden reichte nicht, nur durch Direktmarketing schien es möglich, die Kunden einzunehmen und zu begeistern. Nicht Absatz, sondern Wettbewerb stand dabei scheinbar im Mittelpunkt – und den Einstieg erlaubten lokale Yo-Yo-Demonstrationen der jungen wilden Duncan-Repräsentanten. Diese fanden jedoch nicht einfach statt, sondern wurden häufig als Kooperationsveranstaltung lokaler Medien, meist Zeitungen, und von Duncan durchgeführt (vgl. etwa If Yo Can Yoo-Hoo You Can Yo-Ho; Enter Tribune Contest, Cash Prizes, Altoona Tribune 1930, Ausg. v. 30. Juni, 14).

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Philippinische Yo-Yo-Virtuosen (Brooklyn Daily Eagle 1931, Ausg. v. 27. September, 68)

Yo-Yo-Absatz war ein Ereignis, eine Show. Das Yo-Yo wurde vorgeführt, Virtuosität nahm ein, weckte den Wunsch zum Mitmachen, zum Nachahmen. Schaustellungen auf Jahrmärkten und Rummelplätzen verbanden sich mit den Anpreisungen im Hausier- und Straßenhandel. Auch die gedruckte Werbung war spaßgeprägt, das Spiel einfach, die vielfältigen virtuosen Techniken scheinbar leicht zu erlernen. Vor allem aber war es ein Produkt für alle, klassen- und altersübergreifend, entsprach dem Teilhabeversprechen der amerikanischen Konsumgesellschaft (Brooklyn Daily Eagle 1931, Ausg. v. 17. September, 17).

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Werbung für Duncan Yo-Yos 1931 (Brooklyn Daily Eagle 1931, Ausg. v. 6. Oktober, 11)

Für den Absatz boten die zahlreichen Tricks Attraktionen und Lernziele zugleich, schufen sie doch eine Parallelwelt zum raschen Abtauchen. Erst staunte man über The Spinner, Walking the Dog, The Creeper, Over the Falls, Bouncing Betsy, The Sleeper, The Sizzler, Around the World, The Break Away, Loop-the-Loop und viele andere mehr – und dann folgte ein erster Versuch. Yo-Yo-Spiel war Spaß, setzte aber Wissen um dessen Besonderheiten voraus, erforderte Zucht und Selbstdisziplin, sollten die Tricks gelingen, wollte man ebenso locker und cool erschienen wie die kleinen, dunkelhäutigen “Champions”.

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Anleitung für Jo-Jo-Tricks 1932 (San Bernardino County Sun 1932, Ausg. v. 28. Juli, 7)

Yo-Yo war nicht nur ein Spiel für Jugendliche, es gab ihnen auch die Chance, sich einen Freiraum zu erobern, eine akzeptierte Nische. Die Jugendlichen machten Ernst mit dem Spiel, Ratgeber und Zeitungsartikel präsentierten gängige und immer wieder neue Tricks, die es zu erlernen und zu erproben galt. Ihre Spielarbeit hatte zudem ein lohnendes Ziel, nämlich den Sieg beim Wettbewerb, den kleinen Pokal, die große Anerkennung. All dies ließ auch Ältere nicht ruhen, denn wer wollte schon von den Kindern abgehängt werden. Während die Weltwirtschaftskrise den Wettbewerb zwischen Arbeitssuchenden massiv intensivierte, bot Yo-Yo eine Form des friedlichen Miteinander-Ringens – die gleichwohl hart und fordernd war.

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Werbung für eine Yo-Yo-Präsentation in Lincoln, Nebraska (Nebraska State Journal 1932, Aus. v. 28. Mai, 10)

Die wachsende Zahl philippinischer Yo-Yo-Virtuosen erlaubte zahlreiche, präzise geplante parallele Kampagnen in den USA. Die kleinen Verkaufsgruppen zogen von Ort zu Ort, um dort das Yo-Yo-Fieber in Gang zu setzen, um Duncan Yo-Yos zu verkaufen. All das wurde begleitet von zahllosen Artikeln und Bildern, zunehmend aber auch durch eine Populärkultur, die anfangs angestoßen, dann aber zum Selbstläufer wurde. Schlager und Jazz-Titel waren im Radio zu hören, verbanden Tanz und Ausgehen mit dem neuen Produkt: Alice Brasels „Yo-Yo“, Jack „Fuzzie“ und Ree Millers „My Yo-Yo“ (1930), E. Howards „Everybody Yo-Yoing Now“ (1931) oder der „Yo-Yo Song“ sind dafür Beispiele. Wichtig war auch die Zusammenarbeit mit Hollywood-Schauspielern, die für ein für ein Paar Dollar bereitwillig das Yo-Yo präsentierten.

Anfang 1932 war es dann geschafft, die „yo-yo-craze“ (Yo-Yo Top Craze, Kiowa Record 1932, Ausg. v. 17. März, 4) in den USA entfacht, und der Lauf setzte sich über Kanada und England nach Kontinentaleuropa fort. Unterschiede waren offenkundig, denn die US-Kampagnen zielten anfangs vor allem auf Jungen. Nur so waren einschlägige lyrische Ergüsse denkbar, etwa: „What takes the place of my best girl, / Is treasured more than any pearl, / And sets my senses in a whirl. / My Yo-Yo“ (Ogden Standard Examiner 1932, Ausg. v. 23. Juli, 8). Gleichwohl weiteten sich die Kampagnen zunehmend auch auf Mädchen – Motto: „Girls also Yo-Yo“ (Ogden Standard Examiner 1932, Ausg. v. 25. Juni, 8) – und dann Erwachsene aus. In Europa war die Geschlechter- und Altersparität deutlich ausgeprägter.

Die USA boten die Folie für die europäische Jo-Jo-Mode. Duncans Kommerzlegenden wurden von der einschlägigen Presse weiter gesponnen, so etwa in der Frühphase der britischen Jo-Jo-Mode von der britischen Schriftstellerin Jan Struther (1901-1953), die die Entwicklung des Jo-Jos von einer tödlichen philippinische Waffe zu einem kanadischen, nun in England erhältlichen Konsumgut bedauerte (Yo-Yo, the newest fad, The Living Age 343, 1932, September, 63-65, hier 65). Träumereien über das Wilde im wohlbürgerlichen Ambiente…

Jo-Jo als Sonderkonjunktur in der europäischen Krise

Ja, Jo-Jo war ein „amerikanischer Wurf, der bis nach Europa gereicht hat“ (Yo-Yo, Schweizerische Metallarbeiter-Zeitung 1932, Nr. 46 v. 12. November, 3). Doch das Spiel geriet kaum in den Mahlstrom der recht stereotypen Amerikanisierungsdebatte der späten 1920er Jahre. Das lag zum einen daran, dass zwar die Herkunft allgemein bekannt war, dass aber eine daraus resultierende Ablehnung eine rare Ausnahme war. Obrigkeit und insbesondere die hehre Pädagogik schritten ab und an gegen das Jo-Jo-Spiel ein, sei es, um die Verkehrssicherheit, sei es, um den Unterricht zu garantieren. Doch das in Neustadt a.d. Donau, dem heutigen Novi Sad im November 1932 „unter Androhung strengster Bestrafung“ (Ein Verbot des Yo-Yo-Spieles, Die Neue Zeitung 1932, Ausg. v. 18. November, 4) erlassene Spielverbot in Schulen, auf Schulhöfen und auch offener Straße folgte der gängigen Logik der schwarzen Pädagogik, nicht einem antiamerikanischen Kalkül. Man mag das auf ein sich Fügen in das Unvermeidliche zurückführen, auf das Wissen, dass jede Mode ein Ende findet. Plausibler aber dürfte sein, dass das Jo-Jo 1932 eine Sonderkonjunktur bildete, ein Stück Bewegung, der vielbeschworene Silberstreif am Horizont. Wenn sich der Spielemarkt so plötzlich ändern konnte, warum nicht auch anderes?

Die Jo-Jo-Mode begann zwar in den USA, doch Duncan war keineswegs deren direkter Profiteur. In Frankreich brachte die konservative Tageszeitung „L’Intransigeant“ die Scheiben ins Rollen, andere Journale verstärkten den Trend. Davon profitierten Franzosen: „Im Nu haben sich einige geschäftstüchtige Kaufleute der Sache angenommen und die Yo-Yos für alle Preislagen mit allen hölzernen und metallenen Raffinessen hergestellt“ (Pieter Pott, Yo-Yo, Tagblatt 1932, Nr. 217 v. 18. September, 2-3). Produktionsziffern fehlen, ebenso genaue Angaben über die Jo-Jo-Hersteller. Doch während Duncan in den USA den Markt klar dominierte, gab es weder in Europa insgesamt noch in den einzelnen Staaten entsprechende Marktführerschaften. Yo-Yo/Jo-Jo war kein Markenzeichen, sondern eine allgemein nutzbare Bezeichnung. Die Sonderkonjunktur nutzte den durch die Krise darniederliegenden Spielwarenregionen der einzelnen Staaten. Diese produzierten vielfach noch im Heimgewerbe, Nebenerwerbslandwirtschaft war nicht selten, diente als Krisenpuffer. In Frankreich galt das etwa für das Departement Jura. Die Wiener Journalistin Lotte Sternbach-Gärtner (d.i. Caroline Kohn) bemerkte pointiert, das „der Yo-Yo-Rummel vermocht [habe, US], was alle Weltkonferenzen nicht zustande brachten: es gibt dort so gut wie keine Arbeitslosen mehr“ (Yo-Yo, die große Mode. Ein Kinderspielzeug, das alle Welt beschäftigt, Neues Wiener Journal 1932, Nr. 13980 v. 21. Oktober, 9). Ähnliches galt für den Böhmerwald, wo „die Betriebstätigkeit wesentlich zugenommen hat“ (Neues Wiener Journal 1932, Nr. 14006 v. 17. November, 14).

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Kleine Anzeige eines kleinen Anbieters (Die Stunde 1932, Nr. 2884 v. 21. Oktober, 10)

In Wien, wo im September mehr als 10.000 Jo-Jos verkauft worden sein sollen, nutzten auch lokale Anbieter, etwa Drechsler, ihre Marktchance (Kostelnik, 1932). Im Deutschen Reich profitierte insbesondere die Nürnberger Spielwarenindustrie (Yo-Yo Saves German Industry, Komomo Tribune 1932, Ausg. v. 16. Dezember, 15). Auch der sozialdemokratische „Vorwärts“ frohlockte, als er aus dem oberpfälzischen Furth im Walde berichtete: Dort sei „groß und klein damit beschäftigt, die notwendigen Materialien für Jo-Jo bereitzustellen, und die Aufträge sind so groß, daß noch die ganze dörfliche Umgebung beschäftigt wird. Eine Mode, die ganz plötzlich auftauchte, hat einer ganzen Stadt Arbeit gebracht“ (Die Jo-Jo-Stadt, Vorwärts 1932, Nr. 568 v. 2. Dezember, 3).

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Moden machen Mode: Werbung für einen Jo-Jo-Hut (Die Stunde 1932, Nr. 2881 v. 18. Oktober, 10)

Koppeleffekte, etwa durch Merchandising und ergänzende Applikationen, lassen sich nachweisen, auch wenn die Zahl spezieller Yo-Yo-Abendtaschen nicht allzu groß gewesen sein dürfte (Pilsner Tagblatt 1932, Ausg. v. 31. Dezember, 2). Jo-Jos wurden von Beginn an auch als Zugaben, als teils kostenlose Werbeartikel für Drogerieartikel und Lebensmittel produziert (Lotte Sternbach-Gärtner, Yo-Yo, die große Mode. Ein Kinderspielzeug, das alle Welt beschäftigt, Neues Wiener Journal 1932, Nr. 13980 v. 21. Oktober, 9).

Wichtiger dürften noch die Auswirkungen auf Dienstleister gewesen sein, etwa Gaststätten und Veranstaltungsräume. Jo-Jo-Polonaisen erfreuten sich nicht nur beim Münchener Oktoberfest im sächsischen Riesa großer Beliebtheit (Riesaer Tageblatt und Anzeiger 1932, Nr. 254 v. 28. Oktober, 8). Wer es etwas distinguierter haben wollte, der konnte dort auch zum Jo-Jo-Ball gehen. Die gutbürgerliche Gesellschaft schuf sich ihre eigenen Konsumorte, ein wenig abgehoben vom Durchschnitt, doch mit Effekten auf Wachstum und Beschäftigung.

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Krise macht erfinderisch: Jo-Jo-Ball im sächsischen Riesa (Riesaer Tageblatt und Anzeiger 1932, Nr. 277 v. 26. November, 8)

Nicht vergessen werden sollte, dass die hier großenteils verwandten Quellen ebenfalls Resultate wirtschaftlicher Aktivitäten waren. Die Jo-Jo-Mode gab Zeitungen und Zeitschriften „Stoff“, erlaubte leichte Artikel und Karikaturen in schweren Zeiten. Die Berichterstattung war insgesamt locker, das Phänomen wurde gefeiert, Verwunderung war gepaart mit kindlicher Begeisterung. Zugleich folgte man häufig den Texten anderer, vielfach auch den PR-Mythen Duncans. Fundierte Recherchen fehlten, die ökonomische Grundlegung des Trends blieb außen vor, stattdessen erschien Jo-Jo als Ausdruck des nicht zu bändigen Spieltriebes des Menschen, als Einbruch eines imaginierten Archetyps in den wankenden Alltag der Mehrzahl: „Man weiß eigentlich nicht genau, wieso es kam. Eines Tages war es eben da!“ („Yo-Yo“ – ein Spiel erobert die Welt, Linzer Volksblatt 1932, Nr. 266 v. 2. Dezember, 6).

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Deutschland im Jo-Jo-Fieber 1932 (Welt-Spiegel 1932, Ausg. v. 23. Oktober, 12)

Die Sprache suggerierte eine Art Naturereignis, eine positiv zu wertende Pandemie: „Wie ein Bakterium verbreitet sich die Manie des Yo-Yo über Europa und viele, die heute noch unschuldsvoll fragen: ‚Yo-Yo, was ist das?‘ sind morgen schon infiziert und dem Dämon der tanzenden Scheibe verfallen“ (Die Yoyomanie. Der Dämon in der Laufspule, Neues Wiener Journal 1932, Ausg. v. 25. September, 25). Jo-Jo war eine „Weltkrankheit“ (Kostelnik, 1932), eine „Seuche“ (Vorarlberger Landes-Zeitung 1932, Ausg. v. 22. Oktober, 9), eine „Epidemie“ (Prager Tagblatt 1932, Nr. 266 v. 11. November, 3), Seit an Seit mit der bevorstehenden „Grippeepidemie“ (Pilsner Tagblatt 1932, Ausg. v. 26. November, 5) – doch weniger tödlich. Auch biblische Plagen wurden beschworen: „Wie Heuschreckenschwärme oft ins Land kommen, so wurden wir gegenwärtig mit den [sic!] Yo-Yo überschwemmt“ (Yo – Yo … Jou – Jou?, Illustriertes Familienblatt 38, 1932, Nr. 23, 15). Und, erwartbar, die „Yo-Yo-Pest“ (Yo-Yo, Die Bühne 1932, Nr. 336, 40).

Wer mag sie nicht, die dann folgenden leichten, atmosphärisch dichten Glossen, die sich abarbeiteten an den kleinen Dingen des Lebens? Doch mit Realitätssinn hatten die meisten Beiträge wenig zu tun, denn geglaubt und weitergereicht wurde (fast) alles, zumal Skurriles. Waren das Falschmeldungen? Gar Verschwörungstheorien über untergründige Mächte? Die große Zahl der Biologismen sollte stutzig machen, die schon bald mörderische Pseudoverwissenschaftlichung des Sozialen. Doch dazu bedürfte es einer genaueren Analyse, eines breiteren Quellenkorpus.

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Jo-Jo im Café und im Kino (Prager Tagblatt 1932, Nr. 266 v. 11. November, 3)

Das gilt auch für den Boulevard, die kleinen allzu menschlichen Nachrichten. Da war die Trauung in Madrid, bei der der Geistliche wenig Resonanz für die Zeremonie verspürte. Selbst Braut und Bräutigam blickten weg, brachen gar plötzlich in Lachen aus. Der Grund: Ein kleiner Junge hatte in der Kirche begonnen Jo-Jo zu spielen (Yo-Yo in der Kirche, Kärtner Volkszeitung 1932, Ausg. v. 12. November, 2). Jo tempora, jo mores… Auch Herr Bordelaire, seriöser Inhaber eines Pariser Porzellangeschäftes, hätte in diese Wehklage einstimmen können, denn seine Gattin handhabte ihr Jo-Jo derart offensiv, dass sie in Cafés, Vergnügungslokalen und gar auf offener Straße Bekanntschaften anknüpfte. Die Scheidungsklage folgte – doch Herr Bordelaire ließ sich umstimmen als seine Denise ihm vor Gericht versprach, „sich beim Yo-Yo-Spiel künftighin weniger kokett zu benehmen“ (Yo-Yo als Scheidungsgrund, Neue Freie Presse 1932, Nr. 24504 v. 1. Dezember, 5). Realität und Boulevard, Farce und Tragödie waren kaum mehr zu unterscheiden, denn das Leben war ein Witz: „‚Mutter, ich lasse mich scheiden!‘ kommt weinend Grete nach Hause. ‚Aber, was ist passiert, ihr wart doch bis jetzt so glücklich?‘ meint verwundert die Mutter. ‚Jetzt ist es aus‘, erklärt die junge Frau, ‚denke dir nur, was der Mann mit angetan hat – er hat die Schnur von meinen [sic!] Yo-Yo abgeschnitten ‘“ (Die Bühne 1932, Nr. 348, 49). Derartige Sternstunden des Journalismus spiegelten die Interessen der Mehrzahl, den Wunsch nach Heiterkeit. Sie waren aber auch fern vom hehren Ideal der vierten Gewalt. Journalisten hatten ihr Blatt käufernah zu füllen, um Anzeigen zu verkaufen – Jo-Jo war dabei eine willkommene Hilfe.

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Eine der vielen Lektionen der Jo-Jo-Champions Perry und Joe (L’Intransigeant 1932, Ausg. v. 4. Oktober, 6)

Zeitungen und Zeitschriften banden durch ihre Jo-Jo-Berichterstattung Käufer an sich, zumal junge. Auch wenn die in den USA üblichen Medienpartnerschaften in Europa nur selten anzutreffen waren, so wurden Klischees gerne benutzt, um etwa die wichtigsten Jo-Jo-Tricks zu präsentieren, um so den Spielern ein Ratgeber zu sein. Das stimmte auf die wachsende Zahl philippinischer und US-amerikanischer „Champions“ ein, die im Herbst 1932 Touren durch die europäischen Metropolen starteten, in denen sie nicht allein für das Jo-Jo-Spiel warben, sondern explizit für führende Importware. Dennoch gab es aufgrund der deutlich anderen Produktionsstrukturen in Europa eine bedeutsamere Bastelstruktur. Zeitungen und Zeitschriften konnten dabei mit ihren Beilagen punkten.

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Bastelzeichnung für ein Jo-Jo. Benötigt werden Zwirnspulenscheiben mit einem Durchmesser von fünf Zentimeter (1), ein acht Millimeter starkes Rundstäbchen (2) und ein schmiegsamer Wollfaden (Radio Wien 9, 1932, Nr. 3, 17)

Die Zahl der „Champions“ in Europa lag deutlich unter der in den USA, denn der Warenabsatz erfolgte stärker über die gängigen Kanäle des Handels, etwa Warenhäuser, den wesentlich wichtigeren Fachhandel oder aber die während der Krise insgesamt anwachsende Branche der Straßenhändler und Hausierer. Hinzu kamen Versandgeschäfte. Gleichwohl fanden die „Champions“ gebührenden Widerhall in der Presse. Der „Vorwärts“ berichte begeistert über vier „braunhäutige Studenten von den Philippinen“ in Berlin: „Was dieses Jo-Jo-Meister-Quartett den erstaunten Augen darbot, war allerdings verblüffend und stellte einen Jongleurakt dar, der an den seligen Rastelli erinnert. Acht Spiele flogen – jeder Spieler hielt links und rechts ein Jo-Jo – wie von Geisterhand geschnellt nach allen Richtungen. Das wirbelte wie toll im Kreis herum, schoß auf die Erde, beschrieb hier eine Bahn, flog zwischen den Beinen hindurch, über die Achsel retour, hielt sekundenlang auf halbem Weg nach unten inne und schoß bei Berührung mit der Fingerspitze wieder nach oben, beschrieb Spiralen und machte komplizierte Saltos, tänzelte im Takt der Musik“ („Hochschule“ für Jo-Jo, Vorwärts 1932, Nr. 555 v. 25. November, 7). Andere Beobachter lobten nicht zuletzt den Kreiselflug „im Walzertakt“ (Die hohe Schule des Yo-Yo, Pilsner Tagblatt 1932, Ausg. v. 26. November, 5). Die „Champions“ gaben potenziellen Jüngern Unterricht, machten sie so zu Botschaftern des Jo-Jos. Selbstverständlich fehlte nicht der Auftritt im Varieté und Ende Dezember 1932 gar in Fox Tönender Wochenschau (Österreichische Film-Zeitung 1932, Nr. 53 v. 31. Dezember, 12).

Die fehlenden starken Jo-Jo-Marken führten in Europa zu deutlich anderen Formen der Produktwerbung, so dass die Anzeigenerlöse niedriger lagen als in den USA. Die Anzeigengestaltungen war wenig elaboriert, Produktorientierung dominierte.

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Sachliche Werbung 1932 (Altonaer Nachrichten 1932, Nr. 233 v. 21. September, 4; La Sentinelle 1932, Nr. 232 v. 6. Oktober, 3)

Gleichwohl reagierten einzelne Werbegraphiker und auch Kritiker der Jo-Jo-Mode auf die Vielzahl der Karikaturen, in denen glücklich dreinschauende Menschen mit ihrem Jo-Jo eins waren. Humorvolle Werbung – dezent, man war deutsch! – wurde geschaltet. Und die vermeintliche Billigkeit des Jo-Jos wurde von kommunistischen Kadern angesichts bestehender Massenarmut als Kampfesmittel gegen das kapitalistische System gedeutet, um so die Weltrevolution voranzubringen und Mitgliedsbeiträge für die KPD zu generieren.

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Kritik und Agitation seitens der Kommunisten (Der Arbeiter-Fotograf 7, 1933, 21); Übertragung der Jo-Jo-Aktivitäten auf andere Konsumbereiche (Deutsche Uhrmacher-Zeitung 57, 1933, 343)

Damit kommen wir zum letzten Aspekt der Sonderkonjunktur in der Krise, dem Widerhall der Jo-Jo-Mode in der Populärkultur. Das Spiel war der Ausgangspunkt, doch Jo-Jo stand nun für Lebensfreude und Optimismus. Der Begriff Yo-Yo/Jo-Jo löste sich vom Gegenstand, gewann eine abstrakte Qualität. Bemerkenswert war insbesondere die große Zahl von Schlagern und Tanzmusik, die sich an den Trend andockten. Blicken wir beispielhaft auf die österreichischen Radioprogramme der Jahreswende 1932/33: Leo Monosson (1897-1967), der Interpret von „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ präsentierte den Foxtrott „Ja, Ja, wir spielen Yo-Yo“ (Die Muskete 1932, 973), nicht wissend, dass er kurz darauf aus Deutschland fliehen musste. Bert Silving (1887-1948), ab 1938 Flüchtling, komponierte den „Yo-Yo-Marschfox“ (Reichspost 1932, Ausg. v. 15. Dezember, 12), Mallna-Ruzicka den „Yo-Yo-biguine“ (Radio Wien 1932, Ausg. v. 23. Dezember, 54), Oskar Kanita sang Jascha Doranges „Wir spielen nur Yo-Yo“ (Neuigkeits-Welt-Blatt 1933, Ausg. v. 5. Januar, 47). Leo Aschers (1880-1942) „Yo-Yo“-Foxtrott wurde wiederholt aufgeführt, der erfolgreiche Operettenkomponist musste Österreich ebenfalls 1938 verlassen (Salzburger Chronik für Stadt und Land 1933, Nr. 5 v. 7. Januar, 13). Österreich ohne Walzer – undenkbar! Und der tschechische Komponist Bohuslav Leopold legte mit „Yo-Yo“ einschlägig nach (Salzburger Chronik für Stadt und Land 1933, Nr. 5 v. 7. Januar, 14). Der Wiener Erik Jaksch (1904-1976) schuf einen gleichnamigen Rumba und später NS-Operettenfilme (Neues Wiener Journal 1933, Ausg. v. 7. Januar, 8). E. Chalers „Yo-Yo“-Walzer setzt den Reigen fort (Neues Wiener Journal 1933, Ausg. v. 10. Januar, 11), ebenso Charliers „Le Valse du Yo-Yo“ (Salzburger Volksblatt 1934, Nr. 118 v. 26. Mai, 13).

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Der „Yo-Yo-Trott“, imaginierter Modetanz 1933 (Das kleine Blatt 1933, Ausg. v. 17. Februar, 17)

Auch Paul O’Montis (1894-1942), einer der erfolgreichsten Interpreten der späten 1920er Jahre, präsentierte einen Foxtrott namens „Yo-Yo“, begleitet vom Paul Godwin-Tanzorchester (Moderne Welt 14, 1933, H. 5, 5); als Homosexueller floh er 1933 aus Deutschland, wurde 1939 jedoch in Prag verhaftet und starb im KZ Sachsenhausen. Fast schon zynisch erscheint da der Schlager „Was hat Yo-Yo mit Erotik zu tun?“, den die Jazzband Fred Bird Rhythmicans 1933 aufnahm, ehe sie als Fred Bird Tanz-Orchester neu firmieren musste (Neues Wiener Journal 1933, Nr. 14102 v. 22. Februar, 15). Die Jo-Jo-Mode griff über auf die leichten Muse, eine Kunstform die zu heiter und albern war als dass sie nach der Machtzulassung 1933 weiter hätte gepflegt werden können.

Das Phänomen Jo-Jo drang auch in den visuellen Medien vor, wenngleich es sich dabei vielfach nur noch um zeichenhafte Reminiszenzen handelte. Ein Beispiel ist die Filmkomödie „Fräulein Yo-Yo“, inszeniert von dem schon 1932 in die Schweiz emigrierten Fritz Kortner (1892-1970), der mit Dolly Haas (1910-1994) eine weitere Emigrantin und mit Willy Forst (1903-1980) einen Günstling des späteren NS-Systems zusammengeführt hatte.

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Fritz Kortner reizt mit „Fräulein Yo-Yo“ (Prager Tagblatt 1933, Nr. 59. v. 10. März, 10)

Auch im Theater finden sich eine Reihe weiterer Jo-Jo-Stücke: Die Operettengroteske „Adam, Yo-Yo und Eva“ (Der Abend 1932, Ausg. v. 5. Dezember, 11; Neues Wiener Journal 1932, Ausg. v. 29. November, 7) etwa. Oder die Kinderrevue „Das Märchen vom Yo-Yo“ von Robert Peiper (1902-1966), der nach dem „Anschluss“ Österreich ebenfalls verlassen musste (Neues Wiener Journal 1932, Ausg. v. 10. Dezember, 11). Festzuhalten ist, dass der Lalllaut Jo-Jo in den Folgejahren eine eigenständige Stellung als Name erhielt. Dafür steht etwa Henri van Wermeskerkens (1882-1937) Kinderbuch „Elefant Jo-Jo“ von 1937.

Jo-Jo und die Weltwirtschaftskrise: Erklärungsversuche

„Man kann noch durch die kleinste Nebenpforte in den Mittelpunkt menschlichen Wesens gelangen“ (Siegfried Kracauer, Georg Simmel, in: Ders., Das Ornament der Masse, Frankfurt a.M. 1977, 209-248, hier 224) – und entsprechend gab es zahlreiche zeitgenössische Erklärungen für das um sich greifende Jo-Jo-Spiel. Das Spiel wurde als „Spule der Geduld“ (Mimi Konried, Yo-Yo, ein Spiel und eine Weltanschauung, Neues Wiener Journal 1932, Nr. 13975 v. 16. Oktober, 9) geadelt, als „Symbol einer abgeklärten Weltanschauung“: „Ein Heilmittel für unsere zerrütteten Nerven: Nur Geduld! Es wird schon gehen!“ (Kostelnik, 1932). Wer meint, dass die Postmoderne in den 1970er Jahren begann, der wird durch das Jo-Jo eines besseren belehrt. Einzelne betonten: „In seiner Einfachheit liegt das Geheimnis seines Erfolges, in nichts anderem“ (Wiener Magazin 7, 1933, Nr. 2, 31). Andere sahen die Ursachen der Manie im aufreibenden modernen Leben, das den Spieltrieb verkümmern lasse: „Ist es nicht vielleicht eine Auflehnung gegen die Vergewaltigung der menschlichen Natur durch Rationalisierung und Entseelung der Arbeit? Wer mag das wissen?“ (Yo-Yo, Schweizerische Metallarbeiter-Zeitung 1932, Nr. 46 v. 12. November, 3). Jo, Jo. Versuchen wir also die große Zahl zeitgenössischer Erklärungen etwas zu systematisieren. Fünf Aspekte treten dann in den Vordergrund.

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Spielende Kinder in Wien 1932 (Wiener Magazin 7, 1933, Nr. 2, 32)

Jo-Jo wurde, vor allem zu Beginn, als Lappalie gedeutet, als Spiel für Kinder und Dumme: „Es sagt die kluge Tante Els: «No, no / Was glaubst Du denn: ich spiel Yo-Yo? / Das ist ein Spiel für kleine Kinder / Und solche die im Geist noch minder.»“ (Yo-Yo-Fimmel, Nebelspalter 58, 1932, Nr. 52, 8). Bestand Distanz zum Spiel, hatte man es selbst nicht probiert, so war das Verdikt strikt: Zu „Yo-Yo braucht man wirklich nicht eine Spur von Verstand“ (Yo-Yo, Kärtner Volkszeitung 1932, Ausg. v. 10. Oktober, 5). Auch die Kärtner Schriftstellerin Paula Brix-Bogensberger (1889-1964), selbst Produzentin leichter Romankost, kanzelte das Spiel harsch ab: „Es ist grad nicht für große Geister, / Von Übel nur ist der Verstand, / Und wer in diesem Spiele Meister, / Das Pulver sicher nicht erfand“ (Yo-Yo, Freie Stimmen 1932, Ausg. v. 2. Dezember, 2). Derartige Stimmen waren jedoch selten und zudem häufig gebrochen. Der anfänglichen Verdammung folgte oft ein Innehalten, Nachdenken über die verlorene Unschuld der Kindheit, ein Lob der Torheit, des Unernsten (Wiener Magazin 7, 1933, Nr. 2, 32). Mehrfach war das Verdikt auch Anlass zur praktischen Bekehrung. So auch bei Tante Els: „Doch kaum hat sie das Spiel zur Hand, / Geht sie ans Lernen unverwandt. Sie zieht die Schnur hinaus, doch munter / Fällt der Yo-Yo stets wieder runter. Mit aller Hirn- und Körperkraft / Die Tante mit dem Yo-Yo schafft, / Und deutlich ist es zu erkennen: Sie kann sich nicht mehr von ihm trennen. / Moral: Es ist im Leben öfters so: Erst sagt man Nein und dann Jo, jo“ (Yo-Yo-Fimmel, 1932).

Weitaus verbreiteter war die Verbindung des Spiels mit Massenarbeitslosigkeit und zwangsweiser freien Zeit. Jo-Jo erschien als „ein der Jetztzeit gut angepaßtes Nervenberuhigungsmittel“ (Man spielt Yo-Yo, Neue Freie Presse 1932, Nr. 24441 v. 28. September, 6), als Zerstreuungs- und Nervenberuhigungsspiel, das „die so oft vermißte stumpfsinnige Glückseligkeit“ (Pott, 1932) erlaube. Jo-Jo stellte die Menschen offenkundig still, beschäftigte die Hände (Sternbach-Gärtner, 1932). Es wirkte besänftigend, beruhigend, galt als das „einzige Mittel gegen die Krise“ (Die Stunde 1932, Ausg. v. 16. Oktober, 10). Doch die Verbindung von Arbeitslosigkeit und Jo-Jo-Spiel trügt. Zeit war in der Tat vorhanden, doch sie war ein „tragisches Geschenk“ (Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld und Hans Zeisel, Die Arbeitslosen von Marienthal, Frankfurt a. M. 1971, 83). Die Marienthal-Studie legte nahe, dass unbegrenzt verfügbare Zeit eben nicht zu deren einfacher Füllung führte, sondern zum Zerfall, ja zur Auflösung von Zeiteinteilungen (Ebd., 86). Jo-Jo mochte ein „Sorgenbrecher“ (Die Yo-Yo-Epidemie, Prager Tagblatt 1932, Nr. 266 v. 11. November, 3) sein, doch dieses Gefühl hielt nur eine gewisse Weile vor. Jo-Jo war weder das „neueste Spiel der sich einsam fühlenden Frau“ (H.K. Breslauer, Teufelei…, Die Stunde 1932, Nr. 2820 v. 6. Dezember, 7) noch das der Arbeitslosen. Es war ein Spiel der breiten und durchaus noch beschäftigten Mitte der Gesellschaft, des neuen Mittelstandes. Es war nicht Ausdruck von Verzweiflung, sondern von dessen Gegenteil: „Yo-Yo verscheucht die Sorgen, Yo-Yo bekehrt uns zum Optimismus und mit dem aus dem Yo-Yo gewonnenen Optimismus kurbeln wir dann die Weltwirtschaft an“ (Die hohe Schule des Yo-Yo, Pilsner Tagblatt 1932, Ausg. v. 26. November, 5). Der kommerziell in Gang gesetzte Spieltrend stand für den eben nicht überall fraglich gewordenen Glauben an eine zwar zyklische, aber grundsätzlich wachsenden Wirtschaft, für das Heilsversprechen einer raschen Erholung nach der erforderlichen Rosskur und mittels der Selbstheilungskräfte des Marktes. Das Spiel beschwörte den Tag herbei, „an dem wieder endlich alles wie am Schnürchen läuft“ (Harry Schreck, Traktat vom Yo-Yo, Vossische Zeitung 1932, Nr. 473 v. 2. Oktober, 21).

Jo-Jo repräsentierte just auf dem Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise Aufstiegschancen im Wettbewerb – gesellschaftlich, aber auch individuell. Jo-Jo war eine liberale Utopie. Vorbild war Harvey Lowe (1918-2009), ein Kanadier chinesischer Abstammung, der am 12. September 1932 die Yo-Yo-Weltmeisterschaft und 4.600 $ in London gewann und anschließend durch Europa tourte. Jo-Jo war kein Gruppenspiel, auch wenn man es in der Gruppe spielen konnte. Es ging um Selbstbeherrschung, das Erlernen einer Konkurrenztechnik und auch die Durchsetzung des Besten: „An jeder Straßenecke, bei jedem Haustor werden Meisterschaften ausgefochten und jeder Mensch, ob groß oder klein, freut sich, wenn er es besser kann als sein Nachbar“ (Wiener Magazin 7, 1933, Nr. 2, 32). Anfangs, im September und Oktober 1932, gab es vielfältige lokale Wettbewerbe ohne einheitliche Leitung (Le championnat vaudois de yoyo, Le Rhone 1932, Nr. 80 v. 7. Oktober, 7). Doch parallel etablierte sich – analog zu den USA – eine wachsende Zahl von institutionalisierten Wettbewerben (L. Loeske, Yo-Yo Rollpendel-Schaufensteruhr, Deutsche Uhrmacher-Zeitung 56, 1932, 590). Jo-Jo war nicht allein kontemplative Spielerei: „Scharf passen die Kinder auf, daß das Auf- und Abschnellen nicht einmal aussetzt. Denn ihnen geht es schon nicht mehr ums Vergnügen, sondern um Höheres, um den Rekord. Bald scheiden sich die Spieler in solche, bei denen Yo-Yo schon nach kurzer Zeit stille steht, und solche, die Yo-Yo beliebig lange rollen lassen, vorausgesetzt – daß nicht die Rolle ins Trudeln kommt“ (Die Yo-Yo-Epidemie, Prager Tagblatt 1932, Nr. 266 v. 11. November, 3). Rekorde aber verlangten Training, erforderten einen Rückgriff auf die physikalischen Grundlagen des Spiels, die bis heute die Jo-Jo-Literatur mitprägen (vgl. auch D.W. Gould, The Top, Folkstone 1975, 98-101). Mehr als zwei Jahrzehnte vor der Veröffentlichung des ersten Guinness-Buchs der Rekorde rangen die Spieler um Anerkennung und Preise. Im November wurde beispielsweise der bis dahin geltende Weltrekord im Dauerrollen pulverisiert. Eine Budapesterin hatte die Bestmarke auf 2946-maliges Auf- und Ab geschraubt, doch dann kam ein neuer Star, ein nur 14jähriger Erzgebirgler, Sohn eines Holzwarenfabrikanten in Nassau. Dieser schaffte es unter Aufsicht sein Jo-Jo binnen einer Stunde und 49 Minuten genau viertauendmal rollen zu lassen (Riesaer Tageblatt und Anzeiger 1932, Nr. 271 v. 19. November, 3). Anders als in den USA blieb die Professionalisierung des Jo-Jo-Sports jedoch in den Anfängen stecken. Ein Weltkongress der Yo-Yo-Spieler wurde in Prag einberufen, hatte jedoch keinen nachhaltigen Erfolg (Salzburger Wacht 1932, Ausg. v. 17. November, 2). Es fehlte an zahlungskräftigen Sponsoren.

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Jo-Jo im Jahresrückblick 1932 (Zeitbilder 1933, Nr. 1 v. 1. Januar, 8)

Leisten wir uns nun etwas Distanz – und nutzen das reichhaltige Arsenal der damaligen Philosophie für eine Erklärung des Phänomens. Jo-Jo war dann beispielsweise Ausdruck der Existenz in der Massengesellschaft. Das jedenfalls war die Quintessenz der Idee des „Man“, die der Philosoph Martin Heidegger (1889-1976) in seinem frühen Hauptwerk „Sein und Zeit“ entwickelt hatte (16. Aufl., Tübingen 1986, 126-130). Die moderne Massengesellschaft und ihre individuelle indifferente Infrastruktur charakterisierten demnach ein Miteinander, in dem der Mitmensch nicht mehr von anderen unterschieden wurde und in seiner Ausdrücklichkeit verschwand: „In dieser Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit entfaltet das Man seine eigentliche Diktatur. Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom »großen Haufen« zurück, wie man sich zurückzieht“ (Ebd., 126-127). Das Man stand für die Durchschnittlichkeit modernen Lebens, für ein abgepuffertes Dasein, das die Amplituden einebnete. Es nahm individuelle Urteile, individuelle Entscheidungen vorweg, entlastete den Alltag, machte ihn leicht, ließ in leicht nehmen. Selbstverständlich war das Man eine Fiktion, doch es ordnete das Dasein, schuf Realität. Es erlaubte Bezug auf die Anderen, zugleich aber Unterscheidungen. Das Jo-Jo-Spiel war dafür ein Beispiel, denn man spielte es: „Spielen Sie schon Yo-Yo? Wenn nicht, so schämen Sie sich. Denn die ganze Welt spielt Yo-Yo“ (Salzburger Chronik für Stadt und Land 1932, Nr. 244 v. 22. Oktober, 8). Es war uneigentlich, hatte keine Substanz, sondern war Ausdruck der Botmäßigkeit gegenüber anderen. Zugleich machte es Unterschiede deutlich, gab dem Einzelnen eine Chance, vorhandene Fähigkeiten im Wettbewerb mit anderen zu adeln. Heidegger, als Nationalsozialist und Antisemit dann wahrlich übermannt, erlaubte einen existenzialphilosophischen Zugang zur Jo-Jo-Manie, blendete aber die damit verbundenen gesellschaftlichen und ökonomischen Perspektiven aus. Das gilt zumal für den Internationalismus, der mit dem Jo-Jo verbunden war. Das Spiel war idealiter an keine Nation und keine Rasse gebunden, stand für Heterogenität in Spiel und Wettbewerb – und gegen abgeschlossene Vorstellungen eines dumpfen Man, einer erstrebenswerten Volksgemeinschaft.

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Abkehr von den Alltagspflichten (Riesaer Tageblatt und Anzeiger 1932, Nr. 243 v. 15. Oktober, 16)

Die Jo-Jo-Mode wurde 1932 zudem vielfach als Eskapismus gedeutet: „Brennende politische Fragen werden nicht mehr diskutiert, Arbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise scheinen vergessen. Die Menschen haben keine Sorgen mehr“ (Yo-Yo erobert sich die Welt, 1932). Jo-Jo erlaubte kurzfristiges Abtauchen, Kurzzeitvergessen: Verschwunden „die unbezahlten Rechnungen in der Kohlenkiste, das Steuermandat, den Geschäftsgang, die Preise, die Politik“ (Vorarlberger Landes-Zeitung 1932, Ausg. v. 22. Oktober, 9). Jo-Jo war Eskapismus auch vom Deutsch-Nationalen und Völkischen, von den Verordnungen, den Regularien, von den Fährnissen der Zeit. Heiteren Ernst kennzeichneten die Bemühungen, ein wenig Freiraum galt es zu gewinnen: „Jo-Jo ist jetzt das Modespiel. / Man spielt es fern und nah. / Jo-Jo spielt heute der Jugendstil, / Jo-Jo spielt die Mama. / Die Oma spielt’s im weißen Haar, / die Tante ebenso. / Es ist ja auch ganz wunderbar, / Das neue Spiel Jo-Jo. / Jo-Jo spielt die Verkäuferin, / Wenn sie ist gerade frei. / Die Köchin hat Jo-Jo im Sinn, / Vergißt dabei den Brei. / Jo-Jo spielt, wenn die Luft ist rein, / Die Tippmaid im Büro. / Wer heute recht modern will sein, / Der übt sich im Jo-Jo“ (Riesaer Tageblatt und Anzeiger 1932, Nr. 243 v. 15. Oktober, 16). Die Blödelkunst der damaligen Populärkultur schien hier auf – doch Eskapismus war Teil der Krise, verlängerte sie. Jo-Jo verkörperte die Handlungsunfähigkeit der Zeit, das Abdriften in Nabelschau und Träumereien: „Und die Leute spielen – Vogel Strauß!“ (Annette Stein, Yo Yo – Jo jo!, Marchfeldbote 1932, Ausg. v. 7. Oktober, 7).

Entamerikanisierung: Jo-Jo als europäischer Wiedergänger

Damit könnten wir eigentlich enden. Doch wir würden dann zwei zentrale Charakteristika der Jo-Jo-Manie des Jahres 1932 ausblenden: Jo-Jo geriet zum einen nämlich kaum in den üblichen Mahlstrom der Amerikanisierungsdebatte, weil in Europa eine andere, eine national geprägte, aber doch europäische Geschichtsdeutung verbreitet wurde. Zum anderen aber war Jo-Jo 1932 keine wirkliche Innovation, sondern ein Wiedergänger. Die Joujou-Mode der frühen 1790er Jahren enthielt fast alle Elemente, die 1932 als neuartig und modisch beschworen wurden.

Gewiss, auch in Europa war Geschichtsklitterung an der Tagesordnung. „Le yo-yo n’a donc paru nouveau qu’à cause de l’ignorance de l’histoire“ [Das Jo-Jo galt nur aufgrund der Unkenntnis der Geschichte als neu] (Propos d’un Parisien, Le Matin 1932, Nr. 17750 v. 24. Oktober, 1). Doch diese resultierte vorrangig aus der fehlenden Bildung der Journalisten, war nicht Ausdruck eines gezielt irreführenden Geschichtsnarrativs zum Absatz eines Markenartikels. Viele Journalisten kokettierten zudem mit den vermeintlich unbekannten Ursprüngen des Spieles und seines Erfinders. Faktenfreies Fabulieren galt einigen als Tugend, bis hin zur Mär von der chinesische Kaiserin Yo-Yo, der Erfinderin des einschlägigen Pläsiers (Die Yo-Yo-Epidemie, Prager Tagblatt 1932, Nr. 266 v. 11. November, 3). „Ja, alles ist schon dagewesen, / Auch dieses Spiel, genannt Yo-Yo. / In der Geschichte kann man lesen, / Schon die Chinesen spielten so“ (Brix-Bogensberger, 1932). Ha, ha… Korrekter waren da schon Verweise auf die griechische Antike (Die Yoyomanie. Der Dämon in der Laufspule, Neues Wiener Journal 1932, Ausg. v. 25. September, 25). Zugleich gab es viele Reminiszenzen an die eigene Geschichte, denn schon Väter und Großväter hatten das Jo-Jo offenbar geschätzt. Es war ein „wieder volkstümlich“ (Die Frau und Mutter 21, 1932, H. 11, 34) gewordenes Spiel. Duncan Yo-Yo wurde dagegen nicht erwähnt; schließlich handelte es sich um eine gleichsam naturwüchsige Mode, nicht um die Auswirkungen gezielten Marketings.

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Der niemals regierende französische König Louis XVII (1785-1795) mit einschlägigem Spielzeug (La Rhone 1932, Nr. 88 v. 4. November, 5)

Die Geschichte des Jo-Jos wurde aber durchaus korrekt an den britischen Hof – der spätere König Georg IV. (1762-1830) spielte als Jugendlicher „Bandalor“ –, vor allem aber ins französische Versailles zurückverfolgt. Das Spiel gelangte wohl aus dem Orient nach Europa, wo es seit 1790 vom Adel, zunehmend aber auch vom Bürgertum aufgegriffen wurde (Gould, 1975, 105-106). Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) sah es erstmals 1790 in Venedig: „Welch ein lustiges Spiel! Es windet am Faden die Scheibe, Die von der Hand entfloh, eilig sich wieder herauf! Seht, so schein‘ ich mein Herz bald dieser Schönen, bald jener Zuzuwerfen; doch gleich kehrt es im Fluge zurück“ (Werke, Bd. 1, Wien 1816, 411). Ausgangspunkt der im gleichen Jahr beginnenden Mode war jedoch die Handelskapitale der Welt, London. Von dort „kam es, vermuthlich durch die Normandie zuerst nach Flandern und nach Holland, wo man seine Abkunft und rechten Nahmen, Bandeliro, nicht wußte, und es also nach der Provinz woher es kam, Joujou de Normandie, nannte. Durch junge Engländer wurde es im vorigen Sommer an verschiedene Orte in Deutschland gebracht, und sonderlich zuerst in den Bädern, Spaa, Aachen, Pyrmont und Carlsbad bekannt“ (Bertuch, 1792, 12). Paris griff den Trend erst etwas später auf, im Oktober 1791. „Seit ein Paar Monaten aber ist das Joujou dort so allgemein Mode, daß Alt und Jung mit einem Joujou in der Hand geht, und sonderlich die Filles unsägliche Narrheiten damit treiben, um sich bemerkbar zu machen“ (Ebd.).

Das Joujou de Normandie bekam rasch neue Namen, bürgerte sich vor allem als „Emigrant“ ein, war es doch Begleiter adeliger (und bürgerlicher) Emigranten, galt als „jeu de émigrés“ (Le Croix 192, Ausg. v. 13. Oktober, 1). Ein anderer Name war „Coblentz“ (Yo-Yo, Ric et Rac 1932, Nr. 182 v. 3. September, 2), Sammelort vieler Geflüchteter. Begriffe wie „emigrette“ oder „pierrot à la Coblentz“ schlossen sich an (Mercure de France 1932, Nr. 240 v. 15. November, 217), doch auch deutsche Bezeichnungen, etwa „Bullenspiel“. Die Scheiben erinnerten an die Wachssiegel der Privilegien, Beglaubigungsschreiben und Pässe.

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Das Joujou de Normandie 1792 (Journal des Luxus und der Moden 7, 1792, Taf. III)

Die Jo-Jo-Mode der frühen 1790er Jahre glich der des Jahres 1932. Die andersartigen Verkehrs- und Kommerzverhältnisse streckten das Geschehen allerdings über einen etwas längeren Zeitraum: „Es ist sonderbar mit welchem allgemeinen Bayfalle dieß neue Mode-Joujou jetzt durch ganz Europa fliegt. Es beschäftigt überall Drechsler, Gold-Arbeiter, Juwelier und Moden-Handlungen. In London und Amsterdam besetzt man es mit Brillanten, in Paris werden die meisten galanten Etrennes heuer in schönen Joujous bestehen; die Aerzte finden schon, daß es wegen der gemäßigten Bewegung die es verschafft den Kranken überaus empfehlenswerth sey; junge Ritter werfen es neben ihren Damen her galoppirend, wie sonst den Wurfspieß mit einem Helden-Air; Knaben und Männer, Mädchen, Frauen und Matronen spielen es im Kreise ihrer Geschäfte“ (Bertuch, 1792, 13). Ja, es kam noch ärger: „Die Manie breitete sich nun, wie weiland die Influenza über ganz Deutschland aus. Allenthalben Joujou. Auf den Straßen fühlte man oft unvermuthet einen kleinen Stos an den Kopf; man sahe hinauf, und der Stos kam vom Joujou, das ein süßer Herr zum Fenster heraus spielte. Auf Bällen handhabten die Figuranten statt Aufmerksamkeit ihr Joujou. In jedem Strickbeutel fand man eins“ (Ueber das Joujou de Normandie, Leipzig 1792, 20). Adel und Bürgertum prägten die Anfänge des Spiels, doch es gab rasch einen sozialen Rieseleffekt, „bis es endlich alle Gassen-Jungen auch hatten, und sogar die Schornstein-Feger auf den Schornsteinen es spielten“ (Joujou de Normandie, in: Johann Georg Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie, T. 72, Berlin 1797, 695-709, hier 698).

Das Joujou de Normandie wurde breit diskutiert, die meisten Aspekte der Debatten von 1932 lassen sich wiederfinden, müssen allerdings anders eingebettet und erklärt werden. Es schien sich um eine Art Krankheit zu handeln, die „Manie für dieses schnurbewickelte Rädchen“ (Joujou, 1792, 4) schien anders kaum zu erklären. Zur Zeit der französischen Revolution spiegelte es den allgemeinen Umsturz. Just die Älteren erfüllten nicht mehr länger ihre ständischen und göttlichen Pflichten, so in Chemnitz: „Das beliebte Joujou ist auf der Wanderung, die es, wie die Influenza, durch Europa macht, auch hierher gekommen, und man sieht nicht blos Kinder, sondern auch ernsthafte gesetzte Personen die Zeit mit dieser Tändeley verderben“ (Deutsche Zeitung 9, 1792, Sp. 245). Schuld schien nicht zuletzt die „tyrannische Allgewalt“ der Mode (F. Wolff, Ueber die Modesucht und ihre nachtheiligen Folgen, Neues Hannoversches Magazin 1811, Sp. 641-656, hier 641).

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Moralische Verdammung des Jo-Jos 1792 (Joujou, 1792, vor 1)

In den 1790er Jahren stritt man deutlich stärker über Moral als 1932, ohne aber die Aufladung unserer heutigen Zeit zu erreichen. Denn der Wertehorizonte war einheitlicher, noch an Gott und bürgerlicher Rechtschaffenheit orientiert. Entsprechend galt das Joujou als „Zeitverderber“ (Der Anzeiger 1792, 189), als ein zeittötendes Mittel (Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung 8, 1795, T. 2, Sp. 801). Spielende Bürger erschienen nicht schicklich, Spiel war etwas für Kinder und adelige Nichtsnutze. Doch all das Klagen half nicht: „Anno 1791 war die Welt so alt, daß sie kindisch ward: – es fieng das kindliche Jahrhundert an, dann [sic] alle Menschen spielten mit Joujou“ (Preßburger Zeitung 1791, Nr. 86 v. 26. Oktober, s.p. [20]).
Die damalige Umbruchszeit spielte sich aber auch in der durchaus kontroversen Bewertung des Spieles. Theologen sahen das Joujou als Substitut für den kaum mehr genutzten Rosenkranz. Ärzte verwiesen dagegen auf die durchaus beruhigende Kraft des Repetitiven, sahen darin teils eine „Universalmedizin“ (Joujou, 1792, 39). Andere befürchteten, dass die einseitige Belastung „eine krumme, bucklichte, ungerade Generation“ (Preßburger Zeitung, 1791) produziere. Spötter, wie der Schriftsteller Friedrich Christian Laukhard (1757-1822) hielten mit Hilfe des Spieles der bürgerlichen Ehrsamkeit einen Spiegel vor, verulkten deren Bigotterie (Annalen der Universität zu Schilda […], T. 1, s.l. 1798, 199-200). Nach dem Furor der Anfangszeit glätteten sich allerdings die Wogen: Das Joujou galt als „ein unschuldiges, nicht ganz unnützes, und […] nicht verwerfliches Spiel“ (Johann Christoph Friedrich Guts-Muths, Spiele zur Uebung und Erholung des Körpers und Geistes, Schnepfenthal 1802, 311 – ein Plagiat aus Krünitz, 1797, 698). Beachtenswert auch die ökonomischen Wirkungen: „Der Emigrant war allenthalben zu sehen, man sah ihn an den Thüren der Kaufläden, in den Häusern, an den Fenstern, auf Spaziergängen; er war zur Raserei geworden. Es wurde zur Verfertigung dieses kleinen Spielzeugs eine ungeheure Masse von Rosen- und Ebenholz, sowie Elfenbein verbraucht. Eine bedeutende Anzahl armer Familien hatte durch diese Fabrikation Brod und Erwerb und schon deshalb verdient der Emigrant nicht ganz vergessen zu werden“ (Geschichte der Spielzeuge. Der Kugelfänger, der Hampelmann, der Emigrant, der Teufel, Illustrirte Zeitung 3, 1844, 394).

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Spiele im geborgenen Ambiente, darunter der Emigrant (Mädchenlust in den Erholungsstunden auf dem Schlosse zu Feldbrunn, Wien 1823, n. 32)

Obwohl vielfach zu lesen ist, dass das Jo-Jo-Spiel ab Mitte der 1790er Jahre „schnell vergessen“ (Franz Gräffer, Joujou, in: Ders., Kleine Wiener Memoiren, T. 1, Wien 1845, 45-46, hier 45) wurde, so blieb es auch im 19. Jahrhundert ein weithin bekanntes Spiel, vornehmlich im Bürgertum. Das hatte mit der anderen Bewertung des Spielens selbst zu tun, mit veränderten Erziehungskonzepten (vgl. allgemein Dorothea Kühme, Bürger und Spiel. Gesellschaftsspiele im deutschen Bürgertum zwischen 1750 und 1850, Frankfurt a.M. und New York 1997). Die frühere Zeitverschwendung mutierte nun zum „Zeitvertreib“ (Gabr[iel] Christ[oph] Benj[amin] Busch, Handbuch der Erfindungen, T. 7, 4. ganz umgearb. und sehr verm. Aufl., Eisenach 1814, 92).

Der Begriff „Joujou“ wurde allerdings zunehmend eingedeutscht. Das galt einmal für den Lalllaut selbst, der als „Ju-Ju“ bis mindestens in die 1880er Jahre gebräuchlich war (Hanna Janensch, Jo Jo = Ju Ju, Vossische Zeitung 1932, Nr. 497 v. 16. Oktober, 23; Ein Spiel überfällt die Welt, Volksblatt für Stadt und Land 1932, Ausg. v. 30. Oktober, 3). Joujou galt nach den sog. Befreiungskriegen als ein Ausdruck der „Verwelschung“, die es unbarmherzig zu beseitigen gelte. Der Berliner Historiker, Nationalist und Antisemit Friedrich Rühs (1781-1820) peitschte ein: „Französische Moden wurden in ganz Deutschland nachgeahmt und die jämmerlichsten Thorheiten und Erbärmlichkeiten, die die Franzosen ausheckten, wie das abgeschmackte Joujou de Normandie, verbreiteten sich mit Blitzesschnelle von Paris bis an die Ostsee“ (Historische Entwickelung des Einflusses Frankreichs und der Franzosen auf Deutschland und die Deutschen, Berlin 1815, 323). Die gängigen Hilfsmittel zur „Verteuschung“ der deutschen Sprache empfahlen statt Joujou „Spielwerk“ (Eduard Beer (Hg.), Neuestes Fremdwörterbuch zu Verteutschung […], Bd. 1, Weimar 1838, 592 und Verteutschungsbuch der in unserer Sprache üblichen fremden Wörter und Redensarten, 2. Aufl., Kempten 1829, 166) oder aber „Auf- und Abrollspiel“ (Joh[ann] Christ[ian] Aug[ust] Heyse, Kleine Fremdwörterbuch zur Verdeutschung […], Hannover 1840, 220), doch durchsetzen konnten sich diese deutschen Kunstworte nicht. „Joujou“ war noch bis Ende des 19. Jahrhundert gebräuchlich (Joujou, Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl., Bd. 9, Wien 1889, 274). Schon deutlich früher wurde der Begriff – das französische Wort für Spielzeug – abstrahiert, mutierte zum Steckenpferd und Kosenamen.

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Vom Spiel zum Steckenpferd: Abstraktion des Begriffs Joujou (Petersburg 1830 [erstmals erschienen 1807], 1)

Anstelle der Kunstworte der Fremdwortfeinde etablierten sich andere deutsche Worte, etwa der schon erwähnte „Emigrant“ oder die noch an die französischen Ursprünge erinnernden „Patriotchen“ oder „Patriotel“ (Gräffer, 1845, 46). Spannender ist der seit spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisbare Begriff „Rollrädchen“ (Hermann Wagner, Illustrirtes Spielbuch für Knaben, Leipzig 1864, 135-136). Ebenso wie der Berliner Begriff „Kletterspule“ verwies er auf die Veränderungen des Maschinenzeitalters, auf Feinmechanik und Textilproduktion. Es ist daher auch kein Zufall, dass Jo-Jos in den 1860er Jahren teils neu konzipiert und zumindest in den USA patentiert wurden. Doch diese hatten nicht die kommerzielle Durchschlagskraft eines Flores oder eines Duncan, mochte das 1867 patentierte „Return Wheel“ des deutschstämmigen Einwanderungsunternehmer Charles Kirchhof auch auf den Erfahrungen in seinem Vaterland basieren; die mehr als hundertjährige Geschichte der 1852 in New York gegründeten und dann in Newark, NJ ansässigen Kirchhof Patent Company prägten andere Metall- und Spielwaren.

Auf und Ab

Kommen wir abschließend zurück zum „Yo-Yo-Rummel“ (Die Stunde 1933, Nr. 2982 v. 19. Februar, 10) des Jahres 1932. Er war keineswegs ein „unlösbares Rätsel“ (Spiel, 1932), sondern Folge eines in den USA in Gang gesetzten kommerziellen Trends, der in Europa allerdings ganz andere und vielfach überraschende Konturen gewann. Elaboriertes Marketing war und ist eben abhängig von den gesellschaftlichen, ökonomischen Bedingungen in den jeweiligen Märkten. Der geringe Verkaufserfolg von Duncan Yo-Yo in Europa war Folge der nur gering entwickelten Auslandsexpertise dieser auf den US-amerikanischen und kanadischen Markt konzentrierten Firma. Obwohl kommerziell in Gang gesetzt, unterstreicht die Geschichte der Jo-Jo-Mode sowohl die Kraft als auch die strukturellen Grenzen ökonomischer Kampagnen und eines eng gefassten Marketings. Moderne ausdifferenzierte Konsumgesellschaften besitzen immer einen Überschuss, der Überraschungen birgt (und damit wiederum Marktchancen). Die Jo-Jo-Mode geriet in Europa Ende 1932 ins Stocken, hielt sich zwar noch über Monate auf niedrigerem Niveau, ebbte dann aber ab und die Berichterstattung endete. Andere Spiele, etwa das aus Frankreich stammende Brettspiel Diablotin („Diablotin“, Tagblatt 1933, Ausg. v. 9. September, Beil., 3), rangen um die Nachfolge, doch der Breitenerfolg blieb aus.

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Ein neuer Trend? Abkehr vom Jo-Jo 1933 (Neues Wiener Journal 1933, Nr. 14080 v. 31. Januar, 1)

Die Geschichte der Jo-Jo-Mode 1932 liefert wichtige Einblicke in das Funktionieren von Konsumgütermärkten und die enge Verzahnung von Alltag, Gesellschaft und Wirtschaft. Drei allgemeine Aspekte scheinen mir am Ende diskussionswürdig:

Die Jo-Jo-Mode 1932 präsentierte erstens Geschichte als kommerzielle Ressource. Das amerikanische Yo-Yo wurde mit Hilfe von Kommerzlegenden aus dem wilden Philippinen beworben, erschien als gezähmte Innovation in einer weißen und distinguierten Gesellschaft, die ihren Spieltrieb zwar nicht verloren, doch kultiviert hatte. Yo-Yo war eine Innovation, die Vermarktung folgte dem Neuigkeitsversprechen massenindustriell hergestellter Waren. Geschichte war Beiwerk, diente als Zierrat, schuf eine Aura von Spannung und Wildheit. Das galt anfangs auch in Europa. Das Jo-Jo wurde als unaufhaltsame urwüchsige Kraft wahrgenommen, als ein irrationaler Einbruch in eine grundsätzlich geordnete, gegenwärtig aber aus den Fugen geratene Welt. Rasch aber wurde nach den Ursprüngen gefragt, Jo-Jo mit dem eigenen historischen Erbe verbunden. Das erfolgte versatzstückhaft, blieb konsumnahes Stückwerk. Statt wilder Urwaldkämpfer erinnerte man sich an gepuderte Adelszöglinge, an eine vergangene, vielleicht gar bessere Zeit. Dem dienten auch die durchaus vorhandenen Reminiszenzen an Jo-Jo als Spielzeug der eigenen Kindheit. Europa blickte zurück, verklärte nostalgisch; in USA dagegen konzentrierte man sich auf den Spaß und Wettbewerb in der Gegenwart.

Aus heutiger Sicht überraschend ist, dass die schon damals bestehenden Chancen der gegenwärtigen „Bereicherungsökonomie“ (vgl. dazu Luc Boltanski und Arnaud Esquere, Bereicherung. Eine Kritik der Ware, Berlin 2018, insb. 220-225, 293-300) ungenutzt blieben. Die reiche europäische Jo-Jo-Geschichte diente nicht dazu, teurere Jo-Jos und Applikationen, solche mit Aura und Patina zu verkaufen, die Preise entsprechend höher zu schrauben. Die Handwerkskunst der Drechsler und Juweliere wurde noch nicht als Besonderheit verstanden, als Chance für Wert- und Gewinnsteigerungen. 1932 entstanden mit Jo-Jo-Bällen und -Polonaisen, mit einschlägigen Schlagern und Tanzmusiken neue Formen ironisch-beschwingten Umgangs mit dem Phänomen, während die Joujou-Kultur des Adels und des Bürgertums im späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts für „Events“ und Festivals nicht genutzt und vermarktet wurde. Das wäre heute anders, denn Geschichte ist eine zentrale Ressource der „Bereicherungsökonomie“, weit profitabler als die üblichen Marketinglegenden einfacher Massengüter (vgl. etwa Mate oder Kolaprodukte). Die Geschichtswissenschaft steht all dem kritisch und aufklärend entgegen – wenn sie denn Wissenschaft ist und nicht gängige Lohnschreiberei.

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Jo-Jo und die „großen“ Themen (Nebelspalter 58, 1932, Nr. 45, 6)

Die Jo-Jo-Mode 1932 verdeutlicht zweitens die Engführung der gängigen Geschichte auf die vermeintlich großen Themen, während die Nöte und Freuden des Alltags teils ausgeblendet, teils nicht mit der großen Geschichte verbunden werden. Das Jahr 1932 steht hierzulande für die Weltwirtschaftskrise, für Massenarbeitslosigkeit und massive Not, für Präsidialdiktatur und Bürgerkrieg, für den Aufstieg des Nationalsozialismus und die Selbstaufgabe der Republik. Die Jo-Jo-Manie zeigt jedoch andere, für die Mehrzahl sehr wichtige Aspekte dieser Zeit. Niemand wird die Bedeutung der großen Geschichte in Abrede stellen, doch eine einseitig darauf fixierte Geschichtserzählung und Geschichtsdidaktik werden zwingend eng bleiben, wichtiges ausgrenzen, werden Menschen „nicht mitnehmen“.

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Charakteristika der Zeit (Nebelspalter 59, 1933, Nr. 1, 6)

Die Geschichte des Jo-Jos im Jahre 1932 verdeutlicht drittens schließlich die Multiperspektivität der Historie und den Eigensinn vieler Zeitgenossen. Die destruktive Kraft des Nationalismus und des Nationalsozialismus waren ein Zeittrend, einer der nicht abbrach wie der des Jo-Jos. Doch der aus heutiger Sicht vermeintlich zwingende Weg hin zum „Dritten Reich“ erschien 1932 keineswegs notwendig: „Ob sich Herr Hitler auch so viel / Gedanken macht bei diesem Spiel? / Die Laufbahn dieses Dingsda mahnt / auch an die seine ganz frappant“ (Yo-Yo, Der Morgen-Wiener Montagsblatt 1932, Ausg. v. 10. Oktober, 16). Die Zeitgenossen verbanden ihre Alltagsrealität mit dem Auf und Ab des Jo-Jos, hofften auf Verbesserung. Das bedeutete nicht zwingend einen Schwenk zu Adolf Hitler (1889-1945) und der NSDAP, zumal die Machtzulassung Anfang 1933 nicht nur aus dem Drängen der NS-Bewegung und ihrer Granden resultierte, sondern vornehmlich dem Kalkül einer kleinen nationalkonservativen und antidemokratischen Kamarilla. Ein wenig Jo-Jo hätte vielleicht helfen können, so die Idee einzelner: „Herr Hitler braucht ja so wie so von Zeit zu Zeit ein Nervenberuhigungsmittel. Zwischen all diesem Schreien und Stöhnen, diesem Versprechen und Nichthalten, diesem Hängen und Köpfen immer mal ein bißchen Yo-Yo“ (Pott, 1932, 3). So schrieb es Pieter Pott, dessen journalistische Karriere wohl 1933 mit einem letzten Gedicht im sozialdemokratischen „Lübecker Volksboten“ endete (Nr. 69 v. 7. April, 3). Hitler spielte kein Jo-Jo.

Uwe Spiekermann, 13. August 2020

Ein Gedanke zu „1932 – Das Jahr des Jo-Jos

  1. Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Artikel, welcher der großen und schweren Weltgeschichte in Europa 1932 ein überraschend verspieltes Detail zur Seite stellt, gleichzeitig mit manchen Mythen aufräumt, die bis heute mündlich und schriftlich in der Yo-Yo Szene tradiert werden und Quellen offenlegt, die mir völlig neu waren.

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