Anzeigenappell: Inseratenwerbung in der NS-Presse 1935

„Wie kecke doch und schlichte / Sich drängen Zeil‘ an Zeil‘; / Es liegt Kulturgeschichte / In dem Annoncentheil!“ (Das Inserat, Lustige Blätter 14, 1899, Nr. 27, 4) Dieser Vers fiel mir ein, als ich bei einer abendlichen Durchsicht der Neuen Westfälischen Zeitung eine Anzeige entdeckte, die ich gleich dem Graphiker Emmerich Huber (1903-1979) zuordnen konnte, einem führenden NS-Humoristen, der anpassungswillig später auch Kriegspropaganda und antisemitische Hetze betrieb.

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Ein Fundstück abendlicher Recherche (Westfälische Neueste Nachrichten 1935, Nr. 7 v. 9. Januar, 8)

„Braucht man am Nordpol Badehosen?“ Tja… Was steht hinter einem solchen Fundstück vom Januar 1935? Man lacht, gewiss, denn Pinguine gab es dort nicht. Doch es geht offenkundig um Werbung für die Werbung, um das Inserieren in Tageszeitungen. Die im Rechteck genannte Zahl verweist auf eine größere Kampagne. Ich habe weiter recherchiert, die Einzelquelle zeithistorisch eingebettet, sie „kontextualisiert“. Heraus kam eine seismographische Bohrung in die frühe, von der Forschung weniger beachtete Zeit des NS-Regimes. Sie führt uns zurück in die Dauerkrise der NS-Wirtschaft, abseits der außenpolitischen „Erfolge“, der innenpolitischen Stabilisierungsmaßnahmen, abseits der mehrheitlich gebilligten, mit Gewalt und Gewaltandrohung begleiteten Maßnahmen gegen staatlich definierte Minderheiten. Sie führt uns in den Alltagsbereich der Presse, der Tageszeitungen, die durch die Nachklänge der Weltwirtschaftskrise, Zeitungsverbote, durch Übernahmen und wirtschaftlichen Druck in eine neue, dienende und erklärende Rolle für das Regime gedrängt wurden. Die Kontextualisierung muss Zeitungen als Wirtschaftsunternehmen ernst nehmen, die sich nicht zuletzt aus Einnahmen aus Inseraten finanzierten. Sie wird Mittlerinstitutionen benennen, die im Sinne des NS-Staates die Werbung beeinflussten und lenkten. Und sie gibt auch einen Blick frei auf die Wandlung eines Graphikers hin zum Dienst für ein Regime, das öffentlich Moral hochhielt und beschwor, das zugleich von täglicher Korruption und Heuchelei geprägt war. All das steckt in diesem Fundstück über Badehosen am Nordpol. Lesen Sie weiter, wenn Sie dies interessiert.

Zerschlagung und Neuordnung: Presse und NS-Regime 1933/34

Wie war die Lage der Presse zu Beginn der NS-Zeit? Das NS-Regime erscheint uns heute kaum in Form gedruckter Texte, sondern vor allem bildmächtig, in Wochenschauschnipseln, Massenkundgebungen, den Inszenierungen der NS-Granden und zahllosen Kinofilmen. Propaganda ist darin allgegenwärtig, mag dieser Begriff auch schwer zu fassen, noch schwerer analytisch zu nutzen sein (Daniel Mühlenfeld, Was heißt und zu welchem Ende studiert man NS-Propaganda?, Archiv für Sozialgeschichte 49, 2009, 527-559). Daneben hören wir in gängigen Dokumentationen schnarrende Stimmen, die Reden der Spitzenpolitiker, die Fanfaren des Wehrmachtsberichts, Marschmusik und Wunschkonzert. Doch der Rundfunk wurde erst langsam Allgemeingut. Obwohl das Billigradio des „Volksempfängers“ ab August 1933 angeboten wurde, kann man doch erst ab 1937 von Massenverbreitung sprechen. Nicht die Presse, sondern die audiovisuellen Medien prägen den heutigen Blick auf die NS-Zeit. In der Frühphase der Diktatur aber dominierten Tageszeitungen (und auch Zeitschriften) die Alltagsberichterstattung, das Wissen der Mehrzahl (Karl-Christian Führer, Die Tageszeitung als wichtigstes Massenmedium der nationalsozialistischen Gesellschaft, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55, 2007, 411-434; Rudolf Stöber, Presse im Nationalsozialismus, in: Bernd Heidenreich und Sönke Neitzel (Hg.), Medien im Nationalsozialismus, Paderborn et al. 2010, 275-294).

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Presse als Meinungsmacht, als Grundlage des Weltwissens (Das Magazin 9, 1932/33, Nr. 98, 58)

Bei der Presse aber scheint das Erbe der Weimarer Republik überwältigend; und schon sind da Erinnerungsfetzen an die kulturelle Blüte der Zwischenkriegszeit. Folgt man dem Handbuch der deutschen Presse, gab es 1932 4.703 Zeitungen, darunter 980 Nebenausgaben (Konrad Dussel, Die Nazifizierung der deutschen Presse. Eine Fallstudie am Beispiel der Presse Badens 1932 bis 1944, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 161, 2013, 427-456, hier 428). Die Auflagenhöhe ist schwer zu bestimmen, schwankte je nach Einbezug der Nebenausgaben zwischen 26 und ca. 19 Millionen. Das ist viel im Vergleich zu heute – im ersten Quartal 2024 wurden 10,4 Mio. Tageszeitungen verkauft – zugleich aber deutlich weniger als 1983, als 30,1 Mio. verkaufte Exemplare einen Höhepunkt in der Verkaufsgeschichte der deutschen Tagespresse markierten (Andreas Vogel, Talfahrt der Tagespresse: Eine Ursachensuche […], Bonn 2014, 19). Die Weltwirtschaftskrise führte Anfang der 1930er Jahre zum Abschmelzen der Zahlen, während die neuen Medien Radio und Kino (mit ersten Tonfilm-Wochenschauen ab 1930) absolut und relativ an Bedeutung gewannen.

Auch wenn die Vielgestaltigkeit, Informationsdichte und Periodizität der Tagespresse der frühen 1930er Jahre selbst die des späten Kaiserreichs übertraf, waren die ökonomischen Probleme jedoch beträchtlich. Die große Mehrzahl der Tageszeitungen hatte eine nur geringe Auflage. 1935 gab es lediglich zwölf Tageszeitungen mit eine Verkaufsauflage von mehr als 100.000 Exemplaren, über 30.000 lagen nicht einmal hundert Titel (Otto Suhr, Der deutsche Anzeigenmarkt, Werben und Verkaufen 20, 1936, 244). Die Tageszeitung war allgemein etabliert, doch das deutsche Zeitungswesen war dezentral organisiert – auch wenn die Großstädte von der Zahl der Zeitungstitel herausragten. Die große Mehrzahl der Zeitungen erschien in Klein- und Mittelstädten. Der Inhalt dieser Zeitschriften war abhängig von Nachrichtenagenturen und Materndiensten. Grundlage der wirtschaftlichen Existenz waren einerseits die während der Weltwirtschaftskrise sinkenden Abonnements, kaum aber der sichtbare Straßen- oder Kioskhandel. Daneben traten anderseits die Anzeigen: „Die große Presse lebt heute durchweg nicht von den Einnahmen der Verkaufskosten, die gerade die Herstellungs- und Vertriebskosten decken, sondern vom Inserat. Der Inseratenteil ist das Barometer für ihre wirtschaftliche Gesundheit. Es ist zugleich die Stelle, an der sie empfindlich getroffen werden kann“ (Eugen Hadamovsky, Propaganda und nationale Macht. Die Organisation der öffentlichen Meinung für die nationale Politik, Oldenburg 1933, 116). Dieser Markt war seit dem Kaiserreich fest in der Hand von Annoncen-Expeditionen, also Agenturen, die im Auftrage ihrer Kunden Anzeigen schalteten, vielfach auch gestalteten, dafür aber gewisse Gebühren und Rabatte verlangten. Lange dominierte die 1867 gegründete Berliner Firma Rudolf Mosse den Anzeigenmarkt, doch seit 1920 trat mit der ALA ein weiterer Großbetrieb hinzu. Es handelte sich um eine Gründung der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie, die zum Kernstück des konservativ-nationalen Hugenberg-Konzerns werden sollte, gewolltes Gegengewicht zum liberal eingestellten Mosse-Konzern. Anzeigen- und Zeitungsmacht gingen dabei Hand in Hand. Während der Weltwirtschaftskrise gerieten die Annoncenexpeditionen allerdings unter massiven wirtschaftlichen Druck. Der Umsatz der Ala sank von 1929 bis 1932 auf fast die Hälfte. Mosse verschleppte die Insolvenz, die offiziell erst am 12. Juli 1933 erklärt wurde (Ulrich Döge, Max Winkler. Ein treuer Diener vieler Herrn, Hamburg 2022, insb. FN 1420). Zuvor war das Unternehmen im April 1933 an die neu gegründete Rudolf Mosse GmbH zwangsübertragen worden (Claudia Marwede-Dengg, Die Enteignung der Familie Lachmann-Mosse (MARI (mari-portal.de)). Im Mai 1934 wurde die seither den Markt klar dominierende ALA im Rahmen der Zerschlagung des Hugenberg-Konzerns vom nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlag übernommen. Damit gewannen NSDAP und Staat einen weiteren wirtschaftlichen Hebel zur Kontrolle der Presse.

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Zeitungsverbote als Mittel der Stabilisierung während der Präsidialkabinette 1931/32 (Vorwärts 1932, Nr. 409-415 v. 3. September, 1 (l.); Kladderadatsch 84, 1931, Nr. 22, s.p.)

Zuvor hatte der Maßnahmenstaat Fakten geschaffen. Im Februar und März 1933 wurde die linke Presse verboten, im Gefolge auch liberale und einzelne zentrumsnahe Zeitungen – wobei dies anfangs durchaus in der Tradition zeitlich begrenzter Zeitungsverbote durch die Präsidialkabinette stand. Die zuvor nicht wirklich bedeutende NSDAP-Presse wurde nun massiv ausgebaut. Wichtiger war jedoch die Selbstgleichschaltung der meisten Tageszeitungen, vielfach willig, immer aber auch mit Gewalt resp. Gewaltdrohung. Dazu diente auch das brutale Vorgehen gegen linke, demokratische und jüdische Journalisten, die das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 gleichsam legalisierte. Redakteure mussten rassischen und politischen Kriterien genügen, als Mitglieder der im November 1933 gegründeten Reichspressekonferenz dem nationalsozialistischen Staat gegenüber loyal agieren. Tägliche Presseanweisungen folgten. Parallel nahm der wirtschaftliche Druck auf die bestehenden Zeitschriften zu. „Arisierungen“ erfolgten, doch auch „bürgerliche“ Zeitschriften wurden zunehmend von NS-Verlagen, insbesondere dem Franz-Eher-Verlag übernommen. Politische Kontrolle und wirtschaftliche Übernahmen verwoben sich.

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Zeitungsverbote im Gefolge der Notverordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat v. 28. Februar 1933 (Der Kuckuck 5, 1933, Nr. 10, 1)

Die Zahl der Zeitungen nahm weiter ab, die gesamte Druckauflage sank. Die Verbote trafen vornehmlich sozialdemokratische und kommunistische Leser, denn diese verweigerten sich anderen Angeboten der gleichgeschalteten Presse (Karl Christian Führer, Umbruch und Kontinuität auf dem Hamburger Zeitungsmarkt nach 1933, Repositorium Medienkulturforschung 2013, H. 2, 16). Ansonsten aber herrschte 1933 eher Kontinuität durch Selbstgleichschaltung. Das aber betraf nicht nur Verleger und Journalisten, „sondern auch die Käufer der Tageszeitungen[, die] das Ende der freien Presse im Jahr 1933 schweigend und ohne erkennbare Reaktion hinnahmen“ (Ebd.). Neben der wachsenden Einflussnahme von NS-Staat und NSDAP verstärkte sich zugleich die während der Weltwirtschaftskrise nur ansatzweise intensivierte wirtschaftliche Rationalisierung der Presse (Konrad Dussel, Die Nazifizierung der württembergischen Tagespresse, Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 78, 2019, 295-325, insb. 324-325). Dazu gehörte auch der Aufbau einer verbesserten Statistik über das Pressewesen. Die ökonomische Bedeutung der Anzeigenwerbung war zwar offenkundig, doch im Gegensatz zur USA gab es keine entwickelte Statistik der Anzeigen (Benno Ludwig Manns, Der wirtschaftliche Wert der Reklame, Badische Wirtschaftszeitung 9, 1929, 25-30; Otto Friebel, Werbungstreibende und Anzeigenstatistik, Werben und Verkaufen 19, 1935, 129-131; Alfons Brugger und Carl Schneider, Der deutsche Anzeigenmarkt, Leipzig 1936, 126-153). Man hoffte, dass der durch die „nationale Regierung“ versprochene Wirtschaftsaufschwung nun die Lage der Verlage verbessern würde, denn damals wurde prozyklisch geworben, wurde also kaum Werbung zur Bekämpfung von Umsatzrückgängen geschaltet. Die Auflagenzahlen des Jahres 1934 waren jedoch ernüchternd. Die Gleichschaltung der Tageszeitungen erodierte langsam deren ökonomische Substanz: Betrug die Druckauflage im ersten Quartal 1934 noch 16.360.349 Exemplare, so sank sie in den drei Folgequartalen über 15.958.993 und 15.742.635 auf lediglich 15.549.220 Exemplare (Die Gesamtauflage der deutschen Zeitungen, Zeitungs-Verlag 41, 1940, 374-376, hier 374). Dies schlug auch auf die an die Auflagen gekoppelten Anzeigenerlöse durch. Lustige Anzeigen über Badehosen am Nordpol waren Teil eines Maßnahmenpaketes, um diesen Schwund zu wenden.

Eigenwerbung: Eine zunehmend relevante Tradition

Mein Zufallsfund warb Anfang 1935 für vermehrte Werbung – doch dies war damals keineswegs neu. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es analoge Bemühungen, allerdings in einem Markt mit wachsenden Druckauflagen, vor dem Hintergrund immer neuer vielfach kleiner Zeitungen.

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Zeitungsreklame als Aufgabe des Geschäftsmannes vor dem Ersten Weltkrieg (Paderborner Anzeiger 1913, Nr. 117 v. 23. Mai, 4)

Derartige Eigenwerbung erfolgte jedoch eher sporadisch, wurde auch genutzt, um Lücken auf den eigenen Seiten zu schließen. Auch in den 1920er Jahren fand sie sich regelmäßig, doch von einem systematischen Einsatz, von einer wissenschaftlich reflektierten Anwendung kann nicht die Rede sein. Das gilt trotz des Wachstums der Werbewirtschaft allgemein, der Absatzorientierung im Speziellen. Für Inserate warben vorrangig die auflagenstärkeren Zeitungen gezielt in Fachzeitschriften einzelner Branchen, auch in der wachsenden Zahl der Werbezeitschriften. Doch dies erfolgte wohl eher durch die Anzeigen-Expeditionen, kaum durch die Zeitungen selbst (E[dmund] Lysinski, Die Organisation der Reklame, Berlin 1924). Deren Eigenwerbung hatte zudem noch keine klare Form gefunden. Sie bestand meist aus einfachen Appellen an die potenzielle Kundschaft, die zumeist an allgemein gehaltene (Vor-)Urteile über die Chancen der Werbung anknüpften: „Inserieren! / Das ist der Punkt, / Um den sich alles dreht, / Ob es im Leben schlecht, / Ob gut es geht. / Am Ende ist es nur die Tat, / Die dem Geschäftsmann / Bringt das Resultat, / Nichts anderes kann / Zu einem Wohlstand führen, / Als immer wieder: / Inserieren! Inserieren!“ (Die Zeitungsanzeige – ein wirksames Reklamemittel, Der Volksfreund 1927, Nr. 134 v. 11. Juni, Sdrbeil., 4). Erst Ende der 1920er Jahre führte die wachsende Verwissenschaftlichung der Absatzlehre und des Marketings zu neuartigen Formen. Auf Basis des gängigen Handbuchwissens der Zeit extrahierten einzelne Zeitungen beispielsweise Anzeigenserien, sog. Reihenwerbung, in denen sie Händler und Gewerbetreibende auf moderne Absatzorientierung – und damit auch eine systematische Anzeigenwerbung – verwiesen. Die folgenden textlastigen Anzeigen entstammen etwa einer 19-teiligen Serie der Zentrumszeitung Westdeutsche Landeszeitung, die im Oktober 1933 ihr Erscheinen einstellte.

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Den Werbetreibenden über die Werbung aufklären: Eine Anzeigenreihe 1930 (Westdeutsche Landeszeitung 1930, Nr. 286 v. 18. Oktober, 13 (l.); ebd., Nr. 304 v. 6. November, 12)

Derartige Eigenwerbung spiegelte den zunehmend reflektierteren Einsatz der Werbemittel, der durch den Bedeutungsgewinn leistungsfähiger Werbeagenturen und einer wachsenden Zahl von Werbeabteilungen zugleich professionalisiert wurde. Für kleinere Firmen gab es eine wachsende Zahl von Ratgebern, in denen die organisatorischen und insbesondere betrieblichen Aufgaben umrissen und gewichtet wurden. Werbung war unverzichtbar, stand zugleich aber erst am Ende einer langen Kette innerbetrieblicher Maßnahmen (Viktor Vogt, Taschenbuch der Geschäftstechnik, 2 Bde., 2. Aufl., Stuttgart 1926; ders., Absatzprobleme. Das Handbuch der Verkaufsleitung für Erzeuger, Groß- und Einzelhändler, 2 Bde., Stuttgart und Wien 1929). Zeitungsinserate befanden sich im Wettbewerb mit anderen Werbemitteln, mit den vielfältigen Formen der Direktwerbung, der Zugaben und der Außenwerbung.

Zeitungsinserate besaßen Ende der 1920er Jahre allseits akzeptierte Vorteile, vorrangig die dichte Streuung in klar umgrenzten Gebieten und die dadurch mögliche Anpassung an die lokalen und regionalen Besonderheiten. Das häufige Erscheinen erlaubte Intensität, einen Eindruck von Neuigkeit und Dynamik. Zeitungsinserate waren billiger als Zeitschrifteninserate, zudem erfolgten sie in enger Kooperation zwischen Hersteller und Einzelhändler, erlaubten also parallele Werbung für Produkte und Produktgruppen. Doch es gab auch Nachteile: Das Zeitungspapier war qualitativ schlechter als das gängiger Zeitschriften, Beilagen federten dies nur ansatzweise ab. Inserate hatten keine Langzeitwirkung, wurden Zeitungen doch nicht aufbewahrt oder wiedergelesen. Markenartikler und Werbeagenturen waren vielfach nicht in der Lage, sich mit den Besonderheiten der lokalen und regionalen Märkte zu befassen; das relative Scheitern der „amerikanischen“ Werbung seit Ende der 1920er Jahre war dafür beredtes Beispiel. Zeitungsanzeigen standen zudem nicht allein, insbesondere bei Großformaten verschwand die Einzelanzeige angesichts der Menge der Anzeigen. Obwohl die Partei- und die konfessionelle Presse noch relativ homogene Milieus ansprachen, war außerdem eine genaue Zielgruppenansprache nicht möglich, da der Leserkreis einer Lokalzeitung recht heterogen war (Vogt, 1929, 570-572). Die Relation von Reklamepreis und Reklamewert blieb auch theoretisch unklar, da Werbeeffekte vielfach kaum zugerechnet werden konnten (Joh. Schupp, Reklamepreis und Reklamewert, Seidels Reklame 14, 1930, 414-415).

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Anzeigennot während der der Weltwirtschaftskrise (Der Führer 1932, Nr. 326 v. 16. Dezember, 8)

Während der Weltwirtschaftskrise nahm die Eigenwerbung angesichts der „Anzeigennot“ tendenziell zu. Sie stand damit gegen den prozyklischen Trend der Konsumgüteranbieter, die durch ihre wachsende Zurückhaltung die Krise tendenziell verstärkten: „Im Laufe der schlimmsten Krisenzeiten hat er [der Einzelhändler, US] sich aber vielfach unter dem Gesetz radikalster Ersparung selbst produktiver Unkosten das Zeitungswerben ‚abgewöhnt‘, und ist noch nicht genügend wieder darauf zurückgekommen“ (Das Schaufenster allein tut’s nicht!, Sauerländisches Volksblatt 1935, Nr. 17 v. 21. Januar, 3).

Prozyklisch wirkte sich auch die zunehmende Werbeabstinenz der Annoncen-Expeditionen selbst aus. Sie erfüllten zwar weiterhin ihre üblichen Aufgaben, also die möglichst kostengünstige und wirksame Platzierung, zudem die Gestaltung der Anzeigen (vgl. zum Profil Zeitungs-Katalog der Annoncen-Expedition Rudolf Mosse, 46. Aufl., Berlin 1913, VII-VIII). Angesichts ihrer wachsenden ökonomischen Probleme versuchten sie aber nicht, den Werbemarkt insgesamt zu vergrößern, sondern konzentrierten sich auf den unmittelbaren Wettbewerb mit Konkurrenten. Preisunterbietungen, Kundenabwerbungen und Einschüchterungsversuche konnten die Probleme allgemein massiv schrumpfender Werbeausgaben jedoch nicht regeln (Dirk Reinhardt, Von der Reklame zum Marketing, Berlin 1993, 114-115).

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Gezielte Werbung für die Werbung – durch Annoncenexpeditionen (Ulk 61, 1932, Nr. 14, 2)

Die bestehenden ökonomischen Probleme der Tageszeitungen wurden nach der Machtzulassung der Koalition von NSDAP und Konservativen trotz eines begrenzten Wirtschaftsaufschwungs 1933/34 kaum geringer. Das lag nicht allein am politischen und wirtschaftlichen Druck und den Folgen der (Selbst-)Gleichschaltung. Das war auch Folge dirigistischer, vermeintlich mittelstandsfreundlicher Eingriffe in die Wirtschaft. Errichtungsverbote bei Warenhäusern, Einheitspreisgeschäften und Konsumgenossenschaften minderten das Anzeigengeschäft, ebenso die währungspolitisch gebotenen Produktionsbeschränkungen in Handel und Gewerbe. Angesichts von Devisenzwangswirtschaft und Importrestriktionen wurde zahlreiche Rohstoffe knapp, so dass die Werbung für daraus gefertigte Produkte entfiel. Viele Anbieter und Händler beobachteten propagandistisch gefeierte staatliche Interventionen mit gebotener Skepsis, etwa die Regulierung des Radio- und Automobilsektors oder aber der Zwang zum Einsatz heimischer Ersatzstoffe, etwa in der Margarine oder dem Brot. Auch die staatlich propagierte Gemeinschaftswerbung zu Weihnachten, für Elektrogeräte oder heimische Agrarprodukte minderte den Wettbewerb, bewirkte Werbezurückhaltung (Heinrich Hunke, Ein Jahr Werberat der deutschen Wirtschaft. Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben des Werberates der deutschen Wirtschaft, Die Deutsche Volkswirtschaft 4, 1935, 56-60, hier 59).

Gleichwohl hatte die Zeitungsannonce weiterhin eine dominante Stellung in der deutschen Werbewirtschaft. 1934 machte sie 55% des gesamten Werbemarktes aus, während Anzeigen in Zeitschriften auf 28% und Plakate auf 6% kamen. Auch bei der Markenartikelwerbung dominierte die Anzeige mit einem Anteil von 55%, während die Außenreklame hier beträchtliche 25% erreichte (Die Zeitungsanzeige steht an der Spitze, Neusser Zeitung 1935, Nr. 13 v. 13. Januar, 2). Für die Zeitungsverleger war dies eine noch kommode Ausgangslage – trotz der durchaus erörterten „Uniformierung der Presse in politischer Hinsicht“ (Verband der Werbungtreibenden „werbefreudig“, Frankfurter Zeitung 1934, Nr. 616 v. 4. Dezember, 7). Der Anzeigenappell im Januar 1935 sollte die Dinge zum Guten wenden.

Der Reichsverband der Anzeigenmittler

Die Serie, von der die Anzeige für Badehosen am Nordpol ein Teil war, war jedoch auch Teil der für das NS-Regime (und alle modernen Gesellschaften) charakteristischen institutionellen Konkurrenz. Die viel beschworene Neuordnung der deutschen Werbewirtschaft, die die NS-Regierung mit dem Gesetz über die Wirtschaftswerbung vom 12. September 1933 auch in rechtlich-bürokratische Formen gegossen hatte, gab den Rahmen vor. Am 27. Oktober 1933 wurde der Werberat der deutschen Wirtschaft gegründet, eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes mit starkem Einfluss der Wirtschaft. Er ordnete das Anzeigenwesens neu, beendete die „Mißstände“ einer Marktgesellschaft. Verleger und Werbewirtschaft hatten seit den späten 1920er Jahren immer wieder staatliche Regulierung gefordert: Das Anzeigengeschäft sollte transparent und berechenbar werden, die Aufgaben der Annoncenexpeditionen klar umrissen sein. In seiner 3. Bekanntmachung lieferte der Werberat, normierte die Anzeigenbreiten, etablierte verbindliche Allgemeine Geschäftsbedingungen, regulierte Rabatte und verpflichtete die Periodika zu Auflagentransparenz, regelmäßigen Meldungen, persönlicher Haftung und einer Werbeabgabe (Der Werberat ordnet das Anzeigenwesen, Badische Presse 1933, Nr. 547 v. 23. November, 8). All das hatte seinen Preis: Einerseits wurden die nun Anzeigenmittler genannten früheren Annoncen-Expeditionen als Berufsgruppe in die Nationalsozialistische Reichsfachschaft Deutscher Werbefachleute zwangsintegriert, mussten sich also an der politischen und rassistischen Elle des Regimes messen lassen (Uwe Westphal, Werbung im Dritten Reich, Berlin-West 1989, 57). Anderseits stellte der Werberat die gesamte Werbung unter Aufsicht und in den direkten Dienst für den NS-Staat: „Der Werberat soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein Erziehungsinstrument sein, das das deutsche Volk mit den Zielen der deutschen Wirtschaftspolitik bekannt macht, und ein Werbeinstrument, das die deutsche Volkswirtschaft auf propagandistischem Wege zu einer richtigen Gestaltung der Erzeugung veranlaßt, durch Hinweis auf die Notwendigkeit, sich bei Befriedigung der Bedürfnisse in erster Linie deutscher Erzeugnisse zu bedienen, zur Abdrosselung des überflüssigen Imports anhält und andererseits jede Möglichkeit benutzt, den Absatz deutscher Waren und deutscher Leistungen im Auslande zu fördern“ (Hunke, 1935, 56). Werbung war damit nicht mehr länger ein Mittel im wirtschaftlichen Wettbewerb, sondern diente immer auch völkischen und staatlichen Zielsetzungen. Der NS-Staat folgte mit der verstärkten Regulierung der Werbung durchaus Anregungen anderer Länder, insbesondere den britischen „Marketing Boards“ (David M. Higgins und Brian D. Varian, Britain’s Empire Marketing Board and the failure of soft trade policy, 1926-33, European Review of Economic History 25, 2021, 780-805). Doch er band diese zugleich an spezifisch nationalsozialistische Imperative, 1934 nicht zuletzt an die vielbeschworene „Arbeitsschlacht“, an „Nahrungsfreiheit“ und militärische „Gleichberechtigung“ – kurzum an die Mobilisierung der deutschen Volkswirtschaft und Gesellschaft für Krisenbewältigung, Machtgewinn und Aufrüstung. Werbung sollte die Verbraucher im Sinne des Regimes beeinflussen, den Verbrauch lenken. Der bedingte Freiraum des Konsums wurde verengt, galt als tägliches Plebiszit über die Vorgaben des Regimes.

Der Begriff „Annoncen-Expedition“ wurde nun zur Seite geräumt, da er an die „liberale“ Wettbewerbsgesellschaft erinnerte. Die NS-Sprachpflege ersetzte ihn seit dem Sommer 1934 durch „Anzeigenmittler“. Werbedienstleister hatten sich im neu gegründeten „Reichsverband der Anzeigenmittel“ einzureihen (Werbetreibende, Anzeigenvermittler und Verleger, Der Landbote 1934, Nr. 196 v, 23. August, 3). Verordnete Sprache ist Ausdruck autoritärer Regime: „Die Annoncen-Expedition heißen künftig ‚Anzeigenmittler‘“ (NS-Kurier 1933, Nr. 398 v. 23. Dezember, 4). All das wirkte nicht recht, im Mai 1935 folgte der nächste Begriff, denn nach der offiziellen Zulassung auch der Anzeigenmittler für Außenwerbung wurde der Reichsverband der Anzeigenmittler im Mai 1935 zum „Reichsverband der deutschen Werbungsmittler“ zusammengeschlossen (Dresdner Nachrichten 1935, Nr. 218 v. 10. Mai, 11).

Solche Verbände vermittelten aber nicht nur zwischen Staat und Wirtschaft. Sie traten auch zeigefreudig an die Öffentlichkeit. Am 20. November kündigte Heinrich Hunke (1902-2000), stellvertretender Vorsitzender des Werberates, öffentlich eine neue Gemeinschaftswerbung an, „die vom Reichsverband der deutschen Anzeigenmittler vorgeschlagen worden ist und die den Zweck hat, alle Kreise der Wirtschaft über den Wert und die Notwenigkeit guter Werbung aufzuklären“ (Tagung der Anzeigenmittler, Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 1934, 1052). Dieser Anzeigenappell galt nachträglich als eine der wichtigen PR-Leistungen des nur kurz bestehenden Reichsverbandes (Günter Schäfer, Die Werbungsvermittler, Köln 1938, 16). Die Badehosen am Nordpol rücken näher.

Emmerich Hubers Weg zum NS-Humoristen

Gezeichnet wurde die Kampagne vom schon erwähnten Graphiker Emmerich Huber, dessen Biographie in den letzten Jahren immer konturenreicher herausgearbeitet wurde (Eckart Sackmann, Emmerich Huber, Deutsche Comicforschung 1, 2005, 56-71; ders., Emmerich Huber – zum Zweiten, Deutsche Comicforschung 6, 2010, 87-92, in der Zeitschrift folgten weitere kleinere Ergänzungen). Insbesondere der Doyen der hiesigen Comicforschung, Eckart Sackmann, hat sich an ihm abgearbeitet, seine Rolle während der NS-Zeit mit wachsender Quellenkenntnis immer kritischer bewertet (Eckart Sackmann, Per aspera ad astra… 20 Jahre Deutsche Comicforschung, in: Ders. (Hg.), Deutsche Comicforschung. Register der Bände 2005-2024, Leipzig 2023, 3-5, hier 4). Ich kann nur empfehlen dort nachzulesen, denn die „Deutsche Comicforschung“ ist ein Muster für wissenschaftliche Entdeckerfreude nach dem viel beschworenen und fast schon wieder vergessenen „visual turn“. In einem Meer zumeist lieblos zusammengebundener und meist hochsubventionierter Fachzeitschriften ragt diese Zeitschrift turmhoch heraus.

Emerich Alexander Julius Karl Huber wurde am 24. September 1903 in Wien geboren, wuchs jedoch seit 1905 in Berlin auf. Volks- und Mittelschule schlossen sich an, Handwerksausbildungen scheiterten. Es folgten erste Ausflüge in die Kunst unter dem kritischen Realisten und Sozialdemokraten Hans Baluschek (1870-1935), dann die Ausbildung zum Gebrauchsgraphiker unter Joe Loe (d.i. Josef Loewenstein (1883-?)), einem der damals führenden Werbespezialisten, bekannt durch seine Arbeit für Salamander, Beiersdorf und Jasmatzi, Mitte der 1920er Jahre vor allem für Fachinger und Kahlbaum. 1924 bis 1926 schloss sich eine erste Anstellung bei Rudolf Mosse an, dann ein kurzer Arbeitsaufenthalt in Dresden, seither freiberufliche Arbeit in Berlin (Lebenslauf v. 17. August 1945, Bundesarchiv Lichterfelde, DR 1, Ministerium für Kultur, Nr. 91452). Emmerich Huber – so der Künstlername mit dem doppelten „M“ – heiratete am 5. September 1930 die Buchhalterin Hildegard Johanna Petero (Landesarchiv Berlin, Heiratsregister 1874-1936, 1930, Nr. 495). Das Ehepaar wohnte in Wilmersdorf, zuerst in der von Huber 1928 bezogenen Wohnung in der Prinzregentenstraße 25, von 1932 bis 1935 in der nahegelegenen Hindenburgstraße 86a, seither in der Prinzregentenstraße 86 (Berliner Adreßbuch 1938, Bd. 3, T. IV, 1468; ebd. 1932, Bd. 1, T. 1, 1349; ebd. 1936, Bd. 1, T. 1, 1084). Die Ehe blieb kinderlos.

Huber wurde in den 1920er Jahren bekannt als Zeichner von Kindergeschichten, kleinen Comics in der Kundenzeitschrift Blauband-Woche, für die er neue Figuren schuf: „Das Neueste von Onkel Jup“ und „Hans und Lottchen“ waren nicht nur bei Kindern beliebt (Eckart Sackmann und Thomas Plock, Frisch gekirnt – »Blauband-Woche« und »Fermetsa-Kurier«, Deutsche Comic-Forschung 19, 2023, 20-37; einschlägige Digitalisate finden Sie unter Archive.org). Parallel arbeitete er schon früh als Werbegraphiker. Man findet Hubers Zeichnungen in so herausragenden Zeitschriften wie „Sport im Bild“, vor allem aber 1931/32 in der Karikaturzeitschrift „Ulk“, einer auch gesondert verkauften Beilage des linksliberalen Berliner Tageblattes, des überschuldeten Herzstücks des Mosse-Konzerns. Parallel zeichnete er auch Werbegraphiken für die Rudolf Mosse-Druckerei (Der Welt-Spiegel 1931, Nr. 20 v. 17. Mai, 8; ebd., Nr. 21 v. 24. Mai, 8).

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Emmerich Hubers Abbild des Wahnwitzes der Präsidialdiktatur (Ulk 60, 1931, Nr. 53, 2)

Huber war kein politischer Karikaturist wie der Ulk-Zeichner Rudolf Herrmann, dessen Karikaturen die Republik zur Zeit der Präsidialdiktatur gegen die „Reaktion“ und die NSDAP verteidigten. Huber war Humorist, seine Beiträge spiegelten die Erfahrungen der zurückgehenden Zahl der Leser, ließen vereinzelt auch Kritik an den Hakenkreuzlern erkennen. Seine Ulk-Zeichnungen waren meist Comics mit acht bis zehn Abbildungen nebst Sprechblasen, kaum Einzelkarikaturen, zudem Wimmelbilder, die ab Mitte der 1930er Jahre für ihn als NS-Humoristen typisch werden sollten. Der Ulk gewann durch solche Beiträge, bot eine gelungene Balance zwischen Unterhaltung und republikanischer Agitation. Parallel setzte Huber seine Arbeit für Kinder fort, illustrierte eine Reihe von Kinder- und Jugendbüchern, war Allzweckwaffe der kleinen Schmunzelei, des innehaltenden Lächelns (H[ermann] K[arl] Frenzel, Emmerich Huber. Ein lustiger Zeichner, Gebrauchsgraphik 9, 1932, Nr. 4, 4-11).

Die „nationale Revolution“ 1933 war für den österreichischen Staatsbürger Huber offenbar kein wirklicher Bruch. Seine Arbeit, sein Leben standen im Vordergrund – und er dürfte kaum Rilke zitiert haben: „Ich sehe den Bäumen die Stürme an, / die aus lau gewordenen Tagen / an meine ängstlichen Fenster schlagen, / und höre die Fernen Dinge sagen, / die ich nicht ohne Freund ertragen, / nicht ohne Schwester lieben kann“ (Rainer Maria Rilke, Der Schauende, in: ders., Gesammelte Werke. Die Gedichte, Köln 2020, 361-362, hier 362). Huber hat seinen Opportunismus nach 1945 nur beschwichtigt, nicht verleugnet. Doch es bleibt eine offene Frage, wie jemand, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft (Prinzregentenstraße 69/70) eine für 2.300 Gläubige eingerichtete Synagoge während der Novemberpogrome 1938 niedergebrannt wurde, sich auch zu einem antisemitischen Hetzzeichner entwickeln konnte (vgl. etwa Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 108, 1941, 1145; Österreichischer Beobachter 6, 1941, 2. Märznr., 24).

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Gut versus Böse, Optimisten versus Pessimist (Optimist sein, mein Herr! Ein fröhliches Bilderbuch für Große, Zeichnungen von Emmerich Huber, Verse von Hermann Schneider, Berlin s.a., 47)

Emmerich Huber empfahl sich weniger durch seine Jugendbücher oder die Werbezeichnungen für die Serie der Anzeigenmittler, sondern durch ein gemeinsam mit Hermann Schneider verfasstes, im Dezember 1933 veröffentlichtes Buch mit dem Titel „Optimist sein, mein Herr!“ (Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 100, 1933, Nr. 286 v. 9. Dezember, 6092-6108). Dieses scheinbar unpolitische Buch wurde im Sommer 1934 vielfach angezeigt und positiv besprochen: „In diesem Bilderbuch, welches für Erwachsene bestimmt, zieht Herm. [sic!] Huber gegen die ewigen Pessimisten ins Feld“ (Siegblätter 1934, Nr. 217 v. 19. September, 7). Am Ende des lustigen Bandes wurde der Pessimist wahrlich ins „Pökularium“ geführt, erstickt oder verbrüht, die Welt von ihm befreit: „Die Welt ist schön, das Leben herrlich! Nur Sie sind ganz und gar entbehrlich! Und wenn Sie’s anders sehen, Mann, dann sind sie selber schuld daran – Sie und kein anderer! Marsch, hinaus!! Silentium! Schluß! Ex! Finis! Aus!“ (Optimist, s.a., 54). Damit standen Schneider und Huber in einer Reihe mit dem im Mai 1934 einsetzenden Feldzug gegen „Miesmacher und Kritikaster, Gerüchtemacher und Nichtskönner, Saboteure und Hetzer“, für die vermeintliche Alternativlosigkeit der NS-Politik („Gegen Miesmacher und Kritikaster“. Der Feldzug gegen die Miesmacher, Hamburger Fremdenblatt Nr. 130A v. 12. Mai, 1-2, auch für die folgenden beiden Zitate).

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Emmerich Huber vor Ausgaben seines Optimismus-Buches (Deutsche Fotothek, df_e-0050274, https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70223162)

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (1897-1945) wollte damit die abschwellende Dynamik der „nationalen Revolution“ wieder anfachen, zugleich aber die Deutschen angesichts der offenkundigen ökonomischen Probleme auf ihre Pflicht verweisen, „diese Krise überwinden zu helfen.“ Schließlich sei Deutschland derweil wieder „das Land des Lächelns geworden“. Dieser Feldzug ging einher mit strikt antisemitischen und antiklerikalen Drohungen, forderte von allen eine positive Einreihung: Sag mir, wo du stehst. Reichsinnenminister Wilhelm Frick (1877-1946) machte dies unumwunden klar: „Es gibt auch bei uns Leute, die niemals zufrieden zu stellen sind, weil sie nicht bereit sind, positiv mitzuarbeiten. Aber diese Schädlinge werden wir ausmerzen“ (Reichsminister Dr. Frick im Kampf gegen Kritikaster und Nörgler, Jeversches Wochenblatt 1934, Nr. 124 v. 31. Mai, 1). Die Röhm-Morde mit weit über hundert Toten sollten einen Monat später folgen. Es hieß, Optimismus sei Teil des nationalsozialistischen Aufbauwerks, der dadurch mögliche gestalterische Willen werde bestehende Schwierigkeiten überwinden. Oder, in den Worten des politischen Herrn über die deutsche Presse: „Kein Deutscher darf heute mäkeln und kleinliche Kritik üben, es ist nicht die Zeit für kleinliche, persönliche Wünsche, es geht jetzt um das Ganze, um das Reich“ (Auf zum Kampf!, Mittelbadischer Kurier 1934, Nr. 120 v. 26. Mai, 6). Emmerich Huber hatte den Pessimisten zuvor der Ausmerze anheimgegeben, die jovialen krisenwendenden Optimisten gepriesen. Damit arbeitete er dem Regime entgegen: „Wir dürfen uns nicht kleinkriegen lassen von all den mehr oder weniger harmlosen Anfechtungen des Alltags. Wir müssen immun werden gegen den Bazillus der Schwarzseherei“ (Walfried Mayer, Ein Fünklein Schalk im Auge…, Edeka Deutsche Handels-Rundschau 27, 1934, 211).

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Alltagsgeschäft Werbung – Emmerich Hubers Zeichnung für das Berliner Residenz-Casino (Velberter Zeitung 1935, Nr. 15 v. 16. Januar, 8)

Das Optimismus-Buch war Hubers Eintrittsbillett in die Arbeit für Staat und Partei. Er war zuvor Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste geworden, hatte seine rassische Herkunft, politische Loyalität und seine künstlerische Tätigkeit nachgewiesen (Bescheinigung d. Reichskammer der bildenden Künste v. 12. Mai 1936, Landesarchiv Berlin A Rep. 243-04, Nr. 3709). Er war 1934 immer noch vorrangig Gebrauchsgraphiker. Erst 1937 übertrafen seine Einkünfte aus Pressezeichnungen die der Werbeaufträge. 1934 lagen die Anteile bei 37%, 1935 bei 31%, sanken 1936 gar auf lediglich 26% (Schreiben v. Emmerich Huber an d. Reichskammer der bildenden Künste v. 25. Oktober 1937, Landesarchiv Berlin A Rep. 243-04, Nr. 3709). Seither aber wurde er zum breit beworbenen Zeichner mehrerer führender Massenzeitschriften der NSDAP – und erzielte weit überdurchschnittliche Einkünfte (Erklärung zur Beitragsfestsetzung der Reichskammer der bildenden Künste f. d. Rechnungsjahr 1937 v. 19. März 1937, Ebd.). Im Berliner Adressbuch erschien er seit 1936 als Pressezeichner, nicht mehr als Graphiker (Berliner Adreßbuch 1936, Bd. 1, T. 1, 1084; ebd. 1935, Bd. 1, T. 1, 1055). Hubers Serie für den Reichsverband der Anzeigenmittler mochte über Badehosen am Nordpol witzeln. Doch durch sie gewann er das Vertrauen führender nationalsozialistischer Kreise.

Die Kampagne: Motive und Zielsetzungen

Damit sind wir am Jahreswechsel 1934/35 angekommen. Entgegen der gängigen Vorstellung eines durch die Regierung Hitler initiierten schnellen Wirtschaftsaufschwungs, dessen Widerhall sich vor allem in der überraschend schnellen Reduktion der Arbeitslosenzahlen zeigte, blieb die wirtschaftliche Lage 1933/1934 prekär. Im Sommer 1934 stand das Deutsche Reich gar „am Rande einer wirtschaftlichen Katastrophe“ (Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Berlin 2006, 95). Devisenmangel führte zu Rohstoffmangel, dieser betraf vor allem die Konsumgüterbranchen. Der Wirtschaftsaufschwung geriet ins Stocken, politische Imperative förderten vor allem die Schwer- und Investitionsgüterindustrie. Die für Zeitungsannoncen zentralen Branchen Textil und Bekleidung, Nahrungsmittel, Kosmetika und Drogerieartikel stagnierten, die öffentlichen Kampagnen gegen vermeintliche Miesmacher, Kritikaster und Spießer hielten im Sommer 1934 dagegen, konnten aber die allgemeine Kritik nur im Zaum halten, nicht wirklich brechen.

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Versprechungen 1933 – Ernüchterung 1934 (Der Nebelspalter 59, 1933, Nr. 11, 1)

Der Anzeigenappell begann in den meisten Tageszeitungen am Mittwoch, den 2. Januar 1935, spätestens aber am Freitag, dem 4. Januar. Er währte einen Monat, endete während des am 28. Januar 1935 einsetzenden Inventurverkaufs, zumeist am 30. Januar 1935 (etwa Verbo 1935, Nr. 26 v. 30. Januar, 12; Duisburger General-Anzeiger, Nr. 30 v. 30. Januar, 5). Auch andere Medien trommelten: Am 2. Januar 1935 strahlte der Rundfunk reichsweit einen Vortrag des Juristen und alten Kämpfers Hans Culemann (1901-1944) über „Das neue Gesicht der Zeitungsanzeige“ aus (Gladbach-Rheydter Tageblatt 1935, Nr. 1 v. 2. Januar, 12; vgl. Matthias Rücker, Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus […], Frankfurt a.M. 2001, 361). Vor Ort gab es Ausstellungen, etwa eine Werbeschau der Reichsfachschaft deutscher Werbefachleute in Bonn über neuzeitliche Werbung (Mittelrheinische Landes-Zeitung 1935, Nr. 2 v. 3. Januar, 3).

Gleichwohl gab es – typisch für die meisten NS-Kampagnen – Friktionen. Eine erste Anzeige findet sich schon am Heiligabend 1934 (Westfälischer Kurier 1934, Nr. 297 v. 24. Dezember, 4), in wenigen anderen Zeitungen setzte die Kampagne bereits Ende Dezember ein (Langenberger Zeitung 1934, Nr. 302 v. 28. Dezember, 5). Andere Zeitschriften begannen die Kampagne teils beträchtlich später (Bremer Zeitung 1935, Nr. 10 v. 10. Januar, 4; Bergische Landes-Zeitung 1935, Nr. 12 v. 15. Januar, 10; Lenneper Kreisblatt, Nr. 15 v. 18. Januar, 4). Und entgegen der Vorstellung einer effizient funktionierenden Diktatur beendeten andere Zeitschriften den Abdruck der Serie schon mal früher (Annener Zeitung 1935, Nr. 17 v. 21. Januar, 4; Ottendorfer Zeitung 1935, Nr. 11 v. 25. Januar, 4; Echo der Gegenwart 1935, Nr. 22 v. 26. Januar, 8). Dafür findet man einzelne Motive noch Anfang Februar (etwa Rheinisch-Bergische Zeitung 1935, Nr. 31 v. 6. Februar, 10; Bürener Zeitung 1935, Nr. 31 v. 6. Februar, 4), die letzten Anzeigen erschienen in der zweiten Februarwoche (Welt am Sonnabend 1935, Nr. 6 v. 9. Februar, 16; Haaner Zeitung 1935, Nr. 36 v. 12. Februar, 7).

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Motiv 1: Einleitung (Verbo 1935, Nr. 3 v. 4. Januar, 6)

Der Anzeigenappell bestand in den Tageszeitungen aus acht Anzeigen, die allesamt ähnlich aufgebaut waren. Am Kopf stand jeweils ein in Sütterlin gedruckter Einzeiler. Er war appellativ gehalten, enthielt durchweg Satzzeichen, meist Frage- und Ausrufungszeichen, teils Auslassungspunkte. Es folgte die eigentliche Aussage der Anzeige, durchweg in lateinischer Schrift, noch nicht aber in der 1941 gängigen Deutschen Normalschrift. Sie war üblicherweise elf Zeilen lang, konnte aber auch bis zu dreizehn Zeilen umfassen. Am unteren Rand enthielt die Anzeige dann einen zumeist zweizeiligen in Sütterlin-Schrift gehaltenen Abschluss, meist die Quintessenz des Gesagten. Den eigentlichen Hingucker bildete jedoch die stets rechts eingefügte Zeichnung Emmerich Hubers. Sie besaß durchweg Sprechblasen, deren Inhalte auf den Anzeigentext Bezug nahmen, ihm damit eine humoristische Note verliehen. Huber präsentierte Durchschnittsmenschen, durchweg Männer, Leute im gesetzten Alter, Menschen wie Du und Ich. Nur in vier Fällen finden sich weitere Geschöpfe, am Nordpol die dort fehlplatzierten Pinguine, ein Singvogel, eine Maus und der für Huber unverzichtbare Zwergschnauzer. An der linken unteren Ecke prangte ein Dreieck mit der Abkürzung RAM, dem Signet des Reichsverbandes der Anzeigenmittler. An der rechten unteren Ecke wurde die Anzeige mit einem Rechteck abgeschlossen, der die Nummer des Motivs enthielt und mit einem befehlshaften „Aufheben!“ die Wertigkeit der Anzeige unterstreichen sollte. Die Anzeigen besaßen eine in sich geschlossene Erscheinung, stachen aus den sonstigen Inseraten klar hervor. Mitreißend und innovativ waren sie nicht, wohl aber gefälliger Durchschnitt.

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Motiv 2: Die negativen Folgen fehlender Werbung (Velberter Zeitung 1935, Nr. 7 v. 8. Januar, 8)

Während das erste Motiv Spannung erzeugte und „Wichtiges“ ankündigte, thematisierte die zweite Anzeige die Macht der Anzeigenwerbung: Sie setze „die Armee der Kunden in Marsch“, lasse „den Schornstein rauchen“. Sie müsse gepflegt werden, andernfalls drohe der ins Bild gesetzte Räumungsverkauf. Wie schon im Feldzug gegen die Pessimisten, Miesmacher und Kritikaster wurde wirtschaftliches Scheitern individualisiert, dem Fehlverhalten des Einzelnen zugerechnet. Wer breiter dachte und die Möglichkeiten annahm, die der nationalsozialistische Volksstaat bot, der würde jedoch nicht scheitern, wäre aufgehoben in einem Netzwerk des Gebens und Nehmens.

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Motiv 3: Der Preis der Werbung (Bremer Zeitung 1935, Nr. 17 v. 17. Januar, 4)

Das dritte Motiv thematisierte die während der Weltwirtschaftskrise so wirksame Vorstellung, dass Werbung teuer sei, tendenziell ein kostspieliger und überflüssiger Luxus. Dies aber, so die Anzeigenmittler, sei allein bei falsch und unreflektiert geschalteter Werbung gegeben. Sie sei jedoch eine ernste Angelegenheit, erfordere Selbstreflektion und Kompetenz. Wie der einzelne Volksgenosse erst zu sich kommen müsse, um völkische Verbundenheit zu erfahren, um sich als Teil eines gemeinsamen Aufbauwerkes zu verstehen, so müsse man auch als Geschäftsmann seine Rolle im Wirtschaftsgeschehen verstehen. Dann aber würde man einsehen, dass Inserate ein unverzichtbares und wirksames Hilfsmittel für den eigenen Erfolg im Rahmen einer prosperierenden Gemeinschaft seien.

Der Inhalt dieser Anzeige machte schon deutlich, dass die Serie einer inneren Logik, einer nachvollziehbaren Argumentation folgte. Die korrekte Reihung war für den Erfolg also wichtig, ebenso das Ausschneiden, Aufheben und nachträgliche Bedenken der einzelnen Anzeigen. Und die meisten Zeitschriften veröffentlichten die Serie in der vorgesehenen Reihenfolge. Das in Dortmund-Hörde erscheinende „Volksblatt“ begann dagegen mit dem letzten Motiv, druckte das erste Motiv gar als Abschluss (Volksblatt 1935, Nr. 1 v. 2. Januar, 4; ebd., Nr. 22 v. 26. Januar, 12). Andere Zeitungen begannen mit späteren Motiven, gingen dann zum gewünschten Reihenabdruck über (Velberter Zeitung 1935, Nr. 3 v. 4. Januar, 8). Weitere wiederum unterbrachen die vorgegebene Abfolge. Dies waren Ausnahmen, zumeist folgte der Abdruck willig den Vorgaben.

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Motiv 4: Werbehilfe durch die Anzeigenmittler (Ottendorfer Zeitung 1935, Nr. 5 v. 11. Januar, 4)

Das vierte Motiv griff die Abwägung des vorherigen Inserates wieder auf. Gegen die Skepsis vor Ort setzte sie nun aber die professionelle Unterstützung: Siehe, Du bist nicht allein, denn wir, der Reichsverband der Anzeigenmittler, haben eine Broschüre mit allen wichtigen Informationen zusammengestellt. Sie weise nicht nur „den rechten Weg“, sondern sei auch „vollkommen kostenlos“ erhältlich. Das Motiv präsentierte den neuen Staat und seine Institutionen als sorgende und zugleich besorgte Instanz: Der Einzelne sei im neuen Volksstaat nicht allein, sondern könne sich auf die Hilfe der Gemeinschaft verlassen. Darin liege allerdings auch eine Pflicht. Wer nicht auf den fahrenden Zug springe, sei selbst schuld, vergehe sich gegenüber sich selbst und der hilfswilligen Gemeinschaft.

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Motiv 5: Unterstützung durch die Werbefachleute (Kölnische Zeitung 1935, Nr. 27 v. 15. Januar, 4)

Dieses Motiv der Hilfe und Unterstützung – die wirtschaftlichen Effekte wurden völlig ausgeblendet – wurde in der fünften Anzeige geweitet. Neben die Anzeigenmittler traten nun auch die Werbefachleute selbst. Mit deren Hilfe könnten auch größere Unternehmen passgenau werben; und diese Profis hätten Spezialisierungsvorteile, entwickelten erfolgsversprechende Ideen. Sie seien nicht nur auf ein einzelnes Unternehmen begrenzt, sondern vermöchten durch ihre breiteren Kenntnisse von Markt und Verbraucherseele Wege zu weisen, die dem Einzelnen erst einmal fremd seien. Dieser Rat sei nicht kostenlos, gewiss. Doch er werde sich rechnen, für Firma und Volk.

Halten wir angesichts derartiger Beschwörung von Hilfsinstanzen kurz inne. Die Kampagne wurde durch den Reichsverband der Anzeigenmittler initiiert, doch im Rahmen des Werberates umgesetzt. Der Abdruck der vom Reichsverband gelieferten Werbeklischees erfolgte kostenlos, war zugleich aber Dienstleistung für andere Werbetreibende. Das unterstrich ein Gemeinschaftshandeln der Fachleute, bot ein Vorbild für den Umgang auch der Geschäftsleute untereinander. Allerdings spiegelten die Anzeigen nicht immer die Federführung der Anzeigenmittler: Das Dreieck in der linken Ecke war zumeist Bestandteil der Anzeige, mindestens ein Achtel der von mir herangezogenen Vorlagen druckte dieses jedoch nicht mit ab (etwa Wittener Tageblatt 1935, Nr. 2 v. 5. Januar, 2; Bergische Landes-Zeitung 1935, Nr. 18 v. 22. Januar, 1; Hamburger Fremdenblatt 1935, Nr. 25 v. 25. Januar, 8). Die am rechten unteren Rand verzeichnete Motivnummer fehlte ebenfalls ab und an, allerdings seltener als das Dreieck des RAM (Oberbergischer Bote 1935, Nr. 17 v. 21. Januar, 12).

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Motiv 6: Die wirksame Anzeige (Jeversches Wochenblatt 1935, Nr. 18 v. 22. Januar, 4)

Das sechste Motiv fächerte das Gemeinschaftsgebot für die Inseratenwerbung weiter aus, nun wurden auch die Zeitungsverlage erwähnt. Bei den Fachleuten herrschte scheinbar Eintracht und Hilfsbereitschaft – und die Anzeige machte dem Werbetreibenden Mut, dass auch sein Beitrag erfolgreich sein könne. Der Einzelne war eingewoben und trotzdem speziell – so wie die Anzeige in der Zeitung.

Auch hier noch eine Ergänzung: Die Motive wurden zumeist in regelmäßigen drei- bis viertägigen Intervallen geschaltet. Ausnahmen bestätigten die Regel, etwa die parteiamtliche NSDAP-Zeitung „Bremer Zeitung“, die mit dem Abdruck spät begann, dann die Motive 2 bis 7 innerhalb von acht Tagen veröffentlichte, ehe nach drei weiteren Tagen die Serie ihren recht frühen Abschluss fand. Zu beachten ist auch, dass die Motive hier gleichsam rein präsentiert werden: Die große Mehrzahl erschien in der Tat ungerahmt, doch es gab auch solche mit Ober- und Unterstrichen (Karlsruher Tagblatt 1935, Nr. 21 v. 21. Januar, 8), Seitenbalken (Bremer Zeitung 1935, Nr. 23. v 23. Januar, 4) oder Komplettrahmen (N.S. Volksblatt für Westfalen 1935, Nr. 15 v. 18. Januar, 8). Die Normierung der Anzeigen durch den Werberat schuf eine gewisse Normierung im Anzeigenteil, nicht aber vollständige Uniformierung.

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Motiv 7: Badehosen am Nordpol oder Zielgruppenfindung (Badische Presse 1935, Nr. 19 v. 23. Januar, 16)

Damit kommen wir schließlich zum siebenten Motiv, dem Fundstück, das diese Tiefenbohrung in Gang setzte. Ja, Werbung für Badehosen war am Nordpol offenkundig unangemessen. Werbung benötige eine innere Begrenzung, bedürfe klarer Zielgruppen, müsse sich auf die Medien konzentrieren, mit denen diese angesprochen werden könnten. Auch hierfür gab es Hilfe, denn die Anzeigenmittler kannten nicht nur den Markt, sondern auch die Medien und ihre Publika. Der Anzeigenappell ging dem Ende entgegen, die federführende Organisation hob ihre Kompetenz nochmals gebührend hervor.

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Motiv 8: Die Partner nachhaltiger Wirtschaftswerbung (Hakenkreuzbanner 1935, Nr. 27 v. 27. Januar, 12)

Das achte und letzte Zeitungsmotiv fasste den kleinen Serienkurs nochmals zusammen: Es griff die Skepsis gegenüber der Werbung auf – die man wohlweislich nicht „Reklame“ nannte, denn dieser Begriff war Teil der überwundenen ungezügelten „liberalen“ Marktwirtschaft. Zugleich aber plädierten die Macher für einen Vertrauensvorschuss gegenüber der neuen Ära der Werbung, gegenüber den staatlich zugelassenen Fachleuten und dem NS-Staat als Ordnungsmacht. Sie lenkten die Aufmerksamkeit neuerlich auf das kostenlose Vertiefungsmaterial der Anzeigenmittler. Der Werbetreibende hatte durch die Serie nicht nur Anregungen erhalten, sondern auch Kontaktadressen. Zwischen Erfolg und Misserfolg stand nurmehr der Einzelne, der durch die Serie gewappnet wurde, um die Kraft der Werbung auch für sich wirken zu lassen. Anzeigenwerbung wurde nicht befohlen, doch ein um das Volkswohl und das eigene Fortkommen bemühter Geschäftsmann würde den neuzeitlichen Gesetzen wirtschaftlicher Kommunikation folgen. Wer sich anders entschied, würde die Konsequenzen seines Zauderns und Fehlens selbst tragen müssen.

Der Anzeigenappell des Reichsverbandes der Anzeigenmittler richtete sich vorrangig an Zeitungen, darin erschien er reichsweit und fast flächendeckend. Daneben gab es zwei weitere Motive für Zeitschriften. Es ist unklar, ob sie in gleichen Umfang erscheinen sollten. Sie boten jedenfalls eine konzise Zusammenfassung der Zeitungskampagne, präsentierten die Anzeige als „Heilmittel“ gegen die wirtschaftliche Krise, gegen die Stagnation des eigenen Geschäftes. Und sie verwiesen deutlicher auf die kostenlose Broschüre „Anzeigen helfen verkaufen“. In den Zeitschriften im Januar und Februar 1935 aber finden sie sich nur selten (Mitteilungen an die Mitglieder der Hahnemania 1934, 4; Neue Bienen-Zeitung 34, 1935, 32; Westermanns Monatshefte 1935, 96; Illustrirte Zeitung 184, 1935, 90). Zeitschriftenanzeigen folgten einer anderen Werbelogik, ihre teils wöchentliche, vielfach aber auch nur monatliche Erscheinungsweise erlaubte nicht die intensive Verdichtung einer Kampagne. Emmerich Huber illustrierte auch diese Anzeigen, doch die Zeichnungen traten gegenüber dem Text deutlich zurück. Der Anzeigenappell erfolgte vorrangig in Zeitungen, zudem in der auch andernorts angebotenen Broschüre.

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Zwei Motive für Zeitschriften – nicht mehr (Marienbote 18, 1935, Nr. 2, 16 (l.); Jugend 35, 1935, 61)

Flankenschutz und Vertiefung: Die Broschüre „Anzeigen helfen verkaufen“

Nimmt man die Broschüre zur Hand, so fühlt man sich an den Lateinunterricht erinnert: Repetitio delectat. Sie wiederholte im Wesentlichen die Kernargumente der Anzeigen, vertiefte sie ein wenig, war aber mehr Beschwörung als ein Für und Wider der Anzeigenwerbung. Eine klare Gliederung fehlte, die Broschüre erscheint als Nacheinander von Textbausteinen. Am Anfang stand ein Überblick verschiedener Werbemittel, der sich aber rasch als Lob der Anzeige entpuppte (3-6). Sie galt als Königsweg zum deutschen Verbraucher, stand daher zurecht im Mittelpunkt des Werbegeschehens (6-7). Ein längerer praktischer Teil folgte, in dem die Inserate nach verschiedenen Zielsetzungen unterschieden, der mögliche Aufbau dargeboten wurde. All das war präsentistisch, diente dem Einschwören auf Standardlösungen, auf die erforderliche Hilfe durch Fachleute (7-14). Es ging dabei nicht um unmittelbare ideologische Einbindung, denn diese war durch die Auswahl der Fachleute und den wirtschaftspolitischen Rahmen ohnehin gegeben. Der Ton war sachlich, argumentativ, nannte und kannte allerdings kaum Alternativen. Bemerkenswert war die immer wieder aufscheinende ökonomische Engführung: „Die Umsatzsteigerung ist der einzige Wertmesser des Werbeerfolgs.“ (13) Nur Fachleute könnten derartigen Werbeerfolg „garantieren“ – allerdings nicht ohne Risiko. Wichtig sei der Wille zur Werbung – ansonsten aber hieß es „loswerben!“

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Die offizielle Broschüre des Reichsverbands der Anzeigenvermittler (Anzeigen, 1935, I; ebd., 1)

Ausführungen zum Werberat und seinem bisherigen Wirken schlossen sich an (15-17), gefolgt von der Beschreibung der Aufgaben und ständischen Position der Helfer, der „Fachleute“, der Werbeberater, der Anzeigenmittler und der Verlagsvertreter (18-20). Es folgten Adressenlisten einerseits der regional ansprechbaren Werbegestalter (21-24), dann auch der zugelassenen Anzeigenmittler (25-29). Die Broschüre endete mit den zehn Motiven des Anzeigenappells. Zuvor dominierte der Text, auch wenn einzelne Zeichnungen Emmerich Hubers diesen auflockerten und Lücken füllten.

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Anzeigen als Brücke zwischen Konsumenten und Werbetreibenden (Anzeigen, 1935, 24 (l.); ebd., 2)

Trotz der hohen Intensität der Anzeigen, trotz ihrer zeitweilig großen Alltagspräsenz ist unklar, wie viele Exemplare der Broschüre gedruckt, wie viele nachgefragt wurden. Die Zahl heutiger Antiquaritätsangebote ist überschaubar, der Preis von 9 bis 15€ höher als der gängiger Massenbroschüren; das ist nicht unbedingt ein Ausdruck späterer Millionenauflagen, etwa im Umfeld der Kampf-dem-Verderb-Kampagnen oder aber der Anleitungen zum richtigen Heizen. Die Broschüre war schwarz-weiß gehalten, erschien auf gängigem Druckpapier, keinem Tiefdruck. Die Konsumenten wurden zwar immer wieder indirekt beschworen – man war schließlich deren Sachwalter –, doch wie in der Anzeigenserie selbst waren sie nicht präsent. Die Broschüre stammte von einer nationalsozialistischen Körperschaft, vermied aber eine zu offenkundig ideologische Einbettung, die dröhnende NS-Propaganda. Es galt schließlich Zurückhaltung aufzubrechen, einvernehmlich für die eigene Sache zu werben.

Die Kampagne nährt die Massenkampagne: Eigenwerbung der Zeitungen

Der Anzeigenappell wurde reichsweit durchgeführt, war Bestandteil der meisten Zeitungen, nicht aller. Er präsentierte den Reichsverband deutscher Anzeigenmittler einer breiteren Öffentlichkeit, wandte sich dabei vorrangig an Werbetreibende, weniger an die Konsumenten. Als solcher scheint er nicht sonderlich bedeutsam gewesen zu sein: Zehn Anzeigen, ein Monat intensives Trommeln für die Inseratenwerbung – welchen Effekt soll das gehabt haben? Solche Engführungen unterschätzen jedoch die Folgen einschlägiger Kampagnen. NS-Kampagnen waren materialisierte Vorgaben, deren Ausgestaltung von den Volksgenossen – hier den Zeitungsverlegern und Inserenten – selbst unternommen werden sollte. Dahinter stand die Idee eines von einzelnen Institutionen verkörperten Volkswillens, der in Gang gesetzt werden musste, dann aber eigenmächtig wirkte. Dies war Teil deutschen Selbstbewusstseins, deutschen Idealismus: Theodor Körners (1791-1813) nachgelassene Zeile „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ war Anfang des 19. Jahrhunderts Ausdruck des freiheitlichen Aufbegehrens gegen die französische Fremdherrschaft (Männer und Buben, in: Theodor Körners Gedichte, Bd. 1, Stuttgart 1818, 199-201, hier 201). In der Goebbelsschen Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 wurde sie umformuliert und als Mobilisierungsappell genutzt. Appelle gaben vor, das Handeln sollte, ja musste folgen. Dieser simple Mechanismus war eine der wichtigsten Grundlagen der destruktiven Dynamik des NS-Regimes.

Anzeigen waren damals eben nicht Ausdruck einer kommerziellen Mittel-Zweck-Relation, sondern Ausdruck völkischer Verbundenheit: „Es ist so mühelos Deiner Zeitung zu nützen. Berufe Dich bei allen Einkäufen auf die Anzeigen in Deiner Zeitung (Neusser Zeitung 1935, Nr. 2 v. 2. Januar, 8). Die Begleitappelle zielten auf die Nähe zur Heimatzeitung, mit „unserer“ Zeitung, mit dem großen, wohligen „Wir“. Das war ein Geben und Nehmen: „Der Anzeigenteil einer Zeitung ist der beste Berater. Tausende treffen ihre Wahl nach den Zeitungsanzeigen. Das weiß der fortschrittliche Geschäftsmann deshalb inseriert er!“ (Buersche Zeitung 1935, Nr. 1 v. 2. Januar, 8) Der Anzeigenappell gründete auf etwas Überpersönlichem, etwas Gemeinschaftsbildendem. Er setzte auf die Volksgemeinschaft, war Ausfluss der willig geglaubten NS-Parole „Gemeinnutz vor Eigennutz“. Allerdings war die Grenzziehung schwierig, da parallel immer auch Artikel aus den USA über die Erfolge kommerzieller Selbstwerbung veröffentlicht wurden, da Amerika immer auch als Land gewürdigt wurde, das den Wert der Zeitungsanzeige umfassend verstanden habe („Ich bin faul, unzuverlässig, unehrlich“, Werner Zeitung 1935, Nr. 2 v. 2. Januar, 8; Dortmunder Zeitung 1935, Nr. 15 v. 10. Januar, 6). Entsprechende rein ökonomisierte Formulierungen gab es: „An die Kundschaft heran durch Zeitungsanzeigen, die unter allen Werbearten den 1. Rang einnehmen“ (Neusser Zeitung 1935, Nr. 3 v. 3. Januar, 10; ebd., Nr. 27 v. 27. Januar, 5). Doch die Anzeigen und die Broschüre des Reichsverbandes der Anzeigenmittler wollten Anfang 1935 Werbung und Zeitungen durchaus völkisch aufladen.

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Kleine Schläge ins Gehirn: Werbungswerbeanzeigen (Stadtzeiger für Castrop-Rauxel und Umgebung 1935, Nr. 32 v. 2. Februar, 10 (beide oben); Die Uhrmacherkunst 60, 1935, Nr. 35, Beil., 8 (Mitte, l.); Bergische Zeitung 1935, Nr. 24 v. 29. Januar, 12 (Mitte, r.); Weißeritz-Zeitung 1935, Nr. 19 v. 23. Januar, 4)

Im Januar 1935 waren die deutschen Zeitschriften daher voller Inserate für die Zeitungswerbung: Sie klangen stakkatohaft, schienen nicht still zu stellen: „Anzeigen helfen kaufen und verkaufen“, „Anzeigen helfen gegen Umsatzrückgänge“, „Anzeigen helfen aufbauen“, „Zeitungs-Anzeigen helfen richtig kaufen und verkaufen!“, „Kleine Anzeigen helfen auch Ihnen“, „Bewußt werben! Klug werben! Durch Zeitungsanzeigen werben!“ Sie wollen mehr? Kein Problem: „Die Bearbeitung Tausender von Interessenten und Käufern jeden Alters erreichen sie durch eine Zeitungsanzeige“, „Dauernde Werbung hebt das Geschäft! Wir machen es dem Geschäftsmann leicht, regelmäßig durch die Zeitungsanzeige zu werben“, „Die beste Reklame ist und bleibt die Zeitungsanzeige“, „Unerreicht an Wirksamkeit ist von allen Reklamemitteln die Zeitungsanzeige.“ Die Kleininserate für die eigene Sache, für das Wohlergehen der Zeitungen (und damit der Leser) erschienen in immer neuen Formulierungen: „Die Zeitungsanzeige ist ein Verkaufsgespräch!“, „Versuche es auf jeden Fall! Die Zeitungsanzeige hilft überall!“, „Erfolg, Umsatz, Gewinn – wo dies groß geschrieben wird, ist man auch von der Werbekraft der Zeitungs-Anzeige überzeugt“, „Vertrauen Sie der hohen Werbekraft der Zeitungsanzeige“. Es klang wie eine Schallplatte mit Sprung, war die Variation des Immergleichen.

Dieses Begleitrauschen war lauter und sinnesbetörender als die eigentliche Kampagne des Reichsverbandes der Anzeigenmittler. Es kumulierte im Inventurausverkauf, der am 28. Januar 1935 begann: „Versäumen Sie unter keinen Umständen die Gelegenheit, durch zugkräftige Anzeigen […] Ihr Geschäft während dieser Inventur-Verkauf-Tage günstig zu belegen. Wer nicht durch Zeitungs-Anzeigen sagt, was er zu verkaufen hat, wird beim Einkauf übersehen! Wer nicht inseriert, wird vergessen!!“ (Sauerländisches Volksblatt 1935, Nr. 20 v. 24. Januar, 7). Nun fand man ergänzende Worte, zumeist für den deutschen Kaufmann: „Die billigste und beste Werbung, die dem Kaufmann zur Verfügung steht, ist die Anzeigenwerbung. Durch die Zeitungsanzeige ist die Möglichkeit gegeben, an die Käufer in all ihren Schichten heranzukommen. Diese müssen über die Vorteile, die der Inventurverkauf bietet, aufgeklärt werden. Und diese Aufklärung geschieht einfach und billig durch die Zeitungsanzeige“ (Gelsenkirchener Zeitung 1935, Nr. 24 v. 25. Januar, 10). Zugleich aber erging der Appell an die Kundinnen: „Die Hausfrau tut gut, wenn sie nicht wahl- und planlos kaufen will, vorher genau die Zeitungsanzeigen zu verfolgen und sich eine Liste über die Dinge anzufertigen, zu deren Kauf sie sich entschlossen hat. Natürlich muß diese Liste im Einklang mit dem Geldbeutel stehen. Kaufen schafft Arbeit!“ (Inventurverkäufe, Wittener Tageblatt 1935, Nr. 23 v. 28. Januar, 3).

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Einer Dauerschleife abstrakten Nutzens (Velberter Zeitung 1934, Nr. 355 v. 29. Dezember, 8 (l.); ebd. 1935, Nr. 22 v. 23. Januar, 8)

Zeitungsinserate wurden als einfaches und zugleich modernes Hilfsmittel präsentiert: „Der Mensch von heute bedient sich bei jeder passenden Gelegenheit der Zeitungsanzeige“ (Duisburger General-Anzeiger 1935, Nr. 28 v. 28. Januar, 7). Die Anzeige wurde naturalisiert, metaphorisch mit der Nordorientierung des Kompasszeigers verglichen (Gevelsberger Zeitung 1935, Nr. 26 v. 31. Januar, 4). Selbstverständlich durfte die „Wissenschaft“ dabei nicht fehlen: Anzeigen präsentierten die Quintessenz einer Studie des Berliner Psychotechnikers und NSDAP-Mitglieds Walther Moede (1888-1953), aus der hervorgehen sollte, „daß das weitaus zugkräftigste und erfolgreichste Werbemittel die Zeitungsanzeige ist“ (Bergische Wacht 1935, Nr. 2 v. 4. Januar, 2). Daher sollten Geschäftsleute auch nicht allzu viel experimentieren, denn das koste nur Geld. Anzeigen waren wirksam und einfach, die Anzeigenmittler würden ihre Brückenfunktion preisgünstig erfüllen (Rheinisches Volksblatt 1935, Nr. 1 v. 5. Januar, 6). Derartige Eigenwerbung wurde zugleich auf die eigene Zeitung gelenkt, somit die Bande zwischen Inserenten, Leserschaft und Verlagen gestärkt. Das galt auch für die vielgestaltigen Kleinanzeigen, also die gleichsam private Welt der Diktatur.

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Anzeigenlenkung auf die eigene Zeitung (Duisburger General-Anzeiger 1935, Nr. 4 v. 4. Januar 1935, 15 (l.); Der Gemeinnützige 1935, Nr. 1 v. 2. Januar, 12 (Mitte, o.); Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung 1935, Nr. 2 v. 3. Januar, 10 (Mitte, u.); Bremer Zeitung 1935, Nr. 20 v. 20. Januar, 12)

Derart kleinteilig, pseudofreiheitlich blieb es allerdings nicht: Die Werbung für das Inserat machte den einzelnen als Schmied seines eigenen wirtschaftlichen Glückes verantwortlich. Nicht die auf die Mitarbeit des Einzelnen setzende staatliche Wirtschafts- und Währungspolitik war für Umsatzrückgänge oder fehlenden Erfolg verantwortlich, sondern die fehlende Werbeinitiative im Rahmen der ja weiterhin laufenden „Arbeitsschlacht“. Einerseits schien der Weg klar: „Man kann alles durch die Zeitungsanzeige verkaufen!“ (Gevelsberger Zeitung 1935, Nr. 2 v. 3. Januar, 5). In der seit Jahren andauernden Krise habe sich die Kluft zwischen Handel, Gewerbe und Verbrauchern vergrößert, doch nun, im laufenden Aufschwung, müsse man sie wieder verringern, mit frischem Mut die Anzeige als „sicherste Brücke von Produzenten zum Konsumenten“ nutzen (Bürener Zeitung 1935, Nr. 10 v. 12. Januar, 4). Anderseits sei der Einzelne dafür verantwortlich, die Reserven des Marktes für sich und die allgemeine Wohlfahrt zu nutzen: „Alles mobil machen! Ihre Reserven heranholen. Auch den säumigsten Käufer für Ihr Haus, für Ihre Waren interessieren!“ (Zeno-Zeitung 1935, Nr. 4 v. 5. Januar, 4) Erfolg erfordere einen Mentalitätswandel, hin zum Dienst am Kunden, hin zur stetigen Kundenwerbung mittels Annonce (Bochumer Anzeiger 19355, Nr. 6 v. 8. Januar, 11).

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Teil der Arbeitsschlacht: Werbung für Anzeigen in der Tageszeitung (Hildener Rundschau 1935, Nr. 3 v. 4. Januar, 10)

Die damalige Wirtschaftskrise wurde nur selten direkt benannt, stattdessen die Verantwortung des Einzelnen hervorgehoben. Werbung war Kernelement der Arbeitsschlacht des Handels, des Gewerbes. Und Marktbeobachtung der Beitrag des Verbrauchers.

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Sonderkampagnen vor Ort: Frau Schlauberger als fiktives Bremer Vorbild (Bremer Zeitung 1935, Nr. 25 v. 25. Januar, 4 (l.); ebd., Nr. 26 v. 26. Januar, 4)

Der Anzeigenappell der Reichsverbandes der Anzeigenmittler war somit Ausgangspunkt und Referenz einer wesentlich umfangreicheren Selbstmobilisierung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft. Er wurde flankiert vom üblichen Storytelling, etwa über die Geschichte der Kleinanzeige (Kuriositäten aus der „Zeitungskiste“, Gütersloher Zeitung 1935, Nr. 3 v. 4. Januar, 5). Vor Ort wurden eigene Werbefiguren ersonnen, die kaufenden und verkaufenden Stände gleichsam an die Hand genommen, auf ihre wechselseitigen Verpflichtungen füreinander verwiesen. „Kleinigkeiten – auf die es ankommt…“ hieß eine Serie in der Gevelsberger Zeitung. Das war die vom NS-Regime gewünschte Eigeninitiative. Sie ging einher mit üblichen Kaskadeneffekten. Auch die Werbung für Werbemittel wurde intensiviert: „Gedrucktes Wort ist Werbekraft, das ständig neue Arbeit schafft!“ (Velberter Zeitung 1935, Nr. 4 v. 5. Januar, 8)

Begrenzter Erfolg und weitere Werbung

Insgesamt steigerte die Werbewirtschaft seit 1934 ihre Umsätze deutlich. Die Ausgaben für Inserate stiegen von 258 Mio. RM 1934 über 276,1 1935 und 305,9 1936 auf 336,1 Mio. RM 1937 (Westphal, 1989, 60). Auch die Annoncen-Expeditionen fassten wieder Tritt, konnten ihren Anteil am Werbekuchen allerdings nicht wirklich ausbauen: Nach Angaben des Werberates stiegen ihre Umsätze von 47,3 Mio. RM (1934) über 64,1 (1935), 73,2 (1936) und 78,9 (1937) bis auf 93,5 RM (1938) (Reinhardt, 1993, 117). Dies war gewiss nicht auf den Anzeigenappell zurückzuführen, denn das damals viel diskutierte nationalsozialistische „Wirtschaftswunder“ schlug letztlich auch auf die Konsumgütermärkte durch. Doch er war Teil einer nicht nur propagandistischen Kraftanstrengung, die psychologisch wirkte.

Die Auflagenverluste der Tageszeitungen setzten sich bis 1937 moderat fort. Danach nahm sowohl die Druck- als auch die Verkaufsauflage der deutschen Zeitungen aufgrund der Okkupation Österreichs, des Sudetenlandes und der sog. Resttschechei zu (Gesamtauflage, 1940, 374-376), während die Relation Auflage und Bevölkerung weiter sank. Die Zeitungsverleger initiierten 1936/37 resp. 1939 (in Österreich) dagegen die von Albert Schaefer-Ast (1890-1951) gezeichnete Herr Hase-Kampagne, konnten damit aber keinen durchschlagenen Erfolg erzielen. Generell nahm die Bedeutung der Tageszeitungen weiter ab: Die NSDAP übernahm immer mehr Blätter, während die Zahl der Zeitungstitel insbesondere 1935/36 nochmals deutlich abnahm. Innerhalb der deutschen Presse wurde der Kampf gegen den inneren Feind, gegen vermeintliche Kritikaster in weiteren Kampagnen verstetigt. 1939/40 galt das für „Herr und Frau Spießer“ von dem auch in der Nachkriegszeit sehr erfolgreichen Gerhard Brinkmann (1913-1990), 1941/42 dann für die Kampagne „Herr Bramsig und Frau Knöterich“, zu der mehrere Graphiker beitrugen.

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Vorgaben für ein geordnetes Anzeigenwesen während der NS-Zeit (Westfälische Landeszeitung 1935, Nr. 15 v. 18. Januar, 38)

Die Eigenwerbung der Zeitungen wurde großenteils verstetigt, vom Werberat zugleich durch immer neue Vorgaben und Ratschläge ergänzt (vgl. etwa Aug[ust] Hans Brey und Fritz Gerathewohl, Werben und Verkaufen im Kunstgewerbe- und Hausrathandel, Bamberg 1937). Werbung wurde eine Pflicht des „deutschen Handels“, diente insbesondere ab 1937 in immer neuen Figurationen der Verbrauchslenkung, die Blaupausen auch für heutige Kampagnen für „gesunde Ernährung“ oder aber die Reduktion der Lebensmittelabfälle schuf.

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Anzeigenkurse in der Tageszeitung (Westfälische Landeszeitung 1935, Nr. 130 v. 13. Mai, 16 (l.); Westfälischer Kurier 1936, Nr. 136 v. 19. Mai, 4)

Die Rahmensetzung des Werberates begünstigte zudem eine wachsende Zahl von Werbelehrgängen oder Werbetipps, die immer wieder die Anspruchshaltung an Konsumenten, vor allem aber an die werbetreibende Wirtschaft transportierten: Man habe „einen Schlußstrich gezogen unter die Methoden marktschreierischer Anpreisungen mit ihrem vielfachen Hang zur Täuschung und Unwahrheit, so daß es besonders dem kleinen Geschäftsmann wieder möglich gemacht wurde, seine auf dem Wahrheitsprinzip aufgebaute Werbung im Anzeigenteil der Tageszeitungen zur verdienten Beachtung zu bringen.“ Nun aber müsse gehandelt werden: „Werbung tut not! Anzeigen helfen verkaufen!“ (Beide n. Anzeigen helfen verkaufen! Weihnachtswerbung von Einzelhandel und Handwerk, Bremer Zeitung 1936, Nr. 333 v. 30. November, 7). Die den Anzeigenappell prägende Parole „Anzeigen helfen verkaufen“ sollte bis in die 1970er Jahre ein gängiger Slogan bleiben.

Uwe Spiekermann, 13. Mai 2024

Ein Gedanke zu „Anzeigenappell: Inseratenwerbung in der NS-Presse 1935

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